Autonome
Autonome sind undogmatische und organisationskritische Linksextremisten, die sich an verschiedenen, zum Teil diffusen kommunistischen und anarchistischen Deutungsmustern orientieren. Das staatliche Gewaltmonopol lehnen Autonome ab und sehen eigene Gewaltanwendung („Militanz“) zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele als legitim an. Starren Organisationsstrukturen stehen „klassische“ Autonome kritisch bis ablehnend gegenüber und beharren stattdessen auf ihrer Selbstbestimmtheit. Autonome organisieren sich daher in losen Gruppen, zwischen denen oft nur aktions- und anlassbezogene lockere Netzwerke bestehen.
Teile der autonomen Szene sind in den letzten Jahren allerdings von diesem Selbstverständnis abgerückt. Die mangelnde Strategie sowie die Organisations- und Theoriefeindlichkeit „klassischer“ Autonomer erachten sie als wenig zielführend: Anstelle der Revolution bevorzugt dieser Teil der Szene, der sich selbst als postautonom bezeichnet, eine langfristige Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Hierfür greifen Postautonome gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf und setzen auf eine auch das gesamte linksextremistische Spektrum umfassende Bündnispolitik, die eine Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Akteuren ausdrücklich einschließt. Dementsprechend vermeiden Postautonome in der Regel ein offenes Bekenntnis zur Gewalt. Stattdessen verwenden sie eher unbestimmte Begriffe wie „ziviler Ungehorsam“ oder sprechen davon, „Polizeiketten durchfließen“ zu wollen. Damit bieten Postautonome für ihre „Aktionen“ einen weiten Interpretationsspielraum, der sowohl gewaltorientierten als auch gewaltablehnenden Personen eine Teilnahme ermöglicht.
Die bundesweit bedeutendsten postautonomen Organisationen sind die Interventionistische Linke (IL) und das sich selbst als „kommunistisch“ definierende Bündnis …umsGanze! Während die Gruppe kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt Teil des …umsGanze!-Bündnisses ist, sind in der IL die Gruppen d.o.r.n. (Kassel), d.i.s.s.i.d.e.n.t. (Marburg), IL Darmstadt und IL Frankfurt organisiert.
Aktivisten: |
In Hessen etwa 400, bundesweit etwa 7.500 |
Regionale Schwerpunkte: |
Frankfurt am Main, Marburg, Gießen, Kassel, Darmstadt |
Medien (Auswahl): |
Swing (Erscheinungsweise mehrmals jährlich),
Internetpräsenzen |
Die Vorgehensweisen linksextremistischer und insbesondere autonomer Gruppierungen werden exemplarisch in der direkten Auseinandersetzung mit dem „politischen Feind“ sichtbar. Hier wird auch deutlich, dass Linksextremisten für sich beanspruchen, festzulegen, wer „faschistisch“ ist und wer nicht. Diese Vereinnahmung der Deutungshoheit führt im Ergebnis zu einer Polarisierung in der öffentlichen Wahrnehmung von politischer Betätigung (Schwarz-Weiß-Denken). Es finden wiederholt Angriffe auf Grundrechte und die freiheitliche demokratische Grundordnung statt. Dies geschieht unabhängig davon, wie letztlich die Sicherheits- und Verfassungsschutzbehörden die Gruppierungen und Organisationen bewerten, denen diese Angriffe gelten. Die G20-Proteste waren bundesweit das herausragende Thema der linksextremistischen Szene. Die gewalttätigen Protestaktionen zeigten erneut, dass die autonome Szene auf logistische Strukturen zurückgreifen kann, die ihr zum Teil vergünstigt zur Verfügung gestellt werden.
Linksextremistische Aktionen gegen die AfD | Linksextremisten nahmen die AfD als zentralen „faschistischen“ Feind ins Visier und leiteten aus ihrem „antifaschistischen“ Kampf die Legitimation ab, Straf- und Gewalttaten zu verüben. Verstärkt wurde das Aktionsniveau durch den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017, zu der auch die AfD angetreten war.
In verschiedenen hessischen Regionen fanden Veranstaltungen und Aktionen gegen die AfD und ihre Repräsentanten statt:
- Im Februar erschien auf dem inzwischen verbotenen linksextremistischen Internetportal linksunten.indymedia.org ein Outing eines AfD-Funktionärs aus dem nordhessischen Raum. Unbekannte behaupteten darin, der Funktionär habe Kontakt zur „rechtsextremen Kameradschaftsszene“ gehabt.
- Mittels Interneteinträgen zu AfD-Politikern aus dem Rheingau-Taunus-Kreis wurden diese unter anderem als „Göbbels-Double“ bezeichnet bzw. es wurde öffentlich die private Wohnanschrift mit einem Abwesenheitshinweis preisgegeben.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt solcher Veröffentlichungen zeigt sich, dass Linksextremisten nach willkürlicher Art Datenschutz- sowie Persönlichkeitsrechte übergehen und Feindbilder nach eigenen Maßstäben schaffen und bekämpfen.
