Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionistische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im „Dritten Reich“ auf. Den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest.
Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in der folgenden Zeit an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Deutschlands, teilweise wieder zu. Bis 2014 bzw. 2016 in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten, war sie zuletzt in keinem Landesparlament mehr präsent. Allerdings wechselte im November 2018 ein wegen Volksverhetzung verurteilter Mandatsträger der Alternative für Deutschlands (AfD) im Berliner Abgeordnetenhaus zu der NPD, sodass sie wieder in einem Landesparlament vertreten ist.
Landesvorsitzender: |
Daniel Lachmann |
Bundesvorsitzender: |
Frank Franz (Saarland) |
Mitglieder: |
In Hessen etwa 260 , bundesweit etwa 3.500 |
Jugendorganisation: |
Junge Nationalisten (JN) |
Medien (Auswahl): |
Deutsche Stimme (DS), Internetpräsenzen |
Die NPD in Hessen war wie in den Vorjahren nur eingeschränkt handlungsfähig. Lediglich einige Bezirksverbände waren aktiv und traten – wie etwa die Bezirksverbände Mittelhessen und Wetterau-Kinzig – öffentlich in Erscheinung. Nachdem das COVID-19-Virus Ende Januar Deutschland erreicht hatte, griff die NPD in Hessen seit Mitte März die politische und mediale Thematisierung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf. Dabei kritisierte die Partei sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt die mit dem Krisenmanagement betrauten Politiker und die staatlichen Maßnahmen. Während des Landesparteitags im Oktober wählten die Delegierten Daniel Lachmann erneut zum Landesvorsitzenden. In dieser Funktion, die er seit 2018 innehatte, sollte er die NPD auch in den Wahlkampf für die hessische Kommunalwahl am 14. März 2021 führen.
Auf einen Blick
- Neujahrsempfang
- Reaktionen der auf die COVID-19-Pandemie
- Landesparteitag
- Verurteilung
Neujahrsempfang | Am 19. Januar führten die NPD-Fraktionen Leun und Wetzlar ihre Jahresauftaktveranstaltung mit etwa 80 Teilnehmern in Leun (Lahn-Dill-Kreis) durch. Moderiert vom stellvertretenden Landesvorsitzenden Ingo Helge, trat der Liedermacher Phil (Philipp Neumann) von der Gruppe Flak auf. Unter den Teilnehmern befanden sich neben NPD-Mitgliedern und Aktivisten der JN aus Hessen unter anderem der Landesvorsitzende der NPD Rheinland-Pfalz, Markus Walter, der Leiter des Thule-Seminars e. V., Dr. Pierre Krebs, sowie der Herausgeber der Zeitschrift Recht und Wahrheit, Meinolf Schönborn. Wie die NPD Hessen auf Facebook berichtete, kamen verschiedene Redner zu Wort. So referierte Walter über kommunalpolitische Themen und die in „Rheinland-Pfalz stationierten US-Besatzer“, die ihre „Militärbasis u. a. in Ramstein nutzen, um weltweit Kriege zu führen“. Dr. Wolfgang Bohn sprach über das Thema „Umweltschutz ist Heimatschutz“ und Dr. Krebs über die „Zukunft der weißen Völker“. Dabei behauptete er: „Heimat ist der harmonische Einklang von Mensch und Raum. Dies ist es, was wir erhalten und fördern wollen“.
Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Die Berichterstattung in den Medien und die politisch-gesellschaftliche Diskussion über die COVID-19-Pandemie und deren Folgen versuchte die NPD – neben einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema – in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Insbesondere im virtuellen Raum kritisierte sie die nach ihrer Auffassung mit der Pandemie verbundene Krise der Asyl-, Grenz- und Globalisierungspolitik. So hieß es auf der Facebook-Seite des NPD-Landesverbands Hessen:
„Daran haben unsere Gutmenschen-Politiker ebenfalls nicht gedacht: Dass ihre Gäste sich in einer Krisensituation nicht an die verordneten Notmaßnahmen – wie beispielsweise eine Quarantäne – halten. Wer illegal die Grenze übertritt – warum sollte der sich an solche Auflagen halten?“
„Wenn der Westen aus der Corona-Krise etwas lernen will und kann, dann dies: Nötig sind handlungsfähige Nationalstaaten, dauerhafte Einreisekontrollen und Maßnahmen zur ökonomischen Deglobalisierung, d. h. eine Reduzierung ökonomischer Auslandsabhängigkeit durch Stärkung regionaler und nationaler Wirtschaftskreisläufe. Die Globalisierungsideologie der Herrschenden ist mit schlimmsten Folgen für uns alle gescheitert!“
Diffamierend hieß es auf der Facebook-Seite Lachmanns:
„Auch wenn ich die Genauigkeit der PCR-Testergebnisse sehr kritisch ansehe, werden andauernd aufgrund türkischer Großfeiern schärfere Maßnahmen von Politikern gefordert. Bekanntlich nehmen es die Invasoren mit der Hygiene nicht allzu genau. Vielleicht würde eine Investition in Seife helfen“.
Dabei kritisierte die NPD auch das Krisenmanagement der Bundesregierung. Während sich die Kritik zu Beginn außerdem auf die angeblich unverhältnismäßig starke Einschränkung der Freiheitsrechte bezog („Eine Bundeskanzlerin, die das Grundgesetz außer Kraft setzt, ist keine Bundeskanzlerin“), rückten zunehmend Forderungen nach einer Aufhebung der staatlichen Maßnahmen in den Agitationsfokus:
„Aufstehen, Rausgehen, die Faust heben! Widerstand! 2020 ist das Jahr, indem wir für unsere Grundrechte auf die Straße gehen müssen. […] Doch die, die immer von unseren Grundrechten prädigen, die stellen sich jetzt gegen uns? Gegen das #Volk! […] Organisierter #Widerstand ist auch 2020 möglich! Nämlich in der #NPD! #Merkel und Co. die Grenzen zeigen!“ (Schreibweise wie im Original.)
„Im Interesse von Volk und Staat sind alle Maßnahmen zu beenden, die eine unverhältnismäßige Belastung und Einschränkung bedeuten [,] und politische Entscheidungen zu treffen, die künftige Generationen nicht mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen in untragbarer Weise belasten“.
Neben ihrer anhaltenden Kritik im virtuellen Raum versuchte die NPD mittels der Teilnahme an Veranstaltungen in und außerhalb Hessens, Einfluss auf die Proteste gegen die staatlichen Anti-COVID-19-Maßnahmen zu nehmen. Hierzu veröffentlichte die Partei auch Unterstützungsaufrufe. In Hessen nahmen NPD-Aktivisten nach eigener Verlautbarung unter anderem an Kundgebungen in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis), Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und Frankfurt am Main teil.
Am 23. Mai führte der stellvertretende Landesvorsitzende Stefan Jagsch als privater Anmelder eine Protestkundgebung (etwa 20 Teilnehmer) unter dem Motto „Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn – Vernunft statt Hysterie“ in Büdingen (Wetteraukreis) durch. Bei der nahezu nur von NPD-Aktivisten besuchten Veranstaltung hielten unter anderem Daniel Lachmann und Ingo Helge Reden, wobei letzterer die Bundeskanzlerin als „,Staatsratsvorsitzende’“ bezeichnete. Ein anderer Redner bezog in seiner Anspielung auf die Deutsche Demokratische Republik (DDR) auch den Nationalsozialismus ein, indem er – in geschichtsrevisionistischer Manier – erklärte:
„Ich habe mich sehr mit dem Medienmissbrauch im Dritten Reich und der DDR befasst […]. Mir ist kein Fall bekannt, wo die Wahrheit so verdreht wurde […]. Ich gehe davon aus, dass dieser Corona-Schwindel, den hoffentlich immer mehr Menschen durchschauen werden, die BRD-Version des Turms zu Babel zu nichts zerfallen lassen wird“.
