Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2020

Rechtsextremismus

Merkmale

Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und bekämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie verfolgen extremistische Bestrebungen in unterschiedlichen Formen.

Auf einen Blick

Das deutsche Volk als höchster Wert | Das deutsche Volk stellt für alle Rechtsextremisten den höchsten Wert dar. Sie ordnen die Rechte und Freiheiten anderer Völker und Nationen wie auch die des einzelnen Menschen diesem Nationalismus unter. Nach den Vorstellungen von Rechtsextremisten hat der Einzelne im Sinne eines völkischen Kollektivismus seinen Wert nur durch die Zugehörigkeit zum Volk, das heißt durch eine bestimmte Herkunft.

„Ethnopluralismus“ | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die Identitäre Bewegung, propagieren das Konzept des „Ethnopluralismus“ und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der „fremde“ Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der „Ethnopluralismus“ beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie.

Ideologie der Ungleichheit | Rechtsextremisten vertreten somit eine Ideologie der Ungleichheit, die in vielfacher Hinsicht den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. An die Stelle demokratischer Entscheidungsprozesse wollen Rechtsextremisten einen autoritären (Führer-)Staat setzen, in dem nur der angeblich in sich einheitliche Wille der „Volksgemeinschaft“ herrscht.

„Kampf um die Parlamente“ – „Kampf um die Straße“ | Ihre Ziele verfolgen Rechtsextremisten auf unterschiedliche Art und Weise. Rechtsextremistische Parteien treten zu Wahlen an und versuchen, sich der demokratischen Strukturen zu bedienen, um diese letztlich abzuschaffen. Demgegenüber setzen Neonazis vor allem auf den „Kampf um die Straße“. Sie versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen sowohl im Internet als auch in der „realen“ Welt Aufmerksamkeit zu erzielen.

Rechtsextremistisches Personenpotenzial1

Im Berichtsjahr war ein leichter Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials (1.660) gegenüber dem Vorjahr (1.620) zu verzeichnen. Der Zuwachs um 2,4 Prozent resultierte aus einer Steigerung des Personenpotenzials in den Kategorien „parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen“ und „weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial“. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.)

2020 2019 2018 2017 2016
in Parteien
Hessen 340 340 285 275 265
Bund 13.250 13.330 5.510 6.050 6.550
davon in der Partei
NPD
Hessen 260 260 260 250 250
Bund 3.500 3.600 4.000 4.500 5.000
Der Dritte Weg
Hessen 20 20 15 15 15
Bund 600 580 530 500 350
DIE RECHTE
Hessen 10 10 10 10
Bund 550 550 600 650 700
Junge Alternative
Hessen 50 50
Bund2 1.600 1.600
in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen3
Hessen 710 680 640 650
Bund 7.800 6.600 6.600 6.300
weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial4
Hessen 610 600 550 540 560
Bund 13.700 13.500 13.240 12.900
Gesamtzahl der Rechtsextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften)
Hessen 1.660 1.620 1.475 1.465 1.335
Bund 33.300 32.080 24.100 24.000 23.100
davon gewaltorientiert5
Hessen 860 840 680 670 650
Bund 13.300 13.000 12.700 12.700 12.100


1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.
2 Das BfV fasst das Personenpotenzial der Jungen Alternative unter dem Sammelbegriff „Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotential in Parteien“ zusammen.
3 Im Jahr 2017 wurde das Personenpotenzial bundesweit neu kategorisiert. Unter parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden in Bezug auf Hessen vor allem Neonazis sowie die Identitäre Bewegung erfasst.
4 Unter weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial fallen unter anderem Anhänger der subkulturellen Musikszene. Für Hessen wurden die Zahlen rückwirkend für das Jahr 2016 ermittelt.
5 Der Oberbegriff gewaltorientiert umfasst die Begriffe gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend.

Rechtsterrorismus und schwere Gewaltstraftaten

In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 war der Präsident des Regierungspräsidiums Kassel, Dr. Walter Lübcke, auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen (Landkreis Kassel) leblos aufgefunden worden. Das LKA gab am 3. Juni bekannt, dass Dr. Lübcke mittels einer Schusswaffe aus kurzer Entfernung getötet worden war. Des Mordes dringend tatverdächtig war der Rechtsextremist Stephan E. Dem Rechtsextremisten Markus H. wurde Beihilfe an dem Mord an Dr. Walter Lübcke vorgeworfen.

Auf einen Blick
  • Geständnis – Widerruf des Geständnisses
  • Prozess in Frankfurt am Main
  • Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis)
  • Hohe Gefahr rechtsterroristischer Gewaltpotenziale

Geständnis – Widerruf des Geständnisses | In einem ersten – nachträglich widerrufenen – Geständnis gab E. an, den Regierungspräsidenten in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni erschossen zu haben. Das mutmaßlich rechtsextremistische Motiv für die Tat sei seine Empörung über eine Äußerung Dr. Lübckes über die Flüchtlingspolitik im Oktober 2015 bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden (Landkreis Kassel) gewesen. Dr. Lübcke habe die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt und in Bezug auf die Eröffnung einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber gesagt: „Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist; das ist die Freiheit eines jeden Deutschen“.

Sein Geständnis widerrief E. am 2. Juli 2019 vor einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, nachdem ihm ein Pflichtverteidiger zugeordnet worden war. In einem zweiten Geständnis vom 8. Januar 2020 beschuldigt E. den wegen Beihilfe Mitangeklagten Markus H., den tödlichen Schuss auf Dr. Walter Lübcke abgegeben zu haben. Darüber hinaus habe sich der Schuss, entgegen der Ausführungen im ersten Geständnis, versehentlich im Zuge eines Streits mit Dr. Lübcke gelöst.

Prozess in Frankfurt am Main | Am 16. Juni 2020 begann die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main, in der die Bundesanwaltschaft den zwei Beschuldigten Mord bzw. Beihilfe zum Mord vorwarf. Im Verlauf der Verhandlung wiederrief Stephan E. erneut sein zuvor abgelegtes Geständnis und räumte ein, den tödlichen Schuss selbst abgegeben zu haben. Der Mitangeklagte Markus H. sei jedoch bei der Tat anwesend gewesen.

Am 28. Januar 2021 wurde Stephan E. wegen Mordes an Dr. Walter Lübcke zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Darüber hinaus stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest. Markus H. wurde vom Vorwurf der Beilhilfe zum Mord freigesprochen. Unmittelbar nach Verkündung des Urteils wurde durch die Verfahrensbeteiligten Revision eingelegt. Bis zu einer Entscheidung hierüber ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) | Am 19. Februar 2020 fielen in Hanau neun Menschen einem rassistisch und fremdenfeindlich motivierten Anschlag zum Opfer, fünf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Dabei handelte es sich um Menschen mit Migrationshintergrund.

Insbesondere in einem von ihm verfassten „Manifest“ offenbarte der Täter ein Wahnbild, das aus Fragmenten verschiedener Verschwörungstheorien konstruiert war und ihm nach eigenen Angaben seit Jahren als Handlungsrahmen diente. In dem „Manifest“ sprach der Täter von einer Welt- bzw. Systemverschwörung, in der eine „Schattenregierung“ die Welt mithilfe einer geheimen Organisation lenke, die sich unter anderem in Gedanken „einklinken“ könne und ihm so Träume einspiele.

Zudem lässt sich in dem „Manifest“ ein biologistisch-rassistisches Menschenbild erkennen, das insbesondere von Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund und von Muslimfeindlichkeit geprägt ist. Allen Völkern – außer dem „eigenen“ deutschen Volk – maß der Täter Minderwertigkeit zu. Darüber hinaus waren in mehreren Stellen des „Manifests“ frauenfeindliche Äußerungen enthalten.

Hohe Gefahr rechtsterroristischer Gewaltpotenziale | Rechtsterroristische Gewaltpotenziale stellen eine hohe Gefahr dar, was die Anschläge in Wolfhagen (Landkreis Kassel) und Hanau (Main-Kinzig-Kreis) auf schreckliche Weise verdeutlichen. Der den Taten zugrundliegende – in etwa stets gleiche – Modus Operandi der Anschläge lässt Rückschlüsse auf das hohe Gefahrenpotenzial zu, das von den Tätern ausgeht: Im Vordergrund ihrer Motivation steht, eine möglichst große Öffentlichkeitswirksamkeit zu erzielen, um sowohl Furcht und Schrecken zu verbreiten als auch auf angebliche Missstände in Gesellschaft und Politik hinzuweisen. Hierdurch soll der propagierten Ideologie eine möglichst große mediale Bühne bereitet und eine entsprechende Aufmerksamkeit verschafft werden.

Auch künftig muss mit Anschlägen dieser Art gerechnet werden, denen eine Selbstradikalisierung des Täters (zum Teil innerhalb des Internets) vorausgeht („Lone-Wolf“-Phänomen). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass solche Täter zwar allein handeln, aber insgesamt in ein „größeres weltanschauliches Leitgerüst“ (Jan Skudlarek, 2020) eingebettet sind, was die Wachsamkeit der gesamten demokratisch verfassten Gesellschaft erfordert.

Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen

Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH)

Definition/Kerndaten

Die IBD präsentiert sich „modern“, „intellektuell“ und aktionsorientiert und ahmt in ihrer Bildsprache und in ihren Aktionsformen den Stil „linker“ Protestbewegungen nach. Hierzu verwendet die IBD Elemente der Popkultur und führt Flashmobs, Besetzungen sowie Sprüh-, Banner und Stickeraktionen durch. Typisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie etwa „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ gehören nicht zum Vokabular der IBD. Stattdessen verwendet sie Chiffren wie „Identität“ und „Ethnie“. Damit versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe medienwirksamer Aktionen, vor allem internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen, um eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung zu etablieren. Insbesondere über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versucht die Identitäre Bewegung (IB), Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene anzusprechen. So sagte ein Vertreter der IB: „Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht“. (Schreibweise wie im Original.)

Bundesvorsitzender: Philip Thaler (Sachsen-Anhalt)
Mitglieder: In Hessen etwa 60 , bundesweit etwa 600
Medien: Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Identitären Bewegung Deutschland. Auf einem rechteckigen gelb-orangenem Hintergrund befindet sich in schwarzer Farbe ein Kreis, darin der griechische Buchstabe Lambda, also ein Winkel, etwas größer als 90 Grad, dessen Spitze nach oben zeigt. Die beiden Enden des Winkels gehen in den schwarzen Kreis über. Darunter steht in schwarzen Großbuchstaben das Wort Deutschland.

Ereignisse/Entwicklungen

Im Vergleich zum Jahr 2019, in dem sich die IB unter anderem der Kritik aus den eigenen Reihen wegen eines Bezugs zum Attentäter von Christchurch (Neuseeland) ausgesetzt sah, nahmen die Aktivitäten der IBH im Berichtszeitraum deutlich zu. Über einzelne Aktionen veröffentlichte sie Berichte mit Fotos auf ihrer Homepage und ihrem Telegram-Kanal, darüber hinaus Videos auf ihrem YouTube-Kanal. Auf diese Weise versuchte die IBH nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern die eigenen Aktivisten zu motivieren.

Auf einen Blick
  • Asyl- und Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte
  • „Deplatforming“ der IB in den sozialen Medien –
    „Identitäre Sommertour 2020“
  • Dachbesetzung in Köln – „Ministerpräsidenten“-Glücksrad in Erfurt
  • „Identitäres Sommerlager“
  • „Gefährder-Map“
  • „Junge Bewegung“
  • Publikationen

Asyl- und Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihren Internetpräsenzen weiterhin auf den Protest gegen die Migrations- und Asylpolitik und führte, wie in den Vorjahren, Flyer-, Banner- und Plakataktionen unter anderem in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Darmstadt, Neu-Isenburg (Landkreis Offenbach), Niedenstein (Schwalm-Eder-Kreis), Bürstadt, Heppenheim und Lindenfels (Kreis Bergstraße) sowie in Oberursel (Taunus) im Hochtaunuskreis durch. Dabei wurden unter anderem Flyer der IBD-Kampagne „4 Millionen – die Migrationswaffe“ verteilt.

Mit der Kampagne „4 Millionen – die Migrationswaffe“ bzw. „Nie wieder 2015“ wollte die IBD in Anspielung auf die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 vor einer angeblich bevorstehenden „Invasion“ in Form einer unkontrollierten Masseneinwanderung warnen. Dabei setze die türkische Regierung die Flüchtlinge, die sich entlang der Grenze zu Griechenland aufhielten, als „Waffe“ ein, so die IBD, um Deutschland und Europa zu erpressen. In diesem Kontext versuchte die IBD, sich vom angeblich „links-liberalen Mainstream“ und dessen „verlogener Refugees-Welcome“-Politik abzugrenzen und sich als letzte Verteidigungslinie des „Abendlandes“ zu inszenieren.

„Deplatforming“ der IB in den sozialen Medien – „Identitäre Sommertour 2020“ | Nachdem Facebook Ende Mai 2018 die Seiten der IB auf Facebook und auf dem zum Konzern gehörenden Fotodienst Instagram entfernt hatte, löschte nach Angaben der IBD am 10. Juli auch Twitter mehr als 50 IB-Profile. Darunter befanden sich das Profil der IBH sowie die Profile bekannter IB-Aktivisten. Als Begründung führte Twitter an, dass auf den Profilen Terrorismus und Gewalt verherrlicht wurden.

Zuvor hatte Google die IB bereits aus dem Suchindex gelöscht, weswegen die Homepage der IBD über den Google-Suchalgorithmus nicht mehr auffindbar war. Ausgenommen hiervon war offenbar die Homepage der IBH, die im Berichtszeitraum weiterhin suchfähig war.

Als Reaktion auf das „schrittweise Deplatforming“ rief die IBD dazu auf, den Messenger-Dienst Telegram zu nutzen und den IBD-Newsletter zu abonnieren. Des Weiteren erklärte die IBD, juristisch gegen Twitter vorgehen zu wollen. Mit Bezug auf ihr Selbstbild als „aktivistische Jugendbewegung“ kündigte die IBD darüber hinaus eine „Identitäre Sommertour“ an, im Rahmen derer in „100 Städten in ganz Deutschland“ Infostände durchgeführt werden sollten, um dem „sanften Totalitarismus entgegenzutreten, der unser Land im Griff hält“.

Die IBH beteiligte sich an der bundesweiten Aktion und führte Infostände in folgenden Ortschaften durch: Kronberg (Hochtaunuskreis), Butzbach (Wetteraukreis), Homberg (Efze) im Schwalm-Eder-Kreis, Dieburg (Landkreis Darmstadt-Dieburg), Mörlenbach (Kreis Bergstraße), Biedenkopf (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg), Alsfeld (Vogelsbergkreis), Niedernhausen (Rheingau-Taunus-Kreis), Gießen (Landkreis Gießen), Eppstein (Main-Taunus-Kreis), Erbach (Odenwaldkreis), Bischofsheim (Kreis Groß-Gerau), Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis), Wolfenhagen (LK Kassel), Erlensee (Main-Kinzig-Kreis) und Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg). Unterstützt wurde die IBH mitunter von einem IB-Aktivisten aus Bayern; des Weiteren beteiligten sich Aktivisten der IBH an Infoständen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz.

Bebilderte Beiträge über die Infostände wurden auf dem Telegram-Kanal der IBH sowie auf der eigens von der IBD zu der „Identitären Sommertour“ eingerichteten Homepage veröffentlicht.

Dachbesetzung in Köln – „Ministerpräsidenten“-Glücksrad in Erfurt | IB-Aktivisten aus Hessen beteiligten sich auch an medien- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen der IBD. So besetzten IB-Angehörige, darunter auch ein Aktivist der IBH, am 5. Januar in Köln (Nordrhein-Westfalen) das Dach des Gebäudes des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Als Reaktion auf ein vom WDR ausgestrahltes und sodann vielfach kritisiertes Satirevideo („Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“), hissten sie ein Banner („WDRliche Medienhetze stoppen! GEZ sabotieren!“) und warfen Flugblätter vom Dach. Auf ihrer Homepage erklärte die IB, dass sie gegen die „jüngsten Auswüchse der ideologisch motivierten Hetze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ habe protestieren wollen. Am 27. November verurteilte das Amtsgericht Köln drei IB-Aktivisten zu Geldstrafen wegen Hausfriedensbruchs. Das Urteil ist rechtskräftig.

Darüber hinaus nahm ein Aktivist der IBH an einer „Satire-Aktion“ am 11. Februar teil, die sich auf das Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen (5. Februar) bezog. Als Clowns in DDR-Uniformen verkleidete IB-Aktivisten animierten Passanten dazu, an einem Glücksrad zu drehen, auf dessen Ereignisfeldern entweder das Konterfei des amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow oder das des ehemaligen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich abgebildet war. Das Bild Kemmerichs war mit dem Aufruf zur Neuwahl versehen, jedes Mal, wenn dieses Feld getroffen wurde, musste neu gedreht werden.

„Identitäres Sommerlager“ | Im August veranstaltete die IBD ein „Identitäres Sommerlager“ in Woschkow (Brandenburg), an dem etwa 50 Personen aus Deutschland, darunter IB-Aktivisten aus Hessen, Österreich und der Schweiz teilnahmen. In einem von der IBD auf YouTube veröffentlichten Video waren überwiegend einheitlich bekleidete Personen zu sehen, wie sie Lauf-, Schwimm-, Kletter-, Ganzkörper- und Kampfsportübungen durchführten sowie an Vorträgen und einem Fahnenapell teilnahmen. In einem Beitrag auf ihrer Homepage verglich die IBD die „Übungen“ mit der Agogé (dt. Erziehung, Unterricht) des antiken Sparta, „jener jahrelangen Ausbildung“, so die IBD, „welche die Jungen Spartas durchlaufen mussten, um zu Männern und vollwertigen Trägern ihres Staates zu werden“.

„Gefährder-Map“ | Vor dem Hintergrund des islamistischen Terroranschlags in Wien (Österreich) am 2. November zeigten Aktivisten der IBH am 11. November in Wiesbaden ein Banner mit der Aufschrift „Paris, Dresden, Nizza, Wien – Islamisten abschieben“. Auf Telegram veröffentlichten sie anschließend einen entsprechend bebilderten Beitrag.

Am 26. November verbreitete die IBH auf ihrem Telegram- und YouTube-Kanal ein Video, in dem Aktivisten beim Kleben von Plakaten („Islamistische Gefährder – abschieben!“) zu sehen waren. In dem dazu auf Telegram erschienenen Beitrag schrieb die IBH:

„Die Gefahr islamistischen Terrors nahm in den vergangenen Jahren, nicht nur, – aber auch seit Beginn der unkontrollierten Masseneinwanderung, mit den Höhepunkten der Jahre 2015 und 2016 erheblich zu“.

Zum Schluss machte der Beitrag auf die Website www.schiebt-sie-ab.de aufmerksam, auf die auch ein im Telegram-Kanal der IBH veröffentlichter Beitrag vom 14. Dezember 2020, wonach IBH-Aktivisten Plakate („Islamistische Gefährder – abschieben!“) an Schulen in Wiesbaden und in Mainz (Rheinland-Pfalz) geklebt hätten, hinwies.