Von der autonomen Plattform Antifa United Frankfurt (AUF) ausgehend wurde die Kampagne „Make racists afraid again“ geführt, deren Höhepunkt und vorläufigen Abschluss eine Demonstration am 25. Februar in Frankfurt am Main bildete. Die Gruppierung kündigte an: „Der Wahlkampf geht los und die AfD RassistInnen trauen sich aus ihren Einfamilienhäusern. Nicht ohne unseren Widerstand!“ (Schreibweise wie im Original.) Zudem kommentierten Angehörige der AUF:
„Über unsere Blase von Facebook und Indymedia hinaus konnten wir in großen Frankfurter Zeitungen – relativ vorurteilsfrei und ausführlich – über militanten Antifaschismus und die Konzepte (hinter) antifaschistischer Praxis sprechen.“
Die autonome Plattform AUF rief etwa dazu auf, eine „Veranstaltung zu stören und der AfD ihren Wahlkampf zu vermiesen!“ Stellenweise, wie etwa am 26. August in Frankfurt am Main, konnten körperliche Angriffe durch Autonome auf den politischen Gegner nur durch die Präsenz der Polizei verhindert werden.
Mit dem Themenfeld „Antifaschismus“ gelang es Linksextremisten immer wieder, den Schulterschluss mit nichtextremistischen Gruppierungen und dem bürgerlichen Protest zu finden. Deutlich wurde dies etwa im organisatorischen Aufbau der Veranstaltung „Wie viel rechte Hetze muss die Öffentlichkeit dulden?“, die am 12. Dezember im DGB-Haus in Darmstadt stattfand. Neben Beteiligten aus den Bereichen Gewerkschaft, NGO, Kommunalpolitik und Medien war es vor allem die linksextremistische IL Darmstadt, die für diese Veranstaltung verantwortlich zeichnete. In der öffentlich einsehbaren Einladung wurde die Moderation des Podiums durch Aktive der IL angekündigt.
Im April riefen auch hessische aktions- und gewaltorientierte Linksextremisten dazu auf, gegen den AfD-Bundesparteitag in Köln (Nordrhein-Westfalen) zu protestieren. Die Aktionen wurden bereits rund einen Monat vor dem Parteitag durch die Gruppierung kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt im DGB-Jugendclub U68 in Frankfurt am Main vorbereitet.
Im November mobilisierten Autonome und Postautonome aus dem Rhein-Main-Gebiet zu Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Hannover. Hierzu lud die IL Frankfurt zu einem Mobilisierungstreffen in das Café KoZ in Frankfurt am Main ein.
„Antifaschismus“: Kampagne „make racists afraid again! Kampagne gegen Naziterror und Rassismus“ und Demonstration am 25.Februar in Frankfurt am Main | Anfang des Jahres wurde von dem autonomen Bündnis AUF die Kampagne „make racists afraid again! Kampagne gegen Naziterror und Rassismus“ ins Leben gerufen. Laut AUF sei es deren Ziel, Nazis in ihrem Umfeld zu outen, AfD-Veranstaltungen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass sich Rassisten nicht mehr in ihre Stammkneipe trauen. Das Begehen szenetypischer Straftaten wurde offen gefordert.
Den Höhepunkt der Kampagne bildete die am 25. Februar in Frankfurt am Main durchgeführte Demonstration unter dem Motto „Rechtem Gedankengut entschlossen entgegentreten!“ Tatsächlich nahmen rund 1.000 Personen an dem überwiegend friedlich verlaufenen Demonstrationszug teil, der auch am Büro des Landesverbands der AfD vorbeiführte. An der Aufzugspitze formierte sich ein schwarzer Block, auch wurden einige Böller sowie Raketen gezündet.
Links-Rechts-Auseinandersetzungen in Mittelhessen | Auch im Berichtsjahr kam es im Bereich Mittelhessen erneut zu Links-Rechts-Auseinandersetzungen. Diese hatten hauptsächlich ihren Schwerpunkt in der Universitätsstadt Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Es kam zu einigen Sachbeschädigungen an Pkw sowie zu Angriffen auf Burschenschaftshäuser mit Farbbeuteln, Steinwürfen, Feuerwerkskörpern, zum Teil auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. Zu den Aktionsformen gehörten auch Outings angeblicher Rechtsextremisten. In der Tendenz war eine Steigerung der Intensität der Auseinandersetzungen erkennbar.
