Glossar & Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis extremistischer
Personenzusammenschlüsse

Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2017

Islamismus

Merkmale

Der Islam als Religion wird vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. Muslime genießen – wie Anhänger aller anderen Religionen auch – in Deutschland das Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Der Grundrechtsschutz endet jedoch dort, wo religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsanweisungen gedeutet werden, der Islamismus also beginnt.

Begriff des Islamismus | Der Begriff Islamismus beschreibt alle Erscheinungsformen des islamischen Extremismus, das heißt politisch-totalitäre Ideologien, die den Islam als ein alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens umfassendes System begreifen. Islamisten lehnen die Trennung von Staat und Religion ab und wollen das gesamte politische und gesellschaftliche Leben religiös begründeten Geboten und Normen unterwerfen. Eine Demokratie ist nach Überzeugung von Islamisten nicht mit dem Willen Allahs vereinbar.

Ziel des Islamismus | Das Ziel islamistischer Bestrebungen ist ein Staatswesen, das nach den Bestimmungen der Scharia regiert wird. Diese aus dem Koran und der Sunna abgeleiteten Vorschriften sind nach Ansicht der Islamisten der unveränderliche Wille Allahs und dürfen daher von keiner Regierung geändert werden. Damit wenden sich Islamisten gegen das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Volkssouveränität: Nicht das Volk, sondern allein Allah darf ihrer Auffassung nach in letzter Instanz Gesetze erlassen und aufheben. Darüber hinaus richten sich Islamisten gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, da sie Konflikte zwischen Religionen schüren bzw. andere Religionen abwerten.

Unvereinbarkeit mit den Menschenrechten | Im Gegensatz zum Grundgesetz, das die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen in den Mittelpunkt stellt, bemessen islamistische Ideologien den Wert eines Menschen nur nach seinem Glauben. Die von Islamisten geforderte wortgetreue Befolgung der Scharia führt zu einer Benachteiligung von Frauen und Andersgläubigen sowie zu einer wesentlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit und zur Außerkraftsetzung weiterer grundlegender Menschenrechte.

Indem Islamisten die große Bedeutung einer islamischen Identität betonen, setzen sie in aller Regel „Ungläubige“ herab. Diese Herabsetzung äußert sich oft in der Abgrenzung gegenüber der von Islamisten als „moralisch verkommen“ empfundenen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland.

Antisemitismus | Besonders ausgeprägt ist die islamistische Ablehnung des Judentums. Dabei werden entsprechende religiöse Inhalte – etwa Koranverse oder Aussagen des Propheten Mohammed – mit Versatzstücken europäischer rechtsextremistischer Ideologien verknüpft, um angeblich negative Charaktereigenschaften oder Absichten von Juden zu belegen. Islamisten sehen die USA und Israel als Instrumente einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung an, die sich zum Ziel gesetzt habe, den Islam zu zerstören. (Siehe hierzu auch das Kapitel: Projekte und Angebote der Phänomenbereichsübergreifenden wissenschaftlichen Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, PAAF.)

Ausprägungen des Islamismus | Die Erscheinungsformen des Islamismus unterscheiden sich in ihrer ideologischen Ausrichtung und bei der Wahl der Mittel, mit denen Gesellschaft und Staat verändert werden sollen. Einige islamistische Organisationen – wie zum Beispiel die MB – versuchen, den demokratischen Willensbildungsprozess ihren Vorstellungen entsprechend zu beeinflussen. Sie nehmen gezielt Einfluss auf die hiesige Politik, die öffentliche Meinungsbildung und die Gesellschaft, um ihr langfristiges Ziel der Errichtung eines islamistischen Gottesstaates zu verwirklichen.

Salafistische Gruppierungen dagegen lehnen die Beteiligung am demokratischen Willensbildungsprozess in der Bundesrepublik Deutschland ab. Sie streben eine weltweite Islamisierung von Gesellschaft und Politik an, um langfristig ein „Kalifat“ zu errichten, dessen Oberhaupt als Nachfolger des Propheten Mohammed alle religiöse und weltliche Autorität ausübt. Die Ablehnung anderer Glaubensgemeinschaften und vor allem der „westlich“ geprägten Lebensweise ist dabei ein zentrales Merkmal der salafistischen Ideologie. Hinsichtlich der Wahl der Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele lassen sich zwei Arten des Salafismus identifizieren: politischer und jihadistischer Salafismus. In ihrem ideologischen Kern unterscheiden sich beide jedoch nicht.

Personenpotenzial1

Das Personenpotenzial in Hessen blieb gegenüber dem vorherigen Berichtsjahr unverändert.

Zu mehreren der bundesweit aktiven islamistischen Organisationen bzw. Gruppierungen lagen keine gesicherten Anhängerzahlen vor, sodass ein personenscharfes Potenzial der Islamisten in Deutschland nicht ausgewiesen werden kann.

Abgebildet ist die Tabelle islamistisches Personenpotenzial. In der linken Spalte stehen die Namen der islamistischen Beobachtungsobjekte. Die weiteren drei Spalten enthalten Zahlenangaben zu diesen Beobachtungsobjekten jeweils für die Jahre 2017, 2016 und 2015 für Hessen.
Im Jahr 2017 gab es insgesamt 4.170 Islamisten, im Jahr 2016 lag dieses Personenpotenzial in Hessen bei 4.170, im Jahr 2015 lag das Personenpotenzial bei 4.150.
Im Jahr 2017 waren von insgesamt 4.170 Islamisten in Hessen 1.650 Personen Salafisten, bundesweit waren es 10.800 Salafisten. Im Jahr 2016 waren von insgesamt 4.170 Islamisten in Hessen 1.650 Personen Salafisten, bundesweit waren es 9.700 Salafisten. Im Jahr 2015 waren von insgesamt 4.150 Islamisten in Hessen 1.650 Personen Salafisten, bundesweit waren es 8.350 Salafisten.

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. Die in früheren Verfassungsschutzberichten des LfV Hessen getroffene Differenzierung des islamistischen Personenpotenzials nach der Herkunft ist mittlerweile für die Gesamtbetrachtung und -bewertung des Phänomenbereichs Islamismus nicht mehr aussagekräftig, da sich das Personenpotenzial insbesondere im Bereich des Salafismus in Bezug auf die Herkunft sehr heterogen gestaltet.

Salafismus

Definition/Kerndaten

Als Salafismus bezeichnet der Verfassungsschutzverbund eine extremistische Strömung innerhalb des Islamismus. Der Begriff geht auf die arabische Bezeichnung as-salaf as-salih (dt. die frommen Altvorderen) zurück, worunter die ersten drei Generationen von Muslimen (7. bis 9. Jahrhundert) zu verstehen sind. Diese nehmen innerhalb der Ideologie des Salafismus eine zentrale Stellung ein, da ihre Handlungen – neben denen des Propheten Mohammed – als die authentische Überführung der „wahren“ Glaubenslehre in die Praxis gelten und als solche zu imitieren sind.

Die „frommen Altvorderen“ dienen nicht nur als Vorbilder für die individuelle Lebensführung, sondern gelten auch in Bezug auf Glaubens- und Rechtsfragen als Autoritäten. Salafisten sehen sich durch ihren Rückbezug auf die „unverfälschte“ Glaubenslehre in der Nachfolge dieser Generationen als elitäre Vertreter des „wahren“ Islam. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die islamische Glaubensdoktrin und praxis von unerlaubten Neuerungen und Verfälschungen zu reinigen und die im Frühislam geltenden Herrschafts- und Rechtsformen (Kalifat) in der Gegenwart anzuwenden.

Über die Frage, mit welchen Methoden dieses Ziel zu erreichen ist, gibt es innerhalb des Salafismus verschiedene Auffassungen. Das Spektrum umfasst sowohl diejenigen Salafisten, welche die Ideologie mit politischen Mitteln durchsetzen wollen (politischer Salafismus), als auch solche, die hierfür Gewalt als legitimes Mittel ansehen (jihadistischer Salafismus).

Koran und Prophetentradition (arab. sunna) als einzige legitime Glaubensquellen | Salafisten nehmen für sich in Anspruch, ihre Glaubensvorstellungen und Rechtsnormen direkt aus den islamischen Quellen abzuleiten. Dabei zeichnet sich die salafistische Auslegung durch ein streng wortgetreues Verständnis von Koran und Sunna aus, jegliche sinnbildhafte Interpretation wird abgelehnt. Dennoch greifen Salafisten zusätzlich auf ausgewählte islamische Gelehrte zurück, um ihre jeweiligen Positionen in Bezug auf islamgetreue Lebensführung bzw. Disziplinierungsmaßnahmen bei Zuwiderhandlungen zu legitimieren.

Dualistische Weltsicht | Die „Attraktivität“ der salafistischen Ideologie ist vor allem in ihrer dualistischen Weltsicht begründet. Sie propagiert einfach zu verstehende und umzusetzende Freund-Feind-Bilder. So teilen Salafisten Menschen und Handlungen entgegen jeglicher Lebensrealität ein in gut und böse, gläubig und ungläubig, islamisch und unislamisch sowie erlaubt und verboten.

Dadurch wird vor allem jungen und beeinflussbaren Menschen ein vermeintlich allzeit gültiger Handlungskatalog angeboten, der Orientierungshilfe und feste Strukturen in einer als komplex wahrgenommenen Welt suggeriert. Außerdem vermittelt die salafistische Szene als jugendliche Subkultur mit einer bestimmten Art von Kleidung, Sprache und Symbolik, durch die sich -Salafisten optisch von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen, ein hohes Maß an Zugehörigkeitsgefühl und identitätsstiftenden Charakteristika. So übt die salafistische Ideologie in Europa vor allem auf muslimische Migranten der zweiten und dritten Einwanderergeneration sowie auf Konvertiten eine hohe Anziehungskraft aus.

Politischer und jihadistischer Salafismus: Unterschiede und Gemeinsamkeiten | Obgleich Salafisten das Ziel vereint, die „frommen Altvorderen“ zu imitieren und die angeblich „wahre“ Glaubenslehre in die Praxis umzusetzen, ziehen sie unterschiedliche Schlüsse aus den religiösen Quellen und leiten daraus unterschiedliche Handlungsweisen ab. Der Verfassungsschutz unterscheidet daher – je nach Mittel, das gewählt wird, um die angestrebten gesellschaftlichen und politischen Veränderungen umzusetzen – zwischen politischem und jihadistischem Salafismus.

Während der politische Salafismus die Missionierungsarbeit in den Vordergrund stellt, sieht der jihadistische Salafismus die Anwendung von Gewalt und den bewaffneten Kampf (arab. jihad) als unabdingbar an. Auch wenn sich Anhänger beider Strömungen in der genauen Ausgestaltung der salafistischen Ideologie unterscheiden, sind die Übergänge aufgrund der gemeinsamen ideologischen Grundlagen fließend.

Zahl der Salafisten insgesamt | In Hessen war der Großteil der Salafisten dem Spektrum des politischen Salafismus zuzurechnen. Mit etwa 1.650 Personen blieb in Hessen die Zahl der Salafisten im Vergleich zum Vorjahr konstant und damit weiterhin besorgniserregend hoch.

Ereignisse/Entwicklungen im jihadistischen und politischen Salafismus

Der sogenannte Islamische Staat (IS) verlor in einer Reihe empfindlicher militärischer Niederlagen weiter an Territorium in Syrien und im Irak. Besonders der Fall der für die terroristische Vereinigung IS überaus bedeutsamen Städte Raqqa (Syrien) und Mossul (Irak) markierte den Niedergang des im Jahr 2014 ausgerufenen „Kalifats“. Gegen Ende des Berichtsjahrs verfügte der IS nur noch über etwa ein Zehntel seines ursprünglichen Gebiets. Verbliebene IS-Anhänger gingen in den Untergrund oder setzten sich in Staaten ab, in denen IS-nahe Gruppen oder Ableger der Terrororganisation existierten. Dass die Gefahr jihadistisch motivierter Anschläge aufgrund des weitgehenden Zerfalls des IS abnimmt, ist jedoch nicht zu erwarten. Solange jihadistische Gruppierungen wie der IS für andere Jihadisten ihre ideologische Anziehungskraft und operative militärische Fähigkeit behalten, bleibt die latente Anschlagsgefahr für Deutschland und andere Länder. Vor diesem Hintergrund verfolgten Anhänger und Sympathisanten der jihadistischen Szenen in Hessen die Entwicklungen im weltweiten Jihadismus. Mit dem sich abzeichnenden Ende des IS-„Kalifats“ erlosch für zahlreiche Jihadisten und ihnen nahestehende Personen vorerst die Utopie eines islamischen Gemeinwesens. Ungeachtet dessen blieben sie weiterhin von der dem gewaltsamen Jihad zugrunde liegenden Ideologie überzeugt. Die Gefahr von terroristischen Anschlägen in Deutschland und Europa ist daher anhaltend hoch.

