Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2019

Extremismus mit Auslandsbezug

Merkmale

Der nichtreligiös motivierte Extremismus mit Auslandsbezug umfasst sicherheitsgefährdende extremistische und terroristische Bestrebungen in Deutschland, die im Zusammenhang mit politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen im Ausland stehen und überwiegend von Personen mit Bezug zu den politischen Verhältnissen in einem anderen Staat getragen werden.

Auf einen Blick
  • Gegen Völkerverständigung und friedliches Zusammen-leben der Völker
  • Breites Spektrum von Bestrebungen mit Auslandsbezug

Gegen Völkerverständigung und friedliches Zusammenleben der Völker | Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung bzw. das friedliche Zusammenleben der Völker. Diese Bestrebungen gefährden die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, indem ihre Urheber Gewalt anwenden oder darauf ausgerichtete Handlungen vorbereiten. Obwohl diese Bestrebungen nicht in erster Linie auf die Abschaffung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen, können sie die Sicherheit des Bundes oder der Länder gefährden.

Breites Spektrum von Bestrebungen mit Auslandsbezug | Die Art der politischen Agitation zur Umsetzung dieser extremistischen Aktivitäten ist vielfältig. Sie reicht von Demonstrationen und Kundgebungen mit zum Teil gewalttätigem Verlauf bis hin zu „Spendensammelaktionen“ und zur logistischen Unterstützung von Konfliktparteien im Herkunftsland. Das schließt die Unterstützung ausländischer terroristischer Gruppierungen ein. Die unterschiedlichen Zielrichtungen von Organisationen mit Auslandsbezug lassen sich im Wesentlichen unterteilen in

  • nationalistische, rechtsextremistische Bestrebungen,
  • linksextremistische Bestrebungen sowie
  • ethnisch motivierte Autonomie- bzw. Unabhängigkeits- bestrebungen.

Die Übergänge sind dabei oft fließend.

Extremistisches Personenpotenzial mit Auslandsbezug1

Das Mitglieder- und Anhängerpotenzial von extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug sank 2019 im Vergleich zum Vorjahr leicht ab. Grund hierfür ist die Einstellung der Beobachtung der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Der mit Abstand größte Anteil entfiel weiterhin auf Gruppierungen aus dem türkischen linksextremistischen und rechtsextremistischen Spektrum.

2019 2018 2017 2016 2015
Kurdischer Ursprung
Hessen 1.500 1.500 1.500 1.500 1.500
Bund 14.500 14.500 14.500 14.000 14.000
Türkischer Ursprung
Hessen 2.655 2.700 2.725 2.725 2.725
Bund 13.550 13.550 13.550 13.550 12.550
Sonstige
Hessen 40 130 250 300 400
Bund 770 2.300 2.500 2.500 2.500
Gesamtzahl der Extremisten mit Auslandsbezug
Hessen 4.195 4.330 4.475 4.525 4.625
Bund 28.820 30.350 30.550 30.050 29.050

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.

Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans)

Definition/Kerndaten

Ursprüngliches Ziel der PKK war es, einen sozialistisch geprägten Staat („Kurdistan“) zu schaffen. Nachdem die strikt hierarchisch aufgebaute Kaderpartei 1984 zur Erreichung dieses Ziels einen blutigen Guerillakrieg gegen die Türkei begonnen hatte, rückte sie seit 1999 zunehmend davon ab. Inzwischen fordert die PKK die Anerkennung der kurdischen Identität und Autonomie. Laut eigenen Aussagen will die PKK dies vor allem auf politischem Wege erreichen. Seit November 1993 (bestandskräftig seit März 1994) ist die PKK in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt. Die EU stuft die PKK seit 2002 als terroristische Organisation ein.

Führung: Abdullah Öcalan (seit 1999 in der Türkei inhaftiert)
Anhänger/Mitglieder: In Hessen etwa 1.500, bundesweit etwa 14.500
Bewaffnete Gruppen: Hêzên Parastina Gel (HPG, Volksverteidigungskräfte), Teyrêbazên Azadîya Kurdistan (TAK, Freiheitsfalken Kurdistans)
Syrischer Ableger: Partiya Yekitîya Demokrat (PYD, Partei der demokratischen Union) und deren militärischer Arm Yekîneyên Parastina Gel (YPG, Volksverteidigungseinheiten) und der Yekîneyên Parastina Jin (YPJ, Frauenverteidigungseinheiten)
Medien (Auswahl): Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie Politik) als Sprachrohr der PKK, Serxwebûn (Unabhängigkeit), Stêrk-TV, Med NUCE-TV
Abgebildet ist das Logo der Arbeiterpartei Kurdistans: auf rechteckigem rotem Untergrund befindet sich in gelber Farbe eine Sonne mit einem Strahlenkranz, der aus kürzeren und längeren Strahlen besteht. In der Mitte der gelben Sonne befindet sich ein roter fünfzackiger Stern.
Ereignisse/Entwicklungen

Die Militäroperationen der Türkei im syrisch-türkischen Grenzgebiet seit Anfang 2018 und die Eroberung der von der PYD kontrollierten Stadt Afrin setzten die PKK andauernd unter erheblichen Druck. Zusätzliche Sorge bereitete der Terrororganisation die Ungewissheit über den Gesundheitszustand ihres seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten Anführers Abdullah Öcalan.

Die Erfolge der PYD, der syrischen Schwesterpartei der PKK, und ihrer militärischen Verbände YPG und YPJ im Kampf gegen den IS bescherten ihnen sowohl in der kurdischen Gemeinde als auch weltweit Anerkennung und Unterstützung. Trotzdem kündigten die USA, die seit etwa 2014 mit der PYD zusammenarbeiteten, seit Dezember 2018 wiederholt an, ihre Truppen aus Syrien zurückzuziehen. Diesen Plan realisierten die USA teilweise seit dem Herbst 2019, wodurch für die Türkei der Weg frei wurde, im Rahmen der Militäroperation „Quelle des Friedens“ am 9. Oktober in Nordsyrien einzumarschieren und dort eine „Sicherheitszone“ einzurichten. Im Rahmen des im Jahr 2011 ausgebrochenen syrischen Bürgerkriegs hatte sich in Nordsyrien unter der Führung von PYD, YPG und YPJ seit Mitte 2012 ein de facto autonomes Gebiet herausgebildet, das innerhalb der PKK-Anhängerschaft als „Rojava“ bezeichnet wird.

Ziel der Türkei war es, mittels ihrer Militäroperation „Quelle des Friedens“ die YPG-/YPJ-Milizen dauerhaft aus einem etwa 30 Kilometer breiten Korridor entlang der türkisch-syrischen Grenze zu vertreiben, um dort syrische Flüchtlinge anzusiedeln. Im Rahmen einer zwischen der Türkei und den USA vereinbarten und sodann zwischen der Türkei und Russland verlängerten Waffenruhe zogen die YPG ihre Kämpfer aus Nordsyrien ab, sodass Truppen des von Russland unterstützten Assad-Regimes in die entsprechenden Gebiete einrückten.

Im Rahmen einer komplexen Gemengelage (militärischer Druck der Türkei, ungeklärter Gesundheitszustand Öcalans, Erfolge im Kampf gegen den IS, Verlust ehemaliger Bündnispartner) versuchte die PKK – vor allem in Deutschland – ihre öffentliche Wahrnehmung bzw. ihre staatliche Einstufung als Terrororganisation in eine Anerkennung als militärisch und politisch verfolgte Freiheitsbewegung umzumünzen. Entsprechende Demonstrationen von PKK-Anhängern verliefen im Unterschied zu 2018 weitestgehend friedlich. Unterstützung erhielt die PKK hierbei unter anderem durch „Solidaritätsaktionen“ deutscher Linksextremisten, wobei aus deren Reihen heraus vereinzelt Gewalttaten begangen wurden.

