Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen
Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH)
Die IBD ist innerhalb des Rechtsextremismus ein relativ neues Phänomen, das sich „modern“, „intellektuell“ und aktionsorientiert präsentiert. Typisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie etwa „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ gehören nicht zum Vokabular der IBD, stattdessen verwendet sie „Identität“ und „Ethnie“ als Chiffren. Hierdurch versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe medienwirksamer Aktionen vor allem internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen, um eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung zu etablieren. Vor allem über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien versucht sie, Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene zu erreichen. So sagte ein Vertreter der Identitären Bewegung (IB): „Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht“. (Schreibweise wie im Original.)
Bundesvorsitzender: |
Daniel Fiß (Mecklenburg-Vorpommern) |
Angehörige: |
In Hessen etwa 80, bundesweit mehr als 500 |
Medien: |
Internetpräsenzen, Publikation Identitärer Aktivist |
Wie im Jahr 2016 nahmen sowohl bundes- als auch hessenweit die Aktivitäten der IB im Berichtsjahr zu. Sie versuchte größtmögliche mediale und öffentliche Aufmerksamkeit zu erringen. In einem Interview sagte ein führender Angehöriger der Identitären Bewegung: „Wir sind kreativ, dynamisch und überraschend. […] Wir adaptieren Aktionen der Studentenbewegung oder von Greenpeace: Begrenzte Regelübertretung, ziviler Ungehorsam, Überraschungsmoment und ja, auch Spaßaktionen. Letztere haben ein enormes Potential, denn nichts hat die linke Multikulti-Schickeria weniger als Humor“. Über die einzelnen Aktionen veröffentlichte die IBD Berichte mit Fotos bzw. Videos auf ihrem Facebook-Profil. Auf diese Weise versuchte sie nicht nur neue Angehörige zu werben, sondern auch die eigenen Aktivisten zu motivieren. So hieß es in einem Beitrag der IBH auf Facebook: „Wenn einheimische Frauen vor vermeintlichen Flüchtlingen fliehen müssen, dann ist das die vorhergesehene Folge einer völlig verfehlten Politik der Massenmigration zum Zweck des ›Großen Austauschs‹. Wehre auch DU Dich und komm in (die) Bewegung!“
Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihrer Facebook-Seite auf den Protest gegen die Migrations- und Asylpolitik. Wie in den Vorjahren brachte die IBH Banner und Plakate an, unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Kassel sowie im Lahn-Dill-Kreis.
Ende Mai führte die IBH anlässlich des Schlossgrabenfestes in Darmstadt eine Banneraktion unter dem Motto „Schlossgrabenfest 2017 – Feiern unter Polizeischutz, offener Grenzen sei Dank“ durch.
Am 28. Juli ließ die IBH-Ortsgruppe Kassel gemeinsam mit der Regionalgruppe Thüringen rund 200 schwarze und gelbe Luftballons als „Zeichen gegen die Instrumentalisierung der documenta14“ an der Orangerie und am Schlosspark Wilhelmshöhe in Kassel steigen. An den Ballons waren Flyer bzw. Stellungnahmen der IBH zur documenta14 angebracht, „deren politisch abgerichtete Kunst die Zerstörung unserer Identität zelebriert“. Hiermit widersetze sich die IB der
„gescheiterten Agenda einer multikulturellen Gesellschaft, die vor allem den Völkern der abendländischen Welt trotz allem offenkundigen Misslingens aufgezwungen werden soll.“
Mitte August führte die IBH eine „Pantomime“ unter dem Motto „Das Schweigen der Lämmer“ anlässlich der documenta in Kassel auf. Auf der Facebook-Seite der IBH hieß es hierzu:
„Unser Straßentheaterstück stellt in starker Symbolsprache dar, was eine Politik der offenen Grenzen und der massenhaften Migration für Deutschland bedeutet. Das Volk wird ausgeblutet – und schweigt!“
Die Inschrift am Kasseler Fridericianum „Being safe is scary“ kritisierte die IBH als das
„immer gleiche Narrativ, demzufolge Migration immer und uneingeschränkt positiv ist, selbst wenn immer mehr Menschen Mord, Raub, Vergewaltigung und Körperverletzung durch Migranten zum Opfer fallen – Menschen, die wie Schafe auf dem Altar der politschen Korrektheit geopfert werden.“ (Schreibweise wie im Original.)