Außerhalb von Hessen nahmen NPD-Aktivisten am 1. und 29. August in Berlin an Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie teil. So hieß es auf der Facebook-Seite der NPD Hessen:
„Komme auch du am 1. August nach Berlin und zeige damit, dass wir uns von denen da oben nicht alles gefallen lassen. […] Wir wollen freie Bürger sein und keine ,Masken-Sklaven’!“
Um sich „bürgernah“ zu geben und Gegenproteste zu vermeiden, nahmen auch führende Parteimitglieder an der Demonstration in Berlin teil, ohne dass auf den ersten Blick deren Zugehörigkeit zur NPD erkennbar war. So war auf der Facebook-Seite der NPD Hessen ein Bild eingestellt, das den ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zeigte, als er zusammen mit vier weiteren Aktivisten ein Transparent trug, auf dem stand: „Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn[.] Zwangsmaßnahmen beenden – Normalität herstellen!“ Ein Facebook-Nutzer kommentierte das Bild wie folgt:
„Die AfD hat mit dem Rauswurf des Herrn Kalbitz abgewirtschaftet. Ich finde es toll, dass die NPD sich einbringt in die Gesellschaft und auch die Mißstände beim Namen nennt“. (Schreibweise wie im Original.)
Insbesondere in Bezug auf die Demonstration am 29. August unterstützten Aktivisten die Bundespartei. So hieß es auf der Facebook-Seite der NPD Hessen in einem Aufruf:
„Unter dem Vorwand einer Corona-Pandemie wurden unsere Grundrechte vielfach außer Kraft gesetzt. Am 29. August versammeln sich erneut unzählige mündige Bürger in Berlin, um ein Zeichen zu setzen – für die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben und gegen die Willkür von Politik und staatsdienender Presse. Die Bürger sind keine Mündel, darum werden wieder viele Menschen weite Anreisen in Kauf nehmen, um in der Hauptstadt gemeinsam und über alle ideologischen Schranken hinweg für das auf die Straße zu gehen, was sie wirklich bewegt. Das ist mutig, absolut begrüßenswert und zutiefst demokratisch“.
Im Rahmen mehrerer an diesem Tag in Berlin stattfindender Demonstration, an denen etwa 38.000 Menschen teilnahmen, verteilten NPD-Angehörige aus Hessen eine Ausgabe der DS („,Unsere Freiheit ist unverhandelbar!’ Zeit für Widerstand!“) und trugen entsprechende Plakatschilder.
Landesparteitag | am 17. Oktober führte die NPD in Leun (Lahn-Dill-Kreis) einen Landesparteitag durch, bei dem nach zweijähriger Amtszeit der Landesvorstand neu gewählt wurde. Der Generalsekretär der Bundespartei, Alexander Neidlein, leitete die Veranstaltung, in deren Verlauf Daniel Lachmann und Stefan Jagsch verkündeten, dass der Bezirksverband Südhessen aufgrund von Neuzugängen reaktiviert worden sei.
Bei den Wahlen wurde Lachmann als Landesvorsitzender bestätigt, Jagsch und Helge wurden zu seinen Stellvertretern bestimmt. Außerdem wurden fünf Beisitzer, zwei Kassenprüfer und ein Landesschiedsgericht gewählt. In seiner Schlussrede erklärte Jagsch, dass es die „wichtigste Aufgabe für die kommenden Monate“ sei, die „weiteren Vorbereitungen zur Kommunalwahl“ zu treffen. Auf der Facebook-Seite der NPD Hessen hieß es:
„Oberstes Ziel müsse es für den Landesverband sein, zu möglichst vielen Stadt- und Gemeindeparlamentswahlen am 14. März 2020 mit Listen anzutreten, damit auch dem Wähler die Chance zur Stimmabgabe für die nationale Oppositionspartei gegeben wird. […] Da heiße es für alle Deutschen, die von den Zwangsmaßnahmen der Regierung und deren kommunalen Vertretern die Schnauze voll haben: Wahltag ist Zahltag – Lügenparteien abstrafen!“
Verurteilung | Im Juli verurteilte das Landgericht (LG) Limburg a. d. Lahn den Inhaber des Bistro Hollywood in Leun (Lahn-Dill-Kreis) – die Örtlichkeit ist in der rechtsextremistischen Szene als Teutonicus bekannt – zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft wegen illegalen Waffenbesitzes und räuberischer Erpressung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In der Folge distanzierte sich die NPD-Fraktion der Leuner Stadtverordnetenversammlung von ihrem Mitglied, sodass es fortan sein Mandat fraktionslos ausübte.
2018 hatte die Polizei das Teutonicus im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz durchsucht. Dabei waren fünf Personen festgenommen sowie Waffen, Munition, Betäubungsmittel und nationalsozialistische Devotionalien beschlagnahmt worden. Außerdem hatte die Polizei auf dem Dachboden des Gebäudes einen provisorischen Schießstand entdeckt.
Die JN Hessen traten nur vereinzelt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung und verhielten sich gegenüber den Vorjahren – auch vor dem Hintergrund der im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geführten Diskussion in Gesellschaft und Medien – außerordentlich passiv. An einer von den JN initiierten bundesweiten „Internet-Demonstration“ beteiligten sich auch JN- und NPD-Aktivisten aus Hessen, um auf die angeblich gescheiterte „Globalisierungspolitik“ aufmerksam zu machen. Bundesweit versuchten die JN – wie auch die NPD – die Pandemie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und boten unter anderem während des „Lockdowns“ Einkaufshilfen für Personen aus Risikogruppen an. Entsprechende Angebote der JN Hessen wurden nicht bekannt.
Auf einen Blick
- Internet-Demo: „#SystemExit“
- Reaktionen der JN auf die COVID-19-Pandemie
- Kampagne „schülersprecher.info“
- Bundesweite Plakatieraktion am 1. Mai
Internet-Demo: „#SystemExit“ | Auf Initiative der JN wurden am 26. April auf verschiedenen rechtsextremistischen Internetpräsenzen sowie Facebook- und Twitter-Profilen Beiträge mit dem Hashtag „#SystemExit“ mit Bildern – insbesondere Selfies – und Kommentierungen veröffentlicht.
Zuvor hatte es am 21. April auf der Facebook-Seite der JN geheißen:
„Noch nie war es so vielen Bürgern klar, dass das System Globalisierung an seine Grenzen gekommen ist, dass die Globalisierung sich als Irrweg erwiesen hat. Die Globalisierung bringt auf Dauer keinen Wohlstand, sie vernichtet Existenzen! Die Globalisierung schafft keine Vielfalt, sie zerstört weltweit Kulturen! Die Globalisierung sorgt nicht für den Export von Sicherheit und Freiheit, sie importiert Unsicherheit, Terror und Kriminalität!“
Unter dem Motto „Mach mit: #SystemExit jetzt! ‚Das System ist am Ende, wir sind die Wende‘“ wollten die JN im Rahmen einer „Internet-Demo“ auf die im Zusammenhang mit der Pandemie angeblich gescheiterte Globalisierung hinweisen. Insbesondere auf ihren Twitter-Profilen berichteten die JN daraufhin über Aktionen in der realen Welt. So zeigten Bilder Aktivisten bei Banner- und Klebeaktionen vorwiegend in Nord- und Ostdeutschland, in Leipzig (Sachsen) brannten Aktivisten pyrotechnische Gegenstände ab.
Aus Hessen nahmen unter anderem der Landesvorsitzende der JN Hessen, Thassilo Hantusch, sowie die NPD-Funktionäre Daniel Lachmann, Stefan Jagsch und Ingo Helge an der Kampagne teil. Ein auf der Homepage der JN eingestelltes Foto zeigte einen Fahrkartenautomaten vermutlich im Umkreis von Wiesbaden, auf den ein Plakat mit der Aufschrift „#Systemexit Wagen wir den Ausstieg!“ aufgeklebt war.
Reaktionen der JN auf die COVID-19-Pandemie | Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie kritisierte der JN-Bundesverband die angeblich verfehlte Politik der Bundesregierung. Der Ausbruch der Krankheit zeige der deutschen Wirtschaft deren Grenzen auf und beweise eindeutig, „warum der Kapitalismus – mitsamt seiner Globalisierung“ im Krisenfall den Großteil der Bevölkerung im Stich lasse. Das Gesundheitswesen sei „finanziell und personell kaputt gespart“ worden. Weiterhin seien Ernteausfälle zu erwarten, da Unterstützungskräfte aus Osteuropa fehlten.
Die Gruppierung Junge Revolution äußerte sich in Bezug auf die von den JN initiierte Internet-Demo „#SystemExit“ wie folgt in einem Telegram-Post:
„Globalismus fördert Pandemien wie die Sars-CoV-2 Pandemie. Globalismus fördert nicht, wie sie [i. e. die Medien] es sagen, den Austausch unter den Völkern, sondern versucht regelrecht diesen zu unterbinden und die Völker und Rassen dieser Erde zu vereinheitlichen. Ganze Länder und Regionen werden abhängig von Industriegiganten und Länder mit Ressourcen werden ausgebeutet, geplündert und versklavt. Es werden Kriege gestiftet, um den stetigen Drang nach Mehr zu stillen“. (Schreibweise wie im Original.)