Auf einen Blick
  • „28. Internationales Kurdisches Kulturfestival“
  • Demonstrationen gegen den Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien
  • „Rojava“ als Modell der „antikapitalistischen Kräfte der Fridays-for-Future-Bewegung“
  • Zentrale bundesweite Newroz-Veranstaltung in Frankfurt am Main
  • „Spendensammlungen“

„28. Internationales Kurdisches Kulturfestival“ | Erstmals seit 21 Jahren fand am 21. September das Festival in Maastricht (Niederlande) und damit nicht in Deutschland statt. Angemeldet worden war die Veranstaltung, an der etwa 7.000 Personen (2018: 3.500) teilnahmen, als Protestkundgebung („Status für Rojava, Freiheit für Öcalan!“) gegen die bevorstehende Offensive der türkischen Armee in Nordsyrien. Mehrere hochrangige PKK-Funktionäre hatten im Vorfeld in „Werbeeinschaltungen“ im Programm des PKK-Fernsehsenders Stêrk TV zu der Teilnahme an dem „Kulturfestival“ aufgerufen. Daneben warben PKK-Anhänger in den sozialen Medien unter dem Hashtag #MaastrichtteHalklarBuluşuyor (dt. Völker treffen sich in Maastricht) für eine Teilnahme. Laut der YÖP wurde das Festival von folgenden Organisationen organisiert:

  • Kongreya Civakên Demokratîk a Kurdistaniyên Ewropa (KCDK-E, Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa),
  • Almanya’daki Mezopotamya Topluluklar Konfederasyonu (Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland, KON-MED),
  • Avrupa Türkiyeli İşçiler Konfederasyonu (ATİK, Konföderation der Arbeiter der Türkei in Europa) und
  • Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu (AvEG-Kon, Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa).

Dabei sind die ATİK der Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML, Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) und die AvEG-Kon der Marksist Leninist Komünist Parti (MLKP, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) zuzurechnen. Hiermit versuchte die PKK zumindest nach außen den Eindruck zu erwecken, dass ihre Sache auf einer breiten Basis verschiedener Organisationen fußte. Allerdings gab die PKK ihren Alleinvertretungsanspruch für die kurdische Sache dabei nie aus der Hand.

Ein Vertreter der kurdischen Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens erklärte:

„Die Revolution von Rojava baut auf der jahrelangen Arbeit Abdullah Öcalans auf. Wer sich für Rojava einsetzt, setzt sich gleichzeitig für Öcalan ein“.

Demonstrationen gegen den Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien | Bereits zwei Tage vor dem Einmarsch türkischer Truppen am 9. November kam es europa- und deutschlandweit zu zahlreichen Protesten der PKK-Anhängerschaft. In Hessen gab es Kundgebungen zunächst in größeren Städten wie Frankfurt am Main, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Gießen (Landkreis Gießen). Zunehmend beteiligten sich deutsche Linksextremisten an den Kundgebungen und führten sie im weiteren Verlauf in sogenannter Bündnisarbeit überwiegend an Universitäten in eigener Initiative fort. Partner dieser Bündnisarbeit waren kurdische PKK-nahe Studierendenverbände, linksextremistische Gruppen aber auch Gruppierungen aus dem nichtextremistischen Spektrum. So rief das Widerstandskomitee Berlin auf der Internetseite der der PKK nahestehenden Nachrichtenagentur Ajansa Nûçeyan a Firatê (ANF, Firat News Agency) zu einem „neuen Frühling der internationalistischen Solidarität“ auf. Laut einer Meldung der YÖP vom 9. Oktober gründete sich in Köln (Nordrhein-Westfalen) die PKK-nahe Plattform „Defend Rojava/Verteidige Rojava“, deren Ziel es war, jeden Donnerstag um 18 Uhr vor amerikanischen Konsulaten, vor Parlamentsgebäuden und in Stadtzentren Aktionen durchzuführen. Entsprechende Kundgebungen vor dem amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main verliefen friedlich und störungsfrei.

War im Berichtsjahr die Anzahl der Demonstrationen im PKK-Kontext ohnehin hoch (insgesamt etwa 150), so stieg sie seit der türkischen Militäroffensive deutlich an. Im Zeitraum zwischen dem 7. Oktober und 23. Dezember kam es hessenweit zu mehr als 200 öffentlichen Veranstaltungen. Dabei lauteten die Themen unter anderem:

  • „Protest gegen türkisch-dschihadistische Angriffe in Rojava“,
  • „Rojava verteidigen“,
  • „Kurden gegen Krieg“,
  • „weitere Offensive der Türkei in Syrien mit Toten“,
  • „gegen den türkischen Angriffskrieg“ und
  • „our resistance against the war – RiseUp4Rojava“.

Auf die einzelnen Städte bezogen, verteilte sich die Anzahl der Veranstaltungen wie folgt:

  • Frankfurt am Main: 65.
  • Gießen (Landkreis Gießen): 44.
  • Kassel: 27.
  • Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf): 21.
  • Darmstadt: 22.
  • Wiesbaden: 8.
  • Bad Hersfeld (Landkreis Hersfeld-Rotenburg): 7.
  • Hanau (Main-Kinzig-Kreis): 4.
  • Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis): 1.
  • Friedberg (Wetteraukreis): 1.
  • Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg): 1.

Überwiegend folgende Personenzusammenschlüsse trugen bzw. organisierten die Proteste in Hessen:

  • verschiedene „Rojava“-Solidaritätsbündnisse,
  • örtliche PKK-nahe Vereine,
  • der Yekîtiya Xwendekarên Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan) sowie die Jinên Xwendekar ên Kurdistan (JXK, Studierende Frauen aus Kurdistan), die türkische linksextremistische Yeni Demokratik Genclik (YDG, Neue Demokratische Jugend) und
  • deutsche linksextremistische Gruppen wie die MLPD, die linksjugend [’solid] und die DIE LINKE.Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS).

Dabei nahmen phänomenübergreifend sowohl Personen aus dem deutschen Linksextremismus als auch aus dem Extremismus mit Auslandsbezug an der Mehrzahl der Veranstaltungen teil.

Folgende in Hessen aktive „Rojava“-Solidaritätsbündnisse und Internetplattformen wurden von Personen aus dem deutschen dogmatischen Linksextremismus getragen:

  • Defend Rojava Rhein-Main,
  • RiseUp4Rojava,
  • Nehele und
  • Women Defend Rojava.

Sowohl die Beteiligung als auch die Einflussnahme deutscher Linksextremisten aus dem dogmatischen und dem autonomen Bereich spiegelten sich in einschlägigen Parolen wider:

  • „Rüstungsindustrie blockieren“,
  • „Helft der Presse“,
  • „Friday for Peace“,
  • „Solidarität mit Rojava! Kein Fußbreit den Faschisten!“

Die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen, unter denen sich fast immer deutsche linksextremistische Gruppierungen befanden, bewegten sich bisweilen im vierstelligen Bereich. Die teilnehmerstärksten Veranstaltungen fanden in den folgenden Städten statt:

  • 11. Oktober, Gießen (Landkreis Gießen): etwa 1.000 Personen.
  • 12. Oktober, Frankfurt am Main: etwa 3.800 Personen.
  • 17. Oktober, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf): etwa 1.000 Personen.
  • 19. Oktober, Frankfurt am Main: etwa 4.500 Personen.

Vor allem in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Gießen (Landkreis Gießen) nahmen im Zuge der Proteste gegen den türkischen Einmarsch in „Rojava“ die Aktivitäten der PKK bzw. der YXK im Vergleich zu den Vorjahren zu.

