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Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2017

Flüchtlinge im Visier von Extremisten

Flüchtlinge im Visier von Extremisten

Auch im Berichtsjahr bildeten die Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik zentrale Themen in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen. Mit der Angst vor „kultureller Überfremdung“ sollten Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Diese fremdenfeindliche Agitation birgt das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten führen kann.

Diskreditierung von Flüchtlingen | Mit ihrer fremdenfeindlichen Agitation versuchten Rechtsextremisten, in der Bevölkerung die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge zu diskreditieren. Insbesondere seit dem Bekanntwerden herausragender Ereignisse wie der beiden Tötungsdelikte in Freiburg im Breisgau (Baden-Württemberg) und Kandel (Rheinland-Pfalz), bei denen zwei Frauen von Flüchtlingen getötet wurden, wurde mit der von Asylbewerbern bzw. Migranten ausgehenden Kriminalität seitens der Rechtsextremisten agitiert.

Sozialneid, Aufrufe zur Gewalt, Drohungen | Darüber hinaus führten Rechtsextremisten im Internet Sozialneid-Debatten. Besonders in sozialen Netzwerken wurde zum Teil offener Hass gegen Flüchtlinge und damit pauschal Fremdenfeindlichkeit geschürt. Rechtsextremistische Parteien und Organisationen posteten im Internet aus ihrer Sicht erfolgreiche Aktionen. Dabei handelte es sich zum Beispiel um Flugblattverteilungen und das Anbringen von Bannern. Im Berichtsjahr ging in Hessen die Zahl dieser Aktionen im Vergleich zum Vorjahr zurück.

Rückgang rechtsextremistischer Aktionen | In geringerer Zahl als im Vorjahr waren von rechtsextremistischen Parteien initiierte und beworbene Demonstrationen Bestandteil des gegen die Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichteten Protests. In Hessen kam es am 26. August in Fulda (Landkreis Fulda) zu einer Demonstration von ca. 100 Anhängern der Partei Der Dritte Weg unter dem Motto „Asylflut stoppen. Heimat, Familie, Tradition“.

Beispiele für fremdenfeindliche Straftaten | Übergriffe auf Flüchtlinge, Asylbewerber, Erstaufnahmeeinrichtungen und Unterkünfte werden durch die Sicherheitsbehörden weiterhin mit Sorge betrachtet. Im Berichtsjahr kam es zu weniger Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte. In Hessen sind folgende Fälle hervorzuheben:

  • Im Februar kam es in Alsbach-Hähnlein (Landkreis Darmstadt-Dieburg) zu einer schweren Brandstiftung an einer Asylbewerberunterkunft. Unbekannte Täter warfen einen Brandsatz vor eines der Fenster. Der Brand konnte von den Bewohnern selbst gelöscht werden. An der Gebäudefassade entstand Sachschaden, Personen wurden nicht verletzt.
  • In Beselich (Landkreis Limburg-Weilburg) sprühten unbekannte Täter im Februar rote Hakenkreuze an die Fassade und den Briefkasten einer Asylbewerberunterkunft.
  • Eine weitere Tat ereignete sich im März in Beselich (Landkreis Limburg-Weilburg). Auch hier sprühten Unbekannte ein Hakenkreuz an die Hauswand der Flüchtlingsunterkunft.
  • In Kassel kam es im Juni zu einer Straftat an einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In unmittelbarer Nähe wurden der Schriftzug „Sieg Heil“ und weitere Parolen und Symbole aufgebracht.
  • Im Dezember machten sich vier Täter in Laubach (Landkreis Gießen) eines Landfriedensbruchs schuldig. Die maskierten Täter schlugen mittels Baseballschläger Scheiben einer Asylbewerberunterkunft ein. Zwei Flüchtlinge, die angegriffen wurden, konnten sich in Sicherheit bringen. Als Motiv nannten die Täter eine fremdenfeindliche Einstellung.

Für die menschenverachtende Agitation gegen Flüchtlinge können folgende Beispiele genannt werden:

  • Ein unbekannter Facebook-Nutzer kommentierte einen Beitrag zum Thema „Finanzierung von Flüchtlingen“ mit folgenden Worten: „Dieses dreckige Viehzeug. Schickt sie dahin, wo sie hergekommen sind. Da können sie im Dreck nach Essen wühlen. Denen fehlt mal voll fett eine aufs Maul dreckiges Gesindel.“ (Schreibweise wie im Original.)
  • Auf der Facebook-Seite „Merkels Neubürger“ wurden folgende Kommentierungen eingestellt: „Gleich abknallen diese Schweine“, „Jedes Schwein ist mehr wert als dieses Dreckspack. Schweine bringen wir täglich genug um……warum nicht auch dieses dreckige Ausländerpack?“ und „Wir holen uns diesen Menschenmüll hier freiwillig hin! …heute hätten wir die richtige Brennstäbe für die Öfen!“ (Schreibweise wie im Original.)