Im Bereich des politischen Salafismus fanden seit dem Frühjahr in Frankfurt am Main Verteilaktionen des da’wa-Projekts „We Love Muhammad“ statt. Dabei wurden Biografien des Propheten Mohammad (arab. sira) in deutscher Sprache, Hörbücher und Visitenkarten, die für eine App werben, kostenlos angeboten.

Zerfall des „Kalifats“ | Im Berichtsjahr vertrieben die Anti-IS-Koalition sowie das russisch-syrische Militärbündnis, kurdische Milizen und irakische Regierungstruppen den IS nahezu vollständig aus den von ihm kontrollierten Gebieten. Irakische Truppen und schiitische Milizen eroberten im Juli die nordirakische Stadt Mossul, wo der „Kalif“ des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, im Juni 2014 das „Kalifat“ ausgerufen hatte. Die Demokratischen Kräfte Syriens befreiten im Oktober die IS-Hochburg Raqqa in Nordsyrien. Damit brachen die letzten Überreste der pseudo-staatlichen Strukturen des IS nahezu vollständig zusammen. Darüber hinaus verlor die Terrororganisation zahlreiche namhafte bzw. einflussreiche Jihadisten in ihrer Führungsebene. Die permanenten Gegenschläge führten zu Auflösungserscheinungen und Absetzbewegungen innerhalb des IS.

Anzahl der Ausreisefälle | Zum Jahresende 2017 lagen zu mehr als 960 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland Erkenntnisse vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen war jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen lagen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien und/oder im Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Ferner lagen zu ca. 150 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben kamen.

Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder | Bei den Kämpfen in Syrien und im Irak kamen auch zahlreiche Jihadisten aus dem Ausland ums Leben. Einige ihrer Ehefrauen wurden zusammen mit ihren Kindern – etwa durch die Anti-IS-Koalition und irakische Streitkräfte – festgesetzt, andere strebten eine Rückreise in ihre Heimatländer an. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Personengruppe weiterhin stark radikalisiert bzw. indoktriniert sein könnte und dadurch eine Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, beschäftigt sich der Verfassungsschutzverbund intensiv mit der Rückkehrer-Problematik von jihadistischen Frauen und deren Kindern.

So lagen dem Verfassungsschutzverbund zum Ende des Berichtsjahres Informationen vor, dass mindestens etwa 290 minderjährige Kinder und Jugendliche in Richtung Syrien/Irak zumeist mit ihren Eltern ausgereist oder dort geboren sind. Etwa 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind im Jihad-Gebiet Syrien/Irak geboren. Die meisten Minderjährigen hielten sich in dieser Krisenregion oder in der Türkei auf. Eine geringe Anzahl der Kinder und Jugendlichen war – fast ausschließlich gemeinsam mit ihren Eltern bzw. der Mutter – nach Deutschland zurückgekehrt.

Ausreisefälle in Hessen | Zum Ende des Jahres 2017 lagen den hessischen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu ca. 140 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist waren, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen war jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Ferner liegen zu ca. 25 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind.

Mögliche Rückkehr des IS in den Untergrund | Der Verlust des Territoriums dürfte dazu führen, dass der IS als Terrororganisation wieder klandestine Strukturen annimmt und durch Anschläge versucht, Syrien und den Irak weiter zu destabilisieren. Es ist davon auszugehen, dass sich eine hohe Dunkelziffer an Jihadisten in Untergrund-strukturen zurückzog. Allerdings wurden auch zahlreiche Führungspersönlichkeiten und Strategen des IS inzwischen getötet.

Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS | Die Anschläge im Berichtsjahr und die Festnahme von Jihadisten in Deutschland zeigen, dass vom IS weiterhin große Gefahr ausgeht. Die Terrororganisation vernetzte sich weltweit, errichtete Zellen außerhalb des Herrschaftsgebiets und betrieb – vor allem im Internet – eine moderne und „professionelle“ jihadistische Propaganda. In den vom IS noch kontrollierten Gebieten wurden in der Vergangenheit Anschläge gegen „westliche“ Ziele geplant, organisiert und angeleitet. Als Reaktion auf die anhaltenden Militärschläge verfolgte der IS nunmehr die Strategie, jihadistische Anschlagsplanungen „auszulagern“ und delegierte die Organisation und Durchführung von Anschlagsvorhaben an jeden seiner Sympathisanten. Die eventuellen Ziele, die Wahl der Mittel und die Anschlagsart gab der IS im Rahmen seiner offen zugänglichen Propaganda vor und legitimierte sie im Sinne seiner Ideologie. Auf diese Weise erweiterte der IS den Kreis der möglichen Attentäter und ihrer Motive. Somit besteht die Gefahr, dass Einzelpersonen mit einfach zu beschaffenden und einfachen Tatwerkzeugen einen Anschlag ausführen können. Die operative Fähigkeit des IS, einen Terrorakt auszuführen, der im Ausmaß mit der Anschlagsserie in Paris (Frankreich) im November 2015 (130 Tote, mehr als 350 Verletzte) vergleichbar wäre, scheint aktuell begrenzt. Seine Ideologie und Propaganda wirken dennoch auf Personen in Europa im Sinne des Kampfes gegen die „Ungläubigen“. Sollte sich der IS als jihadistische Untergrundorganisation neu formieren, sind forcierte Anschlagsplanungen gegen den „Westen“ wahrscheinlich.

Jihadistisch motivierte Anschläge in Europa | Insgesamt kam es im Berichtsjahr zu mehr als 20 versuchten und vollendeten jihadistisch motivierten Anschlägen in Europa. Die folgende Kurzdarstellung beschränkt sich auf Terroranschläge, die Todesopfer zur Folge hatten:

  • Istanbul (Türkei), 1. Januar: Ein Attentäter verübte mit einer Langwaffe einen Anschlag auf Besucher eines Nachtclubs auf der europäischen Seite Istanbuls. 39 Personen kamen ums Leben, darunter ein deutscher Staatsangehöriger. Weitere 79 Personen wurden verletzt. Der Attentäter soll zuvor für den IS in Syrien gekämpft haben. Nach der Tat reklamierte der IS die Tat für sich.
  • London (Großbritannien), 22. März: Ein Attentäter lenkte sein Fahrzeug in eine Menschenmenge auf der Westminster Bridge und steuerte das Fahrzeug dann in die Umzäunung des Westminster Palace. Dort erstach er einen unbewaffneten Polizisten. Insgesamt starben sechs Personen, darunter der Attentäter. 40 weitere Personen wurden verletzt. Einen Tag nach der Tat reklamierte der IS den Anschlag für sich.
  • Stockholm (Schweden), 7. April: Mit einem zuvor gestohlenen Lkw fuhr ein Attentäter mit hoher Geschwindigkeit durch eine Fußgängerzone in der Innenstadt und steuerte das Fahrzeug in ein Kaufhaus. Vier Menschen wurden getötet, 15 verletzt. Nach Angaben der schwedischen Polizeibehörden, die den Attentäter festnahmen, handelte es um einen IS-Sympathisanten.
  • Paris (Frankreich), 20. April: Auf den Champs-Élysées eröffnete ein Attentäter mit einem Sturmgewehr das Feuer auf Polizisten, ein Beamter wurde getötet, zwei weitere verletzt. Im Anschluss an die Tat wurde der Täter von Polizeikräften getötet. Zu dem Attentat bekannte sich der IS.
  • Manchester (Großbritannien), 22. Mai: Im Foyer der Manchester-Arena brachte ein Selbstmordattentäter eine in einem Rucksack versteckte Sprengladung zur Explosion. Zu diesem Zeitpunkt verließen die Besucher ein Popkonzert. Der Attentäter tötete 23 Personen, darunter viele Kinder und Jugendliche, 512 Personen wurden verletzt. Der IS reklamierte die Tat für sich.
  • London (Großbritannien), 3. Juni: Mit einem Lieferwagen fuhren drei Attentäter in eine Menschengruppe auf der London Bridge und töteten drei Fußgänger. Im Anschluss fuhren die Attentäter zum nahegelegenen Borough Market und griffen dort wahllos Passanten mit Messern an, wobei fünf Personen starben. Insgesamt wurden 48 Personen verletzt. Die Polizei tötete die Attentäter. Der IS bekannte sich zu dem Anschlag.
  • Hamburg, 28. Juli: In einem Supermarkt entwendete ein Attentäter ein Küchenmesser und stach damit auf Kunden ein. Eine Person starb, mindestens fünf weitere Personen wurden verletzt. Passanten überwältigten den Attentäter. In Vernehmungen gab der Attentäter an, sich seit 2014 mit der Ideologie des IS auseinandergesetzt zu haben. Eine Bekennung des IS blieb aus.
  • Barcelona (Spanien), 17. August: Mit einem Lieferwagen fuhr ein Attentäter in eine Menschenmenge im Stadtzentrum und erstach bei der anschließenden Flucht eine Person. Insgesamt kamen 15 Personen ums Leben – darunter eine deutsche Staatsangehörige –, mindestens 118 Personen wurden verletzt. In der darauffolgenden Nacht versuchte die spanische Polizei fünf Personen, die wohl unmittelbar vor der Ausführung eines weiteren Anschlags standen, in einem Fahrzeug in Cambrils, rund 100 Kilometer südwestlich von Barcelona, zu stellen. Bei ihrer Flucht töteten die fünf Männer eine Person und verletzten sieben weitere Personen. Die Polizei erschoss die Attentäter. Die Attentate von Barcelona und Cambrils wurden offenkundig von einer Zelle ausgeführt, die ursprünglich Bombenanschläge in Barcelona plante. Einen Tag vor dem Anschlag in Barcelona waren in einer Wohnung zwei Mitglieder der Zelle bei der unbeabsichtigten Explosion der mutmaßlich hierfür vorgesehenen Sprengstoffe ums Leben gekommen. Am 21. August stellte und tötete die Polizei einen weiteren flüchtigen Attentäter, der eine Sprengstoffgürtel-attrappe trug. Der IS reklamierte die Anschläge für sich.
  • Turku (Finnland), 18. August: Mit einem Messer stach ein Mann auf Passanten in der Innenstadt ein. Hierbei soll er gezielt Frauen angegriffen haben. Insgesamt starben zwei Personen, acht weitere wurden verletzt. Polizeikräfte stoppten den Täter mit einem Schuss in das Bein und nahmen ihn fest. Der IS bekannte sich nicht zu dem Anschlag, die finnische Polizei geht jedoch von einem terroristisch motivierten Anschlag aus.
  • Marseille (Frankreich), 1. Oktober: Auch hier griff ein Attentäter Passanten mit einem Messer an einem Bahnhof an und tötete zwei Personen. Soldaten erschossen den Angreifer. Der IS bekannte sich zu dem Anschlag.

Festnahme eines mutmaßlichen IS-Jihadisten | Am 1. Februar durchsuchten Beamte der Hessischen Polizei 54 Objekte (Wohnungen, Geschäftsräume und Moscheen) in Hessen wegen des Verdachts der Gründung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB). Der Ermittlungskomplex richtete sich gegen 16 Beschuldigte im Alter zwischen 16 und 46 Jahren.

Hauptbeschuldigter ist der am 1. Februar in Frankfurt am Main festgenommene mutmaßliche tunesische Jihadist Haykel S. Er soll seit August 2015 als Anwerber und Schleuser für den IS tätig gewesen sein und in Deutschland ein Netzwerk aus Unterstützern – unter anderem mit dem Ziel, hier einen Terroranschlag zu verüben – aufgebaut haben. Konkrete Anschlagsvorbereitungen habe es noch nicht gegeben.

Nachdem sich S. bereits von 2003 bis 2013 in Deutschland aufgehalten hatte, reiste er 2015 als Asylsuchender unter falschen Personalien erneut ein. Mit Verfügung vom August 2017 ordnete das Hessische Ministerium des Innern und für Sport die Abschiebung des Tunesiers an. Seitdem befand sich S. in Abschiebehaft. In enger Kooperation zwischen den hessischen Sicherheitsbehörden, der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main und dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport wurde der Terrorverdächtige im Mai 2018 nach Tunesien abgeschoben und den dortigen Behörden übergeben.