Auf der Internetseite www.schiebt-sie-ab.de – Bestandteil der gleichnamigen bundesweiten IBD-Kampagne – fand sich die Forderung nach Grenzschließungen, um die Einreise von „islamistischen Gefährdern“ zu verhindern, und die Forderung nach der „Einrichtung einer transparenten Gefährderdatenbank durch das Bundesinnenministerium“. Darüber hinaus stand auf der Internetseite eine „Gefährder Map“ als interaktive Deutschlandkarte, auf der angebliche „islamistische Gefährder“ und deren mutmaßliche Treffpunkte verzeichnet waren. Ebenso enthielt die Karte Angaben zu „Islamisten“, über die bereits in den Medien berichtet worden war. Über ein Kontaktfeld war es Besuchern der Internetseite möglich, der IBD angebliche „islamistische Gefährder“ zu benennen, um die „Gefährder-Map“ mit „Informationen“ zu ergänzen.

„Junge Bewegung“ | Der am 26. April ausgestrahlte Krimi „National feminin“ der Tatort-Reihe handelte vom Mord an einer Aktivistin der fiktiven rechtsextremistischen Gruppierung „Junge Bewegung“, wobei diese augenfällige Ähnlichkeiten zur IB aufwies.

Aktivisten, die offenbar aus dem Umfeld der Neuen Rechten und der IB stammten, nahmen die Parallelen zum Anlass, um auf verschiedenen sozialen Medien sowie im Internet zahlreiche virtuelle Präsenzen und Profile zur „Jungen Bewegung“ und zu ihren fiktiven Akteuren zu erstellen. Darunter befanden sich Profile mit Bezug nach Hessen, zum Beispiel: „Junge Bewegung Hessen“,„Junge Bewegung Rhein-Main“ und „Junge Bewegung Frankfurt Nord“. Während der Ausstrahlung der Tatort-Folge und in den Tagen danach wurde auf den Twitter-Kanälen der „Jungen Bewegung“ die Handlung des Krimis in satirischer Weise kommentiert. Dabei wurden Begriffe und Forderungen der fiktiven Gruppierung verwendet, die mit denen von der IB propagierten übereinstimmten, wie zum Beispiel „Remigration“.

Die Twitter-Profile der Ableger der „Jungen Bewegung“ in Hessen waren auch in den Tagen nach der Ausstrahlung aktiv. So wurde über das Profil der „Jungen Bewegung Hessen“ neben der eigenen Homepage ein mutmaßlich voll funktionstüchtiger Online-Shop („Phallus Europa“) verlinkt. Der Name lehnte sich offenbar satirisch an den Online-Shop Phalanx Europa an, der unter anderem Merchandise-Produkte der IB vertrieb.

Am 4., 9. und 16. Mai veröffentlichte die „Junge Bewegung“ auf Twitter Bilder von Stickeraktionen, von denen mindestens zwei in Frankfurt am Main stattgefunden hatten. An der letzten Klebeaktion in Frankfurt am Main sollen laut Aussagen der „Jungen Bewegung Hessen“ 14 Personen teilgenommen haben. Letztmalig trat die „Junge Bewegung“ am 30. Mai öffentlich in Erscheinung, als Akteure während einer Kundgebung in Frankfurt am Main gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie das Banner „Heimatschutz statt Mundschutz“ zeigten, worüber auf dem Twitter-Profil „Junge Bewegung Hessen“ berichtet wurde. Nachdem ein Aktivist der Banneraktion aufgrund seiner früheren Teilnahme an einer IBD-Veranstaltung am 20. Juli 2019 in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) als IBH-Angehöriger geoutet worden war, wurden Präsenzen der „Jungen Bewegung“ mit Bezügen nach Hessen in den sozialen Medien gelöscht oder waren seitdem inaktiv.

Publikationen | Hatte die IBD im August 2018 und im Juli 2019 zwei Ausgaben ihres Magazins „Das Sind Wir“ veröffentlicht, gab sie im Oktober 2020 eine weitere Ausgabe heraus. Darin berichtete sie unter anderem über Aktionen und stellte einzelne Projekte aus dem Umfeld der IBD vor. Darüber hinaus enthielt das Magazin Erfahrungsberichte von Aktivisten, darunter einen Bericht des Regionalleiters der IBH.

Entstehung/Geschichte

Die IBD sieht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire – Le mouvement social européen, der späteren Génération Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein „Vorbild“.

Auf einen Blick
  • Ursprung in Frankreich
  • IB in Deutschland

Ursprung in Frankreich | Die „erste größere Aktion“ der GI – so ihre eigene Einschätzung – fand im Oktober 2012 statt, als rund 70 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im „Kampf für unsere Identität“ besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten:

„Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden“.

Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video „Kriegserklärung – Identitäre Generation“. Darin hieß es unter anderem:

„Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung.[…] Unser Erbe ist unser Blut, unsere Identität“.

IB in Deutschland | Nach der Veröffentlichung des Videos, dass sich europaweit rasch in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) verbreitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der IB aktiv, zunächst „virtuell“ im Internet, dann aber auch zunehmend „real“, indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der IB zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien.

In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mit Plakat- und Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente. In der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die „Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern“.

Ideologie/Ziele

Indem die IB von „Ethnopluralismus“ spricht, stellt sie sich in ihrem Kampf gegen den vermeintlichen „großen Austausch“, „kulturelle Eigenheiten“ und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie über die in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Werte.

Auf einen Blick
  • „Ethnopluralismus“ – „Ethnokulturelle Identität“
  • „Der große Austausch“
  • Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda (Λ)
  • Angebliches Recht auf „Widerstand“

„Ethnopluralismus“ – „Ethnokulturelle Identität“ | Die IBD betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in Nähe zur völkischen Ideologie von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht primär in seiner Individualität, sondern vorrangig in Bezug auf seine ethnische Herkunft wahr. Hierzu hieß es auf der Homepage der IBD:

„Die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts werden vor allem auf dem Feld der Identitätspolitik gestellt werden. Dabei müssen wir als patriotische Europäer unweigerlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die demographischen Verhältnisse zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung entwickeln und uns ohne ein politisches Umdenken zahlreiche ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte erwarten“.

Die IBD rekurriert mit ihrem Konzept des „Ethnopluralismus“ nicht auf die Vordenker des „klassischen“ Rechtsextremismus. Im Gegensatz zu diesen vertritt die IBD die Auffassung, dass es auf die Unterschiedlichkeit der Ethnien im kulturellen Sinne ankomme. Diese „kulturellen“ Eigenarten – im Jargon der IBD die „Identität“ – gelte es durch eine größtmögliche Trennung der verschiedenen Ethnien zu erhalten. Ethnopluralisten geben vor, dabei keine Unterscheidung nach der Wertigkeit einer Ethnie vorzunehmen, was sie vordergründig von den im Rechtsextremismus vorherrschenden rassistischen Ideologien abhebt. Nach eigenen Worten erteilt die IBD

„Rassismus und Chauvinismus eine klare Absage, da es uns stets um die Betonung des Rechts auf Bewahrung der Identität für jedes Volk und jede Kultur geht und wir eine qualitative Auf- oder Abwertung einer bestimmten ethnokulturellen Gemeinschaft klar ablehnen“.

Es gelte gleichwohl, so die IBD, die eigene Kultur zu bewahren, da sie das eigene Dasein maßgeblich ausmache. In dem mehrteiligen Artikel „Nationalismus revisited“ wird hierzu aufgeführt:

„Ja, wir stehen für den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, gegen Masseneinwanderung, gegen die Lüge von „Menschheit und Weltstaat“, für den Erhalt der Völker, der Wurzeln, der Herkunft und der Heimat, aber Nein, wir sind keine Nationalisten“. (Schreibweise wie im Original.)

„Der große Austausch“ | Mit dem Begriff „Der große Austausch“ bezeichnet die IBD den angeblichen „Prozess, durch den die einheimische Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht werde“. Nach Ansicht der IBD wird diese schrittweise Verdrängung durch die „Selbstabschaffungsideologie von Multikulti, die einen Großteil des gesellschaftlichen Entscheidungsbereichs einnimmt“, hervorgerufen, wodurch die einheimischen europäischen Bevölkerungen zur „Minderheit in den eigenen Ländern“ würden und letztlich „völlig verschwunden sein werden“.

Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda (Λ) | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandiseartikeln den griechischen Buchstaben Lambda, der durch die Comicverfilmung „300“ aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert das antike Sparta und den letztlich aussichtlosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferisch-entschlossene Spartaner im Kampf gegen persische Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildsprache und sieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ in der Tradition der Spartaner. In einem mittlerweile im Internet gelöschten Video erklärte die IBD in Bezug auf den Buchstaben Lamdba, der in der Comicverfilmung „300“ das Schild der Spartaner schmückt:

„Das Lambda, gemalt auf den Schildern stolzer Spartaner, ist unser Symbol. Verstehst du, was es bedeutet? Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kampfansage an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!“

Die Orientierung der IBD an Sparta, das „bis heute […] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates“ (Lukas Thommen, 2017) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildsprache, insbesondere die Verwendung des Buchstabens Lambda, steht für Anschauungen der IB, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind.

Angebliches Recht auf „Widerstand“ | Nach Auffassung der IBD sei aufgrund der derzeitigen Lage in Deutschland „eindeutig“ der Widerstandsfall nach Art. 20 Abs. 4 GG eingetreten. Das Recht auf Widerstand rechtfertige in der jetzigen Situation zivilen Ungehorsam, jedoch keine Gewalt. In diesem Kontext scheut die IBD nicht davor zurück, an die Akteure der Weißen Rose als vermeintlich historische Vorbilder zu erinnern. Dabei hebt die IBD insbesondere auf den gewaltfreien Widerstand der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Gewalt- und Terrorregime ab, der sich 1942/43 unter anderem mittels Flugblattaktionen artikuliert hatte, eine Aktionsform, auf die auch die IBD immer wieder zurückgreift.

Strukturen

Die IBD gliedert sich laut ihrer Homepage bundesweit in 16 Regionalgruppen, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch „real“ existierte. Eine dieser Regionalgruppen war die IBH. In Hessen gab es mehrere Ortsgruppen der IB, die unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Darmstadt und Fulda (Landkreis Fulda) aktiv waren.

Bewertung/Ausblick

Der IBD war im Berichtsjahr daran gelegen, den im Jahr 2019 entstandenen Eindruck einer „Schwächephase“ zu korrigieren und ihrem Anspruch als progressive, avantgardistische und aktionsorientierte Jugendbewegung im Spektrum der Neuen Rechten gerecht zu werden. So führte die IBD am Anfang des Berichtsjahrs mit der Besetzung des Dachs des WDR-Gebäudes in Köln (Nordrhein-Westfalen) und der anschließenden Veröffentlichung eines Aktionsvideos in den sozialen Medien eine der Selbstinszenierung dienende Aktion durch, die ihr eine überregionale Berichterstattung garantierten sollte.

Im Folgenden sah die IBD insbesondere in der Verschärfung der Flüchtlingskrise an der türkisch-griechischen Grenze im März eine sich bietende Gelegenheit, um – vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der „Flüchtlingskrise“ 2015 –  Ängste in Teilen der Bevölkerung zu schüren und so ihre antipluralistische und fremdenfeindliche Ideologie in den politischen Diskurs und somit weiter in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie und des damit verbundenen abnehmenden öffentlichen Interesses für die Flüchtlingsthematik verengte sich der Agitationsraum der IBD, sodass die Kampagnen „Nie wieder 2015“ und „4 Millionen – die Migrationswaffe“ nicht die von ihr erhoffte Resonanz fanden.

Eine weitere Gelegenheit, um ihre fremdenfeindliche Propaganda in die Öffentlichkeit zu tragen, sah die IBD in der Instrumentalisierung der islamistischen Terrorangriffe in Frankreich und Österreich. Sie versuchte, sich mittels ihrer „Gefährder-Map“ als „Mahnerin“ und „Beschützerin“ der einheimischen Bevölkerung zu inszenieren, wobei diese Bedrohung durch die staatlich geförderte Masseneinwanderung erst ermöglicht worden sei.

Das über das „Identitäre Sommerlager“ gedrehte Video war ein Novum: Bislang versuchte die IBD in der öffentlichen Wahrnehmung das Bild einer gewaltlosen, aktionsorientierten Jugendbewegung zu vermitteln, um breite Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft zu erzielen. Die Fokussierung auf Sportübungen, Kampfszenen und Selbstverteidigungstrainings und das in diesem Rahmen propagierte „Ideal des Mannes“ als „archaischer Kämpfer“ offenbarte eine bis dahin nicht bekannte militante Seite in der Selbstdarstellung der IB. Zwar vermied sie bislang jeglichen Bezug zum Nationalsozialismus, doch lassen die im Video gezeigte Einheitsbekleidung, der Fahnenappell und die Kampf-/Sportübungen vermuten, dass entsprechende Assoziationen beabsichtigt waren oder diese zumindest in Kauf genommen wurden.

Aufgrund des fortschreitenden „Deplatforming“ in den sozialen Medien und im Internet sah sich die IB in der Reichweite ihrer Kommunikation und Propaganda erheblich eingeschränkt, sodass sie mittels ihrer bundesweiten Kampagne „Identitäre Sommertour 2020“ versuchte, einen traditionellen Weg zu beschreiten, um ihre Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren und sich weiterhin als aktivistische Jugendbewegung zu inszenieren. Nach wie vor war die IBD dennoch auf soziale Medien angewiesen.

Die von der IBD ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darf nicht unterschätzt werden, insbesondere da sie sich nach wie vor als elitär-intellektuelle Impulsgeberin versteht und dementsprechend präsentiert, wodurch sie nach wie vor eine Anziehungskraft auf Jugendliche und junge Erwachsene entfaltet.

Indem die IBD behauptet, der „letzten Generation“ anzugehören, die den „Untergang Europas“ aufhalten könne, schafft sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands. So zeigte bereits 2019 der Fall des Attentäters von Christchurch (Neuseeland), der sich auf das von der IB propagierte Verschwörungsnarrativ des „Großen Austauschs“ berief und Kontakte zur IB in Österreich unterhielt, dass deren Ideologie geeignet ist, Radikalisierungsprozesse zu fördern und schwerste Gewalt zu legitimieren. Auch im Berichtsjahr trug der Täter bei einem von der Polizei vereitelten rechtsextremistischen Anschlag am27. Oktober in Montfavet (Frankreich) ein Kleidungsstück mit dem Emblem der IB-Kampagne „Defend Europe“.

Sonstige parteiunabhängige Strukturen

Thule-Seminar e. V.

Das 1980 von dem Rechtsextremisten Dr. Pierre Krebs gegründete Thule-Seminar e. V. mit Sitz in Kassel versteht sich als „Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur“. Der Vereinsname orientiert sich an der historischen Thule-Gesellschaft, einem im August 1918 gegründeten „Geheimbund“. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Untergang des Kaiserreichs (November 1918) existierte die Thule-Gesellschaft bis zu ihrer Löschung aus dem Vereinsregister im Jahr 1932. Ähnlich dem heutigen Thule-Seminar e. V. sollte die Thule-Gesellschaft zur „Erforschung deutscher Geschichte und Förderung deutscher Art“ dienen und vertrat einen aggressiven Antisemitismus. Ihre Mitglieder setzten sich überwiegend aus Akademikern, Aristokraten und Geschäftsleuten zusammen, darunter auch führende Nationalsozialisten wie etwa Rudolf Heß und Alfred Rosenberg. Als Zeichen der Thule-Gesellschaft fungierte ein Hakenkreuz mit Schwert.

Auf einen Blick
  • Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis
  • „Ethnopluralismus“ – „genetisches Reservoir“

Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis | Vergleichbar mit seinem historischen Vorbild ist es das Ziel des Thule-Seminars e. V., eine „geistig-geschichtliche Ideenschmiede für eine künftige Neuordnung aller europäischen Völker unter besonderer Berücksichtigung ihres biokulturellen und heidnisch-religiösen Erbes“ zu sein. Dabei begreift sich das Thule-Seminar e. V. als ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis und verbreitete im Berichtsjahr insbesondere im Internet völkisch-rassistisches Gedankengut. Als Ideologe, Ideengeber und Vortragsredner versuchte Dr. Krebs, Wirkung in rechtsextremistischen Kreisen zu erzielen.

Die Ideologie des Thule-Seminars e. V. ist dabei auf die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung ohne das Aufzeigen demokratischer Alternativen gerichtet. So schrieb Dr. Krebs auf seiner Homepage:

„Was sollten wir heute eigentlich bewahren? Die Werte und Denkhaltungen des Systems? Das hieße gerade das aufrechtzuerhalten, wogegen wir kämpfen! Wie lässt sich aber ein Diskurs, der eine radikale Abkoppelung vom System fordert, mit einem Diskurs vereinbaren, der die Quintessenz dieses Systems bestehen lassen will?“

„Ethnopluralismus“ – „genetisches Reservoir“ | Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte Dr. Krebs den gegenwärtig vor allem von der IB genutzten Begriff des „Ethnopluralismus“ verwendet. Im Hinblick auf den „Extremfall, dass Westeuropa durch den mörderischen Globalismus und die rassische Durchmischung zur Auflösung gebracht“ werde, strebte Dr. Krebs das rein biologistisch-rassistische und an der nationalsozialistischen Ideologie orientierte Ziel an, ein „genetisches Reservoir zu schaffen“. Dabei orientiert sich das Thule-Seminar e. V. in seiner ideologischen Ausrichtung an der Nouvelle Droite, einem Theoriezirkel französischer Rechtsextremisten, der ebenso wie die Mitglieder des Thule-Seminars e. V., ein „indogermanisches Heidentum“ propagiert. Der Einfluss und die Anschlussfähigkeit des Thule-Seminars e. V. insbesondere an die Neue Rechte in Deutschland blieben jedoch gering.

Das Thule-Seminar e. V. betrieb – neben seiner umfangreichen Homepage – unter anderem den Eigenverlag Ahnenrad der Moderne sowie den Buch- und Kunstversand Ariadne. In diesem Zusammenhang müssen sich Dr. Krebs sowie zwei weitere Mitarbeiter wegen eines 2016 veröffentlichten Taschenkalenders vor Gericht verantworten. Darin war zu einem „Rachefeldzug“ gegen die angeblich durch Masseneinwanderung und „Multikulturalismus“ angestrebte „Ausrottung der Deutschen“ aufgerufen worden. Ferner wurden Geflüchtete als „tödliche Bedrohung des schon in akute Gefahr geratenen Erbgutes unseres Volkes“ sowie Mitglieder der Bundesregierung als „Rasseverächter und Rassevernichter“ bezeichnet. Weiterhin fanden sich den Nationalsozialismus verherrlichende sowie die deutsche Schuld in Bezug auf den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs leugnende Passagen. Das Verfahren war im Berichtsjahr noch anhängig.

 
Recht und Wahrheit

Die von dem Rechtsextremisten Meinolf Schönborn herausgegebene Zeitschrift Recht und Wahrheit, die dem intellektuellen Rechtsextremismus zuzuordnen ist, widmet sich laut eigener Aussage der „geistigen Pflege des deutschen Freiheitsgedankens“ und will für das Recht des „deutschen Volkes auf freie Selbstbestimmung“ eintreten.

