Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2019

Zu diesem Bericht

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

Abgebildet ist ein Foto von Peter Beuth, dem Hessischen Minister ds Innern und für Sport

der Rechtsextremismus ist zurzeit die größte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Landes. Die feige Ermordung von Dr. Walter Lübcke, die extremistisch motivierten Morde von Halle und der fürchterliche rassistische Anschlag von Hanau haben die Menschen in der Bundesrepublik und vor allem in Hessen schwer getroffen. Zurückgeblieben sind traumatisierte Hinterbliebene, die geliebte Menschen verloren haben, und weitere zum Teil schwer verletzte Opfer, die an den Folgen dieser fürchterlichen Taten womöglich noch Jahre leiden werden. Hilfe zur Trauerbewältigung ist ein erster wichtiger Schritt auf dem langen Weg zurück ins Leben, wenngleich der Verlust durch nichts aufgewogen werden kann.

Das Vertrauen in den Staat und vor allem in die Sicherheitsbehörden als Garanten von Schutz für den Einzelnen sowie als verlässliche Verteidiger unserer gemeinsamen demokratischen Werte darf in Zeiten eines erstarkenden Extremismus niemals zur Disposition stehen. Die unsäglichen Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0 an vornehmlich Frauen des öffentlichen Lebens haben dieses Vertrauen aber erschüttert. Alleine der Verdacht, hessische Polizisten könnten Absender oder zumindest Unterstützer rechtsextremistischer und hasserfüllter Schreiben sein, lastet schwer auf unseren Schutzleuten. Politik und Sicherheitsbehörden sind gemeinsam in der Pflicht, nichts unversucht zu lassen, die Täter aus der Anonymität zu reißen, hart zu bestrafen und die Betroffenen bestmöglich zu schützen.

Die Bedrohung durch Rechtsextremismus und -terrorismus ist 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine andere als zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land steht mit beiden Beinen auf dem Boden unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Angesichts steigender rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten in Hessen und Deutschland und eines gesellschaftlichen Diskurses in den sozialen Medien, der in Sprache und Stil immer weiter an die extremen Ränder verschoben wird, gilt es aufgrund unserer Vergangenheit umso mehr, unsere gemeinsamen Werte zu verteidigen.

Unseren Sicherheitsbehörden obliegt es, die Feinde unseres über Jahrzehnte errungenen, friedliebenden und toleranten Gemeinwesens mit allen Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen. Mit der polizeilichen BAO Rechts gehen unsere Ermittler mit aller Konsequenz gegen das extremistische rechte Spektrum vor. Ob im Netz oder in der Realität: Rechtsextremisten, Reichsbürger und illegale Waffenbesitzer sollen schlagartig eine Reaktion des Staates erfahren und damit zugleich die gesamte Szene verunsichert werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat nach dem Mord an Walter Lübcke mit der neuen Einheit BIAREX vermeintlich abgekühlte Rechtsextremisten erneut unter die Lupe genommen und inzwischen fast drei Dutzend Personen wieder in die aktive Bearbeitung übernommen. Polizei, Staatsanwaltschaften und das Landesamt arbeiten bei der Meldestelle „hessengegenhetze“ Hand in Hand, um Hass im Netz gemeinsam zu bekämpfen und rassistischen Parolen Einhalt zu gebieten.

In einem uferlosen virtuellen Meer extremistische Strömungen auszumachen, gehört zu den größten Herausforderungen, denen sich auch das Landesamt für Verfassungsschutz täglich aufs Neue stellen muss. Zuletzt haben die Corona-Demonstrationen gezeigt, dass Extremisten verschiedener Couleur versucht haben, die Angst vor dem Virus für ihre Zwecke zu missbrauchen.

Das Internet bietet auch den Feinden unserer Verfassung grenzenlose Möglichkeiten und ist leider reale Bühne für Worte, denen Taten folgen können. Ohne Zweifel kann das Internet auch die Straße radikalisieren: Gewalttätige Personen können aus Kommentaren im Netz ein Gefühl der Legitimation für ihr Handeln ziehen – vielleicht sogar das Gefühl, bei der Begehung einer Gewalttat „Vollstrecker“ des vermeintlichen „Volkswillens“ zu sein. Das Wort „Einzeltäter“ ist vor diesem Hintergrund zu Recht in die Kritik geraten. Ob es nun ein Rechtsextremist oder Rassist ist, der bei der Tatbegehung allein handelt, kann er sich in seiner individuellen virtuellen Blase in eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten eingebettet fühlen. Diese Gleichgesinnten müssen sich nicht persönlich kennen; es genügt, wenn sie sich gegenseitig in ihren Auffassungen bestärken.

