Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2019

Rechtsextremismus

Merkmale

Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und bekämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie verfolgen extremistische Bestrebungen in unterschiedlichen Formen.

Auf einen Blick
  • Das deutsche Volk als höchster Wert
  • „Ethnopluralismus“
  • Ideologie der Ungleichheit
  • „Kampf um die Parlamente“ – „Kampf um die Straße“

Das deutsche Volk als höchster Wert | Das deutsche Volk stellt für alle Rechtsextremisten den höchsten Wert dar. Sie ordnen die Rechte und Freiheiten anderer Völker und Nationen wie auch die des einzelnen Menschen diesem Nationalismus unter. Nach ihren Vorstellungen hat der Einzelne im Sinne eines völkischen Kollektivismus seinen Wert nur durch die Zugehörigkeit zum Volk, das heißt durch eine bestimmte Herkunft.

„Ethnopluralismus“ | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die Identitäre Bewegung (IB), propagieren das Konzept des „Ethnopluralismus“ und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der „fremde“ Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der „Ethnopluralismus“ beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie.

Ideologie der Ungleichheit | Rechtsextremisten vertreten somit eine Ideologie der Ungleichheit, die in vielfacher Hinsicht den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. An die Stelle demokratischer Entscheidungsprozesse wollen Rechtsextremisten einen autoritären (Führer-)Staat setzen, in dem nur der angeblich in sich einheitliche Wille der „Volksgemeinschaft“ herrscht.

„Kampf um die Parlamente“ – „Kampf um die Straße“ | Ihre Ziele verfolgen Rechtsextremisten auf unterschiedliche Art und Weise. Rechtsextremistische Parteien treten zu Wahlen an und versuchen, sich der demokratischen Strukturen zu bedienen, um diese letztlich abzuschaffen. Demgegenüber setzen Neonazis vor allem auf den „Kampf um die Straße“. Sie versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen sowohl im Internet als auch in der „realen“ Welt Aufmerksamkeit zu erzielen.

Rechtsextremistisches Personenpotenzial1

Gegenüber dem zurückliegenden Berichtsjahr stieg das rechtsextremistische Personenpotenzial (2019: 1.600) in Hessen um etwa acht Prozent an (2018: 1.475). Ursache hierfür war ein Anstieg im Bereich der parteigebundenen Strukturen bzw. Parteien sowie im Spektrum des gewaltorientierten Rechtsextremismus, wobei der dortige Zuwachs auf den intensivierten Bearbeitungsfokus der hessischen Sicherheitsbehörden zurückzuführen ist.

2019 2018 2017 2016 2015
in Parteien
Hessen 340 285 275 265 260
Bund 13.330 5.510 6.050 6.550 6.650
davon in der Partei
NPD
Hessen 260 260 250 250 250
Bund 3.600 4.000 4.500 5.000 5.200
Der Dritte Weg
Hessen 20 15 15 15 10
Bund 580 530 500 350 300
DIE RECHTE
Hessen 10 10 10
Bund 550 600 650 700 650
Junge Alternative
Hessen 50
Bund 1.600
Der Flügel2
Bund 7.000
in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen3
Hessen 680 640 650 510
Bund 6.600 6.600 6.300
weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial4
Hessen 600 550 540 560
Bund 13.500 13.240 12.900
Gesamtzahl der Rechtsextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften)
Hessen 1.620 1.475 1.465 1.335 1.310
Bund 32.080 24.100 24.000 23.100 22.600
davon gewaltorientiert5
Hessen 840 680 670 650 400
Bund 13.000 12.700 12.700 12.100 11.800


1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.
2 Verlässliche Angaben zum Personenpotenzial des Flügels in Hessen liegen nicht vor.
3 Im Jahr 2017 wurde das Personenpotenzial bundesweit neu kategorisiert. Unter in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden in Bezug auf Hessen vor allem Neonazis sowie die Identitäre Bewegung erfasst.
4 Unter weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial fallen unter anderem Anhänger der subkulturellen Musikszene. Für Hessen wurden die Zahlen rückwirkend für das Jahr 2016 ermittelt.
5 Bis 2015 wurde bei der Darstellung des Gesamtpersonenpotenzials in Hessen die Anzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten ausgewiesen. Seit 2016 wird die Anzahl gewaltorientierter Rechtsextremisten angegeben. Der Oberbegriff „gewaltorientiert“ umfasst die Begriffe gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend.

Gegenüber dem zurückliegenden Berichtsjahr stieg das rechtsextremistische Personenpotenzial (2019: 1.620) in Hessen um etwa neun Prozent an (2018: 1.475). Ursache hierfür war ein Anstieg im Bereich der parteigebundenen Strukturen bzw. Parteien sowie im Spektrum des gewaltorientierten Rechtsextremismus, wobei der dortige Zuwachs auf den intensivierten Bearbeitungsfokus der hessischen Sicher heitsbehörden zurückzuführen ist.

Rechtsterrorismus und schwere Gewaltstraftaten

Der mutmaßlich rechtsextremistisch motivierte Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke Anfang Juni bedeutete für die Bundesrepublik Deutschland und Hessen eine Zäsur. Dieser Mord bildete die Spitze einer Kumulation von regelmäßig gegen Repräsentanten des Staats gerichteten Drohungen und Gewalttaten und war gleichzeitig der wohl erste rechtsextremistisch motivierte Mord an einem deutschen Politiker seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. In den Tagen nach der Tat offenbarte sich vor allem im Internet und in den sozialen Medien eine schockierende extremistische Dimension des Hasses und der Hetze. Nur sechs Wochen später wurden in Wächtersbach (Main-Kinzig-Kreis) aus fremdenfeindlichen Motiven heraus Schüsse auf einen 26-jährigen eritreischen Staatsangehörigen abgegeben. Fünf Monate später wurden in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt zwei Menschen ermordet, als der Täter von seinem Vorhaben ablassen musste, mit Gewalt in eine Synagoge einzudringen, um dort Gläubige beim Begehen des höchsten jüdischen Feiertags zu töten.

Auf einen Blick
  • Der Mord an Dr. Walter Lübcke
  • Versuchte Tötung eines eritreischen Staatsangehörigen
  • Angriff mit einer Zwille auf einen Migranten
  • Anschlag auf zwei Moscheen in Neuseeland
  • Anschlag auf eine Synagoge und auf einen Dönerimbiss
  • Anschläge in den USA und in Norwegen
  • Hohe Gefahr rechtsterroristische Gewaltpotenziale
  • Drohungen und Gewalt gegen Repräsentanten des Staates

Der Mord an Dr. Walter Lübcke | In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni wurde der Präsident des Regierungspräsidiums Kassel auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen (Landkreis Kassel) leblos aufgefunden. Das HLKA gab am 3. Juni bekannt, dass Dr. Lübcke mittels einer Schusswaffe aus kurzer Entfernung getötet worden war.

Des Mordes dringend tatverdächtig ist der Rechtsextremist Stephan E., der sich seit dem 16. Juni in Untersuchungshaft befindet. Seit dem 27. Juni ist zudem der Rechtsextremist Markus H. wegen des Vorwurfs der Beihilfe an dem Mord an Dr. Walter Lübcke in Untersuchungshaft. Eine dritte in diesem Zusammenhang festgenommene Person ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

In einem ersten, nachträglich widerrufenen Geständnis gab E. an, den Regierungspräsidenten in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni erschossen zu haben. Das mutmaßlich rechtsextremistische Motiv für die Tat sei seine Empörung über eine Äußerung Dr. Lübckes über die Flüchtlingspolitik im Oktober 2015 bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden (Landkreis Kassel) gewesen.

Sein Geständnis widerrief E. am 2. Juli vor einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, nachdem ihm ein Pflichtverteidiger zugeordnet worden war. In einem zweiten Geständnis vom 8. Januar 2020 beschuldigte E. den wegen Beihilfe Mitangeklagten Markus H., den töd-lichen Schuss auf Dr. Walter Lübcke abgegeben zu haben. Darüber hinaus habe sich der Schuss, entgegen der Ausführungen im ersten Geständnis, versehentlich im Zuge eines Streits mit Dr. Lübcke gelöst.

Am 28. April 2020 erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen Stephan E. wegen Mordes und gegen Markus H. wegen Beihilfe zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten. Der Prozess begann am 16. Juni 2020 vor dem OLG Frankfurt am Main.

Versuchte Tötung eines eritreischen Staatsangehörigen | In Wächtersbach (Main-Kinzig-Kreis) gab am 22. Juli 2019 ein 55 Jahre alter Mann mehrere Schüsse auf einen 26-jährigen eritreischen Staatsangehörigen ab und verletzte diesen dadurch schwer. Der Schütze soll seine Tat zuvor in einer von ihm regelmäßig besuchten Gaststätte angekündigt haben. Anschließend beging der Täter in seinem Fahrzeug Selbstmord. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass der Tat ein fremdenfeindliches Motiv zugrunde lag.

Angriff mit einer Zwille auf einen Migranten | Ein 25-jähriger Syrer wurde am 3. September im Bereich des zentralen Busbahnhofs in Taunusstein (Rheingau-Taunus-Kreis) durch eine Metallkugel am Kopf getroffen und so verletzt, dass er in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Nach umfangreichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung nahm die Polizei zwei Tage später einen 54-Jährigen aus Taunusstein fest.

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Tatverdächtigen stellte die Polizei unter anderem zwei Zwillen und Metallgeschosse sicher. Der Festgenommene steht darüber hinaus in Verdacht, in mindestens drei weiteren Fällen aus seinem Auto heraus mittels einer Zwille auf „ausländisch erscheinende“ Personen geschossen zu haben.

Anschlag auf zwei Moscheen in Neuseeland | Am 15. März beging ein Einzeltäter aus rechtsextremistischen Motiven zwei Anschläge mit Schusswaffen auf Moscheen in Christchurch (Neuseeland). Die Tat „dokumentierte“ er per Videoübertragung in Echtzeit im Internet, wobei er 51 Menschen tötete und zahlreiche zum Teil schwer verletzte. Die Angriffe richteten sich insgesamt gegen rund 300 Teilnehmer eines Freitagsgebets in der al-Noor-Moschee im Zentrum Christchurchs und gegen die – wenige Kilometer entfernt liegende – Linwood-Moschee. Die Polizei nahm den mutmaßlichen Täter am selben Tag fest. Im Zuge einer Internetrecherche sicherte die Polizei ein Manifest mit dem Titel „The great replacement“ (dt. „Der große Austausch“), woraus sich Bezüge nach Deutschland ergaben. Thematisiert wurden in dem „Manifest“ unter anderem die deutsche Einwanderungspolitik und die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen).

Die Reaktionen auf die Tat und das „Manifest“ in der rechtsextremistischen Szene in Deutschland bzw. in Hessen fielen überwiegend verhalten und distanziert aus. Hinsichtlich des Charakters, des Vorgehens und der erwarteten Wirkung stieß die Tat zum großen Teil auf Ablehnung. Oftmals wurde angeführt, dass Gewalt- und Terrortaten jeglicher Couleur abzulehnen seien.

Anschlag auf eine Synagoge und auf einen Dönerimbiss | Am 9. Oktober verübte in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt ein Einzeltäter einen Anschlag auf die Synagoge sowie einen in der Nähe gelegenen Dönerimbiss. Da es dem Attentäter nicht gelang, in die Synagoge einzudringen, tötete er auf der Straße und in einem Imbiss zwei Menschen und verletzte mehrere zum Teil schwer. Die Polizei nahm den Täter auf seiner Flucht fest.

Den Anschlag hatte der Täter auf der Streaming-Plattform twitch.tv live übertragen; im Internet hatte er zuvor – offenbar in Anlehnung an den Anschlag in Christchurch – ein „Manifest“ in englischer Sprache veröffentlicht, in dem er seine Tat ankündigte. Darüber hinaus war in dem „Manifest“ eine Anleitung für das Durchführen eines Anschlags und ein Aufruf zu weiteren Gewalttaten enthalten.

Sowohl die internationale als auch die bundesweite rechtsextremistische Szene thematisierte den Anschlag in Halle (Saale) – vor allem im Internet und in den sozialen Medien – in vielfacher Weise. Die Reaktionen waren durchaus heterogen und reichten von der Relativierung des Attentats über eine Distanzierung bis hin zu einem bewussten Verzicht auf eine Distanzierung. Zudem kursierten – zumindest rudimentär formulierte – Verschwörungstheorien, so etwa dass der Anschlag fortan als Vorwand genutzt werden könne, um noch repressiver gegen „Rechte“ vorzugehen.

Anschläge in den USA und in Norwegen | Am 3. August erschoss ein Attentäter in El Paso (USA) 20 Menschen aus rassistischen Motiven. In seinem im Internet veröffentlichten Manifest griff auch er die Ideologie des „großen Austauschs“ auf, auf die sich bereits der Attentäter von Christchurch (Neuseeland) berufen hatte.

Den Anschlag auf eine Moschee in Oslo (Norwegen) am 10. August verhinderten die Besucher, indem sie den Attentäter überwältigten, der bereits Schüsse abgegeben, aber niemanden tödlich verletzt hatte. Auch diesem Attentat lag eine rassistische und zudem islamfeindliche Ideologie zugrunde. Wiederum bezog sich der Täter auf die Anschläge und den Angreifer in Neuseeland.

Hohe Gefahr rechtsterroristischer Gewaltpotenziale | Weltweit stellen rechtsterroristische Gewaltpotenziale eine hohe Gefahr dar, was die oben aufgeführten Anschläge in drastischer Weise verdeutlichen. Der den Taten zugrundliegende – in etwa stets gleiche – Modus Operandi der Anschläge lässt Rückschlüsse auf das hohe Gefahrenpotenzial zu, das von rechtsextremistischen Tätern ausgeht: Im Vordergrund ihrer Motivation steht, eine möglichst große Öffentlichkeitswirksamkeit zu erzielen, um sowohl Furcht und Schrecken zu verbreiten als auch auf angebliche Missstände in Gesellschaft und Politik hinzuweisen. Hierdurch soll der propagierten rechtsextremistischen Ideologie eine möglichst große mediale Bühne bereitet und eine entsprechende Aufmerksamkeit verschafft werden.

Auch künftig muss mit Anschlägen dieser Art gerechnet werden, denen eine Selbstradikalisierung des Täters (zum Teil innerhalb des Internets) vorausgeht („Lone Wolf“-Phänomen). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass solche Täter zwar allein handeln, aber insgesamt in ein „größeres weltanschauliches Leitgerüst“ (Jan Skudlarek) eingebettet sind, was die Wachsamkeit der gesamten demokratisch verfassten Gesellschaft erfordert.

Drohungen und Gewalt gegen Repräsentanten des Staates | Nicht erst im Kontext des Mordes an Dr. Walter Lübcke müssen die zahlreichen Drohungen und die einzelnen Gewaltdelikte gegen bundesweit bekannte und gegen kommunal tätige Politiker als potenzielle Wegbereiter für das Entstehen eines rechtsextremistischen Terrorismus äußerst ernst genommen werden. So sind in diesem Zusammenhang auch auf die Angriffe auf die Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker im Kommunalwahlkampf 2015 und auf den Bürgermeister der Stadt Altena (Nordrhein-Westfalen), Dr. Andreas Hollstein, im Jahr 2017 hinzuweisen.

Es besteht die Gefahr, dass bei (potenziellen) Tätern sozial und gesellschaftlich geprägte Hemmschwellen sinken und sich verbal-physische Gewalt zunehmend die Bahn bricht. Grundsätzlich birgt die der rechtsextremistischen Ideologie immanente Gewaltorientierung die Gefahr schwerer staatsgefährdender Gewalttaten: Die mit der Ideologie verknüpften Straftaten richten sich oftmals gegen Leben und persönliche Freiheit des Menschen, sodass die Delikte geeignet sind, die Sicherheit und die Grundfesten des demokratischen Verfassungsstaates maßgeblich zu beeinträchtigen.

Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/ Identitäre Bewegung Hessen (IBH)

Definition/Kerndaten

Die IBD präsentiert sich „modern“, „intellektuell“ und aktionsorientiert und ahmt in ihrer Bildsprache und in ihren Aktionsformen den Stil „linker“ Protestbewegungen nach. Hierzu verwendet die IBD Elemente der Popkultur und führt Flash-Mobs, Besetzungen sowie Sprüh-, Banner- und Stickeraktionen durch. Typisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie etwa „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ gehören nicht zum Vokabular der IBD. Stattdessen verwendet sie Chiffren wie „Identität“ und „Ethnie“. Damit versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe medienwirksamer Aktionen insbesondere internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen, um eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung zu etablieren. Vor allem über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versucht die Identitäre Bewegung (IB), Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene anzusprechen. So sagte ein Vertreter der IB: „Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht“. (Schreibweise wie im Original.)

Bundesvorsitzender: Daniel Fiß (Mecklenburg-Vorpommern)
Mitlgieder: In Hessen etwa 60, bundesweit mehr als 600
Medien: Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Identitären Bewegung Deutschland. Auf einem rechteckigen gelb-orangenem Hintergrund befindet sich in schwarzer Farbe ein Kreis, darin der griechische Buchstabe Lambda, also ein Winkel, etwas größer als 90 Grad, dessen Spitze nach oben zeigt. Die beiden Enden des Winkels gehen in den schwarzen Kreis über. Darunter steht in schwarzen Großbuchstaben das Wort Deutschland.

Ereignisse/Entwicklungen

Im Berichtszeitraum gingen sowohl die Aktivitäten als auch die Mitgliederzahl der IBH zurück, was unter anderem auf die vermehrt negative öffentliche Berichterstattung über die IB zurückzuführen ist. Darüber hinaus sah sich die IB mit Kritik aus den eigenen Reihen konfrontiert. Über einzelne Aktionen veröffentlichte die IBH Berichte mit Fotos auf ihrer Homepage, ihrem Twitter-Profil oder ihrem Telegram-Kanal. Auf diese Weise versuchte die IBH nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern auch die eigenen Aktivisten zu motivieren.

Auf einen Blick
  • Asyl- und Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte
  • Proteste gegen „linke“ Gewalt und „Überfremdung“
  • „Keine No-Go Areas!“ – „Fühlst du dich wirklich sicher?“
  • „Europa verteidigen – Es bleibt unsere Heimat“
  • „Patrioten Wiesbaden“
  • Berichterstattung über die IBD
  • Publikationen der IB

Asyl- und Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihren Internetpräsenzen weiterhin auf den Protest gegen die Migrations- und Asylpolitik und führte wie in den Vorjahren Flyer-, Banner- und Plakataktionen unter anderem in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Bensheim (Kreis Bergstraße), Hohenstein (Rheingau-Taunus-Kreis), Dreieich (Landkreis Offenbach), Darmstadt und Fritzlar (Schwalm-Eder-Kreis) durch.