Auf einen Blick
  • „Lesertreffen“
  • Sonnwendfeiern zur Vernetzung und Kommunikation

„Lesertreffen“ | Die in Recht und Wahrheit publizierten Artikel behandelten hauptsächlich gesellschaftliche, politische und historische Themen, wobei rechtextremistische, antisemitische und gebietsrevisionistische Thesen vertreten und propagiert wurden. Darüber hinaus fanden regelmäßig „Lesertreffen“ statt. Daneben wirkte ein „Arbeitskreis“ an der Gestaltung und Verbreitung der Zeitschrift mit. Sowohl die Teilnehmer der „Lesertreffen“ als auch die Mitglieder des „Arbeitskreises“ waren dem neonazistischen Spektrum, rechtsextremistischen Parteien sowie den Reichsbürgern und Selbstverwaltern zuzurechnen. So strebten der Herausgeber und Angehörige der „Lesertreffen“ die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eines wie auch immer gearteten Deutschen Reichs an.

Sonnwendfeiern zur Vernetzung und Kommunikation | Neben den mehrmals im Jahr stattfindenden „Lesertreffen“ veranstaltete Schönborn unter anderem Sonnwendfeiern, die der Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene, aber auch der ideologischen Schulung der Teilnehmer dienten. Die für den 21. Dezember 2020 geplante Wintersonnwendfeier untersagte der Landkreis Kassel im Zuge der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie.

Projekt „deutsches Kulturzentrum“ | Seit Dezember bewohnte Schönborn das ehemalige Hotel Wesertal (Landkreis Kassel), das künftig als „deutsches Kulturzentrum“ mit Wohnangebot genutzt werden soll. In einem entsprechenden Flyer wurde für den Aufbau eines „Deutsches Kulturzentrums“ als „Schutz- und Trutzburg“ für „verfolgte Kameraden“ mit Versammlungsräumen und Wohneinheiten für Senioren, Behinderte und junge Familien geworben. Darüber hinaus enthielt der Flyer einen Spendenaufruf, wobei Geld, Arbeitsleistung oder der Erwerb von (Teil-)Eigentum als mögliche Unterstützung genannt wurden. Daneben bestünde, so der Text, die Möglichkeit ein Wohnrecht zu erwerben.

Neonazis

Definition/Kerndaten

Rechtsextremisten, die nach der Überwindung der Gewaltdiktatur des Nationalsozialismus (1933–1945) dessen Ideologie in ihren inhaltlichen Zielsetzungen oder im Rahmen ihrer Aktivitäten zu verwirklichen versuchen, werden als Neonazis bezeichnet. Zahlreiche neonazistische Organisationen sind verboten, Neonazis finden sich aber immer wieder in neuen Gruppierungen, Bündnissen und Plattformen zusammen. Zu rechtsextremistischen Parteien und zu subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Skinheads unterhalten Neonazis, denen grundsätzlich eine Gewaltorientierung zuzuschreiben ist, enge Kontakte. Nahezu gleichmäßig erstreckte sich die Neonazi-Szene über ganz Hessen.

Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 340
Medien: Internetpräsenzen
Ereignisse/Entwicklungen

Die neonazistische Szene in Hessen war mehrheitlich durch lose miteinander verbundene Personen und einzelne regionale Gruppierungen geprägt. Kam es im Kontext der COVID-19-Pandemie im Berichtsjahr in Hessen zu deutlich weniger öffentlichkeitswirksamen propagandistischen Aktionen als in den Jahren zuvor, so beteiligten sich Rechtsextremisten aus Hessen – darunter auch Neonazis – auch überregional an Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Am 1. Dezember verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die neonazistische Vereinigung Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, die auch in Hessen aktiv gewesen war.

Auf einen Blick
  • Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland)
  • Verbot der Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44
  • NSC 131 (National Socialist Club – Anti Communist
    Action)
  • Kameradschaft Aryans

Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) | Ursprünglich 1992 in England gegründet, setzt sich die Bezeichnung der Gruppierung aus dem Wort combat (dt. Kampf) sowie aus der Zahlenkombination 18, die für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets steht, zusammen. Der Name Combat 18 kann demnach mit Kampf(truppe) Adolf Hitler übersetzt werden. Angehörige von C 18 Deutschland waren in mehreren Bundesländern, auch in Hessen, wohnhaft.

Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachteten C 18 Deutschland im Berichtsjahr mit besonderer Aufmerksamkeit – auch vor dem Hintergrund der gewalttätigen Historie der englischen Gruppe in ihrer Anfangszeit. Vergleichbares war in Deutschland bislang nicht festzustellen. Dennoch wurde die intensive Beobachtung der grundsätzlich gewaltbereiten und waffenaffinen rechtsextremistischen Organisation fortgesetzt, um mögliche Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen und die Strafverfolgungsbehörden rechtzeitig einzubinden.

Ende 2018 kam es aufgrund des Verdachts des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot zu bundesweiten Durchsuchungsmaßnahmen in zwölf Objekten. Hiervon war auch der in Hessen wohnhafte Anführer von C 18 Deutschland betroffen. Im Februar 2019 wurde bekannt, dass der Anführer nach verbüßter Untersuchungshaft in ein benachbartes Bundesland verzogen war. Daraufhin gingen die Aktivitäten im Zusammenhang mit C 18 Deutschland in Hessen zurück.

Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat C18 Deutschland. Nachdem Mitglieder der Gruppierung Rechtsmittel gegen das Verbot eingelegt hatten, erklärte das Bundesverwaltungsgericht am 21. September, dass einer Revision voraussichtlich wenig Aussicht auf Erfolg beschieden ist und deshalb keine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erfolgt. Als Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht an, dass die Gruppierung sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet und damit jedenfalls einen Verbotsgrund erfüllt“. C 18 Deutschland zog die Klage zurück, sodass das Vereinsverbot bestandskräftig ist.

Verbot der Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 | Am 1. Dezember verbot der Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat die Vereinigung Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, da sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet und deren Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Die Mitglieder der Vereinigung waren in mehreren Bundesländern aktiv.

Zur Vollstreckung des Verbots fanden am 1. Dezember Durchsuchungen bei elf führenden Mitgliedern der Gruppierung in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern statt. Bei der Durchsuchung von 20 Objekten in Nordhessen stellte die Polizei umfangreiches Beweismaterial sicher. Darunter befanden sich nationalsozialistische Devotionalien (Hakenkreuze, Fahnen, Anstecknadeln, Magnete), Vereinsmaterialien wie etwa Aufkleber sowie Waffen (Einhandmesser, Machete, Beil, Luftgewehr, flexibler Schlagstock) und Munition.

Acht führende Mitglieder der Gruppierung wohnten in Hessen, wobei eine Person zugleich Angehöriger der Musikband Sturmrebellen war. Deren rechtsextremistische Einstellung trat auf ihrem Facebook-Profil deutlich zutage: Dort wurden unter anderem Sympathie- und Solidaritätsbekundungen für den als Kriegsverbrecher verurteilten Hauptsturmführer der Schutzstaffel (SS), Erich Priebke, sowie für die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck veröffentlicht. Des Weiteren wurde in Bezug auf die rechtsextremistische Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) der Schuldanteil Beate Zschäpes relativiert.

Die Mitglieder der Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 bekannten sich zu Führungspersonen der NSDAP und strebten die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Staats an. Darauf weist unter anderem der Name der Gruppierung hin, der sich auf eine SS-Einheit bezieht, die im Zweiten Weltkrieg aus straffällig gewordenen Personen bestanden hatte. Die Zahl 44 steht für die Buchstaben DD, womit die Division Dirlewanger gemeint ist, die unter dem Kommando des mehrfach vorbestraften Oskar Dirlewanger zahlreiche Verbrechen – unter anderem bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 – begangen hatte.

Darüber hinaus kennzeichneten ein martialisches Auftreten, eine kämpferisch-aggressive Grundhaltung sowie Rassismus und Antisemitismus die Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44. Entsprechende Haltungen propagierte sie öffentlich und in sozialen Medien, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und weitere Unterstützer zu gewinnen.

NSC 131 (National Socialist Club – Anti Communist Action) | Laut Medienberichten gründete die Gruppe, die aus den Vereinigte Staaten von Amerika (USA) stammt, Anfang 2020 einen Ableger in Deutschland, wobei in Hessen ein Rechtsextremist eine deutsche Chatgruppe des NSC 131 eröffnete. Am 16. September durchsuchte die Polizei dessen Wohnung in Wiesbaden. In der Landeshauptstadt waren seit Oktober 2019 vermehrt Aufkleber angebracht und Graffitis gesprüht worden, die teilweise Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie volksverhetzende Aussagen enthielten. Dabei soll der Verdächtige zusammen mit weiteren Rechtsextremisten agiert haben. In der Wohnung stellte die Polizei Stich- und Hiebwaffen sowie Schreckschusswaffen, Datenträger, handschriftliche Dokumente und Aufkleber sicher.

Auf dem in englischer Sprache gehaltenen Telegram-Kanal NSC – International befanden sich mehrere Texte mit unmittelbarem Bezug zu Deutschland, so etwa ein Beitrag, worin ein Foto mit folgender Bildunterschrift versehen war: „NSC Deutschland boys met up and patrolled their district looking for reds“ veröffentlicht. Auf dem Bild waren vier Männer zu sehen, deren Gesichter durch einen SS-Totenkopf unkenntlich gemacht worden waren.

Kameradschaft Aryans | Kam es im Berichtsjahr in Hessen zu keinen öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Kameradschaft, so verbüßt deren Anführer seit August eine Haftstrafe in einer hessischen JVA. Das LG Halle hatte ihn im Februar 2019 wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. 2017 hatten Angehörige der Kameradschaft Aryans an der rechtsextremistischen 1. Mai-Demonstration der Partei DIE RECHTE in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt teilgenommen, wobei es zu einem gewalttätigen Angriff auf einen politischen Gegner gekommen war. Wegen dieser und anderen Straftaten wurde der Anführer der Kameradschaft zu einer rechtskräftigen Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.

Ideologie/Ziele

Neonazis orientieren sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, an der Ideologie des Nationalsozialismus (unter anderem an Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antipluralismus) und idealisieren Adolf Hitler, den „Führer“ des nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorregimes.

Auf einen Blick
  • „Volksgemeinschaft“ – Revisionismus
  • Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene
  • Zahlencodes
  • Kampf gegen das „System“

„Volksgemeinschaft“ – Revisionismus | Das Ziel von Neonazis ist die Schaffung eines ethnisch homogenen, diktatorischen Staats. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt – insgesamt Pluralismus – haben in der von Neonazis angestrebten deutschen „Volksgemeinschaft“ keinen Platz. Die „Volksgemeinschaft“ schließt Menschen anderer Kulturen und auch solche „Deutsche“ aus, die Neonazis aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientierung und sozialer Marginalisierung als „unwert“ einstufen. Das Individuum soll sich dem angeblichen Gesamtwillen des Volks unterordnen. Historische Tatsachen deuten Neonazis in revisionistischer Manier um und leugnen dabei auch den Holocaust.

Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene | Die neonazistische Szene ist in sich nicht homogen. Zum einen wird das „Dritte Reich“ als Vorbild betrachtet und eine Wiederherstellung des Nationalsozialismus angestrebt, zum anderen wird die nationalsozialistische „Weltanschauung“ neu interpretiert oder „antikapitalistisch“ mit Bezügen zum Linksextremismus und entsprechenden Aktionsformen „modernisiert“. Die überwiegende Zahl der Neonazis befürwortet jedoch die Kernelemente des Nationalsozialismus: „Führerprinzip“, Antisemitismus und die Ideologie der „Volksgemeinschaft“.

Zahlencodes | Intern bekennen sich Neonazis zu ihrer Ideologie, indem sie zum Beispiel nationalsozialistische Grußformeln („Sieg Heil“, „Heil Hitler“) verwenden und den „Hitler-Geburtstag“ feiern. Nach außen bekennen sich Neonazis wegen der Strafbarkeit eher in verklausulierter Form zum Nationalsozialismus, etwa in der Form der Selbstbezeichnung von Gruppierungen. So stand etwa bei dem 2015 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport verbotenen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl 18 für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet (AH), also für Adolf Hitler. Entsprechend steht 88 für „Heil Hitler“.

Kampf gegen das „System“ | An die Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wollen Neonazis einen autoritären Führerstaat sowie eine ethnisch einheitliche „Volksgemeinschaft“ setzen. Unsere freiheitliche Demokratie bezeichnen Neonazis als „System“, das es abzuschaffen gelte. Bereits die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Republik mit dieser Bezeichnung diffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegen das „System“ ist ein Grundpfeiler neonazistischer Propaganda. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die früh an die neonazistische Szene herangeführt und an sie gebunden werden sollen.

Strukturen

Die Neonazi-Szene befand sich auch im Berichtsjahr in einem fortlaufenden Wandel. Sowohl im Hinblick auf Gruppierungen als auch auf Szeneangehörige gab es eine stetige Fluktuation. In der Vergangenheit wurden Gruppierungen verboten, während andere ihre Aktivitäten einstellten. Charakteristisch für die neonazistische Szene in Hessen war ihre überregionale Vernetzung. Darüber hinaus fungierten einzelne Neonazis aufgrund ihrer umfassenden Vernetzung als Bindeglied zu der bundesweiten neonazistischen Szene.

Auf einen Blick
  • Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse
  • Jüngste Verbote

Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse | Wie in der Vergangenheit bereits praktiziert, wirkt das LfV im Rahmen von gegen neonazistische Organisationen initiierte Verbotsverfahren aktiv mit, indem es der zuständigen Verbotsbehörde Erkenntnisse zur Verfügung stellt.

Jüngste Verbote | Zu strukturierten und verbotenen Personenzusammenschlüssen zählten in der Vergangenheit unter anderem die am 21. September 2011 vom Bundesminister des Innern verbotene Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) sowie der am 27. Oktober 2015 vom Hessischen Innenminister verbotene Sturm 18 e. V. Gleichfalls verbot der Bundesminister des Innern am 16. März 2016 die neonazistische Weisse Wölfe Terrorcrew, da sie offen und aggressiv gegen Staat, Gesellschaft, Migranten und Andersdenkende agierte, sich durch ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft auszeichnete und eine fremdenfeindliche und menschenverachtende Ideologie verbreitete. Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die Gruppierung C 18 Deutschland und ein knappes Jahr später am 1. Dezember die Sturmbrigade/Wolfsbrigade 44, die beide Personenbezüge nach Hessen aufwiesen.

Bewertung/Ausblick

Nach wie vor versuchten neonazistische Gruppierungen, sich im rechtsextremistischen Spektrum zu vernetzen und durch die Erweiterung ihres Kontaktumfelds Synergieeffekte zu schaffen. Dabei werden das Internet und verschiedene Messenger-Dienste auch in Zukunft als bevorzugtes Mittel für die Vernetzung dienen. Gleiches gilt für die Verbreitung fremdenfeindlicher Propaganda, die ebenfalls eine verbindende Wirkung auf die Szene entfaltet.

Wie anhand der im Verhältnis zum Berichtsjahr 2019 erneut gestiegenen Gewalttaten ersichtlich, ist außerdem die weiterhin hohe Gewaltbereitschaft hervorzuheben, die weite Teile der neonazistischen Szene neben ihrer Ideologie eint. Gerade vor dem Hintergrund der rechtsextremistischen Gewalttaten im Berichtsjahr 2020 (42 Delikte) wird das LfV auch in Zukunft neonazistische Gruppierungen und Einzelpersonen intensiv beobachten.


Subkulturell orientierte Rechtsextremisten − rechtsextremistische Musik

Definition/Kerndaten

Weitgehende Organisationslosigkeit ist kennzeichnend für subkulturell orientierte Rechtsextremisten. Hinzu kommt eine in der Regel nur oberflächliche weltanschauliche Prägung, verbunden mit rassistischem, antisemitischem und ausländerfeindlichem Gedankengut. Für diese oftmals in informellen lokalen oder regionalen Gruppen zusammengeschlossenen Rechtsextremisten stehen erlebnisorientierte Aktivitäten in der Regel im Vordergrund. Dabei spielt der Besuch rechtsextremistischer Musikveranstaltungen eine herausgehobene Rolle. Im Unterschied zu Angehörigen der früheren rechtsextremistischen Skinheadszene sind subkulturell orientierte Rechtsextremisten heutzutage fast nicht mehr anhand eines einheitlichen Erscheinungsbildes erkennbar.

Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 450
Musikgruppen in Hessen: Faust und Nordglanz (National Socialist Black Metal, NSBM), Reichstrunkenbold (Liedermacher), Streitmacht
Ereignisse/Entwicklungen

Soweit rechtlich möglich, unterbinden die Sicherheitsbehörden rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Hessen. Aufgrund dieser restriktiven Vorgehensweise und im Rahmen der staatlichen Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie fanden im Berichtsjahr in Hessen zwei rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt.

Auf einen Blick
  • Musikveranstaltungen im Kontext der COVID-19-Pandemie
  • Neujahrsempfang der NPD

Musikveranstaltungen im Kontext der COVID-19-Pandemie | Die bundesweit sowie im europäischen Ausland angekündigten Konzerte mit unter Rechtsextremisten bekannten Bands stießen nach wie vor auf breite Resonanz in der rechtsextremistischen Szene. Einige dieser Konzerte wurden im Kontext der staatlichen Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie nicht durchgeführt. Dennoch versuchten rechtsextremistische Bands und Liedermacher – auch aus Hessen –  immer wieder Konzerte und Liederabende zu veranstalten, die vor dem Hintergrund der mit den Hygiene- und Verhaltensrichtlinien verbundenen Auflagen häufig kurzfristig abgesagt wurden.

Neujahrsempfang der NPD | Wie bereits in den zurückliegenden Jahren führten die NPD-Fraktionen Leun und Wetzlar am 19. Januar eine Jahresauftaktveranstaltung in Leun (Lahn-Dill-Kreis) durch, die der Liedermacher Phil von der rechtsextremistischen Musikgruppe FLAK musikalisch begleitete. Darüber hinaus wurde in Hessen ein Liederabend durchführt.

Funktionen rechtsextremistischer Musik

Rechtsextremistische Musik spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die rechtsextremistische Szene und ist zugleich ein bedeutendes, jugendorientiertes Medium, um entsprechende Botschaften zu transportieren. Für die Sicherheitsbehörden ist die intensive Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene obligatorisch, um Inhalte auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen.

Auf einen Blick
  • Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus
  • Diffuse rechtsextremistische Einstellungen
  • Musikveranstaltungen – Musik im Internet

Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus | Oft stehen zunächst nicht rechtsextremistische Inhalte im Vordergrund des Musikerlebnisses, sondern für die Hörer einprägsame Melodien und einfache Rhythmen. Die Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus ist niedrig, da Musik nahezu jederzeit und überall konsumierbar ist. Die Musik dient der Selbstdarstellung und der szeneinternen Kommunikation über „Werte“ und Feindbilder und ist Ausdruck eines subkulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wirkt der Konsum von rechtsextremistischer Musik oft als Katalysator von Gefühlen und Aggressionen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann dies zu Gewaltausbrüchen führen.