Deshalb sind die wachsamen Augen der Bevölkerung für unsere Sicherheitsbehörden von unschätzbaren Wert, um mögliche Gefahren für den Einzelnen frühzeitig zu erkennen und möglichen Tatplanungen schon im Entstehungsstadium Einhalt zu gebieten. Wir werden daher in Zusammenarbeit mit hessischen Modellkommunen ein eigenes Frühwarnsystem aufbauen, das genau dort ansetzt: bei der Mithilfe durch couragierte Bürgerinnen und Bürger. Der schreckliche Terror von Hanau, der Anschlag von Volkmarsen, aber auch die Morde von Halle haben gezeigt, dass schlimmste Verbrechen von Männern geplant und in die Tat umgesetzt werden, die den Sicherheitsbehörden zuvor nahezu unbekannt waren und schon gar nicht zum gewaltbereiten Personenpotenzial gezählt haben.

Das Landesamt für Verfassungsschutz hat einen umfassenden Auftrag in der Extremismus- und Terrorismusabwehr. Trotz der gegenwärtigen Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht, dürfen die Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus, die gezielte Unterwanderung unserer Gesellschaft durch den legalistischen Islamismus, der zunehmend gewalttätigere Linksextremismus sowie der Extremismus mit Auslandsbezug nicht vernachlässigt werden. Hinzu kommen weitere essentielle Aufgaben, wie die Herausforderungen der Cyberabwehr. Nicht zuletzt macht die Prävention als Wissensvermittlung und Beratung viele Erkenntnisse, die durch nachrichtendienstliche Recherche generiert wurden, erst produktiv. Sie gibt all den Bedarfsträgern in Kommunen, Schulen, Vereinen das nötige Rüstzeug über Extremismus und Radikalisierungsgefahren an die Hand, mit dem sie Gefahren frühzeitig erkennen können.

Ich danke dem Landesamt für Verfassungsschutz und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, dass sie sich all diesen hochkomplexen Aufgaben mit großem Engagement widmen. Hessen kann sich auf Robert Schäfer und die Frauen und Männer des LfV in ihrem Bestreben, unser Land sicherer zu machen, immer verlassen. Für ihr unermüdliches Engagement, die Ziele der inneren Sicherheit und die damit verbundenen Herausforderungen im Landesamt umzusetzen, danke ich ihnen ausdrücklich.

Der Verfassungsschutzbericht richtet sich, bei aller Wertschätzung an diejenigen, die für seinen Inhalt gearbeitet haben, in erster Linie an die Öffentlichkeit, an Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, die ihn nutzen sollen. Er soll keine Referenz für die Archive sein, sondern praktisches Hilfsmittel für ihre Arbeit. Ob in der Schule, in der Jugendarbeit, in der Verwaltung oder im Ehrenamt: Schauen Sie sich diese Entwicklungen im Extremismus und in den anderen Themen, die er enthält, aus Ihrem beruflichen oder privaten Blickwinkel an. Wenn Ihnen dieses Wissen hilft, so manches, was Sie im Internet sehen oder was Ihnen im gesellschaftlichen Umfeld auffällt, besser zu erkennen, wenn Sie Radikalisierungsgefahren früher einschätzen können, hat er seinen Zweck erfüllt.

Peter Beuth

Hessischer Minister des Innern und für Sport





Liebe Bürgerinnen und Bürger,

Abgebildet ist ein Foto von Robert Schäfer, dem Präsidenten des Landesamts für verfassungsschutz das Jahr 2019 war mit dem tödlichen Anschlag Anfang Juni auf Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke von einem besonders erschütternden Ereignis gekennzeichnet. Dieser Mord aus mutmaßlich rechtextremistischer Gesinnung war aber nicht die einzige erschreckende Tat, die sich im rechtsextremistischen Spektrum ereignete. Im Juli kam es zu dem Tötungsversuch an einem Asylbewerber in Wächtersbach und im Februar 2020 zu dem tödlichen Anschlag auf neun Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Hanau. Dieses Attentat hat Hessen und ganz Deutschland erschüttert. Die Opfer dieser schrecklichen Tat werden uns in Erinnerung bleiben. Sie sind uns Mahnung und Auftrag zugleich.