Proteste gegen „linke“ Gewalt und „Überfremdung“ | Am 14. Januar versuchten IBH-Aktivisten im Rahmen einer bundesweiten Aktion der IB unter dem Motto „Schreibtischtäter benennen – Protest gegen Linke Gewalt“ eine Plakataktion vor dem Redaktionsgebäude der Frankfurter Rundschau durchzuführen, was die Polizei verhinderte. Auf den dafür vorbereiteten Plakaten standen Aufschriften wie etwa „Wann reden Sie über linke Gewalt?“ und „Linke Gewalt – ignoriert, geleugnet, verharmlost“. Hintergrund waren der Angriff auf einen AfD-Politiker sowie Sachbeschädigungen an einem durch die AfD genutzten Bürogebäude und an dem Auto eines IB-Angehörigen.

„Keine No-Go Areas!“ – „Fühlst du dich wirklich sicher?“ | Am 7. Februar führten IBH-Aktivisten in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) eine Plakataktion im Zusammenhang mit der IBD-Aktionswoche „Keine No-Go Areas in unseren Städten“ durch. Die bundesweite Kampagne war nach Aussage der IBH eine Reaktion auf die von ihr kritisierte zunehmende „Ghettoisierung“ und Entstehung sogenannter No-Go-Areas in deutschen Städten. Auf ihrer Homepage schrieb die IBD:

„In vielen Großstädten erleben wir seit Jahren einen schleichenden Prozess, der von den politisch Verantwortlichen verschwiegen wird: Wir werden in unseren eigenen Vierteln, Stadtgebieten und Straßen zu einer Minderheit im eigenen Land. In Städten wie Berlin, Hamburg, Duisburg und Frankfurt bilden sich zunehmend fremde Parallelgesellschaften, die entlang ethnischer und kultureller Konfliktlinien verlaufen“.

Die Überschriften der professionell gestalteten Plakate, die unter anderem in Werbetafeln am Marburger Hauptbahnhof angebracht waren, lauteten „Keine No-Go Areas!“ und „Fühlst du dich wirklich sicher?“ Durch das Anbringen der Plakate in Werbetafeln sollte für den Betrachter offensichtlich der Anschein erweckt werden, dass es sich hierbei um offiziell geschaltete Werbeanzeigen handelte.

Am 1. August sperrten Aktivisten der IBH am Frankfurter Hauptbahnhof Teile eines Bahnsteigs mit einem Band ab und befestigten daran ein im Piktogrammstil gestaltetes Warnzeichen mit der Aufschrift „Vorsicht vor multikulturellen Bahnsteigen“. Auf dem „Warnzeichen“ war eine Person abgebildet, die eine andere vor einen einfahrenden Zug stößt. Hintergrund war der Tod eines achtjährigen Jungen im Frankfurter Hauptbahnhof, den ein Mann aus Eritrea auf ein Bahngleis gestoßen hatte.

„Europa verteidigen – Es bleibt unsere Heimat“ | IB-Aktivisten aus Hessen beteiligten sich auch an besonders medien- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen der IBD. So wollte die IBD am 20. Juli in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt eine Demonstration unter dem Motto „Europa verteidigen – Es bleibt unsere Heimat“ mit anschließendem Sommerfest in und vor einer durch die IBD genutzten Immobilie durchführen. Am Veranstaltungstag blockierten rund 3.000 Gegendemonstranten den Gebäudezugang und die umliegenden Straßenzüge, sodass die Polizei die Demonstration der IBD untersagte und nur das IBD-Sommerfest mit etwa 250 Teilnehmern stattfand.

„Patrioten Wiesbaden“ | Der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner, der als Führungsfigur innerhalb der IBD gilt, rief in einem auf YouTube im August veröffentlichten Video („Rechte Volksvernetzung! Vernetzt euch mit lokalen Telegramgruppen“) zur Gründung von „patriotischen“ Telegram-Gruppen auf. Ziel sei es, ein flächendeckendes Netzwerk von „patriotisch“ eingestellten Personen aufzubauen. Offenbar als Reaktion auf den Aufruf gründete sich eine öffentlich zugängliche Telegram-Gruppe namens „Patrioten Wiesbaden“, in der sich Nutzer als Mitglieder der IBH zu erkennen gaben.

Berichterstattung über die IBD | Vermehrt sah sich die IBD im Berichtsjahr mit für sie negativer Berichterstattung in den Medien konfrontiert. Dies resultierte zum einen aus der Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV im Juli und aus den zuvor im März und Mai bekanntgewordenen Verbindungen zwischen dem Attentäter von Christchurch (Neuseeland) und der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ). So hatte sich der Rechtsterrorist in seinem im März 2019 veröffentlichten „Manifest“ auf die von der IB propagierte rechtsextremistische Verschwörungstheorie des „Großen Austauschs“ bezogen.

Außerdem sah sich die IBD im November mit Angriffen aus den eigenen Reihen, das heißt der Neuen Rechten, konfrontiert. So erklärte der Publizist Götz Kubitschek vor dem Hintergrund der Verbindungslinie zwischen dem Attentäter von Christchurch und der Bewertung der IBD durch das BfV als gesichert rechtsextremistische Bestrebung:

„Zum einen ist dieser wirklich gute Ansatz einer patriotischen, nicht-extremen und sehr kreativen Jugendbewegung nun bis zur Unberührbarkeit kontaminiert. Das bedeutet: Es wird nichts Großes mehr daraus. Zum anderen hat sich der Gegner durch diesen Umgang mit der IB ‚bis zur Kenntlichkeit entstellt’ – ein lehrreicher Vorgang‘“.

Publikationen der IB | Nachdem die IBH 2017 erstmals die Publikation Identitärer Aktivist (insgesamt drei Ausgaben) veröffentlicht hatte und 2018/2019 keine weiteren mehr erschienen waren, publizierte die IBD im Juli 2019 die erste Ausgabe des Magazins Das sind wir. Darin berichtete die IBD unter anderem über Aktionen, stellte einzelne Aktivisten und deren Beweggründe für ihr Engagement in der IBD vor und berichtete über andere identitäre Gruppierungen in Europa.

Entstehung/Geschichte

Die IBD sieht sich als Ableger der IBÖ, die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire − Le mouvement social européen, der späteren Génération Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein „Vorbild“.

Auf einen Blick
  • Ursprung in Frankreich
  • IB in Deutschland

Ursprung in Frankreich | Die „erste größere Aktion“ der GI − so ihre eigene Einschätzung − fand im Oktober 2012 statt, als 60 bis 80 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im „Kampf für unsere Identität“ besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten:

„Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden“.

Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video „Kriegserklärung − Identitäre Generation“. Darin hieß es unter anderem:

„Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: Dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung. […] Unser Erbe ist unser Land, unser Blut, unsere Identität“.

IB in Deutschland | Nach der Veröffentlichung des Videos, das sich europaweit rasch in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) verbreitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der IB aktiv, zunächst „virtuell“ im Internet, dann aber auch zunehmend „real“, indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der IB zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien.

In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mit Plakat- und Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente. In der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die „Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern“.

Ideologie/Ziele

Indem die IB von „Ethnopluralismus“ spricht, stellt sie in ihrem Kampf gegen den vermeintlichen „großen Tausch“ „kulturelle Eigenheiten“ und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie über die in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Werte.

Auf einen Blick
  • „Ethnopluralismus“ – „Ethnokulturelle Identität“
  • „Der große Austausch“
  • Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda (Λ)
  • Angebliches Recht auf „Widerstand“

„Ethnopluralismus“ – „Ethnokulturelle Identität“ | Die IBD betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in Nähe zur völkischen Ideologie von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht primär in seiner Individualität, sondern vorrangig in Bezug auf seine ethnische Herkunft wahr. Hierzu hieß es auf der Homepage der IBD:

„Die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts werden vor allem auf dem Feld der Identitätspolitik gestellt werden. Dabei müssen wir als patriotische Europäer unweigerlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die demographischen Verhältnisse zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung entwickeln und uns ohne ein politisches Umdenken zahlreiche ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte erwarten“.

Die IBD rekurriert mit ihrem Konzept des „Ethnopluralismus“ nicht auf die Vordenker des „klassischen“ Rechtsextremismus. Im Gegensatz zu diesen vertritt die IBD die Auffassung, dass es auf die Unterschiedlichkeit der Ethnien im kulturellen Sinne ankomme. Diese „kulturellen“ Eigenarten – im Jargon der IBD die „Identität“ – gelte es durch eine größtmögliche Trennung der verschiedenen Ethnien zu erhalten. Ethnopluralisten geben vor, dabei keine Unterscheidung nach der Wertigkeit einer Ethnie vorzunehmen, was sie vorder- gründig von den im Rechtsextremismus vorherrschenden rassistischen Ideologien abhebt. Nach eigenen Worten erteilt die IBD

„Rassismus und Chauvinismus eine klare Absage, da es uns stets um die Betonung des Rechts auf Bewahrung der Identität für jedes Volk und jede Kultur geht und wir eine qualitative Auf- oder Abwertung einer bestimmten ethnokulturellen Gemeinschaft klar ablehnen“.

Es gelte gleichwohl, so die IBD, die eigene Kultur zu bewahren, da sie das eigene Dasein maßgeblich ausmache. In dem mehrteiligen Artikel „Nationalismus revisited“ wird hierzu ausgeführt:

„Ja, wir stehen für den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, gegen Masseneinwanderung, gegen die Lüge von ,Menschheit und Weltstaat‘, für den Erhalt der Völker, der Wurzeln, der Herkunft und der Heimat, aber NEIN, wir sind KEINE Nationalisten“.
(Schreibweise wie im Original.)

„Der große Austausch“ | Mit dem Begriff „Der große Austausch“ bezeichnet die IBD die angebliche „Tendenz einer schrittweisen Verdrängung der einheimischen Bevölkerung zugunsten fremder und zumeist muslimischer Einwanderer“. Nach Ansicht der IBD wird diese schrittweise Verdrängung durch die „Selbstabschaffungsideologie von Multikulti, die einen Großteil des gesellschaftlichen Entscheidungsbereichs einnimmt“, hervorgerufen, wodurch die einheimischen europäischen Bevölkerungen zur „Minderheit in den eigenen Ländern“ würden und letztlich „völlig verschwunden“ sein werden.

Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda (Λ) | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandisingartikeln den griechischen Buchstaben Lambda, der durch die Comicverfilmung „300“ aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert das antike Sparta und den letztlich aussichtslosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferisch-entschlossene Spartaner im Kampf gegen die persischen Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildsprache und sieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ in der Tradition der Spartaner. In einem mittlerweile im Internet gelöschten Video erklärte die IBD in Bezug auf den Buchstaben Lambda, der in der Antike die „Schilder [sic] der stolzen Spartaner schmückte“:

„Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kampfansage an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!“

Die Orientierung der IBD an Sparta, das „bis heute […] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates“ (Lukas Thommen, 2017) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildsprache, insbesondere die Verwendung des Buchstabens Lambda, steht für Anschauungen der IB, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind.

Angebliches Recht auf „Widerstand“ | Nach Auffassung der IBD sei aufgrund der derzeitigen Lage in Deutschland „eindeutig“ der Widerstandsfall nach Art. 20 Abs. 4 GG eingetreten. Das Recht auf Widerstand rechtfertige in der jetzigen Situation zivilen Ungehorsam, jedoch keine Gewalt. In diesem Kontext scheut die IBD nicht davor zurück, an die Akteure der Weißen Rose als vermeintlich historische Vorbilder zu erinnern. Dabei hebt die IBD insbesondere den gewaltfreien Widerstand der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Gewalt- und Terrorregime ab, der sich 1942/43 unter anderem mittels Flugblattaktionen artikuliert hatte, eine Aktionsform, auf die auch die IBD immer wieder zurückgreift.

Strukturen

Die IBD gliederte sich laut ihrer Homepage bundesweit in 16 Regionalgruppen, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch „real“ existierte. Eine dieser Regionalgruppen war die IBH. In Hessen gab es mehrere Ortsgruppen der IB, die unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Darmstadt und Fulda (Landkreis Fulda) aktiv waren.

Bewertung/Ausblick

Die IBD zeigte sich − vor allem in den sozialen Medien − weiterhin in einem modern anmutenden Design, womit sie versuchte, politische Inhalte im gewohnten Stil plakativ, schnell und verständlich zu transportieren. Hierzu nutzte die IBD hauptsächlich ihre eigene Homepage, Twitter und YouTube als virtuelle Plattformen. Im Berichtsjahr schien die IBD neuerdings auch ein verstärktes Augenmerk auf den Instant-Messaging-Dienst Telegram zu legen.

Im Laufe des Berichtsjahrs sah sich die IBD zusehends mit für sie negativer Aufmerksamkeit in den Medien konfrontiert: zum einen aufgrund der Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV, zum anderen aufgrund des negativen Verlaufs der IB-„Großdemonstration“ am 20. Juli in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt und der öffentlich bekannt gewordenen Verbindungen des Rechtsterroristen von Christchurch (Neuseeland) zur IBÖ. Zudem sah sich die IBD zum Ende des Berichtsjahrs auch Angriffen aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Die negative mediale Berichterstattung und die Fundamentalkritik Kubitscheks, eines der maßgeblichen Protagonisten der Neuen Rechten, erschwerten es der IBD, sich weiterhin als jugendliche Avantgarde zu inszenieren, Jugendliche und junge Erwachsene zu werben und somit eine völkisch-antipluralistische Jugendkultur in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Vor diesem Hintergrund gingen in Hessen das Aktionsaufkommen und auch die Mitgliederzahlen der IBH merklich zurück.

Dennoch darf die von der IBD weiterhin ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht unterschätzt werden, insbesondere da sie sich nach wie vor als elitär-intellektuelle Impulsgeberin versteht und dementsprechend präsentiert, wodurch sie noch immer eine Anziehungskraft auf Jugendliche und junge Erwachsene entfaltet.

Dadurch, dass die IBD behauptet, der „letzten Generation“ anzugehören, die den „Untergang Europas“ aufhalten könne, und sie in diesem Zusammenhang von einer „Kampfansage“ spricht, schafft sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands. Der Fall des Rechtsterroristen von Christchurch, der sich in seinem „Manifest“ auf die von der IBD propagierte Verschwörungstheorie des „Großen Austauschs“ berief und Kontakte zur IBÖ unterhielt, zeigt, dass die von der IBD verbreitete Ideologie dazu geeignet ist, Radikalisierungsprozesse zu fördern und schwerste Gewaltstraftaten zu legitimieren.

Indem sich die IBD mit den Widerstandskämpfern der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Unrechts- und Terrorregime vergleicht und das im Grundgesetz verbürgte Widerstandsrecht für sich reklamiert, versucht sie ihr Handeln und ihre politischen Inhalte positiv zu deuten und gleichsam gesellschaftspolitisch zu legitimieren. Dieses Vorgehen ist als Versuch zu werten, die eigene Ideologie als allgemein gesellschaftsfähig darzustellen.

Sonstige parteiunabhängige Strukturen

Thule-Seminar e. V.

Das 1980 von dem Rechtsextremisten Dr. Pierre Krebs gegründete Thule-Seminar e. V. mit Sitz in Kassel versteht sich als „Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur“. Der Vereinsname orientiert sich an der historischen Thule-Gesellschaft, einem im August 1918 gegründeten „Geheimbund“. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Untergang des Kaiserreichs (November 1918) bestand die Thule-Gesellschaft bis zu ihrer Löschung aus dem Vereinsregister im Jahr 1932. Ähnlich dem heutigen Thule-Seminar e. V. sollte die Thule-Gesellschaft zur „Erforschung deutscher Geschichte und Förderung deutscher Art“ dienen und vertrat einen aggressiven Antisemitismus. Die Mitglieder setzten sich überwiegend aus Akademikern, Aristokraten und Geschäftsleuten zusammen, darunter auch führende Nationalsozialisten wie etwa Rudolf Heß (1894–1987) und Alfred Rosenberg (1893–1946). Als Zeichen der Thule-Gesellschaft fungierte ein Hakenkreuz mit Schwert.

Auf einen Blick
  • Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis
  • „Ethnopluralismus“ – „genetisches Reservoir“

Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis | Ähnlich seinem historischen Vorbild ist das Ziel des Thule-Seminars e. V., eine „geistig-geschichtliche Ideenschmiede für eine künftige Neuordnung aller europäischen Völker unter besonderer Berücksichtigung ihres biokulturellen und heidnisch-religiösen Erbes“ zu sein. Dabei begreift sich das Thule-Seminar e. V. als ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis und verbreitete im Berichtsjahr insbesondere im Internet völkisch-rassistisches Gedankengut. Als Ideologe, Ideengeber und Vortragsredner versuchte Dr. Krebs, Wirkung in rechtsextremistischen Kreisen zu erzielen.

Die Ideologie des Thule-Seminars e. V. ist dabei auf die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung ohne das Aufzeigen demokratischer Alternativen gerichtet. So schrieb Dr. Krebs auf seiner Homepage:

„Was sollten wir heute eigentlich bewahren? Die Werte und Denkhaltungen des Systems? Das hieße gerade das aufrechtzuerhalten, wogegen wir kämpfen! Wie lässt sich aber ein Diskurs, der eine radikale Abkoppelung vom System fordert, mit einem Diskurs vereinbaren, der die Quintessenz dieses Systems bestehen lassen will?“

„Ethnopluralismus“ – „genetisches Reservoir“ | Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte Dr. Krebs den gegenwärtig vor allem von der IB genutzten Begriff des „Ethnopluralismus“ verwendet. Im Hinblick auf den „Extremfall, dass Westeuropa durch den mörderischen Globalismus und die rassische Durchmischung zur Auflösung gebracht“ werde, strebte Dr. Krebs das rein biologistisch-rassistische und an der nationalsozialistischen Ideologie orientierte Ziel an, ein „genetisches Reservoir zu schaffen“. Dabei orientiert sich das Thule-Seminar e. V. in seiner ideologischen Ausrichtung eng an der Nouvelle Droite, einem Theoriezirkel französischer Rechtsextremisten, der ebenso wie die Mitglieder des Thule-Seminars e. V. ein „indogermanisches Heidentum“ propagiert. Der Einfluss und die Anschlussfähigkeit des Thule-Seminars e. V. insbesondere an die Neue Rechte in Deutschland blieben jedoch gering.

Darüber hinaus betrieb das Thule-Seminar e. V. – neben seiner umfangreichen Homepage – unter anderem den Eigenverlag Ahnenrad der Moderne sowie den Buch- und Kunstversanddienst Ariadne.

Recht und Wahrheit – Politik und Zeitgeschichte aus deutscher Sicht

Die von dem Rechtsextremisten Meinolf Schönborn herausgegebene Zeitschrift, die ebenfalls dem intellektuellen Rechtsextremismus zuzurechnen ist, widmet sich laut eigener Aussage der „geistigen Pflege des deutschen Freiheitsgedankens“ und will für das Recht des „deutschen Volkes auf freie Selbstbestimmung“ eintreten.

Auf einen Blick
  • „Lesertreffen“
  • Sonnwendfeiern zur Vernetzung und Kommunikation

„Lesertreffen“ | Die in der Zeitschrift publizierten Artikel behandelten hauptsächlich gesellschaftliche, politische und historische Themen, wobei rechtextremistische, antisemitische und gebietsrevisionistische Thesen vertreten und propagiert wurden. Darüber hinaus fanden regelmäßig „Lesertreffen“ statt. Daneben wirkte ein „Arbeitskreis“ an der Gestaltung und Verbreitung der Zeitschrift mit. Sowohl die Teilnehmer der „Lesertreffen“ als auch die Mitglieder des „Arbeitskreises“ waren dem neonazistischen Spektrum, rechtsextremistischen Parteien sowie den Reichsbürgern und Selbstverwaltern zuzurechnen. So strebten der Herausgeber und die Angehörigen der „Lesertreffen“ die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eines wie auch immer gearteten Deutschen Reichs an.

