Salafismus
Als Salafismus bezeichnet der Verfassungsschutzverbund eine extremistische Strömung innerhalb des Islamismus. Der Begriff geht auf die arabische Bezeichnung as-salaf as-salih (dt. die frommen Altvorderen) zurück, worunter die ersten drei Generationen von Muslimen (7. bis 9. Jahrhundert) zu verstehen sind. Diese nehmen innerhalb der Ideologie des Salafismus eine zentrale Stellung ein, da ihre Handlungen – neben denen des Propheten Mohammed – als die authentische Überführung der „wahren“ Glaubenslehre in die Praxis gelten und als solche zu imitieren sind.
Die „frommen Altvorderen“ dienen nicht nur als Vorbilder für die individuelle Lebensführung, sondern gelten auch in Bezug auf Glaubens- und Rechtsfragen als Autoritäten. Salafisten sehen sich durch ihren Rückbezug auf die „unverfälschte“ Glaubenslehre in der Nachfolge dieser Generationen als elitäre Vertreter des „wahren“ Islam. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die islamische Glaubensdoktrin und praxis von unerlaubten Neuerungen und Verfälschungen zu reinigen und die im Frühislam geltenden Herrschafts- und Rechtsformen (Kalifat) in der Gegenwart anzuwenden.
Über die Frage, mit welchen Methoden dieses Ziel zu erreichen ist, gibt es innerhalb des Salafismus verschiedene Auffassungen. Das Spektrum umfasst sowohl diejenigen Salafisten, welche die Ideologie mit politischen Mitteln durchsetzen wollen (politischer Salafismus), als auch solche, die hierfür Gewalt als legitimes Mittel ansehen (jihadistischer Salafismus).
Koran und Prophetentradition (arab. sunna) als einzige legitime Glaubensquellen | Salafisten nehmen für sich in Anspruch, ihre Glaubensvorstellungen und Rechtsnormen direkt aus den islamischen Quellen abzuleiten. Dabei zeichnet sich die salafistische Auslegung durch ein streng wortgetreues Verständnis von Koran und Sunna aus, jegliche sinnbildhafte Interpretation wird abgelehnt. Dennoch greifen Salafisten zusätzlich auf ausgewählte islamische Gelehrte zurück, um ihre jeweiligen Positionen in Bezug auf islamgetreue Lebensführung bzw. Disziplinierungsmaßnahmen bei Zuwiderhandlungen zu legitimieren.
Dualistische Weltsicht | Die „Attraktivität“ der salafistischen Ideologie ist vor allem in ihrer dualistischen Weltsicht begründet. Sie propagiert einfach zu verstehende und umzusetzende Freund-Feind-Bilder. So teilen Salafisten Menschen und Handlungen entgegen jeglicher Lebensrealität ein in gut und böse, gläubig und ungläubig, islamisch und unislamisch sowie erlaubt und verboten.
Dadurch wird vor allem jungen und beeinflussbaren Menschen ein vermeintlich allzeit gültiger Handlungskatalog angeboten, der Orientierungshilfe und feste Strukturen in einer als komplex wahrgenommenen Welt suggeriert. Außerdem vermittelt die salafistische Szene als jugendliche Subkultur mit einer bestimmten Art von Kleidung, Sprache und Symbolik, durch die sich -Salafisten optisch von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen, ein hohes Maß an Zugehörigkeitsgefühl und identitätsstiftenden Charakteristika. So übt die salafistische Ideologie in Europa vor allem auf muslimische Migranten der zweiten und dritten Einwanderergeneration sowie auf Konvertiten eine hohe Anziehungskraft aus.
Politischer und jihadistischer Salafismus: Unterschiede und Gemeinsamkeiten | Obgleich Salafisten das Ziel vereint, die „frommen Altvorderen“ zu imitieren und die angeblich „wahre“ Glaubenslehre in die Praxis umzusetzen, ziehen sie unterschiedliche Schlüsse aus den religiösen Quellen und leiten daraus unterschiedliche Handlungsweisen ab. Der Verfassungsschutz unterscheidet daher – je nach Mittel, das gewählt wird, um die angestrebten gesellschaftlichen und politischen Veränderungen umzusetzen – zwischen politischem und jihadistischem Salafismus.
Während der politische Salafismus die Missionierungsarbeit in den Vordergrund stellt, sieht der jihadistische Salafismus die Anwendung von Gewalt und den bewaffneten Kampf (arab. jihad) als unabdingbar an. Auch wenn sich Anhänger beider Strömungen in der genauen Ausgestaltung der salafistischen Ideologie unterscheiden, sind die Übergänge aufgrund der gemeinsamen ideologischen Grundlagen fließend.
Zahl der Salafisten insgesamt | In Hessen war der Großteil der Salafisten dem Spektrum des politischen Salafismus zuzurechnen. Mit etwa 1.650 Personen blieb in Hessen die Zahl der Salafisten im Vergleich zum Vorjahr konstant und damit weiterhin besorgniserregend hoch.
