Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2019

Spionageabwehr

Spionageabwehr

Das LfV geht aufgrund seines gesetzlichen Auftrags jedem Spionageanfangsverdacht nach, stellt sich auf gesellschaftlichen, politischen und technischen Wandel ein und trägt diesem in seiner Arbeit Rechnung. Diese Arbeit wird mit einem „Rundumblick“ durchgeführt: Die Verfassungsschutzbehörden überprüfen alle Hinweise auf gegen deutsche Interessen gerichtete nachrichtendienstliche Aktivitäten, unabhängig von welchem Staat sie ausgehen.

Auf einen Blick
  • Beobachtungsschwerpunkte
  • Ziele und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste
  • Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Volksrepublik China
  • Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Russischen Föderation
  • Nachrichtendienst der Türkei
  • Nachrichtendienst der Islamischen Republik Iran
  • Nachrichtendienst der Islamischen Republik Pakistan
  • Proliferation
  • Gastwissenschaftler

Beobachtungsschwerpunkte | Zum Bereich der Spionageabwehr zählen folgende Beobachtungsschwerpunkte:

  • Geheimdienstliche Agententätigkeit/Oppositionellenaus- spähung gemäß § 99 Strafgesetzbuch (StGB),
  • Proliferation,
  • Cyberabwehr,
  • Einflussnahme fremder Staaten auf die Meinungsbildung und die Politik mittels Desinformation, Propaganda und hybrider Kriegsführung sowie
  • Staatsterrorismus.

Ziele und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste | Politik, Militär und Forschung standen nach wie vor im Fokus ausländischer Nachrichtendienste. Auch Finanz-, Wirtschafts- und Energiefragen waren weiterhin von Interesse in anderen Staaten. In Hessen befanden sich mit seinen zahlreichen Forschungseinrichtungen, nationalen und supranationalen Institutionen sowie global agierenden führenden Wirtschaftsunternehmen und großen Finanzinstituten eine Vielzahl von Objekten im Visier anderer Nachrichtendienste.

Darüber hinaus spähten ausländische Nachrichtendienste fortgesetzt in Deutschland ansässige Organisationen und Volksgruppen aus, die im Herkunftsland als Oppositionelle politisch verfolgt oder beobachtet wurden.

Die entsprechenden Staaten nutzten für ihre nachrichtendienstlichen Operationen in der Bundesrepublik Deutschland neben amtlichen Einrichtungen (zum Beispiel Botschaften, Generalkonsulaten) halbamtliche Vertretungen ihrer Länder wie etwa Presseagenturen und Fluggesellschaften. Ausländische Nachrichtendienste waren in unterschiedlicher Stärke in den jeweiligen Einrichtungen ihrer Staaten in Deutschland präsent. Auch in Hessen wurden diese als Legalresidenturen bezeichneten Stützpunkte ausländischer Nachrichtendienste unterhalten. Getarnt agierten sie aus den offiziellen Einrichtungen heraus und nutzten den Schutz des diplomatischen Status oder traten als halboffizielle Vertreter von Presseorganen, Flug- gesellschaften und Unternehmen mit staatlicher Beteiligung der Herkunftsländer auf. Dies geschah unter Ausnutzung zum Beispiel der Pressefreiheit oder in Unternehmen im Rahmen wirtschaftlicher Gepflogenheiten. Für den Banken- und Wirtschaftsstandort Frankfurt am Main als Metropole der Rhein-Main-Region galt dies in erster Linie für dort ansässige Generalkonsulate.

Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Volksrepublik China | Das von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) autoritär regierte Land hat sich – auch unter Einsatz seiner Nachrichtendienste – als wirtschaftliche und militärische Großmacht etabliert. Beobachtung und Kontrolle der Oppositionsbewegungen im Ausland blieb ein wichtiger Schwerpunkt seiner Dienste. Auch in Deutschland betrieben diese die Ausspähung der in China als „Fünf Gifte“ bezeichneten Bewegungen:

  • Mitglieder der regimekritischen Meditationsbewegung Falun Gong,
  • Organisationen von Angehörigen der muslimischen Uiguren,
  • Organisationen von Unterstützern eines autonomen Tibets,
  • Organisationen von Anhängern der Demokratiebewegung und
  • Organisationen von Befürwortern der Eigenstaatlichkeit Taiwans.