Politischer Salafismus: „Wissen über den Propheten“ verbreiten | Der ehemalige Regionalverantwortliche der Koranverteilaktion „LIES!“ für das Rhein-Main-Gebiet, Bilal Gümüs, und der salafistische Prediger Pierre Vogel waren die Initiatoren des Projekts „We Love Muhammad“. Abgebildet ist das Logo des Projekts We love Muhammad. Das Logo besteht aus einem an den Ecken abgerundeten Quadrat. Darin befindet sich auf dunklem Hintergrund ein Baum mit Wurzel, beides in hellgoldener Farbe, als typisch islamisches Ornament gestaltet, darunter steht der Schriftzug We love Muhammad.

Es war im November 2016 zeitgleich in Deutschland und der Schweiz angelaufen, nachdem vorher in sozialen Netzwerken für die gleichnamige App geworben worden war. Laut Vogel soll mit der Aktion „Wissen über den Propheten“ verbreitet werden. Zielgruppe seien dabei vor allem Muslime.

Die Akteure bereiteten die Aktionen im Rahmen von „We Love Muhammad“ regelmäßig im Internet auf und warben für das Projekt mit Bildern und Videos, die wiederum von Sympathisanten weiterverbreitet wurden. Die Missionierungsbemühungen für den – nach salafistischer Interpretation – „wahren Islam“ wurden somit über den eigentlichen Veranstaltungsrahmen hinaus auf einen größeren Adressatenkreis ausgeweitet.

Für das Projekt „We Love Muhammad“ wurden mehr als 40.000 Biografien des Propheten Mohammed gedruckt. Das Projekt finanzierte sich durch Spenden, zu denen Salafisten immer wieder aufriefen.

Bei den „mobilen“ Verteilaktionen kleideten sich die Akteure größtenteils mit einheitlichen „We-Love-Muhammad“-T-Shirts und -Pullovern. Einige trugen Bauchläden, auf denen sich neben den zu verteilenden Waren eine Spendendose befand, andere trugen auf dem Rücken Tragegestelle, an denen „We-Love-Muhammad“-Plakate befestigt waren. Die Propheten-Biographien, die Hörbücher für Kinder und die Visitenkarten konnten als Gesamtpaket auch kostenlos bestellt werden. Darüber hinaus zeigten Salafisten in einem Video, dass Propheten-Biographien in einen öffentlichen Bücherschrank in Frankfurt am Main eingestellt wurden.

Im Sommer gingen die Aktivitäten der „We-Love-Muhammad“-Kampagne in Deutschland und der Schweiz signifikant zurück. Ursache hierfür könnte das zunehmende Engagement ihrer Akteure beim Islamischen Humanitären Entwicklungsdienst e. V. (IHED) mit Sitz in Baden-Württemberg gewesen sein. So riefen die Aktivisten zu Spenden für Hilfsprojekte in Ländern wie Syrien, Afghanistan, Somalia, Niger, Türkei und Burma auf und besuchten teilweise die Orte auch persönlich. Daneben warben die Aktivisten für weitere Aktivitäten des IHED wie etwa einen Online-Mode-Shop.

Verbot des Almadinah Islamischen Kulturvereins e. V.

Mit Verfügung vom 16. März 2017 verbot der Hessische Minister des Innern und für Sport den Almadinah Islamischen Kulturverein e. V. in Kassel. Die Aushändigung der Verbotsverfügung an die Mitglieder des Vereins durch Beamte des Polizeipräsidiums Nordhessen am 23. März war verbunden mit Durchsuchungsmaßnahmen von Objekten des Vereins und seiner Mitglieder.

Der Verein richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Er förderte ein jihadistisch-salafistisches Netzwerk und bot in der Medina-Moschee in Kassel eine Plattform für den Austausch und Aufruf zu Hass und Gewalt gegen andere Religionsgruppen, Staaten und Völker sowie allgemein anders denkende Menschen. Hierbei ging es nicht um einen religiösen Dialog, sondern um die Indoktrination und Radikalisierung insbesondere junger Menschen, um sie zu einer Ausreise in die Kampfgebiete des IS in Syrien und im Irak zu verleiten. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden waren mehrere Besucher der Medina-Moschee nach Syrien ausgereist. Mit dem Vereinsverbot wurde der jihadistisch-salafistischen Szene in Kassel ein zentraler Radikalisierungsraum entzogen.

Der Verbotsverfügung waren monatelange Ermittlungen vorausgegangen, die vom Landeskriminalamt, vom Polizeipräsidium Nordhessen sowie dem Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt worden waren.

Entstehung/Entwicklung

Mit dem arabischen Begriff salafiyya wurde erstmals im frühen 20. Jahrhundert eine islamische Reformbewegung beschrieben, die sich aus verschiedenen Erneuerungsbewegungen im Rahmen unterschiedlicher geographischer und politischer Umstände formierte und in den städtischen Zentren des Osmanischen Reichs wirkte.

Reaktion auf den europäischen Kolonialismus | Als Vertreter der „klassischen“ salafiyya gelten muslimische Intellektuelle und Gelehrte wie Jamal al-Din al-Afghani (1838 bis 1897), Muhammad Abduh (1849 bis 1905) und Rashid Rida (1865 bis 1935). Sie propagierten als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus eine Rückbesinnung auf die islamischen Wurzeln und auf die „frommen Altvorderen“ (arab. as-salaf as-salih), um – in ihrer Sichtweise – die muslimische Gemeinschaft aus der politischen und intellektuellen Unmündigkeit zu führen. Als Ursache für die damals bestehenden politischen Verhältnisse betrachteten Jamal al-Din al-Afghani, Muhammad Abduh und Rashid Rida die islamischen Volkstraditionen, die im Laufe der Jahrhunderte den „wahren Islam“ verfälscht hätten. In der Zurückweisung dieser Traditionen und im eigenständigen Forschen in den islamischen Quellen (arab. ijtihad) sahen sie die Möglichkeit, Islam und Moderne in Einklang zu bringen.

Historische Vorbilder in der islamischen Frühzeit | Der Rückbezug auf die „frommen Altvorderen“ ist bereits in der Frühzeit der sunnitischen Geistesgeschichte erkennbar. Salafistische Akteure zitieren als ideologische Vorbilder häufig vormoderne islamische Gelehrte wie Ahmad Ibn Hanbal (780 bis 855), Taqi al-Din Ahmad Ibn Taymiyya (1263 bis 1328) und dessen Schüler Ibn Qayyim al-Jawziyya (1292 bis 1350). Es gab jedoch im vormodernen Islam keine Bewegung oder Strömung, die als salafiyya bezeichnet wurde oder sich selbst so nannte.

Da es sich bei den „Altvorderen“ nicht um eine Bewegung oder ein klar definiertes Konzept handelte, gestaltete sich dieser Rückgriff auf sie – je nach historischen, politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Umständen – sehr unterschiedlich und führte in der Moderne zu stark divergierenden Interpretationen und verschiedenen, teils widersprüchlichen Strömungen innerhalb des Salafismus.

Wahhabismus als puristische Reformbewegung | Im aktuellen allgemeinen Sprachgebrauch wird mit dem Begriff Salafismus vor allem eine puristisch ausgerichtete Reformbewegung in Verbindung gebracht, die im späten 18. Jahrhundert von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703 bis 1792) auf der arabischen Halbinsel (im heutigen Saudi-Arabien) begründet wurde. Wahhabs Ziel war es, die islamische Glaubenslehre und deren Praktiken von unerlaubten Neuerungen (arab. bid’a) zu reinigen. Im Zentrum der theologischen Betrachtung Muhammad Ibn Abd al-Wahhabs standen die strenge Betonung des Monotheismus (arab. tauhid) und damit einhergehend die Zurückweisung von Heiligenverehrung und anderen von ihm als unislamisch gebrandmarkten Verhaltensweisen.

Ibn Abd al-Wahhab praktizierte eine stark am Text orientierte Auslegung des Koran und denunzierte andere Muslime, vor allem Schiiten, als „Ungläubige“. Anders als die „klassische“ salafiyya lehnte er jegliche moderne Errungenschaften in gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Belangen ab und forderte, gemäß der Verhaltensregeln und Tugenden der „frommen Altvorderen“ zu leben. Mit seinen gesellschaftlichen und religiösen Reformideen lieferte er dem Stammesführer Muhammad Ibn Sa’ud (1710 bis 1765) die religiöse Legitimation für dessen territoriale Expansionsbestrebungen, die später zur Gründung des Königreichs Saudi-Arabien mit wahhabitischer Staatsreligion führten.

Salafismus in Deutschland | In Deutschland wurden salafistische Prediger etwa seit 2002 aktiv und begannen, überregionale Missionierungsnetzwerke aufzubauen. Einige Prediger dieser ersten Generation erhielten ihre religiöse Ausbildung an Universitäten in Saudi-Arabien, was sich in ihrer Interpretation der islamischen Glaubenslehre nach wahhabitischer Lesart widerspiegelt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Loyalität gegenüber dem saudischen Königshaus teilen, die traditionelle wahhabitische Gelehrte auszeichnet. Da es auch innerhalb des Wahhabismus heterogene Lehrmeinungen gibt, berufen sich salafistische Akteure in Deutschland auf unterschiedliche Gelehrte und vertreten daher unterschiedliche Positionen, etwa in Bezug auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Anders als die Prediger der ersten Generation hat die wachsende Anzahl der gegenwärtigen Unterstützer und Sympathisanten des Salafismus oftmals keine religiöse Ausbildung an Universitäten erhalten, sondern schöpft ihr „Wissen“ aus Islamseminaren in Deutschland, Internetpredigten und privaten Lerngruppen.

Ideologie/Ziele

Um ihre Vorstellungen zu propagieren, greifen Salafisten auf theologische und islamrechtliche Begriffe zurück, die sie ideologisch und extremistisch auslegen. Die radikalisierungsfördernde Ideologie zielt auf eine kompromisslose Abgrenzung von westlichen Werten ab. Zur Erreichung ihrer Ziele wird Gewalt entweder nicht ausgeschlossen oder gar ausdrücklich befürwortet.

Strikter Monotheismus | Zentral ist in der salafistischen Ideologie die Betonung des Monotheismus (arab. tauhid), den Salafisten auf Fotos gerne durch das Erheben des Zeigefingers symbolisieren. Unter tauhid wird im Allgemeinen die Eigenschaft Allahs als alleiniger Schöpfer und die sich daraus ergebende Konsequenz verstanden, dass allein er anbetungswürdig ist.

Nach salafistischem Verständnis hat dieses Konzept eine politische Dimension: Allah wird die alleinige Herrschafts- und Gesetzgebungskompetenz zugesprochen, was zur Ablehnung demokratischer Regierungsformen führt, da diese auf menschlicher Logik und Rationalität beruhen. Diese Auslegung ermöglicht es Salafisten, ihren muslimischen Gegnern vorzuwerfen, sie würden durch die Akzeptanz demokratischer Prinzipien gegen das tauhid-Prinzip verstoßen und damit vom islamischen Glauben abfallen. Vermeintliche Verstöße gegen das zentrale Glaubenskonzept ziehen jihadistische Salafisten außerdem als Legitimation dafür heran, aus ihrer Sicht unislamische Regierungen oder andere Gegner gewaltsam zu bekämpfen (arab. jihad).

Forderung nach kompromissloser Einhaltung der islamischen Rechtsordnung (Scharia) | Wegen der ausschließlich Allah zugesprochenen absoluten Gewalt über die Gesetzgebung erkennen Salafisten nur göttliches Recht als gültig an. Sie fordern daher, nur Gesetze anzuwenden, die aus dem Koran und der Sunna hervorgehen (Scharia). Obwohl es sich bei der Scharia nicht um einen kodifizierten Gesetzeskanon handelt, sondern – je nach angewandter Rechtsfindungsmethode – um teilweise sehr unterschiedliche Interpretationen der religiösen Quellen, stellen Salafisten die Scharia als die Gesamtheit der islamischen Gesetze als eindeutiges Rechtssystem dar.