Der sogenannte Islamische Staat (IS) verlor in einer Reihe empfindlicher militärischer Niederlagen weiter an Territorium in Syrien und im Irak. Besonders der Fall der für die terroristische Vereinigung IS überaus bedeutsamen Städte Raqqa (Syrien) und Mossul (Irak) markierte den Niedergang des im Jahr 2014 ausgerufenen „Kalifats“. Gegen Ende des Berichtsjahrs verfügte der IS nur noch über etwa ein Zehntel seines ursprünglichen Gebiets. Verbliebene IS-Anhänger gingen in den Untergrund oder setzten sich in Staaten ab, in denen IS-nahe Gruppen oder Ableger der Terrororganisation existierten. Dass die Gefahr jihadistisch motivierter Anschläge aufgrund des weitgehenden Zerfalls des IS abnimmt, ist jedoch nicht zu erwarten. Solange jihadistische Gruppierungen wie der IS für andere Jihadisten ihre ideologische Anziehungskraft und operative militärische Fähigkeit behalten, bleibt die latente Anschlagsgefahr für Deutschland und andere Länder. Vor diesem Hintergrund verfolgten Anhänger und Sympathisanten der jihadistischen Szenen in Hessen die Entwicklungen im weltweiten Jihadismus. Mit dem sich abzeichnenden Ende des IS-„Kalifats“ erlosch für zahlreiche Jihadisten und ihnen nahestehende Personen vorerst die Utopie eines islamischen Gemeinwesens. Ungeachtet dessen blieben sie weiterhin von der dem gewaltsamen Jihad zugrunde liegenden Ideologie überzeugt. Die Gefahr von terroristischen Anschlägen in Deutschland und Europa ist daher anhaltend hoch.
Im Bereich des politischen Salafismus fanden seit dem Frühjahr in Frankfurt am Main Verteilaktionen des da’wa-Projekts „We Love Muhammad“ statt. Dabei wurden Biografien des Propheten Mohammad (arab. sira) in deutscher Sprache, Hörbücher und Visitenkarten, die für eine App werben, kostenlos angeboten.
Zerfall des „Kalifats“ | Im Berichtsjahr vertrieben die Anti-IS-Koalition sowie das russisch-syrische Militärbündnis, kurdische Milizen und irakische Regierungstruppen den IS nahezu vollständig aus den von ihm kontrollierten Gebieten. Irakische Truppen und schiitische Milizen eroberten im Juli die nordirakische Stadt Mossul, wo der „Kalif“ des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, im Juni 2014 das „Kalifat“ ausgerufen hatte. Die Demokratischen Kräfte Syriens befreiten im Oktober die IS-Hochburg Raqqa in Nordsyrien. Damit brachen die letzten Überreste der pseudo-staatlichen Strukturen des IS nahezu vollständig zusammen. Darüber hinaus verlor die Terrororganisation zahlreiche namhafte bzw. einflussreiche Jihadisten in ihrer Führungsebene. Die permanenten Gegenschläge führten zu Auflösungserscheinungen und Absetzbewegungen innerhalb des IS.
Anzahl der Ausreisefälle | Zum Jahresende 2017 lagen zu mehr als 960 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland Erkenntnisse vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen war jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen lagen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien und/oder im Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Ferner lagen zu ca. 150 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben kamen.
Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder | Bei den Kämpfen in Syrien und im Irak kamen auch zahlreiche Jihadisten aus dem Ausland ums Leben. Einige ihrer Ehefrauen wurden zusammen mit ihren Kindern – etwa durch die Anti-IS-Koalition und irakische Streitkräfte – festgesetzt, andere strebten eine Rückreise in ihre Heimatländer an. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Personengruppe weiterhin stark radikalisiert bzw. indoktriniert sein könnte und dadurch eine Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, beschäftigt sich der Verfassungsschutzverbund intensiv mit der Rückkehrer-Problematik von jihadistischen Frauen und deren Kindern.
So lagen dem Verfassungsschutzverbund zum Ende des Berichtsjahres Informationen vor, dass mindestens etwa 290 minderjährige Kinder und Jugendliche in Richtung Syrien/Irak zumeist mit ihren Eltern ausgereist oder dort geboren sind. Etwa 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind im Jihad-Gebiet Syrien/Irak geboren. Die meisten Minderjährigen hielten sich in dieser Krisenregion oder in der Türkei auf. Eine geringe Anzahl der Kinder und Jugendlichen war – fast ausschließlich gemeinsam mit ihren Eltern bzw. der Mutter – nach Deutschland zurückgekehrt.
Ausreisefälle in Hessen | Zum Ende des Jahres 2017 lagen den hessischen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu ca. 140 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist waren, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen war jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Ferner liegen zu ca. 25 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind.
Mögliche Rückkehr des IS in den Untergrund | Der Verlust des Territoriums dürfte dazu führen, dass der IS als Terrororganisation wieder klandestine Strukturen annimmt und durch Anschläge versucht, Syrien und den Irak weiter zu destabilisieren. Es ist davon auszugehen, dass sich eine hohe Dunkelziffer an Jihadisten in Untergrund-strukturen zurückzog. Allerdings wurden auch zahlreiche Führungspersönlichkeiten und Strategen des IS inzwischen getötet.
Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS | Die Anschläge im Berichtsjahr und die Festnahme von Jihadisten in Deutschland zeigen, dass vom IS weiterhin große Gefahr ausgeht. Die Terrororganisation vernetzte sich weltweit, errichtete Zellen außerhalb des Herrschaftsgebiets und betrieb – vor allem im Internet – eine moderne und „professionelle“ jihadistische Propaganda. In den vom IS noch kontrollierten Gebieten wurden in der Vergangenheit Anschläge gegen „westliche“ Ziele geplant, organisiert und angeleitet. Als Reaktion auf die anhaltenden Militärschläge verfolgte der IS nunmehr die Strategie, jihadistische Anschlagsplanungen „auszulagern“ und delegierte die Organisation und Durchführung von Anschlagsvorhaben an jeden seiner Sympathisanten. Die eventuellen Ziele, die Wahl der Mittel und die Anschlagsart gab der IS im Rahmen seiner offen zugänglichen Propaganda vor und legitimierte sie im Sinne seiner Ideologie. Auf diese Weise erweiterte der IS den Kreis der möglichen Attentäter und ihrer Motive. Somit besteht die Gefahr, dass Einzelpersonen mit einfach zu beschaffenden und einfachen Tatwerkzeugen einen Anschlag ausführen können. Die operative Fähigkeit des IS, einen Terrorakt auszuführen, der im Ausmaß mit der Anschlagsserie in Paris (Frankreich) im November 2015 (130 Tote, mehr als 350 Verletzte) vergleichbar wäre, scheint aktuell begrenzt. Seine Ideologie und Propaganda wirken dennoch auf Personen in Europa im Sinne des Kampfes gegen die „Ungläubigen“. Sollte sich der IS als jihadistische Untergrundorganisation neu formieren, sind forcierte Anschlagsplanungen gegen den „Westen“ wahrscheinlich.
Jihadistisch motivierte Anschläge in Europa | Insgesamt kam es im Berichtsjahr zu mehr als 20 versuchten und vollendeten jihadistisch motivierten Anschlägen in Europa. Die folgende Kurzdarstellung beschränkt sich auf Terroranschläge, die Todesopfer zur Folge hatten:
- Istanbul (Türkei), 1. Januar: Ein Attentäter verübte mit einer Langwaffe einen Anschlag auf Besucher eines Nachtclubs auf der europäischen Seite Istanbuls. 39 Personen kamen ums Leben, darunter ein deutscher Staatsangehöriger. Weitere 79 Personen wurden verletzt. Der Attentäter soll zuvor für den IS in Syrien gekämpft haben. Nach der Tat reklamierte der IS die Tat für sich.
- London (Großbritannien), 22. März: Ein Attentäter lenkte sein Fahrzeug in eine Menschenmenge auf der Westminster Bridge und steuerte das Fahrzeug dann in die Umzäunung des Westminster Palace. Dort erstach er einen unbewaffneten Polizisten. Insgesamt starben sechs Personen, darunter der Attentäter. 40 weitere Personen wurden verletzt. Einen Tag nach der Tat reklamierte der IS den Anschlag für sich.
- Stockholm (Schweden), 7. April: Mit einem zuvor gestohlenen Lkw fuhr ein Attentäter mit hoher Geschwindigkeit durch eine Fußgängerzone in der Innenstadt und steuerte das Fahrzeug in ein Kaufhaus. Vier Menschen wurden getötet, 15 verletzt. Nach Angaben der schwedischen Polizeibehörden, die den Attentäter festnahmen, handelte es um einen IS-Sympathisanten.
- Paris (Frankreich), 20. April: Auf den Champs-Élysées eröffnete ein Attentäter mit einem Sturmgewehr das Feuer auf Polizisten, ein Beamter wurde getötet, zwei weitere verletzt. Im Anschluss an die Tat wurde der Täter von Polizeikräften getötet. Zu dem Attentat bekannte sich der IS.
- Manchester (Großbritannien), 22. Mai: Im Foyer der Manchester-Arena brachte ein Selbstmordattentäter eine in einem Rucksack versteckte Sprengladung zur Explosion. Zu diesem Zeitpunkt verließen die Besucher ein Popkonzert. Der Attentäter tötete 23 Personen, darunter viele Kinder und Jugendliche, 512 Personen wurden verletzt. Der IS reklamierte die Tat für sich.
- London (Großbritannien), 3. Juni: Mit einem Lieferwagen fuhren drei Attentäter in eine Menschengruppe auf der London Bridge und töteten drei Fußgänger. Im Anschluss fuhren die Attentäter zum nahegelegenen Borough Market und griffen dort wahllos Passanten mit Messern an, wobei fünf Personen starben. Insgesamt wurden 48 Personen verletzt. Die Polizei tötete die Attentäter. Der IS bekannte sich zu dem Anschlag.
- Hamburg, 28. Juli: In einem Supermarkt entwendete ein Attentäter ein Küchenmesser und stach damit auf Kunden ein. Eine Person starb, mindestens fünf weitere Personen wurden verletzt. Passanten überwältigten den Attentäter. In Vernehmungen gab der Attentäter an, sich seit 2014 mit der Ideologie des IS auseinandergesetzt zu haben. Eine Bekennung des IS blieb aus.