Sonnwendfeiern zur Vernetzung und Kommunikation | Neben den mehrmals im Jahr stattfindenden „Lesertreffen“ veranstaltete Schönborn unter anderem Sonnwendfeiern, so etwa die Sommersonnwendfeier vom 22. bis zum 23. Juni in Knüllwald (Schwalm-Eder-Kreis). Das Rahmenprogramm enthielt neben zahlreichen Vortragsveranstaltungen zu aktuellen und historischen Themen eine „Feierstunde am Feuer“. Die Feiern dienten zum einen der Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene, zum anderen stand die ideologische Schulung der Teilnehmer im Vordergrund.

Neonazis

Definition/Kerndaten

Rechtsextremisten, die nach der Überwindung der Gewaltdiktatur des Nationalsozialismus (1933–1945) dessen Ideologie in ihren inhaltlichen Zielsetzungen oder im Rahmen ihrer Aktivitäten zu verwirklichen versuchen, werden als Neonazis bezeichnet. Zahlreiche neonazistische Organisationen sind verboten, Neonazis finden sich aber immer wieder in neuen Gruppierungen, Bündnissen und Plattformen zusammen. Zu rechtsextremistischen Parteien und zu subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Skinheads unterhalten Neonazis, denen grundsätzlich eine Gewaltorientierung zuzuschreiben ist, enge Kontakte. Nahezu gleichmäßig erstreckte sich die Neonazi-Szene über ganz Hessen.

Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 310
Medien: Internetpräsenzen
Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den Jahren zuvor konzentrierten sich Neonazis auf öffentlichkeitswirksame propagandistische Aktionen: die Teilnahme an Demonstrationen und an Mahnwachen sowie die Verteilung von Aufklebern und Flugblättern. Die Szene war mehrheitlich durch lose regionale Gruppierungen geprägt. So traten bei verschiedenen rechtsextremistischen Veranstaltungen Neonazis anlassbezogen und öffentlichkeitswirksam mit Division-Mittelhessen-T-Shirts auf. Die Kameradschaft Aryans wies demgegenüber ebenso wie Combat 18 eine überregionale, länderübergreifende Struktur auf. Die Kameradschaft Aryans, bei der es sich ebenso um einen länderübergreifenden Personenzusammenschluss gewaltbereiter Neonazis handelt, führte in Hessen keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen durch.

Auf einen Blick
  • Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland)
  • Freier Widerstand Hessen (FWH)

Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) | Ursprünglich 1992 in England gegründet, setzt sich die Bezeichnung der Gruppierung aus dem Wort combat (dt. Kampf) sowie aus der Zahlenkombination 18, die für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets steht, zusammen. Der Name Combat 18 kann demnach mit Kampf(truppe) Adolf Hitler übersetzt werden. Angehörige von C 18 Deutschland waren in mehreren Bundesländern, auch in Hessen, wohnhaft. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachteten C 18 Deutschland im Berichtsjahr mit besonderer Aufmerksamkeit – auch vor dem Hintergrund der gewalttätigen Historie der englischen Gruppe in ihrer Anfangszeit. Vergleichbares war in Deutschland bislang nicht festzustellen. Dennoch wurde die intensive Beobachtung der grundsätzlich gewaltbereiten und waffenaffinen rechtsextremistischen Organisation fortgesetzt, um mögliche Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen und die Strafverfolgungsbehörden rechtzeitig einzubinden.

Ende 2018 kam es aufgrund des Verdachts des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot zu bundesweiten Durchsuchungsmaßnahmen in zwölf Objekten. Hiervon war auch der in Hessen wohnhafte Anführer von C 18 Deutschland betroffen. Im Februar 2019 wurde bekannt, dass der Anführer nach verbüßter Untersuchungshaft in ein benachbartes Bundesland verzogen ist. Daraufhin wurde ein Rückgang von Aktivitäten im Zusammenhang mit C 18 Deutschland in Hessen verzeichnet.

Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat C 18 Deutschland. Aufgrund einer Klage gegen das Verbot durch Mitglieder der Gruppierung prüft das Bundesverwaltungsgericht derzeit die Rechtmäßigkeit des Verbots.

Freier Widerstand Hessen (FWH) | Der aus der neonazistischen Gruppierung Nationale Sozialisten Main-Kinzig (NSMK) hervorgegangene FWH trat im Berichtsjahr lediglich mit einer Aufkleberaktion öffentlich in Erscheinung. Hierbei wurden vermutlich im Juni mehrere Aufkleber der Gruppierung im Bereich eines S-Bahnhofs in Dietzenbach (Landkreis Offenbach) angebracht.

Ideologie/Ziele

Neonazis orientieren sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, an der Ideologie des Nationalsozialismus (unter anderem an Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antipluralismus) und idealisieren den „Führer“ des nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorregimes, Adolf Hitler (1889–1945).

Auf einen Blick
  • „Volksgemeinschaft“ – Revisionismus
  • Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene
  • Zahlencodes
  • Kampf gegen das „System“

„Volksgemeinschaft“ – Revisionismus | Das Ziel von Neonazis ist die Schaffung eines ethnisch homogenen, diktatorischen Staats. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt – insgesamt Pluralismus – haben in der von Neonazis angestrebten deutschen „Volksgemeinschaft“ keinen Platz. Die „Volksgemeinschaft“ schließt Menschen anderer Kulturen und auch solche „Deutsche“ aus, die Neonazis aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientierung und sozialer Marginalisierung als „unwert“ einstufen. Das Individuum soll sich dem angeblichen Gesamtwillen unterordnen. Historische Tatsachen deuten Neonazis in revisionistischer Manier um und leugnen dabei auch den Holocaust.

Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene | Die neonazistische Szene ist in sich nicht homogen. Zum einen wird das „Dritte Reich“ (1933–1945) als Vorbild betrachtet und eine Wiederherstellung des Nationalsozialismus angestrebt, zum anderen wird die nationalsozialistische „Weltanschauung“ neu interpretiert oder „antikapitalistisch“ mit Bezügen zum Linksextremismus und entsprechenden Aktionsformen „modernisiert“. Die überwiegende Zahl der Neonazis befürwortet jedoch die Kernelemente des Nationalsozialismus: Führerprinzip, Antisemitismus und die Ideologie der „Volksgemeinschaft“.

Zahlencodes | Intern bekennen sich Neonazis zu ihrer Ideologie, indem sie zum Beispiel nationalsozialistische Grußformeln („Sieg Heil“, „Heil Hitler“) verwenden und den „Hitler-Geburtstag“ feiern. Nach außen bekennen sich Neonazis wegen der Strafbarkeit eher in verklausulierter Form zum Nationalsozialismus, etwa in der Form der Selbstbezeichnung von Gruppierungen. So stand etwa bei dem 2015 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport verbotenen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl 18 für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet (AH), also für Adolf Hitler. Entsprechend steht 88 für „Heil Hitler“.

Kampf gegen das „System“ | An die Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wollen Neonazis einen autoritären Führerstaat sowie eine ethnisch einheitliche „Volksgemeinschaft“ setzen. Unsere freiheitliche Demokratie bezeichnen Neonazis als „System“, das es abzuschaffen gelte. Bereits die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Republik (1918–1933) mit dieser Bezeichnung diffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegen das „System“ ist ein Grundpfeiler neonazistischer Propaganda. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die früh an die neonazistische Szene herangeführt und an sie gebunden werden sollen.

Strukturen

Die Neonazi-Szene befand sich auch im Berichtsjahr in einem fortlaufenden Wandel. Sowohl im Hinblick auf Gruppierungen als auch auf Szeneangehörige gab es eine stetige Fluktuation. In der Vergangenheit wurden Gruppierungen verboten, während andere ihre Aktivitäten einstellten. Charakteristisch für die neonazistische Szene in Hessen war ihre hessenweite überregionale Vernetzung. Darüber hinaus fungierten einzelne Neonazis aufgrund ihrer umfassenden Vernetzung als Bindeglied zu der bundesweiten neonazistischen Szene.

Auf einen Blick
  • Verbot strukturierter neonazistischer Personen- zusammenschlüsse
  • Jüngste Verbote

Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse | Wie in der Vergangenheit bereits praktiziert, wirkt das LfV im Rahmen von gegen neonazistische Organisationen initiierte Verbotsverfahren aktiv mit, indem es der zuständigen Verbotsbehörde Erkenntnisse zur Verfügung stellt.

Jüngste Verbote | Zu strukturierten und verbotenen Personenzusammenschlüssen zählten in der Vergangenheit unter anderem die am 21. September 2011 vom Bundesminister des Innern verbotene Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) sowie der am 27. Oktober 2015 verbotene Sturm 18 e. V. Gleichfalls verbot der Bundesminister des Innern am 16. März 2016 die neonazistische Weisse Wölfe Terrorcrew, da sie offen und aggressiv gegen Staat, Gesellschaft, Migranten und Andersdenkende agierte, sich durch ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft auszeichnete und eine fremdenfeindliche und menschenverachtende Ideologie verbreitete. Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die Gruppierung C 18 Deutschland, die auch Personenbezüge nach Hessen aufwies.

Bewertung/Ausblick

Nach wie vor versuchten neonazistische Gruppierungen, sich im rechtsextremistischen Spektrum zu vernetzen und durch die Erweiterung ihres Kontaktumfelds Synergieeffekte zu schaffen. Dabei werden das Internet und verschiedene Messenger-Dienste auch in Zukunft als bevorzugtes Mittel für die Vernetzung dienen. Gleiches gilt für die Verbreitung fremdenfeindlicher Propaganda, die ebenfalls eine verbindende Wirkung auf die Szene entfaltet.

Wie anhand der im Verhältnis zum Berichtsjahr 2018 gestiegenen Gewalttaten ersichtlich, ist außerdem die weiterhin hohe Gewaltbereitschaft hervorzuheben, die weite Teile der neonazistischen Szene neben ihrer Ideologie eint. Gerade vor dem Hintergrund der rechtsextremistischen Gewalttaten im Berichtsjahr 2019 wird das LfV auch in Zukunft neonazistische Gruppierungen und Einzelpersonen intensiv beobachten.

Subkulturell orientierte Rechtsextremisten − rechtsextremistische Musik

Definition/Kerndaten

Weitgehende Organisationslosigkeit ist kennzeichnend für subkulturell orientierte Rechtsextremisten. Hinzu kommt eine in der Regel nur oberflächliche weltanschauliche Prägung, verbunden mit rassistischem, antisemitischem und ausländerfeindlichem Gedankengut. Für diese oftmals in informellen lokalen oder regionalen Gruppen zusammengeschlossenen Rechtsextremisten stehen erlebnisorientierte Aktivitäten in der Regel im Vordergrund. Dabei spielt der Besuch rechtsextremistischer Musikveranstaltungen eine herausgehobene Rolle. Im Unterschied zu Angehörigen der früheren rechtsextremistischen Skinheadszene sind subkulturell orientierte Rechtsextremisten heutzutage fast nicht mehr anhand eines einheitlichen Erscheinungsbilds erkennbar.

Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 450
Musikgruppen in Hessen: Faust und Nordglanz (National Socialist Black Metal, NSBM)
Ereignisse/Entwicklungen

Soweit rechtlich möglich, unterbinden die Sicherheitsbehörden und die kommunalen Behörden rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Hessen. Trotz dieser restriktiven Vorgehensweise fanden im Berichtsjahr in Hessen vier rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt.

Auf einen Blick
  • Liederabende
  • Neujahrsempfang der NPD

Liederabende | Am 9. Februar mieteten Rechtsextremisten eine Grillhütte in Mühltal (Landkreis Darmstadt-Dieburg), wobei der Anmelder vorgab, eine Familienfeier abhalten zu wollen. Tatsächlich handelte es sich um einen konspirativen Liederabend, bei dem ein in der Szene bekannter rechtsextremistischer Liedermacher auftreten sollte. Von der Polizei über den Hintergrund der Veranstaltung informiert, kündigte der Bürgermeister den Mietvertrag für die Grillhütte.

Am 31. August sollte ein als Geburtstagsfeier getarnter „Balladenabend“ mit der aus Niedersachsen stammenden rechtsextremistischen Musikgruppe Kategorie C – Hungrige Wölfe und dem rechtsextremistischen Liedermacher Reichstrunkenbold aus Hessen in einer Gaststätte in Wölfersheim (Wetteraukreis) stattfinden. Von der Polizei über den rechtsextremistischen Hintergrund informiert, kündigte der Vermieter der Gaststätte dem Veranstalter den zuvor mit ihm mündlich vereinbarten Mietvertrag. Die geplante Veranstaltung verlagerte sich sodann auf ein privates Gartengrundstück in Hungen-Villingen (Landkreis Gießen), wo Kategorie C – Hungrige Wölfe schließlich spielte. Der ebenfalls angekündigte Liedermacher Reichstrunkenbold trat jedoch in einem anderen Rahmen auf. Im Rahmen ihrer Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen stellte die Polizei 40 bis 50 Personen als Teilnehmer fest. Darüber hinaus gab es im Berichtsjahr einen weiteren Liederabend im kleinen Kreis.

Neujahrsempfang der NPD | Nach den politischen Reden verschiedener NPD-Politiker beim Neujahrsempfang der Partei am 5. Januar in Büdingen (Wetteraukreis) spielten abends die rechtsextremistischen Musikgruppen Germanium (Baden-Württemberg), Oidoxie (Nordrhein-Westfalen) und Die Lunikoff-Verschwörung (Berlin) vor etwa 200 Zuhörern. Dabei zeigte ein Besucher den Hitler-Gruß. Als die Polizei den Rechtsextremisten in der Halle festnahm, versuchten Besucher ihn zu befreien. Es kam zu einer körperlichen Auseinandersetzung, wobei ein Polizist leicht verletzt wurde.

Im Vorfeld der Veranstaltung hatte die Stadt Büdingen versucht, den Neujahrsempfang der NPD zu verhindern, da es sich nach Ansicht der Stadt wegen der angekündigten Musikgruppen um ein öffentliches Konzert handelte, das keinen Bezug zu der politischen Kundgebung in der Stadthalle aufwies. Die Stadt warf der NPD vor, sie über den wahren Charakter der Veranstaltung getäuscht zu haben und kündigte den Mietvertrag. In der sich anschließenden gericht- lichen Auseinandersetzung gab das Verwaltungsgericht (VG) Gießen der Stadt Recht. Der Verwaltungsgerichtshof revidierte diese Entscheidung und entschied, dass die Stadt Büdingen der NPD die Halle überlassen müsse.

Funktion rechtsextremistischer Musik

Rechtsextremistische Musik spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die rechtsextremistische Szene und ist zugleich ein bedeutendes, jugendorientiertes Medium, um entsprechende Botschaften zu transportieren. Für die Sicherheitsbehörden ist die intensive Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene obligatorisch, um Inhalte auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen.

Auf einen Blick
  • Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus
  • Diffuse rechtsextremistische Einstellungen
  • Musikveranstaltungen – Musik im Internet

Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus | Oft stehen zunächst nicht rechtsextremistische Inhalte im Vordergrund des Musikerlebnisses, sondern für die Hörer einprägsame Melodien und einfache Rhythmen. Die Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus ist niedrig, da Musik nahezu jederzeit und überall konsumierbar ist. Die Musik dient der Selbstdarstellung und der szeneinternen Kommunikation über „Werte“ und Feindbilder und ist Ausdruck eines subkulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wirkt der Konsum von rechtsextremistischer Musik oft als Katalysator von Gefühlen und Aggressionen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann dies zu Gewaltausbrüchen führen.

Diffuse rechtsextremistische Einstellungen | Subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind gekennzeichnet durch eher diffuse rechtsextremistische Einstellungen, die sich an das Gedankengut von Neonazis anlehnen. Eine vertiefte „weltanschauliche“ und politische Auseinandersetzung findet dabei nicht statt. Im Vordergrund steht eine erlebnis- und aktionsorientierte Lebensgestaltung vor allem in Form des Konsumierens von Musik.

Musikveranstaltungen – Musik im Internet | Musikveranstaltungen spielen für subkulturell orientierte Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. In der eher strukturlosen Szene sind Musikveranstaltungen identitätsstiftende Ereignisse und dienen der Kommunikation und Vernetzung. Zudem üben die in der Regel konspirativ organisierten Veranstaltungen gerade auf junge Rechtsextremisten eine große Faszination aus.

Eine wachsende Bedeutung haben für subkulturell orientierte Rechtsextremisten, Neonazis und rechtsextremistische Parteien auch Liederabende. Auftritte überwiegend einzelner rechtsextremistischer Interpreten dienen als Treffpunkt und Plattform, wobei politische Botschaften über die Liedtexte mit Zwischenmoderationen verknüpft und zur Anwerbung potenzieller Interessenten genutzt werden.

Rechtsextremistische Musik wird auch über das Internet verbreitet. So findet man auf YouTube rechtsextremistische Videos wie etwa der rechtsextremistischen Hooligan-Band Kategorie C − Hungrige Wölfe mit gewaltverherrlichenden Texten. Auch von der Band Faust aus Hessen werden Musikvideos auf YouTube verbreitet.

Bewertung/Ausblick

Bundesweit sowie im europäischen Ausland durchgeführte größere Konzerte mit unter Rechtsextremisten bekannten Bands stießen nach wie vor auf breite Resonanz in der Szene. Zugleich bestätigte sich im Berichtszeitraum die bereits in der Vergangenheit prognostizierte Tendenz, dass eine Verlagerung der Musikveranstaltungen hin zu Liederabenden, zumeist verbunden mit politischen Redebeiträgen, stattfand.

Unabhängig von der Form der Musikveranstaltungen bleibt die hohe Gefahr, die von rechtsextremistischer Musik ausgeht, bestehen. Der Besuch solcher „Events“ dient vielfach als Einstieg in den Rechtsextremismus, da hierbei entsprechende Inhalte und vor allem Teile der neonazistischen Ideologie insbesondere jugendlichen Neueinsteigern auf eingängige Art und Weise vermittelt werden. Aufgrund der hieraus für Jugendliche resultierenden Gefahren bildet die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Neonazis ein wichtiges Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes in Hessen.

Unter voller Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten unterbinden die hessischen Sicherheitsbehörden konsequent rechtsextremistische Musikveranstaltungen. Mit jeder verhinderten Veranstaltung verliert die rechtsextremistische Szene eine zentrale Anlaufstelle und ein wichtiges Bindeglied zu Jugendlichen, die noch außerhalb des Rechtsextremismus stehen.

Rechtsextremistische Kampfsportveranstaltungen

Während in den 1990er Jahren Rockkonzerte und das gewaltaffine Spektrum der Fußballfans die rechtsextremistische Erlebniswelt dominierten, nimmt mittlerweile der Kampfsport in der Szene eine zentrale Rolle im Bereich des gewalt- und erlebnisorientierten Rechtsextremismus ein. Zu beobachten ist eine rapide zunehmende Professionalisierung, Kommerzialisierung sowie eine organisatorische Routine.