„Antirassismus“: Demonstrationen gegen Abschiebungen und Protestaktionen der Kampagne „Kein Schlussstrich – Tag X“ | Im Themenfeld „Antirassismus“ kam es im Berichtsjahr zu mehreren Demonstrationen gegen Abschiebungen, an denen sich Linksextremisten beteiligten. So demonstrierten unter dem Motto „Abschiebestopp nach Afghanistan – jetzt“ am 11. Februar etwa 800 Personen in Wiesbaden. Hierzu hatten der Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden (AKU), AUF sowie die antirassistische Gruppierung noborderffm aufgerufen.
Am 6. Dezember versammelten sich auf dem Flughafen Frankfurt am Main unter Mitführung von Fahnen und Plakaten etwa 560 Teilnehmer zu einer Kundgebung unter dem Motto „Es reicht! – Keine Abschiebung mehr nach Afghanistan!“ Die friedlich verlaufene Veranstaltung wurde von dem AKU und noborderffm unterstützt.
„Anti-Gentrifizierung“/„selbstverwaltete Freiräume“: Hausbesetzungen | Im Juni besetzte eine Personengruppe im Bereich der Universität Kassel das Gebäude Mönchebergstraße 42. Laut eigenem Bekunden wollten die Besetzer ganz im anarchistisch geprägten Sprachgebrauch „solidarisch den alltäglichen Erzählungen von Konkurrenz und Verwertbarkeit etwas Großartiges entgegensetzen“. Man setzte hierbei eigenmächtig voraus: „Dieser Raum gehört uns allen“ und bezeichnete sich selbst, ebenfalls im anarchistischen Anklang, als „ständig wachsendes Kollektiv“. Als Sprecherin für die Hausbesetzer trat eine nordhessische Anarchistin öffentlich auf.
Aus dem linksextremistischen Spektrum kam es zu sogenannten Solidaritätserklärungen. Die Gruppierungen d.o.r.n. und T.A.S.K. etwa thematisierten die Besetzung, das OAT-Marburg (Offenes Antifa Treffen in Marburg) befürwortete die Besetzung,
„weil hier dieser beschissenen Gesellschaft mit ihren faschistoiden Elementen der Raum genommen wird um ihn für etwas Besseres, etwas Schöneres und etwas Emanzipatorisches zu nutzen. Das Schaffen von Freiräumen ist aktiver Antifaschismus.“ (Schreibweise wie im Original.)
Noch im Juni fand die polizeiliche Räumung des Gebäudes statt, in deren Anschluss es zu tumultartigen Protesten kam.
„Antikapitalismus“: Gewalttätige Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg | Anlässlich des Gipfels der G20 am 7. und 8. Juli in Hamburg fanden dort seit dem 2. Juli zahlreiche Protestaktionen mit insgesamt mehreren zehntausend Teilnehmern statt, unter ihnen etwa 8.000 gewaltbereite Linksextremisten, aus deren Reihen es insbesondere zwischen dem 6. und 8. Juli zu schwersten gewalttätigen Ausschreitungen in der Innenstadt kam (476 verletzte Polizeibeamte und Sachschäden in Millionenhöhe). Als Reaktion auf die Ereignisse entstand in Politik und Medien eine Debatte über ein verschärftes Vorgehen gegen linksextremistische Strukturen. In den Fokus der Diskussionen rückte vor allem der Umgang mit linksextremistischen Szeneobjekten, aber auch das im August bekanntgegebene Verbot der wichtigsten linksextremistischen Internetplattform, linksunten.indymedia.org, fand bundesweit Aufmerksamkeit.
Mobilisierungsphase und „militante Begleitkampagne“ | Den Protesten vorausgegangen war eine monatelange -bundes- und europaweite Mobilisierungskampagne, an der sich – neben zahlreichen nichtextremistischen Organisationen – auch türkische und kurdische Linksextremisten sowie nahezu die gesamte bundesweite linksextremistische Szene beteiligten. Letztere war durch die linksextremistischen Organisationen IL und das …umsGanze!-Bündnis federführend im bedeutendsten Vorbereitungsbündnis, dem bundesweiten und Spektren übergreifenden NoG20-Bündnis engagiert. Darüber hinaus existierten mehrere Vernetzungsstrukturen, die ausschließlich aus gewaltbereiten linksextremistischen Gruppierungen bestanden. Während das NoG20-Bündnis versuchte, durch eine thematisch breite und konsensfähige Ausrichtung sowohl Nichtextremisten als auch Linksextremisten und Extremisten mit Auslandsbezug in einem Bündnis zu vereinigen, sprachen sich die anderen Vernetzungsstrukturen deutlich für „militante“ Aktionen während des Gipfels aus.