Insgesamt verlief der überwiegende Teil der Demonstrationen friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. In Frankfurt am Main, Kassel, Gießen (Landkreis Gießen) und Darmstadt wurden jedoch szenetypische Straftaten verübt: Es wurden Graffitis gesprüht, Farbe geschmiert, Personen vermummten sich und an Brücken wurden Banner aufgehängt. Vereinzelt kam es zu verbalen Auseinandersetzungen mit der Polizei und türkischen Passanten, die den kurdischen Demonstranten den sogenannten Wolfsgruß, das Handzeichen türkischer Nationalisten, zeigten. Dabei waren in Hessen insbesondere folgende Ereignisse relevant:

  • Frankfurt am Main, 7. Oktober: strong> Während eines Aufzugs mit etwa 160 Teilnehmern provozierte ein türkischer Tourist die Demonstranten, indem er den Wolfsgruß zeigte. Die Polizei unterband eine Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten.
  • Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis), 10. Oktober: Unbekannte Täter besprühten einen Verkehrskreisel mit den Namen kurdischer Städte bzw. Regionen in Nordsyrien: „Rojava“, Qamishlo“, „Gire Spi“.
  • Kassel, 11. Oktober: Als etwa 400 Personen die Parole „Terrorist Erdogan“ skandierten“, kam es während eines Aufzugs zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrationsteilnehmern und türkischen Passanten bzw. Anwohnern. Die Polizei deeskalierte die Situation.
  • Offenbach am Main, 13. Oktober: Ein unbekannter Täter sprühte mit schwarzer Farbe unter anderem „Fuck AKP!“ und „YPG“ an eine Wand der Moschee der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Offenbach a/M e. V.
  • Darmstadt, 14. Oktober: Bei einer Demonstration kam es zwischen den etwa 100 Teilnehmern und nationalistischen Türken zu gegenseitigen Provokationen, wobei die Polizei eine Eskalation verhinderte.
  • Gießen (Landkreis Gießen), 15. Oktober: Ein mit mehreren Personen besetztes Fahrzeug fuhr an einer Demonstration mit PKK-Anhängern vorbei, wobei am Autofenster eine türkische Flagge hing und einer der Insassen den Wolfsgruß zeigte. Als das Fahrzeug verkehrsbedingt halten musste, zogen mehrere Demonstranten einen Insassen aus dem Fahrzeug, rissen die Fahne ab und beschädigten das Auto. Kurze Zeit später wurde der zuvor aus dem Auto gezogene Fahrer im Stadtgebiet erneut abgefangen und durch einen Faustschlag aufs Auge verletzt.
  • Kassel, 17. Oktober: Während in der Innenstadt eine Demonstration stattfand, sprühten unbekannte Täter auf die rückseitige Hauswand des Ordnungsamts den Schriftzug „Biji Berxwedana Rojava“ (dt. „Lang lebe der Widerstand von Rojava“).
  • Darmstadt, 18. Oktober: Im Rahmen einer nichtangemeldeten Kundgebung vor einer Mercedes-Niederlassung hängten die etwa 50 Teilnehmer Transparente und Plakate mit den Aufschriften „Mercedes liefert, Türkei bombardiert“ auf.
  • Hanau (Main-Kinzig-Kreis), 25. Oktober: Bei einer Demonstration gegen den Einmarsch türkischer Truppen in „Rojava“ kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und nationalgesinnten Türken. Die Polizei setzte Pfefferspray und Polizeihunde ein, um die Kontrahenten zu trennen.

„Rojava“ als Modell der „antikapitalistischen Kräfte der Fridays-for- Future-Bewegung“ | Auf der von Linksextremisten genutzten Internetseite de.indymedia.org wurde am 11. Oktober ein Schreiben eingestellt, in dem „Rojava“ als vorbildliches gesellschaftspolitisches Modell für die linksextremistische Szene dargestellt wurde. In dem Beitrag unter dem Titel „Antikapitalistische Kräfte der Fridays for Future Bewegung – Solidarität mit Rojava“ hieß es:

„In Rojava wurde ein System aufgebaut, welches den Ideen des demokratischen Konförderalismus folgt. Die drei Grundpfeiler dieser Ideologie sind Feminismus, Ökologie und Basisdemokratie. […] Es gibt die Kampagne Make Rojava Green Again und eine Fridays for Future Ortsgruppe in Rojava. Rojava ist ein Rätesystem, indem die Entscheidungen basisdemokratisch gefällt werden. […] Seit Jahren ist die USA in Rojava stationiert. […] Die USA ist der mächtigste kapitalistische Staat […] und die USA stimmte dem Angriff zu. Der Angriff bereitet uns große Sorgen. Zahlreichen Zivilist*innen, einem fortschrittliches Gesellschaftsmodell, der Kampagne Make Rojava Green Again und auch Fridays for Future in dieser Region drohen das Ende. […] Das Thema Krieg ist einer der Gründe, wieso Umweltschutz antikapitalistisch sein sollte: Der Kapitalismus zwingt Konzerne und Staaten zum Konkurrenzkampf und Kriege sind ein Mittel um ökonomische Interessen durchzusetzen. […] In Rojava findet ein Gesellschaftswandel statt: Weg von einem zwanghaften Profitstreben und grenzenlosem Verbrauch hin zur Produktion für die Bedürfnisse. Weg von einer Elite, die Entscheidungen trifft, hin zur massenhaften politischen Partizipation. Wir befürworten diesen gesellschaftlichen Fortschritt. Auch wir stehen für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel und sehen dies als Lösung der Klimakrise. ,Make Rojava green again‘“.

(Schreibweise wie im Original)

Laut einer von der PKK-nahen Nachrichtenagentur ANF am 17. Oktober veröffentlichten Ankündigung der Fridays-for-Peace-Bewegung sollte es für bestimmte Anlässe zu einer Zusammenarbeit zwischen Fridays for Future und RiseUp4Rojava kommen. Vor diesem Hintergrund stellte RiseUp4Rojava einen Aktionsplan für den darauffolgenden Tag vor, der die Namen verschiedener Städte enthielt, in denen Aktionen unter dem Motto „Fridays for (for Rojava) future“ stattfinden sollten.

Nachfolgend sind entsprechende Veranstaltungen in Hessen aufgeführt, bei denen das Thema „Fridays for future“ in „Friday/Fridays for peace“ oder ähnlich lautende Slogans umbenannt wurde:

  • Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis) und Frankfurt am Main, 18. Oktober, sowie Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), 1. November: Bei allen Veranstaltungen von Fridays for Future wurde unter dem Motto „Fridays for Peace“ auf die türkische Militärinvasion in Nordsyrien aufmerksam gemacht. In Witzenhausen sprühten unbekannte Täter an die Hauswand eines Busunternehmens die Parolen „Fight Nazis everywhere!“, „Millions of Dead Cops“. In Marburg verteilten kurdische Teilnehmer während des Zulaufs zu der Demonstration Wimpel mit YPG-Bezug. Die Polizei brach die Aktion ab und untersagte die Veranstaltung. Daraufhin wurde die ursprünglich geplante Veranstaltung („Fridays for Future, Krieg und Klimawandel“) abgesagt. Eine Person aus dem deutschen linksextremistischen Spektrum meldete eine Spontanveranstaltung („Rise up for Rojava-Solidarität mit Rojava! Gegen die türkische Invasion in Syrien und die damit verbundenen schädlichen Einflüsse für das Klima“) an. Hierbei durften nicht verbotene PYG- und YPG-Wimpel gezeigt werden.
  • Marburg, 10. November: Bei einem Vortrag im Erwin-Piscator-Haus auf dem Gelände der Philipps-Universität Marburg („Make Rojava green again“) wurden die ökologischen Projekte bzw. die ökologische Entwicklungsmöglichkeit in „Rojava“ thematisiert. Darüber hinaus diskutierten die Teilnehmer, welche Perspektiven „Rojava“ für die „Klimagerechtigkeitsbewegung“ in Deutschland bieten könne.
  • Frankfurt am Main, 27. November: Bei einer Versammlung in der Mensa der Goethe-Universität Frankfurt am Main machten die Teilnehmer auf die „Verschränkung der Kämpfe für Rojava“ mit den „Kämpfen für Klimagerechtigkeit“ aufmerksam. Vertreter der Plattform Students for future übergaben die Forderungen der Vollversammlung dem Präsidium der Universität. Dabei zeigten die Teilnehmer Transparente mit den Aufschriften „Make Rojava & Rhein-Main green again – defend Rojava“ und „No partnership with turkish fascism“. Am gleichen Tag hieß es auf der Facebook-Seite von JXK und YXK Frankfurt: „Heute waren wir mit vielen tollen Initiativen bei der Messe der ,Students for future Frankfurt – Klimastreikwoche‘ in der Goethe-Universität Frankfurt und haben u. a. Bücher von ,Make Rojava green again‘ verkauft. Der Angriff auf die ökologische Revolution in Rojava ist eng verbunden mit den Angriffen, welche die kapitalistische Moderne auf den gesamten Planeten Erde vornimmt“.
  • Kassel, 5. Dezember: Bei einer Veranstaltung der linksjugend [’solid] („Klimakrise und Kapitalismus-Rojava eine ökologische Revolution“) berichteten zwei Referenten von „Make Rojava green again“ über dort gemachte Erfahrungen und diskutierten mit den Teilnehmern über die ökologische Revolution.