- Barcelona (Spanien), 17. August: Mit einem Lieferwagen fuhr ein Attentäter in eine Menschenmenge im Stadtzentrum und erstach bei der anschließenden Flucht eine Person. Insgesamt kamen 15 Personen ums Leben – darunter eine deutsche Staatsangehörige –, mindestens 118 Personen wurden verletzt. In der darauffolgenden Nacht versuchte die spanische Polizei fünf Personen, die wohl unmittelbar vor der Ausführung eines weiteren Anschlags standen, in einem Fahrzeug in Cambrils, rund 100 Kilometer südwestlich von Barcelona, zu stellen. Bei ihrer Flucht töteten die fünf Männer eine Person und verletzten sieben weitere Personen. Die Polizei erschoss die Attentäter. Die Attentate von Barcelona und Cambrils wurden offenkundig von einer Zelle ausgeführt, die ursprünglich Bombenanschläge in Barcelona plante. Einen Tag vor dem Anschlag in Barcelona waren in einer Wohnung zwei Mitglieder der Zelle bei der unbeabsichtigten Explosion der mutmaßlich hierfür vorgesehenen Sprengstoffe ums Leben gekommen. Am 21. August stellte und tötete die Polizei einen weiteren flüchtigen Attentäter, der eine Sprengstoffgürtel-attrappe trug. Der IS reklamierte die Anschläge für sich.
- Turku (Finnland), 18. August: Mit einem Messer stach ein Mann auf Passanten in der Innenstadt ein. Hierbei soll er gezielt Frauen angegriffen haben. Insgesamt starben zwei Personen, acht weitere wurden verletzt. Polizeikräfte stoppten den Täter mit einem Schuss in das Bein und nahmen ihn fest. Der IS bekannte sich nicht zu dem Anschlag, die finnische Polizei geht jedoch von einem terroristisch motivierten Anschlag aus.
- Marseille (Frankreich), 1. Oktober: Auch hier griff ein Attentäter Passanten mit einem Messer an einem Bahnhof an und tötete zwei Personen. Soldaten erschossen den Angreifer. Der IS bekannte sich zu dem Anschlag.
Festnahme eines mutmaßlichen IS-Jihadisten | Am 1. Februar durchsuchten Beamte der Hessischen Polizei 54 Objekte (Wohnungen, Geschäftsräume und Moscheen) in Hessen wegen des Verdachts der Gründung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB). Der Ermittlungskomplex richtete sich gegen 16 Beschuldigte im Alter zwischen 16 und 46 Jahren.
Hauptbeschuldigter ist der am 1. Februar in Frankfurt am Main festgenommene mutmaßliche tunesische Jihadist Haykel S. Er soll seit August 2015 als Anwerber und Schleuser für den IS tätig gewesen sein und in Deutschland ein Netzwerk aus Unterstützern – unter anderem mit dem Ziel, hier einen Terroranschlag zu verüben – aufgebaut haben. Konkrete Anschlagsvorbereitungen habe es noch nicht gegeben.
Nachdem sich S. bereits von 2003 bis 2013 in Deutschland aufgehalten hatte, reiste er 2015 als Asylsuchender unter falschen Personalien erneut ein. Mit Verfügung vom August 2017 ordnete das Hessische Ministerium des Innern und für Sport die Abschiebung des Tunesiers an. Seitdem befand sich S. in Abschiebehaft. In enger Kooperation zwischen den hessischen Sicherheitsbehörden, der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main und dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport wurde der Terrorverdächtige im Mai 2018 nach Tunesien abgeschoben und den dortigen Behörden übergeben.
Politischer Salafismus: „Wissen über den Propheten“ verbreiten | Der ehemalige Regionalverantwortliche der Koranverteilaktion „LIES!“ für das Rhein-Main-Gebiet, Bilal Gümüs, und der salafistische Prediger Pierre Vogel waren die Initiatoren des Projekts „We Love Muhammad“.

Es war im November 2016 zeitgleich in Deutschland und der Schweiz angelaufen, nachdem vorher in sozialen Netzwerken für die gleichnamige App geworben worden war. Laut Vogel soll mit der Aktion „Wissen über den Propheten“ verbreitet werden. Zielgruppe seien dabei vor allem Muslime.
Die Akteure bereiteten die Aktionen im Rahmen von „We Love Muhammad“ regelmäßig im Internet auf und warben für das Projekt mit Bildern und Videos, die wiederum von Sympathisanten weiterverbreitet wurden. Die Missionierungsbemühungen für den – nach salafistischer Interpretation – „wahren Islam“ wurden somit über den eigentlichen Veranstaltungsrahmen hinaus auf einen größeren Adressatenkreis ausgeweitet.
Für das Projekt „We Love Muhammad“ wurden mehr als 40.000 Biografien des Propheten Mohammed gedruckt. Das Projekt finanzierte sich durch Spenden, zu denen Salafisten immer wieder aufriefen.
Bei den „mobilen“ Verteilaktionen kleideten sich die Akteure größtenteils mit einheitlichen „We-Love-Muhammad“-T-Shirts und -Pullovern. Einige trugen Bauchläden, auf denen sich neben den zu verteilenden Waren eine Spendendose befand, andere trugen auf dem Rücken Tragegestelle, an denen „We-Love-Muhammad“-Plakate befestigt waren. Die Propheten-Biographien, die Hörbücher für Kinder und die Visitenkarten konnten als Gesamtpaket auch kostenlos bestellt werden. Darüber hinaus zeigten Salafisten in einem Video, dass Propheten-Biographien in einen öffentlichen Bücherschrank in Frankfurt am Main eingestellt wurden.