Gefördert wurde die Gewaltbereitschaft durch eine bereits im Mai 2016 von autonomen und anarchistischen Gruppen initiierte „militante Begleitkampagne“, in deren Rahmen es im Vorfeld des G20-Gipfels zu schadensträchtigen Anschlägen auf Gebäude und Fahrzeuge von Banken, Unternehmen, Polizei, Bundeswehr und sonstigen staatlichen Einrichtungen kam. Von den etwa 140 Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kampagne zu verzeichnen waren, wurden sechs Aktionen in Hessen verübt. Zunächst kam es in Frankfurt am Main am 21. Oktober 2016 zu Stein- und Flaschenwürfen auf die Baustelle des ehemaligen Philosophicums der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bei weiteren Aktionen im Berichtsjahr kam es ebenfalls in Frankfurt am Main zu Brandanschlägen, bei denen drei Firmenfahrzeuge, drei Zivilfahrzeuge des Zolls sowie ein Schaufelbagger in Brand gesetzt wurden. Zudem wurde am 25. Juni in Frankfurt am Main ein Ausbildungszentrum der Deutschen Bank erheblich beschädigt.
Generell war die linksextremistische Szene in Hessen bei der Mobilisierung für die Proteste gegen den G20-Gipfel sehr aktiv. Landesweit (unter anderem in Kassel, Fulda, Marburg, Gießen und Darmstadt) gab es über 50 entsprechende Veranstaltungen, die teilweise auch von Organisationen aus dem Bereich des dogmatisch-legalistischen Linksextremismus wie etwa von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), der Gruppe Arbeitermacht (GAM) und deren Jugendorganisation Revolution (REVO) durchgeführt wurden.
Die meisten Mobilisierungsaktivitäten gingen von autonomen und postautonomen Gruppen aus Frankfurt am Main aus. Die autonome Gruppierung siempre*antifa Frankfurt/M engagierte sich gemeinsam mit der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Gießen (A.R.A.G.) im gewaltorientierten Fight-G20-Bündnis. Weiterhin unterstützten sowohl die Frankfurter Ortsgruppe der IL als auch die im …umsGanze!-Bündnis vertretene Gruppierung kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt die Tätigkeit von IL und des …umsGanze!-Bündnisses im bundesweiten NoG20-Bündnis. Gleichzeitig gründete sich mit NoG20 Rhein-Main ein regionaler Ableger des Bündnisses.
Ziel von NoG20 Rhein-Main war es, eine gemeinsame Mobilisierung aller an den Protesten interessierten Gruppen und Personen aus dem Rhein-Main-Gebiet zu erreichen. Hierfür veranstaltete NoG20 Rhein-Main am 5. März und 10. Juni in Frankfurt am Main Aktionskonferenzen und rief zu einer gemeinsamen Anreise nach Hamburg mit einem vom bundesweiten NoG20-Bündnis organisierten Sonderzug auf. Zu weiteren Anreisen kam es mit angemieteten Bussen sowie mit anderen öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln.
Verlauf der Proteste gegen den G20-Gipfel | Die erste Phase der Gipfelproteste vom 30. Juni bis 5. Juli war geprägt von der Auseinandersetzung zwischen den Gipfelgegnern und der Stadt Hamburg hinsichtlich der Genehmigung zweier Protestcamps als Übernachtungs- und Rückzugsmöglichkeit für anreisende Demonstranten. An den geplanten Standorten der Camps kam es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.
Höhepunkt der Proteste und zugleich Schauplatz der äußerst gewalttätigen Ausschreitungen waren die Tage vom 6. bis 8. Juli. Ausgangspunkt war eine Demonstration am Abend des 6. Juli unter dem Motto „Welcome to hell“, die aus dem Umfeld der Roten Flora angemeldet worden war. Die Polizei stoppte die Demonstration mit etwa 12.000 Teilnehmern, da sich rund 1.000 Personen in einem schwarzen Block vermummt hatten und somit gegen das Versammlungsgesetz verstießen. Auf den Versuch der Polizei, den schwarzen Block von den übrigen Teilnehmern zu trennen, reagierten Demonstranten mit Stein- und Flaschenwürfen und griffen die Polizisten mit Stöcken, Eisenstangen und Holzlatten an. Daraufhin setzten die Einsatzkräfte Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Nachdem die Anmelder wenig später die Demonstration für beendet erklärt hatten, zogen Personen aus dem schwarzen Block in Kleingruppen durch die Innenstadt, begingen Sachbeschädigungen, entzündeten Barrikaden und griffen Polizisten mit Wurf- und Zwillengeschossen an.
Für den 7. Juli hatten die Gipfelgegner einen „Tag des zivilen Ungehorsams“ angekündigt. Mit zahlreichen über den gesamten Tag verteilten Aktions- und Blockadeformen sollte der Gipfelablauf gestört und die Hamburger Infrastruktur kurzzeitig lahmgelegt werden. Parallel dazu zogen mehrere Gruppen gewaltbereiter Linksextremisten durch die Innenstadt. Zahlreiche Gebäude wurden beschädigt, Brandanschläge auf Kabelleitungen der Deutschen Bahn verübt, ein Polizeihubschrauber angegriffen und eine Vielzahl von Fahrzeugen in Brand gesetzt.