Zentrale bundesweite Newroz-Veranstaltung in Frankfurt am Main | Wie im Jahr 2017 fand im Berichtsjahr die größte PKK-nahe Demonstration in Hessen statt. Rund 25.000 PKK-Anhänger aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland kamen am 23. März wieder nach Frankfurt am Main, um dort die zentralen Feierlichkeiten zum kurdischen Neujahrsfest zu begehen. 2017 waren es 30.000 Teilnehmer, 2018 in Hannover (Niedersachsen) 11.000 Personen gewesen.

Als Anmelder fungierte erstmals der im Januar 2019 gegründete Verein KAWA – Demokratische Föderation der Gesellschaften Kurdistan e. V. in Darmstadt. Der Verein ist Teil mutmaßlicher Strukturen des Navenda Civaka Demokratîk ya Kurdên li Almanyayê (NAV-DEM, Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e. V.). Versammlungsleiter waren PKK-Kader bzw. -Aktivisten aus Hessen und Nordrhein-Westfalen, unter ihnen die Co-Vorsitzende des NAV-DEM, Ayten Kaplan. Sie war auch 2018 in die Organisation der zentralen Newroz-Feierlichkeiten eingebunden gewesen.

Das Motto im Berichtsjahr lautete „Newroz das Fest der Freiheit – Freiheit für Abdullah Öcalan“. Die Teilnehmer liefen in zwei gleichstarken Demonstrationszügen (jeweils 9.000 bis 10.000 Personen) durch die Frankfurter Innenstadt zum Rebstock-Gelände, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Auf das Abspielen der Videobotschaft eines Vertreters der PKK Führung aus dem Kandilgebirge verzichtete der Veranstalter, da dies einen Verstoß gegen die Auflagenverfügung der Stadt Frankfurt am Main bedeutet hätte und unter Umständen zu einem Abbruch der Abschlussveranstaltung hätte führen können. Insgesamt gab es keine Störungen, allerdings stellte die Polizei im Vorfeld und im Verlauf der Kundgebung etliche Verstöße gegen das PKK-Kennzeichenverbot – in der Mehrheit verbotene und zusätzlich per Auflagenverfügung untersagte Abbilder von Abdullah Öcalan – fest. Die Polizei dokumentierte die Verstöße, woraus zahlreiche Ermittlungsverfahren resultierten.

Bereits im Zuge der bundesweiten Busanreise hatte die Polizei einen Bus aus Stuttgart (Baden-Württemberg) gestoppt und durchsucht. Dabei stellte sie Öcalan-Fahnen, sieben Klappmesser, drei Bengalo-Fackeln, eine Elektroschockpistole und ein Tierabwehrspray in Pistolenform sicher. Den Businsassen wurde ein Platzverweis erteilt und die Weiterreise zur Demonstration in Frankfurt am Main untersagt.

Regionale kurdische Neujahrsfeste fanden am 20. März in folgenden Städten statt:

  • Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg): 150 bis 170 Personen.
  • Gießen (Landkreis Gießen): 150 Personen.
  • < li> Darmstadt: 390 Personen.

Diese Kundgebungen verliefen störungsfrei. Dies gilt auch für die Feierlichkeiten am 21. März als interne Veranstaltung in Räumlichkeiten bzw. auf dem Außengelände der Universität Kassel.

„Spendensammlungen“ | Wie in den Vorjahren finanzierte die PKK ihren Kampf in den kurdischen Gebieten vor allem über „Spenden“. Dazu fanden wie üblich etwa im Zeitraum August bis März entsprechende Kampagnen in Europa statt, wobei die PKK-Führung die „Spendenziele“ für die einzelnen PKK-Gebiete vorgab. Diese Summen waren in der Regel utopisch hoch angesetzt, sodass sie nur selten erreicht wurden. Allerdings steigerte sich die „Spendenbereitschaft“ seit 2014, der Befreiung Kobanês in Syrien vom IS durch kurdische Einheiten, merklich.

2018 wurden in Deutschland etwa 15.000.000 Euro an „Spenden“ gesammelt. Das „Spendenaufkommen“ für 2019 lag noch darüber. Die Beträge variierten im Regelfall zwischen mehreren hundert Euro bei Einzelpersonen und im Einzelfall bis zu mehreren zehntausend Euro bei Geschäftsleuten. Erfahrungsgemäß forderte die PKK jeweils die „Spende“ in Höhe von bis zu einem Monatseinkommen ein. Dies war unabhängig davon, ob der Spender Gewerbetreibender oder Asylbewerber war. Die Summen waren „verhandelbar“.

Die jährliche „Spendensammlung“ ist nach wie vor ein wesentlicher Schwerpunkt der PKK-Aktivitäten in Deutschland und dient der logistischen und finanziellen Unterstützung der Gesamtorganisation. Traditionell nehmen die „Spendensammlungen“ nach dem Internationalen Kurdischen Kulturfestival an Intensität zu. In der ersten Phase kommt es zu Hausbesuchen, wobei die Höhe der von der Terrororganisation erwarteten „Spende“ festgelegt wird, anschließend wird das Geld bei „Spendensammlern“ und in „Depots“ zwischengelagert und sodann auf dem Landweg ins europäische Ausland transportiert. Als Finanzzentrale der PKK in Europa gilt Brüssel (Belgien). Dort wird das Geld entweder für den eigenen Logistik- und Propagandaapparat innerhalb Europas verwendet oder in die kurdischen Siedlungsgebiete gebracht.

In der Regel sammelt der PKK-Gebietsleiter in Begleitung von alteingesessenen Kurden bzw. PKK-Angehörigen die „Spenden“ ein. Letztere kennen alle kurdischen Familien, Firmen usw. und fahren den Gebietsleiter von Haus zu Haus oder stellen ihm ihr Fahrzeug zur Verfügung.

Seit einigen Jahren übt die PKK „nur“ psychischen Druck auf die „Spender“ aus. Wer sich verweigert, wird innerhalb der örtlichen kurdischen Community an den Pranger gestellt. So wird etwa dazu aufgefordert, bei zahlungsunwilligen Geschäftsleuten nicht mehr einzukaufen. Ab und an nimmt die PKK kriegsversehrte ehemalige Guerillakämpfer zum „Spenden“-Eintreiben mit. Wendete die PKK bis in die späten 1990er Jahre auch körperliche Gewalt bis hin zu Mord im Rahmen der „Spendensammlungen“ an, so wurden in den letzten Jahren, also auch bei der Kampagne 2018/2019, keine Hinweise auf Gewaltanwendung oder Drohungen bekannt.