Diffuse rechtsextremistische Einstellungen | Subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind gekennzeichnet durch eher diffuse rechtsextremistische Einstellungen, die sich an das Gedankengut von Neonazis anlehnen. Eine vertiefte „weltanschauliche“ und politische Auseinandersetzung findet dabei nicht statt. Im Vordergrund steht eine erlebnis- und aktionsorientierte Lebensgestaltung vor allem in Form des Konsumierens von Musik.

Musikveranstaltungen – Musik im Internet | Musikveranstaltungen spielen für subkulturell orientierte Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. In der eher strukturlosen Szene sind Musikveranstaltungen identitätsstiftende Ereignisse und dienen der Kommunikation und Vernetzung. Zudem üben die in der Regel konspirativ organisierten Veranstaltungen gerade auf junge Rechtsextremisten eine große Faszination aus.

Eine wachsende Bedeutung haben für subkulturell orientierte Rechtsextremisten, Neonazis und rechtsextremistische Parteien auch Liederabende. Auftritte überwiegend einzelner rechtsextremistischer Interpreten dienen als Treffpunkt und Plattform, wobei politische Botschaften über die Liedtexte mit Zwischenmoderationen verknüpft und zur Anwerbung potenzieller Interessenten genutzt werden.

Rechtsextremistische Musik wird auch über das Internet verbreitet. So findet man auf YouTube rechtsextremistische Videos wie etwa der rechtsextremistischen Hooligan-Band Kategorie C − Hungrige Wölfe mit gewaltverherrlichenden Texten. Auch von der Band Faust aus Hessen werden Musikvideos auf YouTube verbreitet.

Bewertung/Ausblick

Unabhängig von der Form rechtsextremistischer Musikveranstaltungen und der im Berichtsjahr im Kontext der COVID-19-Pandemie häufigen Absagen blieb die große Gefahr, die von rechtsextremistischer Musik ausgeht, bestehen.

Da aus dem Besuch von Konzerten und dem damit vielfach verbundenen Einstieg in den Rechtsextremismus für Jugendliche vielerlei Gefahren resultieren, bildet die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten ein wichtiges Beobachtungsfeld für den Verfassungsschutz in Hessen. Unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten unterbinden die hessischen Sicherheitsbehörden konsequent rechtsextremistische Konzerte und Balladenabende. Mit jedem verhinderten Konzert verliert die rechtsextremistische Szene eine zentrale Anlaufstelle und ein wichtiges Bindeglied zu Jugendlichen, die noch außerhalb des Rechtsextremismus stehen.

Der Flügel

Definition/Kerndaten

Das BfV erklärte am 15. Januar 2019, dass es den Flügel als Teilorganisation der Partei AfD als Verdachtsfall bewertet und systematisch beobachtet. Die Bearbeitung einer Gruppierung als Verdachtsfall seitens des BfV entspricht der Bearbeitung einer Gruppierung als Beobachtungsobjekt durch das LfV. Das LfV schloss sich gemäß der Zusammenarbeitsrichtlinie des Verfassungsschutzverbundes am 31. Januar 2019 der Beobachtung des Flügels an. Am 12. März 2020 stufte das BfV die AfD-Teilorganisation Der Flügel als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein, da es entsprechende programmatische Äußerungen als gegen wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet bewertete: gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit. Die Gesamtpartei AfD wurde im Berichtsjahr nicht als rechtsextremistisch bewertet und somit auch nicht beobachtet.

Führungspersonen: Björn Höcke (Thüringen)
Ereignisse/Entwicklungen

Als Reaktion auf die Einstufung des Flügels als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV forderte der Bundesvorstand der AfD, dass sich Der Flügel bis zum 30. April aufzulösen hat. Diese Forderung wurde von führenden Vertretern des Flügels umgesetzt.

Auf einen Blick
  • Auflösung des Flügels
  • Stark begrenzte Außenwirkung

Auflösung des Flügels | Björn Höcke und Andreas Kalbitz riefen in einem offenen Brief dazu auf, die „Aktivitäten im Rahmen des Flügels bis Ende April einzustellen“. Daraufhin wurden Internet- und Social-Media-Auftritte des Flügels gelöscht. In Hessen verkündeten eine Abgeordnete des Europaparlaments, die nach Aussage des Landesvorsitzenden der AfD Hessen als Obfrau des Flügels fungierte, sowie zwei Mitglieder der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag in einem Brief an die Angehörigen des Flügels in Hessen dessen Auflösung.

Stark begrenzte Außenwirkung | In seiner Außenwirkung war der Flügel in Hessen bis zu seiner Auflösung aufgrund seiner nur gering ausgeprägten Strukturen und aufgrund fehlender Präsenzen in den sozialen Medien stark begrenzt. Dem Flügel zuzurechnende Veranstaltungen wurden im Berichtszeitraum in Hessen nicht festgestellt.

Entstehung/Geschichte

Der mittlerweile aufgelöste Flügel bezeichnete sich als einen zentral organisierten, losen Verbund von „Mitgliedern der Alternative für Deutschland im gesamten Bundesgebiet“. Eine formale Mitgliedschaft im Flügel war nicht möglich; vielmehr verstand sich der mittlerweile aufgelöste Flügel als eine Sammlungsbewegung innerhalb der AfD. Als „Gründungsurkunde des Flügels“ gilt die „Erfurter Resolution“ vom 14. März 2015. Mit den seit 2015 veranstalteten sogenannten Kyffhäusertreffen verfügte der mittlerweile aufgelöste Flügel über ein überregionales Veranstaltungsformat, das dem gegenseitigen Informationsaustausch, der Netzwerkbildung und der eigenen Inszenierung diente.

Auf einen Blick
  • „Gründungsurkunde des Flügels“
  • „Kyffhäusertreffen“

„Gründungsurkunde des Flügels“ | Die am 14. März 2015 unter anderem von Björn Höcke initiierte „Erfurter Resolution“ ist als „Gründungsurkunde des Flügels“ anzusehen. Die Unterzeichner der „Erfurter Resolution“ wandten sich mit diesem Dokument gegen eine Anpassung der AfD an den „etablierten Politikbetrieb“. Stattdessen sollte die Partei eine „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Identität Deutschlands“ bleiben sowie eine „grundsätzliche, patriotische und demokratische Alternative zu den etablierten Parteien“ und eine „Bewegung unseres Volkes“ gegen „Gesellschaftsexperimente“ darstellen.

„Kyffhäusertreffen“ | Seit 2015 veranstaltete der mittlerweile aufgelöste Flügel ein jährlich stattfindendes, überregionales Treffen, das als „Kyffhäusertreffen“ bekannt wurde. In diesem Rahmen inszenierten sich der mittlerweile aufgelöste Flügel und seine ehemaligen Führungsakteure als bedeutsamste Gruppierung innerhalb der Gesamtpartei AfD. Das Ziel des „Kyffhäusertreffens“ beschrieb Björn Höcke auf seinem Facebook-Profil wie folgt:

„Wir als Der Flügel und Unterzeichner der Erfurter Resolution treffen uns einmal im Jahr, bisher am Fuße des Kyffhäuserdenkmals, um uns daran zu erinnern, wer wir sind und wo wir herkommen. Der Flügel als Rückversicherung innerhalb der AfD ist ein Garant für den Zusammenhalt“.

Nach der Auflösung des Flügels fand im Berichtsjahr kein „Kyffhäusertreffen“ mehr statt.

Ideologie/Ziele

Der mittlerweile aufgelöste Flügel vertrat rassistische und völkische Positionen mit dem Ziel, diese im parlamentarischen Diskurs mehrheitsfähig zu machen. Dazu sollte dessen steuernder Einfluss auf die Gesamtpartei ausgebaut und genutzt werden. Der mittlerweile aufgelöste Flügel war in seiner programmatischen Ausrichtung als antipluralistisch, rassistisch sowie undemokratisch und gegen die Würde des einzelnen Menschen gerichtet anzusehen.

Auf einen Blick
  • „Ethnisch Deutsche“ als Träger des „Deutschtums“
  • Relativierung des Nationalsozialismus
    latenter Antisemitismus
  • Seit 1919: der „Weg in eine Bolschewisierung“
  • Einfluss des Flügels

„Ethnisch Deutsche“ als Träger des „Deutschtums“ | Ursprung der ideologischen Ausrichtung des mittlerweile aufgelösten Flügels bildete ein Politikkonzept, das primär auf das Ausgrenzen, Verächtlichmachen und das weitgehend Rechtslosstellen von Ausländern, Migranten – insbesondere Muslimen – und politisch Andersdenkenden gerichtet war.

Im Zentrum steht dabei das Postulat eines ethnokulturell homogenen Staatsvolks, das der mittlerweile aufgelöste Flügel und seine ehemaligen Anhänger als höchsten „Wert“ ansahen. In dieser Vorstellungswelt bemaß sich der Wert eines Menschen aufgrund dessen Zugehörigkeit zu einer angeblich ethnischen Volksgruppe. Dabei wertschätzte der mittlerweile aufgelöste Flügel den einzelnen „ethnisch Deutschen“ als Träger des „Deutschtums“, während er sogenannte kulturfremde Menschen als nicht integrierbar darstellte. Außerdem bezog der mittlerweile aufgelöste Flügel flüchtlings- und muslimfeindliche Positionen, womit er unter anderem die Staatsbürgerschaft von Deutschen mit muslimischem Glauben in Frage stellte.

Relativierung des Nationalsozialismus – latenter Antisemitismus | Nicht zuletzt propagierten einzelne Vertreter des mittlerweile aufgelösten Flügels Positionen, in denen der Nationalsozialismus relativiert bzw. verharmlost wurde, und vertraten einen latenten Antisemitismus, der offen an rassistische Ideologeme des Nationalsozialismus anknüpfte. Nicht selten wurde hierzu auf das gängige antisemitisch-verschwörungstheoretische Narrativ einer global agierenden Finanzelite zurückgegriffen, welche die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenke und eine Agenda zur Zerstörung gewachsener, ethnisch homogener Völker verfolge.

Seit 1919: der „Weg in eine Bolschewisierung“ | Beispielhaft wurde das ideologische Selbstverständnis des mittlerweile aufgelösten Flügels im Rahmen seiner programmatischen Veröffentlichungen auf seiner mittlerweile gelöschten Internetseite, der sogenannten Flügelschläge, sichtbar:

„Die Kulturen der Europäer, das Band der christlich-ethischen Grundwerte, wurden zerstört. Es dominierte eine Ideologie, die bereits 1919 den Weg in eine Bolschewisierung vorgab. Die dahinterstehenden Kräfte waren sich in dem Ziel einig, die Weltherrschaft über eine entkultivierte Menschheit übernehmen zu können. In Deutschland waren sie als die Kräfte der 68er, der Frankfurter Schule[,] stark geworden. Sie traten zum Kampf gegen Rechts an und meinten die patriotischen Gefühle der Menschen. Das Ziel war die Entnationalisierung. Es sind politische Führungskräfte der Bundesrepublik aus dieser menschenfeindlichen Szene, die Deutschland unwidersprochen in Demonstrationen ,Deutschland verrecke‘ skandieren können. Ihr Auftreten entspricht den Absichten der hinter ihnen stehenden Macht“.

Einfluss des Flügels | Bis zu seiner Auflösung richtete sich der Einfluss des Flügels in die AfD hinein. Ziel war es, die Kontrolle über die Schlüsselpositionen in der Gesamtpartei zu erlangen, um die inhaltliche Ausrichtung der AfD hinsichtlich der eigenen programmatischen Vorstellungen zu beeinflussen. Dabei sah sich der mittlerweile aufgelöste Flügel als „Rückversicherung“ für die Gesamtpartei, durch die eine politische und inhaltliche Assimilation der AfD durch die etablierten Parteien verhindert werden sollte.

Strukturen

Beim mittlerweile aufgelösten Flügel handelte es sich um die größte Teilorganisation innerhalb der Gesamtpartei AfD als „zentral organisierter, loser Verbund“ von Mitgliedern der AfD im gesamten Bundesgebiet. Die Organisation und damit auch die inhaltliche Ausrichtung wurden dabei „maßgeblich vom Kreisverband Nodhausen-Eichsfeld-Mühlhausen“ (Thüringen) getragen. Der Vorsitzende dieses AfD-Kreisverbands, Björn Höcke, fungierte zugleich als die zentrale Führungsfigur des früheren Flügels.

Auf einen Blick
  • Regionale Strukturen
  • „Flügelabzeichen“ und „Flügelversand“

Regionale Strukturen | Gemäß seinem Selbstverständnis und seiner Selbstbeschreibung handelte es sich beim mittlerweile aufgelösten Flügel um eine Gruppierung, in deren Kern nur wenige Einzelpersonen als führende Akteure agierten. Eine formale Mitgliedschaft war nicht möglich, da der frühere Flügel keine formellen Organisationsstrukturen unterhielt.

Um dem Anspruch einer bundesweiten Vereinigung gerecht zu werden, etablierte der mittlerweile aufgelöste Flügel ein System aus regionalen Flügeltreffen und Obleuten – parallel zur Parteistruktur der AfD – in den Bundesländern. Während die vom früheren Flügel organisierten Flügeltreffen als eine Art Parallelparteitag zu sehen waren, fungierten die Obmänner und Obfrauen als regionale Ansprechpartner und Interessenvertreter des ehemaligen Flügels.

„Flügelabzeichen“ und „Flügelversand“ | Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls innerhalb des früheren Flügels wurde eine Auszeichnung mit Verdienstorden („Flügelabzeichen“ in Schwarz, Silber und Gold für besondere Dienste um den Flügel) geschaffen. Daneben unterhielt der Flügel bis zu seiner Auflösung mit dem „Flügelversand“ einen eigenen Onlineshop, in dem verschiedene Artikel mit dem „Flügelwappen“ sowie dem Konterfei Björn Höckes vertrieben wurden.

Bewertung/Ausblick

Die förmliche Auflösung des Flügels kann als taktisches Manöver gewertet werden, um einer möglichen Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz zu entgehen. In Zukunft bleibt abzuwarten, ob das Gedankengut, die Ideologie oder die politische Ausrichtung des aufgelösten Flügels fortgesetzt wird.

Junge Alternative (JA)

Definition/Kerndaten

Die 2013 gegründete JA ist die Jugendorganisation der AfD, wobei der Landesverband Hessen der AfD im Berichtszeitraum nicht vom LfV beobachtet wurde. Die JA Hessen stellte sich als demokratische und „patriotische“ Parteijugend dar, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe und Teil der Mitte der Gesellschaft sei. Tatsächlich handelte es sich bei der JA Hessen um eine fest in rechtsextremistische Strukturen eingebundene Gruppierung, die versuchte, ihre rassistischen Anschauungen im sozialen und kulturellen Raum sowie im politischen Diskurs zu verankern und zu verbreiten.

Bundesvorsitzender: Damian Lohr (Rheinland-Pfalz)
Landesvorsitzende: Jens Mierdel und Michael Werl als Doppelspitze
Mitglieder: In Hessen etwa 50, nach Angaben des BfV bundesweit etwa 1.600
Ereignisse/Entwicklungen

In ihrer Außenwirkung war die JA Hessen aufgrund gering ausgeprägter Strukturen weiterhin begrenzt, ihr zuzurechnende Veranstaltungen waren selten. In den sozialen Medien hatte die JA Hessen in der Vergangenheit zwar damit geworben, dass einmal im Monat auf Landesebene ein wechselnder Regionalstammtisch sowie mehrere Veranstaltungen stattfinden würden, jedoch wurden im Berichtszeitraum lediglich ein Treffen von Mitgliedern der JA Hessen und weiteren Landesverbänden sowie eine Veranstaltung im Kontext der Neuwahl des Landesvorstands festgestellt. Darüber hinaus nahmen Mitglieder der JA Hessen an einer Veranstaltung der Landesverbände Thüringen und Hessen der Gesamtpartei in Vacha (Thüringen) teil. Ansonsten traten einzelne Mitglieder der JA Hessen durch rechtsextremistischen Aktivitäten öffentlich in Erscheinung.

Auf einen Blick
  • Asyl- und Migrationspolitik – Diffamierung des politischen Gegners
  • Reaktion auf die Ministerpräsidentenwahl im Februar in Thüringen
  • Der Flügel – Reaktion auf die Erklärung des BfV vom 12. März
  • Kritik an staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie
  • Treffen in Kassel vor dem „Lockdown“
  • Familienfest zum „Tag der deutschen Einheit“
  • Wahl eines neuen Landesvorstands

Asyl- und Migrationspolitik – Diffamierung des politischen Gegners | Wurden im Berichtszeitraum nur wenige öffentliche Veranstaltungen der JA Hessen bekannt, so war sie vor allem in den sozialen Medien aktiv. Dort konzentrierte sie sich auf Kommentare zur Asyl- und Migrationspolitik zum politischen Gegner. So hieß es auf der Facebook-Seite der JA Hessen:

„Wieder zeigt sich [angesichts der Ausschreitungen in Stuttgart]: Politiker und Medienhaben aus #Köln nichts gelernt. Wer gewaltsame Angriffe auf Polizei und Geschäfte durch Migranten und Linksextremisten als Übergriffe von Menschen aus der #Partyszene verharmlost, der hat noch immer nicht verstanden, was in Deutschland geschieht“.

„Ein Journalist schleust sich in das Netzwerk der #Antifa ein und berichtet Unglaubliches. Anhänger dieser Gruppierungen werden gezielt geschult, Andersdenkende durch Gewaltanwendung, z. B. das Ausstechen der Augen, mundtot zu machen“.

„Unter dem Deckmantel des angeblichen #Rassismus/problems darf man sich in #Corona-Deutschland scheinbar alles erlauben. Gegen die Nichteinhaltung der Mindestabstände durch die Randalierer der #Antifa geht die #Regierung nicht vor. Wir sind enttäuscht“.

Reaktion auf die Ministerpräsidentenwahl im Februar in Thüringen | In einem in den sozialen Medien veröffentlichten Beitrag gratulierte die JA Hessen dem Landesverband der AfD Thüringen dazu, durch ihre Stimmen die Abwahl des damaligen und jetzt wieder amtierenden thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ermöglicht zu haben. Der Beitrag wurde zusammen mit einem Bild veröffentlicht, das die Führungsfigur des aufgelösten Flügels, Björn Höcke, dabei zeigt, wie er dem damals gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich die Hand gab. Zu dem Bild bemerkte die JA Hessen: „Das war erst der Anfang!“

Der Flügel – Reaktion auf die Erklärung des BfV vom 12. März | Patrick Pana, Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen und Angehöriger des mittlerweile aufgelösten Flügels, veröffentlichte im Internet im März einen Gastbeitrag, worin es hieß: „Der ,Flügel’ ist Wächter der Gründungsideale und Brandmauer zu einem verkommenen Parteienkartell in einem“. Eine „wirkliche politische Wende“ müsse „nicht (nur) im Parlament, sondern im sozialen und kulturellen Raum und somit erst einmal in den Köpfen der Bürger stattfinden“. Notwendig sei ein

„solidarischer Patriotismus, ein gesellschafts- und wirtschaftlicher Identitätsansatz, der der zersetzenden Politik der Etablierten diametral entgegensteht. Ein nahezu revolutionärer Ansatz, denn Heimat und Volk werden nicht als Marktplatz und Humankapital, sondern als eine metaphysische, die reine ökonomische Vernunftslogik übersteigende gemeinschaftliche Verantwortung, für sich, für Vor- und Nachfahren, verstanden“.