Weitere symbolische Aktionen führte die IBH am 20. August in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) unter dem Motto „Terror als Normalzustand? Nicht mit uns!“ und am 17. September in Fulda (Landkreis Fulda) unter dem Motto „Wer sind die nächsten Opfer, Frau #Merkel?“ durch. Eine ähnliche Aktion fand im Dezember in Frankfurt am Main statt. Hierbei stellten IBH-Angehörige weiße Kreuze und Grablichter auf. Zu der Aktion in Marburg hieß es auf Facebook: „Wir werden den Terror und dessen Verharmlosung nicht hinnehmen. Wir sind die letzte wehrhafte Generation Europas“. Ihre Aktion in Fulda begründete die IBH unter anderem mit der angeblichen „Selbstaufgabe der eigenen Werte, wie es mit der zunehmenden Islamisierung geschieht“. Anlässlich des Jahrestags des Terroranschlags auf einen Berliner Weihnachtsmarkt brachten IBH-Angehörige in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) Banner an einem Einkaufszentrum an, um der Angehörigen und der Verletzten zu gedenken, was Politiker „ein Jahr lang nicht für nötig befunden“ hätten: „Sie sind Opfer zweiter Klasse in den Augen unserer Politiker! An den Händen Merkels klebt ihr Blut“.
Darüber hinaus brachten IB-Aktivisten in Wiesbaden, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und im Lahn-Dill-Kreis Aufkleber an und verteilten Flugblätter in Marburg und Frankfurt am Main. Außerdem veranstaltete die IBH verschiedene Stammtischtreffen.
Aktivisten aus Hessen beteiligten sich auch an besonders medien- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen der IBD:
Am 19. Mai versuchten in Berlin etwa 50 IB-Aktivisten in das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zu gelangen, was die Polizei jedoch verhinderte. Vor dem Gebäude zeigten die Aktivisten Banner mit den Aufschriften „Zensurministerium“ sowie „Alles schon vergessen? Gegen Zensur und Meinungsverbote“ und schwenkten Fahnen der IBD. Der Protest richtete sich gegen den Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG). Die IBD sprach auf Facebook von einem „Netzwerkdurchsuchungsgesetz“, das als „trojanisches Pferd für eine massive Meinungseinschränkung“ dienen solle.
Gleichfalls in Berlin führten am 17. Juni Regionalgruppen der IBD und ausländische Aktivisten der IB eine Demonstration unter dem Motto „Zukunft Europa“ in Berlin durch, an der zeitweise etwa 850 Personen teilnahmen. Aufgrund mehrerer Blockaden durch Gegendemonstranten wurde der Aufzug nach mehreren hundert Metern abgebrochen.
Auf Facebook charakterisierte die IBD den Berliner Wedding, wo die Demonstration stattgefunden hatte, als einen Stadtteil,
„in dem der Anteil von Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund nahezu 84,5 Prozent beträgt. Hier manifestiert sich der Große Austausch, der von den Etablierten geleugnet, aber immer sichtbarer wird“.
Anfang August startete die IB im Rahmen ihrer Kampagne „Defend Europe“ vor der libyschen Küste ihre erste „Mission“ gegen angebliche „Schlepperaktivitäten“ von Nichtregierungsorganisationen (NGO), deren Ziel es war, Flüchtlinge aus dem Meer zu retten. Für ihre Kampagne hatte die IBD ein Schiff angemietet, das sich mehrere Wochen im Mittelmeer aufhielt. Mit ihrer Kampagne wollte die IB den „NGO-Wahnsinn“ beenden und die „mögliche Zusammenarbeit mit den Schleppern“ dokumentieren. Die IB-Aktivisten, die unter anderem aus Deutschland kamen, beendeten ihre Aktion am 17. August.
Klage gegen Beobachtung durch den Verfassungsschutz | Am 28. September veröffentlichte die IBD auf ihrer Facebook-Seite einen Beitrag, wonach sie „im Rahmen ihrer ,Verfassungsschützer‘-Kampagne dem Bundesminister des Innern […] eine Unterlassungsklage zugestellt und weitere optionale gerichtliche Schritte angekündigt“ habe. Darin habe sie den Innenminister aufgefordert, die
„weitere Beobachtung der Identitären Bewegung einzustellen und die Nennung in den jährlichen Verfassungsschutzberichten zu unterlassen. Das gleiche gilt für öffentliche Äußerungen, in denen die Identitäre Bewegung als ,rechtsextrem‘ bezeichnet wird. Denn nichts davon basiert auf einer validen Argumentationsgrundlage.“
Die IBD hatte bereits zuvor angekündigt, gegen die Verfassungsschutzbehörden zu klagen und für diese Kampagne eine eigene Homepage eingerichtet.