Entstehung/Geschichte

1978 als eine Partei mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung gegründet, suchte die PKK mit ihren bewaffneten Einheiten seit dem 15. August 1984 die Auseinandersetzung mit dem türkischen Militär. Den Kampfhandlungen fielen seitdem mehrere zehntausend Menschen zum Opfer.

Auf einen Blick
  • Wandlungen der PKK
  • Verurteilung Öcalans
  • Umbenennungen
  • Umfeld der PKK

Wandlungen der PKK | Die ursprünglich marxistisch-leninistisch orientierte Organisation wurde am 27. November 1978 gegründet und strebte danach, durch einen Guerillakrieg einen revolutionären Umbruch zu erreichen und anschließend einen eigenen kurdischen Staat zu gründen. Im Laufe der Jahre veränderte sich diese Forderung hin zu einer konföderalen Vorstellung, die den Kurden in ihren Gebieten weitgehende kulturelle und politische Autonomie und Selbstbestimmung bringen soll. Hierzu sollen zum Beispiel ein eigenes Parlament, eigene Wirtschafts- und Finanzstrukturen, eine anerkannte eigene Sprache und eine eigene Fahne gehören. Vor allem die beiden letzten Punkte sind für die PKK besonders symbolträchtig.

Von Beginn an sah die PKK Gewalt als ein wichtiges Mittel im revolutionären Kampf an. Gewalt wurde innerhalb der Organisation – zum Beispiel gegen Abweichler – ebenso angewendet wie im Rahmen bewaffneter Aktionen und Anschläge insbesondere in der Türkei. Dabei gab es, abhängig von der jeweiligen innenpolitischen Entwicklung, immer wieder Phasen eines von der PKK verkündeten „Waffenstillstands“ gegenüber der türkischen Regierung. In Europa und Deutschland versuchte die PKK seit Jahren – zumindest nach außen hin – den Eindruck einer politischen Neuorientierung zu erwecken und sich vor allem durch ihren Kampf gegen den IS in Syrien als zuverlässige Partnerin europäischer Staaten darzustellen. Dies geschah auch deshalb, um eine Streichung von der EU-Terrorliste bzw. die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland zu erreichen.

Verurteilung Öcalans | 1998 entzog Syrien auf massiven Druck der Türkei dem PKK-Anführer Abdullah Öcalan die Unterstützung und veranlasste ihn, sein dortiges Exil aufzugeben. Nach verschiedenen Aufenthalten in Europa und Afrika wurde Öcalan am 15. Februar 1999 in Kenia festgenommen und in die Türkei gebracht. Am 29. Juni 1999 vom Staatssicherheitsgericht in Ankara zum Tode verurteilt – die Strafe wurde mit Abschaffung der Todesstrafe am 3. Oktober 2002 in lebenslange Haft umgewandelt –, befindet sich Öcalan  seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft. Für die PKK gilt der 15. Februar als „schwarzer Tag in der Geschichte des kurdischen Volkes“. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem „internationalen Komplott“.

Umbenennungen | 2002 benannte sich die PKK in Kongreya Azadî û Demokrasiya Kurdistanê (KADEK, Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans) um. 2003 folgte die Umbenennung in Kongreya Gelê Kurdistanê (KONGRA GEL, Volkskongress Kurdistans). Damit versuchte die PKK, sich von der „Stigmatisierung“ als Terrororganisation zu befreien und sich als politisch neuausgerichtete Organisation zu präsentieren.

Die unterschiedlichen Bezeichnungen der letzten Jahre hinsichtlich der Struktur und personellen Zusammensetzung führten zu keinen grundsätzlichen Umgestaltungen der PKK. Die Ursprungsorganisation bestand im Wesentlichen fort. 2005 gründete sich die Koma Civakên Kurdistan (KCK, Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans), die sich die Verwirklichung des „demokratischen Konföderalismus“ zum Ziel gesetzt hat. Darunter versteht die PKK einen nichtstaatlichen Verbund aller Kurden in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak, den sie mit eigenen Regierungsorganen und mit dem Anspruch einer eigenen Staatsbürgerschaft versieht. Die staatlichen Grenzen der Länder, in denen Kurden leben, sollen in diesem virtuellen Verbund unangetastet bleiben.

PKK und KCK sind im Wesentlichen strukturell identisch. In der Binnenkommunikation sprechen Funktionäre, Mitglieder und Anhänger – unbeschadet aller jeweils aktuellen Bezeichnungen der Organisation – seit jeher von PKK. Im Außenverkehr tituliert sich die PKK hingegen, wenn sie ihr organisatorisches Ganzes meint, als KCK.

Umfeld der PKK | Mit der PKK verbunden sind die PYD in Syrien sowie die Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK, Partei für ein freies Leben in Kurdistan) und die Partiya Çareseriya Demokratik a Kurdistanê (PÇDK, Partei für eine politische Lösung in Kurdistan) im Irak. Als Schwesterparteien wollen auch sie die Interessen von Kurden vertreten.

Die Umsetzung von PKK-Positionen geschieht insbesondere über eigene Medienstrukturen. Neben einem PKK-Fernsehsender (Stêrk-TV, Med NUCE-TV) gibt es eine eigene PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF (Sitz in den Niederlanden) sowie verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (unter anderem die vom Betätigungsverbot nicht betroffene YÖP, die in Neu-Isenburg im Landkreis Offenbach erscheint, sowie Serxwebun und Ciwanên Azad).

Ideologie/Ziele

Ziel der terroristischen PKK war ursprünglich die staatliche Unabhängigkeit der auf mehrere Staaten im Nahen Osten zersplitterten kurdischen Siedlungsgebiete. Der kurdische Staat sollte in der Türkei aus Südostanatolien, Regionen im Nordosten Syriens („Rojava“), Gebieten im Norden des Iraks und Gebieten Westirans bestehen.

Auf einen Blick
  • Autonomie in der Türkei
  • Öcalan als ideologische Führungsfigur

Autonomie in der Türkei | Die PKK behauptet, ihr Ziel der staatlichen kurdischen Unabhängigkeit zugunsten eines einheitlichen länderübergreifenden Siedlungsverbunds aller Kurden aufgegeben zu haben, in dessen Rahmen die Grenzen der betroffenen Staaten Bestand haben sollen.

Was die in der Türkei lebenden Kurden betrifft, kämpft die PKK für die staatliche Anerkennung ihrer kulturellen und politischen Identität, die in Südostanatolien mittels eines Autonomiestatus – ähnlich der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak – verwirklicht werden soll. Im Zuge des syrischen Bürgerkriegs und der Auseinandersetzungen mit dem IS streben die PKK und ihr syrischer Ableger PYD auch im Norden Syriens nach Autonomie. In dem vom IS befreiten, überwiegend von Kurden besiedelten syrischen Kanton „Rojava“ zeichnen sich bereits Strukturen einer gewissen Autonomie ab. Diese sind allerdings weit von jeglicher politischer oder eigenstaatlicher Relevanz entfernt und existieren nur aufgrund der instabilen Lage im Bürgerkriegsland Syrien. Dabei beansprucht die PKK, die Interessen aller Kurden zu vertreten.

Öcalan als ideologische Führungsfigur | Der in der Türkei inhaftierte Abdullah Öcalan fungiert weiterhin als ideologische Führungsfigur der Terrororganisation. Dies ist zum einen darin begründet, dass er einer der Gründer der PKK war und damals sogleich zum Vorsitzenden gewählt wurde. Öcalan verfasste Schriften, die noch heute als Material bei der Kaderschulung dienen. Auch nach seiner Inhaftierung hatte Öcalan jahrelang wichtige Entscheidungen der PKK inhaltlich mitgeprägt, so etwa die Zielsetzung der kulturellen und politischen Autonomie, die an die Stelle der Etablierung eines eigenen „Kurdenstaats“ trat. Seit mehreren Jahren ist allerdings nicht mehr bekannt, dass Öcalan die inhaltliche Ausrichtung der PKK mitbestimmte.