Darüber hinaus verbreitete Patrick Pana in den sozialen Medien Beiträge, in denen er sich zu Inhalten, Gruppierungen und Personen aus dem Spektrum der Neuen Rechten und der IB bekannte. So schrieb er zum Beispiel auf Twitter in Bezug auf den marxistischen Philosophen und Politiker Antonio Gramsci:

„Für eine zeitgemäße Neue Rechte ist eine fundierte Theoriebildung unabdingbar. Sowohl ,Linke’ als ,Rechte’ Schriften müssen gleichermaßen bekannt sein. Für uns konkret heißt das: Lesen, lesen und noch einmal lesen!“ | (Schreibweise wie im Original.)

Kritik an staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie | Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie erweiterte die JA Hessen ihre Agitation um die Kritik an den staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen, indem sie in Bezug auf die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes den Begriff „Ermächtigungsgesetz“ gebrauchte. Mit Blick auf dessen im Bundestag anstehende Verabschiedung sprach die JA Hessen von einem „Schicksalstag“. Außerdem propagierte die JA Hessen im Kontext der COVID-19-Pandemie fremdenfeindlichen Ressentiments, als sie auf eine angebliche Diskriminierung der „normalen“ Bevölkerung hinwies. So schrieb sie auf Twitter: „Seit #Ramadan, der #Partyszene o[der] den #BLM-Demos ist klar: Das Virus ist nur für Normalbürger gefährlich“.

Treffen in Kassel vor dem „Lockdown“ | Am 1. November veröffentlichte die JA Hessen in den sozialen Medien einen bebilderten Beitrag, in dem sie über einen „letzten geselligen Abend, vor dem #lockdown“ am 31. Oktober in Kassel berichtete. Nach eigenen Angaben hätten an dem Treffen Mitglieder der JA-Landesverbände Berlin, Schleswig-Holstein, Sachsen und Baden-Württemberg, sowie Mitglieder des Landesverbands Niedersachsen der AfD teilgenommen. Unter den Teilnehmern befanden sich auch zwei Mitglieder des JA-Bundesvorstands.

Wahl eines neuen Landesvorstands | Nachdem im März der JA-Landesvorsitzende Jens Mierdel seinen Rücktritt erklärte hatte, wählte die JA Hessen am 12. Dezember in Vellmar (Landkreis Kassel) einen neuen Landesvorstand, wobei der überwiegende Teil der Funktionäre in wichtigen Positionen im Amt bestätigt wurden.

Ideologie/Ziele

Die JA Hessen vertritt in ihrer Programmatik eine völkische Ideologie und ist aufgrund ihres Weltbilds und personeller Überschneidungen in die rechtsextremistische Szene in Hessen integriert. Auch wenn die JA dem Rechtsextremismus zuzurechnen ist, versucht sie nach außen in der Öffentlichkeit ein gemäßigtes und bürgerliches Image zu pflegen und somit eine Anschlussfähigkeit für ihre rechtsextremistische Ideologie in der Gesellschaft zu erreichen.

Auf einen Blick
  • Ethnisch homogener Volksbegriff
  • „Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung“
  • Verschwörungstheoretische Argumentationsmuster

Ethnisch homogener Volksbegriff | Die JA propagiert einen ethnisch homogenen Volksbegriff, der mit der Würde des Menschen als dem obersten Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Wenn Jan Nolte, ehemaliger Vorsitzender der JA Hessen, vom „langsame[n] Austausch der Deutschen durch muslimische Einwanderer“ spricht und behauptet, dass Politiker, die das „Volk, das sie finanziert, mit seinem Blut für ein wahnsinniges Bevölkerungsexperiment bezahlen lassen“, eine Schande seien, handelt es sich um eine diffamierende Aussage gegenüber dem vermeintlichen Kollektiv der „muslimische[n] Einwanderer“.

Die JA Hessen bemüht das Narrativ eines ethnisch homogen deutschen Volks im Kontrast zu vermeintlich minderwertigen anderen Menschengruppen, wenn sie in ihrer Kommentierung des Statistischen Jahrbuchs Frankfurt am Main 2017 zwischen „Deutschen“, „Passdeutschen“ und Migranten differenziert. Durch die Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Passdeutschen“ wird ein biologistisches, auf rassistischen Grundgedanken fußendes Weltbild ersichtlich.

„Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung“ | Mit der Verwendung eines ethnisch homogenen Volksbegriffs einher geht bei der JA Hessen eine Herabwürdigung derjenigen Menschen, die ihrer Vorstellung nach nicht zu der Gruppe der „autochthonen Deutschen“ gehören. Diesen Teilen der Gesellschaft – im Sprachgebrauch der JA Hessen der „herangezüchteten neuen Mehrheitsbevölkerung“ – wird die Fähigkeit bzw. der Wille zur Aufrechterhaltung und Einhaltung wesentlicher Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (wie der Religions- und Meinungsfreiheit) abgesprochen. Stattdessen attestiert die JA Hessen diesen Bevölkerungsgruppen generell eine „um sich greifende Eroberer-Mentalität“ und lastet ihnen eine „gesundheitliche Gefährdung unserer Kinder“ sowie eine Steigerung von Infektionskrankheiten an und befeuert die Sorge vor einem „wirtschaftlichen Niedergang“.

Verschwörungsideologische Argumentationsmuster | Die JA Hessen vertritt nicht nur ein rassistisches Weltbild, sondern sie verbindet dieses zugleich mit verschwörungsideologischen, von Rechtsextremisten genutzten Argumentationsmustern. Nach Ansicht der JA Hessen wird ein „Bevölkerungsaustausch“ vorgenommen, sodass es eine „neue herangezüchtete Mehrheitsbevölkerung“ in Deutschland geben werde. Auf diese Weise versucht die JA Hessen eine Emotionalisierung des politischen Diskurses zu erreichen, in dem nicht länger das sachliche Argument zählt.

Die Verschwörungsideologie des „Bevölkerungsaustausches“ oder des „Großen Austauschs“ stellt ein zentrales Narrativ innerhalb des Spektrums der Neuen Rechten dar. Die Vermischung der angeblichen Ethnien und die fortwährende Veränderung von Gruppenidentitäten ist nach Ansicht von Akteuren der Neuen Rechten keine genuine Folge der ständigen Veränderung der Welt und Gesellschaft, sondern ist auf einen Plan politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Eliten, das heißt den „Großen Austausch“, zurückzuführen. Aus Sicht der Neuen Rechten ist damit der „Prozess, durch den die einheimische Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht“ werde, gemeint. Diese Veränderung geschehe nicht zufällig, sondern sei Teil eines aktiven Prozesses zur Zerstörung der Identitäten der Völker Europas.

Strukturen

Die 2013 in Darmstadt im Rahmen eines ersten Bundeskongresses gegründete JA bestand aus 15 Landesverbänden. In Hessen war die JA, die als Verein organisiert ist, die offizielle Jugendorganisation der AfD Hessen. Die JA Hessen setzte sich aus mehreren Kreis- und Ortsverbänden zusammen, wies jedoch keine flächendeckenden Strukturen auf.

Dem Vorstand der JA Hessen gehörten im Berichtszeitraum zunächst sechs und nach dem Rücktritt eines der Landesvorsitzenden fünf Personen an. Nach der Neuwahl setzte sich der Landesvorstand aus neun Mitgliedern zusammen. Ein Mitglied des JA-Landesvorstandes gehörte im Berichtszeitraum dem JA-Bundesvorstand an.

Bewertung/Ausblick

Der JA Hessen gelang es im Berichtsjahr nicht, ihre rechtsextremistische Ideologie durch größere Aktionen und Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Stattdessen beschränkten sich die Aktivitäten der JA Hessen vorwiegend auf die sozialen Medien, vereinzelte Treffen und auf die Teilnahme an überregionalen Treffen, über die im Anschluss in den sozialen Medien berichtet wurde. Durch ihr Auftreten in den sozialen Medien versuchte die JA Hessen weiterhin, das Bild einer „patriotischen“ und demokratischen Parteijugend zu zeichnen, die angeblich fest auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht.

Dass es sich hierbei nur um eine Außendarstellung einer rechtsextremistischen Gruppierung handelt, wird insbesondere aufgrund der im Berichtsjahr bekannt gewordenen Verlautbarungen deutlich. Die Sympathien für Positionen und die Nähe zu Protagonisten der Neuen Rechten waren für die JA Hessen offenbar kein Grund, sich von entsprechenden Äußerungen zu distanzieren. Das in der Grundsatzerklärung der JA Hessen enthaltene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Distanzierung gegenüber rechtsextremistischen Gruppierungen sind daher als taktische Versuche zu werten, weiterhin anschlussfähig an die Mehrheitsgesellschaft zu sein.

Bei der Neuwahl des JA-Landesvorstands kam es zwar zu personellen Veränderungen, allerdings wurden bereits etablierte Funktionäre in für deren Organisationsstruktur wichtigen Ämtern bestätigt. Daher ist davon auszugehen, dass mit der Neuwahl keine programmatische Neuausrichtung der JA Hessen einhergehen und sie weiterhin versuchen wird, völkische Ideologie durch eine „bürgerliche“ Außendarstellung in der Mehrheitsgesellschaft als eine scheinbar gemäßigte Attitüde zu verankern.

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Definition/Kerndaten

Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionistische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im „Dritten Reich“ auf. Den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest.

Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in der folgenden Zeit an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Deutschlands, teilweise wieder zu. Bis 2014 bzw. 2016 in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten, war sie zuletzt in keinem Landesparlament mehr präsent. Allerdings wechselte im November 2018 ein wegen Volksverhetzung verurteilter Mandatsträger der Alternative für Deutschlands (AfD) im Berliner Abgeordnetenhaus zu der NPD, sodass sie wieder in einem Landesparlament vertreten ist.

Landesvorsitzender: Daniel Lachmann
Bundesvorsitzender: Frank Franz (Saarland)
Mitglieder: In Hessen etwa 260 , bundesweit etwa 3.500
Jugendorganisation: Junge Nationalisten (JN)
Medien (Auswahl): Deutsche Stimme (DS), Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands: Ein Kreis in roter Farbe mit weiß-rotem Rand. In der Mitte befindet sich in weißer Farbe in Großbuchstaben von unten links leicht nach oben ansteigend die Abkürzung NPD.

Abgebildet ist das Logo der Jungen Nationaldemokraten Hessen. In einem roten Kreis befinden sich ein großer weißer Pfeil und ebenso in weiß die Buchstaben JN.

Ereignisse/Entwicklungen

Die NPD in Hessen war wie in den Vorjahren nur eingeschränkt handlungsfähig. Lediglich einige Bezirksverbände waren aktiv und traten – wie etwa die Bezirksverbände Mittelhessen und Wetterau-Kinzig – öffentlich in Erscheinung. Nachdem das COVID-19-Virus Ende Januar Deutschland erreicht hatte, griff die NPD in Hessen seit Mitte März die politische und mediale Thematisierung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf. Dabei kritisierte die Partei sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt die mit dem Krisenmanagement betrauten Politiker und die staatlichen Maßnahmen. Während des Landesparteitags im Oktober wählten die Delegierten Daniel Lachmann erneut zum Landesvorsitzenden. In dieser Funktion, die er seit 2018 innehatte, sollte er die NPD auch in den Wahlkampf für die hessische Kommunalwahl am 14. März 2021 führen.

Auf einen Blick
  • Neujahrsempfang
  • Reaktionen der auf die COVID-19-Pandemie
  • Landesparteitag
  • Verurteilung

Neujahrsempfang | Am 19. Januar führten die NPD-Fraktionen Leun und Wetzlar ihre Jahresauftaktveranstaltung mit etwa 80 Teilnehmern in Leun (Lahn-Dill-Kreis) durch. Moderiert vom stellvertretenden Landesvorsitzenden Ingo Helge, trat der Liedermacher Phil (Philipp Neumann) von der Gruppe Flak auf. Unter den Teilnehmern befanden sich neben NPD-Mitgliedern und Aktivisten der JN aus Hessen unter anderem der Landesvorsitzende der NPD Rheinland-Pfalz, Markus Walter, der Leiter des Thule-Seminars e. V., Dr. Pierre Krebs, sowie der Herausgeber der Zeitschrift Recht und Wahrheit, Meinolf Schönborn. Wie die NPD Hessen auf Facebook berichtete, kamen verschiedene Redner zu Wort. So referierte Walter über kommunalpolitische Themen und die in „Rheinland-Pfalz stationierten US-Besatzer“, die ihre „Militärbasis u. a. in Ramstein nutzen, um weltweit Kriege zu führen“. Dr. Wolfgang Bohn sprach über das Thema „Umweltschutz ist Heimatschutz“ und Dr. Krebs über die „Zukunft der weißen Völker“. Dabei behauptete er: „Heimat ist der harmonische Einklang von Mensch und Raum. Dies ist es, was wir erhalten und fördern wollen“.

Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Die Berichterstattung in den Medien und die politisch-gesellschaftliche Diskussion über die COVID-19-Pandemie und deren Folgen versuchte die NPD – neben einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema – in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Insbesondere im virtuellen Raum kritisierte sie die nach ihrer Auffassung mit der Pandemie verbundene Krise der Asyl-, Grenz- und Globalisierungspolitik. So hieß es auf der Facebook-Seite des NPD-Landesverbands Hessen:

„Daran haben unsere Gutmenschen-Politiker ebenfalls nicht gedacht: Dass ihre Gäste sich in einer Krisensituation nicht an die verordneten Notmaßnahmen – wie beispielsweise eine Quarantäne – halten. Wer illegal die Grenze übertritt – warum sollte der sich an solche Auflagen halten?“

„Wenn der Westen aus der Corona-Krise etwas lernen will und kann, dann dies: Nötig sind handlungsfähige Nationalstaaten, dauerhafte Einreisekontrollen und Maßnahmen zur ökonomischen Deglobalisierung, d. h. eine Reduzierung ökonomischer Auslandsabhängigkeit durch Stärkung regionaler und nationaler Wirtschaftskreisläufe. Die Globalisierungsideologie der Herrschenden ist mit schlimmsten Folgen für uns alle gescheitert!“

Diffamierend hieß es auf der Facebook-Seite Lachmanns:

„Auch wenn ich die Genauigkeit der PCR-Testergebnisse sehr kritisch ansehe, werden andauernd aufgrund türkischer Großfeiern schärfere Maßnahmen von Politikern gefordert. Bekanntlich nehmen es die Invasoren mit der Hygiene nicht allzu genau. Vielleicht würde eine Investition in Seife helfen“.

Dabei kritisierte die NPD auch das Krisenmanagement der Bundesregierung. Während sich die Kritik zu Beginn außerdem auf die angeblich unverhältnismäßig starke Einschränkung der Freiheitsrechte bezog („Eine Bundeskanzlerin, die das Grundgesetz außer Kraft setzt, ist keine Bundeskanzlerin“), rückten zunehmend Forderungen nach einer Aufhebung der staatlichen Maßnahmen in den Agitationsfokus:

„Aufstehen, Rausgehen, die Faust heben! Widerstand! 2020 ist das Jahr, indem wir für unsere Grundrechte auf die Straße gehen müssen. […] Doch die, die immer von unseren Grundrechten prädigen, die stellen sich jetzt gegen uns? Gegen das #Volk! […] Organisierter #Widerstand ist auch 2020 möglich! Nämlich in der #NPD! #Merkel und Co. die Grenzen zeigen!“ (Schreibweise wie im Original.)

„Im Interesse von Volk und Staat sind alle Maßnahmen zu beenden, die eine unverhältnismäßige Belastung und Einschränkung bedeuten [,] und politische Entscheidungen zu treffen, die künftige Generationen nicht mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen in untragbarer Weise belasten“.

Neben ihrer anhaltenden Kritik im virtuellen Raum versuchte die NPD mittels der Teilnahme an Veranstaltungen in und außerhalb Hessens, Einfluss auf die Proteste gegen die staatlichen Anti-COVID-19-Maßnahmen zu nehmen. Hierzu veröffentlichte die Partei auch Unterstützungsaufrufe. In Hessen nahmen NPD-Aktivisten nach eigener Verlautbarung unter anderem an Kundgebungen in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis), Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und Frankfurt am Main teil.

Am 23. Mai führte der stellvertretende Landesvorsitzende Stefan Jagsch als privater Anmelder eine Protestkundgebung (etwa 20 Teilnehmer) unter dem Motto „Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn – Vernunft statt Hysterie“ in Büdingen (Wetteraukreis) durch. Bei der nahezu nur von NPD-Aktivisten besuchten Veranstaltung hielten unter anderem Daniel Lachmann und Ingo Helge Reden, wobei letzterer die Bundeskanzlerin als „,Staatsratsvorsitzende’“ bezeichnete. Ein anderer Redner bezog in seiner Anspielung auf die Deutsche Demokratische Republik (DDR) auch den Nationalsozialismus ein, indem er – in geschichtsrevisionistischer Manier – erklärte:

„Ich habe mich sehr mit dem Medienmissbrauch im Dritten Reich und der DDR befasst […]. Mir ist kein Fall bekannt, wo die Wahrheit so verdreht wurde […]. Ich gehe davon aus, dass dieser Corona-Schwindel, den hoffentlich immer mehr Menschen durchschauen werden, die BRD-Version des Turms zu Babel zu nichts zerfallen lassen wird“.

Außerhalb von Hessen nahmen NPD-Aktivisten am 1. und 29. August in Berlin an Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie teil. So hieß es auf der Facebook-Seite der NPD Hessen:

„Komme auch du am 1. August nach Berlin und zeige damit, dass wir uns von denen da oben nicht alles gefallen lassen. […] Wir wollen freie Bürger sein und keine ,Masken-Sklaven’!“

Um sich „bürgernah“ zu geben und Gegenproteste zu vermeiden, nahmen auch führende Parteimitglieder an der Demonstration in Berlin teil, ohne dass auf den ersten Blick deren Zugehörigkeit zur NPD erkennbar war. So war auf der Facebook-Seite der NPD Hessen ein Bild eingestellt, das den ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zeigte, als er zusammen mit vier weiteren Aktivisten ein Transparent trug, auf dem stand: „Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn[.] Zwangsmaßnahmen beenden – Normalität herstellen!“ Ein Facebook-Nutzer kommentierte das Bild wie folgt:

„Die AfD hat mit dem Rauswurf des Herrn Kalbitz abgewirtschaftet. Ich finde es toll, dass die NPD sich einbringt in die Gesellschaft und auch die Mißstände beim Namen nennt“. (Schreibweise wie im Original.)