Um in der Krise Bedürftigen zu helfen, boten JN-Aktivisten Einkaufshilfen und Sachspenden mittels eines „Gabenzauns“ an. Darüber hinaus riefen sie dazu auf, regionale Produkte zu kaufen sowie die Landwirte als Erntehelfer zu unterstützen. Weiterhin beteiligten sich JN-Aktivisten an Protestveranstaltungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, wie etwa in Berlin am 1. und 29. August sowie in Leipzig (Sachsen) am 7. November. Ebenso wie die Mutterpartei versuchten die JN, Anschluss an die Protestbewegung zu finden, allerdings nahmen nur wenige JN-Angehörige an den Demonstrationen teil. Die JN Hessen selbst sprachen nicht davon, dass sie sich an Hilfeleistungen oder den Protestkundgebungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie beteiligten.
Kampagne „schülersprecher.info“ | Wie in den Vorjahren kam es im Rahmen der Kampagne „schuelersprecher.info“ nur zu wenigen Aktionen. So wurden an zwei Schulen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) Aufkleber mit den Aufschriften „Kampfsport statt Kiffen. Deutsche Jugend zu uns“ und „Jugend ohne Migrationshintergrund“ angebracht. An einer Schule in Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis) hingen Plakate, auf denen unter anderem stand: „Unsere Heimat unsere Regeln unsere Musik“. Der auf der Instagram-Seite von „schuelersprecher.info“ war der Kommentar zu lesen: „Wir sind die Rebellion von rechts. Niemals wird sich etwas ändern, wenn wir nur reden“. Eine weitere Klebeaktion fand nach Verlautbarung der JN Hessen in Fulda (Landkreis Fulda) statt.
Bundesweite Plakatieraktion am 1. Mai | Als Ersatz für die aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie abgesagten Demonstrationen am „Tag der Arbeit“ führten die JN am 1. Mai eine bundesweite Plakatieraktion durch. Damit wollte die Jugendorganisation der NPD im Rahmen dieser Aktion auf die ihrer Ansicht nach durch „Kapitalismus“ und „Globalisierung“ verursachten Probleme hinweisen. Hierzu schrieben die JN auf ihrer Internetseite:
„Der globalistische, auf ewiges Wachstum ausgelegte Kapitalismus ist keine langfristige Lösung! In der Krise bewährt sich die Nation, Solidarität lässt sich nur auf lokaler Ebene nachhaltig sichern und hat ihre natürlichen Grenzen an den Grenzen unseres Landes“.
Entsprechende Plakate – unter anderem mit der Aufschrift „Kapitalismus tötet! Die Politik der internationalen Finanzeliten durchkreuzen… Für eine raumorientierte Volkswirtschaft!“ – fanden sich in Frankfurt am Main und in Fulda (Landkreis Fulda).
Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP.
Auf einen Blick
- Anschein von Legalität
- Krise der NPD
- „Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland
- Konzept der „seriösen Radikalität“
- Wahlergebnisse
- Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen
Strategie der Partei
Anschein von Legalität | Aus dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 zwei Prozent (= 664.193 der Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 Prozent der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb für die NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlustängste in der Bevölkerung.
Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent (= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocaust durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein.
„Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie ihre Programmatik. Das neue „Drei-Säulen-Konzept“ enthielt folgende Punkte: „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“ und „Kampf um die Parlamente“. 2004 kam der „Kampf um den organisierten Willen“ hinzu.
Im Zuge ihres „Kampfs um die Straße“ öffnete sich die NPD vor allem gegenüber Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads. Umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-Szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004, 2006, 2009 und 2011 zog die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein, in denen sie inzwischen nicht mehr vertreten ist.
Konzept der „seriösen Radikalität“ | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der „seriösen Radikalität“ die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis im November 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD 2014 bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mitarbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit.
Wahlergebnisse | Seit der Landtagswahl in Sachsen verlor die NPD bei weiteren Wahlen auf Landes- und Bundesebene kontinuierlich Stimmen. 2017 erhielt sie bei den Landtagswahlen im Saarland 0,7 Prozent, was einem Minus von 0,5 Prozentpunkten entspricht, sowie in Nordrhein-Westfalen 0,3 Prozent (= minus 0,3 Prozentpunkte). In Hessen erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2018 0,2 Prozent der Stimmen (= minus 0,9 Prozentpunkte).
Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen Strategie der Partei | Ohne Gegenkandidaten wurde Frank Franz auf dem 37. ordentlichen Bundesparteitag der NPD (Motto „Wir setzen uns durch – für unsere Heimat“), der vom 30. November bis 1. Dezember 2019 in Riesa (Sachsen) stattfand, erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. Einem von Franz zur Diskussion gestellten Entschließungsantrag über die künftige Strategie der Partei stimmten 80 von 122 Delegierten (= 66 Prozent) zu. Damit wurde der Parteivorstand beauftragt, bis zum 31. März 2020 ein Konzept für die Zukunft der NPD zu erarbeiten, wobei auch eine Umbenennung der Partei geprüft werden sollte. Im Berichtszeitraum wurde jedoch keine Erklärung in Bezug auf das zu erarbeitende Strategiepapier veröffentlicht.
Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik wendet sie sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Auf einen Blick
- Überwindung des „Systems“
- „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus
Überwindung des „Systems“ | Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von ihr in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als rein machtorientierte Herrschaft der „Systemparteien“ diffamiert, durch eine ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“ ersetzen. Solidarität soll nur „ethnischen Deutschen“ zuteilwerden. So heißt es im Parteiprogramm:
„Der ethnischen Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung ist genauso entschieden entgegenzutreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung“.
Diejenigen, die in den Augen der NPD „Fremde“ sind, grenzt sie aus. So seien
„Ausländer […] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen. […] Asylbewerber haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen“.
„Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus | Der Globalisierung will die NPD begegnen, indem sie das bestehende „System“ durch eine „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ ersetzt. Darüber hinaus werden Muslime diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile.
Die 2010 vorgenommene Neugliederung des Landesverbands in zwei Unterbezirks- und elf Kreisverbände erforderte 2015 eine erneute| Modifizierung, indem sechs Bezirksverbände (Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen, Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Südhessen) geschaffen wurden.
Auf den ersten Blick scheint die NPD flächendeckend in Hessen vertreten zu sein. Die Umstrukturierung in größere Bezirksverbände macht jedoch deutlich, dass für feingliederige Strukturen das notwendige Personal fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Strukturen waren in weiten Teilen Hessens nur schwach ausgeprägt.
NPD | Mit dem aus Daniel Lachmann, Ingo Helge und Stefan Jagsch bestehenden Vorstandsgremium verfügte die NPD Hessen sowohl über Verbindungen zu der Spitze der Bundespartei als auch zu der bundesweiten rechtsextremistischen Szene, da die beiden ersteren auch Mitglieder des Bundesvorstands waren. Unter der in ihren auf dem Landesparteitag in ihren Ämtern bestätigten Führung der NPD Hessen war ein ambitionierter Kommunalwahlkampf – insbesondere in ihren Hochburgen im Wetteraukreis und Lahn-Dill-Kreis – zu erwarten.
Die Ergebnisse der hessischen Kommunalwahl am 14. März 2021 zeigten erneut den stetigen personellen, strukturellen und finanziellen Erosionsprozess der NPD in Hessen auf. Mit elf im Wetteraukreis und Lahn-Dill-Kreis errungenen Mandaten gewann sie nunmehr weniger als die Hälfte der zur hessischen Kommunalwahl 2016 erhaltenen 23 Mandate. Das selbstgesetzte Minimalziel des Erhalts der zur hessischen Kommunalwahl 2016 errungenen Mandate konnte auch vor dem Hintergrund der im Berichtszeitraum eigens verlautbarten Reaktivierung des NPD-Bezirksverbandes Südhessen und eines angeblichen Mitgliederzuwachses nicht erreicht werden.
Vor dem Hintergrund der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie führte die NPD Hessen nur wenige Parteiveranstaltungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. Trotzdem versuchte sie mittels anhaltender Kritik an den „Corona-Maßnahmen“ sich als Protagonistin der entsprechenden Protestbewegung zu präsentieren. Dies geschah sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt. Ziel der NPD war es, in der Bevölkerung als „Kümmererin vor Ort“ wahrgenommen zu werden und mit protestierenden Bürgern ins Gespräch zu kommen. Dabei war – insbesondere im Rahmen von Demonstrationen – für Dritte ein Bezug zur NPD nicht auf Anhieb zu erkennen.