Auf einen Blick
  • Boxen, Kickboxen und Mixed-Martial-Arts (MMA)
  • „Volksgesundheit“ und „NS-Straight-Edge“
  • Kampfsportveranstaltungen

Boxen, Kickboxen und Mixed-Martial-Arts (MMA) | Bei rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen erfreuen sich vor allem Boxen, Kickboxen und MMA großer Beliebtheit. Insbesondere MMA vereint Stand- und Bodenkampf sowie verschiedene Schlag-, Tritt- und Hebeltechniken zu einem schnellen und brutalen Konzept, das den Anforderungen des waffenlosen Straßenkampfs am ehesten entspricht. Die rechtsextremistische Szene praktiziert, ungeachtet der zunehmenden Betonung des Fitnesscharakters von Kampfsportveranstaltungen, die klassische Rohversion mit Vollkontakt, was dem rechtsextremistischen kriegerischen Selbstbildnis und den allgemeinen Anforderungen an die „Wehrkraft des Volkskörpers“ gerecht werden soll.

„Volksgesundheit“ und „NS-Straight-Edge“ | Propagiert wird eine mystische Pflicht, die „Volksgesundheit“ und die „Wehrhaftigkeit“ hochzuhalten und einen „neuen Menschenschlag“ zu schaffen, der stark an das im Nationalsozialismus propagierte Ideal des „Herrenmenschen“ angelehnt ist. Eine wesentliche ideologische Komponente ist der „Straight-Edge“-Gedanke, der aus der Punk-Szene der 1980er Jahre stammt. Er sollte eine Gegenbewegung zu den ausufernden Alkohol- und Drogenexzessen der Jugendkultur etablieren, wobei es im Kern um den Verzicht auf Alkohol und Drogen, gesunde Ernährung bis hin zum Veganismus und sexuelle Enthaltsamkeit ging. Durch die rechtsextremistische Szene erlebt diese Strömung eine gewaltbetonte und rassistische Renaissance als „NS-Straight-Edge“.

Ein wiederkehrendes Motto der Szene ist in logischer Konsequenz der „Kampf gegen die Moderne“, die als Sinnbild von Dekadenz und Verweichlichung strikt abgelehnt wird. Den angeblichen Verfall der Gesellschaft setzt die Szene mit der von ihr als eine solche empfundene Erosion der „Volksgesundheit“ gleich. Auffallend ist dabei der enge Schulterschluss mit Gruppen aus anderen europäischen Staaten, insbesondere aus dem osteuropäischen Raum. Die gemeinsame Sache ist hier weniger die Nation als die ethnische Zugehörigkeit zur „weißen Rasse“, die es zu verteidigen gilt. Die kollektive transnationale Identität der rechtsextremistischen Kampfsportszene besteht demnach aus zwei Komponenten: aus der „Rassezugehörigkeit“ („weiß“) und der Kulturzugehörigkeit („abendländisch“).

Kampfsportveranstaltungen | Forum und Fixpunkt der rechtsextremistischen Kampfsportszene sind Wettkampfveranstaltungen, die einer stetigen Professionalisierung und Kommerzialisierung unterliegen, einhergehend mit daraus resultierenden steigenden Zuschauerzahlen. Die Kampfsportveranstaltungen, auf denen sich rechtsextremistische Kampfsportler aus dem In- und Ausland regelmäßig zusammenfinden, dienen als Rekrutierungs- und Vernetzungsplattformen sowie der Finanzierung der rechtsextremistischen Szene. Haupteinnahmequelle ist neben dem Verkauf von Tickets für die jeweilige Veranstaltung ein breites Angebot an Merchandising-Artikeln szenetypischer (Mode-)Labels.

In Hessen fanden im Berichtsjahr keine rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen statt. Prominente Beispiele für derartige Veranstaltungen waren im Berichtszeitraum der behördlich untersagte „Kampf der Nibelungen“ – geplant für den 12. Oktober in Ostritz (Sachsen) – sowie „TIWAZ – Kampf der freien Männer“ am 8. Juni in Zwickau (Sachsen).

Bewertung/Ausblick | Durch die zunehmend professioneller ausgerichteten Veranstaltungen und die geschickte Selbstinszenierung in den sozialen Netzwerken hat sich der Kampfsport in der erlebnisorientierten rechtsextremistischen Szene neben der Musikkultur zu einem bedeutenden Faktor in der Lebensgestaltung entwickelt. Durch die Verknüpfung von Gewaltästhetik und Körperkult mit dem „Straight-Edge“-Gedanken und Symbolen eines „modernisierten“ Rechtsextremismus wird der durch den Nationalsozialismus glorifizierten Kriegerideologie eine neue Bedeutung gegeben. Aufgrund des bisherigen großen Erfolgs in der rechtsextremistischen Szene ist trotz intensivierter behördlicher Maßnahmen künftig mit weiteren Kampfsport-„Events“ zu rechnen.

Der Flügel

Definition/Kerndaten

Das BfV erklärte am 15. Januar 2019, dass es den Flügel als Teilorganisation der Partei AfD als Verdachtsfall bewertet und systematisch beobachtet. Die Gesamtpartei AfD wird bislang nicht als rechtsextremistisch bewertet und somit auch nicht beobachtet. Die Bearbeitung einer Gruppierung als Verdachtsfall seitens des BfV entspricht der Bearbeitung einer Gruppierung als Beobachtungsobjekt durch das LfV Hessen. Das BfV stufte den Flügel auf der Grundlage eines Gutachtens als Verdachtsfall ein, das entsprechende programmatische Äußerungen des Flügels als gegen wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet bewertete: gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratieprinzip und gegen die Rechtsstaatlichkeit. Das LfV Hessen schloss sich gemäß der Zusammenarbeitsrichtlinie des Verfassungsschutzverbundes am 31. Januar 2019 der Beobachtung des Flügels an.

Personenpotenzial: Bundesweit bis zu 7.000 Personen
Führungspersonen: Björn Höcke (Thüringen), Andreas Kalbitz (Brandenburg)
Medien: Internetpräsenzen
Ereignisse/Entwicklungen

In seiner Außenwirkung war der Flügel in Hessen aufgrund seiner nur gering ausgeprägten Strukturen und aufgrund fehlender Präsenzen in den sozialen Medien stark begrenzt. Veranstaltungen, die explizit dem Flügel zuzurechnen sind, wurden im Berichtszeitraum in Hessen nicht festgestellt. Jedoch beteiligten sich hiesige Anhänger des Flügels an entsprechenden überregionalen Veranstaltungen oder nahmen an Veranstaltungen der Jungen Alternative (JA) Hessen teil.

Auf einen Blick
  • „Kyffhäusertreffen“ 2019
  • Stammtisch der JA Hessen
  • Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen
  • Wahl des Bundesvorstands

„Kyffhäusertreffen“ 2019 | Obwohl das fünfte „Kyffhäusertreffen“ am 6. Juli in Leinefeld (Thüringen) angesichts der im Berichtsjahr anstehenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen unter dem Motto „Der Osten steht auf“ stand, gilt es generell als das überregional bedeutsamste Zusammentreffen von Flügel-Anhängern. Daran nahmen auch die zentralen Protagonisten des Flügels, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, teil. Anhänger des Flügels aus Hessen beteiligten sich aktiv an der Veranstaltung.

Stammtisch der JA Hessen | Am 24. April nahm ein Mitglied des Europäischen Parlaments an einem von der JA Hessen veranstalteten Stammtisch in Wiesbaden teil. Nach Aussagen des Landesvorsitzenden der AfD Hessen handelte es sich um die Obfrau des Flügels Hessen.

Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen | Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg erhielten die Flügel-dominierten AfD-Landesverbände Brandenburg und Thüringen, jeweils unter der Führung von Kalbitz und Höcke, 23,5% (= 297.484 Zweitstimmen) bzw. 23,4% (= 259.382 Zweitstimmen).

Wahl des Bundesvorstands | Im Rahmen des Bundesparteitags der AfD in Braunschweig (Niedersachsen) vom 30. November bis zum 1. Dezember wurde der Bundesvorstand neu gewählt. Laut Medienberichterstattung zeigte die Zusammensetzung des neuen Vorstands den ungebrochenen Einfluss des Flügels auf die Gesamtpartei. Während dezidierte Kritiker des Flügels ab- oder nicht gewählt wurden, gelang es den Vertretern des Flügels ihre Positionen zu festigen.

Entstehung/Geschichte

In einer Selbstbezeichnung des Flügels hieß es, dass er ein „zentral organisierter, loser Verbund von Mitgliedern der Alternative für Deutschland im gesamten Bundesgebiet“ ist. Eine formale Mitgliedschaft ist nicht möglich, vielmehr versteht sich der Flügel als eine Sammlungsbewegung innerhalb der AfD. Als „Gründungsurkunde des Flügels“ gilt die „Erfurter Resolution“ (2015). Mit den seit jenem Jahr veranstalteten sogenannten Kyffhäusertreffen verfügte der Flügel über ein überregionales Veranstaltungsformat, das dem gegenseitigen Informationsaustausch, der Netzwerkbildung und der eigenen Selbstinszenierung diente.

Auf einen Blick
  • „Gründungsurkunde des Flügels“
  • „Kyffhäusertreffen“

„Gründungsurkunde des Flügels“ | Die am 14. März 2015 unter anderem von Björn Höcke initiierte „Erfurter Resolution“ gilt als „Gründungsurkunde des Flügels“, so die Selbstbeschreibung auf der Homepage des Flügels. Die Unterzeichner der „Erfurter Resolution“ wandten sich mit diesem Dokument gegen eine Anpassung der AfD an den „etablierten Politikbetrieb“. Stattdessen müsse die Partei, so die Forderung, eine „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Identität Deutschlands“ bleiben und eine „grundsätzliche, patriotische und demokratische Alternative zu den etablierten Parteien“ sowie eine „Bewegung unseres Volkes“ gegen „Gesellschaftsexperimente“ darstellen. Nach Angaben der Internetseite des Flügels unterzeichneten innerhalb einer Woche 1.600 AfD-Mitglieder die Resolution.

„Kyffhäusertreffen“ | Ebenfalls seit 2015 veranstaltete der Flügel ein jährlich stattfindendes, überregionales Treffen, das als „Kyffhäusertreffen“ bekannt wurde. In dessen Rahmen inszenierten sich der Flügel und seine Führungsakteure als bedeutsamste Gruppierung innerhalb der Gesamtpartei AfD. Das Ziel des „Kyffhäusertreffens“ wurde auf der Homepage des Flügels wie folgt beschrieben:

„Wir als Der Flügel und Unterzeichner der Erfurter Resolution treffen uns einmal im Jahr, bisher am Fuße des Kyffhäuserdenkmals [1896 zu Ehren Kaiser Wilhelms I., 1797–1888, eingeweiht], um uns daran zu erinnern, wer wir sind und wo wir herkommen. Der Flügel als Rückversicherung innerhalb der AfD ist ein Garant für den Zusammenhalt“.

Laut Presseberichterstattung nahmen am „Kyffhäusertreffen“ rund 800 Personen teil.

Ideologie/Ziele

Der Flügel vertritt rassistische und völkische Positionen mit dem Ziel, diese im parlamentarischen Diskurs mehrheitsfähig zu machen. Dazu sollte der steuernde Einfluss des Flügels auf die Gesamtpartei ausgebaut und genutzt werden. Der Flügel ist in seiner programmatischen Ausrichtung als antipluralistisch, rassistisch und undemokratisch sowie gegen die Würde des einzelnen Menschen gerichtet anzusehen.

Auf einen Blick
  • „Ethnisch Deutsche“ als Träger des „Deutschtums“
  • Relativierung des Nationalsozialismus – latenter Antisemitismus
  • Seit 1919: der „Weg in eine Bolschewisierung“

„Ethnisch Deutsche“ als Träger des „Deutschtums“ | Ursprung der ideologischen Ausrichtung des Flügels bildet ein Politikkonzept, das primär auf das Ausgrenzen, Verächtlichmachen und das weitgehend Rechtslosstellen von Ausländern, Migranten – insbesondere Muslimen – und politisch Andersdenkenden gerichtet ist.

Im Zentrum steht dabei das Postulat eines ethnokulturell homogenen Staatsvolks, das der Flügel und seine Anhänger als höchsten „Wert“ ansehen. In der Vorstellungswelt des Flügels bemisst sich der Wert eines Menschen aufgrund dessen Zugehörigkeit zu einer angeblich ethnischen Volksgruppe. Dabei wertschätzt der Flügel den einzelnen „ethnisch Deutschen“ als Träger des „Deutschtums“, während er sogenannte kulturfremde Menschen als nicht integrierbar darstellt. Außerdem bezog der Flügel flüchtlings- und muslimfeindliche Positionen, womit er unter anderem die Staatsbürgerschaft von Deutschen mit muslimischem Glauben in Frage stellt.

Relativierung des Nationalsozialismus – latenter Antisemitismus | Nicht zuletzt propagieren einzelne Vertreter des Flügels Positionen, in denen der Nationalsozialismus relativiert bzw. verharmlost wird, und vertreten einen latenten Antisemitismus, der offen an rassistische Ideologeme des Nationalsozialismus anknüpft. Nicht selten wird hierzu auf das gängige antisemitisch-verschwörungstheoretische Narrativ einer global agierenden Finanzelite zurückgegriffen, welche die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenke und eine Agenda zur Zerstörung gewachsener, ethnisch homogener Völker verfolge.

Seit 1919: der „Weg in eine Bolschewisierung“ | Beispielhaft wird das ideologische Selbstverständnis des Flügels im Rahmen seiner programmatischen Veröffentlichungen auf seiner Internetseite, der sogenannten Flügelschläge, sichtbar:

„Die Kulturen der Europäer, das Band der christlich-ethischen Grundwerte, wurden zerstört. Es dominierte eine Ideologie, die bereits 1919 den Weg in eine Bolschewisierung vorgab. Die dahinterstehenden Kräfte waren sich in dem Ziel einig, die Weltherrschaft über eine entkultivierte Menschheit übernehmen zu können. In Deutschland waren sie als die Kräfte der 68er, der Frankfurter Schule[,] stark geworden. Sie traten zum Kampf gegen Rechts an und meinten die patriotischen Gefühle der Menschen. Das Ziel war die Entnationalisierung. Es sind politische Führungskräfte der Bundesrepublik aus dieser menschenfeindlichen Szene, die Deutschland unwidersprochen in Demonstrationen ,Deutschland verrecke‘ skandieren können. Ihr Auftreten entspricht den Absichten der hinter ihnen stehenden Macht“.

Die Wirkungsmacht des Flügels ist in die AfD hinein gerichtet. Zielsetzung des Flügels ist es, die Kontrolle über die Schlüsselpositionen in der Gesamtpartei zu erlangen, um die inhaltliche Ausrichtung der AfD hinsichtlich der eigenen programmatischen Vorstellungen zu beeinflussen. Dabei sieht sich der Flügel selbst als „Rückversicherung“ für die Gesamtpartei, durch die eine politische und inhaltliche Assimilation der AfD durch die „etablierten“ Parteien verhindert werden soll.

Strukturen

Beim Flügel handelte es sich um die größte Teilorganisation innerhalb der Gesamtpartei AfD als „zentral organisierter, loser Verbund“ von Mitgliedern der AfD im gesamten Bundesgebiet. Die Organisation und damit auch die inhaltliche Ausrichtung des Flügels wurden dabei „maßgeblich vom Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen“ (Thüringen) getragen. Der Vorsitzende dieses AfD- Kreisverbands, Björn Höcke, fungierte zugleich als die zentrale Führungsfigur des Flügels.

Auf einen Blick
  • Herausbildung regionaler Strukturen
  • „Flügelabzeichen“ und „Flügelversand“

Herausbildung regionaler Strukturen | Gemäß seinem Selbstverständnis und seiner Selbstbeschreibung handelte es sich beim Flügel um eine Gruppierung, in deren Kern nur wenige Einzelpersonen als führende Akteure agierten. Eine formale Mitgliedschaft im Flügel war nicht möglich, da der Flügel keine formellen Organisationsstrukturen unterhielt.

Um dem Anspruch einer bundesweiten Vereinigung gerecht zu werden, etablierte der Flügel ein System aus regionalen Flügeltreffen und Obleuten – parallel zur Parteistruktur der AfD – in den Bundesländern. Während die vom Flügel organisierten Flügeltreffen als eine Art Parallelparteitag zu sehen sind, fungierten die Obmänner und Obfrauen als regionale Ansprechpartner und Interessenvertreter des Flügels.

„Flügelabzeichen“ und „Flügelversand“ | Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls innerhalb des Flügels wurde eine Auszeichnung mit Verdienstorden („Flügelabzeichen“ in Schwarz, Silber und Gold für besondere Dienste um den Flügel) geschaffen. Daneben betrieb der Flügel mit dem „Flügelversand“ einen eigenen Onlineshop, in dem verschiedene Artikel mit dem „Flügelwappen“ sowie dem Konterfei Björn Höckes vertrieben wurden.

Bewertung/Ausblick

Der Flügel konnte im Berichtsjahr seine innerparteiliche Position weiter konsolidieren sowie seine Stellung als größte Teilorganisation innerhalb der Gesamtpartei und damit seine Funktion für die politische Ausrichtung der AfD festigen. Zudem professionalisierte sich der Flügel in seiner Tätigkeit und trieb seine organisatorische Weiterentwicklung voran: So gelang es im Rahmen des Bundesparteitags, eigene Vertreter im Bundesvorstand zu positionieren und Kritiker des Flügels zu verdrängen.

Ideologisch verstetigten sich die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Positionen, wobei Protagonisten rechtsextremistischer Bestrebungen zunehmend Bedeutung gewannen. Dabei agierten vor allem die zentralen Führungspersonen des Flügels, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, als Multiplikatoren von rechtsextremistischen Positionen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und deren Grundmerkmale wie Menschenwürde und Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

Junge Alternative (JA)

Definition/Kerndaten

Das BfV erklärte am 15. Januar 2019, dass es die JA, die Jugendorganisation der AfD, als Verdachtsfall bewertet und systematisch beobachtet. Die Gesamtpartei AfD wird bislang nicht als rechtsextremistisch bewertet und somit auch nicht beobachtet. Die Bearbeitung einer Gruppierung durch das BfV als Verdachtsfall entspricht der Bearbeitung einer Gruppierung als Beobachtungsobjekt durch das LfV. Die Einstufung der JA als Verdachtsfall durch das BfV geschah auf der Grundlage einer gutachterlichen Bewertung von programmatischen Äußerungen der JA, die gegen wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind: Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatlichkeit. Das LfV schloss sich gemäß der Zusammenarbeitsrichtlinie des Verfassungsschutzverbundes am 31. Januar 2019 der Beobachtung der JA an.