Innerhalb der Terrororganisation hat Öcalan weiterhin eine absolut herausgehobene Stellung inne. Im Laufe der Zeit wurde er immer stärker verklärt, sowohl seine Verhaftung 1999 als auch seine Einzelhaft auf der Gefängnisinsel Imrali wurden im Sinne der PKK historisiert. Insgesamt wird Öcalan schon heute als lebender Märtyrer verehrt, der wegen seines Engagements für eine „richtige und gute Sache“ zu Unrecht verfolgt, inhaftiert und isoliert worden sei. Angesichts fehlender Informationen über Öcalan und seine Situation wird vor diesem Hintergrund bei PKK-Veranstaltungen immer wieder die Forderung erhoben, dass über seinen Gesundheitszustand und seine Haftbedingungen berichtet und ein glaubhaftes Lebenszeichen von ihm gegeben wird. Bei Gerüchten über eine Verschlechterung seines Lebensumfelds oder seines Tods organisieren PKK-Anhänger sofort Solidaritätsaktionen.

Strukturen

Zahlreiche Teilorganisationen trugen die Aktivitäten der PKK:

  • Propaganda- bzw. Frontorganisation (politischer Arm): Koordînasyona Civaka Demokratîk a Kurdistan (CDK, Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft), Sitz unbekannt.
  • Dachorganisation für Europa: Kongreya Civakên Demokratîk li Kurdistaniyên Ewropa (KCDK-E, Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa).
  • Dachorganisation für Deutschland: NAV-DEM, Sitz in Düsseldorf, mit – nach eigenen Angaben – bundesweit 45 Vereinen, davon zehn in Hessen: Darmstadt, Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg), Wiesbaden, Hanau (Main-Kinzig-Kreis), Offenbach am Main, Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau), Bensheim (Kreis Bergstraße) und Kassel. Unter der Adresse des NAV-DEM firmierte die im Mai 2019 gegründete Almanya’daki Mezopotamya Topluluklar Konfederasyonu (KON-MED, Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland). Ihr gehören fünf Föderationen an, darunter die Federasyona Civakên Demokratîk ya Kurdistaniyên li Saarland û Hessen (FCDK-KAWA, Föderation der demokratischen Vereine Kurdistans e. V.) mit Sitz in Darmstadt, die auch Hessen umfasst.

Tahir Köçer, Ko-Vorsitzender des NAV-DEM und Mitglied des Vorbereitungskomitees für den zweitägigen Gründungskongress von KON-MED erklärte hierzu:

„,Die Menschen aus Kurdistan, die bis Ende der 1990er aus politischen Gründen ins Exil nach Deutschland gekommen sind, haben mit den von ihnen gegründeten Vereinen nach Lösungen für ihre kulturellen, sozialen und politischen Probleme gesucht. In den 2000er Jahren wurden in ganz Europa Räte gegründet, die auf den von Abdullah Öcalan vorgelegten Perspektiven zu einer demokratischen Nation, Autonomie und Konföderalismus aufbauen. Auch heute noch basiert unsere Arbeit auf den Volksräten‘“.

In Deutschland gibt es nach Angaben von Tahir Köçer über achtzig Volksräte, außerdem Dutzende Sportvereine, Einrichtungen der verschiedenen Glaubensrichtungen, Kultureinrichtungen sowie spezifische Organisationen von Frauen und der Jugend.

Für bestimmte Zielgruppen unterhielt die PKK sogenannte Massenorganisationen, zum Beispiel:

  • Tevgera Ciwanen Soresger (TCS, Bewegung der revolutionären Jugend).
  • Jinen Ciwanen Azad (Bewegung junger Frauen).
  • Yekîtiya Xwendekarên Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan).
  • Jinên Xwendekar ên Kurdistan (JXK, Studierende Frauen aus Kurdistan).
  • Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V. (Civika Azad).
  • Heyva Sor a Kurdistanê (HSK, Kurdischer Roter Halbmond).
Bewertung/Ausblick

Der fortwährende Konflikt in Nordsyrien ist auch für die Bundesrepublik Deutschland von gewisser Brisanz, da die hier lebenden Kurden neben den Türken die größte Migrantengruppe stellen. Kurdische, aber auch türkischen Organisationen in Deutschland betrachten die Ereignisse sehr genau, sodass aus ihren entsprechenden Reaktionen Gefährdungen des Bundes oder der Länder resultieren können. Ähnlich wie im Kontext Afrin im Berichtsjahr 2018 sind auch in Zukunft gegen Medienanstalten, Parteibüros, Flughäfen, Bahnhöfe usw. gerichtete Besetzungsaktionen möglich, die vorrangig dem Ziel dienen, öffentlich wahrnehmbar politische Forderungen zu formulieren und dadurch Unterstützung für die eigenen Positionen zu schaffen. Ziel von Demonstrationen können weiterhin die Generalkonsulate der USA und der Türkei in Frankfurt am Main sowie weiterer Einrichtungen in Hessen – vor allem der Türkei – sein.

In Anbetracht der gegenseitigen – sowohl von türkisch-nationalistischer als auch kurdischer Seite ausgehenden – Provokationen bleiben Aktionen gegen Vereine der Ülkücü-Bewegung oder gegen Türkei-nahe DİTİB-Moscheen trotz der Gewaltverzichtserklärung der PKK ein nicht zu verhinderndes Risiko. Insbesondere unter emotionalisierten kurdischen und türkischen Jugendlichen bedingt die regional starke Präsenz beider Lager eine latent gewaltbereite Wechselwirkung.

In Hessen fand eine sichtbare relevante Zusammenarbeit von PKK und Linksextremisten vor allem in Kassel und Frankfurt am Main statt, wo sich die Gruppen über ihre Tätigkeit an Universitäten bereits seit längerer Zeit vernetzt haben. Neu war im Berichtsjahr, dass in vielen Fällen die Organisation von Kundgebungen in den Händen deutscher dogmatischer Linksextremisten oder Autonomer lag bzw. diese die Initiative übernahmen und die PKK etwa in Gestalt ihrer Studentenverbände JXK und YXK sich oft nur beteiligte. Vor diesem Hintergrund ist vor allem das Wiedererstarken entsprechender Strukturen in Gießen (Landkreis Gießen) und Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) erwähnenswert. Darüber hinaus beteiligten sich türkische linksextremistische Gruppen – mit Ausnahme der Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) – an den Protesten in Hessen. Insgesamt ist zu erwarten, dass sich deutsche Linksextremisten verstärkt der Thematik „Rojava“ annehmen und weiterhin gewillt sein werden gewaltsam zu protestieren.

Der im Berichtsjahr mehr als deutliche Teilnehmerzuwachs bei der zentralen bundesweiten Newroz-Veranstaltung in Frankfurt am Main (25.000 Personen gegenüber 11.000 im Jahr 2018 in Hannover), dürfte – neben der zentralen Lage und guten Erreichbarkeit der Mainmetropole – aus folgenden Umständen resultieren: Auf die seit Ende 2018 anhaltenden Hungerstreikaktionen in der Türkei und in vielen Städten Europas reagierten Kurden in Deutschland und in der Türkei mit Selbsttötungen. Auch die andauernde Thematisierung der Isolation Öcalans mobilisierte die kurdische Diaspora immer wieder, sodass innerhalb der PKK-Anhängerschaft eine hohe Emotionalisierung gegeben war. Im Unterschied zu den Auflagenverfügungen in Hannover (Niedersachsen) waren in Frankfurt am Main für die Abschlussveranstaltung zudem Essens- und Getränkestände zugelassen, sodass dieser „Festivalcharakter“ einen Attraktionspunkt bildete.