Den Abschluss der Proteste gegen den G20-Gipfel bildete am 8. Juli eine internationale Großdemonstration mit dem Motto „G20 – not welcome“. Unter den etwa 50.000 Teilnehmern befand sich ein Block mit Anhängern der mit einem Betätigungsverbot belegten PKK sowie weitere Gruppen kurdischer und türkischer Linksextremisten. Aus einem „internationalistischen Block“, der ebenfalls am Demonstrationszug teilnahm, griffen etwa 120 vermummte Personen Polizeikräfte an.
Insgesamt beteiligten sich an den verschiedenen Protestaktionen während des G20-Gipfels etwa 8.000 gewaltbereite Linksextremisten sowie – im unteren vierstelligen Bereich – Anhänger linksextremistischer kurdischer und türkischer Organisationen. Die Polizei nahm 186 Personen vorläufig fest und weitere 225 in Gewahrsam. Zwei der Festgenommenen sowie acht der in Gewahrsam Genommenen hatten einen Haupt- oder Nebenwohnsitz in Hessen. Zum Schutz des G20-Gipfels wurden über 20.000 Polizeibeamte eingesetzt. Insgesamt wurden 476 Einsatzkräfte verletzt, hierunter 149 hessische Polizeibeamte.
Reaktionen | Die linksextremistische Szene bewertete die Gipfelproteste als Erfolg. Eine klare Distanzierung von den Gewaltexzessen gab es kaum, zumal die Szene Gewalt generell als legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung betrachtet. Auf ihrer Facebook-Seite zitierte die Gruppierung kritik&praxis – radikale linke [f]rankfurt am 11. Juli folgende Passage aus „EIN GRUSS AUS DER ZUKUNFT[.] MITTEILUNG DES ..UMS GANZE!-BÜNDNIS ZUM VERLAUF DER G20-PROTESTE IN HAMBURG“ (Schreibweise wie im Original):
„Wenn die Kids aus dem Viertel gemeinsam mit Aktivist*Innen aus ganz Europa eben jenen Bullen, die beide aufs übelste drangsalieren, mal zeigen, dass das Blatt sich auch – zumindest für ein paar Stunden – wenden kann, wenn der hochgerüstete Sicherheitsstaat mal ein wenig die Kontrolle verliert, dann ist das gut und nicht schlecht. Hoffnung ist tatsächlich immer aus Rebellion entstanden, aber für die gab es vorher nie eine Genehmigung von Oben. Die Frage, wie man ,so etwas’ in Zukunft verhindern und den Protest möglichst keimfrei gestalten kann, überlassen wir daher gern den Bürokrat*innen des Bestehenden auf beiden Seiten der Barrikade. Denn verwunderlich ist weniger, dass es knallt, als dass es das gemessen am herrschenden Wahnsinn viel zu selten tut.“
Diskussion über Konsequenzen | In der öffentlichen Auseinandersetzung hinsichtlich möglicher Konsequenzen entwickelte sich auch eine bundesweite Debatte über den Umgang mit linksextremistischen Szeneobjekten. Insbesondere die Tatsache, dass sich viele Treffpunkte im Besitz von Städten und Kommunen befinden, die der Szene Objekte häufig kostengünstig zur Nutzung überlassen werden, stieß vielerorts auf Unverständnis. In Hessen wurde die Debatte vor allem in Frankfurt am Main geführt und durch einen Medienbericht über ein G20-Nachbereitungstreffen im Café ExZess forciert: Hier hatten Teilnehmer, so der Zeitungsbericht, „große Zufriedenheit“ über den militanten Verlauf der Proteste artikuliert. Einige Aktivisten, die in Hamburg vor Ort waren, berichteten von einer positiven Stimmung. Ein Teilnehmer schwärmte von den Flaschenwürfen auf die Polizei: „Das war eine tolle Stimmung, so viel Unterstützung. Das will ich hier in Frankfurt auch haben“. Infolgedessen fokussierte sich die Diskussion über linksextremistische Szeneobjekte auf das Café ExZess und das ehemalige Polizeigefängnis Klapperfeld, die im Besitz der Stadt Frankfurt am Main sind und den jeweiligen Trägervereinen zur Nutzung überlassen werden.