Im Sommer gingen die Aktivitäten der „We-Love-Muhammad“-Kampagne in Deutschland und der Schweiz signifikant zurück. Ursache hierfür könnte das zunehmende Engagement ihrer Akteure beim Islamischen Humanitären Entwicklungsdienst e. V. (IHED) mit Sitz in Baden-Württemberg gewesen sein. So riefen die Aktivisten zu Spenden für Hilfsprojekte in Ländern wie Syrien, Afghanistan, Somalia, Niger, Türkei und Burma auf und besuchten teilweise die Orte auch persönlich. Daneben warben die Aktivisten für weitere Aktivitäten des IHED wie etwa einen Online-Mode-Shop.
Mit Verfügung vom 16. März 2017 verbot der Hessische Minister des Innern und für Sport den Almadinah Islamischen Kulturverein e. V. in Kassel. Die Aushändigung der Verbotsverfügung an die Mitglieder des Vereins durch Beamte des Polizeipräsidiums Nordhessen am 23. März war verbunden mit Durchsuchungsmaßnahmen von Objekten des Vereins und seiner Mitglieder.
Der Verein richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Er förderte ein jihadistisch-salafistisches Netzwerk und bot in der Medina-Moschee in Kassel eine Plattform für den Austausch und Aufruf zu Hass und Gewalt gegen andere Religionsgruppen, Staaten und Völker sowie allgemein anders denkende Menschen. Hierbei ging es nicht um einen religiösen Dialog, sondern um die Indoktrination und Radikalisierung insbesondere junger Menschen, um sie zu einer Ausreise in die Kampfgebiete des IS in Syrien und im Irak zu verleiten. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden waren mehrere Besucher der Medina-Moschee nach Syrien ausgereist. Mit dem Vereinsverbot wurde der jihadistisch-salafistischen Szene in Kassel ein zentraler Radikalisierungsraum entzogen.
Der Verbotsverfügung waren monatelange Ermittlungen vorausgegangen, die vom Landeskriminalamt, vom Polizeipräsidium Nordhessen sowie dem Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt worden waren.
Mit dem arabischen Begriff salafiyya wurde erstmals im frühen 20. Jahrhundert eine islamische Reformbewegung beschrieben, die sich aus verschiedenen Erneuerungsbewegungen im Rahmen unterschiedlicher geographischer und politischer Umstände formierte und in den städtischen Zentren des Osmanischen Reichs wirkte.
Reaktion auf den europäischen Kolonialismus | Als Vertreter der „klassischen“ salafiyya gelten muslimische Intellektuelle und Gelehrte wie Jamal al-Din al-Afghani (1838 bis 1897), Muhammad Abduh (1849 bis 1905) und Rashid Rida (1865 bis 1935). Sie propagierten als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus eine Rückbesinnung auf die islamischen Wurzeln und auf die „frommen Altvorderen“ (arab. as-salaf as-salih), um – in ihrer Sichtweise – die muslimische Gemeinschaft aus der politischen und intellektuellen Unmündigkeit zu führen. Als Ursache für die damals bestehenden politischen Verhältnisse betrachteten Jamal al-Din al-Afghani, Muhammad Abduh und Rashid Rida die islamischen Volkstraditionen, die im Laufe der Jahrhunderte den „wahren Islam“ verfälscht hätten. In der Zurückweisung dieser Traditionen und im eigenständigen Forschen in den islamischen Quellen (arab. ijtihad) sahen sie die Möglichkeit, Islam und Moderne in Einklang zu bringen.
Historische Vorbilder in der islamischen Frühzeit | Der Rückbezug auf die „frommen Altvorderen“ ist bereits in der Frühzeit der sunnitischen Geistesgeschichte erkennbar. Salafistische Akteure zitieren als ideologische Vorbilder häufig vormoderne islamische Gelehrte wie Ahmad Ibn Hanbal (780 bis 855), Taqi al-Din Ahmad Ibn Taymiyya (1263 bis 1328) und dessen Schüler Ibn Qayyim al-Jawziyya (1292 bis 1350). Es gab jedoch im vormodernen Islam keine Bewegung oder Strömung, die als salafiyya bezeichnet wurde oder sich selbst so nannte.
Da es sich bei den „Altvorderen“ nicht um eine Bewegung oder ein klar definiertes Konzept handelte, gestaltete sich dieser Rückgriff auf sie – je nach historischen, politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Umständen – sehr unterschiedlich und führte in der Moderne zu stark divergierenden Interpretationen und verschiedenen, teils widersprüchlichen Strömungen innerhalb des Salafismus.
Wahhabismus als puristische Reformbewegung | Im aktuellen allgemeinen Sprachgebrauch wird mit dem Begriff Salafismus vor allem eine puristisch ausgerichtete Reformbewegung in Verbindung gebracht, die im späten 18. Jahrhundert von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703 bis 1792) auf der arabischen Halbinsel (im heutigen Saudi-Arabien) begründet wurde. Wahhabs Ziel war es, die islamische Glaubenslehre und deren Praktiken von unerlaubten Neuerungen (arab. bid’a) zu reinigen. Im Zentrum der theologischen Betrachtung Muhammad Ibn Abd al-Wahhabs standen die strenge Betonung des Monotheismus (arab. tauhid) und damit einhergehend die Zurückweisung von Heiligenverehrung und anderen von ihm als unislamisch gebrandmarkten Verhaltensweisen.