Hinsichtlich des Sammelns von „Spenden“ wird die PKK das Vorgehen des türkischen Militärs in den kurdischen Siedlungsgebieten höchstwahrscheinlich dazu nutzen, höhere Beträge einzufordern, um dem Finanzbedarf der Terrororganisation nachzukommen. Bisherigen Erfahrungen zufolge förderten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und der PKK stets die „Spendenbereitschaft“ ihrer Anhänger. Auch die andauernde Sorge um den angeblich verschlechterten Gesundheitszustand des Anführers und Gründers der PKK, Abdullah Öcalan, könnte die entsprechende Bereitschaft steigern.

Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)

Definition/Kerndaten

In der Türkei warb die DHKP-C weiterhin für den bewaffneten „Volkskampf“, während sie in Deutschland nach wie vor gewaltfrei agierte. Die Gewaltverzichtserklärung aus dem Jahr 1999 hatte Bestand. Darin heißt es: „Die DHKP-C wird ihren Kampf gegen die unrechtmäßige Verbotsmaßnahme in Deutschland fortsetzen – offen, demokratisch und gewaltfrei. Insbesondere wird in Deutschland keine Gewalt gegen türkische Institutionen ausgeübt“. Die sogenannte Rückfront in Westeuropa diente der Terrororganisation vor allem dazu, Gelder für ihre Aktivitäten in der Türkei zu beschaffen. In Deutschland ist die DHKP-C seit 1998 mit einem Organisationsverbot belegt, seit 2002 steht sie auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. In Deutschland tritt die DHKP-C unter anderem unter der Tarnbezeichnung Anatolische Föderation auf.

Führung: Funktionärsgruppe (nach dem Tod von Dursun Karataş wurde kein neuer Generalsekretär benannt)
Anhänger/Mitglieder: In Hessen etwa 75, bundesweit etwa 580
Medien (Auswahl): Devrimci Sol (Dev Sol, Revolutionäre Linke), Yürüyüş (Marsch)
Tarnorganisation in Deutschland: Anatolische Föderation
Abgebildet ist das Logo der Anatolischen Föderation. Auf rechteckigem rotem Untergrund befindet sich in gelber Farbe eine halbe Sonne mit einem Strahlenkranz, der aus kürzeren und längeren Strahlen besteht. In der nur zur Hälfte abgebildeten Sonne befinden sich Ornamente. Abgebildet ist das Logo der Volksbefreiungsfront. Auf rechteckigem rotem Untergrund befindet sich in gelber Farbe ein fünfzackiger Stern, in dem sich wiederum in roter Farbe ebenfalls ein fünfzackiger Stern befindet. Abgebildet ist das Logo der Volksbefreiungspartei. Auf rechteckigem rotem Untergrund befindet sich in gelber Farbe ein Kreis. Darin befindet sich in roter Farbe ein fünfzackiger Stern, in dem sich wiederum in gelber Farbe Hammer und Sichel befinden.
Ereignisse/Entwicklungen

Nachdem die Polizei Anfang 2019 in Istanbul (Türkei) im Idil-Kulturzentrum zwei Grup-Yorum-Mitglieder festgenommen hatte, traten diese – ebenso wie bereits andere Gruppenangehörige – in einen unbefristeten Hungerstreik. Beide starben im April bzw. Mai 2020 infolge ihres „Todesfastens“. Vor diesem Hintergrund kam es bundesweit und in Hessen zu Solidaritätsveranstaltungen. Darüber hinaus fanden wie in den letzten Jahren Ereignisse im Zusammenhang mit dem der DHKP-C zuzurechnenden Musikerkollektiv Grup Yorum besondere Aufmerksamkeit bei deren Anhängern.

Auf einen Blick
  • „Adalet-Istiyoruz“-Kampagne (dt. „Wir wollen Gerechtigkeit“)
  • Grup Yorum
  • „Gefangenensolidarität“

„Adalet-Istiyoruz“-Kampagne (dt. „Wir wollen Gerechtigkeit“) | Anlässlich der Verhaftungen und der Maßnahmen türkischer Behörden, die sich, so eine Erklärung des Grup Yorum Solidaritätskomitees Deutschland vom 28. November, gegen Mitglieder von Grup Yorum sowie „alle Anwält*innen des Volkes“ richteten, fanden im Rahmen der Kampagne europaweit Solidaritätskundgebungen statt. Damit wollten DHKP-C-Anhänger auf die Situation der Betroffenen und die in ihren Augen unrechtmäßigen Maßnahmen sowie das Schicksal der in der Türkei in Hungerstreik getretenen Bandmitglieder aufmerksam machen. Ein Solidaritätshungerstreik hatte in Deutschland bereits am 17. Mai begonnen, wobei die Teilnehmerzahl im Durchschnitt im unteren zweistelligen Bereich lag. Weitere Veranstaltungen fanden unter anderem in Darmstadt am 7. September und am 29. November vor dem türkischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main statt. In einem im Internet veröffentlichten Beitrag des Grup Yorum Solidaritätskomitees Deutschland hieß es unter anderem:

„Mitglieder von Grup Yorum befinden sich im unbefristeten Hungerstreik, um ihre Forderungen durchzusetzen:
> Das Idil Kulturzentrum soll nicht mehr gestürmt werden
> Die Terrorlisten sollen aufgehoben werden, die Namen sollen
   gestrichen werden
> Alle gefangenen Mitglieder sollen frei gelassen werden!
> Die Konzertverbote sollen aufgehoben werden
..und aus diesen Gründen können wir, als Solidaritätskomitee in Deutschland nicht ruhig bleiben. Wir werden gegen jegliche Zensur gegenüber der Presse über die Taten die der Faschismus in unserem Land anrichtet, demonstrieren und der Wahrheit eine Stimme geben“.

(Schreibweise wie im Original.)

Grup Yorum | Eine für den 15. Juni in Frankfurt am Main geplante Kundgebung mit musikalischer Beteiligung von Grup Yorum sagten die Veranstalter ab, da die Gruppe bereits am 1. Juni in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) auftreten konnte. Zuvor hatte sich eine Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE für den Auftritt von Grup Yorum in Ludwigshafen ausgesprochen, ein anderer Bundestagsabgeordneter der Partei sprach bei der Veranstaltung selbst als Redner. Über das Konzert hieß es auf der Internetseite des Online-Nachrichten-magazins Rote Fahne News, das von der MLPD betrieben wird:

„Das Konzert in Ludwigshafen konnte stattfinden, obwohl es zeitweilig verboten war und es zudem drakonische Auflagen gab. Es war trotzdem für alle Beteiligten ein wunderbarer Abend mit mitreißenden politischen Liedern. Und trotz dieser anhaltenden Kriminalisierung wird es weiter Konzerte mit Grup Yorum geben! Es ist die Aufgabe aller fortschritt- lichen, demokratischen, antifaschistischen Menschen, die Angriffe gegen Grup Yorum zu verurteilen und sich zu solidarisieren. Hoch die internationale Solidarität! Es lebe die Brüderlichkeit der Völker! Grup Yorum ist die Stimme des Volkes!“

Nachdem bekannt wurde, dass am 22. September in Mühltal (Landkreis Darmstadt-Dieburg) im Zusammenhang mit der „Adalet-Istiyoruz“-Kampagne ein „Picknick“ unter Beteiligung von Grup Yorum stattfinden sollte, kündigte die Gemeinde den Vertrag über den hierfür angemieteten Grillplatz. Aus einem einen Tag später in Facebook veröffentlichten Video ging hervor, dass die Veranstaltung ersatzweise auf einem Grillplatz in Roßdorf (Landkreis Darmstadt-Dieburg) stattfand. Dabei spielten einzelne Personen Musikstücke von Grup Yorum. Auch in Köln (Nordrhein-Westfalen) wurde eine Veranstaltung mit Grup Yorum verboten.

Im Rahmen der „Adalet-Istiyoruz“-Kampagne fand darüber hinaus bundesweit vom 29. November bis 16. Dezember ein „langer Marsch“ statt, wobei es sich tatsächlich um hintereinander stattfindende Solidaritätskundgebungen handelte. In Frankfurt am Main versammelten sich am 16. Dezember 15 bis 20 Personen vor einem Zelt, wobei auch ein Banner mit der Aufschrift „Grup Yorum“ aufgehängt war.