Verbot der linksextremistischen Internetplattform linksunten.indymedia.org | Das nach den Protesten gegen den G20-Gipfel am 25. August vom Bundesminister des Innern verfügte Verbot der linksextremistischen Internetplattform linksunten.indymedia.org hatte erhebliche Auswirkungen auf die bundesweite linksextremistische Szene. In Baden-Württemberg wurden Durchsuchungen in mehreren Objekten und bei führenden Mitgliedern und Unterstützern von linksunten.indymedia.org durchgeführt. Die Internetplattform war die zentrale Kommunikationsplattform im Bereich des gewaltorientierten Linksextremismus in der Bundesrepublik. Dort wurde fortlaufend öffentlich zum Begehen von Straftaten aufgefordert, dazu angeleitet oder verübte Straftaten gebilligt. Auf der Plattform fanden sich zum Beispiel Gewaltaufrufe gegen Polizeibeamte sowie Anleitungen zum Bau von zeitverzögerten Brandsätzen und die Aufforderung, diese auch zu verwenden. Als Reaktion auf das Verbot veröffentlichte die linksextremistische Szene zeitnah Solidaritätsbekundungen und rief zu entsprechenden Aktionen und Spenden für die vom Verbot betroffenen Personen auf. Letztere reichten Klage gegen das Verbot ein, über die jedoch noch nicht entschieden wurde. Unabhängig hiervon gelang es der linksextremistischen Szene im Berichtsjahr nicht, eine vergleichbare zentrale Internetplattform zu etablieren. Sie nutzt andere verfügbare Plattformen.
„Antirepression“: Demonstration „Finger weg von unseren Strukturen“ | Am 28. Oktober fand in Frankfurt am Main eine Demonstration der linksextremistischen Szene unter dem Motto „Finger weg von unseren Strukturen“ statt. Die von AUF und Rote Hilfe e. V. (RH) Frankfurt organisierte Demonstration übte einerseits Solidarität mit der verbotenen Internetplattform linksunten.indymedia.org und richtete sich andererseits gegen die angebliche Zunahme staatlicher Repression gegenüber linken Strukturen und Szeneobjekten im Nachgang des G20-Gipfels. Ebenfalls thematisiert wurden der Wahlerfolg der AfD bei der Bundestagswahl sowie ein zu dieser Zeit in München laufender Prozess gegen zehn Mitglieder der linksextremistischen Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML, Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten). Zu der Demonstration hatten zahlreiche linksextremistische und insbesondere autonome Gruppen aus Hessen aufgerufen. Mit 700 Teilnehmern übertraf die friedlich verlaufene Demonstration die zuvor angemeldete Teilnehmerzahl von 200 Personen deutlich.
Die autonome Bewegung wurzelt in den europaweiten Studentenprotesten der späten 1960er und 1970er Jahre. In dieser Zeit entstand die Selbstbezeichnung Autonome. Für die große Öffentlichkeit zum ersten Mal erkennbar agierten Autonome, als sie 1980 in Bremen gegen die Vereidigung von Bundeswehrrekruten demonstrierten. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Als breite eigenständige Bewegung waren Autonome seit Anfang der 1980er Jahre auszumachen. Sie waren zunächst vor allem in der „Friedens“- und in der „Anti-Atomkraftbewegung“ sowie bei Hausbesetzungen aktiv. Autonome agierten gewalttätig gegen die in Wackersdorf (Bayern) geplante Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe und lieferten sich an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Mit der Zeit erschlossen sich die Autonomen weitere Aktionsfelder, die in der Regel durch eine „Anti“-Haltung gekennzeichnet sind: „Antifaschismus“, „Antirepression“, „Antirassismus“, „Anti-Gentrifizierung“, „Antimilitarismus“. „Antikapitalistische“ Einstellungen von Autonomen, die im „Kapitalismus“ die Wurzel allen Übels sehen, bilden die Grundlage für diese Aktionsfelder.
Gemeinsame Vorstellungen der Autonomen | Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des „kapitalistischen Systems“ zugunsten einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch „Kapitalismus“, „Rassismus“ und „Patriarchat“ unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrach-ten die Autonomen die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im Kapitalismus. Imperialismus und vor allem Faschismus sind in den Augen der Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung.
Themenfelder | Ihren „Anti“-Haltungen und Feindbildern entsprechend definieren Autonome ihre politischen Aktivitäten (zum Beispiel „Antifaschismus“ – gegen „Rechte“ bzw. „Nazis“ – oder „Antirepression“ – insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare -Vertreter des „staatlichen Repressionsapparats“). Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine „antikapitalistische“ Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnis- und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen insbesondere Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen.
„Antikapitalismus“ | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die kapitalistische Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Kapitalismus gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zwecke instrumentalisieren.
„Antifaschismus“ | Vor allem das Themenfeld „Antifaschismus“ zeichnet sich für Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische „Antifaschismus“-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst „faschistisch“ oder „faschistoid“ zu sein. „Faschist“ ist demnach jeder, der linksextremistische Überzeugungen nicht teilt. Sobald die Bewertung „Faschist“ vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten.
Unter „Antifaschismus“ verstehen Linksextremisten bzw. Autonome nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven „Kampf gegen Rechts“ mit dem „Kampf gegen das Ganze“, das heißt gegen das „bürgerlich-kapitalistische System“, gleich: Erst wenn der „Kapitalismus“ beseitigt sei, sei die Gefahr des Faschismus als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt.