Bundesvorsitzender: Damian Lohr (Rheinland-Pfalz)
Landesvorsitzende: Jens Mierdel
Michael Werl
Mitglieder: In Hessen etwa 50, bundesweit etwa 1.600
Ereignisse/Entwicklungen

In ihrer faktischen Außenwirkung war die JA Hessen aufgrund gering ausgeprägter Strukturen und einer nur rudimentären Außenkommunikation begrenzt. Der JA Hessen explizit zuzurechnende öffentliche Veranstaltungen waren selten. In den sozialen Medien warb die JA Hessen zwar damit, dass einmal im Monat auf Landesebene ein wechselnder Regionalstammtisch sowie mehrere Veranstaltungen wie Vorträge und Besichtigungen stattfinden würden, jedoch wurde im Berichtszeitraum nur ein Stammtisch festgestellt, für den die JA Hessen geworben hatte. Häufiger dagegen waren einzelne Aktivisten der JA Hessen im Rahmen von Veranstaltungen der Gesamtpartei oder Veranstaltungen des Flügels, wie dem „Kyffhäusertreffen“ 2019, tätig.

Auf einen Blick
  • Keine Selbstauflösung
  • Reaktion auf die Einstufung als Verdachtsfall des BfV
  • „Rebranding“ der JA Hessen
  • Stammtisch in Wiesbaden
  • Mitgliederversammlung „Bildung durch Gemeinschaft“

Keine Selbstauflösung | Angesichts der im Jahr 2018 begonnenen Beobachtung mehrerer Landesverbände der JA durch die Verfassungsschutzbehörden erwog die Gesamtpartei, der JA oder einzelnen Landesverbänden den Status als offizielle Jugendorganisation der AfD zu entziehen. Der Landesvorstand der JA Hessen hatte vor diesem Hintergrund zunächst angekündigt, Anfang 2019 im Rahmen eines Landeskongresses über die Selbstauflösung des Landesverbands abstimmen lassen zu wollen. Am 26. Januar berichtete die JA Hessen jedoch, dass ein diesbezüglicher Tagesordnungspunkt durch den am gleichen Tag in Bad Homburg vor der Höhe (Hochtaunuskreis) stattfindenden ordentlichen Landeskongress der JA Hessen einstimmig gestrichen worden sei. Bereits im Vorfeld hatte der damalige Landesvorsitzende der JA Hessen erklärt, dass die „wesent-liche Grundlage“ für einen solchen Schritt, „nämlich die massive Ablehnung der JA durch den AfD-Landesvorstand, nun nicht mehr vorliegt.“

Reaktion auf die Einstufung als Verdachtsfall des BfV | Die JA Hessen reagierte auf die Bewertung des BfV in einem umfassenden Facebook-Beitrag vom 17. Januar. Darin räumte sie zunächst ein, dass man berechtigte Kritik, insbesondere an den „vergangenen Bundeskongressen“ und „Teilen des ‚Deutschlandplanes’“ üben könne. Die Bewertung des BfV basiere jedoch auf „völlig unverständliche[n] Vorwürfe[n]“, die „im Stile unsere[r] politischen Gegner erhoben“ worden seien. Als Beispiele führte die JA Hessen an, dass es in der JA einen Konsens darüber gebe, dass „andere Ethnien nicht integrierbar“ seien, die JA ein „ethnisch homogenes Deutschland“ wolle und zudem „geschlossen die Menschenwürde“ ablehne. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei daher als Versuch zu werten, „political correct[n]ess durchzusetzen und die Meinungsfreiheit einzuschränken“. Zudem führt die JA Hessen aus:

„Wer behauptet, dass der Islam ein Gewaltproblem habe, dass eine Islamisierung statfände (die z. B. vom PEW-Institut in Washington klar vorausgesagt wird) oder davor warnt, dass wir Deutsche in Zukunft zur Minderheit im eigenen Land werden könnten, der ist offenbar nach den Maßstäben des Verfassungsschutzes bereits ein Verfassungsfeind“.
(Schreibweise wie im Original.)

Der Landesvorstand der JA Hessen stehe, so hieß es in der Erklärung weiterhin, „fest auf dem Boden der FDGO“.

„Rebranding“ der JA Hessen | Im Februar versuchte sich die JA im Rahmen eines umfassenden „Rebranding“ in einem neuen, positiven Licht darzustellen und in ihrer Außendarstellung ein bürgerliches Image zu etablieren. So veröffentlichte die JA Hessen im Berichtsjahr auch eine von den zehn Mitgliedern des Landesvorstands unterzeichnete „Grundsatzerklärung der Jungen Alternative Hessen“. Darin bekannte sich der Landesvorstand der JA Hessen „uneingeschränkt“ zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und erteilte eine „klare Absage“ an jene extremistischen Gruppierungen und Organisationen,

„welche auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD stehen, den Unvereinbarkeitsbeschluss der JA tangieren oder sich im Widerspruch zu unseren Organisationstatuten befinden. Hierbei ist explizit die Identitäre Bewegung zu nennen!“

Kurz zuvor waren jedoch Bezüge von mehreren Mitgliedern des am 26. Januar neugewählten Landesvorstands der JA Hessen zur IB in den Medien öffentlich geworden. Zudem wurde Mitte Februar bekannt, dass ein Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen in einer internen Chatgruppe unter anderem die Todesstrafe für Politiker, „die ihr Volk verraten“, gefordert und verlangt habe, Frauen das Wahlrecht zu entziehen. Die JA Hessen reagierte auf die öffentliche Berichterstattung erneut mit einer Stellungnahme auf ihrer Facebook-Seite, in der sie sich von den Aussagen des Landesvorstandsmitglieds distanzierte und erklärte, dass das Vorstandsmitglied von seinem Posten zurück- und aus der JA Hessen ausgetreten sei.

Stammtisch in Wiesbaden | Am 24. Juli führte die JA Hessen gemäß eigener Berichterstattung einen Stammtisch in Wiesbaden durch, für den im Vorfeld in den durch die JA Hessen genutzten sozialen Medien geworben worden war. An der Veranstaltung nahm auch eine Abgeordnete des Europaparlaments teil, die nach Aussagen des Landesvorsitzenden der AfD Hessen als Obfrau des Flügels fungiere.

Mitgliederversammlung „Bildung durch Gemeinschaft“ | Am 4. Dezember berichtete die JA Hessen über eine Mitgliederversammlung. Themen der Veranstaltung waren „aktuelle Geschehnisse, die Entwicklung der JA und de[r] Sachstand bezüglich des ‚Verfassungsschutzes‘.“

Ideologie/Ziele

Die JA Hessen vertritt in ihrer Programmatik eine völkische Ideologie und ist aufgrund ihres Weltbilds und personeller Überschneidungen fest in die rechtsextremistische Szene in Hessen integriert. Auch wenn die JA dem Rechtsextremismus zuzurechnen ist, versucht sie nach außen in der Öffentlichkeit ein gemäßigtes und bürgerliches Image zu pflegen und somit eine Anschlussfähigkeit für ihre rechtsextremistische Ideologie in der Gesellschaft zu erreichen.

Auf einen Blick
  • Ethnisch homogener Volksbegriff
  • „Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung“
  • Verschwörungstheoretische Argumentationsmuster

Ethnisch homogener Volksbegriff | Die JA propagiert einen ethnisch homogenen Volksbegriff, der mit der Würde des Menschen als dem obersten Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Wenn der ehemalige Vorsitzende der JA Hessen vom „langsame[n] Austausch der Deutschen durch muslimische Einwanderer“ spricht und die Aussage tätigt, dass Politiker, die das „Volk, das sie finanziert, mit seinem Blut für ein wahnsinniges Bevölkerungsexperiment bezahlen lassen“, eine Schande seien, handelt es sich hierbei um eine diffamierende und herabwürdigende Aussage gegenüber dem vermeintlichen Kollektiv der „muslimische[n] Einwanderer“.

Ebenso bemüht die JA Hessen das Narrativ eines ethnisch homogen deutschen Volks im Kontrast zu vermeintlich minderwertigen anderen Menschengruppen, wenn sie in ihrer Kommentierung des Statistischen Jahrbuchs Frankfurt am Main 2017 zwischen „Deutschen“, „Passdeutschen“ und Migranten differenziert. Durch die Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Passdeutschen“ wird ein biologistisches auf rassistischem Grundgedanken fußendes Weltbild ersichtlich.

„Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung“ | Einher mit der Verwendung eines ethnisch homogenen Volksbegriffs geht bei der JA Hessen eine Herabwürdigung derjenigen Menschen, die ihrer Vorstellung nach nicht zu der Gruppe der „autochthonen Deutschen“ gehören. Es wird diesen Teilen der Gesellschaft – im Sprachgebrauch der JA Hessen der „herangezüchteten neuen Mehrheitsbevölkerung“ – die Fähigkeit oder der Wille zur Aufrechterhaltung und Einhaltung westlicher Grundwerte (wie dem Minderheitenschutz, der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit) abgesprochen. Stattdessen attestiert die JA Hessen diesen Bevölkerungsgruppen generell eine „um sich greifende Eroberer-Mentalität“ und lastet ihnen eine „gesundheitliche Gefährdung unserer Kinder“ sowie eine Steigerung von Infektionskrankheiten an und befeuert die Sorge vor einem „wirtschaftlichen Niedergang“.

Verschwörungstheoretische Argumentationsmuster | Die JA Hessen vertritt nicht nur ein rassistisches Weltbild, sie verbindet dieses zugleich mit verschwörungstheoretischen, von Rechtsextremisten genutzten Argumentationsmustern. Nach Ansicht der JA Hessen wird ein „Bevölkerungsaustausch“ vorgenommen und es wird eine „neue herangezüchtete Mehrheitsbevölkerung“ in Deutschland geben. Auf diese Weise versucht die JA Hessen eine Emotionalisierung des politischen Diskurses zu erreichen, in dem nicht länger das sachliche Argument zählt.

Die Verschwörungstheorie des „Bevölkerungsaustauschs“ oder des „Großen Austauschs“ stellt ein zentrales Narrativ innerhalb des Spektrums der Neuen Rechten dar. Die Vermischung der vermeintlichen Ethnien und die fortwährende Veränderung von Gruppenidentitäten ist nach Ansicht neurechter Akteure keine genuine Folge der ständigen Veränderung der Welt und Gesellschaft, sondern ist auf einen Plan geheimer Eliten, den sogenannten Großen Austausch, zurückzuführen. Aus Sicht der Neuen Rechten ist damit die „Tendenz einer schrittweisen Verdrängung der einheimischen Bevölkerung zugunsten fremder und zumeist muslimischer Einwanderer“ gemeint. Diese Veränderung geschehe nicht zufällig, sondern sei Teil eines aktiven Prozesses zur Zerstörung der Identitäten der Völker Europas.

Strukturen

Die 2013 in Darmstadt im Rahmen eines ersten Bundeskongresses gegründete JA bestand aus 15 Landesverbänden. In Hessen war die JA Hessen, die als Verein organisiert ist, die offizielle Jugendorganisation der AfD Hessen. Die JA Hessen setzte sich aus mehreren Kreis- und Ortsverbänden zusammen, wies jedoch keine flächendeckenden Strukturen auf.

Der Vorstand der JA Hessen setzte sich aus zehn Personen zusammen, wobei im Berichtszeitraum nicht alle Positionen besetzt waren. Zwei Personen des Landesvorstands der JA Hessen gehörten dem JA-Bundesvorstand an.

Bewertung/Ausblick

Im Rahmen ihrer Außendarstellung versuchte die JA Hessen im Berichtszeitraum das Bild einer fest in der Mitte der Gesellschaft und auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fußenden Parteijugend zu zeichnen, um damit ihre rassistischen Anschauungen im politischen Diskurs zu legitimieren. Dass es sich hierbei nur um eine Außendarstellung einer rechtsextremistischen Gruppierung handelt und nicht um eine tatsächliche Mäßigung, wird anhand der im Berichtsjahr bekanntgewordenen Verbindungen von mehreren Landesvorstandsmitgliedern zur IB aber auch an der Teilnahme von Mitgliedern der JA Hessen am „Kyffhäusertreffen“ des Flügels deutlich. Das in der Grundsatzerklärung der JA Hessen enthaltene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Distanzierung gegenüber rechtsextremistischen Gruppierungen wie der IB sind daher als rein taktische Versuche der JA zu werten, sich weiterhin gesellschaftlich anschlussfähig zu halten.

Für die Selbstdarstellung der JA stellte die Bewertung durch den Verfassungsschutz einen erheblichen Rückschlag dar, der auch durch ein umfassendes „Rebranding“ nicht kompensiert werden konnte. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die JA Hessen versuchen wird, völkische Ideologie durch eine bürgerliche Außendarstellung in der Gesellschaft als eine gemäßigte Attitüde zu verankern.

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Definition/Kerndaten

Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionistische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im „Dritten Reich“ auf. Den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest.

Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in den folgenden Jahren an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Deutschlands, teilweise wieder zu. Nachdem sie seit 2004 bzw. 2006 in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten war, ist sie inzwischen in keinem Landesparlament mehr präsent.

Landesvorsitzender: Daniel Lachmann
Bundesvorsitzender: Frank Franz (Saarland)
Mitglieder: In Hessen etwa 260, bundesweit etwa 3.600
Jugendorganisation: Junge Nationaldemokraten (JN)
Medien (Auswahl): Deutsche Stimme (DS), Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands: Ein Kreis in roter Farbe mit weiß-rotem Rand. In der Mitte befindet sich in weißer Farbe in Großbuchstaben von unten links leicht nach oben ansteigend die Abkürzung NPD.

Abgebildet ist das Logo der Jungen Nationaldemokraten Hessen. In einem roten Kreis befinden sich ein großer weißer Pfeil und ebenso in weiß die Buchstaben JN.

Ereignisse/Entwicklungen

Die NPD in Hessen war wie in den Vorjahren nur eingeschränkt handlungsfähig. Sie war weiterhin nur in wenigen Regionen aktiv, trat dort aber öffentlich in Erscheinung. Agitationsschwerpunkte waren die Themen „Asylmissbrauch“, „Flüchtlinge“ und „Innere Sicherheit“, mit denen die Partei bevorzugt im Internet und in sozialen Netzwerken öffentlich ihre rechtsextremistische Ideologie verbreitete. Bei der Europawahl erzielte die NPD in Hessen ein Ergebnis von 0,2%. Das der NPD Hessen zurechenbare Personenpotenzial blieb im Vergleich zum Vorjahr konstant.

Auf einen Blick
  • Jahresauftakt
  • Europawahl
  • Stefan Jagsch – Wahl und Abwahl
  • Kampagne „Schafft Schutzzonen!“
  • Bundesparteitag

Jahresauftakt | Am 5. Januar führten die NPD und ihre Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) ihre Jahresauftaktveranstaltung in der Willi-Zinnkann-Halle in Büdingen (Wetteraukreis) unter dem Motto „Festung Europa – Schutzzone Deutschland“ durch. Gleichzeitig bildete der Neujahrsempfang den Auftakt für den Wahlkampf der NPD für die Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai.

Moderiert wurde die von etwa 150 Teilnehmern besuchte Veranstaltung von dem Chefredakteur der DS, Peter Schreiber, sowie von Vanessa Bredereck, Vorstandsmitglied des NPD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen. Als Redner traten neben dem Bundesvorsitzenden Frank Franz und dem Spitzenkandidaten der NPD zur Europawahl, Udo Voigt, weitere parteiprominente Funktionäre auf.

In einer Podiumsdiskussion mit dem Landesvorsitzenden der NPD Bayern, Sascha Roßmüller, vertrat der rechtsextremistische Autor Johannes Scharf das in seinem Buch „Der weiße Ethnostaat“ beschriebene Konzept des „Nova Europa“. Scharf verficht dabei die These, dass es zur Erhaltung der Kultur notwendig sei, über eine Auswanderung in „ethnisch weiße Länder“ und die Schaffung von „Siedlungsprojekten“ nachzudenken, um „Rückzugsräume“ für die „weiße Population“ zu erhalten.

Im Anschluss an die Jahresauftaktveranstaltung fand in der Willi-Zinnkann-Halle eine Musikveranstaltung mit den szenebekannten rechtsextremistischen Bands Oidoxie, Die Lunikoff-Verschwörung und Germanium mit etwa 200 Zuhörern statt, für die bundesweit geworben worden war. Die Stadt Büdingen hatte zunächst versucht, die Überlassung der Stadthalle zurückzunehmen, da sie sich über die von der NPD gemachten Angaben zur abendlichen Musikveranstaltung getäuscht sah. Nachdem das VG in Gießen einen diesbezüglichen Eilantrag der NPD abgelehnt hatte, entschied der Verwaltungsgerichthof in Kassel letztinstanzlich zugunsten der NPD, sodass die Stadt der NPD die Willi-Zinnkann-Halle überlassen musste. Vor diesem Hintergrund beschloss die Büdinger Stadtverordnetenversammlung Ende Januar, die Willi-Zinnkann-Halle grundsätzlich nicht mehr für Veranstaltungen politischer Parteien zur Verfügung zu stellen.

Europawahl | Nach der Aufhebung der Drei-Prozent-Sperrklausel durch das Bundesverfassungsgericht war es der NPD bei der Europawahl 2014 gelungen, aufgrund ihres Ergebnis von 1,0% erstmals einen Abgeordneten in das Europäische Parlament zu entsenden. Erklärtes Ziel war es daher, auch 2019 wieder im Europaparlament vertreten zu sein.

Die NPD erzielte auf Bundesebene einen Stimmenanteil von 0,3% (= 101.011 Stimmen). Damit verlor sie nicht nur rund zwei Drittel der 2014 erreichten Stimmen (= 301.139), sondern verfehlte deutlich die zur Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung erforderliche Schwelle von 0,5%. Zudem verlor sie ihr einziges Mandat im Europäischen Parlament.

Auch in Hessen gelang es der NPD nicht, das Ergebnis der Europawahl 2014 (= 0,8%, 13.869 Stimmen) zu wiederholen. Mit einem Stimmenanteil von 0,2% (= 4.844 Stimmen) erhielt sie 2019 einen erheblich geringeren Zuspruch als 2014.

In einer Stellungnahme zum Ausgang der Wahl konstatierte der Parteivorsitzende Frank Franz, dass das Ergebnis, obwohl man einen „engagierten und auch wahrnehmbaren Wahlkampf geführt“ habe, „deutlich hinter den Erwartungen“ zurückgeblieben sei. Der NPD-Spitzenkandidat und bisherige Europaabgeordnete Udo Voigt sah in der „Zersplitterung unter […] nationalen Kräften, in drei miteinander konkurrierende Parteien“ einen Grund für den enttäuschenden Wahlausgang. Man werde daher im Parteivorstand „schonungslos die künftige Stellung der Partei ausloten“.

Stefan Jagsch – Wahl und Abwahl | Am 5. September wurde der stellvertretende Vorsitzende des NPD-Landesverbands Hessen, Stefan Jagsch, in seinem zu der Gemeinde Altenstadt (Wetteraukreis) zählenden Heimatort Waldsiedlung zum Ortsvorsteher gewählt. Bei der einstimmigen Wahl waren sieben Ortsbeiratsmitglieder anwesend, darunter – neben Jagsch – Vertreter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Freien Demokratischen Partei (FDP). Zwei Ortsbeiratsmitglieder der SPD und CDU waren bei der Wahl nicht anwesend. Später begründeten Mitglieder des Ortsbeirats ihre Wahlentscheidung zugunsten Jagschs unter anderem damit, dass dieser mit Computern umgehen und E-Mails verschicken könne, man im Ortsbeirat völlig parteiunabhängig arbeite und es unerheblich sei, was Jagsch privat oder parteipolitisch mache.