Zitate aus dem Koran und Aussprüche des Propheten – losgelöst aus ihrem jeweiligen historischen und koranischen Kontext – dienen für Salafisten als Antwort auf jedes ethische, theologische, soziale und politische Alltagsproblem. Besonders die Anwendung der im Koran für bestimmte Vergehen vorgeschriebenen Körperstrafen (arab. hadd) stellt eine zentrale Forderung der Salafisten dar.

Kampf gegen die „Ungläubigen“ | Als „Kenner“ des einzig „wahren“ Weges zu Allah werfen Salafisten allen Personen, die ihrer Ideologie nicht folgen, vor, den Islam durch unerlaubte Neuerung (arab. bid’a) zu verfälschen. Dabei verurteilen sie das Anerkennen demokratischer Regierungsformen als „Vielgötterei“ oder „Götzendienst“ (arab. schirk oder taghut), die den Abfall vom islamischen Glauben zur Folge hätten. „Ungläubige“ (arab. kafir, Mehrzahl kuffar) sind demnach nicht nur Anhänger anderer Religionen, sondern auch nichtsalafistische Muslime. Besonders rigoros fordern Salafisten die Bekämpfung von Schiiten und Sufis (Anhänger der islamischen Mystik), da deren Theologie und Religionspraktiken eine Abweichung vom Islam seien.

Gegen die „westliche“ Kultur | Im Einklang mit dem Kampf gegen die „Ungläubigen“ richten sich salafistische Propagandaaktivitäten gegen „westliche“ Normen, Werte und Institutionen, die diese repräsentieren. Salafisten legitimieren diese Ablehnung durch die Berufung auf das Konzept der „Loyalität und Lossagung“ (arab. al-wala’ wal-bara’). Auf zwischenmenschlicher Ebene besagt dieses Konzept, „Ungläubige“ zu meiden und sich nur mit Gleichgesinnten zusammenzutun, auf politischer Ebene verbietet es das Eingehen militärischer oder politischer Allianzen mit Nicht-Muslimen. Im europäischen Kontext rufen salafistische Prediger vor allem dazu auf, sich von der „ungläubigen“ Mehrheitsgesellschaft zu distanzieren oder, wie es bis zu seinem territorialen Zerfall zu beobachten war, in den sogenannten Islamischen Staat auszuwandern (arab. hijra).

Antisemitismus | Im Rahmen der Diffamierung anderer Religionen ist die Ächtung der jüdischen Religion und des Staates Israel in der salafistischen Propaganda besonders ausgeprägt. Entsprechende Äußerungen reichen von klassischen antisemitischen Stereotypen über die Leugnung des Holocaust bis hin zu Warnungen vor einer „jüdischen Weltverschwörung“. Darüber hinaus erkennen Salafisten das Existenzrecht Israels nicht an und legen den Israel-Palästina-Konflikt als Folge einer historischen Feindschaft der Juden gegen Muslime aus.

Politischer Salafismus | Die Mehrheit der Salafisten in Hessen versucht, ihre Forderung nach Durchsetzung der Scharia mit politischen Mitteln zu erreichen. Dafür wählen diese Aktivisten in erster Linie das Mittel der Missionierung (arab. da’wa), um in Form von Vorträgen, Islamseminaren, Publikationen und Internetauftritten Muslime und Nicht-Muslime von ihrer Sicht des „wahren“ Islam und der Notwendigkeit, sich aktiv für diesen einzusetzen, zu überzeugen. Prediger rufen dazu auf, die islamischen Quellen zu studieren und die individuelle Lebensführung dem Vorbild der „frommen Altvorderen“ anzupassen.

Auch wenn politische Salafisten nicht offen zur Gewaltanwendung aufrufen, ist der Jihad als legitimes Mittel des klassischen islamischen Kriegsrechts integraler Bestandteil ihrer Ideologie. Insofern unterscheiden sie sich von jihadistischen Salafisten in ihrer Beurteilung dessen, unter welchen Umständen der Kampf gegen welchen Feind islamisch gerechtfertigt werden kann. Obgleich auch politische Salafisten demokratische Institutionen, Prozesse und Prinzipien – wie Volksherrschaft und Mehrparteiensystem – ablehnen, sind sie deutlich zurückhaltender, wenn es darum geht, deswegen andere Muslime offen des Abfalls vom Islam (arab. takfir) zu bezichtigen bzw. zu „Ungläubigen“ zu erklären.

Jihadistischer Salafismus | Ausgehend von denselben religiösen Quellen schlussfolgern jihadistische Salafisten, dass die Umsetzung ihrer Bestrebung, den „wahren“ Islam anzuwenden, nur mit gewaltsamen Mitteln möglich ist. Für ihre Wahl der anzuwendenden Strategie und Vorgehensweise ist entscheidend, ob der zu bekämpfende „Feind“ lokal (unislamische Regierung) oder global („westlicher Imperialismus“) verortet wird. Dementsprechend stehen Kampfhandlungen oder Anschläge gegen eine bestimmte („unislamische“) Regierung oder gegen „westliche“ Länder im Vordergrund. In beiden Fällen verläuft die islamrechtliche Legitimation für jihadistische Salafisten entlang der Argumentation, dass sich der Islam in einer permanenten Verteidigungsposition befinde, da „Ungläubige“ ihn vernichten wollten. Die Pflicht, sich für den Islam in den Kampf zu begeben, fordern jihadistische Salafisten dabei entweder als individuell oder kollektiv wahrzunehmende Aufgabe der Muslime ein.

In ihrer Propaganda werben jihadistische Salafisten für den Jihad, indem sie die Vorzüge des „Märtyrertods“ in Aussicht stellen. Er garantiere dem Kämpfer oder Selbstmordattentäter eine erhöhte Stellung im Paradies. Die Bereitschaft, sich für Allah und den Islam zu opfern, sei der einzige Weg, um die Gesellschaft zum Guten zu verändern und führe zu Ruhm und Anerkennung. In Propagandavideos veröffentlichen jihadistische Salafisten Bilder von „Märtyrern“ und untermalen diese mit religiösen Gesängen, die den Jihad preisen (arab. naschid, Plural anaschid), wodurch potenzielle Jihadisten emotional angesprochen und in Kampfstimmung versetzt werden sollen. Dabei ist es das Ziel, entweder neue Unterstützer für unterschiedliche jihadistische Gruppierungen im syrisch-irakischen Kampfgebiet zu gewinnen oder, da dies nach dem territorialen Zerfall des IS nur noch eingeschränkt möglich ist, zu Terroranschlägen in Europa zu motivieren.

Der jihadistische Salafismus stellt daher innerhalb des internationalen islamistischen Terrorismus die größte Bedrohung für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Auch im Berichtsjahr ging eine besondere Gefahr von Personen aus, die aus den Jihad-Kampfgebieten Syrien und Irak nach Deutschland zurückkehrten.

Bewertung/Ausblick

Politischer Salafismus | Die Aktivitäten im Bereich des politischen Salafismus im öffentlichen Raum waren rückläufig. Dies bedeutet indes nicht, dass die salafistische Missionierung rückläufig war. Sie fand vielmehr in anderen Formen statt. So war insbesondere die Propaganda über das Internet und die sozialen Netzwerke nach wie vor ungebrochen. Zudem fanden die Missionierungsaktivitäten in privatem Umfeld, von der Öffentlichkeit wenig wahrnehmbar, statt. Diese veränderte Vorgehensweise dürfte als eine Folge der staatlichen und ordnungsbehördlichen Maßnahmen gegen das Auftreten der Salafisten im öffentlichen Raum anzusehen sein.

Durch das Verbot bundesweiter Strukturen wie der „LIES“-Kampagne im November 2016 regionalisierte sich die salafistische Szene tendenziell und trat in eher örtlichen Strukturen auf, wodurch ein Rückzug in von der Öffentlichkeit abgeschirmte Räume erfolgte. Die Motivation, Teil einer bundesweiten, öffentlich sichtbaren Kampagne zu sein, hat abgenommen.

Die „We-Love-Muhammad“-Kampagne, die im Frühjahr des Berichtsjahres zunächst öffentlichkeitswirksam unter anderem in Frankfurt am Main anlief, konnte nicht den Aktionsgrad der „LIES“-Kampagne erreichen. Für diese Aktionsform findet sich nicht mehr die ausreichende Anzahl von Aktivisten, einige der Protagonisten wechselten ihre Aktionsfelder und engagierten sich etwa beim IHED.

Jihadistischer Salafismus | Der selbsternannte Kalif der jihadistischen Terrorvereinigung IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, verfolgte das Ziel, ein islamisches Staatswesen auf vermeintlich unverfälschten Prinzipen des sunnitischen Islams zu errichten. Al-Baghdadi versprach allen Muslimen die Wiederbelebung des Kalifats im Diesseits.

Kontrollierte der IS einst weitgehend zusammenhängende Landstriche in Syrien und im Irak, die der Fläche Großbritanniens entsprachen, konnten sich die Jihadisten unter dem enormen militärischen Druck nur in ihre Hochburgen und nach deren Fall in den Untergrund zurückziehen oder anderweitig untertauchen. Noch gravierender gestaltete sich die Realpolitik: Sämtliche Verheißungen und Prophezeiungen des IS traten entweder nicht ein oder entlarvten sich als hohle Phrasen.

Dabei ist gerade die ideologische Festigung der IS-Anhänger – und Sympathisanten jihadistischer Überzeugungen im Allgemeinen – von enormer Bedeutung und steht oftmals in direkter Abhängigkeit zu den erzielten realen Ergebnissen. Führende Jihadisten müssen sich an ihren göttlichen Verheißungen messen und ihren Worten Taten folgen lassen. Je häufiger der IS gezwungen war, die Realität angesichts der anhaltenden Gebietsverluste ideologisch zu retuschieren, desto schneller wuchsen die Zweifel der Anhänger gegenüber dem Kalifen und seinen Getreuen. In dieser Phase büßte die IS-Doktrin bereits bei zahlreichen Sympathisanten und Anhängern vor Ort und außerhalb, die sich für die utopische Errichtung eines islamischen Gemeinwesens begeistern ließen, an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft ein. Mag die Propagandamaschinerie des IS in den offenen und verdeckten Bereichen der virtuellen Welt weiterhin funktionsfähig sein, ist doch die ideologische Strahlkraft des Kalifat-Projekts stark verblasst. Der IS leidet in Anbetracht dieser Entwicklungen fortan unter einem Glaubwürdigkeitsproblem und könnte versuchen, dieser Misere mit Anschlägen entgegenzuwirken, um das Bild eines schlagfertigen Machtapparates aufrechtzuerhalten.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass das territoriale Scheitern des IS als Quasi-Staat bei vielen Getreuen in Europa und in Deutschland zu einem Dämmer- bzw. Wartezustand geführt hat. Die terroristische Bedrohungslage in Deutschland wird mit dem Zerfall des IS-Territoriums allerdings nicht geringer.

Verliert eine Gruppierung an Einfluss, können andere strukturell wiedererstarken. Das anschaulichste Beispiel hierfür liefert das jihadistisch beeinflusste Widerstandsbündnis unter der Führung der Gruppierung Hayat-Tahrir As-Sham (HTS) in Syrien. Die Gruppe war in der Vergangenheit stark al-Qaida-affin und drohte bereits im Konflikt mit dem Assad-Regime und den konkurrierenden IS-Jihadisten in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Inzwischen konnte sich die Gruppierung durch strategische Anpassungen in weiten Teilen regenerieren und wieder an Einfluss gewinnen.

Muslimbruderschaft (MB)/Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)

Definition/Kerndaten

Die MB ist in zahlreichen Staaten der Welt, dabei in nahezu allen Ländern des Nahen Ostens, vertreten. Sie ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung unter den Sunniten. Ziel der MB ist die Errichtung eines weltumspannenden Gemeinwesens als Gottesstaat auf der Grundlage von Koran und Sunna. In Deutschland ist die IGD die größte Organisation, welche die Ideologie der MB vertritt. In Anlehnung an ihre ägyptische Mutterorganisation versucht die IGD, durch soziales und religiöses Engagement sowie durch Dialogangebote Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden. Letztlich zielen diese Versuche darauf ab, die Ideologie der MB in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen.