Neue Publikation Identitärer Aktivist | Im Juni brachte die IBH erstmals ihre Publikation Identitärer Aktivist heraus, die im Berichtszeitraum in insgesamt drei Ausgaben erschien. Das Redaktionsteam verfolgte damit drei Ziele:
- „Einen kleinen Einblick in unsere politische Arbeit als am schnellsten wachsende Jugendbewegung Europas zu geben.“
- „Die Meinungsvielfalt an Universitäten und Fachhochschulen wieder in ein Gleichgewicht zu bringen.“
- „Nach und nach an allen hessischen Schulen patriotische Schüler zu erreichen.“
Rechtsextremistisches Merchandising | Darüber hinaus bot die IBD, um Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe zu erreichen, über eigene Online-Versandhäuser Material für den „patriotische[n] Aktivist[en]“ an. Das Warenangebot umfasste unter anderem T-Shirts, Aufkleber („Revolte gegen den großen Austausch“, „Multikultur ist eine Lüge!“) und Flugblätter.
Die IBD gründete sich im Oktober 2012 als Facebook-Gruppe und erhielt in kürzester Zeit große Zustimmung. Die Anzahl der Likes im Internet stieg von rund 1.600 Ende 2012 auf mehr als 64.000 Anfang 2018. Die IBD sieht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire – Le mouvement social européen, der späteren Génération Identitaire (GI), hervorgegangen war.
Die Anhänger der IB in Deutschland wurden zunächst „virtuell“ im Internet, dann aber auch zunehmend „real“ aktiv, indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der IB zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien. Zu der Veranstaltung wurden im Internet unter anderem folgende plakative programmatische Schlagworte veröffentlicht:
„Europa steht auf dem Spiel. Keine Kinder. Massenzuwanderung. Dekadenz & Kulturverfall. Islamisierung. Selbsthass. Fremdenliebe. Wirtschaftskrise. Asylbetrug. Rechtsfreie Räume. Scharia-Zonen. Migrantengewalt. Political Correctness. Wenn wir jetzt nichts tun, waren wir die letzte freie Generation Europas. Wir müssen jetzt handeln! Reconquista oder Eurabia.“
In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mit Plakat- und Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente. In der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die
„Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern. Er widersetzt sich insbesondere der fortschreitenden Globalisierung und der Verdrängung der deutschen Identität aus immer mehr Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens.“
Die IB stellt sich in ihrer Ideologie gegen den Gleichheitsgedanken des Grundgesetzes. „Kulturfremde“ Einflüsse hält sie für schädlich; Folge ihrer politischen Bestrebung ist letztlich Ausgrenzung.
Politische Eckpunkte | Auf ihrer Internetseite definiert die IBD vier „Säulen unserer politischen Arbeit“: „Metapolitik“, „Aktivismus“, „Gemeinschaft“, „Ausbildung“. Unter „Metapolitik“ versteht die IBD den „Kampf um Begriffe, um das Sagbare, letztlich auch um das Denken“. Damit versucht die IBD „jene Europäer“ zu gewinnen, die das „Establishment“ angeblich längst vergessen habe: „Jugendliche ohne Migrationshintergrund“.
Da „materielle Werte“ zu wenig Sinn stifteten, so die IBD, sei es ihr Ziel, „echte Gemeinschaften“ zu etablieren. Außerdem wolle sie „tiefgründige Analysen
und Lösungen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen“ liefern.
„Metapolitik“ | In einer Kulturrevolution, so die IBD in dem Internet-Beitrag „Metapolitische Räume – Macht und Moral“, sei es der „68er Bewegung und dem akademischen Überbau der Frankfurter Schule“ gelungen, die „konservativen Wurzeln“ Nachkriegsdeutschlands („Familie als Keimzelle des Volkes“, „Sittlichkeit und Anstand“) „aus dem Boden zu reißen“. Aus einer „rein subjektivistischen Perspektive“ hätten die „68er“ damals wie heute für eine bessere und gerechtere Gesellschaft gefochten – auf der „grundideologischen Basis […], dass das Subjekt nicht in eine höhere Ordnung eingebunden sei“. Damit seien eine „politische Moralblase“ und die linksliberale Ideologie einer „Konsenskultur“ geschaffen worden. Nun allerdings bekomme, so die IBD, die „illusorische Traumblase der Linken zunehmend Risse“, da Vorstellungen und reale Ereignisse auseinanderklafften.