Es gelang der NPD Hessen jedoch nur bedingt, Anschluss an das Protestmilieu zu finden, sodass sie sich verstärkt auf die Propaganda im virtuellen Raum konzentrierte. An den wenigen von der NPD Hessen selbst initiierten Protestveranstaltungen nahm lediglich eine geringe Zahl von Personen teil.
JN | Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der JN Hessen gingen im Berichtszeitraum im Vergleich zum Vorjahr nochmals zurück. Neben den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie dürfte der maßgebliche Grund hierfür in den weiterhin bestehenden strukturellen und personellen Problemen der Jugendorganisation der NPD liegen. Dass es der JN Hessen gelingen könnte, diese Probleme zu überwinden, ist vorerst nicht zu erwarten.
Vor dem Hintergrund der personellen Probleme der NPD Hessen behaupteten die JN Hessen, die Mutterpartei im Wahlkampf zur hessischen Kommunalwahl unterstützt zu haben, indem sie angeblich vereinzelt öffentlichkeitswirksame Aktionen durchführten. Die Stimmen- und Mandatsverluste der NPD zeigen jedoch erneut, dass es den Rechtsextremisten kaum gelang, junge Menschen zu einer Stimmabgabe für die NPD zu bewegen.
Der Dritte Weg/Der III. Weg
Die Partei der Der Dritte Weg propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Unter den Schlagworten „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“ formuliert Der Dritte Weg in seiner gleichnamigen Broschüre mit dem Begriff „Revolution“ einen „grundlegenden, allumfassenden, systematischen und nachhaltigen Wandel“ sowie die „Durchdringung der Politik und Gesellschaft mit unserer Weltanschauung“ als Ziele. Eine solche Revolution sei nicht mit Waffengewalt zu erzwingen, wenngleich es notwendig sein dürfte, dass „einige Scheiben“ zerbrächen, wenn es gelte, das deutsche Volk „in seiner ethnischen Existenz zu sichern“ und eine „Jahrtausende umfassende Hochkultur zu retten“. Unter den Mitgliedern der Partei, die überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum stammten, befanden sich Personen aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS), der völkisch geprägten Neonazi-Szene sowie frühere Mitglieder der NPD.
Bundesvorsitzender:: |
Klaus Armstroff |
Sitz: |
Weidenthal (Rheinland-Pfalz) |
Mitglieder: |
In Hessen etwa 20, bundesweit etwa 600 |
Medien |
Internetpräsenzen, Publikationen |
Wie in den Vorjahren legte die Partei Der Dritte Weg großen Wert auf Agitation und Propaganda im Zuge öffentlichkeitswirksamer Auftritte. Einen Agitationsschwerpunkt bildete im Berichtszeitraum die COVID-19-Pandemie sowie deren gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Auswirkungen. Die Partei versuchte hierbei die Pandemie als Projektionsfläche im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen und sich als „Kümmererin in der Krise“ zu stilisieren. Daneben spielte wie bereits in den vergangenen Jahren die Agitation in den Themenbereichen „Asyl- und Flüchtlingspolitik“ und Revisionismus eine herausragende Rolle. Dabei griff Der Dritte Weg auf typisch rechtsextremistische Narrative zurück.
Auf einen Blick
- Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie
- „Revolution auf Sendung“
- „Gedenkveranstaltungen“
- Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland
Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie | Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt diffamierte Der Dritte Weg die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie die entsprechend handelnden Politiker und deren Krisenmanagement. In diesem Sinne startete die Bundespartei im März die deutschlandweite Kampagne „Das System ist gefährlicher als Corona“. In deren Zentrum standen die Kritik an den angeblich ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen der Bundesregierung und das angeblich eigene „Kümmern“ des Dritten Wegs. Hierzu initiierte die Partei im Zuge des ersten „Lockdowns“ im März über ihre Homepage die bundesweite Aktion „Nachbarschaftshilfe“, die sich explizit an „Deutsche“ – insbesondere an ältere und körperlich beeinträchtigte Personen – richtete. Angeboten wurden laut eigener Verlautbarung „Hilfe im Alltag“ und „Hilfe beim Einkauf“. Außerdem wurden auf der Homepage des Dritten Wegs Alltagstipps und Hilfestellungen zur Bewältigung der Pandemie, wie etwa Anleitungen zur Fertigung von Alltagsmasken und Desinfektionsmitteln angeboten.
Die Partei thematisierte zudem die im Kontext der COVID-19-Pandemie entstandenen wirtschaftlichen Probleme – insbesondere in der Landwirtschaft – und versuchte, dieses Thema im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen. Mit dem Hinweis auf den Mangel an Erntehelfern initiierte die Partei die Kampagne „Deutscher Spargelbauer – Wir helfen dir bei der Ernte in Südhessen“.
Am 15. Mai führte der Dritte Weg in Haiger (Lahn-Dill-Kreis) eine Kundgebung unter dem Motto „Ja zum Verbot des Muezzin-Rufs! Corona Sonderregelungen sind kein Türöffner für Überfremdung!“ mit etwa 20 Teilnehmern durch. Vorausgegangen war ein Antrag des Ausländerbeirats der Stadt Haiger, aufgrund des seinerzeit geltenden Versammlungsverbots auch für religiöse Einrichtungen den Gebetsruf des Muezzins öffentlich übertragen zu dürfen. Auf der Internetseite des Dritten Wegs hieß es:
„Den Steinzeit-Muslimen ging es […] wieder einmal darum, ihre Forderungen vollumfänglich durchzudrücken. […] Setzt ein Zeichen gegen die weitere Überfremdung unserer Heimat! Vorweg sei gesagt, unsere Partei ,Der III. Weg’ spricht sich nicht gegen den Islam als Religion aus, doch gehört dieser nicht nach Deutschland, sondern in jene Länder, die seit Jahrhunderten vom Islam geprägt sind. Eine Moschee samt Minarette oder auch wie im aktuellen Fall in Haiger, der Muezzin-Ruf aus Vereinsräumen einer muslimischen Gemeinde, sind allesamt nur weitere Zeichen der zunehmenden Überfremdung und damit einhergehenden Islamisierung Deutschlands. Während durch die Corona-Krise die Freiheitsrechte eines Bürgers massiv angegriffen werden, Einschränkungen den Lebensalltag bestimmen und die Politik, anstatt wissenschaftliche Aufklärung zu leisten, lieber repressiv auf das eigene Volk einwirkt, darf sich kein Schlupfloch zur Steigerung der kulturellen Zersetzung unserer Heimat auftun“.
Am 3. Oktober führte Der Dritte Weg in Berlin die Demonstration „Ein Volk will Zukunft“ als Ersatz für die ursprünglich im Rahmen des „Arbeiterkampftages“ am 1. Mai geplante Veranstaltung in Erfurt (Thüringen) durch. Etwa 350 Parteiaktivisten und Angehörige der rechtsextremistischen Gruppierung Nordische Widerstandsbewegung aus Schweden protestierten gegen „Volkstod“, „Überfremdung“ und „Covid-19-Pandemie“. Auf der Homepage des Dritten Wegs wurde die Demonstration per Live-Ticker kommentiert.
„Revolution auf Sendung“ | Vor dem Hintergrund des Pandemiegeschehens versuchte Der Dritte Weg, sich unabhängiger von sozialen Medien zu machen, indem er im Blogformat Audios, Videos und Bilder auf der parteieigenen Homepage einband und unter dem Titel „Revolution auf Sendung“ ein eigenes Internetradio betrieb. Daneben bediente sich die Partei zur Verbreitung ihrer Ideologie im Rahmen der „Nationalrevolutionären Schriftenreihe“ auch klassischer Medien wie etwa von Büchern und Broschüren.