Führung: Muhammad Badi (Ägypten)
Anhänge/Mitglieder: In Hessen etwa 300, bundesweit etwa 1.040
Zuzurechnende Organisationen: Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische Widerstandsbewegung) in den palästinensischen Autonomiegebieten (Gazastreifen) in Israel, al-Nahda (Tunesien), al-Ikhwan al-Muslimum fi Suriya (Muslimbruderschaft von Syrien)

Abgebildet ist das Logo der Muslimbruderschaft. Auf einem kreisförmigen grünen Hintergrund befinden sich zwei übereinander gekreuzte Krummsäbel, über denen sich ein Buch mit rotem Einband befindet. Auf dem Bucheinband und unter dem Säbeln befinden sich arabische Schriftzeichen.

Ereignisse/Entwicklungen

Die Anhänger der MB in Hessen solidarisierten sich mit den unter staatlicher Repression stehenden MB-Funktionären in Ägypten. Für deutlich größere Emotionalität in der hiesigen Szene sorgte indes die Schließung der al-Aqsa Moschee in Jerusalem.

Die Organisationen der MB in Deutschland, insbesondere die IGD und das Europäische Institut für Humanwissenschaften in Deutschland e. V. (EIHW), versuchten durch soziales Engagement und Bildungsangebote ihre Anhängerschaft zu erweitern.

Entwicklungen in Ägypten | Nach der Absetzung des den Muslimbrüdern zugehörigen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im Jahr 2013 und den sich anschließenden starken Repressionsmaßnahmen der Regierung gegen die Anhänger und Sympathisanten der Organisation schien die politische Handlungsfähigkeit der MB in Ägypten de facto nicht mehr gegeben. Seitdem setzte eine spürbare Radikalisierung der islamistischen Kräfte in Ägypten ein, die zu einer dramatischen Verschlechterung der dortigen Sicherheitslage führte. Hunderte Menschen wurden im Berichtsjahr bei Anschlägen und Kämpfen durch islamistisch-terroristische Organisationen und Splittergruppen in Ägypten getötet. Im November 2016 hob das oberste ägyptische Berufungsgericht das Todesurteil gegen den ehemaligen Präsidenten Mursi auf. Im September 2017 wurde Mursi in letzter Instanz zu einer 25-jährigen Haftstrafe wegen Spionage für Katar verurteilt.

Reaktionen in Hessen | Die politischen Ereignisse in Ägypten nahmen im Berichtszeitraum für Anhänger der MB in Hessen nur eine nachgeordnete Rolle ein und blieben auf der Ebene allgemeiner Solidaritätskundgebungen. Die Teilnehmerzahlen bei Kundgebungen und Mahnwachen lagen im unteren zweistelligen Bereich. Ein höherer Mobilisierungsgrad war bei dem weltweit für Muslime sensiblen Thema „Jerusalem“ feststellbar. So nahmen Anhänger und Funktionäre der MB aktiv am Protest gegen die Schließung der al-Aqsa Moschee in Jerusalem am 22. Juli in Frankfurt am Main teil. Alle Veranstaltungen in Hessen verliefen friedlich. Am 7. Dezember rief der Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG) via Facebook dazu auf, die kommende Freitagspredigt unter dem Thema „Die heilige Stadt al-Quds und ihre religiöse und historische Stellung für die Muslime“ zu vereinheitlichen.

Abgebildet ist das Logo der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V. Es ist in blauer Farbe gehalten und besteht − von links nach rechts − aus einem Minarett, daneben die Kuppel einer Moschee daneben wiederum die Abkürzung IGD. Unter der Kuppel und der Abkürzung IGD steht der Schriftzug Islamische Gemeinschaft in Deutschland. IGD | Um Kinder und Jugendliche bereits frühzeitig in die Strukturen der IGD einzubinden, veranstaltete der Verein im Berichtsjahr Kinder- und Jugendcamps auch in Hessen. In Modautal (Landkreis Darmstadt-Dieburg) fand vom 27. bis 29. Oktober das 11. IGD-Kindercamp für Jungen und Mädchen im Alter von 8 bis 12 Jahren statt. Das erste IGD-Mädchencamp für 13- bis 17-Jährige wurde vom 5. bis 7. Mai in Lützelbach (Odenwaldkreis) durchgeführt. Darüber hinaus trat die IGD auch als Organisatorin der überregionalen Veranstaltung „Islamleben“ auf. Unter dem Motto „Einheit in Vielfalt“ wurde diese als Familienfest beworbene Veranstaltung vom 25. bis 27. August in Kirchheim (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) durchgeführt.

Abgebildet ist das in heller grüner Farbe gehaltene Logo des Rats der Imame und Gelehrten e. V. Vor dem Hintergrund orientalischer Ornamente befindet sich die Abkürzung RIGD, überwölbt von einer Kuppe, auf der sich ein Halbmond befindet. Darunter steht der Schriftzug Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V. RIG | Am 12. Mai wurde das unter der Schirmherrschaft des RIG stehende Sira-Projekt vorgestellt. Mittlerweile existiert ein Facebookprofil Sira-Team Deutschland. Eine unmittelbare Zugehörigkeit zum RIG zeigt sich auch über das Logo der Organisation. Das Ziel des Projektes besteht laut eigenen Angaben darin, die Sira (Biographie des Propheten Mohammed) nicht nur narrativ wiederzugeben, „sondern eine neue Präsentierweise und eine methodische Vielfalt und eine unterstützende Darstellung durch Tafelbilder und Figuren [vorzustellen].“ Abgebildet ist das Logo des Sira-Projekts. Auf grünem Untergrund befindet sich in einem Kreis eine arabische Kalligraphie, die übersetzt Mohammed bedeutet.

Zielgruppe des Sira-Projektes sind vorrangig Kinder und Jugendliche. Etwa zehn Veranstaltungen wurden im Berichtsjahr durch das Sira-Team Deutschland direkt oder in Kooperation mit dem RIG durchgeführt und fanden in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Offenbach am Main, Kirchheim (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Rüsselsheim am Main (Kreis Groß-Gerau), Arnsberg (Nordrhein-Westfalen), Freiburg (Baden-Württemberg) und Berlin statt.

Abgebildet ist das Logo des Europäischen Instituts für Humanwissenschaften. Es besteht aus einem roten Quadrat, das mit einer Spitze nach oben zeigt, die untere Spitze ist in einem schwarzen Winkel, dessen Spitze nach unten zeigt, eingebettet. Darunter befindet sich der Schriftzug: Das Europäische Institut für Humanwissenschaften. EIHW | Am 30. Januar veranstaltete das EIHW eine Abschlussfeier für den 1. Islamischen Studiengang mit 25 Absolventen in Frankfurt am Main. Unter den ca. 100 Gästen befanden sich zahlreiche MB-/IGD-Funktionäre, unter anderem der Vorsitzende der IGD und der Leiter der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş e. V. (IGMG), Landesverband Hessen. Das EIHW intensivierte im Jahr 2017 seine Öffentlichkeitsarbeit. Nach der Neugestaltung der Webseite, welche nun auch in deutscher Sprache zur Verfügung steht, fand am 27. Juli und am 16. September ein Tag der offenen Tür bzw. Studieninformationstag statt. Außerdem baute das EIHW im Berichtsjahr seine Beziehungen ins Ausland aus. So nahm das EIHW vom 8. bis 12. April an einer Universitätsveranstaltung in Dohar (Katar) teil. Zudem bot das EIHW gemeinsam mit dem kuwaitischen Awqaf-Ministerium (Ministerium für religiöse Stiftungen und Islamische Angelegenheiten) einen dreimonatigen Intensivkurs für Arabisch-Studenten vom 3. Oktober 2017 bis 3. Januar 2018 in Kuweit an, wobei die hochwertige Unterkunft, Verpflegung etc. gestellt wurden. Eine Neuauflage dieses Angebotes ist bereits für Februar 2018 angekündigt.

Entstehung/Geschichte

Staat im Staat | In einer Phase des sozialen Umbruchs in Ägypten, in der sich ein neuer Mittelstand herausbildete, gründete 1928 der Volksschullehrer Hasan al-Banna (1906 bis 1949) die MB als Reaktion auf die zunehmende Europäisierung des Landes. Als Wohlfahrtsorganisation islamischer Prägung, die unter anderem Krankenhäuser und Schulen unterhielt, entwickelte sich die streng hierarchisch aufgebaute MB zunehmend zum Staat im Staat.

Unter der Führung al-Bannas verfolgte die MB nach und nach im Wesentlichen folgende Ziele: Die Eliminierung des britischen Einflusses in Ägypten, die Islamisierung von Staat und Gesellschaft sowie die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Vor allem mit ihrer karitativen Arbeit gewannen die MB und ihre in anderen Ländern gegründeten Ableger immer mehr Anhänger.

Vom Verbot zur Regierung | In den 1940er und 1950er Jahren waren die Beziehungen zwischen der MB und dem ägyptischen Staat von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt. 1948 wurde der ägyptische Ministerpräsident Mahmud Fahmî an-Nuqrâshî (geb. 1888) ermordet, 1949 fiel Hasan al-Banna einem Attentat zum Opfer. 1954 verbot die Regierung die MB; ihr maßgeblicher Ideologe, Sayyid Qutb (geb. 1906), wurde 1966 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Ungeachtet der Generalamnestie für führende MB-Funktionäre im Jahr 1971 dauerten die Gewalttaten militanter islamistischer Gruppen, die ihre Aktionen unter Berufung auf die Schriften Sayyid Qutbs rechtfertigten, an. Eine militante Abspaltung der MB ermordete 1981 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat (geb. 1918). Sein Nachfolger Husni Mubarak gewährte der MB den Status als religiöse Bewegung, nicht aber den einer politischen Partei. Als Konsequenz entsandte die MB vermeintlich unabhängige Bewerber und Kandidaten auf Wahllisten anderer Parteien in die Parlamentswahlen. Bei den Wahlen im Jahr 2005 vervierfachte die MB die Zahl ihrer Abgeordneten auf 88 und errang damit etwa ein Fünftel der Sitze im ägyptischen Parlament. Nach dem von Massenprotesten der Opposition erzwungenen Rücktritt Mubaraks 2011 erlangten die MB und andere Islamisten bei den Wahlen etwa 70 Prozent der Abgeordnetenmandate.

Als politischer Arm der MB gründete sich im Februar 2011 die Hizb al-Hurriya wal-Adala (Partei der Freiheit und Gerechtigkeit). Ihr Vorsitzender Mohammed Mursi, zugleich ein führender MB-Funktionär, wurde 2012 zum ägyptischen Staatspräsidenten gewählt. Aufgrund der angespannten Wirtschaftslage und anhaltender Proteste gegen die Partei der Freiheit und Gerechtigkeit setzte das ägyptische Militär Mohammed Mursi im Juli 2013 ab. Im September 2013 verbot ein ägyptisches Gericht die MB nebst allen ihr zugehörigen Organisationen. Seit dem Dezember 2013 ist die MB in Ägypten als Terrororganisation eingestuft.

Die MB in Deutschland | 1960 gründete Said Ramadan (1926 bis 1995), ein Schwiegersohn al-Bannas und hoher MB-Funktionär, in München (Bayern) die Moscheebau-Kommission e. V. Zusammen mit Sayyid Qutb hatte er in den 1950er Jahren Ägypten verlassen und Ableger der MB in Jordanien, Syrien, Saudi-Arabien und im Libanon ins Leben gerufen. Durch Umbenennungen gingen aus der Moscheebau-Kommission e. V. im Jahr 1962 die Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e. V. und 1982 die IGD hervor.

Ideologie/Ziele

Durchsetzung der Scharia | Der ideologische Ursprung der MB geht auf ihren Gründer Hasan al-Banna zurück. Zentrale Elemente der MB-Ideologie sind bis heute im Selbstverständnis zahlreicher islamistischer und islamistisch-terroristischer Organisationen präsent. Wesentlicher Bestandteil der MB-Ideologie ist die Durchsetzung der Scharia als Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie als wichtigste Grundlage des politischen und sozialen Lebens.

„Der Koran ist unsere Verfassung“ | Das Motto der MB lautet: „Allah ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Allah ist unser nobelster Wunsch“. Ebenso wie sein Vorgänger Muhammad Mahdi Akif gehört Muhammad Badi, der „oberste Führer“ (arab. murshid amm) der MB, dem konservativen Lager der Organisation an. Er fordert von der arabischen Welt, die Verhandlungen mit Israel einzustellen und durch den „heiligen Jihad“ zu ersetzen.