Die „Neue Rechte“, so die IBD, müsse „linke Dogmen“ nicht nur widerlegen, sondern einen „moralischen Gegenentwurf zeichnen“:
„Eine Gemeinschaft muss auf mehr aufbauen als nur auf Verfassungsgarantien und abstrakten Menschenrechten. Sie braucht einen gemeinsamen Identitätsrahmen, der sich aus der geschichtlichen Kontingenz ableitet und dabei auf einem ethnokulturellen Fundament aufbaut.“
Vor diesem Hintergrund betont die IBD die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und befindet sich damit in der Nähe zur völkischen Ideologie von Rechtsextremisten. Das Subjekt, das heißt den Menschen, nimmt die IBD nicht primär in seiner Individualität, sondern vorrangig in Bezug auf seine ethnische Herkunft und seine Eingebundenheit in die „Gemeinschaft“ wahr.
„Großer Austausch“ | Mit dem Begriff „Großer Austausch“ bezeichnet die IBD die „Tendenz einer schrittweisen Verdrängung der einheimischen Bevölkerung zugunsten fremder und zumeist muslimischer Einwanderer“. In einer Internet-Veröffentlichung „Was heißt für euch eigentlich ,Identität‘?“ definiert die IBD dagegen als „kollektives Merkmal unserer Identität“ den „ethnokulturelle[n] Aspekt, der für uns den Kern des politischen Handelns darstellt“:
„Wir glauben, dass sich jedes Volk dieser Erde durch seine besondere Verschiedenheit auszeichnet und in seiner Lebensart, seinen Wertvorstellungen, seiner Kultur, Herkunft, Religion und seinen sozialen Praktiken immer etwas Einzigartiges ist. Jedes Volk hat demnach auch das Recht, diese Eigenschaften und Merkmale seiner ethnokulturellen Identität zu bewahren und zu verteidigen. Genau diese Bewahrung fordern wir auch für unsere eigene deutsche und europäische Identität ein“.
„Ethnokulturelle Gemeinschaft“ | Nur wer ein „ehrliches und aufrechtes Verhältnis von sich selbst und dem Eigenen“ definiere, könne „gleichzeitig dem Anderen offen und anerkennend in der Verschiedenartigkeit begegnen“. Diese „inhaltliche Positionierung“ erteile, so die IBD,
„jeglichem Rassismus und Chauvinismus eine klare Absage, da es uns stets um die Betonung des Rechts auf Bewahrung der Identität für jedes Volk und jede Kultur geht und wir eine qualitative Auf- oder Abwertung einer bestimmten ethnokulturellen Gemeinschaft klar ablehnen. Wir wollen daher auch die Identität des deutschen Volkes in ihrer Besonderheit neben den vielen weltweit nebeneinanderstehenden Völkern in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit bewahren. Die ethnische und die kulturelle Seite unserer Identität sind dabei für uns gleichwertig. Die Überbetonung eines Teilaspekts der Identität lehnen wir ab“.
Unter dem Titel „Nationalismus vs. ethnokulturelle Identität“ versuchte die IBD den Vorwurf zu entkräften, sie sei nationalistisch. In dem entsprechenden Internet-Beitrag hieß es: „Wir Identitären sind nicht nationalistisch! […] Unsere Idee ist auch keine nationale, sondern eine europäische“. Zurzeit zerfalle der „europäische Kulturkreis“ nicht in einzelne Nationen, sondern gehe „als Gesamtes“ zugrunde:
„Jedes Volk Europas wird zwischen den liberalistischen Walzen der Masseneinwanderung, des Konsumwahns und des Werteverfalls zerrieben. Alle europäischen Völker verlieren ihre Identität und vergessen ihre Geschichte und ihre Kultur. Niemals war es wichtiger, dass die Europäer sich als solche begreifen und sich nicht durch nationalistische Ressentiments bei der Findung eines gemeinsamen und starken Überlebenswillens selbst im Wege stehen.“
In einer Positionsbestimmung unter dem Titel „Nationalismus revisited“ führte die IBD aus, dass Nationalismus mit „Subjektivismus, Werteverfall, Sinnentleertheit“ und der „Auflösung aller Dinge“ gleichzusetzen sei:
„Er würde einen fanatischen Krieg nach außen, Totalitarismus und Vereinheitlichung nach innen, biologistische und darwinistische Betäubungen gegen eine echte Sinnfrage bedeuten. Letztlich würde er damit keine Antwort auf die großen Fragen bedeuten, die heute das ganze Dasein umstellen und es in den Nihilismus treiben.“
Dem setzt die IBD entgegen:
„Wenn wir für den Erhalt unserer Identität kämpfen, tun wir das nicht ,egoistisch‘ oder ,nur für uns‘. Wir […] kämpfen gegen eine globale Tendenz der Vereinheitlichung, der Entzauberung, Entfremdung und Vermassung, gegen die Vernichtung von Freiheit, Vielfalt, Behausung und Verwurzelung.“
Für den „kulturellen Verfall (die identitäre Schwäche) in den Einwanderungsländern“ sei, so die IBD, der Liberalismus verantwortlich. Er müsse als Ideologie überwunden werden, da er Traditionsgebundenheit in „atomisierenden Individualismus“ verwandele.