„Gedenkveranstaltungen“ | Verbunden mit der Forderung nach einem „zentralen Gedenktag“ für die Opfer der alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs führte der Dritte Weg vom 25. bis zum 27. Januar zum wiederholten Male seinen traditionellen „Gedenkmarsch“ unter dem Motto „Wir tragen das Licht für Dresden“ durch. Startpunkt bildete mit Fulda (Landkreis Fulda) der Endpunkt des letztjährigen Marsches. Am 25. Januar wurde auf der Homepage des Dritten Wegs ein Liveticker zu dem Gedenkmarsch online gestellt. Endpunkt des „Gedenkmarsches“ war Bamberg (Bayern), wo am 15. Februar außerdem die zentrale „Gedenkveranstaltung“ stattfand. Auf der Homepage des Dritten Wegs hieß es hierzu:
„Rund 150 volkstreue Aktivisten, darunter Delegationen aus Griechenland, Kroatien und der Ostmark sendeten von dort aus [i. e. Bamberg] ein Licht in die vor 75 Jahren zerbombte Elbmetropole und gedachten aller Bombenopfer des angloamerikanischen Terrors“.
Die Teilnehmer, so Der Dritte Weg,
„sollten das Gedenken nicht als bloßes Erinnern an die Opfer dieses Kriegsverbrechens verstehen, sondern sich in diesen Tagen auch die Leistungen verinnerlichen, die vor und nach Kriegsende erbracht wurden“.
Das jährlich zum Volkstrauertag im November in Wunsiedel (Bayern) stattfindende „traditionelle Heldengedenken“ sagte der Dritte Weg aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ab. Unter dem Motto „Tot sind nur jene, die vergessen werden!“ führte die Partei stattdessen zahlreiche regionale „Gedenkveranstaltungen“ durch. Dabei reinigten Aktivisten Kriegsdenkmäler und einen Soldatenfriedhof, stellten dort Grablichter mit dem Logo der Partei auf und legten Kränze nieder. In Hessen fanden „Gedenkveranstaltungen“ im Taunus, im Raum Weilburg (Landkreis Limburg-Weilburg) sowie in Darmstadt, Rüsselsheim und Ginsheim (beide Kreis Groß-Gerau) statt.
Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland | Trotz der im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Reisebeschränkungen versuchte der Dritte Weg, seine Beziehungen zu ausländischen nationalistischen Gruppierungen aufrechtzuerhalten und auszubauen. Wie 2019 nahmen Aktivisten am „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teil. Anlass war das Gedenken an die Schlacht von Budapest (Dezember 1944 bis Februar 1945). Die Veranstaltung schloss neben einer Demonstration einen etwa 60 Kilometer langen „Gedenkmarsch“ ein.
Im August führte Der Dritte Weg einen Segeltörn auf der Nordsee durch, an dem Mitglieder der nationalistischen Gruppierung Erkenbrand aus den Niederlanden teilnahmen. In einer auf der parteieignen Homepage veröffentlichten Artikelserie wurde Erkenbrand als niederländische Studiengesellschaft beschrieben, die sich als nationalistisch verstünde und rassenbewusst geprägt sei. Handelte es sich hierbei um das zweite Treffen, veröffentliche der Dritte Weg im Juni einen Artikel auf seiner Homepage, wonach Angehörige von Erkenbrand und Aktivisten des Dritten Wegs eine Wanderung im Westerwald unternommen hätten.
Die Partei Der Dritte Weg wurde 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Nach und nach entstanden verschiedene länderübergreifende Stützpunkte, unter anderem auch der Stützpunkt Westerwald/Taunus, der im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umfasst. Seit ihrer Gründung führte die Partei vor allem Demonstrationen, „Heldengedenken“ und gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichtete Flugblattverteilaktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im Internet.
Das „Zehn-Punkte-Programm“ des Dritten Wegs bezieht sich sowohl von der Bezeichnung als auch vom Inhalt her auf das 25-Punkte-Programm der NSDAP und enthält dessen rechtsextremistische – im Detail nationalsozialistische – Programmatik. In diesem Programm verdeutlicht sich die damit verbundene antidemokratische Ausrichtung des Dritten Wegs, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielt.
Auf einen Blick
- „Zehn-Punkte-Programm“
- „National, Revolutionär, Sozialistisch“
- Das Volk als „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ –
Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“
„Zehn-Punkte-Programm“ | In seinem Parteiprogramm benennt Der Dritte Weg einen „Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus sowie gleichmacherischem Kommunismus“ als sein Ziel. Das deutsche Volk wird als „naturgesetzliche Gemeinschaft“ gesehen. Eine Forderung der Partei besteht in der Förderung kinderreicher deutscher Familien zur „Abwendung des drohenden Volkstodes“. Daneben gibt Der Dritte Weg die „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“ als ein weiteres Ziel an.
Darüber hinaus vertritt die Partei in ihrem „Zehn-Punkte-Programm“ ein geschichtsrevisionistisches Deutschlandbild. So wird eine „friedliche […] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen“ gefordert. Weitere Forderungen sind sowohl die Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien als auch die Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen.
„National, revolutionär, sozialistisch“ | Die Partei Der Dritte Weg begreift sich, gemäß ihres im Jahre 2015 veröffentlichten Selbstverständnisses, als „nationalrevolutionär“ und propagiert einen „deutschen Sozialismus“ als „dritten Weg“ abseits von Kommunismus und „Kapitalismus“. Die Partei knüpft damit zumindest in Teilen an die Programmatik des sogenannten linken Flügels der NSDAP an.
Der Programmatik des Dritten Wegs liegt ein völkisches Menschenbild, das sich eng am Nationalsozialismus und der militanten Kameradschaftsszene orientiert, zugrunde. So heißt es in der im Jahr 2017 erschienenen Broschüre „National, Revolutionär, Sozialistisch“ in Bezug auf die drei Kernbegriffe „national, revolutionär, sozialistisch“:
„Nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt“.
Das Volk als „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ – Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“ | Gemäß seines völkischen Menschenbilds definiert Der Dritte Weg den Nationalismus als die „politische Idee, die die Interessen und das Überleben des eigenen Volkes in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und Entscheidungen“ rücke. So komme der „echte Nationalismus“ nicht ohne eine „völkische Komponente“ aus, wobei das Blut der „Schlüssel zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens“ sei. Das Volk sei nicht nur eine „Blut-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft“, aus deren „übergeordnete[m] Willen“ sich die Nation bilde. Im Liberalismus hingegen verkörpere der „Einzelne den wichtigsten Wert“ und habe den „europäische[n] Mensche[n]“ einer Immunschwächekrankheit gleich „auf seine Existenz als Einzelwesen reduziert und seiner Kultur, Heimat und Identität beraubt“. In diesem Kontext sieht sich Der Dritte Weg „unseren kultur- und blutsverwandten Völkern in Europa verbunden“. In Bezug auf ihre Feindbilder beschränkt sich die Partei keinesfalls nur auf Deutschland:
„Egal ob West- oder Ost-, Süd[-] oder Nordeuropa, es sitzen überall die gleichen Verräter, die gleichen Vertreter des feigen Bürgertums und die gleichen Geldempfänger des Kapitals in den Parlamenten. Daher können wir sie gar nicht anders als gleichsam hassen und verachten. Wir fiebern jedem Schlag, ja jedem Nadelstich, den die verschiedenen europäischen Bewegungen den volksfeindlichen Systemen beibringen, entgegen, begeistern uns über jeden Erfolg und verneigen uns vor jedem Toten und jedem Verletzten des gesamteuropäischen Kampfes“.
Um weiterhin an Wahlen teilnehmen zu können, leitete Der Dritte Weg im Berichtszeitraum eine Umstrukturierung der Partei ein. Hierzu werden die aktuell existierenden Gebietsverbände aufgelöst und sukzessive Landesverbände gegründet, denen die bundesweit 18 Stützpunkte zugeordnet werden. Der in Hessen aktive Stützpunkt Westerwald/Taunus wurde dem Landesverband West zugeordnet.
Zu den Parteiveranstaltungen, die in erster Linie eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls zum Ziel haben, gehörten regelmäßig stattfindende Stammtische. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beschränkten sich die Aktivitäten des Stützpunktes Westerwald/Taunus auf Wanderungen und „Gedenkveranstaltungen“ im Freien, worüber auf der parteieigenen Homepage berichtet wurde.
Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie trug Der Dritte Weg nur in beschränktem Maße seine rechtsextremistische Ideologie öffentlichkeitswirksam auf die „Straße“. Die Partei bemühte sich jedoch, die Pandemie für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren. So stellte Der Dritte Weg die behördlichen Maßnahmen auf europäischer und deutschlandweiter Ebene negativ dar und attestierte Politik und Institutionen pauschales Versagen. Diese Kritik verband Der Dritte Weg mit fremdenfeindlichen Aussagen, um gegen die Asyl-, Grenz- und „Globalisierungspolitik“ der Bundesregierung zu agitieren, die angeblich maßgeblich zur rasanten Ausbreitung des COVID-19-Virus beigetragen habe.