Die Medien griffen das Ereignis auf und konstatierten einen „Blackout der Demokratie“. Es folgte eine bundesweite Debatte über die Gründe für diesen Wahlausgang. Hochrangige Politiker forderten schließlich eine Abwahl Jagschs als Ortsvorsteher.

Am 22. Oktober wurde Jagsch in einer Sitzung des Ortsbeirats Altenstadt, Ortsteil Waldsiedlung, abgewählt und eine neue Ortsvorsteherin aus den Reihen der CDU gewählt. Jagsch kündigte an, gegen die Abwahl juristisch vorgehen zu wollen.

Kampagne „Schafft Schutzzonen!“ | Seit Juni 2018 mobilisierte die NPD für die Kampagne „Schafft Schutzzonen!“ und versuchte mit dem Thema „Sicherheit von Deutschen vor Ausländerkriminalität“ eine Emotionalisierung der Bevölkerung zu bewirken. Die Kampagne hatte einen eigenen Internetauftritt, wobei auf den ersten Blick keine Verbindung zur NPD erkennbar war. Als „Schutzzone“ definierte die NPD einen nach außen abgegrenzten Bereich, innerhalb dessen angeblich „Sicherheit“ gewährleistet werden könne. Die Ausgestaltung sei hierbei variabel, sodass zum Beispiel ein Gebäude, ein Fahrzeug oder eine Personengruppe eine „Schutzzone“ bilden können.

In Hessen führte die NPD unter Beteiligung der JN seit September 2018 „Schutzzonen“-Aktionen – zumeist in Form von „Streifengängen“ – durch, so etwa in Fulda (Landkreis Fulda), Hanau (Main-Kinzig-Kreis), Friedberg (Wetteraukreis), Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis), Offenbach am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Wiesbaden und Dillenburg (Lahn-Dill-Kreis). Jeweils nach einem „Streifengang“ veröffentlichte die NPD kurze Berichte mit entsprechenden Bildern im Internet.

Aufmerksamkeit in den Medien erzielte die NPD mit einer Aktion am 2. März während des Fastnachtsumzugs in Usingen (Hochtaunuskreis). Auf in Facebook veröffentlichten Bildern waren mit „Schutzzonen“-Westen bekleidete Aktivisten zu sehen, die sich unter die Zuschauer des Umzugs gemischt hatten. Ein Teilnehmer der „Schutzzonen“-Streife sprach mit einem Rettungssanitäter und unterhielt sich augenscheinlich mit einem in einem Funkwagen sitzenden Stadtpolizisten.

Im November wurde erstmals in Hessen eine Geldstrafe von 600 Euro gegen einen Teilnehmer einer „Schutzzonen“-Streife verhängt, der sich 2018 mehrfach an Streifen in Fulda (Landkreis Fulda) beteiligt hatte, wobei „Schutzzonen“-Westen getragen und entsprechende Flyer verteilt worden waren. Das Amtsgericht in Fulda sah hierin einen Verstoß gegen das Uniformverbot sowie gegen die Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung. Die Verteidigung kündigte eine Anfechtung des Urteils an. Die Berufungsverhandlung wurde bislang nicht terminiert.

Bundesparteitag | Unter dem Motto „Wir setzen uns durch – für unsere Heimat“ veranstaltete die NPD ihren 37. ordentlichen Bundesparteitag vom 30. November bis 1. Dezember in Riesa (Sachsen). Mit 84 von 113 abgegebenen gültigen Stimmen (74%) wurde Frank Franz ohne einen Gegenkandidaten zum zweiten Mal seit 2014 zum Bundesvorsitzenden gewählt. Die bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Ronny Zasowk und Thorsten Heise wurden ebenfalls in ihrem Amt bestätigt. Zum dritten Stellvertreter wählten die Delegierten den ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt. Der bisherige stellvertretende Vorsitzende Stefan Köster wurde zum Bundesschatzmeister gewählt. Die NPD Hessen ist im Parteivorstand nun mit zwei Personen vertreten. Mit Daniel Lachmann und Ingo Helge wurden sowohl der Landesvorsitzende als auch ein stellvertretender Landesvorsitzender aus Hessen zu Beisitzern im Bundesvorstand gewählt.

Einem durch den Parteivorsitzenden Franz zur Diskussion gestellten Entschließungsantrag über die zukünftige Strategie der Partei stimmten 80 von 122 (=66%) der bei der Abstimmung anwesenden Delegierten zu. Mit dem Entschließungsantrag wurde der Parteivorstand beauftragt, bis zum 31. März 2020 ein Konzept für die Zukunft der NPD zu erarbeiten, wobei auch eine Umbenennung der Partei geprüft werden soll.

Junge Nationalisten (JN)

Am 8. und 9. November feierte die Jugendorganisation der NPD auf ihrem 43. Bundeskongress unter dem Motto „Volkserhalt statt Multikulti!“ ihr 50-jähriges Bestehen in Neuensalz (Sachsen). Die Feierlichkeiten – unter anderem mit Redebeiträgen von Frank Franz und Thorsten Heise – können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die JN weiterhin mit personell-strukturellen Problemen zu kämpfen hatten. Im Berichtsjahr stagnierten die Mitgliederzahlen der seit 2016 von Thassilo Hantusch geleiteten JN Hessen auf einem konstant niedrigen Niveau im unteren zweistelligen Bereich.

Auf einen Blick
  • Kundgebungen
  • Wahlkampfunterstützung für die NPD
  • Kampagne „schuelersprecher.info“
  • Kampagne „studentenrat.info“

Kundgebungen | Als aktionsorientierte Gruppierung führten die JN Hessen erneut Kundgebungen durch. Obwohl die Jugendorganisation hierbei teilweise zusammen mit der NPD auftrat, nahm in Hessen an den Kundgebungen maximal jeweils nur eine niedrige zweistellige Personenanzahl teil. Am 23. März fanden sich etwa zehn JN-Aktivisten zu einer Aktion gegen die Vortragsveranstaltung eines Sea-Watch-Kapitäns in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) ein, um gegen die – nach Ansicht der JN – die Fluchtursachen begünstigende Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeerraum zu demonstrieren. Während der „Eilversammlung“ wurde ein Banner mit der Aufschrift „Ahoi! Klar zur Wende. Schlepperkähne auf Kurs Süd‘ drehen!“ präsentiert. Anschließend hieß es auf dem Twitter-Profil von Thassilo Hantusch: „Die Machenschaften der NGO-Schlepper verschlimmern die Lage auf dem #Mittelmeer nur. Unsere Antwort: Festung #Europa verteidigen!“

Eine weitere JN-Kundgebung richtete sich am 23. April gegen eine Vortragsveranstaltung der SPD in Wiesbaden. Vor dem Beginn präsentierten zwei JN-Aktivisten sowie der NPD-Landesvorsitzende Daniel Lachmann und dessen Stellvertreter Stefan Jagsch ein Banner mit der Aufschrift „Stoppt die roten Arbeiterverräter www.junge-nationalisten.de“ im Umfeld des Veranstaltungsorts. Anschließend kommentierten die JN die Aktion über ihr Twitter-Bundesprofil:

„Am Dienstag fand im Stadtteil #Dotzheim eine Veranstaltung der #SPD […] statt. Deshalb fanden sich Mitglieder der #NPD und #JN dort ein, um spontan gegen […] die volksfeindliche Politik der SPD zu protestieren“.

Wahlkampfunterstützung für die NPD | Wie auch in den Jahren zuvor unterstützten die JN ihre Mutterpartei im Wahlkampf zur Europawahl. Vereinzelt beteiligten sich Aktivisten an NPD-Informationsständen, darüber hinaus nutzten die JN ihre bundesweite Kampagne „schuelersprecher.info“, um gezielt Jung- und Erstwähler anzusprechen. Entsprechende Beiträge wurden unter anderem auf Facebook und Instagram veröffentlicht. So informierten die JN in den sozialen Medien über eine Graffiti-Aktion mit dem Wahlaufruf „NPD 26.05.“ an einer Schule in Fulda (Landkreis Fulda), eine Plakatklebeaktion an einer Schule in Kassel sowie eine angebliche Klebeaktion in Kombination mit einem Graffiti an einem öffentlichen Platz in Hofheim am Taunus (Main-Taunus-Kreis).

In einem eigens zur Europawahl verfassten Schreiben, das nach Angaben des JN-Bundesverbands bundesweit an mehr als 100 ausgewählte Schülervertretungen verschiedener Gymnasien versandt wurde, machten die JN auf ihre Homepage www.junge-nationalisten.de aufmerksam. In dem Beitrag hieß es:

„Als Jung- und Erstwähler kommt unserer Generation eine bedeutende Gewichtung bei der bevorstehenden Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 zu. Mit unseren Stimmen werden wir entscheiden, ob wir auch künftig in einem Europa souveräner Nationalstaaten der verschiedenen Kulturen und Bräuche friedlich miteinander leben werden, oder ob unser Kontinent an der Utopie eines multikulturellen Einheitsbreis zugrunde geht“.

Es folgte die Ankündigung einer verstärkten Präsenz von Aktivisten an Schulen und Jugendclubs, um für die Kampagne zu werben, „damit Heimat auch in einem Europa des 21. Jahrhunderts mehr als nur ein Standort bleibt!“

Kampagne „schuelersprecher.info“ | Die erstmals im Rahmen der hessischen Landtagswahl 2018 initiierte Kampagne wurde im Berichtsjahr fortgeführt. Insbesondere während des Wahlkampfs zur Europawahl nutzten die JN die Kampagne als Sprachrohr, um besonders Jung- und Erstwähler, aber auch sonstige mögliche Interessenten, über den Deckmantel der zunächst nicht unmittelbar der JN zuzuordnenden Kampagne „Schülersprecher“ auf die JN aufmerksam zu machen. Neben entsprechenden Profilen in den sozialen Medien, wie Instagram und Twitter, nutzten die JN hierfür die Homepage www.schuelersprecher.info als zentrales Propagandamittel. Die Homepage bot Interessenten die Möglichkeit, sich über die Kampagne und die bundesweit durchgeführten Aktionen zu informieren. Zudem wurde auf der Homepage eine „Schulhof-CD 2.0“ mit einschlägigen Liedern aus der rechtsextremistischen Musikszene zum kostenlosen Download angeboten.

Nicht nur mit der Kampagne „schuelersprecher.info“ und den darin enthaltenen politischen Themen versuchten die JN anschlussfähig zu sein und sich für ihre junge Zielgruppe attraktiver zu präsentieren. Die JN griffen auch das Thema Klima- und Umweltschutz auf, um es für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Dabei versuchten sie von der allgemeinen Popularität der „Klimaproteste“ in der Bevölkerung zu profitieren. Ihre eigentlich nationalistischen und völkischen Positionen versuchte die Jugendorganisation hierbei zu verschleiern.

Einen Höhepunkt des Versuchs der Vereinnahmung der Umwelt- und Klimaschutzthematik bildete die Teilnahme einer JN-Gruppe an den Fridays-for-Future-Demonstrationen am 29. März in Frankfurt am Main und am 24. Mai in Erfurt (Thüringen). Hierbei versteckten die Aktivisten ihren parteipolitischen Hintergrund weitgehend unter dem Deckmantel der Kampagne „schuelersprecher.info“ und präsentierten ein Banner mit der Aufschrift „Die Zukunft gehört der rebellischen Jugend – Gegen die Lüge vom ,grünen Kapitalismus‘ schuelersprecher.info“ sowie „Europa! Jugend! Revolution! schuelersprecher.info gegen die Instrumentalisierung der Jugend durch Pseudo-Grüne Lobbyisten & Angstmacher“.

Auf diese Weise versuchten die JN „antikapitalistische“ und globalisierungskritische Positionen zu besetzen. So hieß es auf der Homepage www.schuelersprecher.info:

„Die Globalisierung diente nicht der Mehrung des Wohlstandes der Mehrheit, sondern nur der Erweiterung der Märkte und dem Reichtum einer vergleichsweise kleinen Gruppe. Milliarden Menschen sollen als neue Konsumenten dienen und im Zweifel ihre Heimat verlassen, um das Glück in der Ferne zu suchen. Als Arbeitsmigranten oder durch Kriege wurden sie entwurzelt, ihre Heimat wurde destabilisiert und verkauft. Sie flüchten, in der Hoffnung auf Wohlstand, um dann auf dem Arbeitsmarkt als Konkurrenten zur einheimischen Bevölkerung ihrem eigentlichen Einsatzzweck nachzukommen“.

Kampagne „studentenrat.info“ | Mit der offensichtlichen Erweiterung der „schuelersprecher.info“- um die „studentenrat.info“-Kampagne versuchten die JN zum Ende des Berichtszeitraums, auch Studierende als Zielgruppe für sich zu erschließen. Unter dem Motto „studentenrat.info“ fand im Oktober eine erste Verteilaktion an einer Hochschule in Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) statt. Ein Beitrag über die Aktion wurde unter anderem über das Facebook-Profil studentenrat.info veröffentlicht. In einem Kommentar hieß es:

„Pünktlich zur Erstiwoche schlugen wir an den Eingängen der Hochschule […] auf, um die neuen Studenten zu begrüßen und ihnen unsere Vision für Deutschlands Zukunft näher zu bringen. Das Versagen der Eliten und der gesellschaftliche Wandel sind spürbar. Wir bringen ihn auch an die Universitäten“.

(Schreibweise wie im Original)

Entstehung/Geschichte

Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP.

Auf einen Blick
  • Anschein von Legalität
  • Krise der NPD
  • „Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland
  • Konzept der „seriösen Radikalität“
  • Wahlergebnisse

Anschein von Legalität | Aus dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 zwei Prozent (= 664.193 der Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 Prozent der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb für die NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlustängste in der Bevölkerung.

Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent (= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocaust durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein.

„Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie ihre Programmatik. Das neue „Drei-Säulen-Konzept“ enthielt folgende Punkte: „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“ und „Kampf um die Parlamente“. 2004 kam der „Kampf um den organisierten Willen“ hinzu.

Im Zuge ihres „Kampfs um die Straße“ öffnete sich die NPD vor allem gegenüber rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis. Umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-Szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004 und 2006 zog die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein, in denen sie inzwischen nicht mehr vertreten ist.

Konzept der „seriösen Radikalität“ | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der „seriösen Radikalität“ die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis im November 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD 2014 bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mitarbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit.

Wahlergebnisse | Seit der Landtagswahl in Sachsen verlor die NPD bei weiteren Wahlen auf Landes- und Bundesebene kontinuierlich Stimmen. 2017 erhielt sie bei den Landtagswahlen im Saarland 0,7 %, was einem Minus von 0,5 Prozentpunkten entspricht, sowie in Nordrhein-Westfalen 0,3 % (= minus 0,3 Prozentpunkte). In Hessen erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2018 0,2 % der Stimmen (= minus 0,9 Prozentpunkte).

Ideologie/Ziele

Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik wendet sie sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Auf einen Blick
  • Überwindung des „Systems“
  • „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus

Überwindung des „Systems“ | Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von ihr in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als rein machtorientierte Herrschaft der „Systemparteien“ diffamiert, durch eine ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“ ersetzen. Solidarität soll nur „ethnischen Deutschen“ zuteilwerden. So heißt es im Parteiprogramm:

„Der ethnischen Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung ist genauso entschieden entgegenzutreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung“.

Diejenigen, die in den Augen der NPD „Fremde“ sind, grenzt sie aus. So seien

„Ausländer […] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen. […] Asylbewerber haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen“.

„Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus | Der Globalisierung will die NPD begegnen, indem sie das bestehende „System“ durch eine „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ ersetzt. Darüber hinaus werden Muslime diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile.

Strukturen

Die 2010 vorgenommene Neugliederung des Landesverbands in zwei Unterbezirks- und elf Kreisverbände erforderte bereits 2015 eine erneute Modifizierung. Es erfolgte eine Umgestaltung zu sechs Bezirksverbänden (Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen, Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Südhessen).

Auf den ersten Blick scheint die NPD flächendeckend in Hessen vertreten zu sein. Die Umstrukturierung in größere Bezirksverbände macht jedoch deutlich, dass für feingliederige Strukturen das notwendige Personal fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Strukturen waren in weiten Teilen Hessens nur schwach ausgeprägt.

Bewertung/Ausblick

NPD | Die Äußerungen von Ortsbeiratsmitgliedern nach der Wahl Stefan Jagschs lassen darauf schließen, dass er nicht vorrangig als NPD-Mitglied und Funktionär einer bekanntermaßen eindeutig rechtsextremistischen Partei wahrgenommen, sondern offenbar auf Basis seiner nach außen getragenen persönlichen Eigenschaften beurteilt wurde. Folglich schien keine Hemmschwelle bestanden zu haben, mit ihm einen Rechtsextremisten in ein politisches Amt zu wählen.

Neben diesem „Gewöhnungseffekt“ gelang es Jagsch offensichtlich, ein seit dem Rücktritt des bisherigen Ortsvorstehers bestehendes politisches Vakuum im Ortsbeirat für seine eigenen Ziele und im Interesse der NPD zu nutzen. Damit zeigt die, wenn auch nur kurze Amtszeit Jagschs eindrücklich auf, dass Rechtsextremisten den ihnen überlassenen politischen Gestaltungsspielraum – insbesondere auf kommunaler Ebene – geschickt und erfolgreich zu nutzen wissen.

Darüber hinaus versuchte die NPD mit der medialen Verbreitung von Bildern im Rahmen ihrer Kampagne „Schafft Schutzzonen!“ Aufmerksamkeit zu erringen und sich als Kümmerin um die öffentliche Sicherheit zu inszenieren. Außerdem instrumentalisierte die NPD die Bilder als vermeintlichen Beleg dafür, dass freiwillige Helfer und staatlich Bedienstete bei der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit auf die Unterstützung der „Schutzzonen“-Aktivisten angewiesen seien. Hierdurch versuchte die NPD ihre Kampagne auch gegenüber dem Staat und den Sicherheitsbehörden zu rechtfertigen.

Aufgrund der Wahl Daniel Lachmanns und Ingo Helges in den Bundesvorstand erfuhr die NPD Hessen eine Aufwertung innerhalb der Partei. Als langjähriger Funktionär und Mandatsträger ist Lachmann dem Bundesvorstand und anderen Landesverbänden nicht unbekannt. Gleiches gilt für Helge, der wegen der kontinuierlichen Veröffentlichung verhältnismäßig professionell gestalteter Videos zu aktuellen Themen und Interviews mit Parteifunktionären über die Grenzen Hessens hinaus Bekanntheit in der NPD erlangt haben dürfte.

Die NPD hat realisiert, dass ihr Name in der öffentlichen Wahrnehmung mit einem Stigma behaftet ist und sie unter diesem Namen wohl auf Dauer nicht in der Lage sein wird Wahlerfolge zu erzielen. Ob es ihr gelingt, mit neuem Namen und einem neuen Konzept auch eine thematische, kommunikative und strategische Erneuerung in die Wege zu leiten, um letztlich auch Wahlerfolge zu erzielen, erscheint zweifelhaft. Es sind derzeit keine Anzeichen ersichtlich, die auf ein Ende des personellen, strukturellen und finanziellen Erosionsprozesses der NPD hindeuten.