Ibn Abd al-Wahhab praktizierte eine stark am Text orientierte Auslegung des Koran und denunzierte andere Muslime, vor allem Schiiten, als „Ungläubige“. Anders als die „klassische“ salafiyya lehnte er jegliche moderne Errungenschaften in gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Belangen ab und forderte, gemäß der Verhaltensregeln und Tugenden der „frommen Altvorderen“ zu leben. Mit seinen gesellschaftlichen und religiösen Reformideen lieferte er dem Stammesführer Muhammad Ibn Sa’ud (1710 bis 1765) die religiöse Legitimation für dessen territoriale Expansionsbestrebungen, die später zur Gründung des Königreichs Saudi-Arabien mit wahhabitischer Staatsreligion führten.
Salafismus in Deutschland | In Deutschland wurden salafistische Prediger etwa seit 2002 aktiv und begannen, überregionale Missionierungsnetzwerke aufzubauen. Einige Prediger dieser ersten Generation erhielten ihre religiöse Ausbildung an Universitäten in Saudi-Arabien, was sich in ihrer Interpretation der islamischen Glaubenslehre nach wahhabitischer Lesart widerspiegelt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Loyalität gegenüber dem saudischen Königshaus teilen, die traditionelle wahhabitische Gelehrte auszeichnet. Da es auch innerhalb des Wahhabismus heterogene Lehrmeinungen gibt, berufen sich salafistische Akteure in Deutschland auf unterschiedliche Gelehrte und vertreten daher unterschiedliche Positionen, etwa in Bezug auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Anders als die Prediger der ersten Generation hat die wachsende Anzahl der gegenwärtigen Unterstützer und Sympathisanten des Salafismus oftmals keine religiöse Ausbildung an Universitäten erhalten, sondern schöpft ihr „Wissen“ aus Islamseminaren in Deutschland, Internetpredigten und privaten Lerngruppen.
Um ihre Vorstellungen zu propagieren, greifen Salafisten auf theologische und islamrechtliche Begriffe zurück, die sie ideologisch und extremistisch auslegen. Die radikalisierungsfördernde Ideologie zielt auf eine kompromisslose Abgrenzung von westlichen Werten ab. Zur Erreichung ihrer Ziele wird Gewalt entweder nicht ausgeschlossen oder gar ausdrücklich befürwortet.
Strikter Monotheismus | Zentral ist in der salafistischen Ideologie die Betonung des Monotheismus (arab. tauhid), den Salafisten auf Fotos gerne durch das Erheben des Zeigefingers symbolisieren. Unter tauhid wird im Allgemeinen die Eigenschaft Allahs als alleiniger Schöpfer und die sich daraus ergebende Konsequenz verstanden, dass allein er anbetungswürdig ist.
Nach salafistischem Verständnis hat dieses Konzept eine politische Dimension: Allah wird die alleinige Herrschafts- und Gesetzgebungskompetenz zugesprochen, was zur Ablehnung demokratischer Regierungsformen führt, da diese auf menschlicher Logik und Rationalität beruhen. Diese Auslegung ermöglicht es Salafisten, ihren muslimischen Gegnern vorzuwerfen, sie würden durch die Akzeptanz demokratischer Prinzipien gegen das tauhid-Prinzip verstoßen und damit vom islamischen Glauben abfallen. Vermeintliche Verstöße gegen das zentrale Glaubenskonzept ziehen jihadistische Salafisten außerdem als Legitimation dafür heran, aus ihrer Sicht unislamische Regierungen oder andere Gegner gewaltsam zu bekämpfen (arab. jihad).
Forderung nach kompromissloser Einhaltung der islamischen Rechtsordnung (Scharia) | Wegen der ausschließlich Allah zugesprochenen absoluten Gewalt über die Gesetzgebung erkennen Salafisten nur göttliches Recht als gültig an. Sie fordern daher, nur Gesetze anzuwenden, die aus dem Koran und der Sunna hervorgehen (Scharia). Obwohl es sich bei der Scharia nicht um einen kodifizierten Gesetzeskanon handelt, sondern – je nach angewandter Rechtsfindungsmethode – um teilweise sehr unterschiedliche Interpretationen der religiösen Quellen, stellen Salafisten die Scharia als die Gesamtheit der islamischen Gesetze als eindeutiges Rechtssystem dar.
Zitate aus dem Koran und Aussprüche des Propheten – losgelöst aus ihrem jeweiligen historischen und koranischen Kontext – dienen für Salafisten als Antwort auf jedes ethische, theologische, soziale und politische Alltagsproblem. Besonders die Anwendung der im Koran für bestimmte Vergehen vorgeschriebenen Körperstrafen (arab. hadd) stellt eine zentrale Forderung der Salafisten dar.
Kampf gegen die „Ungläubigen“ | Als „Kenner“ des einzig „wahren“ Weges zu Allah werfen Salafisten allen Personen, die ihrer Ideologie nicht folgen, vor, den Islam durch unerlaubte Neuerung (arab. bid’a) zu verfälschen. Dabei verurteilen sie das Anerkennen demokratischer Regierungsformen als „Vielgötterei“ oder „Götzendienst“ (arab. schirk oder taghut), die den Abfall vom islamischen Glauben zur Folge hätten. „Ungläubige“ (arab. kafir, Mehrzahl kuffar) sind demnach nicht nur Anhänger anderer Religionen, sondern auch nichtsalafistische Muslime. Besonders rigoros fordern Salafisten die Bekämpfung von Schiiten und Sufis (Anhänger der islamischen Mystik), da deren Theologie und Religionspraktiken eine Abweichung vom Islam seien.