Insbesondere in Bezug auf die Demonstration am 29. August unterstützten Aktivisten die Bundespartei. So hieß es auf der Facebook-Seite der NPD Hessen in einem Aufruf:

„Unter dem Vorwand einer Corona-Pandemie wurden unsere Grundrechte vielfach außer Kraft gesetzt. Am 29. August versammeln sich erneut unzählige mündige Bürger in Berlin, um ein Zeichen zu setzen – für die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben und gegen die Willkür von Politik und staatsdienender Presse. Die Bürger sind keine Mündel, darum werden wieder viele Menschen weite Anreisen in Kauf nehmen, um in der Hauptstadt gemeinsam und über alle ideologischen Schranken hinweg für das auf die Straße zu gehen, was sie wirklich bewegt. Das ist mutig, absolut begrüßenswert und zutiefst demokratisch“.

Im Rahmen mehrerer an diesem Tag in Berlin stattfindender Demonstration, an denen etwa 38.000 Menschen teilnahmen, verteilten NPD-Angehörige aus Hessen eine Ausgabe der DS („,Unsere Freiheit ist unverhandelbar!’ Zeit für Widerstand!“) und trugen entsprechende Plakatschilder.

Landesparteitag | am 17. Oktober führte die NPD in Leun (Lahn-Dill-Kreis) einen Landesparteitag durch, bei dem nach zweijähriger Amtszeit der Landesvorstand neu gewählt wurde. Der Generalsekretär der Bundespartei, Alexander Neidlein, leitete die Veranstaltung, in deren Verlauf Daniel Lachmann und Stefan Jagsch verkündeten, dass der Bezirksverband Südhessen aufgrund von Neuzugängen reaktiviert worden sei.

Bei den Wahlen wurde Lachmann als Landesvorsitzender bestätigt, Jagsch und Helge wurden zu seinen Stellvertretern bestimmt. Außerdem wurden fünf Beisitzer, zwei Kassenprüfer und ein Landesschiedsgericht gewählt. In seiner Schlussrede erklärte Jagsch, dass es die „wichtigste Aufgabe für die kommenden Monate“ sei, die „weiteren Vorbereitungen zur Kommunalwahl“ zu treffen. Auf der Facebook-Seite der NPD Hessen hieß es:

„Oberstes Ziel müsse es für den Landesverband sein, zu möglichst vielen Stadt- und Gemeindeparlamentswahlen am 14. März 2020 mit Listen anzutreten, damit auch dem Wähler die Chance zur Stimmabgabe für die nationale Oppositionspartei gegeben wird. […] Da heiße es für alle Deutschen, die von den Zwangsmaßnahmen der Regierung und deren kommunalen Vertretern die Schnauze voll haben: Wahltag ist Zahltag – Lügenparteien abstrafen!“

Verurteilung | Im Juli verurteilte das Landgericht (LG) Limburg a. d. Lahn den Inhaber des Bistro Hollywood in Leun (Lahn-Dill-Kreis) – die Örtlichkeit ist in der rechtsextremistischen Szene als Teutonicus bekannt – zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft wegen illegalen Waffenbesitzes und räuberischer Erpressung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In der Folge distanzierte sich die NPD-Fraktion der Leuner Stadtverordnetenversammlung von ihrem Mitglied, sodass es fortan sein Mandat fraktionslos ausübte.

2018 hatte die Polizei das Teutonicus im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz durchsucht. Dabei waren fünf Personen festgenommen sowie Waffen, Munition, Betäubungsmittel und nationalsozialistische Devotionalien beschlagnahmt worden. Außerdem hatte die Polizei auf dem Dachboden des Gebäudes einen provisorischen Schießstand entdeckt.

Junge Nationalisten (JN)

Die JN Hessen traten nur vereinzelt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung und verhielten sich gegenüber den Vorjahren – auch vor dem Hintergrund der im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geführten Diskussion in Gesellschaft und Medien – außerordentlich passiv. An einer von den JN initiierten bundesweiten „Internet-Demonstration“ beteiligten sich auch JN- und NPD-Aktivisten aus Hessen, um auf die angeblich gescheiterte „Globalisierungspolitik“ aufmerksam zu machen. Bundesweit versuchten die JN – wie auch die NPD – die Pandemie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und boten unter anderem während des „Lockdowns“ Einkaufshilfen für Personen aus Risikogruppen an. Entsprechende Angebote der JN Hessen wurden nicht bekannt.

Auf einen Blick
  • Internet-Demo: „#SystemExit“
  • Reaktionen der JN auf die COVID-19-Pandemie
  • Kampagne „schülersprecher.info“
  • Bundesweite Plakatieraktion am 1. Mai

Internet-Demo: „#SystemExit“ | Auf Initiative der JN wurden am 26. April auf verschiedenen rechtsextremistischen Internetpräsenzen sowie Facebook- und Twitter-Profilen Beiträge mit dem Hashtag „#SystemExit“ mit Bildern – insbesondere Selfies – und Kommentierungen veröffentlicht.

Zuvor hatte es am 21. April auf der Facebook-Seite der JN geheißen:

„Noch nie war es so vielen Bürgern klar, dass das System Globalisierung an seine Grenzen gekommen ist, dass die Globalisierung sich als Irrweg erwiesen hat. Die Globalisierung bringt auf Dauer keinen Wohlstand, sie vernichtet Existenzen! Die Globalisierung schafft keine Vielfalt, sie zerstört weltweit Kulturen! Die Globalisierung sorgt nicht für den Export von Sicherheit und Freiheit, sie importiert Unsicherheit, Terror und Kriminalität!“

Unter dem Motto „Mach mit: #SystemExit jetzt! ‚Das System ist am Ende, wir sind die Wende‘“ wollten die JN im Rahmen einer „Internet-Demo“ auf die im Zusammenhang mit der Pandemie angeblich gescheiterte Globalisierung hinweisen. Insbesondere auf ihren Twitter-Profilen berichteten die JN daraufhin über Aktionen in der realen Welt. So zeigten Bilder Aktivisten bei Banner- und Klebeaktionen vorwiegend in Nord- und Ostdeutschland, in Leipzig (Sachsen) brannten Aktivisten pyrotechnische Gegenstände ab.

Aus Hessen nahmen unter anderem der Landesvorsitzende der JN Hessen, Thassilo Hantusch, sowie die NPD-Funktionäre Daniel Lachmann, Stefan Jagsch und Ingo Helge an der Kampagne teil. Ein auf der Homepage der JN eingestelltes Foto zeigte einen Fahrkartenautomaten vermutlich im Umkreis von Wiesbaden, auf den ein Plakat mit der Aufschrift „#Systemexit Wagen wir den Ausstieg!“ aufgeklebt war.

Reaktionen der JN auf die COVID-19-Pandemie | Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie kritisierte der JN-Bundesverband die angeblich verfehlte Politik der Bundesregierung. Der Ausbruch der Krankheit zeige der deutschen Wirtschaft deren Grenzen auf und beweise eindeutig, „warum der Kapitalismus – mitsamt seiner Globalisierung“ im Krisenfall den Großteil der Bevölkerung im Stich lasse. Das Gesundheitswesen sei „finanziell und personell kaputt gespart“ worden. Weiterhin seien Ernteausfälle zu erwarten, da Unterstützungskräfte aus Osteuropa fehlten.

Die Gruppierung Junge Revolution äußerte sich in Bezug auf die von den JN initiierte Internet-Demo „#SystemExit“ wie folgt in einem Telegram-Post:

„Globalismus fördert Pandemien wie die Sars-CoV-2 Pandemie. Globalismus fördert nicht, wie sie [i. e. die Medien] es sagen, den Austausch unter den Völkern, sondern versucht regelrecht diesen zu unterbinden und die Völker und Rassen dieser Erde zu vereinheitlichen. Ganze Länder und Regionen werden abhängig von Industriegiganten und Länder mit Ressourcen werden ausgebeutet, geplündert und versklavt. Es werden Kriege gestiftet, um den stetigen Drang nach Mehr zu stillen“. (Schreibweise wie im Original.)

Um in der Krise Bedürftigen zu helfen, boten JN-Aktivisten Einkaufshilfen und Sachspenden mittels eines „Gabenzauns“ an. Darüber hinaus riefen sie dazu auf, regionale Produkte zu kaufen sowie die Landwirte als Erntehelfer zu unterstützen. Weiterhin beteiligten sich JN-Aktivisten an Protestveranstaltungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, wie etwa in Berlin am 1. und 29. August sowie in Leipzig (Sachsen) am 7. November. Ebenso wie die Mutterpartei versuchten die JN, Anschluss an die Protestbewegung zu finden, allerdings nahmen nur wenige JN-Angehörige an den Demonstrationen teil. Die JN Hessen selbst sprachen nicht davon, dass sie sich an Hilfeleistungen oder den Protestkundgebungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie beteiligten.

Kampagne „schülersprecher.info“ | Wie in den Vorjahren kam es im Rahmen der Kampagne „schuelersprecher.info“ nur zu wenigen Aktionen. So wurden an zwei Schulen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) Aufkleber mit den Aufschriften „Kampfsport statt Kiffen. Deutsche Jugend zu uns“ und „Jugend ohne Migrationshintergrund“ angebracht. An einer Schule in Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis) hingen Plakate, auf denen unter anderem stand: „Unsere Heimat unsere Regeln unsere Musik“. Der auf der Instagram-Seite von „schuelersprecher.info“ war der Kommentar zu lesen: „Wir sind die Rebellion von rechts. Niemals wird sich etwas ändern, wenn wir nur reden“. Eine weitere Klebeaktion fand nach Verlautbarung der JN Hessen in Fulda (Landkreis Fulda) statt.

Bundesweite Plakatieraktion am 1. Mai | Als Ersatz für die aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie abgesagten Demonstrationen am „Tag der Arbeit“ führten die JN am 1. Mai eine bundesweite Plakatieraktion durch. Damit wollte die Jugendorganisation der NPD im Rahmen dieser Aktion auf die ihrer Ansicht nach durch „Kapitalismus“ und „Globalisierung“ verursachten Probleme hinweisen. Hierzu schrieben die JN auf ihrer Internetseite:

„Der globalistische, auf ewiges Wachstum ausgelegte Kapitalismus ist keine langfristige Lösung! In der Krise bewährt sich die Nation, Solidarität lässt sich nur auf lokaler Ebene nachhaltig sichern und hat ihre natürlichen Grenzen an den Grenzen unseres Landes“.

Entsprechende Plakate – unter anderem mit der Aufschrift „Kapitalismus tötet! Die Politik der internationalen Finanzeliten durchkreuzen… Für eine raumorientierte Volkswirtschaft!“ – fanden sich in Frankfurt am Main und in Fulda (Landkreis Fulda).

Entstehung/Geschichte

Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP.

Auf einen Blick
  • Anschein von Legalität
  • Krise der NPD
  • „Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland
  • Konzept der „seriösen Radikalität“
  • Wahlergebnisse
  • Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen
    Strategie der Partei

Anschein von Legalität | Aus dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 zwei Prozent (= 664.193 der Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 Prozent der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb für die NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlustängste in der Bevölkerung.

Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent (= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocaust durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein.

„Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie ihre Programmatik. Das neue „Drei-Säulen-Konzept“ enthielt folgende Punkte: „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“ und „Kampf um die Parlamente“. 2004 kam der „Kampf um den organisierten Willen“ hinzu.

Im Zuge ihres „Kampfs um die Straße“ öffnete sich die NPD vor allem gegenüber Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads. Umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-Szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004, 2006, 2009 und 2011 zog die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein, in denen sie inzwischen nicht mehr vertreten ist.

Konzept der „seriösen Radikalität“ | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der „seriösen Radikalität“ die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis im November 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD 2014 bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mitarbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit.

Wahlergebnisse | Seit der Landtagswahl in Sachsen verlor die NPD bei weiteren Wahlen auf Landes- und Bundesebene kontinuierlich Stimmen. 2017 erhielt sie bei den Landtagswahlen im Saarland 0,7 Prozent, was einem Minus von 0,5 Prozentpunkten entspricht, sowie in Nordrhein-Westfalen 0,3 Prozent (= minus 0,3 Prozentpunkte). In Hessen erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2018 0,2 Prozent der Stimmen (= minus 0,9 Prozentpunkte).

Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen Strategie der Partei | Ohne Gegenkandidaten wurde Frank Franz auf dem 37. ordentlichen Bundesparteitag der NPD (Motto „Wir setzen uns durch – für unsere Heimat“), der vom 30. November bis 1. Dezember 2019 in Riesa (Sachsen) stattfand, erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. Einem von Franz zur Diskussion gestellten Entschließungsantrag über die künftige Strategie der Partei stimmten 80 von 122 Delegierten (= 66 Prozent) zu. Damit wurde der Parteivorstand beauftragt, bis zum 31. März 2020 ein Konzept für die Zukunft der NPD zu erarbeiten, wobei auch eine Umbenennung der Partei geprüft werden sollte. Im Berichtszeitraum wurde jedoch keine Erklärung in Bezug auf das zu erarbeitende Strategiepapier veröffentlicht.

Ideologie/Ziele

Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik wendet sie sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Auf einen Blick
  • Überwindung des „Systems“
  • „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus

Überwindung des „Systems“ | Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von ihr in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als rein machtorientierte Herrschaft der „Systemparteien“ diffamiert, durch eine ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“ ersetzen. Solidarität soll nur „ethnischen Deutschen“ zuteilwerden. So heißt es im Parteiprogramm:

„Der ethnischen Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung ist genauso entschieden entgegenzutreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung“.

Diejenigen, die in den Augen der NPD „Fremde“ sind, grenzt sie aus. So seien

„Ausländer […] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen. […] Asylbewerber haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen“.

„Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus | Der Globalisierung will die NPD begegnen, indem sie das bestehende „System“ durch eine „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ ersetzt. Darüber hinaus werden Muslime diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile.

Strukturen

Die 2010 vorgenommene Neugliederung des Landesverbands in zwei Unterbezirks- und elf Kreisverbände erforderte 2015 eine erneute| Modifizierung, indem sechs Bezirksverbände (Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen, Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Südhessen) geschaffen wurden.

Auf den ersten Blick scheint die NPD flächendeckend in Hessen vertreten zu sein. Die Umstrukturierung in größere Bezirksverbände macht jedoch deutlich, dass für feingliederige Strukturen das notwendige Personal fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Strukturen waren in weiten Teilen Hessens nur schwach ausgeprägt.

Bewertung/Ausblick

NPD | Mit dem aus Daniel Lachmann, Ingo Helge und Stefan Jagsch bestehenden Vorstandsgremium verfügte die NPD Hessen sowohl über Verbindungen zu der Spitze der Bundespartei als auch zu der bundesweiten rechtsextremistischen Szene, da die beiden ersteren auch Mitglieder des Bundesvorstands waren. Unter der in ihren auf dem Landesparteitag in ihren Ämtern bestätigten Führung der NPD Hessen war ein ambitionierter Kommunalwahlkampf – insbesondere in ihren Hochburgen im Wetteraukreis und Lahn-Dill-Kreis – zu erwarten.

Die Ergebnisse der hessischen Kommunalwahl am 14. März 2021 zeigten erneut den stetigen personellen, strukturellen und finanziellen Erosionsprozess der NPD in Hessen auf. Mit elf im Wetteraukreis und Lahn-Dill-Kreis errungenen Mandaten gewann sie nunmehr weniger als die Hälfte der zur hessischen Kommunalwahl 2016 erhaltenen 23 Mandate. Das selbstgesetzte Minimalziel des Erhalts der zur hessischen Kommunalwahl 2016 errungenen Mandate konnte auch vor dem Hintergrund der im Berichtszeitraum eigens verlautbarten Reaktivierung des NPD-Bezirksverbandes Südhessen und eines angeblichen Mitgliederzuwachses nicht erreicht werden.

Vor dem Hintergrund der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie führte die NPD Hessen nur wenige Parteiveranstaltungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. Trotzdem versuchte sie mittels anhaltender Kritik an den „Corona-Maßnahmen“ sich als Protagonistin der entsprechenden Protestbewegung zu präsentieren. Dies geschah sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt. Ziel der NPD war es, in der Bevölkerung als „Kümmererin vor Ort“ wahrgenommen zu werden und mit protestierenden Bürgern ins Gespräch zu kommen. Dabei war – insbesondere im Rahmen von Demonstrationen – für Dritte ein Bezug zur NPD nicht auf Anhieb zu erkennen.

Es gelang der NPD Hessen jedoch nur bedingt, Anschluss an das Protestmilieu zu finden, sodass sie sich verstärkt auf die Propaganda im virtuellen Raum konzentrierte. An den wenigen von der NPD Hessen selbst initiierten Protestveranstaltungen nahm lediglich eine geringe Zahl von Personen teil.

JN | Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der JN Hessen gingen im Berichtszeitraum im Vergleich zum Vorjahr nochmals zurück. Neben den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie dürfte der maßgebliche Grund hierfür in den weiterhin bestehenden strukturellen und personellen Problemen der Jugendorganisation der NPD liegen. Dass es der JN Hessen gelingen könnte, diese Probleme zu überwinden, ist vorerst nicht zu erwarten.

Vor dem Hintergrund der personellen Probleme der NPD Hessen behaupteten die JN Hessen, die Mutterpartei im Wahlkampf zur hessischen Kommunalwahl unterstützt zu haben, indem sie angeblich vereinzelt öffentlichkeitswirksame Aktionen durchführten. Die Stimmen- und Mandatsverluste der NPD zeigen jedoch erneut, dass es den Rechtsextremisten kaum gelang, junge Menschen zu einer Stimmabgabe für die NPD zu bewegen.

Der Dritte Weg/Der III. Weg

Definition/Kerndaten

Die Partei der Der Dritte Weg propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Unter den Schlagworten „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“ formuliert Der Dritte Weg in seiner gleichnamigen Broschüre mit dem Begriff „Revolution“ einen „grundlegenden, allumfassenden, systematischen und nachhaltigen Wandel“ sowie die „Durchdringung der Politik und Gesellschaft mit unserer Weltanschauung“ als Ziele. Eine solche Revolution sei nicht mit Waffengewalt zu erzwingen, wenngleich es notwendig sein dürfte, dass „einige Scheiben“ zerbrächen, wenn es gelte, das deutsche Volk „in seiner ethnischen Existenz zu sichern“ und eine „Jahrtausende umfassende Hochkultur zu retten“. Unter den Mitgliedern der Partei, die überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum stammten, befanden sich Personen aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS), der völkisch geprägten Neonazi-Szene sowie frühere Mitglieder der NPD.

Bundesvorsitzender:: Klaus Armstroff
Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz)
Mitglieder: In Hessen etwa 20, bundesweit etwa 600
Medien Internetpräsenzen, Publikationen

Abgebildet ist das Logo der Partei Der III. Weg. Dabei sind die Wörter der und Weg in schwarzen Großbuchstaben geschrieben, zwischen diesen beiden Wörtern befindet sich die Zahl drei als römische Zahl geschrieben.

Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den Vorjahren legte die Partei Der Dritte Weg großen Wert auf Agitation und Propaganda im Zuge öffentlichkeitswirksamer Auftritte. Einen Agitationsschwerpunkt bildete im Berichtszeitraum die COVID-19-Pandemie sowie deren gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Auswirkungen. Die Partei versuchte hierbei die Pandemie als Projektionsfläche im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen und sich als „Kümmererin in der Krise“ zu stilisieren. Daneben spielte wie bereits in den vergangenen Jahren die Agitation in den Themenbereichen „Asyl- und Flüchtlingspolitik“ und Revisionismus eine herausragende Rolle. Dabei griff Der Dritte Weg auf typisch rechtsextremistische Narrative zurück.

Auf einen Blick
  • Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie
  • „Revolution auf Sendung“
  • „Gedenkveranstaltungen“
  • Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland

Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie | Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt diffamierte Der Dritte Weg die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie die entsprechend handelnden Politiker und deren Krisenmanagement. In diesem Sinne startete die Bundespartei im März die deutschlandweite Kampagne „Das System ist gefährlicher als Corona“. In deren Zentrum standen die Kritik an den angeblich ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen der Bundesregierung und das angeblich eigene „Kümmern“ des Dritten Wegs. Hierzu initiierte die Partei im Zuge des ersten „Lockdowns“ im März über ihre Homepage die bundesweite Aktion „Nachbarschaftshilfe“, die sich explizit an „Deutsche“ – insbesondere an ältere und körperlich beeinträchtigte Personen – richtete. Angeboten wurden laut eigener Verlautbarung „Hilfe im Alltag“ und „Hilfe beim Einkauf“. Außerdem wurden auf der Homepage des Dritten Wegs Alltagstipps und Hilfestellungen zur Bewältigung der Pandemie, wie etwa Anleitungen zur Fertigung von Alltagsmasken und Desinfektionsmitteln angeboten.

Die Partei thematisierte zudem die im Kontext der COVID-19-Pandemie entstandenen wirtschaftlichen Probleme – insbesondere in der Landwirtschaft – und versuchte, dieses Thema im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen. Mit dem Hinweis auf den Mangel an Erntehelfern initiierte die Partei die Kampagne „Deutscher Spargelbauer – Wir helfen dir bei der Ernte in Südhessen“.

Am 15. Mai führte der Dritte Weg in Haiger (Lahn-Dill-Kreis) eine Kundgebung unter dem Motto „Ja zum Verbot des Muezzin-Rufs! Corona Sonderregelungen sind kein Türöffner für Überfremdung!“ mit etwa 20 Teilnehmern durch. Vorausgegangen war ein Antrag des Ausländerbeirats der Stadt Haiger, aufgrund des seinerzeit geltenden Versammlungsverbots auch für religiöse Einrichtungen den Gebetsruf des Muezzins öffentlich übertragen zu dürfen. Auf der Internetseite des Dritten Wegs hieß es:

„Den Steinzeit-Muslimen ging es […] wieder einmal darum, ihre Forderungen vollumfänglich durchzudrücken. […] Setzt ein Zeichen gegen die weitere Überfremdung unserer Heimat! Vorweg sei gesagt, unsere Partei ,Der III. Weg’ spricht sich nicht gegen den Islam als Religion aus, doch gehört dieser nicht nach Deutschland, sondern in jene Länder, die seit Jahrhunderten vom Islam geprägt sind. Eine Moschee samt Minarette oder auch wie im aktuellen Fall in Haiger, der Muezzin-Ruf aus Vereinsräumen einer muslimischen Gemeinde, sind allesamt nur weitere Zeichen der zunehmenden Überfremdung und damit einhergehenden Islamisierung Deutschlands. Während durch die Corona-Krise die Freiheitsrechte eines Bürgers massiv angegriffen werden, Einschränkungen den Lebensalltag bestimmen und die Politik, anstatt wissenschaftliche Aufklärung zu leisten, lieber repressiv auf das eigene Volk einwirkt, darf sich kein Schlupfloch zur Steigerung der kulturellen Zersetzung unserer Heimat auftun“.

Am 3. Oktober führte Der Dritte Weg in Berlin die Demonstration „Ein Volk will Zukunft“ als Ersatz für die ursprünglich im Rahmen des „Arbeiterkampftages“ am 1. Mai geplante Veranstaltung in Erfurt (Thüringen) durch. Etwa 350 Parteiaktivisten und Angehörige der rechtsextremistischen Gruppierung Nordische Widerstandsbewegung aus Schweden protestierten gegen „Volkstod“, „Überfremdung“ und „Covid-19-Pandemie“. Auf der Homepage des Dritten Wegs wurde die Demonstration per Live-Ticker kommentiert.

„Revolution auf Sendung“ | Vor dem Hintergrund des Pandemiegeschehens versuchte Der Dritte Weg, sich unabhängiger von sozialen Medien zu machen, indem er im Blogformat Audios, Videos und Bilder auf der parteieigenen Homepage einband und unter dem Titel „Revolution auf Sendung“ ein eigenes Internetradio betrieb. Daneben bediente sich die Partei zur Verbreitung ihrer Ideologie im Rahmen der „Nationalrevolutionären Schriftenreihe“ auch klassischer Medien wie etwa von Büchern und Broschüren.

„Gedenkveranstaltungen“ | Verbunden mit der Forderung nach einem „zentralen Gedenktag“ für die Opfer der alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs führte der Dritte Weg vom 25. bis zum 27. Januar zum wiederholten Male seinen traditionellen „Gedenkmarsch“ unter dem Motto „Wir tragen das Licht für Dresden“ durch. Startpunkt bildete mit Fulda (Landkreis Fulda) der Endpunkt des letztjährigen Marsches. Am 25. Januar wurde auf der Homepage des Dritten Wegs ein Liveticker zu dem Gedenkmarsch online gestellt. Endpunkt des „Gedenkmarsches“ war Bamberg (Bayern), wo am 15. Februar außerdem die zentrale „Gedenkveranstaltung“ stattfand. Auf der Homepage des Dritten Wegs hieß es hierzu:

„Rund 150 volkstreue Aktivisten, darunter Delegationen aus Griechenland, Kroatien und der Ostmark sendeten von dort aus [i. e. Bamberg] ein Licht in die vor 75 Jahren zerbombte Elbmetropole und gedachten aller Bombenopfer des angloamerikanischen Terrors“.

Die Teilnehmer, so Der Dritte Weg,

„sollten das Gedenken nicht als bloßes Erinnern an die Opfer dieses Kriegsverbrechens verstehen, sondern sich in diesen Tagen auch die Leistungen verinnerlichen, die vor und nach Kriegsende erbracht wurden“.

Das jährlich zum Volkstrauertag im November in Wunsiedel (Bayern) stattfindende „traditionelle Heldengedenken“ sagte der Dritte Weg aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ab. Unter dem Motto „Tot sind nur jene, die vergessen werden!“ führte die Partei stattdessen zahlreiche regionale „Gedenkveranstaltungen“ durch. Dabei reinigten Aktivisten Kriegsdenkmäler und einen Soldatenfriedhof, stellten dort Grablichter mit dem Logo der Partei auf und legten Kränze nieder. In Hessen fanden „Gedenkveranstaltungen“ im Taunus, im Raum Weilburg (Landkreis Limburg-Weilburg) sowie in Darmstadt, Rüsselsheim und Ginsheim (beide Kreis Groß-Gerau) statt.

Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland | Trotz der im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Reisebeschränkungen versuchte der Dritte Weg, seine Beziehungen zu ausländischen nationalistischen Gruppierungen aufrechtzuerhalten und auszubauen. Wie 2019 nahmen Aktivisten am „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teil. Anlass war das Gedenken an die Schlacht von Budapest (Dezember 1944 bis Februar 1945). Die Veranstaltung schloss neben einer Demonstration einen etwa 60 Kilometer langen „Gedenkmarsch“ ein.

Im August führte Der Dritte Weg einen Segeltörn auf der Nordsee durch, an dem Mitglieder der nationalistischen Gruppierung Erkenbrand aus den Niederlanden teilnahmen. In einer auf der parteieignen Homepage veröffentlichten Artikelserie wurde Erkenbrand als niederländische Studiengesellschaft beschrieben, die sich als nationalistisch verstünde und rassenbewusst geprägt sei. Handelte es sich hierbei um das zweite Treffen, veröffentliche der Dritte Weg im Juni einen Artikel auf seiner Homepage, wonach Angehörige von Erkenbrand und Aktivisten des Dritten Wegs eine Wanderung im Westerwald unternommen hätten.

Entstehung/Geschichte

Die Partei Der Dritte Weg wurde 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Nach und nach entstanden verschiedene länderübergreifende Stützpunkte, unter anderem auch der Stützpunkt Westerwald/Taunus, der im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umfasst. Seit ihrer Gründung führte die Partei vor allem Demonstrationen, „Heldengedenken“ und gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichtete Flugblattverteilaktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im Internet.

Ideologie/Ziele

Das „Zehn-Punkte-Programm“ des Dritten Wegs bezieht sich sowohl von der Bezeichnung als auch vom Inhalt her auf das 25-Punkte-Programm der NSDAP und enthält dessen rechtsextremistische – im Detail nationalsozialistische – Programmatik. In diesem Programm verdeutlicht sich die damit verbundene antidemokratische Ausrichtung des Dritten Wegs, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielt.

Auf einen Blick
  • „Zehn-Punkte-Programm“
  • „National, Revolutionär, Sozialistisch“
  • Das Volk als „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ –
    Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“

„Zehn-Punkte-Programm“ | In seinem Parteiprogramm benennt Der Dritte Weg einen „Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus sowie gleichmacherischem Kommunismus“ als sein Ziel. Das deutsche Volk wird als „naturgesetzliche Gemeinschaft“ gesehen. Eine Forderung der Partei besteht in der Förderung kinderreicher deutscher Familien zur „Abwendung des drohenden Volkstodes“. Daneben gibt Der Dritte Weg die „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“ als ein weiteres Ziel an.

Darüber hinaus vertritt die Partei in ihrem „Zehn-Punkte-Programm“ ein geschichtsrevisionistisches Deutschlandbild. So wird eine „friedliche […] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen“ gefordert. Weitere Forderungen sind sowohl die Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien als auch die Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen.

„National, revolutionär, sozialistisch“ | Die Partei Der Dritte Weg begreift sich, gemäß ihres im Jahre 2015 veröffentlichten Selbstverständnisses, als „nationalrevolutionär“ und propagiert einen „deutschen Sozialismus“ als „dritten Weg“ abseits von Kommunismus und „Kapitalismus“. Die Partei knüpft damit zumindest in Teilen an die Programmatik des sogenannten linken Flügels der NSDAP an.

Der Programmatik des Dritten Wegs liegt ein völkisches Menschenbild, das sich eng am Nationalsozialismus und der militanten Kameradschaftsszene orientiert, zugrunde. So heißt es in der im Jahr 2017 erschienenen Broschüre „National, Revolutionär, Sozialistisch“ in Bezug auf die drei Kernbegriffe „national, revolutionär, sozialistisch“:

„Nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt“.

Das Volk als „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ – Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“ | Gemäß seines völkischen Menschenbilds definiert Der Dritte Weg den Nationalismus als die „politische Idee, die die Interessen und das Überleben des eigenen Volkes in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und Entscheidungen“ rücke. So komme der „echte Nationalismus“ nicht ohne eine „völkische Komponente“ aus, wobei das Blut der „Schlüssel zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens“ sei. Das Volk sei nicht nur eine „Blut-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft“, aus deren „übergeordnete[m] Willen“ sich die Nation bilde. Im Liberalismus hingegen verkörpere der „Einzelne den wichtigsten Wert“ und habe den „europäische[n] Mensche[n]“ einer Immunschwächekrankheit gleich „auf seine Existenz als Einzelwesen reduziert und seiner Kultur, Heimat und Identität beraubt“. In diesem Kontext sieht sich Der Dritte Weg „unseren kultur- und blutsverwandten Völkern in Europa verbunden“. In Bezug auf ihre Feindbilder beschränkt sich die Partei keinesfalls nur auf Deutschland:

„Egal ob West- oder Ost-, Süd[-] oder Nordeuropa, es sitzen überall die gleichen Verräter, die gleichen Vertreter des feigen Bürgertums und die gleichen Geldempfänger des Kapitals in den Parlamenten. Daher können wir sie gar nicht anders als gleichsam hassen und verachten. Wir fiebern jedem Schlag, ja jedem Nadelstich, den die verschiedenen europäischen Bewegungen den volksfeindlichen Systemen beibringen, entgegen, begeistern uns über jeden Erfolg und verneigen uns vor jedem Toten und jedem Verletzten des gesamteuropäischen Kampfes“.

Strukturen

Um weiterhin an Wahlen teilnehmen zu können, leitete Der Dritte Weg im Berichtszeitraum eine Umstrukturierung der Partei ein. Hierzu werden die aktuell existierenden Gebietsverbände aufgelöst und sukzessive Landesverbände gegründet, denen die bundesweit 18 Stützpunkte zugeordnet werden. Der in Hessen aktive Stützpunkt Westerwald/Taunus wurde dem Landesverband West zugeordnet.

Zu den Parteiveranstaltungen, die in erster Linie eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls zum Ziel haben, gehörten regelmäßig stattfindende Stammtische. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beschränkten sich die Aktivitäten des Stützpunktes Westerwald/Taunus auf Wanderungen und „Gedenkveranstaltungen“ im Freien, worüber auf der parteieigenen Homepage berichtet wurde.

Bewertung

Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie trug Der Dritte Weg nur in beschränktem Maße seine rechtsextremistische Ideologie öffentlichkeitswirksam auf die „Straße“. Die Partei bemühte sich jedoch, die Pandemie für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren. So stellte Der Dritte Weg die behördlichen Maßnahmen auf europäischer und deutschlandweiter Ebene negativ dar und attestierte Politik und Institutionen pauschales Versagen. Diese Kritik verband Der Dritte Weg mit fremdenfeindlichen Aussagen, um gegen die Asyl-, Grenz- und „Globalisierungspolitik“ der Bundesregierung zu agitieren, die angeblich maßgeblich zur rasanten Ausbreitung des COVID-19-Virus beigetragen habe.

Um seine Propaganda zu verbreiten, bediente sich Der Dritte Weg weiterhin des Internets und verschiedener sozialer Medien, wobei er versuchte, neue Kommunikationswege einzuschlagen. Insbesondere auf ihrer Homepage propagierte die Partei die Notwendigkeit einer völkischen Politik und einer damit verbundenen restriktiven Flüchtlingspolitik (Grenzschließungen), ebenso forderte die Partei die Abkehr von der Globalisierung.

Gleichzeitig versuchte Der Dritte Weg durch Aktionen wie die „Nachbarschaftshilfe“, das eigene Profil als „Kümmerer“ und als politische Alternative zu schärfen, um in der nichtextremistischen Mehrheitsgesellschaft anschlussfähig zu werden. Diesem Zweck dienten auch die „Gedenkveranstaltungen“, womit das Ziel verbunden war, als Gegenentwurf zur gesellschaftlich weithin akzeptierten und praktizierten demokratischen Erinnerungskultur wahrgenommen zu werden. Darüber hinaus dienten die „Gedenkveranstaltungen“ der Stärkung des parteiinternen Gemeinschaftsgefühls. Dies galt ebenso für die Teilnahme von Parteimitgliedern an „Gedenkveranstaltungen“ im europäischen Kontext, die zugleich die Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene auf europäischer Ebene fördern sollten.

DIE RECHTE

Definition/Kerndaten

Die Partei DIE RECHTE vertritt neonationalsozialistische, antisemitische und fremdenfeindliche Standpunkte. Sie lehnt den Parlamentarismus zwar grundsätzlich ab, versucht jedoch die Organisationsform als Partei als „Mittel zum Zweck“ zu nutzen, um den von ihr angestrebten fundamentalen Systemwechsel zu erreichen. Mutmaßlich auch, um einer Aberkennung des Parteienprivilegs zu entgehen, bemüht sich DIE RECHTE, formale Parteiaktivitäten zu entfalten. Neben dem Abhalten von Parteitagen tritt DIE RECHTE regelmäßig zu Wahlen an und errang dabei bundesweit mehrere Kommunalmandate. Signifikante Erfolge bei überregionalen Wahlen blieben bislang aber aus.

Landesvorsitzender: Mike Guldner
Bundesvorsitzende: Sascha Krolzig und Sven Skoda
Mitglieder: In Hessen etwa zehn , bundesweit etwa 550
Medien Internetpräsenzen

Logo der Partei DIE RECHTE

Ereignisse/Entwicklungen

Der im Jahr 2019 mehrfach von der Partei DIE RECHTE angekündigte Ausbau ihrer Strukturen in Hessen fand offensichtlich nicht statt. Ebenso agierte der Landesverband wie in den Jahren zuvor in der Öffentlichkeit weitgehend zurückhaltend und trat nur selten in Erscheinung. Versuchte die Partei in der ersten Hälfte des Berichtsjahrs, mittels der durch ihren Landesvorsitzenden Mike Guldner angestrebten Bürgermeisterkandidatur in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis) Aufmerksamkeit zu erringen, so stellte der Landesverband Hessen in der folgenden Zeit die Kommunikation über seine Homepage ein. Im Gegensatz zum Landesverband Hessen griff die Bundespartei das Thema „Corona“ auf: Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt versuchte sie, die Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung eingeleiteten staatlichen Maßnahmen zugunsten ihrer politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Wie in der Vergangenheit hatte der Landesverband Hessen insgesamt mit strukturellen und personellen Schwächen zu kämpfen.

Auf einen Blick
  • Bürgermeisterkandidatur von Mike Guldner
  • Wohnungsdurchsuchung
  • Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie
  • Verurteilungen

Bürgermeisterkandidatur von Mike Guldner | Zu Beginn des Berichtsjahrs berichteten verschiedene Medien, dass der Landesvorsitzende Mike Guldner beabsichtige, bei der Bürgermeisterwahl in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis), die ursprünglich für den 3. Mai geplant war und auf den 1. November verschoben wurde, zu kandidieren. Hierfür sammelte DIE RECHTE Unterstützungsunterschriften, wobei der NPD-Funktionär Stefan Jagsch die Partei zumindest bei einem Termin begleitete. Auf eine Presseanfrage hin bekannte Jagsch seine Unterstützung für Guldner und gab an, hierfür „private Gründe“ zu haben. Am 17. Februar verkündete DIE RECHTE, dass die geplante Kandidatur Guldners nicht weiterverfolgt werde und begründete dies unter anderem damit, dass sich bereits ein „vertretbarer Kandidat“ um das Amt bewerbe. Weiterhin hieß es, dass die zeitweise angestrebte Bürgermeisterkandidatur als „Generalprobe für die Kommunalwahl“ am 14. März 2021 in Hessen angesehen werde, wobei die Partei schließlich von einer Kandidatur absah.

Wohnungsdurchsuchung | Am 6. Februar durchsuchte die Polizei die Wohnung Guldners wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz in Neukirchen. Der Landesverband sah darin eine „Hetzkampagne“ gegen DIE RECHTE und deren Landesvorstand. Auf der Homepage der Partei hieß es, dass es sich um einen „erneute[n] Kriminalisierungsversuch durch die Staatsgewalt“ gehandelt habe. Auslöser der Maßnahme sei ein Bild des Landesvorsitzenden gewesen, auf dem er mit einer „Deko[-]Waffe“ posiere, deren „Lauf zugeschweißt“ sei und die er bereits seit Längerem nicht mehr besessen habe. In der letzten auf seiner Homepage getätigten Äußerung kündigte der Landesverband im Mai an: „Wir bleiben dran und engagieren uns weiterhin im Schwalm Eder Kreis, um Zustände wie in Großstädten zu verhindern und das Leben wie wir es kennen zu bewahren“ (Schreibweise wie im Original).

