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Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2017

Organisierte Kriminalität

Definition/Ziele

Organisierte Kriminalität (OK) ist ein komplexes Kriminalitätsphänomen. Seine wesentlichen Merkmale sind in § 2 Abs. 3 d) des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz definiert. OK wird demnach beschrieben als die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden

  • unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder
  • unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohungen oder
  • unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft.

Akteure der OK – Täter, Hintermänner und Nutznießer – missbrauchen die freiheitliche demokratische Grundordnung, um ihre auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Interessen mit dem Begehen von Straftaten, dem Einsatz von Gewalt oder der Einflussnahme auf Institutionen durchzusetzen. Illegal erwirtschaftete Gelder werden oftmals im Rahmen legaler Wirtschaftstätigkeit gewaschen und in legale und illegale Unternehmungen reinvestiert.

OK-Gruppen passen ihre Aktionsfelder kriminellen „Markterfordernissen“ an und reagieren flexibel auf deren Veränderungen. Aktionen im Rahmen der OK sind generell darauf ausgelegt, nicht erkannt zu werden. Da sie weitgehend und unter erheblichem Aufwand konspirativ durchgeführt werden, ist es schwer, kriminelle Handlungen als OK-Struktur zu erkennen. Die jährlich durch die OK verursachte Schadenssumme in Deutschland bewegt sich nach offiziellen Schätzungen – zuletzt für das Jahr 2016 – auf 424 Millionen Euro. Unter Einrechnung einer erheblichen Dunkelziffer kann von einem Schaden in Milliardenhöhe ausgegangen werden.

Rockerkriminalität

Hells Angels MC – Entwicklung nach dem Mord | Im Bereich der kriminellen Rockergruppierungen (Outlaw Motorcycle Gangs, OMCG) in Hessen dauert die Aufklärung des Mordes am Gießener Hells Angels MC-Präsidenten im Oktober 2016 noch an. Der bislang schwelende Konflikt zwischen den Oldschool-Rockern und dem sogenannten Türken-Charter wurde offenbar beigelegt.

Gruppierungen nicht einheitlich | Die Szene zeigte sich in ihren Strukturen nicht einheitlich. Zwar ähnelten Gruppierungen wie der Osmanen Germania Box Club (OGBC), Osmanen Box Club oder der Lions 21 optisch und in ihren hierarchischen Strukturen den bekannten OMCGs, sie grenzten sich jedoch selbst von diesen ab und verstanden sich vielmehr als Streetgang. Motorräder spielten innerhalb dieser Gruppierungen keine Rolle.

OGBC – Führungsfunktionäre in Haft | Im Berichtsjahr fiel der Fokus vor allem auf den OGBC, weil dieser im Verdacht stand, aus der Türkei gesteuert zu sein. Wichtige Protagonisten, darunter der in Hessen wohnhafte ehemalige Weltpräsident des OGBC sowie dessen ehemaliger Stellvertreter, saßen in Stuttgart in Untersuchungshaft. Sie erwartet ein Verfahren wegen schwerer Gewaltverbrechen.

Türkisch-kurdischer Konflikt | Zwischen dem türkisch-nationalistisch eingestellten OGBC und der kurdischen Gruppierung Bahoz hatte es 2016 zum Teil gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben. Im Berichtsjahr erklärte die kurdische Gruppierung ihre Auflösung. Insgesamt gingen – auch infolge der Verhaftungen – im Berichtsjahr weniger Aktivitäten von dem OGBC aus als noch in den Jahren zuvor.

Italienische Organisierte Kriminalität

Bei Aktivitäten von kriminellen Gruppen – zum Beispiel der italienischen OK – beobachtete das LfV besonders deren Verbindungen in das Rhein-Main-Gebiet. Hierbei ging es unter anderem um die Aufklärung, inwieweit die italienische OK ihre illegal erworbenen Gelder in Gastronomie bzw. Hotelbetriebe und in legale Immobiliengeschäfte investierte.

Maßnahmen des LfV

Die vom LfV überwiegend mit nachrichtendienstlichen Mitteln und im Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Verfassungsschutzbehörden und ausländischen Nachrichtendiensten gesammelten Erkenntnisse werden den einzelnen Bedarfsträgern gezielt und in geeig-neter Form zur Verfügung gestellt. Diese Erkenntnisse eignen sich selten für eine öffentliche Darstellung.

Seinem Auftrag entsprechend agiert der Verfassungsschutz bei der Beobachtung und Aufklärung der OK im Vorfeld konkreter Straftaten. Ziel ist die Erkenntnisgewinnung in Bezug auf personelle, logistische, organisatorische, finanzielle sowie deliktische Strukturen. Neben dem frühzeitigen Ansatz der Erkenntnisgewinnung bietet die Beobachtung durch Nachrichtendienste den Vorteil einer langfristigen und nicht auf einzelne Strafverfahren bezogenen Beobachtung. Die Strukturaufklärung des Verfassungsschutzes ist dabei nicht auf die Bearbeitung einzelner Delikte ausgerichtet, sondern analysiert die kriminellen Strukturen in einem ganzheitlichen Zusammenhang. Daraus können in der Folge auch Erkenntnisse für Strafverfolgungsbehörden resultieren.

In seiner Funktion als „Frühwarnsystem“ unterstützt der Verfassungsschutz die Maßnahmen von Politik, Polizei, weiteren staatlichen Einrichtungen und anderen öffentlichen Stellen, indem er Erkenntnisse über Gefahren, die von der OK ausgehen, zur Verfügung stellt. Besonders wachsam werden weiterhin auch Versuche von OK-Gruppen beobachtet, welche möglicherweise darauf ausgerichtet sein könnten, Einfluss auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft zu erlangen.

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