„Tugenden des Widerstandes“ | Unter Rückgriff auf den Topos des Widerstandsrechts folgert die IBD:
„Der Widerstandsfall nach GG Art. 20 Abs. 4 ist eingetreten. Unsere öffentliche Ordnung, unsere (Rechts-)Staatlichkeit und innere Sicherheit sind fundamental gefährdet. […] Unsere Regierung schadet unserem Land und unserem Volk – andere Abhilfe als oppositioneller Widerstand ist derzeit nicht möglich. Gleichzeitig ist jede Anwendung von Recht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den jede Situation erfordert, gebunden. Das Recht auf Widerstand in unserer jetzigen Situation rechtfertigt zivilen Ungehorsam, keine Gewalt.“
Als historisches Vorbild „in der jetzigen Situation“ benennt die IBD – in krasser manipulativer Umdeutung und Verzerrung der deutschen Geschichte – die „Akteure der Weißen Rose“, die als Jugendgruppe Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime geleistet hatten:
„Aus ihrem Opfer für Deutschland ist Kraft zu schöpfen. Nicht nur durch den exemplarischen Mut, den diese Widerständigen bewiesen, sondern gleichfalls durch die historische Kontinuität, die uns heute mit ihnen verbindet, ist die Legitimität von Widerstand offenbar: Deutschland, das Land der Deutschen, die den Souverän dieser Republik bilden, ist in Gefahr. Als es das letzte Mal durch eine Tyrannis in Gefahr war, mussten sich die Wenigen ebenso gegen die Vielen erheben.“
Symbolik | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandisingartikeln den griechischen Buchstaben (Lambda), der durch die Comicverfilmung „300“ aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert das antike Sparta und den letztlich aussichtslosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferisch-entschlossene Spartaner im Kampf gegen die persischen Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildersprache und sieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ in der Tradition der Spartaner.
Laut ihren Facebook-Auftritten gliederte sich die IBD bundesweit in 15 Regionalgruppen, eine davon ist die IBH. Das die Regionalgruppe IBH umfassende Gebiet schloss auch Gebiete jenseits der hessischen Landesgrenze mit ein: den rheinland-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis und den „Regierungsbezirk Rheinhessen“.
In Hessen bestanden Ortsgruppen in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel/Nordhessen, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Darmstadt, Fulda (Landkreis Fulda), Wiesbaden, Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) sowie im Lahn-Dill-Kreis und im Schwalm-Eder-Kreis. Die Anzahl der Ortsgruppen hat sich damit gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.
Die IBH konnte gegenüber dem Vorjahr die Anzahl ihrer Ortsgruppen von fünf auf zehn verdoppeln. Dies zeigt die Dynamik dieser Bewegung. Zugleich stellt ihre Propaganda in modernem Design, ihre Internet-Affinität und die dem linken politischen Protestspektrum entlehnte Agitationsweise eine Gefahr der Einflussnahme auf die junge Generation dar. In einem modernen Layout wird die verfassungsfeindliche Botschaft transportiert.
Neben der anwachsenden Dynamik und den jugendaffinen Aktionsformen geht von der IB zudem die Gefahr aus, dass sie mit ihrer Begriffswahl den Anschluss in die Mitte der Gesellschaft erreichen kann. So ersetzt sie Begriffe wie „Rasse“ durch die in der Gesellschaft nicht negativ besetzten Begriffe der „Ethnie“ und „Kultur“.
Die Anhänger der IB argumentieren mit einem (pseudo)intellektuellen Anspruch. Ihre Ausführungen kommen, anders als in der Neonazi- oder rechtsextremistischen Musikszene, nicht plump daher. Ihre Protagonisten entstammen zum Teil dem anspruchsvollen Bildungsbürgertum und richten sich infolgedessen auch an dieses.
Der Rekurs auf das grundgesetzliche Widerstandsrecht impliziert eine Agitation außerhalb des pluralen Meinungsbildungsprozesses. Diese Ideologie ist geeignet, Aktionsformen über das Verbale hinaus zu legitimieren.