Entwicklung der gegen Flüchtlingsunterkünfte, Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer gerichteten Straftaten | In Hessen gab es im Berichtszeitraum sieben (2016: 25) Straftaten, die sich gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte richteten; diese entfielen alle auf den Bereich PMK – rechts –. Die Anzahl der Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge belief sich auf 50 (2016: 72), davon entfielen 46 (2016: 67) auf den Bereich PMK – rechts –. Gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer waren zwei Straftaten zu verzeichnen (2016: drei), davon entfiel eine (2016: zwei) auf den Bereich PMK – rechts –. Die Zahl dieser Straftaten lag somit auf einem gleichbleibend niedrigen Niveau bei sinkender Tendenz.

Linksextremismus und Extremismus mit Auslandsbezug | Das Themenfeld „Antirassismus“ blieb für Linksextremisten grundsätzlich ein wichtiger Aktionsbereich. Allerdings beschränkten sich solche Aktivitäten im Berichtsjahr weitgehend auf lokale oder regionale Projekte. Größere Bedeutung gewannen die begonnenen Rückführungen von Geflüchteten in ihre Heimatländer, zum Beispiel nach Afghanistan, oder die Einrichtung sogenannter Abschiebehafteinrichtungen, zum Beispiel auch in Darmstadt. Deswegen kam es zu demonstrativen Aktionen, die friedlich verliefen.

Im Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug war festzustellen, dass die Bemühungen extremistischer Gruppierungen, Flüchtlinge gezielt anzusprechen und für ihre Sache zu gewinnen, auch auf Grund der deutlich zurückgegangenen Anzahl der Geflüchteten nicht mehr von Bedeutung waren.

Islamismus/Salafismus | Seit August 2015 wurden bundesweit und auch in Hessen vermehrt Kontaktaufnahmen zu Flüchtlingen bzw. entsprechende Versuche oder entsprechende Vorbereitungshandlungen von Islamisten festgestellt, bei denen überwiegend von einem missionarischen Hintergrund auszugehen ist. Hierbei handelte es sich um Fälle, in denen auch mittels Unterstützungs- und Hilfeleistungen versucht wurde, Flüchtlinge für islamistische Weltbilder zu gewinnen.

Flüchtlinge frequentierten zudem extremistische oder extremistisch beeinflusste Moscheen. Ob sie gezielt für diese Besuche angeworben oder angesprochen wurden, ist nicht in allen Fällen bekannt.

In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass die Unterstützung hier lebender Muslime und muslimischer Organisationen für Flüchtlinge nicht pauschal als islamistische Missionierung oder Radikalisierung vorverurteilt werden dürfen.

Eine besondere Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden ist zudem bei der Einreise von Mitgliedern, Unterstützern und Sympathisanten islamistischer Organisationen gegeben. Unter den nach Deutschland geflüchteten Personen befanden sich zum Teil auch solche, die vor ihrer Flucht im Herkunftsland in unterschiedlichem Maße in jihadistische Organisationen eingebunden gewesen sein sollen oder waren.

Bisweilen offenbaren sie diese Aktivitäten im Kontakt mit den Behörden. Dabei schildern sie beispielsweise den Aufenthalt in einem islamistisch-terroristischen Trainingslager oder die Auseinandersetzung mit Regierungskräften des Herkunftslandes.

Intensiver Aufklärung erfordert das Entdecken von Terroristen unter Flüchtlingen. So gehen die Sicherheitsbehörden Hinweisen zu Personen nach, die unter dem Deckmantel der Migrationsbewegungen zur Erfüllung eines terroristischen Auftrags nach Europa gelangt sein sollen.

Nicht zu unterschätzen ist zudem die Problematik, dass antisemitische Weltbilder auch unter einigen Flüchtlingen bestehen.

Bewertung – Maßnahmen | Die Zahl der Übergriffe auf Asylunterkünfte ging im Berichtsjahr deutlich zurück. Der Hauptgrund dürfte die Entwicklung der Flüchtlingszahlen sein. Viele Unterkünfte konnten deshalb geschlossen werden. Obwohl die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge mittlerweile stark sinkt, ist davon auszugehen, dass die rechtsextremistische Agitation gegen Flüchtlinge anhalten wird. Bei entsprechend öffentlichkeitswirksamen, emotionalisierenden Ereignissen besteht die Gefahr der schlagartigen Intensivierung der Agitation.

In Hessen kam es bisher überwiegend zu den Deliktsfeldern Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Sachbeschädigung durch fremdenfeindliche Farbschmierereien und Brandstiftung. Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befürworten, damit zu Gewalttaten anstoßen bzw. selbst schwerwiegende Straftaten gegen Flüchtlinge oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Hierbei kann es auch zu Todesopfern kommen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Themen „Flüchtlinge“ und „Flüchtlingspolitik“ auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden.

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