Um seine Propaganda zu verbreiten, bediente sich Der Dritte Weg weiterhin des Internets und verschiedener sozialer Medien, wobei er versuchte, neue Kommunikationswege einzuschlagen. Insbesondere auf ihrer Homepage propagierte die Partei die Notwendigkeit einer völkischen Politik und einer damit verbundenen restriktiven Flüchtlingspolitik (Grenzschließungen), ebenso forderte die Partei die Abkehr von der Globalisierung.
Gleichzeitig versuchte Der Dritte Weg durch Aktionen wie die „Nachbarschaftshilfe“, das eigene Profil als „Kümmerer“ und als politische Alternative zu schärfen, um in der nichtextremistischen Mehrheitsgesellschaft anschlussfähig zu werden. Diesem Zweck dienten auch die „Gedenkveranstaltungen“, womit das Ziel verbunden war, als Gegenentwurf zur gesellschaftlich weithin akzeptierten und praktizierten demokratischen Erinnerungskultur wahrgenommen zu werden. Darüber hinaus dienten die „Gedenkveranstaltungen“ der Stärkung des parteiinternen Gemeinschaftsgefühls. Dies galt ebenso für die Teilnahme von Parteimitgliedern an „Gedenkveranstaltungen“ im europäischen Kontext, die zugleich die Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene auf europäischer Ebene fördern sollten.
DIE RECHTE
Die Partei DIE RECHTE vertritt neonationalsozialistische, antisemitische und fremdenfeindliche Standpunkte. Sie lehnt den Parlamentarismus zwar grundsätzlich ab, versucht jedoch die Organisationsform als Partei als „Mittel zum Zweck“ zu nutzen, um den von ihr angestrebten fundamentalen Systemwechsel zu erreichen. Mutmaßlich auch, um einer Aberkennung des Parteienprivilegs zu entgehen, bemüht sich DIE RECHTE, formale Parteiaktivitäten zu entfalten. Neben dem Abhalten von Parteitagen tritt DIE RECHTE regelmäßig zu Wahlen an und errang dabei bundesweit mehrere Kommunalmandate. Signifikante Erfolge bei überregionalen Wahlen blieben bislang aber aus.
Landesvorsitzender: |
Mike Guldner |
Bundesvorsitzende: |
Sascha Krolzig und Sven Skoda |
Mitglieder: |
In Hessen etwa zehn , bundesweit etwa 550 |
Medien |
Internetpräsenzen |
Der im Jahr 2019 mehrfach von der Partei DIE RECHTE angekündigte Ausbau ihrer Strukturen in Hessen fand offensichtlich nicht statt. Ebenso agierte der Landesverband wie in den Jahren zuvor in der Öffentlichkeit weitgehend zurückhaltend und trat nur selten in Erscheinung. Versuchte die Partei in der ersten Hälfte des Berichtsjahrs, mittels der durch ihren Landesvorsitzenden Mike Guldner angestrebten Bürgermeisterkandidatur in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis) Aufmerksamkeit zu erringen, so stellte der Landesverband Hessen in der folgenden Zeit die Kommunikation über seine Homepage ein. Im Gegensatz zum Landesverband Hessen griff die Bundespartei das Thema „Corona“ auf: Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt versuchte sie, die Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung eingeleiteten staatlichen Maßnahmen zugunsten ihrer politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Wie in der Vergangenheit hatte der Landesverband Hessen insgesamt mit strukturellen und personellen Schwächen zu kämpfen.
Auf einen Blick
- Bürgermeisterkandidatur von Mike Guldner
- Wohnungsdurchsuchung
- Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie
- Verurteilungen
Bürgermeisterkandidatur von Mike Guldner | Zu Beginn des Berichtsjahrs berichteten verschiedene Medien, dass der Landesvorsitzende Mike Guldner beabsichtige, bei der Bürgermeisterwahl in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis), die ursprünglich für den 3. Mai geplant war und auf den 1. November verschoben wurde, zu kandidieren. Hierfür sammelte DIE RECHTE Unterstützungsunterschriften, wobei der NPD-Funktionär Stefan Jagsch die Partei zumindest bei einem Termin begleitete. Auf eine Presseanfrage hin bekannte Jagsch seine Unterstützung für Guldner und gab an, hierfür „private Gründe“ zu haben. Am 17. Februar verkündete DIE RECHTE, dass die geplante Kandidatur Guldners nicht weiterverfolgt werde und begründete dies unter anderem damit, dass sich bereits ein „vertretbarer Kandidat“ um das Amt bewerbe. Weiterhin hieß es, dass die zeitweise angestrebte Bürgermeisterkandidatur als „Generalprobe für die Kommunalwahl“ am 14. März 2021 in Hessen angesehen werde, wobei die Partei schließlich von einer Kandidatur absah.
Wohnungsdurchsuchung | Am 6. Februar durchsuchte die Polizei die Wohnung Guldners wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz in Neukirchen. Der Landesverband sah darin eine „Hetzkampagne“ gegen DIE RECHTE und deren Landesvorstand. Auf der Homepage der Partei hieß es, dass es sich um einen „erneute[n] Kriminalisierungsversuch durch die Staatsgewalt“ gehandelt habe. Auslöser der Maßnahme sei ein Bild des Landesvorsitzenden gewesen, auf dem er mit einer „Deko[-]Waffe“ posiere, deren „Lauf zugeschweißt“ sei und die er bereits seit Längerem nicht mehr besessen habe. In der letzten auf seiner Homepage getätigten Äußerung kündigte der Landesverband im Mai an: „Wir bleiben dran und engagieren uns weiterhin im Schwalm Eder Kreis, um Zustände wie in Großstädten zu verhindern und das Leben wie wir es kennen zu bewahren“ (Schreibweise wie im Original).
Nachdem das COVID-19-Virus Deutschland Ende Januar erreicht hatte, thematisierte der Bundesverband der Partei DIE RECHTE im März die Pandemie insbesondere auf seiner Homepage sowie auf seinem Telegram-Kanal und kritisierte sowohl die damit einhergehenden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen als auch das Krisenmanagement der Bundesregierung. Um sich selbst als „Kümmerin“ sowie „Helferin in der Krise“ zu inszenieren und Anschluss an von den staatlichen Maßnahmen Betroffene zu erlangen, bot die Partei „nationale Solidarität“ und praktische Unterstützung an. Dies sollte geschehen in Form von Einkaufshilfen – unter anderem im Raum Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und insbesondere für „ältere Volksgenossen“ in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) – sowie mittels des kostenlosen Versands von Schutzmasken.
Mit zunehmender Dauer der staatlichen Maßnahmen zweifelte DIE RECHTE deren Notwendigkeit an und forderte deren Aufhebung. Hierbei rief der Bundesverband dazu auf, sich an den gegen die „Corona-Maßnahmen“ richtenden nichtextremistischen Protestkundgebungen zu beteiligen. Ziel war es offenbar, sowohl einen regionalen als auch überregionalen Anschluss an diese Proteste zu erreichen. Der Parteifunktionär Michael Brück schrieb hierzu am 10. Mai im Internet:
„Es liegt eine spannende Zeit vor uns, in der endlich ein Ruck durch die Bevölkerung geht. Das herkömmliche Lagerdenken kommt in diesen Tagen an seine Grenzen. […] Unterstützt die Proteste in euren Städten. Beteiligt euch, aber vereinnahmt sie nicht. Lasst andere in der ersten Reihe stehen, aber seid dabei, um Kontakte zu knüpfen und dort zu helfen, wo ihr mit Wissen und Erfahrung gebraucht werden“. (Schreibweise wie im Original.)
Ende März hatte zuvor der Bundesvorsitzende der Partei, Sven Skoda, im Internet ausgeführt:
„Wer sich aufopferungsvoll um seine Volksgenossen kümmert und nicht nur große Worte macht, wird aber garantiert nicht vergessen werden und kann dabei Vertrauen schaffen. Vertrauen ist das Fundament, um irgendwann überhaupt Ansprechpartner in Situationen werden zu können in denen alle anderen versagen“.
Mit eigenen Demonstrationen wie zum Beispiel am 23. Mai in Braunschweig (Niedersachsen) versuchte der Bundesverband der Partei DIE RECHTE, ihre Ideologie auf die Straße zu bringen und sich weiterhin als Auffangbecken innerhalb der rechtsextremistischen Szene anzubieten.