Dabei steht das bei der Europawahl in Hessen erzielte Ergebnis von 0,2% exemplarisch für den bei Wahlen geringen Rückhalt der NPD. Wie auch bei der hessischen Landtagswahl 2018 gelang es der Partei nicht, mit Hilfe der „Schutzzonen“-Kampagne ihrem Negativtrend entgegenzuwirken. Eine nennenswerte öffentliche Wahrnehmung der NPD fand nahezu ausschließlich in den Regionen Lahn-Dill, Wetterau und Fulda statt. Wie dem Bundesverband mangelt es der NPD Hessen an politik- und agitationsfähigen Mitgliedern und Funktionären. Ein in nächster Zeit erreichbarer nachhaltiger und hessenweiter Neuaufbau der Partei ist nicht zu erwarten.

JN | Die Aktivitäten, bei denen Aktivisten der JN als solche offen in Erscheinung traten, gingen merklich zurück, wobei sich Aktivisten der JN auch weiterhin an Aktionen der NPD sowie der „Schutzzonen“-Kampagne der Mutterpartei beteiligten. Grund hierfür dürften personelle Probleme sowohl bei den JN als auch bei der NPD Hessen sein.

Insbesondere versuchten die JN durch das Aufgreifen der bei Jugendlichen populären Kritik an der Umwelt- und Klimapolitik ein entsprechend breites Spektrum anzusprechen. Aktionen wie etwa die Teilnahme an der Fridays-for-Future-Demonstration in Frankfurt am Main blieben jedoch ohne positive Resonanz für die JN. Gleiches galt für die auf Studierende abzielende Kampagne „studentenrat.info“. Insgesamt ließ sich im Berichtszeitraum keine Zunahme der Zahl an Sympathisanten für die JN in Hessen beobachten.

Der Dritte Weg/Der III. Weg

Definition/Kerndaten

Die Partei Der Dritte Weg propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Unter den Schlagworten „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“ formuliert Der Dritte Weg in seiner gleichnamigen Broschüre mit dem Begriff „Revolution“ einen „grundlegenden, allumfassenden, systematischen und nachhaltigen Wandel“ sowie die „Durchdringung der Politik und Gesellschaft mit unserer Weltanschauung“ als Ziel. Eine solche Revolution sei nicht mit Waffengewalt zu erzwingen, wenngleich es notwendig sein könnte, dass „einige Scheiben“ zerbrächen, wenn es gelte, das deutsche Volk „in seiner ethnischen Existenz zu sichern“ und eine „Jahrtausende umfassende Hochkultur zu retten“. Unter den Mitgliedern der Partei, die überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum stammten, befanden sich Personen aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS), der völkisch geprägten Neonazi-Szene sowie frühere Mitglieder der NPD.

Bundesvorsitzender:: Klaus Armstroff
Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz)
Mitglieder: In Hessen etwa 20, bundesweit etwa 580
Medien Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Partei Der III. Weg. Dabei sind die Wörter der und Weg in schwarzen Großbuchstaben geschrieben, zwischen diesen beiden Wörtern befindet sich die Zahl drei als römische Zahl geschrieben.

Ereignisse/Aktivitäten

Die Partei Der Dritte Weg legte auch im Berichtsjahr großen Wert auf Agitation und Propaganda im Zuge öffentlichkeitswirksamer Auftritte. Einen Agitationsschwerpunkt bildeten, wie bereits in den vorangegangenen Jahren, die Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie der Revisionismus, wobei die Partei sowohl auf typische fremdenfeindliche als auch auf rechtsextremistische Narrative zurückgriff. Daneben spielten der Wahlkampf zur Europawahl sowie zu den Kommunal- und Landtagswahlen in Sachsen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus fokussierte der Dritte Weg verstärkt das Thema „Umwelt- und Klimaschutz“.

Auf einen Blick
  • Teilnahme an Wahlen
  • „Gedenkveranstaltungen“
  • Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland
  • „Umweltschutz ist Heimatschutz“ – „Tierschutz verpflichtet!“

Teilnahme an Wahlen | Da die Partei erfolgreich die notwendige Zahl von bundesweit 4.000 Unterstützerunterschriften gesammelt hatte, konnte Der Dritte Weg an der Wahl zum Europäischen Parlament teilnehmen. In Hessen startete die Partei ihren Wahlkampf im März in Lampertheim (Kreis Bergstraße) mit den für sie typischen Flugblatt- und Flyeraktionen sowie Plakatierungen. Es folgten weitere Plakatierungen im Odenwaldkreis, in zahlreichen Gemeinden im Taunus sowie in Wiesbaden, Darmstadt und in Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau). Begleitet wurde der Wahlkampf zudem durch zahlreiche Artikel auf der parteieigenen Website.

Als zentrale Forderungen ihres Wahlkampfes formulierte die Partei „kulturelle Vielfalt statt Multikulti“, „Das Europa der Vaterländer“, „Festung Europa“, „Volksverräter […] stoppen“ und eine „Gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Geopolitik“ in Abgrenzung zur NATO und angeblich „imperialistischen Bestrebungen der USA und Israels“. Der Dritte Weg trat mit zehn Kandidaten und einer länderübergreifenden Liste zur Wahl an, die durch den Vorsitzenden Klaus Armstroff und dessen Stellvertreter Matthias Fischer angeführt wurde.

Bei der Europawahl am 26. Mai erhielt die Partei bundesweit 12.756 Stimmen (= 0,0%) und errang keine Mandate. Bei den am selben Tag in Sachsen stattfindenden Kommunalwahlen erhielt die Partei in der Stadt Plauen 3.363 Stimmen (=3,8%) und somit einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung. An der Landtagswahl in Sachsen am 1. September nahm Der Dritte Weg nicht teil, da der Landeswahlleiter den Parteistatus als nicht gegeben feststellte und den Dritten Weg somit nicht zur Wahl zuließ. In Hessen verfügte die Partei Der Dritte Weg im Berichtszeitraum nicht über Mandatsträger.

„Gedenkveranstaltungen“ | Verbunden mit der Forderung nach einem „zentralen Gedenktag“ für die Opfer der alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) führte Der Dritte Weg am 16. Februar in Fulda (Landkreis Fulda) unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“ eine Demonstration durch. Man wolle mit dieser Demonstration ein „Licht in jene Stadt senden, die ohne Frage als Frontstadt dafür steht, wie die sogenannte ,Befreiung‘ ausgesehen hat“, so der Wortlaut eines auf der Homepage des Dritten Wegs veröffentlichten Artikels.

Am 11. September gedachten Aktivisten des Dritten Wegs auf dem Waldfriedhof in Darmstadt der Opfer der sogenannten Darmstädter Brandnacht. Dazu entzündeten die Aktivisten nach eigenen Angaben 200 Kerzen. In der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 hatten alliierte Bomberverbände die Stadt bombardiert, wobei sich der Hauptangriff auf die historische Altstadt konzentrierte. Der durch den Angriff ausgelöste Feuersturm zerstörte nahezu die gesamte Alt- und Innenstadt. Dem Angriff fielen laut Schätzungen etwa 11.000 Menschen zum Opfer.

Im Juli führte Der Dritte Weg bundesweit ein Gedenkwochenende zum Todestag des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815–1898) durch. Dabei besuchten Mitglieder der Partei die Bismarcktürme in Gießen (Landkreis Gießen) und Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und stellten dort Kerzen mit dem Parteilogo auf. Zum Hintergrund der Aktion wurde auf der Homepage des Dritten Wegs folgende Begründung veröffentlicht:

„Seine Ideen [i. e. Bismarcks] eines sozial verantwortungsbewussten und starken Nationalstaates leuchten uns heute noch als Vorbild für die Zukunft. Sein Erbe ist unser Auftrag!“

Die zentrale Veranstaltung bildete für den Dritten Weg nach wie vor das „traditionelle Heldengedenken“, das jährlich zum Volkstrauertag am 17. November in Wunsiedel (Bayern) unter dem Motto „Tot sind nur jene, die vergessen werden“ abgehalten wird. In Hessen stellten Aktivisten des Dritten Wegs am 17. November unter anderem im Raum Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau) Grablichter mit dem Logo der Partei an einem Kriegerdenkmal auf und reinigten im Raum Weilburg (Landkreis Limburg-Weilburg) ein Ehrenmal.

Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland | Im Januar nahmen Aktivisten an einer „Gedenkveranstaltung“ nationalistischer bzw. neofaschistischer Gruppierungen in Rom (Italien) anlässlich des 41. Jahrestags der Ermordung von drei Mitgliedern der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) teil. Außerdem besuchten Mitglieder des Dritten Wegs das Hauptquartier der neofaschistischen Partei CasaPound in Rom, die – analog zum Dritten Weg –  eine nationalrevolutionär-sozialistische Ideologie vertritt.

Wie 2018 nahmen Mitglieder des Dritten Wegs auch im Berichtsjahr am „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teil. Anlass war das „Gedenken“ an die Schlacht von Budapest (Dezember 1944 bis Februar 1945). Die Veranstaltung schloss neben einer Demonstration einen etwa 60 Kilomater langen „Gedenkmarsch“ ein. In Kiew (Ukraine) lief im Oktober eine Gruppe von Aktivisten des Dritten Wegs im „Marsch der Nationen“ mit, an dem sich etwa 30.000 Nationalisten beteiligten. Dabei schlossen sich die Mitglieder des Dritten Wegs einer Demonstration der ukrainischen nationalistischen Partei Nationales Korps an.

Am 6. Dezember nahmen Mitglieder des Dritten Wegs an einem Aufmarsch nationaler Gruppierungen anlässlich des finnischen Unabhängigkeitstages in Helsinki (Finnland) teil. Laut eigenen Angaben war die Partei mit einem Redebeitrag auf der Abschlusskundgebung vertreten, in dem unter anderem die „deutsch-finnische Waffenbrüderschaft“ während des Zweiten Weltkriegs beschworen wurde.

„Umweltschutz ist Heimatschutz“ – „Tierschutz verpflichtet!“ | Zunehmend interessierte sich Der Dritte Weg für klima- und umweltpolitischen Themen. So hieß es auf der parteieigenen Homepage, dass eine „heimatverbundene Politik […] seit jeher auch Umweltpolitik“ sei. Dabei stilisierte die Partei den Klima- und Umweltschutz zum Kampf um das Überleben des deutschen Volks und verknüpfte ihn mit einer Kritik am „kapitalistischen System“. Die derzeitige an „kapitalistischen“ Prinzipien ausgerichtete Landwirtschaft führe, so die Partei, zwangsläufig zur „Vernichtung aller traditionellen Bindungen und Kulturen“. Dies bedinge letztlich die Entfremdung des Menschen von seiner Kultur und führe schließlich zum Identitätsverlust. Dem sei, so Der Dritte Weg, eine an der Bedarfsdeckung und Ressourcenschonung orientierte Landwirtschaft entgegenzusetzen, welche die Erhaltung der Lebensgrundlage des Volks vor die Rentabilität von Betrieben setze.

In diesem Zusammenhang startete Der Dritte Weg unter dem Motto „Der Bauernstand macht stark das Land“ im Oktober eine Aktion zur Stärkung der Landwirtschaft auf den Grundlagen eines „deutschen Sozialismus“ in „tiefe[r] Verbundenheit mit Land, Tier und Heimat“. Kritisiert wurden unter anderem der „Globalisierungswahn“, der „internationale Freihandels-Extremismus“ und der „Dumping-Wettbewerb von Großkonzernen“, welche die ursprüngliche Landwirtschaft verdrängten und schuld an dem schlechten Ruf der Bauern innerhalb der Gesellschaft seien. Der Bauer sei der „Fußabtreter der Nation und seine Berufsbezeichnung ist heutzutage sogar ein Schimpfwort“.

Unter dem Motto „Volkstreu und grün – Der Bauernstand macht stark das Land“ führte Der Dritte Weg im Oktober in Kempten (Bayern) eine entsprechende Kundgebung durch. In der vom Vorsitzenden des Gebietsverbands Süd gehaltenen Rede wurden die Kernpunkte der Partei in Bezug auf eine „nationale“ Umwelt- und Klimaschutzpolitik deutlich:

„Ehre dem Bauernstand als Ernährer unseres Volkes. Schutz der Natur und Umwelt als Lebensraum unseres Volkes. Achtung dem Tier als Ausdruck unserer Volksseele“.

Im Laufe des Berichtsjahrs gab es in Form von Infoständen („Tierschutz verpflichtet!“) weitere Aktivitäten in diesem Themenfeld. Gegen Ende 2019 startete Der Dritte Weg, wie bereits in den Vorjahren, seine traditionelle Spendenaktion „Tierfutter statt Böller“. Ziel der Aktion war es, Tierfutter zu sammeln, um es anschließend an Tierheime abzugeben.

Entstehung/Geschichte

Die Partei Der Dritte Weg wurde am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Nach und nach entstanden verschiedene länderübergreifende Stützpunkte, unter anderem auch der Stützpunkt Westerwald/Taunus, der im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umfasst. Seit ihrer Gründung führte die Partei vor allem Demonstrationen, „Heldengedenken“ und gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichtete Flugblattverteilaktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im Internet.

Ideologie/Ziele

Das „Zehn-Punkte-Programm“ des Dritten Wegs bezieht sich sowohl von der Bezeichnung als auch vom Inhalt her auf das 25-Punkte-Programm der NSDAP und enthält dessen rechtsextremistische – im Detail nationalsozialistische – Programmatik. In diesem Programm verdeutlicht sich die damit verbundene antidemokratische Ausrichtung des Dritten Wegs, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielt.

Auf einen Blick
  • „Zehn-Punkte-Programm“
  • „National, Revolutionär, Sozialistisch“
  • Das Volk als „Blut und Schicksalsgemeinschaft“ – Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“

„Zehn-Punkte-Programm“ | In seinem Parteiprogramm benennt Der Dritte Weg einen „Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus sowie gleichmacherischem Kommunismus“ als sein Ziel. Das deutsche Volk wird als „naturgesetzliche Gemeinschaft“ gesehen. Eine Forderung der Partei besteht in der Förderung kinderreicher deutscher Familien zur „Abwendung des drohenden Volkstodes“. Daneben gibt Der Dritte Weg die „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“ als ein weiteres Ziel an.

Darüber hinaus vertritt die Partei in ihrem „Zehn-Punkte-Programm“ ein klar geschichtsrevisionistisches Deutschlandbild. So wird eine „friedliche […] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen“ gefordert. Weitere Forderungen sind sowohl die Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien als auch die Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen.

„National, revolutionär, sozialistisch“ | Die Partei Der Dritte Weg begreift sich gemäß ihres im Jahre 2015 veröffentlichten Selbstverständnisses als „nationalrevolutionär“ und propagiert einen „deutschen Sozialismus“ als „dritten Weg“ abseits von Kommunismus und „Kapitalismus“. Die Partei knüpft damit zumindest in Teilen an die Programmatik des sogenannten linken Flügels der NSDAP an.

Der Programmatik des Dritten Wegs liegt ein völkisches Menschenbild, das sich eng am Nationalsozialismus und an der militanten Kameradschaftsszene orientiert, zugrunde. So heißt es in der im Jahr 2017 erschienenen Broschüre „National, Revolutionär, Sozialistisch“ in Bezug auf die drei Kernbegriffe „national, revolutionär, sozialistisch“:

„Nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt“.

Das Volk als „Blut und Schicksalsgemeinschaft“ – Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“ | Gemäß seinem völkischen Menschenbild definiert Der Dritte Weg den Nationalismus als die „politische Idee, die die Interessen und das Überleben des eigenen Volkes in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und Entscheidungen“ rücke. So komme der „echte Nationalismus“ nicht ohne eine „völkische Komponente“ aus, wobei das Blut der „Schlüssel zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens“ sei. Das Volk sei nicht nur eine „Blut-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft“, aus deren „übergeordnete[m] Willen“ sich die Nation bilde. Im Liberalismus hingegen verkörpere der „Einzelne den wichtigsten Wert“ und habe den „europäische[n] Mensche[n]“ – einer Immunschwächekrankheit gleich – „auf seine Existenz als Einzelwesen reduziert und seiner Kultur, Heimat und Identität beraubt“. In diesem Kontext sieht sich Der Dritte Weg „unseren kultur- und blutsverwandten Völkern in Europa verbunden“. In Bezug auf ihre Feindbilder beschränkt sich die Partei keinesfalls nur auf Deutschland:

„Egal ob West- oder Ost-, Süd[-] oder Nordeuropa, es sitzen überall die gleichen Verräter, die gleichen Vertreter des feigen Bürgertums und die gleichen Geldempfänger des Kapitals in den Parlamenten. Daher können wir sie gar nicht anders als gleichsam hassen und verachten. Wir fiebern jedem Schlag, ja jedem Nadelstich, den die verschiedenen europäischen Bewegungen den volksfeindlichen Systemen beibringen, entgegen, begeistern uns über jeden Erfolg und verneigen uns vor jedem Toten und jedem Verletzten des gesamteuropäischen Kampfes“.
Strukturen

Organisatorisch gliederte sich die Partei in die Gebietsverbände Mitte, Süd und West, denen bundesweit 18 Stützpunkte zuzuordnen waren. Der dem Gebietsverband West zugeordnete Stützpunkt Westerwald/Taunus umfasste hierbei den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis.

Zu den Veranstaltungen des Dritten Wegs, die in erster Linie eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls zum Ziel haben, gehörten auch regelmäßig stattfindende Stammtische. Im Rahmen einer polizeilichen Kontrollmaßnahme wurde im November im Raum Taunusstein (Rheingau-Taunus-Kreis) ein solcher Stammtisch festgestellt. Bei einer Personenkontrolle ergaben sich Bezüge zum Dritten Weg. Darüber hinaus stellte die Polizei zahlreiches Propagandamaterial sicher.

Bewertung

Wie in der Vergangenheit bestand ein Schwerpunkt der Tätigkeit des Dritten Wegs in der Agitation und Propaganda. Hierzu führte die Partei etliche Veranstaltungen und Aktionen durch, wobei der Fokus weiterhin auf den Themenfeldern „Asyl“ und „Zuwanderung“ lag. Durch die Teilnahme an Wahlen verfolgte Der Dritte Weg das Ziel, den Parteistatus zu behalten und damit einem möglichen Verbot zu entgehen. Obwohl Der Dritte Weg das Parteiensystem ablehnt, ist seine Teilnahme an Wahlen als Versuch zu werten, auf Teile der Bevölkerung offensiver zuzugehen und die Mechanismen und Vorteile der repräsentativen Demokratie zum Zweck der Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für sich zu nutzen.