Nachdem das COVID-19-Virus Deutschland Ende Januar erreicht hatte, thematisierte der Bundesverband der Partei DIE RECHTE im März die Pandemie insbesondere auf seiner Homepage sowie auf seinem Telegram-Kanal und kritisierte sowohl die damit einhergehenden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen als auch das Krisenmanagement der Bundesregierung. Um sich selbst als „Kümmerin“ sowie „Helferin in der Krise“ zu inszenieren und Anschluss an von den staatlichen Maßnahmen Betroffene zu erlangen, bot die Partei „nationale Solidarität“ und praktische Unterstützung an. Dies sollte geschehen in Form von Einkaufshilfen – unter anderem im Raum Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und insbesondere für „ältere Volksgenossen“ in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) – sowie mittels des kostenlosen Versands von Schutzmasken.

Mit zunehmender Dauer der staatlichen Maßnahmen zweifelte DIE RECHTE deren Notwendigkeit an und forderte deren Aufhebung. Hierbei rief der Bundesverband dazu auf, sich an den gegen die „Corona-Maßnahmen“ richtenden nichtextremistischen Protestkundgebungen zu beteiligen. Ziel war es offenbar, sowohl einen regionalen als auch überregionalen Anschluss an diese Proteste zu erreichen. Der Parteifunktionär Michael Brück schrieb hierzu am 10. Mai im Internet:

„Es liegt eine spannende Zeit vor uns, in der endlich ein Ruck durch die Bevölkerung geht. Das herkömmliche Lagerdenken kommt in diesen Tagen an seine Grenzen. […] Unterstützt die Proteste in euren Städten. Beteiligt euch, aber vereinnahmt sie nicht. Lasst andere in der ersten Reihe stehen, aber seid dabei, um Kontakte zu knüpfen und dort zu helfen, wo ihr mit Wissen und Erfahrung gebraucht werden“. (Schreibweise wie im Original.)

Ende März hatte zuvor der Bundesvorsitzende der Partei, Sven Skoda, im Internet ausgeführt:

„Wer sich aufopferungsvoll um seine Volksgenossen kümmert und nicht nur große Worte macht, wird aber garantiert nicht vergessen werden und kann dabei Vertrauen schaffen. Vertrauen ist das Fundament, um irgendwann überhaupt Ansprechpartner in Situationen werden zu können in denen alle anderen versagen“.

Mit eigenen Demonstrationen wie zum Beispiel am 23. Mai in Braunschweig (Niedersachsen) versuchte der Bundesverband der Partei DIE RECHTE, ihre Ideologie auf die Straße zu bringen und sich weiterhin als Auffangbecken innerhalb der rechtsextremistischen Szene anzubieten.

Verurteilungen | Im November verurteilte das Amtsgericht Schwalmstadt Mike Guldner und Tim Schmerer jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Monaten bzw. zu 15 Monaten Freiheitsstrafe. Grund war eine am 30. Dezember 2018 gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung in einer Gaststätte in Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Das Gericht sah eine ausländerfeindliche Motivation als mitbestimmend für die Tat. Das Urteil ist rechtskräftig.

Entstehung/Geschichte

Die Partei DIE RECHTE gründete sich 2012 zunächst als Auffangbecken für Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (DVU), an deren Auffassungen sich das Programm der neuen Partei anfangs orientierte. Kurz danach traten Neonazis und frühere NPD-Mitglieder in die Partei ein. Die Parteigründung stand auch im Kontext von strategischen Erwägungen der rechtsextremistischen Szene. So suchten Rechtsextremisten aufgrund verschiedener Verbote von Kameradschaften nach einer neuen, weniger „verbotsanfälligen“ Organisationsform. Im August 2017 gründete sich der Landesverband Hessen. Ein solcher hatte zuvor bereits von November 2012 bis März 2014 bestanden.

Ideologie/Ziele

Neben dem Neonazismus bilden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit die ideologischen Schwerpunkte der Partei. Darüber hinaus vertritt DIE RECHTE maßgeblich revisionistische Einstellungen. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wurde das Bekenntnis der Partei DIE RECHTE zum Nationalsozialismus an einem Kommentar deutlich. In Bezug auf die für den 20. April, den Geburtstag Hitlers, geplante Beendigung des „Lockdowns“ hieß es auf ihrem Telegram-Kanal:

„Am 20. April: Flaggen hissen! […] In weiser Voraussicht, mit fast hellseherischen Fähigkeiten, haben wir bereits im Europawahlprogramm vor einem Jahr gefordert: Macht den 20. April zum deutschen Nationalfeiertag! Langsam müsste es auch der letzte Zweifler einsehen: Diese Forderung ist verdammt richtig!“

Strukturen

Im Vergleich zu Gliederungen der Partei in anderen Bundesländern verfügte der Landesverband Hessen – trotz verschiedener Ankündigungen, dies ändern zu wollen – nur über rudimentär ausgeprägte Strukturen. Unterhalb der Ebene des Landesverbands gab es keine Kreisverbände oder sogenannte Stützpunkte. Innerhalb Hessens lag der Aktivitätsschwerpunkt der Partei DIE RECHTE im Schwalm-Eder-Kreis.

Bewertung/Ausblick

Da der Landesverband seine Kommunikation über seine Homepage in der zweiten Hälfte des Berichtsjahrs einstellte, ist weiterhin davon auszugehen, dass er seine personellen und strukturellen Probleme nicht löste. Vor dem Hintergrund der teils zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gegen Guldner und Schmerer, die in Hessen die maßgeblichen Führungskader der Partei sind, ist zu erwarten, dass sich DIE RECHTE in Hessen noch weiter zurückziehen wird. Darauf deutet auch der zunächst angekündigte, dann jedoch nicht erfolgte Antritt des Landesverbands zur hessischen Kommunalwahl am 14. März 2021 hin.

Im Gegensatz zum Landesverband Hessen versuchten der Bundesverband sowie andere Kreisverbände unter dem Deckmantel der COVID-19-Pandemie mittels Hilfsangeboten und Beteiligung an nichtextremistischen Protesten gegen die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen neue Sympathisanten zu gewinnen und Kontakte zu knüpfen. Es wurde deutlich, dass die Bundespartei weiterhin das Ziel verfolgte, ihre neonazistische Ideologie auf die Straße zu bringen und sich als Auffangbecken für Rechtsextremisten verschiedener Ausrichtung zur Verfügung zu stellen. Es ist zu erwarten, dass DIE RECHTE diesen Weg auch in Zukunft beschreiten wird.

Kommunikationsstrategien
von Rechtsextremisten

Durch die stetige Entwicklung des Internets und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Kommunikation verändern sich immer wieder die Strategien und Taktiken der Rechtsextremisten. Soziale Netzwerke wie etwa Facebook, Blogs, Videoplattformen (zum Beispiel YouTube) sowie eigene Internetauftritte wie Homepages, Nachrichtenportale oder Foren sind für Rechtsextremisten wichtige Hilfsmittel für die digitale Verbreitung ihrer Propaganda, da sie hiermit mit wenig Aufwand ein breites Publikum erreichen können.

Auf einen Blick
  • Offene und versteckte Propaganda
  • Erhöhte Sensibilisierung
  • Online-Radikalisierung
  • Intensivierung der Bekämpfungsansätze

Offene und versteckte Propaganda | Die fortschreitende Digitalisierung hat die rechtsextremistische Szene nachhaltig verändert und das Entstehen einer Reihe von neuen Anlaufpunkten, Akteuren und Aktionsformen bewirkt. Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistische Organisationen nutzen das Internet einerseits, um offen für ihre Ideen und Aktivitäten zu werben und um Gleichgesinnte zu gewinnen; andererseits gehen sie konspirativ vor und rufen zum Beispiel Initiativen ins Leben, die auf den ersten Blick keinen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten lassen, sondern Themen ansprechen, die beim Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen (zum Beispiel Kindesmissbrauch). Hierüber suchen Rechtsextremisten besonders den Kontakt zu Menschen, die bisher keinen Bezug zum Rechtsextremismus hatten. Neben den Internetplattformen nutzen Rechtsextremisten verschiedene Messengerdienste wie WhatsApp, Threema, Telegram oder Signal, um untereinander zu kommunizieren, Veranstaltungen zu planen oder Absprachen zu treffen.

Gleiches gilt auch für den Bereich des sogenannten Gamings, wobei über die Hälfte der Bevölkerung zumindest gelegentlich Videospiele spielt. Insbesondere im Berichtsjahr stieg vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie die Zahl der Nutzer von Videospielen erneut an. Auch die Akteure der rechtsextremistischen Szene nutzten die vorhandenen Möglichkeiten und erschlossen sich auf Gaming-Plattformen eine neue Öffentlichkeit. Dabei ging es ihnen sowohl um das Verbreiten rechtsextremistischer Inhalte und Propaganda als auch um das Anwerben neuer Mitglieder. So können unter dem Vorwand des Gamings Gelegenheiten für einen vermeintlich unbefangenen Dialog geschaffen werden, da die Mehrheit der Nutzer nicht erwartet, beim Spielen mit rechtsextremistischen Aussagen und Haltungen konfrontiert zu werden. Somit erhielten Akteure der rechtsextremistischen Szene im Bereich des Gamings die Möglichkeit der Propaganda und Kontaktaufnahme, die ihnen in klassischen sozialen Netzwerken oder bei direkten Begegnungen verwehrt würden.

Erhöhte Sensibilisierung | Die Möglichkeit eines Zugriffs staatlicher Sicherheitsbehörden auf persönliche Daten und die interne Kommunikation sorgt bei Rechtsextremisten für eine erhöhte Sensibilisierung. So werden Leitfäden erstellt und Sicherheitsschulungen durchgeführt, um Anleitungen für konspirative Verhaltensweisen bei der Kommunikation in der rechtsextremistischen Szene zu verbreiten. Diese sollen dazu dienen, nicht in den Fokus von Sicherheitsbehörden zu geraten bzw. sich diesem Zugriff zu entziehen. Weiterhin nutzen Rechtsextremisten geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten, zu denen nur bestimmte – meist im Vorfeld ausgewählte – Szeneangehörige Zugang erhalten.

Online-Radikalisierung | Es besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten sich im Rahmen derartiger internetgestützter „Echokammern“ oder „Filterblasen“ gegenseitig in ihrer Radikalisierung bestärken, ohne dass in der Realwelt ein Kennverhältnis zueinander besteht. Für die nachrichtendienstliche Arbeit der Verfassungsschutzbehörden resultiert hieraus das Problem der Aufklärung dieser digitalen Räume, wobei es gilt, Informationsfragmente der virtuellen und realen Welt miteinander zu verbinden und zu analysieren.

Intensivierung der Bekämpfungsansätze | Vor diesem Hintergrund wurde neben den bereits bestehenden operativen und analytischen Maßnahmen die Internetbearbeitung intensiviert, um insbesondere gewaltorientierte Gruppierungen und Einzeltäter sowie deren Kennverhältnisse und Kommunikationswege frühzeitig zu identifizieren. Gleiches gilt für die intensivere Bekämpfung von rechtsextremistischer Hate Speech sowie von anderen rechtsextremistischen digitalen Inhalten. Diese Arbeit des LfV steht im Kontext des am 19. September 2019 durch die Hessische Landesregierung vorgestellten Aktionsprogramms „Hessen gegen Hetze“.

Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten

Wie bereits in den zurückliegenden sechs Jahren bildete der Themenkomplex „Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik“ zentrale Punkte in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen. Mit der Angst vor angeblicher „kultureller Überfremdung“ sollten Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Die fremdenfeindliche Agitation von Rechtsextremisten barg weiterhin das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten – unter anderem gegen Flüchtlinge – führen kann. In Hessen kam es im Berichtsjahr zu einem gewalttätigen Übergriff durch einen unbekannten Täter auf eine syrische Asylbewerberin in Frankfurt am Main. Mit Ausnahme von vier Delikten entfielen alle im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangenen Straftaten auf die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) -rechts-.

Auf einen Blick
  • Zunahme der Deliktanzahl in der Gesamtkategorie „Asyl“
  • Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge
  • Straftaten gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer
  • Bewertung und Ausblick

Zunahme der Deliktanzahl in der Gesamtkategorie „Asyl“ | Mit 70 Straftaten der PMK -rechts- nahm im Berichtsjahr in Hessen die Anzahl der Delikte in der Gesamtkategorie „Asyl“ gegenüber dem Vorjahr (40) um 30 (= 75 Prozent) zu. Damit war innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 nach dem Jahr 2016 (91 Delikte) erneut ein Höchststand erreicht. Die Gesamtkategorie „Asyl“ umfasst folgende Unterkategorien: „gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte“, „gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“ und „gegen Hilfsorganisationen und Helfer“.

Straftaten gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte | In Hessen kam es im Berichtszeitraum insgesamt zu fünf (2019: vier) Straftaten, die sich gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte richteten. Von diesen Straften waren drei der PMK -rechts- zuzuordnen. Innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 sank die Anzahl der Straftaten im Bereich der PMK -rechts- nach 2019 auf die bislang niedrigste Stufe.

2020 2019 2018 2017 2016
gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte
PMK insgesamt 5 4 10 7 25
PMK – rechts – 3 4 10 7 22
gegen Asylbewerber/Flüchtlinge
PMK insgesamt 68 37 26 50 72
PMK – rechts – 66 36 26 46 67
gegen Hilfsorganisationen und Helfer
PMK insgesamt 1 2 2 3
PMK – rechts – 1 2 1 2
Summe
PMK insgesamt 74 41 38 59 100
PMK – rechts – 70 40 38 54 91

Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge | Die Zahl der im Berichtsjahr gegen Asylbewerber und Flüchtlinge gerichteten Straftaten (66) im Bereich der PMK -rechts- verdoppelte sich im Unterschied zum Vorjahr (2019: 36) nahezu. Wie bei der Gesamtzahl der Straftaten in der Gesamtkategorie „Asyl“ war damit innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 nach dem Jahr 2016 (67) erneut ein Höchststand in der Unterkategorie „Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge“ erreicht. Unter die 66 Straftaten des PMK -rechts- fiel ein Gewaltdelikt: In Frankfurt am Main beleidigte im August ein unbekannter Täter eine syrische Asylbewerberin in einer S-Bahn in rassistischer Weise, bedrohte sie und trat ihr in den Bauch.

Die Gesamtzahl der im Berichtsjahr gegen Asylbewerber und Flüchtlinge gerichteten Straftaten betrug 68 (2019: 37), sodass nahezu alle Delikte auf den Bereich der PMK -rechts- entfielen.

Straftaten gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer | In diesem Bereich wurde im Berichtsjahr in Hessen eine Straftat verübt (2019: keine), die in den Bereich der PMK -rechts- fiel.

Bewertung und Ausblick | Obwohl die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge im Berichtszeitraum weiterhin abnahm, ist davon auszugehen, dass die entsprechende rechtsextremistische Agitation anhalten wird. Dies spiegelt sich in dem Anstieg der entsprechenden Straftaten (PMK insgesamt um etwa 80 Prozent, PMK -rechts- um 75 Prozent) auf einem deutlich erhöhten Zahlenniveau wider. Die Anti-Asyl-Agitation ist ein klassisches rechtsextremistisches Thema und bietet Rechtsextremisten traditionell ein großes Mobilisierungspotenzial. Sowohl die COVID-19-Pandemie selbst als auch die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung instrumentalisierten Rechtsextremisten für ihre Zwecke. Für die „Corona-Krise“ machten sie nicht nur Migranten verantwortlich, sondern entfachten Stimmung gegen sie. So hieß es etwa am 17. Mai auf der Internetseite der NPD Hessen:

„Ohne strenge Grenzkontrollen sind die Corona-Einschränkungen völlig sinnlos – weil sonst immer neue Infizierte nach Deutschland kommen! Durch Einwanderung gelangen auch Krankheiten nach Deutschland. Zum Beispiel die Krätze. Bei uns war sie so gut wie verschwunden. Nun breitet sie sich wieder aus, eingeschleppt von oft illegalen Zuwanderern aus Südosteuropa und dem Orient. […] Und schließlich Corona. Was nützt es denn, wenn die Deutschen Masken tragen und sich an Abstandregeln halten, wenn immer neue Seuchenträger über eine schlecht bewachte Grenze einsickern?  […] Wir müssen uns besser vor den Übeln schützen, die die Globalisierung uns bringt“.

Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befürworten, den Anstoß zu Gewalttaten geben bzw. selbst schwerwiegende Straftaten gegen Flüchtlinge und/oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Themen „Flüchtlinge“ und „Flüchtlingspolitik“ vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden.

Rechtsextremistische
Straf- und Gewalttaten

Im Bereich der rechtsextremistischen Gewalttaten nahm die Anzahl der Delikte um elf von 31 (2019) auf 42 (2020) zu. Bei dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) am 19. Februar kamen neun Menschen ums Leben. In der polizeilichen Statistik PMK -rechts- findet der Anschlag von Hanau aufgrund der Erhebungsmethodik als ein Delikt Berücksichtigung. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

Insgesamt wiesen im Berichtszeitraum 1.216 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2019 (886 Delikte) einen Anstieg um etwa 37 Prozent, sodass 2020 der höchste Stand innerhalb der letzten fünf Jahre zu verzeichnen war. Der Zuwachs resultierte insbesondere aus der um etwa 38 Prozent gestiegenen Zahl der Delikte in der Kategorie „andere Straftaten“ (insbesondere Propagandadelikte). Insgesamt ist für nahezu alle Kategorien der im Berichtsjahr erfassten rechtsextremistischen Delikte ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr zu konstatieren. Eine Ausnahme bildet lediglich die Kategorie „Sachbeschädigungen“, in der die Anzahl der Straftaten etwa um 14 Prozent sank.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Anschläge in Hanau und Wolfhagen ist es unerlässlich, die Gesamtentwicklung der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten sowie deren mögliche Ursachen genau im Blick zu behalten. Darüber hinaus ist im Zuge der extremistischen Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu beobachten, ob und wie sich die extremistische Gewaltorientierung in Teilen der Gesellschaft ändert. Gerade im Kontext der „Corona-Krise“ nahmen zunächst mündlich sowie im Internet und in den sozialen Medien artikulierte Proteste die Form von Straf- und Gewalttaten an.

2020 2019 2018 2017 2016
Deliktart
Tötung 1 1
Versuchte Tötung 1 1
Körperverletzung 40 29 24 13 19
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 3
Landfriedensbruch 1
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 1 1
Gewalttaten insgesamt 42 31 25 16 23
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 29 33 26 22 41
Nötigung/Bedrohung 30 19 7 6 29
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 1.115 803 481 496 706
Straf- und Gewalttaten insgesamt 1.216 886 539 540 799
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