Verurteilungen | Im November verurteilte das Amtsgericht Schwalmstadt Mike Guldner und Tim Schmerer jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Monaten bzw. zu 15 Monaten Freiheitsstrafe. Grund war eine am 30. Dezember 2018 gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung in einer Gaststätte in Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Das Gericht sah eine ausländerfeindliche Motivation als mitbestimmend für die Tat. Das Urteil ist rechtskräftig.
Die Partei DIE RECHTE gründete sich 2012 zunächst als Auffangbecken für Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (DVU), an deren Auffassungen sich das Programm der neuen Partei anfangs orientierte. Kurz danach traten Neonazis und frühere NPD-Mitglieder in die Partei ein. Die Parteigründung stand auch im Kontext von strategischen Erwägungen der rechtsextremistischen Szene. So suchten Rechtsextremisten aufgrund verschiedener Verbote von Kameradschaften nach einer neuen, weniger „verbotsanfälligen“ Organisationsform. Im August 2017 gründete sich der Landesverband Hessen. Ein solcher hatte zuvor bereits von November 2012 bis März 2014 bestanden.
Neben dem Neonazismus bilden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit die ideologischen Schwerpunkte der Partei. Darüber hinaus vertritt DIE RECHTE maßgeblich revisionistische Einstellungen. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wurde das Bekenntnis der Partei DIE RECHTE zum Nationalsozialismus an einem Kommentar deutlich. In Bezug auf die für den 20. April, den Geburtstag Hitlers, geplante Beendigung des „Lockdowns“ hieß es auf ihrem Telegram-Kanal:
„Am 20. April: Flaggen hissen! […] In weiser Voraussicht, mit fast hellseherischen Fähigkeiten, haben wir bereits im Europawahlprogramm vor einem Jahr gefordert: Macht den 20. April zum deutschen Nationalfeiertag! Langsam müsste es auch der letzte Zweifler einsehen: Diese Forderung ist verdammt richtig!“
Im Vergleich zu Gliederungen der Partei in anderen Bundesländern verfügte der Landesverband Hessen – trotz verschiedener Ankündigungen, dies ändern zu wollen – nur über rudimentär ausgeprägte Strukturen. Unterhalb der Ebene des Landesverbands gab es keine Kreisverbände oder sogenannte Stützpunkte. Innerhalb Hessens lag der Aktivitätsschwerpunkt der Partei DIE RECHTE im Schwalm-Eder-Kreis.
Da der Landesverband seine Kommunikation über seine Homepage in der zweiten Hälfte des Berichtsjahrs einstellte, ist weiterhin davon auszugehen, dass er seine personellen und strukturellen Probleme nicht löste. Vor dem Hintergrund der teils zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gegen Guldner und Schmerer, die in Hessen die maßgeblichen Führungskader der Partei sind, ist zu erwarten, dass sich DIE RECHTE in Hessen noch weiter zurückziehen wird. Darauf deutet auch der zunächst angekündigte, dann jedoch nicht erfolgte Antritt des Landesverbands zur hessischen Kommunalwahl am 14. März 2021 hin.
Im Gegensatz zum Landesverband Hessen versuchten der Bundesverband sowie andere Kreisverbände unter dem Deckmantel der COVID-19-Pandemie mittels Hilfsangeboten und Beteiligung an nichtextremistischen Protesten gegen die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen neue Sympathisanten zu gewinnen und Kontakte zu knüpfen. Es wurde deutlich, dass die Bundespartei weiterhin das Ziel verfolgte, ihre neonazistische Ideologie auf die Straße zu bringen und sich als Auffangbecken für Rechtsextremisten verschiedener Ausrichtung zur Verfügung zu stellen. Es ist zu erwarten, dass DIE RECHTE diesen Weg auch in Zukunft beschreiten wird.
Kommunikationsstrategien
von Rechtsextremisten
Durch die stetige Entwicklung des Internets und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Kommunikation verändern sich immer wieder die Strategien und Taktiken der Rechtsextremisten. Soziale Netzwerke wie etwa Facebook, Blogs, Videoplattformen (zum Beispiel YouTube) sowie eigene Internetauftritte wie Homepages, Nachrichtenportale oder Foren sind für Rechtsextremisten wichtige Hilfsmittel für die digitale Verbreitung ihrer Propaganda, da sie hiermit mit wenig Aufwand ein breites Publikum erreichen können.
Auf einen Blick
- Offene und versteckte Propaganda
- Erhöhte Sensibilisierung
- Online-Radikalisierung
- Intensivierung der Bekämpfungsansätze
Offene und versteckte Propaganda | Die fortschreitende Digitalisierung hat die rechtsextremistische Szene nachhaltig verändert und das Entstehen einer Reihe von neuen Anlaufpunkten, Akteuren und Aktionsformen bewirkt. Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistische Organisationen nutzen das Internet einerseits, um offen für ihre Ideen und Aktivitäten zu werben und um Gleichgesinnte zu gewinnen; andererseits gehen sie konspirativ vor und rufen zum Beispiel Initiativen ins Leben, die auf den ersten Blick keinen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten lassen, sondern Themen ansprechen, die beim Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen (zum Beispiel Kindesmissbrauch). Hierüber suchen Rechtsextremisten besonders den Kontakt zu Menschen, die bisher keinen Bezug zum Rechtsextremismus hatten. Neben den Internetplattformen nutzen Rechtsextremisten verschiedene Messengerdienste wie WhatsApp, Threema, Telegram oder Signal, um untereinander zu kommunizieren, Veranstaltungen zu planen oder Absprachen zu treffen.
Gleiches gilt auch für den Bereich des sogenannten Gamings, wobei über die Hälfte der Bevölkerung zumindest gelegentlich Videospiele spielt. Insbesondere im Berichtsjahr stieg vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie die Zahl der Nutzer von Videospielen erneut an. Auch die Akteure der rechtsextremistischen Szene nutzten die vorhandenen Möglichkeiten und erschlossen sich auf Gaming-Plattformen eine neue Öffentlichkeit. Dabei ging es ihnen sowohl um das Verbreiten rechtsextremistischer Inhalte und Propaganda als auch um das Anwerben neuer Mitglieder. So können unter dem Vorwand des Gamings Gelegenheiten für einen vermeintlich unbefangenen Dialog geschaffen werden, da die Mehrheit der Nutzer nicht erwartet, beim Spielen mit rechtsextremistischen Aussagen und Haltungen konfrontiert zu werden. Somit erhielten Akteure der rechtsextremistischen Szene im Bereich des Gamings die Möglichkeit der Propaganda und Kontaktaufnahme, die ihnen in klassischen sozialen Netzwerken oder bei direkten Begegnungen verwehrt würden.
Erhöhte Sensibilisierung | Die Möglichkeit eines Zugriffs staatlicher Sicherheitsbehörden auf persönliche Daten und die interne Kommunikation sorgt bei Rechtsextremisten für eine erhöhte Sensibilisierung. So werden Leitfäden erstellt und Sicherheitsschulungen durchgeführt, um Anleitungen für konspirative Verhaltensweisen bei der Kommunikation in der rechtsextremistischen Szene zu verbreiten. Diese sollen dazu dienen, nicht in den Fokus von Sicherheitsbehörden zu geraten bzw. sich diesem Zugriff zu entziehen. Weiterhin nutzen Rechtsextremisten geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten, zu denen nur bestimmte – meist im Vorfeld ausgewählte – Szeneangehörige Zugang erhalten.
Online-Radikalisierung | Es besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten sich im Rahmen derartiger internetgestützter „Echokammern“ oder „Filterblasen“ gegenseitig in ihrer Radikalisierung bestärken, ohne dass in der Realwelt ein Kennverhältnis zueinander besteht. Für die nachrichtendienstliche Arbeit der Verfassungsschutzbehörden resultiert hieraus das Problem der Aufklärung dieser digitalen Räume, wobei es gilt, Informationsfragmente der virtuellen und realen Welt miteinander zu verbinden und zu analysieren.
Intensivierung der Bekämpfungsansätze | Vor diesem Hintergrund wurde neben den bereits bestehenden operativen und analytischen Maßnahmen die Internetbearbeitung intensiviert, um insbesondere gewaltorientierte Gruppierungen und Einzeltäter sowie deren Kennverhältnisse und Kommunikationswege frühzeitig zu identifizieren. Gleiches gilt für die intensivere Bekämpfung von rechtsextremistischer Hate Speech sowie von anderen rechtsextremistischen digitalen Inhalten. Diese Arbeit des LfV steht im Kontext des am 19. September 2019 durch die Hessische Landesregierung vorgestellten Aktionsprogramms „Hessen gegen Hetze“.
Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten
Wie bereits in den zurückliegenden sechs Jahren bildete der Themenkomplex „Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik“ zentrale Punkte in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen. Mit der Angst vor angeblicher „kultureller Überfremdung“ sollten Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Die fremdenfeindliche Agitation von Rechtsextremisten barg weiterhin das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten – unter anderem gegen Flüchtlinge – führen kann. In Hessen kam es im Berichtsjahr zu einem gewalttätigen Übergriff durch einen unbekannten Täter auf eine syrische Asylbewerberin in Frankfurt am Main. Mit Ausnahme von vier Delikten entfielen alle im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangenen Straftaten auf die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) -rechts-.
Auf einen Blick
- Zunahme der Deliktanzahl in der Gesamtkategorie „Asyl“
- Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge
- Straftaten gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer
- Bewertung und Ausblick
Zunahme der Deliktanzahl in der Gesamtkategorie „Asyl“ | Mit 70 Straftaten der PMK -rechts- nahm im Berichtsjahr in Hessen die Anzahl der Delikte in der Gesamtkategorie „Asyl“ gegenüber dem Vorjahr (40) um 30 (= 75 Prozent) zu. Damit war innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 nach dem Jahr 2016 (91 Delikte) erneut ein Höchststand erreicht. Die Gesamtkategorie „Asyl“ umfasst folgende Unterkategorien: „gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte“, „gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“ und „gegen Hilfsorganisationen und Helfer“.
Straftaten gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte | In Hessen kam es im Berichtszeitraum insgesamt zu fünf (2019: vier) Straftaten, die sich gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte richteten. Von diesen Straften waren drei der PMK -rechts- zuzuordnen. Innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 sank die Anzahl der Straftaten im Bereich der PMK -rechts- nach 2019 auf die bislang niedrigste Stufe.
|
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte |
|
|
|
|
|
PMK insgesamt |
5 |
4 |
10 |
7 |
25 |
PMK – rechts – |
3 |
4 |
10 |
7 |
22 |
gegen Asylbewerber/Flüchtlinge |
|
|
|
|
|
PMK insgesamt |
68 |
37 |
26 |
50 |
72 |
PMK – rechts – |
66 |
36 |
26 |
46 |
67 |
gegen Hilfsorganisationen und Helfer |
|
|
|
|
|
PMK insgesamt |
1 |
– |
2 |
2 |
3 |
PMK – rechts – |
1 |
– |
2 |
1 |
2 |
Summe |
|
|
|
|
|
PMK insgesamt |
74 |
41 |
38 |
59 |
100 |
PMK – rechts – |
70 |
40 |
38 |
54 |
91 |
Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge | Die Zahl der im Berichtsjahr gegen Asylbewerber und Flüchtlinge gerichteten Straftaten (66) im Bereich der PMK -rechts- verdoppelte sich im Unterschied zum Vorjahr (2019: 36) nahezu. Wie bei der Gesamtzahl der Straftaten in der Gesamtkategorie „Asyl“ war damit innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 nach dem Jahr 2016 (67) erneut ein Höchststand in der Unterkategorie „Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge“ erreicht. Unter die 66 Straftaten des PMK -rechts- fiel ein Gewaltdelikt: In Frankfurt am Main beleidigte im August ein unbekannter Täter eine syrische Asylbewerberin in einer S-Bahn in rassistischer Weise, bedrohte sie und trat ihr in den Bauch.
Die Gesamtzahl der im Berichtsjahr gegen Asylbewerber und Flüchtlinge gerichteten Straftaten betrug 68 (2019: 37), sodass nahezu alle Delikte auf den Bereich der PMK -rechts- entfielen.
Straftaten gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer | In diesem Bereich wurde im Berichtsjahr in Hessen eine Straftat verübt (2019: keine), die in den Bereich der PMK
-rechts- fiel.
Bewertung und Ausblick | Obwohl die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge im Berichtszeitraum weiterhin abnahm, ist davon auszugehen, dass die entsprechende rechtsextremistische Agitation anhalten wird. Dies spiegelt sich in dem Anstieg der entsprechenden Straftaten (PMK insgesamt um etwa 80 Prozent, PMK -rechts- um 75 Prozent) auf einem deutlich erhöhten Zahlenniveau wider. Die Anti-Asyl-Agitation ist ein klassisches rechtsextremistisches Thema und bietet Rechtsextremisten traditionell ein großes Mobilisierungspotenzial. Sowohl die COVID-19-Pandemie selbst als auch die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung instrumentalisierten Rechtsextremisten für ihre Zwecke. Für die „Corona-Krise“ machten sie nicht nur Migranten verantwortlich, sondern entfachten Stimmung gegen sie. So hieß es etwa am 17. Mai auf der Internetseite der NPD Hessen:
„Ohne strenge Grenzkontrollen sind die Corona-Einschränkungen völlig sinnlos – weil sonst immer neue Infizierte nach Deutschland kommen! Durch Einwanderung gelangen auch Krankheiten nach Deutschland. Zum Beispiel die Krätze. Bei uns war sie so gut wie verschwunden. Nun breitet sie sich wieder aus, eingeschleppt von oft illegalen Zuwanderern aus Südosteuropa und dem Orient. […] Und schließlich Corona. Was nützt es denn, wenn die Deutschen Masken tragen und sich an Abstandregeln halten, wenn immer neue Seuchenträger über eine schlecht bewachte Grenze einsickern? […] Wir müssen uns besser vor den Übeln schützen, die die Globalisierung uns bringt“.
Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befürworten, den Anstoß zu Gewalttaten geben bzw. selbst schwerwiegende Straftaten gegen Flüchtlinge und/oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Themen „Flüchtlinge“ und „Flüchtlingspolitik“ vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden.
Rechtsextremistische
Straf- und Gewalttaten
Im Bereich der rechtsextremistischen Gewalttaten nahm die Anzahl der Delikte um elf von 31 (2019) auf 42 (2020) zu. Bei dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) am 19. Februar kamen neun Menschen ums Leben. In der polizeilichen Statistik PMK -rechts- findet der Anschlag von Hanau aufgrund der Erhebungsmethodik als ein Delikt Berücksichtigung. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)
Insgesamt wiesen im Berichtszeitraum 1.216 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2019 (886 Delikte) einen Anstieg um etwa 37 Prozent, sodass 2020 der höchste Stand innerhalb der letzten fünf Jahre zu verzeichnen war. Der Zuwachs resultierte insbesondere aus der um etwa 38 Prozent gestiegenen Zahl der Delikte in der Kategorie „andere Straftaten“ (insbesondere Propagandadelikte). Insgesamt ist für nahezu alle Kategorien der im Berichtsjahr erfassten rechtsextremistischen Delikte ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr zu konstatieren. Eine Ausnahme bildet lediglich die Kategorie „Sachbeschädigungen“, in der die Anzahl der Straftaten etwa um 14 Prozent sank.
Insbesondere vor dem Hintergrund der Anschläge in Hanau und Wolfhagen ist es unerlässlich, die Gesamtentwicklung der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten sowie deren mögliche Ursachen genau im Blick zu behalten. Darüber hinaus ist im Zuge der extremistischen Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu beobachten, ob und wie sich die extremistische Gewaltorientierung in Teilen der Gesellschaft ändert. Gerade im Kontext der „Corona-Krise“ nahmen zunächst mündlich sowie im Internet und in den sozialen Medien artikulierte Proteste die Form von Straf- und Gewalttaten an.
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2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
Deliktart |
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Tötung |
1 |
1 |
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Versuchte Tötung |
1 |
1 |
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Körperverletzung |
40 |
29 |
24 |
13 |
19 |
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte |
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2 |
3 |
Landfriedensbruch |
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1 |
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Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr |
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Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung,
Widerstandsdelikte |
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1 |
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1 |
Gewalttaten insgesamt |
42 |
31 |
25 |
16 |
23 |
Sonstige Straftaten |
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Sachbeschädigung |
29 |
33 |
26 |
22 |
41 |
Nötigung/Bedrohung |
30 |
19 |
7 |
6 |
29 |
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) |
1.115 |
803 |
481 |
496 |
706 |
Straf- und Gewalttaten insgesamt |
1.216 |
886 |
539 |
540 |
799 |
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