Strukturen

Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) | In Europa wird die streng hierarchisch organisierte MB durch die FIOE, einen europäischen Dachverband MB-naher Organisationen mit Sitz in Brüssel (Belgien) vertreten. Eigenen Angaben zufolge vereinigt die FIOE Organisationen aus 28 Staaten, darunter viele nationale Dachverbände.

Strukturen der IGD | In Deutschland ist die IGD mit Hauptsitz in Köln (Nordrhein-Westfalen) die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern. Sie repräsentiert den ägyptischen Zweig der MB und ist seit ihrer Gründung Mitglied der FIOE. Der IGD sind bundesweit verschiedene Moscheegemeinden und sogenannte Islamische Zentren zuzuordnen, die formal von ihr unabhängig sind. In Hessen befanden sich solche Zentren in Frankfurt am Main und Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf).

RIG in Frankfurt am Main | Ähnlich wie der European Coucil for Fatwa and Research (ECFR, Europäischer Rat für Fatwa und Forschung) unter dem Vorsitz des MB-Ideologen Yusuf al-Qaradawi auf europäischer Ebene erhebt der RIG für Deutschland den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen der Koranauslegung für hier lebende Muslime zu fungieren. Der RIG, der seit 2004 mit Sitz in Frankfurt am Main besteht, ist sowohl organisatorisch als auch ideologisch der IGD nahe.

EIHW als Kaderschmiede für MB- und IGD-Funktionäre | 2012 wurde das EIHW mit Sitz in Frankfurt am Main nach dem Vorbild der Europäischen Institute für Humanwissenschaften in Großbritannien (European Institute of Human Sciences, EIHS) und in Frankreich (Institut Européen des Sciences Humaines, IESH) als Verein gegründet. 2013 nahm das EIHW seinen Lehrbetrieb auf. Der Verein wird durch den RIG und die IGD unterstützt. Als Schulungsstätte dient das EIHW der Verbreitung der MB-Ideologie und ist eine Kaderschmiede für MB- und IGD-Funktionäre.

Bewertung/Ausblick

Die Unterwanderungsstrategie der MB in Hessen verläuft unauffällig, da ihre Akteure nicht unter dem Namen der Bruderschaft auftreten. Nichtsdestotrotz bauen die in Hessen etablierten MB-Strukturen nicht nur über die Neugründung von Vereinen, Gruppierungen oder Facebook-Gruppen ihr Netzwerk fortlaufend aus, sondern auch durch Mitwirkung in kommunalen und gesellschaftlichen Gremien.

Mit einer legalistischen Strategie, das heißt ohne das Recht zu verletzen, versuchen die MB und die ihr nahestehenden Organisationen, ihrer Ideologie zur Akzeptanz in Teilen der Gesellschaft zu verhelfen. Dazu verhalten sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit und streben eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen. Diese legalistische Strategie wird von der Organisation deutschlandweit und auch auf europäischer Ebene angewandt. Extremistische Aussagen und Inhalte werden öffentlich bewusst vermieden.

Unter dem Deckmantel der Kinder- und Jugendarbeit, der karitativen Flüchtlingshilfe und von Benefizveranstaltungen für Waisen- und Entwicklungshilfeprojekte soll mittelbar ein Heranführen an die MB-Ideologie erfolgen.

In Bezug auf die MB-nahen Vereine in Hessen ist davon auszugehen, dass sie ihre Angebote, insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, weiter ausbauen werden. Dem neu gegründeten Sira-Team Deutschland kommt in diesem Zusammenhang auch außerhalb Hessens Bedeutung zu.

Die Kontakte des EIHW nach Katar bzw. die Kooperation mit Kuweit lassen auf eine zunehmende staatliche Einflussnahme dieser Länder schließen. Das Sponsoring der dreimonatigen Intensivkurse durch das kuwaitische Awqaf-Ministerium kann hierfür als Indiz gewertet werden.

Ereignisse wie die Schließung der al-Aqsa Moschee oder auch die Diskussion um den Status von Jerusalem aufgrund der Verlegung der US-Botschaft im Dezember des Berichtsjahres sind immer wieder Anlässe, die zu einer Emotionalisierung der Anhängerschaft der MB auch in Hessen führen.

Millî-Görüş-Bewegung

Definition/Kerndaten

Unter der Bezeichnung Millî-Görüş-Bewegung fasst das LfV bestimmte islamistische Bestrebungen türkischen Ursprungs zusammen. Ihr verbindendes Element liegt in der grundlegenden Orientierung an der Ideologie der türkischen Bewegung Millî Görüş (nationale Sicht). Diese beruht auf den Ideen zur „Errichtung einer Großtürkei“ des Gründers der Bewegung, Neçmettın Erbakan (1926 bis 2011). Zur Millî-Görüş-Bewegung (etwa 1.450 Anhänger in Hessen, bundesweit etwa 10.000) gehörten

  • der Landesverband Hessen der Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit),
  • die Ismail Agâ Cemaati (IAC),
  • Teile der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş e. V. (IGMG),
  • die Erbakan Vakfi Hessen (Erbakan-Stiftung) und
  • die Millî Gazete (Nationale Zeitung), Tageszeitung der Millî-Görüş-Bewegung.

Ereignisse/Entwicklungen

Der SP-Landesverband Hessen führte – wie in der Vergangenheit – wieder zahlreiche Veranstaltungen durch und war in der Betreuung seiner Mitglieder aktiv. Durch ihr zielgerichtetes und weitreichendes Veranstaltungsangebot gelang es der SP in Hessen, ihren Nachwuchs an die Organisation zu binden und deren Einbindung in das vorhandene Gemeinschaftsgefüge zu stärken. Dabei zeigten Gastauftritte türkischer SP-Funktionäre, wie sehr die türkische Mutterpartei SP-Strukturen im Ausland unterstützte. Die IAC war in Hessen unverändert aktiv, jedoch ohne Aussicht auf eine baldige Rückkehr ihres im Jahr 2015 aus Deutschland ausgewiesenen Oberhaupts, das sich in der Türkei aufhielt.

Keine SP-Ortsvereine gegründet | Nachdem sich der Landesverband der SP in Hessen 2016 als Verein unter der Bezeichnung Saadet Deutschland Regionalverein Hessen mit Sitz in Frankfurt am Main in das Vereinsregister hatte eintragen lassen, wurden keine Ortsvereine gegründet. Ebenso wenig wurden offiziell Jugend- und Frauenvereine ins Leben gerufen, obwohl Hinweise in sozialen Netzwerken darauf hindeuteten, dass – zumindest im Jugendbereich – interne Strukturen dieser Art bereits bestanden.

Gedenkveranstaltung für Neçmettın Erbakan | Wie in den Vorjahren führte die SP Hessen im Februar eine Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Begründer der Millî-Görüş-Ideologie, Neçmettın Erbakan, durch. Unter den mehreren hundert Gästen der Veranstaltung, die in Großkrotzenburg (Main-Kinzig-Kreis) stattfand, befanden sich neben Funktionären der SP Hessen auch der stellvertretende Vorsitzende der SP in der Türkei. Dieser referierte zum Thema „Erbakan gedenken und verstehen“. Darüber hinaus wurden Filme über Erbakan gezeigt.

Jugendaktivitäten der SP Hessen | Primäres Ziel der Aktivitäten der SP war die Anbindung ihres Mitgliedernachwuchses an die Organisation. Entsprechend fanden auch auf hessischer Ebene viele Veranstaltungen zur Förderung und Einbindung der Jugendlichen in die interne Arbeit statt. So besuchten in regelmäßigen Abständen SP-Vertreter die Jugendlichen zuhause, um in gemeinsamen Gruppengesprächen die Wertvorstellungen der Millî Görüş zu vermitteln. Darüber hinaus organisierte die SP Hessen im Oktober eine Schulungsveranstaltung mit Jugendlichen unter Leitung des Jugendvorsitzenden der SP Europa in Offenbach am Main. Dieser stellte den Jugendlichen das Leben und Wirken Erbakans vor und erläuterte die Lehren und Grundprinzipien der Millî-Görüş-Bewegung. Bei Millî Görüş handele es sich um „eine Dava“ (Missionierung) und den „Weg derjenigen, die ohne Angst vor der Kritik der Kritiker im Namen des Rechts marschieren!“ Ein Angehöriger von Millî Görüş sei ein „Mujahideen Moslem, der an die Weltsicht glaubt, die den richtigen Weg bevorzugt, der alle seine Kräfte mobilisiert, um die gerechte Ordnung zu gründen und um die ganze Menschheit zu befreien.“

In diesem Zusammenhang hob der Jugendvorsitzende die Einzigartigkeit der Millî-Görüş-Anhänger hervor, die sich der „großen Mission“ und Leidenschaft der „gerechten Ordnung“ der Millî Görüş stellten und ihre Kraft aus der Gläubigkeit der Jugend zögen. Beispielhaft wurde ein Zitat Erbakans aufgeführt:

„Die eigentliche Macht einer Nation sind nicht ihre Kanonen, Gewehre oder Panzer, sondern ihre gläubige Jugend.“

Bei Ratsversammlungen in einer Moschee in Frankfurt am Main, zu denen sich die Vorstandsmitglieder der SP Hessen trafen, war unter anderem Thema, wie sich die Jugendvertretungen entwickelten. Besondere Gäste waren unter anderem die Frauenvorsitzende der SP Europa und der Vorsitzende der SP Hessen. Während dieser Veranstaltungen warb die SP Hessen für die türkischsprachige Tageszeitung Millî Gazete.

IAC – aus der Türkei übertragene Predigten | Nach der Ausweisung des selbsternannten Oberhaupts der europäischen IAC-Gemeinde, Nusret Çayir, im Oktober 2015, hielt sich dieser weiterhin in der Türkei auf. Seine Predigten, die sich immer wieder auch an den Lehren Erbakans orientierten, wurden weiterhin in einer Moschee im Raum Frankfurt am Main per Live-Schaltung aus der Türkei vor Publikum übertragen. Nach wie vor besuchten mehrere hundert Personen, die auch aus anderen Bundesländern und dem näheren europäischen Ausland kamen, einmal im Monat diese Veranstaltungen. Çayirs Predigten waren von antidemokratischen sowie antisemitischen Elementen geprägt und propagierten die Einführung eines weltweiten Gottesstaats.

Insgesamt war die IAC geprägt durch Verehrung, Huldigung und absoluten Gehorsam gegenüber ihren Führungsfiguren und ihrem in der Türkei lebenden spirituellen Oberhaupt Scheich Mahmud Ustaosmanogˆlu.

Entstehung/Geschichte

1969 gründete Necmettın Erbakan (1926 bis 2011) in der Türkei die Millî-Görüş-Bewegung und stellte sich damit gegen die vom Gründer der modernen Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk (1881 bis 1938), eingeführte Trennung von Staat und Religion. Auf diese Weise wollte Erbakan die Säkularisierung des Landes rückgängig machen und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben erneut islamisieren.

Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei | 1970 wurde als politische Vertretung der Millî-Görüş-Bewegung die Millî Nizam Partisi (MNP, Nationale Ordnungspartei) gegründet. 1973 verfasste Erbakan das für die Ideologie der Bewegung noch immer wegweisende Buch „Millî Görüş“. Über Parteiverbote und Parteineugründungen sowie ein zweimal verhängtes Politikverbot für Erbakan führte der Weg der Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei bis zur 2001 gegründeten und noch heute existenten SP. Erbakan war in der Türkei mehrere Male stellvertretender Ministerpräsident und bekleidete 1996/97 das Amt des Ministerpräsidenten.

Millî-Görüş-Bewegung in Deutschland | 1976 entstand in Köln (Nordrhein-Westfalen) als Ableger der Millî-Görüş-Bewegung die Türkische Union Europa e. V. Sie benannte sich 1982 in Islamische Union Europa e. V. (IUE) um. 1984 kam es innerhalb der IUE zu Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung des Vereins. Als Folge gründete sich 1985 in Köln die Avrupa Millî Görüş Teşkilatları (AMGT, Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.) als Nachfolgeorganisation der mittlerweile bedeutungslos gewordenen IUE.

Aus der AMGT gingen 1995 die Europäische Moscheebau und Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) und die IGMG hervor. Organisatorisch waren beide in einen wirtschaftlichen und einen ideellen Bereich getrennt. Aufgabe der EMUG ist die umfangreiche Grundstücksverwaltung und Betreuung der AMGT- und IGMG-Vereine. Die IGMG ist auf die religiösen Belange ihrer Mitgliedsvereine ausgerichtet. Viele Moscheevereine änderten in der Folge den Namenszusatz AMGT in IGMG. Die Zugehörigkeit zur Millî-Görüş-Bewegung blieb jedoch erhalten und zeigte sich oftmals auch in personellen Überschneidungen von AMGT und IGMG.