„Antirassismus“ | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden medialen Berichterstattung sowie der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit versucht das linksextremistische Spektrum, mit -„Aktionen“ in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szene-eigene Verständnis von „Antirassismus“ möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik, sondern Autonome wollen vor allem nachweisen, dass Staat und Gesellschaft selbst „rassistisch“ sind und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssen. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Autonome in dieser Diktion als „rassistisch“: „Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“.
„Anti-Gentrifizierung“/„selbstverwaltete Freiräume“ | Der Begriff „Gentrifizierung“ beschreibt den sozial-ökonomischen Wandel von Stadtvierteln, in denen vor allem die Preise für Wohnungen sowie die Mieten steigen. Die Wohnbevölkerung wechselt, indem ärmere Bevölkerungsgruppen weg- und soziale Gruppen mit deutlich höherer Kaufkraft hinzuziehen. Gegen diese Entwicklung formieren sich in den betroffenen Vierteln häufig Protestbündnisse aus alteingesessenen Bewohnern und insbesondere Studenten, die sich für günstigen Wohnraum in den Innenstädten einsetzen.
Linksextremisten schließen sich diesen Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre „antikapitalistische“ Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da die von ihnen genutzten „selbstverwalteten Freiräume“ – also autonome Szeneobjekte – häufig selbst seitens des Eigentümers für entsprechende „Luxussanierungen“ vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind.
Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein „Mittel zum Zweck“, sondern ebenso einen Akt der „individuellen Selbstbefreiung“. Die regelmäßig in der Szene geführte „Militanzdebatte“ beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers diskutierten Frage, ob sich Gewalt „nur“ gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer „Aktionen“ verletzt oder sogar getötet werden.
Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind drei Hauptströmungen – Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale – zu unterscheiden. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über nicht weiter präzisierte „antikapitalistische“ und „antifaschistische“ Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens.
Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den „Kapitalismus“ bedingte „imperialistische“ Politik westlicher Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von „antiimperialistischen Befreiungsbewegungen“ etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische Befreiungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel.
Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als „rechtsradikal“ oder „islamfaschistisch“. Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit widersprechen Antideutsche dem „antimilitaristischen“ und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher „Kriegstreiberei“ vor. Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten unterstellen sie – ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemeinen – antizionistische und antisemitische Einstellungen.
Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die phasenweise in der autonomen Szene in Hessen prägend war und weiterhin präsent ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher.
Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im „Kapitalismus“ zwangsläufig imperialistisch. Kriege seien nur „Ausdruck der notwendigen Konflikte“ im kapitalistischen System, da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus „antifaschistischer“ Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu.
Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den „historischen Sonderweg“ Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale „Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden“ eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel bei aller Solidarität mit dessen Volk einen „kapitalistischen“ Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei.
Szeneschwerpunkt | Frankfurt am Main war – wie in der Vergangenheit – sowohl personell als auch strukturell der Szeneschwerpunkt in Hessen. Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen ist in der Stadt oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) beheimatet. Bundesweit betrachtet gehörte Frankfurt am Main zu den Großstadtregionen mit einer kontinuierlichen Präsenz autonomer Zusammenhänge. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der „harte Kern“ der Frankfurter Szene durch seine gute bundesweite Vernetzung, das hohe Personenpotential auf engem Raum und dem vorauseilenden Ruf besonders gewaltbereit zu sein.
Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt, die IL Frankfurt, siempre*antifa Frankfurt/M., AUF und stellenweise AK.069. Mit dem Treffort Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Darüber hinaus bildeten das Café ExZess, das Café KoZ und das neu eröffnete Centro wichtige Treffpunkte.
Regionale Szenen | Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Gießen (Landkreis Gießen). Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. und ak raccoons aus Kassel, die Marburger Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. und die antifaschistische gruppe 5 (ag5) sowie in Gießen die Antifa R4 und die A.R.A.G. In Darmstadt festigten sich, auch aufgrund der Aktivitäten der IL Darmstadt, die Szenestrukturen.
Insgesamt gehörten der IL einige autonome Gruppierungen aus Hessen an, was ein Beleg für die bundesweite Vernetzung von (Post-)Autonomen in Hessen ist. Darüber hinaus war das Bündnis antifaschistischer Strukturen Hessen (B.A.S.H.) aktiv, das einmal im Jahr ein „Antifacamp“ ausrichtet, das der Politisierung, Radikalisierung und letztlich Rekrutierung junger Menschen, die längerfristig in autonomen Strukturen aktiv sein wollen, dienen soll.
Das dominierende Ereignis im Berichtszeitraum waren die Aktionen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg Anfang Juli. Massivste gewalttätige Auseinandersetzungen gab es am 6. und 7. Juli. Die überwiegend unbekannten Straftäter machten durch die in diesem Bericht knapp dargestellten Abläufe und Verhaltensweisen deutlich, dass es ihnen eher um Zerstörung ganzer Straßenzüge und Angriffe auf Sicherheitskräfte ging und weniger um die Auseinandersetzung mit der Weltwirtschaft.