Außerdem versuchte China, Perspektiventscheidungen der G20-Staaten in der Wirtschafts-, Energie- und Finanzpolitik frühzeitig in Erfahrung zu bringen, um entsprechende eigene Strategien anzupassen.

Um politische, wirtschaftliche und militärische Informationsbeschaffung der chinesischen Dienste bei Auslandsbesuchen in China abzuwehren, sollten Besucher der Volksrepublik China insbesondere hinsichtlich der vielfältigen technischen Überwachungsmöglichkeiten des chinesischen Staates sensibilisiert sein.

Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Russischen Föderation | Politische Einrichtungen der Exekutive und der Legislative in der EU waren nach wie vor von zentralem Interesse für die beiden russischen Auslandsnachrichtendienste:

  • Der Slushba Wneschnej Raswedki (SWR, Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation) ist für zivile Objekte und Themen (speziell für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft/Technologien) zuständig.
  • Die Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU, Hauptverwaltung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation) interessiert sich für das gesamte militärische Spektrum, insbesondere für neue Technologien in der Entwicklung und im Einsatz.

Auch die Aktivitäten des russischen Inlandsnachrichtendiensts Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation) hielten auf hohem Niveau an. Vor allem die Reisen von Ausländern nach Russland ließen eine risikolose Ansprache von Personen durch den FSB auf eigenem Territorium zu. Dem FSB sind alle Grenztruppen angeschlossen, sodass bereits bei der Einreise „Vorabkontrollen“ möglich waren.

Nachrichtendienst der Türkei | Der Nachrichtendienst Millî İstihbarat Teşkilâtı (MİT, Nationale Nachrichtendienstorganisation) ist der mit Exekutivbefugnissen ausgestattete In- und Auslandsnachrichtendienst der Türkei. Die Kernaufgabe des Dienstes besteht in der Ausspähung von Oppositionellen. Darüber hinaus versuchte der MİT, Einfluss auf die Meinungsbildung in Deutschland zu nehmen.

Eine wichtige Vorfeldorganisation für die Einflussnahme auf politischer und gesellschaftlicher Ebene im Sinne der Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) ist die türkische Diasporaorganisation Union Internationale Demokraten (UID), die in Hessen mit einigen Verbänden organisiert ist. Die UID vertritt die Interessen der türkischen Regierung in Deutschland und Europa und ist die inoffizielle Auslandsorganisation der türkischen Regierungspartei AKP.

Nachrichtendienst der Islamischen Republik Iran | Der iranische Nachrichtendienst Vezarat-e ettela’at jomhuri-ye eslami-ye iran/Ministry of Intelligence (VAJA/MOIS) ist ein ziviler In- und Auslandsnachrichtendienst, der seit Jahren in Deutschland aktiv ist. Neben dem VAJA/MOIS waren auch der Auslandsaufklärungsdienst der Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC, Iranische Revolutionsgarden) insbesondere an der Ausspähung iranischer Oppositioneller sowie projüdischer bzw. proisraelischer Einrichtungen beteiligt.

Nachrichtendienst der Islamischen Republik Pakistan | Wie der Iran verfügt auch Pakistan über mehrere Nachrichtendienste. Der führende und wichtigste pakistanische Dienst ist der Inter-Service Intelligence (ISI). Neben primär Militärangehörigen rekrutiert der ISI sein Personal auch aus der Zivilbevölkerung und ist unter anderem für die Auslandsaufklärung zuständig. Vor dem Hintergrund des seit Jahrzehnten zwischen Pakistan und Indien virulenten Konflikts unterstützten pakistanische Dienste antiindische Gruppierungen, forschten pakistanische Oppositionelle aus und betrieben Medienbeeinflussung bzw. Gegenpropaganda.

Proliferation | Im sicherheitspolitischen Zusammenhang bezeichnet der Begriff Proliferation die Weiterverbreitung bzw. die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen sowie den Erwerb passender Trägersysteme und entsprechender Technologien an Staaten, die bislang nicht über solche Waffen verfügen. Neben dem Import kompletter Waffensysteme umfasst Proliferation auch die illegale Beschaffung von Komponenten, relevanten Technologien und Herstellungsverfahren sowie die Abwerbung wissenschaftlich-technischen Personals.