SP als Repräsentantin der Millî-Görüş-Bewegung | Auf politischer Ebene vertritt die von Necmettın Erbakan gegründete SP die Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei. Die SP ging aus der verbotenen Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) Erbakans hervor, aus der damals auch die jetzige türkische Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) entstand. Der Einfluss der SP auf die politische Willensbildung im Land ist aufgrund ihres geringen Wählerpotenzials kaum wahrnehmbar. Obwohl sich die AKP mit der Zeit von der ursprünglichen Ideologie der Millî-Görüş-Bewegung distanzierte, verbindet sie mit der SP dieselben konservativen Wurzeln.

Rolle der IAC in der Türkei | Die IAC ist der Bruderschaft der Naqshbandiya zuzuordnen, die im 14. Jahrhundert in Zentralasien entstand. Ihr Gründer, Baha‘ ad-Dîn Naqshbandî (1318 bis 1389) aus Buchara (heutiges Usbekistan), steht in einer Reihe sogenannter Meister in Zentralasien, die mystische Gemeinschaften gründeten. Die sunnitische Naqshbandiya entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zur bedeutendsten Bruderschaft und ist heute weltweit verbreitet. Ihr Handeln beruht auf einer religiös geprägten Lebensführung, wobei eine enge emotionale Bindung zwischen Schüler und Meister besteht. Unter anderem durch spezielle Meditationstechniken sucht der Schüler die unmittelbare mystische Gotteserfahrung. So versucht der Schüler durch schweigendes Denken an Allah (arab. dhikr) diesem so nahe wie möglich zu kommen.

Obwohl 1925 durch Atatürk verboten, spielte die Naqshbandiya-Bruderschaft im religiösen Leben in der Türkei eine bedeutende Rolle. Necmettın Erbakan und das in der Türkei lebende spirituelle Oberhaupt der Bruderschaft, Scheich Mahmud Ustaosmanogˆlu, pflegten engen Kontakt zu dem einflussreichen türkisch-sunnitischen Naqshbandiya-Scheich Mehmet Zaid Kotku (1897 bis 1980) und wurden durch ihn geprägt. Kotku war eine der führenden Personen des Naqshbandiya-Ordens.

Ideologie/Ziele

Gemäß Erbakans Grundsätzen gibt es in der Welt eine gerechte (türk. adil düzen) und eine nichtige Ordnung (türk. batıl düzen). Ziel müsse es sein, die schlechte, tyrannische, auf menschlicher Willkür sich gründende und daher vergängliche Ordnung durch die gute, von Allah vorgegebene und angeblich auf Wahrheit fußende Ordnung zu überwinden. Dies sei allein durch die Millî Görüş zu erreichen, welche die Verwirklichung dieser Gedanken in der Türkei propagiert, wo eine islamische Staats- und Gesellschaftsordnung nach den Grundlagen von Koran und Sunna geschaffen werden soll. Die Millî-Görüş-Bewegung verbindet in ihrer Gesamtheit einen universalen türkisch-nationalistischen mit einem islamistischen Ansatz.

Strukturen

Abgebildet ist das Logo der Partei der Glückseligkeit. Auf rotem rundem Untergrund befindet sich in der Mitte ein Halbmond in weißer Farbe. In der oberen rechten Bildhälfte befinden sich − der geöffneten Mondsichel zugewandt − fünf Sterne in unterschiedlicher Größe, ebenfalls in weißer Farbe. Unter der Mondsichel steht in weißer Farbe in Großbuchstaben der Schriftzug Saadet Hessen. SP | Seit einigen Jahren entstehen deutschlandweit Ableger der SP, die Anhänger und Wählerpotenzial in Deutschland aktivieren, um die Politik der Mutterpartei in der Türkei zu unterstützen. Dabei vertraten die SP-Strukturen in Deutschland die politische Ausrichtung der Ideologie Necmettın Erbakans innerhalb der Millî-Görüş-Bewegung.

Abgebildet ist das in grüner Farbe gehaltene Logo der Ismail Aga Cemaati. Abgebildet ist eine Moschee. Darunter befindet sich in weißer Farbe eine Karte Europas, die sich wiederum in einem nach oben geöffneten Halbmond befindet. Darunter steht im Original in türkischer Sprache: Europäische Gebote. IAC | Feste Vereinsstrukturen der IAC gab es in Hessen nicht, sie war lediglich im Rahmen regelmäßig stattfindender Veranstaltungen aktiv.

IGMG | Die IGMG als weltweit verbreitete Organisation verfügte über 520 Moscheevereine in 34 Regionalverbänden. Die IGMG war nicht in der Gesamtheit ihrer Mitglieder der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung zuzurechnen. Teile der IGMG befanden sich in einem Prozess des Abwendens von der extremistischen Ideologie Erbakans. Es lagen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass einige IGMG-Ortsvereine weiterhin der Millî-Görüş-Ideologie Erbakans folgten und bestrebt waren, dessen Ziele perspektivisch umzusetzen. Neben einigen Ortsvereinen gehörten in Hessen der IGMG-Landesverband, der Frauen- und Jugendverband sowie die studentische Vereinigung Unikat e. V. zur Millî-Görüş-Bewegung.

Abgebildet ist das in roter Farbe gehaltene Logo der Milli Gazette. Abgebildet ist ein nach unten geöffneter Halbmond. Darunter befinden sich vier Minarette einer Moschee. Hierunter steht der Schriftzug Milli Gazette. Darunter steht im Original in türkischer Sprache: Das Wahre ist gekommen, das Unwahre ist vergangen. Millî Gazete | Die türkische Tageszeitung Millî Gazete, deren Zentrale für die Europaausgabe sich in Frankfurt am Main befindet, informierte in der Vergangenheit vorrangig über die IGMG, berichtet mittlerweile aber auch über die Aktivitäten der SP im In- und Ausland. In ihrem Selbstverständnis sieht sich die Millî Gazete als einzige und unveränderliche Vertreterin der Millî-Görüş-Ideologie unter den Printmedien. In ihrem Namen führt die Millî Gazete – in deutscher Übersetzung – den Zusatz „die gerechte Ordnung wird kommen“. Immer wieder hebt die Zeitung in ihren Artikeln

Abgebildet ist das in goldener Farbe auf dunklem Untergrund gehaltene Logo der Erbakan-Stiftung. Unter einem orientalischen Ornament befindet sich im Original in türkischer Sprache der Schriftzug: Erbakan-Stiftung Hessen.Necmettın Erbakan als Retter der Welt hervor und rühmt dessen Ideologie der Errichtung einer neuen Welt, in welcher der Islam wiederbelebt wird und über allen anderen Ordnungen steht. Damit bildet die Millî Gazete ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Strukturen der Millî-Görüş-Bewegung.

Erbakan Vakfı (Erbakan Stiftung) | Die im Jahr 2013 vom Sohn Necmettın Erbakans, Fatih Erbakan, in der Türkei gegründete Stiftung beansprucht, Erbakans Ideologie zu vertreten und die Erinnerung an ihn aufrechtzuerhalten. In Hessen trat sie bisher kaum in Erscheinung.

Bewertung/Ausblick

Die SP etablierte sich in Hessen inzwischen als feste Größe innerhalb der Millî-Görüş-Bewegung. Sie ist nicht nur Auffangbecken für bisherige IGMG-Mitglieder, denen die sich in Teilen vollziehende Abwendung vom Gründer Erbakan missfällt, sondern auch ein neues Angebot für sich interessierende junge Menschen muslimischen Glaubens. Während sich die IGMG in Teilen der AKP annähert und sich damit von der originären Mutterpartei SP distanziert, blieben die hessischen SP-Verbände dem Gründer und der Mutterpartei treu ergeben. Der Namensbezug zur SP in der Türkei zeigte dies deutlich.

Dass mit der SP in Hessen ein neues, jugendaffines Angebot im Entstehen ist, fordert nicht nur die Sicherheitsbehörden, sondern insbesondere auch Kommunen und Gesellschaft heraus. Die hessische SP wird, der legalistischen Strategie folgend, versuchen, verstärkt in gesellschaftliche und kommunale Mitsprache und Dialogangebote zu gelangen. Ziel ihrer sozialen Arbeit ist es aber, Kindern und Jugendlichen eine extremistische Weltsicht zu vermitteln. Im Interesse der Kinder und Jugendlichen sollte sich die abwehrbereite Demokratie hier deutlich zu Wehr setzen. Integrationspolitik in Gesellschaft und Kommunen sollte den jungen Menschen eine Alternative in anderen muslimischen Vereinigungen aufzeigen.

Bei der IAC in Hessen hat sich gezeigt, dass die Strukturen mittelfristig Bestand haben werden, obwohl der zentrale Prediger seit seiner Ausweisung in Hessen nicht mehr selbst anwesend ist, sondern nur noch über einen Internet-Live-Stream zu hören und zu sehen ist. Diese virtuellen Vorführungen verzeichnen jedoch ein gleichbleibend hohes Besucheraufkommen.

Bei dem eher geschlossenen Besucherkreis der IAC gehören Neuzugänge nicht zum Alltag. Es ist eine Parallelwelt, die unter sich bleiben will. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann Parallelwelten, in denen der Gottesstaat und der Antisemitismus gelebt werden, nicht dulden. Die IAC unterscheidet sich in ihrem Gefahrenpotenzial dadurch von der SP, dass sie keine offensive Kinder- und Jugendwerbung betreibt. Die Gefahr der Ausbreitung auf Kinder und Jugendliche ist geringer.

Türkische Hizbullah (TH)

Definition/Kerndaten

Nachdem Angehörige der TH in den 1990er Jahren zahlreiche Morde und andere Gewalttaten begangen hatten, zerschlug der türkische Staat die Terrorgruppe 1999/2000. Dabei wurde der TH-Anführer Hüseyin Velioǧlu in einem Feuergefecht mit der Polizei getötet. Durch Flucht nach Westeuropa (unter anderem nach Deutschland, Österreich, Italien und in die Schweiz) entzogen sich TH-Aktivisten den staatlichen Maßnahmen in der Türkei. Einzelne Führungsaktivisten sollen sich in den Iran abgesetzt haben. TH-Angehörige nutzen Deutschland seitdem als Rückzugsraum, um sich personell und logistisch zu reorganisieren. Die Aktivisten sammeln hier vor allem Spenden und vertreiben Publikationen. Die letzte bekannt gewordene Gewalttat der TH in der Türkei, bei der sechs Polizisten getötet wurden, ereignete sich 2001. Nicht zu verwechseln ist die sunnitische TH mit der schiitisch orientierten Hizb Allah (Partei Gottes) im Libanon.

Anhänger/Mitglieder: In Hessen etwa 120, bundesweit etwa 400
Medien (Auswahl): Doğru Haber (Wahre Nachricht), İnzar (Warnung) und das Kindermagazin

Çocuk (Kind)

Abgebildet ist das Logo der Türkischen Hizbullah mit dem entsprechenden arabischen Schriftzug, unter dem im Original in türkischer Sprache in Großbuchstaben steht: Hizbullah Gemeinschaft.

Ereignisse/Entwicklungen

Für die hessischen TH-Vereine war die am 16. April ausgerichtete jährliche Europaveranstaltung der TH, die zum zweiten Mal in Folge in Hofheim am Taunus (Main-Taunus-Kreis) mit mehreren hundert Teilnehmern aus dem In- und Ausland stattfand, das bedeutendste Ereignis. Die Kinder- und Jugendarbeit wurde in den hessischen TH-Vereinen wie in den vergangenen Jahren erfolgreich vorangetrieben. Daneben wurden auch in diesem Jahr aufwändige Wohltätigkeitsveranstaltungen für TH-nahe Organisationen durchgeführt.

Schwerpunkt Wiesbaden | Die Wiesbadener TH-Moschee blieb wie in den vergangenen Jahren ein wichtiger Stützpunkt der TH und baute ihre überregionale Bedeutung offenbar aus. Der Moscheeverein trug im Wesentlichen die Organisation und Gestaltung der Europa-Veranstaltung der TH am 16. April. Dass er dies nun zum zweiten Mal in Folge übernommen hat, unterstreicht die Bedeutungszunahme.