Gegen die „westliche“ Kultur | Im Einklang mit dem Kampf gegen die „Ungläubigen“ richten sich salafistische Propagandaaktivitäten gegen „westliche“ Normen, Werte und Institutionen, die diese repräsentieren. Salafisten legitimieren diese Ablehnung durch die Berufung auf das Konzept der „Loyalität und Lossagung“ (arab. al-wala’ wal-bara’). Auf zwischenmenschlicher Ebene besagt dieses Konzept, „Ungläubige“ zu meiden und sich nur mit Gleichgesinnten zusammenzutun, auf politischer Ebene verbietet es das Eingehen militärischer oder politischer Allianzen mit Nicht-Muslimen. Im europäischen Kontext rufen salafistische Prediger vor allem dazu auf, sich von der „ungläubigen“ Mehrheitsgesellschaft zu distanzieren oder, wie es bis zu seinem territorialen Zerfall zu beobachten war, in den sogenannten Islamischen Staat auszuwandern (arab. hijra).
Antisemitismus | Im Rahmen der Diffamierung anderer Religionen ist die Ächtung der jüdischen Religion und des Staates Israel in der salafistischen Propaganda besonders ausgeprägt. Entsprechende Äußerungen reichen von klassischen antisemitischen Stereotypen über die Leugnung des Holocaust bis hin zu Warnungen vor einer „jüdischen Weltverschwörung“. Darüber hinaus erkennen Salafisten das Existenzrecht Israels nicht an und legen den Israel-Palästina-Konflikt als Folge einer historischen Feindschaft der Juden gegen Muslime aus.
Politischer Salafismus | Die Mehrheit der Salafisten in Hessen versucht, ihre Forderung nach Durchsetzung der Scharia mit politischen Mitteln zu erreichen. Dafür wählen diese Aktivisten in erster Linie das Mittel der Missionierung (arab. da’wa), um in Form von Vorträgen, Islamseminaren, Publikationen und Internetauftritten Muslime und Nicht-Muslime von ihrer Sicht des „wahren“ Islam und der Notwendigkeit, sich aktiv für diesen einzusetzen, zu überzeugen. Prediger rufen dazu auf, die islamischen Quellen zu studieren und die individuelle Lebensführung dem Vorbild der „frommen Altvorderen“ anzupassen.
Auch wenn politische Salafisten nicht offen zur Gewaltanwendung aufrufen, ist der Jihad als legitimes Mittel des klassischen islamischen Kriegsrechts integraler Bestandteil ihrer Ideologie. Insofern unterscheiden sie sich von jihadistischen Salafisten in ihrer Beurteilung dessen, unter welchen Umständen der Kampf gegen welchen Feind islamisch gerechtfertigt werden kann. Obgleich auch politische Salafisten demokratische Institutionen, Prozesse und Prinzipien – wie Volksherrschaft und Mehrparteiensystem – ablehnen, sind sie deutlich zurückhaltender, wenn es darum geht, deswegen andere Muslime offen des Abfalls vom Islam (arab. takfir) zu bezichtigen bzw. zu „Ungläubigen“ zu erklären.
Jihadistischer Salafismus | Ausgehend von denselben religiösen Quellen schlussfolgern jihadistische Salafisten, dass die Umsetzung ihrer Bestrebung, den „wahren“ Islam anzuwenden, nur mit gewaltsamen Mitteln möglich ist. Für ihre Wahl der anzuwendenden Strategie und Vorgehensweise ist entscheidend, ob der zu bekämpfende „Feind“ lokal (unislamische Regierung) oder global („westlicher Imperialismus“) verortet wird. Dementsprechend stehen Kampfhandlungen oder Anschläge gegen eine bestimmte („unislamische“) Regierung oder gegen „westliche“ Länder im Vordergrund. In beiden Fällen verläuft die islamrechtliche Legitimation für jihadistische Salafisten entlang der Argumentation, dass sich der Islam in einer permanenten Verteidigungsposition befinde, da „Ungläubige“ ihn vernichten wollten. Die Pflicht, sich für den Islam in den Kampf zu begeben, fordern jihadistische Salafisten dabei entweder als individuell oder kollektiv wahrzunehmende Aufgabe der Muslime ein.
In ihrer Propaganda werben jihadistische Salafisten für den Jihad, indem sie die Vorzüge des „Märtyrertods“ in Aussicht stellen. Er garantiere dem Kämpfer oder Selbstmordattentäter eine erhöhte Stellung im Paradies. Die Bereitschaft, sich für Allah und den Islam zu opfern, sei der einzige Weg, um die Gesellschaft zum Guten zu verändern und führe zu Ruhm und Anerkennung. In Propagandavideos veröffentlichen jihadistische Salafisten Bilder von „Märtyrern“ und untermalen diese mit religiösen Gesängen, die den Jihad preisen (arab. naschid, Plural anaschid), wodurch potenzielle Jihadisten emotional angesprochen und in Kampfstimmung versetzt werden sollen. Dabei ist es das Ziel, entweder neue Unterstützer für unterschiedliche jihadistische Gruppierungen im syrisch-irakischen Kampfgebiet zu gewinnen oder, da dies nach dem territorialen Zerfall des IS nur noch eingeschränkt möglich ist, zu Terroranschlägen in Europa zu motivieren.