Zur Verbreitung seiner Propaganda bediente sich Der Dritte Weg weiterhin verstärkt des Internets – insbesondere zur Mobilisierung für Veranstaltungen über die parteieigene Homepage – und verschiedener sozialer Medien. Dabei versuchte die Partei, sich von sozialen Medien unabhängig zu machen, indem sie im Blogformat Audios, Videos und Bilder einband. In Beiträgen über angebliche Fälle von Ausländerkriminalität, die auf der eigenen Homepage publiziert wurden, trat die Fremdenfeindlichkeit der Partei offen zutage. Mit ihrer „Nationalrevolutionären Schriftenreihe“ bedient sich die Partei jedoch auch klassischer Medien zur Verbreitung ihrer Ideologie.

Sogenannte Gedenkveranstaltungen des Dritten Wegs ( „Heldengedenken“, „Denkmalreinigungen“) sollten zum einen der besseren Anschlussfähigkeit der Partei an die Mitte der Gesellschaft dienen und zum anderen einen Gegenentwurf zur gesellschaftlich weithin akzeptierten und praktizierten Erinnerungskultur entwerfen. Nach innen dienten die „Gedenkveranstaltungen“ auch der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls innerhalb der Partei. Dies galt ebenso für die Teilnahme von Parteimitgliedern an „Gedenkveranstaltungen“ im europäischen Kontext, die darüber hinaus die Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene auf europäischer Ebene fördern sollten.

Der Versuch des Dritten Wegs, Zuspruch in der gesellschaftlichen Mitte zu ernten, wird besonders in der Hinwendung zu dem Thema „Klima- und Umweltschutz“ unter dem Motto „Umweltschutz ist Heimatschutz“ deutlich. Ähnlich wie in den vergangenen Jahren versuchte sich Der Dritte Weg als „Kümmerer“ um die Belange des deutschen Volks zu inszenieren.

Kampagnen, wie der „Bauernstand macht stark das Land“, „Tierschutz verpflichtet“ oder „Tierfutter statt Böller“, wurden mit dem Ziel verfolgt, sich neue Zielgruppen zu erschließen. Dabei versuchten die Aktivisten des Dritten Wegs ihre eigene Rolle als Partei zu überhöhen, um sich als Alternative darzustellen. Hierbei wurden Forderungen nach einer Besserstellung der Bauernschaft oder dem Tierschutz mit den aus dem „Zehn-Punkte-Programm“ der Partei entnommenen rechtextremistischen Thesen gezielt vermengt.

Insgesamt versuchte die Partei, sich vor allem mittels ihres Internetauftritts, aber auch unter Rückgriff auf aktuelle Themen wie den Klima- und Umweltschutz modern und anschlussfähig zu geben. Dies gelang ihr, wie unter anderem ihre Wahlergebnisse zeigen, jedoch nicht.

DIE RECHTE

Definition/Kerndaten

Die Partei DIE RECHTE vertritt neonationalsozialistische, antisemitische und fremdenfeindliche Standpunkte. Sie lehnt den Parlamentarismus zwar grundsätzlich ab, versucht jedoch die Organisationsform als Partei als „Mittel zum Zweck“ zur Verfolgung des von ihr angestrebten fundamentalen Systemwechsels zu nutzen. Mutmaßlich auch, um einer Aberkennung des Parteienprivilegs zu entgehen, bemüht sich DIE RECHTE, formale Parteiaktivitäten zu entfalten. Neben dem Abhalten von Parteitagen tritt DIE RECHTE regelmäßig zu Wahlen an und errang dabei bundesweit bereits mehrere Kommunalmandate. Signifikante Erfolge bei überregionalen Wahlen blieben bislang aber aus.

Landesvorsitzender: Mike Guldner
Bundesvorsitzende: Sascha Krolzig und Sven Skoda
Mitglieder: In Hessen etwa zehn, bundesweit etwa 550
Medien Internetpräsenzen

Logo der Partei DIE RECHTE

Ereignisse/Entwicklungen

Zwar stellte sich der Landesverband der Partei DIE RECHTE zu Beginn des Berichtszeitraums in Hessen neu auf, aber auch unter der neuen Führung trat die Partei nur vereinzelt im Bereich Nordhessen öffentlich in Erscheinung. Mediale Aufmerksamkeit erlangte die Partei insbesondere durch ihre Teilnahme an einer anlässlich des Mordes am Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke in Kassel durchgeführten Demonstration. Insgesamt hatte der Landesverband weiterhin mit strukturellen und personellen Schwächen zu kämpfen.

Auf einen Blick
  • Ausbau von Parteistrukturen angestrebt
  • Antisemitismus im Europawahlkampf
  • „Pogromstimmung gegen das gesamte rechte Lager“
  • „Nationales Bündnis Ruhrgebiet“

Ausbau von Parteistrukturen angestrebt | Der Landesverband Hessen der Partei DIE RECHTE strebte gemäß eigener Veröffentlichungen im Internet danach, seine Parteistrukturen weiter auszubauen. Dieses Vorhaben wurde auch auf dem Landesparteitag am 24. März in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis) bekräftigt. Hierzu stellte sich der Landesverband durch eine Neuwahl des Parteivorstands personell neu auf. Unter anderem wurde Mike Guldner zum neuen Landesvorsitzenden gewählt.

Antisemitismus im Europawahlkampf | Nachdem im Jahr 2018 keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Partei DIE RECHTE in Hessen festzustellen waren, zeigte sich der Landesverband im Berichtszeitraum zwar aktiver, trat aber immer noch zurückhaltend auf. Der Wahlkampf zur Europawahl beschränkte sich auf einzelne Verteilaktionen von Flugblättern im Schwalm-Eder-Kreis und das Anbringen von Wahlplakaten in Kassel und im Schwalm-Eder-Kreis.

Allerdings fand die Partei während des Europawahlkampfs insbesondere aufgrund der provokanten Aufschriften auf ihren Wahlplakaten vermehrt öffentliche Beachtung. Nachdem Aktivisten der Partei Plakate mit der Parole „Israel ist unser Unglück“ angebracht hatten, entschied der Bürgermeister von Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis), diese im Gemeindegebiet abhängen zu lassen. Als DIE RECHTE rechtliche Konsequenzen androhte, händigte die Stadt Neukirchen die Plakate wieder aus. Schließlich erhielt die Partei DIE RECHTE bei der Europawahl in Hessen 1.162 Stimmen (=0,0%).

„Pogromstimmung gegen das gesamte rechte Lager“ | Für mediale Aufmerksamkeit sorgte eine von Christian Worch, dem ehemaligen Bundesvorsitzenden der Partei DIE RECHTE, am 20. Juli in Kassel angemeldete Demonstration. Unter dem Motto „Gegen Pressehetze, Verleumdung und Maulkorbfantasien“ nahm die Veranstaltung inhaltlich Bezug auf den Mord an Dr. Walter Lübcke. Etwa 120 Demonstranten protestierten gegen eine vermeintliche Instrumentalisierung der Mordtat „im Kampf gegen rechts“, wodurch angeblich eine „regelrechte Pogromstimmung gegen das gesamte rechte Lager“ erzeugt würde. Der Landesverband Hessen der Partei DIE RECHTE trat dabei mit einem eigenen Banner in Erscheinung. Darüber hinaus beteiligten sich Aktivisten des Landesverbandes an bundesweiten rechtsextremistischen Demonstrationen.

„Nationales Bündnis Ruhrgebiet“ | Außerhalb Hessens wurde im Oktober mit der Gründung des Nationalen Bündnisses Ruhrgebiet eine politische Zusammenarbeit von Vertretern der Partei DIE RECHTE mit der NPD beschlossen. Ziel sei es, die „nationalen Stimmen“ für die im Jahr 2020 geplanten Kommunalwahlen im Ruhrgebiet zu „bündeln“ und „Synergieeffekte aus den Wahlkämpfen […] zu erzielen“. Der Kreisverband Dortmund der Partei DIE RECHTE führte hierzu an, dass durch das Bündnis „Konkurrenzantritte nationaler Parteien“ trotz „inhaltlicher Nähe“ vermieden werden sollen und das Bündnis einen „Vorbildcharakter“ haben kann.

Entstehung/Geschichte

Die Partei DIE RECHTE gründete sich 2012 zunächst als Auffangbecken für Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (DVU), an deren Auffassungen sich das Programm der neuen Partei anfangs orientierte. Kurz danach traten Neonazis und frühere NPD-Mitglieder in die Partei ein. Die Parteigründung stand auch im Kontext von strategischen Erwägungen der rechtsextremistischen Szene. So suchten Rechtsextremisten aufgrund verschiedener Verbote von Kameradschaften nach einer neuen, weniger „verbotsanfälligen“ Organisationsform. Im August 2017 gründete sich der Landesverband Hessen. Ein solcher hatte zuvor bereits von November 2012 bis März 2014 bestanden.

Ideologie/Ziele

Neben dem Neonazismus bilden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit die ideologischen Schwerpunkte der Partei. So vertrat DIE RECHTE im Berichtsjahr hauptsächlich revisionistische sowie antizionistische bzw. antisemitische Einstellungen. Dies wurde nicht zuletzt durch die Wahl der wegen Volksverhetzung verurteilten und inhaftieren Ursula Haverbeck als Spitzenkandidatin für die Europawahl deutlich. Mit der von der Partei DIE RECHTE als „Deutschlands bekannteste Dissidentin“ bezeichneten 91-Jährigen zeigte sich explizit auch der Landesverband Hessen – zum Beispiel im Rahmen von Demonstrationen – in der Öffentlichkeit solidarisch.

Strukturen

Im Vergleich zu Gliederungen der Partei in anderen Bundesländern verfügte der Landesverband Hessen nur über rudimentär ausgeprägte Strukturen. Unterhalb der Ebene des Landesverbands gab es keine Kreisverbände oder sogenannte Stützpunkte. Innerhalb Hessens ließ sich ein Aktivitätsschwerpunkt der Partei DIE RECHTE im Schwalm-Eder-Kreis ausmachen, wogegen die Partei in Hessen nicht flächendeckend vertreten war.

Bewertung/Ausblick

Die bisherige bundesweite Entwicklung der Partei DIE RECHTE legt nahe, dass sie weiterhin als Auffangbecken für Rechtsextremisten verschiedener Ausrichtungen dient, die aus unterschiedlichen Gründen in ihrem bisherigen Szeneumfeld nicht weiter agierten. Nicht zuletzt ging es den Anhängern der Partei darum, ihre neonazistisch geprägten Aktionen fortzusetzen. Auch weiterhin ist mit Demonstrationen, Kundgebungen und provokanten Aktionen der Partei zu rechnen. Darüber hinaus sind weiterhin Wahlteilnahmen der Partei zu erwarten.

Kommunikationsstrategien von Rechtsextremisten

Durch die stetige Entwicklung des Internets und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Kommunikation verändern sich immer wieder die Strategien und Taktiken der Rechtsextremisten. Soziale Netzwerke wie etwa Facebook, Blogs, Videoplattformen (zum Beispiel YouTube) sowie eigene Internetauftritte wie Homepages, Nachrichtenportale oder Foren sind für Rechtsextremisten wichtige Hilfsmittel für die digitale Verbreitung ihrer Propaganda, da sie hierdurch mit wenig Aufwand ein breites Publikum erreichen können.

Auf einen Blick
  • Offene und versteckte Propaganda
  • Erhöhte Sensibilisierung
  • Online-Radikalisierung
  • Intensivierung der Bekämpfungsansätze

Offene und versteckte Propaganda | Die fortschreitende Digitalisierung hat die rechtsextremistische Szene nachhaltig verändert und das Entstehen einer Reihe von neuen Anlaufpunkten, Akteuren und Aktionsformen bewirkt. Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistische Organisationen nutzen das Internet einerseits, um offen für ihre Ideen und Aktivitäten zu werben und um Gleichgesinnte zu gewinnen; andererseits gehen sie konspirativ vor und rufen zum Beispiel Initiativen ins Leben, die auf den ersten Blick keinen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten lassen, sondern Themen ansprechen, die beim Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen (zum Beispiel Kindesmissbrauch). Hierüber suchen Rechtsextremisten besonders den Kontakt zu Menschen, die bisher keinen Bezug zum Rechtsextremismus hatten. Neben den Internetplattformen nutzen Rechtsextremisten auch verschiedene Messengerdienste wie WhatsApp, Threema oder Signal, um untereinander zu kommunizieren, Veranstaltungen zu planen oder Absprachen zu treffen.

Erhöhte Sensibilisierung | Die Möglichkeit eines Zugriffs staatlicher Sicherheitsbehörden auf persönliche Daten und die interne Kommunikation sorgt bei Rechtsextremisten für eine erhöhte Sensibilisierung. So werden Leitfäden erstellt und Sicherheitsschulungen durchgeführt, um Anleitungen für konspirative Verhaltensweisen bei der Kommunikation in der rechtsextremistischen Szene zu verbreiten. Diese sollen dazu dienen, nicht in den Fokus von Sicherheitsbehörden zu geraten bzw. sich diesem Zugriff zu entziehen. Weiterhin nutzen Rechtsextremisten geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten, zu denen nur bestimmte – meist im Vorfeld ausgewählte – Szeneangehörige Zugang erhalten.

Online-Radikalisierung | Es besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten sich im Rahmen derartiger internetgestützter „Echokammern“ oder „Filterblasen“ gegenseitig in ihrer Radikalisierung bestärken, ohne dass in der „Realwelt“ ein Kennverhältnis zueinander besteht. Für die nachrichtendienstliche Arbeit der Verfassungsschutzbehörden resultiert hieraus das Problem der Aufklärung dieser digitalen Räume, wobei es gilt, Informationsfragmente der virtuellen und „realen Welt“ miteinander zu verbinden und zu analysieren.

Intensivierung der Bekämpfungsansätze | Vor diesem Hintergrund ist neben den bereits bestehenden operativen und analytischen Maßnahmen eine Intensivierung der Internetbearbeitung unabdingbar, um insbesondere gewaltorientierte Gruppierungen und Einzeltäter sowie deren Kennverhältnisse und Kommunikationswege frühzeitig zu identifizieren. Gleiches gilt für die intensivere Bekämpfung von rechtsextremistischer Hate Speech sowie von anderen rechtsextremistischen digitalen Inhalten. Diese Arbeit des LfV steht im Kontext des am 19. September durch die Hessische Landesregierung vorgestellten Aktionsprogramms „Hessen gegen Hetze“.

Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten

Auch im Berichtsjahr bildeten Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik zentrale Themen in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen. Mit der Angst vor angeblicher „kultureller Überfremdung“ sollten Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Die fremdenfeindliche Agitation von Rechtsextremisten barg weiterhin das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten – unter anderem gegen Flüchtlinge – führen kann. In Hessen wurde dies in besonders drastischer Weise durch die versuchte Tötung eines Migranten aus Eritrea am 22. Juli in Wächtersbach (Main-Kinzig-Kreis) deutlich. Mit Ausnahme eines Delikts entfielen alle im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangenen Straftaten auf die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) – rechts.

2019 2018 2017 2016 2015
gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte
PMK insgesamt 4 10 7 25 28
PMK – rechts – 4 10 7 22 25
gegen Asylbewerber/Flüchtlinge
PMK insgesamt 37 26 50 72 39
PMK – rechts – 361 26 46 67 17
gegen Hilfsorganisationen und Helfer
PMK insgesamt 2 2 3 *
PMK – rechts – 2 1 2 *
Summe
PMK insgesamt 41 38 59 199 67
PMK – rechts – 40 38 54 91 42

1 Ein Körperverletzungsdelikt am 3. September 2019 in Taunusstein (Rheingau-Taunus-Kreis) wurde erst nach dem Stichtag der statistischen Erhebung als extremistische Straftat bewertet und ist daher in der polizeilichen PMK-Statistik für das Jahr 2019 nicht erfasst.

* Diese Kategorie wurde im Jahr 2015 noch nicht erfasst.

Straftaten gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte | In Hessen kam es im Berichtszeitraum insgesamt zu vier (2018: zehn) Straftaten, die sich gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte richteten. Darunter waren keine Gewaltdelikte. Gegenüber dem Vorjahr nahmen die in diesem Kontext stehenden Straftaten um mehr als die Hälfte ab.

Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge | Die Anzahl der Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge stieg in Hessen im Berichtsjahr auf 37 (2018: 26), wobei bis auf eine Straftat alle in den Bereich der PMK – rechts – fielen. Davon waren zwei Straftaten Gewaltdelikte. Damit nahmen die Straftaten im Bereich der PMK – rechts – um mehr als ein Drittel zu.

Gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer wurden im Berichtsjahr keine Straftaten verübt (2018: zwei).

Insgesamt nahm im Berichtszeitraum die Zahl der Straftaten (40) im Bereich PMK – rechts – gegenüber dem Vorjahr (2018: 38) leicht zu.

Neben der versuchten Tötung eines Migranten aus Eritrea in Wächtersbach (Main-Kinzig-Kreis) kam es im September zu einem Überfall auf einen somalischen Asylbewerber durch einen unbekannten Täter. Dabei wurde das Opfer beleidigt sowie mit Gegenständen beworfen und bedroht.

Bewertung | Obwohl die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge im Berichtszeitraum weiterhin abnahm, ist davon auszugehen, dass die entsprechende rechtsextremistische Agitation anhalten wird. Die Anti-Asyl-Agitation ist ein klassisches rechtsextremistisches Thema und bietet Rechtsextremisten traditionell ein großes Mobilisierungspotenzial. So war eine intensivierte rechtsextremistische Agitation gegen Flüchtlinge insbesondere im Zusammenhang mit von ihnen begangenen Straftaten, die eine hohe gesellschaftlich-mediale Aufmerksamkeit erfuhren, festzustellen.

Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befürworten, den Anstoß zu Gewalttaten geben bzw. selbst schwerwiegende Straftaten gegen Flüchtlinge und/oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Themen „Flüchtlinge“ und „Flüchtlingspolitik“ vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden.

Rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten

Im Berichtszeitraum wiesen 886 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2018 einen Anstieg um etwa 64 Prozent und ist damit sowohl der höchste Stand als auch der höchste lineare Anstieg in den letzten fünf Jahren. Dieser signifikante Zuwachs resultiert insbesondere aus der nahezu verdoppelten Zahl der „anderen Straftaten“ (insbesondere Propagandadelikte). Insgesamt ist für alle Kategorien der im Jahr 2019 erfassten rechtsextremistischen Delikte ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr zu konstatieren.

Ebenso ist für die rechtsextremistischen Gewalttaten ein Zuwachs um sechs Delikte (2018: 25) festzustellen, wobei deren Anstieg mit einer Erhöhung um knapp ein Viertel geringer als im letzten Berichtsjahr (etwa 56%) ausfiel. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die rechtsextremistischen Gewalttaten im Berichtsjahr mit dem Mord an Dr. Walter Lübcke und dem Anschlag auf den aus Eritrea stammenden Migranten ein Tötungsdelikt und ein versuchtes Tötungsdelikt enthalten.

2019 2018 2017 2016 2015
Deliktart
Tötung 1
Versuchte Tötung 1 1
Körperverletzung 29 24 13 19 17
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 3
Landfriedensbruch 1
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 1 1 2
Gewalttaten insgesamt 31 25 16 23 20
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 33 26 22 41 57
Nötigung/Bedrohung 19 7 6 29 16
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 803 481 496 706 566
Straf- und Gewalttaten insgesamt 886 539 540 799 659
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