Bei der Europa-Veranstaltung handelt es sich um die jährlich stattfindende zentrale Feier der TH anlässlich der Geburt des Propheten Mohammed (so-genannte Kutlu Doǧum-Veranstaltungen, übersetzt „Heilige Geburt“). Die auch in diesem Jahr wieder hochkarätig besetzte Großveranstaltung fand mit prominenten Rednern aus dem TH-Spektrum und Hunderten von TH-nahen Teilnehmern aus Frankreich, der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Belgien und Großbritannien statt.

Die Wiesbadener TH-Moschee kann insgesamt als eine gutbesuchte Moschee eingestuft werden. Die Moschee ist dabei in ihrem Stadtteil fest verankert, weist eine stabile und langjährige Basis von TH-Anhängern auf und hat in den letzten Jahren signifikant an weiteren Moscheebesuchern hinzugewonnen.

Entstehung/Geschichte

Islamistischer Gegenentwurf zur Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) | Im Raum Diyarbakır, der Hochburg der PKK, entstand in der Stadt Batman im Südosten der Türkei die TH, als sich in den 1980er Jahren muslimische Kurden zu einer Organisation zusammenschlossen. Als islamistischer Gegenentwurf zur PKK kämpfte die TH zwischen Ende der 1980er und Mitte der 1990er Jahre gewaltsam sowohl gegen die damals säkular-linksextremistisch ausgerichtete kurdische Terrororganisation als auch gegen den türkischen Staat. Dabei folterten und töteten TH-Angehörige mehrere hundert Menschen. Intern bekämpften sich zwei miteinander verfeindete Lager der TH mit Gewalt, wobei die mit der ägyptischen MB sympathisierende Ilim-Gruppe schließlich die Oberhand behielt. Insgesamt werden der TH eine Vielzahl von Morden – unter anderem an liberalen türkischen Journalisten, Staatsvertretern und „Verrätern“ aus den eigenen Reihen – sowie Folterungen zur Last gelegt.

Aktivisten im Untergrund | Im Verlauf umfassender Exekutivmaßnahmen des türkischen Staats gegen die TH wurde im Jahr 2000 in Istanbul der TH-Führer Hüseyin Velioǧlu getötet. Funktionäre wurden festgenommen und seitdem mehrere tausend TH-Angehörige verhaftet. 2011 wurden in der Türkei aufgrund einer Gesetzesänderung zahlreiche TH-Funktionäre unter gerichtlichen Meldeauflagen aus der Haft entlassen. Der größte Teil ist seitdem untergetaucht. Ihren militärischen Flügel baute die TH mittlerweile neu auf, sie bildete neue Kämpfer aus und beschaffte sich erneut Waffen und Sprengstoff.

Ideologie/Ziele

Schaffung eines islamischen Gottesstaats | Ziel der TH ist es, in der Türkei einen islamischen Gottesstaat zu errichten und diesen auf die gesamte Welt auszudehnen. Die „westliche“ Welt, insbesondere die USA und der Staat Israel, zählen zu den Feindbildern der TH. Die Anwendung von Gewalt hält die TH grundsätzlich für gerechtfertigt. In der im Jahr 2004 veröffentlichten Schrift „Die Hizbullah in eigenen Worten“ (türk. Kendi Dilinden Hizbullah) beschreibt die TH ihre Ziele wie folgt:

„Tausendfacher Dank an Gott, der uns die Hizbullah-Gemeinde und die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde geschenkt hat, die sich auf das Kampffeld begeben hat, um die Herrschaft des Islam überall zu verbreiten. […] Mit dem Wunsch eine vereinte islamische Umma zu gründen, in der […] die göttliche Gerechtigkeit herrscht und die Hadd-Strafen gelten, haben wir das Kämpfen für diesen Glauben und dieses Ziel als unser islamisches Bekenntnis und als eine Notwendigkeit des Islam nach dem Verständnis des Propheten betrachtet. Für solch eine heilige Mission zu kämpfen, Schmerz und Folter zu erdulden und sogar als Märtyrer zu sterben, haben wir als eine Ehre empfunden. Auch in der Zukunft werden wir dieser heiligen Mission und diesen Werten verbunden bleiben und es als Ehre und Würde empfinden, dafür zu kämpfen“.

Strategiewechsel seit 2000 | Neue Gewalttaten macht die TH von dem „Erfolg“ ihres Strategiewechsels abhängig: In der Türkei will sie sich als einflussreiche gesellschaftliche Organisation etablieren und sich hierdurch steigende politische Unterstützung sichern. Hierfür intensiviert sie – ähnlich wie die HAMAS im Nahen Osten – ihre Anstrengungen unter anderem im sozialen Bereich und verzichtet in ihrer Außendarstellung auf Gewalt. Mit Spendenkampagnen im Rahmen von Notsituationen versuchte die TH Einfluss zu gewinnen.

Antisemitische und antiwestliche Propaganda in TH-Publikationen | Die ideologischen Leitlinien der TH, insbesondere antisemitische und antidemokratische Äußerungen, finden regelmäßig Eingang in Magazine, die der TH nahe stehen oder dieser zuzurechnen sind. So ist zum Beispiel in der Zeitschrift Doǧru Haber zu lesen:

„Sie [i. e. die Götzendiener] beschimpften uns mit den Worten wie Demokratie, Laizismus, Freiheit und Menschenrechte. […] Sie wollten den Juden dienen sonst gar nichts! Komm, Scharia, komm und zerschlage alle diese falschen Götter!“

Strukturen

Strukturen der TH bestanden außerhalb der Türkei in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Deutschland diente dabei als Rückzugsraum zum finanziellen und personellen Aufbau der TH. Sie unterhielt in Deutschland – ebenso wie im Ausland – einige Moscheevereine, wobei die TH insgesamt straff organisiert ist. In Hessen bildete Wiesbaden den Schwerpunkt der Aktivitäten der TH.

Bewertung/Ausblick

Der extremistische und integrationshemmende Einfluss der TH-Ideologie, insbesondere auf Kinder und Jugendliche, droht sich in den hessischen TH-Vereinen weiter zu verstetigen. Teile der Angebote in den Vereinen wirken entfremdend gegenüber den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Jugendliche werden langfristig für den Extremismus der TH empfänglich. Antisemitische, antiwestliche und antiisraelische Propaganda, die zum festen Bestandteil der TH-Ideologie gehört und in TH-nahen Magazinen immer wieder zum Ausdruck kommt, wird aller Voraussicht nach weiterhin im Umfeld der TH-Vereine verbreitet werden.

Sonstige Beobachtungsobjekte

Im Folgenden werden weitere relevante Beobachtungsobjekte aufgeführt. Die Auflistung ist nicht abschließend.

Al-Qaida in Ostafrika: Al-Shabab (die Jugend) | Ziele des somalischen al-Qaida-Ablegers sind die Errichtung eines islamischen Gottesstaates unter Geltung der Scharia am Horn von Afrika und der Sturz der seitens der internationalen Gemeinschaft unterstützten somalischen Regierung. Durch ein verstärktes militärisches Engagement der Afrikanischen Union (AU) konnte mithilfe des internationalen Truppenkontingents AMISOM (African Union Mission in Somalia) die al-Shabab Mitte 2012 aus Mogadischu und weiteren Territorien Somalias verdrängt werden. Dennoch verübte die Terrormiliz vorwiegend in der Hauptstadt Somalias schwere Anschläge mit zahlreichen Todesopfern. Bei dem bislang schwersten Terroranschlag in der Geschichte Somalias am 14. Oktober waren nach der Explosion eines mit Sprengstoff beladenen Lkw mehr als 300 Tote und über 200 Verletzte zu beklagen. Insbesondere von Regierungsbeamten und Geschäftsleuten besuchte internationale Hoteleinrichtungen stellten in der Vergangenheit bevorzugte Anschlagsziele dar. Al-Shabab verfügte in Deutschland über keine organisierte Unterstützungsstruktur, Sympathisanten waren jedoch auch in Hessen festzustellen. Der Staatsschutzsenat des OLG Frankfurt am Main verurteilte am 27. Oktober den aus Frankfurt am Main stammenden 29-jährigen deutschen Staatsangehörigen Abshir Ahmed A. wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung al-Shabab zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten.

Hizb Allah (Partei Gottes) | Das Ziel der Anfang der 1980er Jahre mit Unterstützung des Iran gegründeten schiitisch-islamistischen Organisation ist die Vernichtung Israels. Ihr politischer Arm ist Teil der libanesischen Regierung, der militärische Flügel ist für Angriffe auf Israel verantwortlich. Die in Deutschland und Hessen lebenden Anhänger der Organisation unterstützten diese insbesondere durch Spendensammlungen.

Kalifatsstaat | Unter Führung Cemaleddin Kaplans (1926 bis 1995) ging der Kalifatsstaat Mitte der 1990er Jahre aus dem Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi (ICCB, Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V.) mit dem Ziel hervor, in Deutschland einen auf der Scharia beruhenden islamischen Staat zu errichten. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sah der Kalifatsstaat als legitim an. Kaplan ernannte sich selbst zum „Kalifen“. Nachdem sich unter seinem Nachfolger Metin Kaplan die Ideologie weiter radikalisierte, verbot 2001 und 2002 das Bundesministerium des Innern den Kalifatsstaat nebst 35 Teilorganisationen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Verbote im November 2002. Seitdem agieren die verbliebenen Anhänger in Deutschland und Hessen konspirativ und streben die Reorganisation der zerschlagenen Struktur an. Es zeigte sich, dass vormalige Anhänger des Kalifatsstaats zum Teil in das salafistische Spektrum überwechseln. Die Konkurrenz des ideologisch verwandten Salafismus machte es Kalifatsstaats-Aktivisten zunehmend schwerer, neue Anhänger unter der jüngeren Generation zu gewinnen.

Straf- und Gewalttaten

Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Anzahl der extremistischen Straf- und Gewalttaten im Phänomenbereich Islamismus. Die Straftaten sind weit überwiegend im Bereich Salafismus zu verorten. Maßgeblich für die Erhöhung waren Flüchtlinge mit Affinität zu terroristischen Vereinigungen sowie deutsche Staatsangehörige, die sich im ehemaligen „Hoheitsgebiet“ des IS aufhielten. (Siehe im Glossar und Abkürzungsverzeichnis unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

Abgebildet ist die Tabelle islamistische Straf- und Gewalttaten in Hessen. In der linken Spalte stehen die Deliktarten. Die weiteren drei Spalten enthalten Zahlenangaben zu den Deliktarten jeweils für die Jahre 2017, 2016 und 2015.
In den Jahren 2017, 2016 und 2015 gab es keine Tötung.
In den Jahren 2017, 2016 und 2015 gab es keine versuchte Tötung.
In den Jahren 2017, 2016 und 2015 gab es keine Körperverletzung.
In den Jahren 2017 und 2016 gab es keine Delikte im Bereich Brandstiftung/Sprengstoffdelikte, im Jahr 2015 gab es ein Delikt.
In den Jahren 2017, 2016 und 2015 gab es keine Delikte im Bereich Landfriedensbruch.
In den Jahren 2017, 2016 und 2015 gab es keine Delikte im Bereich gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr.
Im Jahr 2017 gab es ein Delikt im Bereich Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte. In den Jahren 2016 und 2015 gab es keine Delikte.
Insgesamt gab es im Jahr 2017 im Bereich dieser Gewalttaten ein Delikt, im Jahr 2016 kein Delikt und im Jahr 2014 1 Delikt.
Darüber hinaus kam es zu weiteren, sogenannten sonstigen Straftaten.
Im Jahr 2017 gab es ein Delikt im Bereich Sachbeschädigung, im Jahr 2016 gab es 1 Delikt, im Jahr 2015 gab es 3 Delikte.
Im Jahr 2017 gab es 5 Delikte im Bereich Nötigung/Bedrohung, im Jahr 2016 gab es 10 Delikte, im Jahr 2015 gab es kein Delikt.
Im Jahr 2017 gab es 92 Delikte im Bereich andere Straftaten, im Jahr 2016 gab es 51 Delikte, im Jahr 2015 gab es 50 Delikte.
Insgesamt betrug die Anzahl der islamistischen Straf- und Gewalttaten in Hessen im Jahr 2017 99. Im Jahr 2016 waren es 62 und im Jahr 2015 54 islamistische Straf- und Gewalttaten.
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