Vor diesem Hintergrund waren Massenvernichtungswaffen weiterhin ein machtpolitisches Instrument, das sowohl in regionalen als auch in internationalen Krisensituationen die Stabilität eines gesamten Staatengefüges erschüttern kann. Insbesondere Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien versuchten im Rahmen der Proliferation solche Waffen zu erwerben und weiterzuverbreiten, indem sie etwa die Transportwege über Drittstaaten verschleierten. Ziel solcher nachrichtendienstlichen Maßnahmen war es, Kontrollmechanismen über Drittstaaten, die nicht besonderen Embargo-Vorschriften unterliegen, zu umgehen.

Bezüglich der im Iran sowie in Nordkorea, Pakistan und Syrien tätigen Firmen sind folgende Aspekte, Hinweise und Anhaltspunkte, die eventuell auf proliferationsrelevante Aktivitäten hinweisen, zu berücksichtigen:

  • Der tatsächliche Verbleib der Güter ist unklar und kann nicht plausibel erklärt werden.
  • Der Kunde kann nicht erklären, wofür das Produkt gebraucht wird.
  • Der beabsichtigte Verwendungszweck weicht erheblich von der vom Hersteller vorgegebenen Produktbestimmung ab.
  • Der Kunde handelt üblicherweise mit militärischen Gütern.
  • Die Person, die als Käufer auftritt, verfügt nicht über das erforderliche Fachwissen.
  • Die tatsächliche Identität eines Kunden ist nicht bekannt.
  • Es werden ohne erkennbaren Grund Zwischenhändler eingeschaltet, gegebenenfalls aus dem Ausland (sogenannte Umweglieferung).
  • Der Kunde wünscht eine außergewöhnliche Etikettierung oder Kennzeichnung bzw. Beschriftung, um die Güter neutral zu bezeichnen.
  • Angebotene Zahlungsbedingungen sind besonders vorteilhaft, wie zum Beispiel Barzahlung, hohe Vorauszahlungen oder ungewöhnliche Provisionen.
  • Der Käufer verzichtet auf das Einweisen in die Handhabung, auf Serviceleistungen oder auf Garantie.
  • Firmenangehörige werden zu Ausbildungszwecken zur Herstellerfirma nach Deutschland geschickt, obwohl eine Einweisung vor Ort praktischer und sinnvoller wäre.
  • Mitglieder von Besucherdelegationen werden namentlich nicht vorgestellt.
  • Zu weiteren Geschäftskontakten nach Deutschland wird geschwiegen.
  • Neutrale Handelsfirmen täuschen den Verkäufer über den tatsächlichen Kauf durch staatlich gesteuerte Unternehmen
  • Hochschulen des jeweiligen Landes treten als Empfänger auf, um die Identität des Endkunden zu verschleiern.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich für Unternehmen, die möglicherweise proliferationsrelevante Waren ausführen, sich zu Detailfragen bei eventuell genehmigungspflichtigen Sachverhalten unmittelbar mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Verbindung zu setzen.

Gastwissenschaftler | Der wissenschaftliche Austausch von Studierenden und ausgebildeten Fachkräften zwischen Universitäten und Forschungseinrichtungen ist zwar politisch und wirtschaftlich gewollt und sinnvoll, dennoch geschieht dies oft mit Kenntnis der jeweiligen ausländischen Nachrichtendienste. Relevante Staaten mit illegalen Beschaffungsmethoden sind insbesondere Iran, Nordkorea und Pakistan.

Beispiel hierfür ist der Bereich Elektrotechnik im Verbund mit dem Einsatz von Zentrifugen im Prozess der Urananreicherung. Hier gibt es immer wieder Verdachtsmomente, dass ausländische Nachrichtendienste eigene Gastwissenschaftler unter Druck setzen, um das gewünschte technische Know-how zu erlangen. Ein weiteres Beispiel für nachrichtendienstliche Steuerung ist der Forschungsaustausch von Universitätsinstituten in dem Sektor chemisch-biologischer Verfahren.

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