Die massiven Gewaltausschreitungen waren aufgrund der typischen schwarzen Vermummung und der verwendeten Tatmittel (unter anderem Steine, Molotowcocktails) insbesondere der autonomen Szene zuzurechnen. Dass durch die massive Gewaltanwendung auch Anwohner betroffen wurden, ist offenbar in Kauf genommen worden. Angesichts der Ereignisse muss die Frage gestellt werden, ob sich die unter Autonomen kontrovers geführte „Militanzdebatte“ in Richtung der Legitimität des Einsetzens von Gewalt gegen Menschen verschiebt.
Autonome sehen die Aktionen rund um den G20-Gipfel als Erfolg für sich an, weil es gelungen sei, wenn auch kurzfristig, eine herrschaftsfreie Zone im öffentlichen Raum (im und um das Schanzenviertel) herzustellen. Die von linksextremistischen Gruppierungen ausgehenden Gewaltexzesse als solche wurden auch im Nachhinein nicht kritisch bewertet oder gar verurteilt. Ein vergleichbares Thema, das wie der G20-Gipfel internationale Anziehungskraft für Linksextremisten, insbesondere Autonome hätte, ist für das Jahr 2018 derzeit nicht abzusehen.
In diesem Zusammenhang wurde direkt im Anschluss an den G20-Gipfel die Rolle der Roten Flora in Hamburg kritisch hinterfragt. Die Diskussion über solche Szeneobjekte setzte daraufhin bundesweit ein. In Hessen bezog und bezieht sich die Debatte insbesondere auf das ehemalige Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt. Dieses Szeneobjekt steht im kritischen Spannungsverhältnis kultureller Angebote als Deckmantel für dahinterliegende linksextremistische Aktivitäten. Die Bedeutung dieses Themenfeldes für die linksextremistische Szene zeigte sich in neuen Hausbesetzungsversuchen, die zügig durch polizeiliches Handeln unterbunden wurden, sowie demonstrativen Aktionen mit dem Ziel, für den Erhalt „selbstverwalteter Zentren“ einzutreten. Es steht zu erwarten, dass entsprechende Aktivitäten sich 2018 fortsetzen werden.
Bundesweit erfolgten im Berichtsjahr unter anderem vor dem Hintergrund der Bundestagswahl Aktionen gegen die AfD. Auch in Hessen wurden entsprechende Aktivitäten realisiert. Einige Outings durch linksextremistische Gruppierungen, insbesondere auch im Internet, sollten dazu beitragen, angebliche Kontakte von Parteiangehörigen zu rechtsextremistischen Strukturen öffentlich zu machen. Mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst 2018 in Hessen ist damit zu rechnen, dass die Proteste und Aktionen gegen Parteiveranstaltungen oder einzelne ihrer Anhänger auch in Hessen weitergehen werden. Eine Intensivierung gerade kampagnenartig durchgeführter Aktivitäten, aber auch klandestin vorbereiteter, als legitime „Widerstandsaktionen“ dargestellter Straftaten wie Sachbeschädigungen ist nicht auszuschließen.
Linksextremisten stellen Aktionen gegen die AfD stets in einen „Antifaschismus“-Zusammenhang. Dieses Themenfeld wird seine herausragende Bedeutung als Spektren übergreifendes Mobilisationsthema behalten.
Gerade bei Demonstrationen und Veranstaltungen im Themenfeld „Antifaschismus“ fällt es Linksextremisten leicht, Anknüpfungspunkte, Schnittstellen und Kooperationen zu nichtextremistischen Organisationen herzustellen. Diese erkennen oft nicht, dass Veranstaltungen von Linksextremisten im Kern für deren eigene Ziel- und Zwecksetzungen ausgenutzt werden. Mittel- und langfristig können so linksextremistische Sichtweisen durch Annäherung und den Schulterschluss mit nichtextremis-tischen Gruppen in die „Mitte der Gesellschaft“ getragen werden.
Die Vereinnahmung der moralischen Deutungshoheit nach eigens definierten Maßstäben und die für eigene aktionistische Handlungen immer wieder vorgeschobene Täter-Opfer-Umkehr ist eine typische Erscheinungsform autonomer Vorgehensweisen. Die Äußerungen der Autonomen verdeutlichen außerdem ihren unbekümmerten Umgang mit selbstjustiziellen Handlungsformen.
Aufgrund der bundesweit andauernden medialen Befassung mit der Flüchtlingsthematik sowie dem weiterhin hohen Emotionalisierungsgrad ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass auch das Aktionsfeld „Antirassismus“ weiterhin im Fokus der linkextremistischen Szene stehen wird.