Für die Sicherheitsbehörden und damit auch für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) stellt diese Entwicklung eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte dar. Die Bedeutung des Rechtsextremismus mit seiner Tendenz hin zum Rechtsterrorismus haben wir frühzeitig erkannt und im Jahr 2016 mit einer organisatorischen und personellen Neustrukturierung reagiert. Es ist eine Abteilung entstanden, die sich ausschließlich diesem Phänomen widmet. Mit dieser Organisationsstruktur konnte das LfV rechtsextremistische und rechtsterroristische Bedrohungen im Vorfeld erkennen und zu ihrer Zerschlagung beitragen. Die oben genannten Taten zeigen aber auch, dass dies nicht in allen Fällen gelingt oder gelingen kann.

Auch diese neuen rechtsterroristischen Herausforderungen haben bereits zu Anpassungen der Arbeitsweise des LfV geführt: Vom stärker personenbezogenen Ansatz, wie es bei der Bekämpfung des Jihadismus bereits der Fall ist, bis hin zur stärkeren Überprüfung aus früheren Jahren bekannter Rechtsextremisten, die heute eine scheinbar unauffällige Vita aufweisen. In diesen Rahmen sich seit Jahren verändernder Arbeitsweisen gehört auch der Anspruch, dass Extremisten keinesfalls Waffen besitzen dürfen.

Für eine Behörde wie das LfV sind mir vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen zwei Aspekte besonders wichtig: Wir müssen zum einen stets aufs Neue und fortdauernd unsere Kompetenz stärken. Dies betrifft sowohl Bereiche, in denen wir dies selbst können, wie fachliche Fortbildung oder die Gewinnung von personeller Expertise; es betrifft aber auch externe Rahmenbedingungen, wie die fortlaufende Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen. Zum anderen müssen wir über eine ausprägte Fehlerkultur verfügen. Für mich heißt das, aus Fehlern oder aus Defiziten ständig zu lernen und auf Verbesserung hinzuarbeiten.

Der vorliegende Verfassungsschutzbericht beschreibt die Entwicklungen im Jahr 2019. Besorgniserregend ist sowohl die Zunahme des rechtsextremistischen Personenpotenzials als auch der Straftaten in diesem Bereich. Auch dies unterstreicht, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus höchste Priorität hat.

Wir würden unsere Aufgabe aber falsch verstehen, wenn wir über den verschärften Blick auf den Rechtsextremismus die anderen Extremismusphänomene vernachlässigen würden. Wir müssen uns vor der Annahme hüten, dass der islamistische Terrorismus nicht mehr die seit Jahren bestehende Gefährlichkeit habe oder dass der Linksextremismus zu vernachlässigen sei.

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

lassen Sie mich noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das mir besonders am Herzen liegt: die Bekämpfung des Antisemitismus. Im Januar 2020 haben wir des 75. Jahrestags der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz gedacht. Im vorliegenden Bericht haben wir diesem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Erinnerung an den ungeheuerlichen Zivilisationsbruch des Holocaust wachzuhalten, ist eine dauernde Aufgabe für uns alle. Es stimmt mich nachdenklich und besorgt, wenn ich in manchen Gesprächen erfahre, dass Schülerinnen und Schüler mit dem 9. November 1938 nichts mehr anfangen können, schlichtweg nicht wissen, was an diesem Tag im damaligen nationalsozialistischen Deutschland geschah. Gemeinsam mit dem Landrat des Kreises Hersfeld-Rotenburg habe ich daher im vergangenen Jahr eigens eine Veranstaltungsreihe zum Thema Antisemitismus und Holocaust-Gedenken initiiert, angeknüpft an den Hessentag in Bad Hersfeld, die sich in zahlreichen Folgeveranstaltungen über den 9. November hinaus fortsetzte. Veranstaltungsreihen wie diese ergänzen die Arbeit der Phänomenbereichsübergreifenden wissenschaftlichen Analysestelle und Fremdenfeindlichkeit (PAAF), die seit 2016 im LfV besteht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein Amt wie der Verfassungsschutz mit seiner herausfordernden und wahrlich nicht einfachen Aufgabe lebt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dies alles leisten. Sie alle haben in den sehr unterschiedlichen Aufgabenbereichen des Landesamts eine hervorragende Arbeit geleistet. Wir stehen weiterhin vor großen Herausforderungen, die wir gemeinsam mit aller Entschlossenheit zum Wohle und Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes annehmen. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.

Robert Schäfer

Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen

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