Der jihadistische Salafismus stellt daher innerhalb des internationalen islamistischen Terrorismus die größte Bedrohung für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Auch im Berichtsjahr ging eine besondere Gefahr von Personen aus, die aus den Jihad-Kampfgebieten Syrien und Irak nach Deutschland zurückkehrten.
Politischer Salafismus | Die Aktivitäten im Bereich des politischen Salafismus im öffentlichen Raum waren rückläufig. Dies bedeutet indes nicht, dass die salafistische Missionierung rückläufig war. Sie fand vielmehr in anderen Formen statt. So war insbesondere die Propaganda über das Internet und die sozialen Netzwerke nach wie vor ungebrochen. Zudem fanden die Missionierungsaktivitäten in privatem Umfeld, von der Öffentlichkeit wenig wahrnehmbar, statt. Diese veränderte Vorgehensweise dürfte als eine Folge der staatlichen und ordnungsbehördlichen Maßnahmen gegen das Auftreten der Salafisten im öffentlichen Raum anzusehen sein.
Durch das Verbot bundesweiter Strukturen wie der „LIES“-Kampagne im November 2016 regionalisierte sich die salafistische Szene tendenziell und trat in eher örtlichen Strukturen auf, wodurch ein Rückzug in von der Öffentlichkeit abgeschirmte Räume erfolgte. Die Motivation, Teil einer bundesweiten, öffentlich sichtbaren Kampagne zu sein, hat abgenommen.
Die „We-Love-Muhammad“-Kampagne, die im Frühjahr des Berichtsjahres zunächst öffentlichkeitswirksam unter anderem in Frankfurt am Main anlief, konnte nicht den Aktionsgrad der „LIES“-Kampagne erreichen. Für diese Aktionsform findet sich nicht mehr die ausreichende Anzahl von Aktivisten, einige der Protagonisten wechselten ihre Aktionsfelder und engagierten sich etwa beim IHED.
Jihadistischer Salafismus | Der selbsternannte Kalif der jihadistischen Terrorvereinigung IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, verfolgte das Ziel, ein islamisches Staatswesen auf vermeintlich unverfälschten Prinzipen des sunnitischen Islams zu errichten. Al-Baghdadi versprach allen Muslimen die Wiederbelebung des Kalifats im Diesseits.
Kontrollierte der IS einst weitgehend zusammenhängende Landstriche in Syrien und im Irak, die der Fläche Großbritanniens entsprachen, konnten sich die Jihadisten unter dem enormen militärischen Druck nur in ihre Hochburgen und nach deren Fall in den Untergrund zurückziehen oder anderweitig untertauchen. Noch gravierender gestaltete sich die Realpolitik: Sämtliche Verheißungen und Prophezeiungen des IS traten entweder nicht ein oder entlarvten sich als hohle Phrasen.
Dabei ist gerade die ideologische Festigung der IS-Anhänger – und Sympathisanten jihadistischer Überzeugungen im Allgemeinen – von enormer Bedeutung und steht oftmals in direkter Abhängigkeit zu den erzielten realen Ergebnissen. Führende Jihadisten müssen sich an ihren göttlichen Verheißungen messen und ihren Worten Taten folgen lassen. Je häufiger der IS gezwungen war, die Realität angesichts der anhaltenden Gebietsverluste ideologisch zu retuschieren, desto schneller wuchsen die Zweifel der Anhänger gegenüber dem Kalifen und seinen Getreuen. In dieser Phase büßte die IS-Doktrin bereits bei zahlreichen Sympathisanten und Anhängern vor Ort und außerhalb, die sich für die utopische Errichtung eines islamischen Gemeinwesens begeistern ließen, an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft ein. Mag die Propagandamaschinerie des IS in den offenen und verdeckten Bereichen der virtuellen Welt weiterhin funktionsfähig sein, ist doch die ideologische Strahlkraft des Kalifat-Projekts stark verblasst. Der IS leidet in Anbetracht dieser Entwicklungen fortan unter einem Glaubwürdigkeitsproblem und könnte versuchen, dieser Misere mit Anschlägen entgegenzuwirken, um das Bild eines schlagfertigen Machtapparates aufrechtzuerhalten.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das territoriale Scheitern des IS als Quasi-Staat bei vielen Getreuen in Europa und in Deutschland zu einem Dämmer- bzw. Wartezustand geführt hat. Die terroristische Bedrohungslage in Deutschland wird mit dem Zerfall des IS-Territoriums allerdings nicht geringer.
Verliert eine Gruppierung an Einfluss, können andere strukturell wiedererstarken. Das anschaulichste Beispiel hierfür liefert das jihadistisch beeinflusste Widerstandsbündnis unter der Führung der Gruppierung Hayat-Tahrir As-Sham (HTS) in Syrien. Die Gruppe war in der Vergangenheit stark al-Qaida-affin und drohte bereits im Konflikt mit dem Assad-Regime und den konkurrierenden IS-Jihadisten in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Inzwischen konnte sich die Gruppierung durch strategische Anpassungen in weiten Teilen regenerieren und wieder an Einfluss gewinnen.