Veranstaltungen wie Grup-Yorum-Konzerte dienten der DHKP-C zur Finanzierung ihrer Strukturen und Aktivitäten. Über Eintrittsgelder, inoffizielle Verkäufe – unter anderem der Zeitschrift Yürüyüş – und während der Veranstaltungen durchgeführte Spendensammlungen erschloss sich die Organisation Finanzmittel.

„Gefangenensolidarität“ | Nachdem 2016 der mutmaßliche Europaleiter der DHKP-C in Hamburg festgenommen worden war und im Dezember 2017 vor dem Hanseatischen OLG der Prozess begonnen hatte, kam es in Deutschland im Berichtsjahr immer wieder zu Solidaritätsveranstaltungen. Dabei besuchten Aktivisten der DHKP-C aus dem gesamten Bundesgebiet den Prozess. Im Februar 2019 verurteilte das OLG den Funktionär zu sechs Jahren und neun Monaten und im Juni einen weiteren DHKP-C-Funktionär zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Entstehung/Geschichte

Die DHKP-C wurde 1994 als Nachfolgeorganisation der seit 1983 in Deutschland verbotenen Dev Sol gegründet. Auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus spricht sich die DHKP-C nach wie vor für einen revolutionären Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei aus und strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft an. In Deutschland unterliegt die DHKP-C seit 1998 einem Organisationsverbot.

Auf einen Blick
  • Abspaltung von der Dev Sol
  • Grup Yorum als integraler Bestandteil der DHKP-C

Abspaltung von der Dev Sol | Die 1978 gegründete Dev Sol war eine politisch-militärische Organisation, die seit diesem Zeitpunkt in der Türkei Terroranschläge verübte. Anfang der 1990er Jahre kam es zu internen Streitigkeiten, die zu einer Spaltung der Organisation – trotz weiterhin gleicher ideologischer Grundlagen und politischer Ziele – führten. Auf einem Kongress im März 1994 spaltete sich einer der beiden Flügel auch formal von der Dev Sol ab und nennt sich seitdem DHKP-C.

1998 wurde die DHKP-C als Ersatzorganisation der bereits 1983 in Deutschland verbotenen Dev Sol eingestuft und in das damalige Verbot einbezogen. Nach einer Klage ist diese Entscheidung seit Februar 2000 bestandskräftig. In Deutschland und Europa agiert die DHKP-C seit 1999 gewaltfrei. Von der EU ist die DHKP-C seit 2002 als terroristische Organisation eingestuft.

Grup Yorum als integraler Bestandteil der DHKP-C | Ähnlich wie Yürüyüs, das vom Verbot seit 2015 mit umfasste Publikationsorgan der DHKP-C, wird das Musikerkollektiv Grup Yorum von deutschen Behörden als integraler Bestandteil der Organisation bewertet. Allerdings wurden Auftritte im kulturellen Zusammenhang und wegen eines nicht eindeutigen DHKP-C-Bezugs gerichtlich in den letzten Jahren immer wieder durchgesetzt.

Grup Yorum wurde 1985 in der Türkei gegründet. Die Band vermischt folkloristische Musik mit politischen Texten, die sie in Türkisch, Kurdisch, aber auch in speziellen Dialekten singt. Grup Yorum hat im türkischen Spektrum viele Fans und ihre Auftritte waren in der Türkei Großereignisse. Allerdings unterliegt Grup Yorum in der Türkei mittlerweile einem Auftrittsverbot. Einzelne Mitglieder wurden dort festgenommen und vor Gericht gestellt. Alben der Band wurden in der Türkei verboten.

Grup Yorum gibt auch Konzerte in Europa, unter anderem in Deutschland. Allerdings besteht gegen einzelne Mitglieder des Kollektivs ein Einreiseverbot, weswegen die Gruppe bei Auftritten durch andere Personen ersetzt werden. In der Regel wird für Konzerte eigens geworben und es wird selbst bei Auftritten im Rahmen eines Festivals mit Auftritten mehrerer Bands ein Eintrittsgeld für das Musikerkollektiv erhoben. Außerdem werden die Auftritte grundsätzlich mit politischen Reden insbesondere von DHKP-C-Funktionären oder Ansprachen befreundeter politischer Organisationen verbunden.

Ideologie/Ziele

Die DHKP-C ist marxistisch-leninistisch ausgerichtet und strebt die Schaffung einer revolutionären Situation an, mit deren Hilfe die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei überwunden werden soll. Gemäß ihrer linksextremistischen politischen Orientierung will die Organisation in der Türkei eine sozialistische Gesellschaft errichten.

Auf einen Blick
  • „Bewaffneter Kampf“ gegen die „faschistische“ Türkei
  • Agitation zugunsten „politischer Gefangener“

„Bewaffneter Kampf“ gegen die „faschistische“ Türkei | Von Beginn an sah die DHKP-C den „bewaffneten Kampf“ als unersetzliches Mittel für die Schaffung einer revolutionären Situation sowie für den Kampf gegen die „faschistische“ Türkei an und versuchte dies entsprechend umzusetzen. Dabei gehen die Verantwortlichen der Terrororganisation davon aus, dass durch den Einsatz von Guerillakräften ihr „Krieg“ gegen die Türkei zur Sache des Volks und damit erfolgreich umsetzbar würde.

Agitation zugunsten „politischer Gefangener“ | In Deutschland tritt die DHKP-C grundsätzlich gewaltfrei und wenig öffentlichkeitswirksam auf. Neben dem Sammeln von „Spenden“ und der Umsetzung ihrer Ziele agitiert die DHKP-C vor allem für die Freilassung der von ihr als „politische Gefangene“ bezeichneten Mitglieder. Aber auch Solidaritätsaktionen und Hungerstreiks für in der Türkei inhaftierte Personen stehen mittlerweile regelmäßig im Aktionsspektrum der DHKP-C. Zugleich versucht die Organisation, sich die Unterstützung auch deutscher marxistisch-leninistisch ausgerichteter Gruppierungen und Personen zu sichern.

Bewertung/Ausblick

Deutschland ist innerhalb der EU ein wichtiger finanzieller und logistischer Rückzugsraum der DHKP-C. Neben den jährlichen Spendenkampagnen dienen die Einnahmen aus den Grup-Yorum-Konzerten zur Finanzierung der Organisation. Deutschland wird als Vorbereitungsraum für terroristische Anschläge in der Türkei genutzt und ist selbst nicht das Ziel von Gewaltaktionen.

Die DHKP-C nutzt Musikauftritte von Grup Yorum sowie für die Organisation relevante (Märtyrer-)Gedenktage und gewalttätige Aktionen in der Türkei, um den Zusammenhalt unter ihren Anhängern zu stärken und sie in ihrer Motivation zu bestärken.

Extremistische Straf- und Gewalttaten mit Auslandsbezug

Das im Berichtsjahr intensivierte Demonstrationsgeschehen und die verstärkte Beteiligung aktionsorientierter deutscher Linksextremisten an PKK-nahen Demonstrationen führten zu einem markanten Anstieg (etwa 45%) in der Kategorie „andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte)“, wobei insgesamt die Anzahl der Straf- und Gewalttaten zurückging. Dabei verringerte sich die Zahl der Gewalttaten deutlich von zwölf (2018) auf vier.

2019 2018 2017 2016 2015
Deliktart
Tötung
Versuchte Tötung
Körperverletzung 3 5 1 6 6
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 3 3
Landfriedensbruch 1 1 1
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 1 3 1
Gewalttaten insgesamt 4 12 1 10 8
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 1 25 8 13 17
Nötigung/Bedrohung 2 2
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 68 47 107 48 34
Straf- und Gewalttaten insgesamt 73 84 118 71 61
Impressum