Autonome
Autonome sind undogmatische und organisationskritische Linksextremisten, die sich zum Teil diffus an verschiedenen kommunistischen und anarchistischen Deutungsmustern orientieren. Das staatliche Gewaltmonopol lehnen Autonome ab und sehen eigene Gewaltanwendung („Militanz“) zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele als legitim bzw. berechtigt an. Starren Organisationsstrukturen stehen „klassische“ Autonome kritisch bis ablehnend gegenüber und beharren stattdessen auf ihrer Selbstbestimmtheit. Autonome organisieren sich überwiegend in losen Gruppen, zwischen denen oft nur aktions- und anlassbezogene lockere Netzwerke bestehen.
Teile der autonomen Szene sind seit einigen Jahren allerdings von diesem Selbstverständnis abgerückt. Die mangelnde Strategie sowie die Organisations- und Theoriefeindlichkeit „klassischer“ Autonomer erachten sie als wenig zielführend: Anstelle der Revolution bevorzugt dieser Teil der Szene, der als postautonom bezeichnet wird, eine langfristige Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Hierfür greifen Postautonome gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf und setzen auf eine auch das gesamte linksextremistische Spektrum umfassende Bündnispolitik, die eine Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Akteuren ausdrücklich einschließt. Dementsprechend vermeiden Postautonome in der Regel ein offenes Bekenntnis zur Gewalt. Stattdessen verwenden sie eher unbestimmte Begriffe wie „ziviler Ungehorsam“ oder sprechen davon, „Polizeiketten durchfließen“ zu wollen. Damit bieten Postautonome für ihre „Aktionen“ einen weiten Interpretationsspielraum, der sowohl gewaltorientierten als auch gewaltablehnenden Personen eine Teilnahme ermöglicht.
Die bundesweit bedeutendste postautonome Organisation war im Berichtszeitraum die Interventionistische Linke (IL). Die IL zeigte sich in Hessen in den Ortsgruppen Frankfurt am Main, Darmstadt und Marburg aktiv.
Aktivisten: |
In Hessen etwa 420 , bundesweit etwa 7.500 |
Regionale Schwerpunkte: |
Frankfurt am Main, Marburg, Gießen, Kassel und Darmstadt |
Medien: |
Swing (Erscheinungsweise mehrmals jährlich), Internetpräsenzen |
Im Pandemiejahr 2020 waren die autonome und die anarchistische Szene in Hessen den allgemeinen Entwicklungen folgend zunächst mit social distancing und einer Konzentration auf gesundheitliche und existentielle Themen befasst. Die zurückgefahrenen Aktivitäten stellten sich in der Folge für einige linksextremistische Szene- und Treffobjekte als finanziell belastend dar. Nach einer Weile der aktionistischen Zurückhaltung fand die Szene mehrheitlich Wege, um wieder in Protest- und Aktionsformen zu gelangen, auch Demonstrationen wurden wieder durchgeführt.
Ähnlich wie im Berichtsjahr 2019 beteiligte sich die autonome Szene in Hessen an regionalen Protesten in verschiedenen Themenfeldern. Diese reichten von den durchgängig präsenten Themenfeldern „Antifaschismus“ und Antirassismus über Umweltthemen und „Antimilitarismus“ bis hin zu „Antigentrifizierungsanliegen“ in den Ballungsräumen. Stellenweise und vor dem Hintergrund der Fragestellung ob, „antifaschistischer“ Protest erforderlich sei, konzentrierten sich die Szenen auf Proteste gegen die sogenannten Querdenker bzw. „Corona-Leugner“.
Ein Schwerpunkt im Berichtsjahr waren die Versuche der linksextremistischen Einflussnahme auf die Protestbewegung im Dannenröder Wald im Zuge des Ausbaus der A 49.
Auf einen Blick
„Antifaschismus“: Outings und Demonstrationen | In unregelmäßigen zeitlichen Abständen führten Autonome hessenweit Outing-Aktionen zu Personen durch, die sie als politische Gegner oder als Rechtsextremisten definierten. Die Aktionen mit der Zielrichtung der Herbeiführung eines erheblichen individuellen sozialen, gesellschaftlichen und mitunter beruflichen Reputationsverlustes fanden insbesondere in Frankfurt am Main, dem mittelhessischen Raum, Darmstadt und dem Raum Kassel statt. Vor allem in Gießen (Landkreis Gießen) und Marburg (Landkreis Marburg Biedenkopf) waren zusätzlich Burschenschaften Zielobjekte autonomer Vorgehensweisen.
Die mitunter systematisch betriebene Feindbildanalyse des aktionsorientierten linksextremistischen Spektrums nahm Teile der „Querdenker“-Bewegung hinsichtlich deren öffentlicher Verlautbarungen in den Fokus. Im Bereich Mittelhessen hat sich die Internetseite Stadt, Land, Volk das Ziel gesetzt, „Netzwerke auf[zu] decken!“ und den „(Neu-)Rechten Bewegungen den Aufwind [zu] nehmen.“ Zu diesem Zweck veröffentlicht die Seite seit einigen Jahren Berichte in Form von Outings mit persönlichen und biografischen Daten von Personen, die sie diesem Spektrum zurechnet. Betroffene waren vor allem Angehörige von Burschenschaften und der AfD.
Für den Raum Kassel/Nordhessen lässt sich im Berichtsjahr 2020 eine Häufung von Aktionen gegen den politischen Gegner feststellen. Neben zielgerichteten Angriffen, etwa in Form von Sachbeschädigungen, wurden auch Outings auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlicht. Besonders aktiv in der Region war die autonome Recherche-Gruppe T.A.S.K. Diese veröffentlichte 2020 mehrere Berichte über Strukturen und Personen, die nach deren Auffassung der rechten Szene zuzurechnen sind.
- Hessenweit, 5./6. Februar: Anlässlich der Wahl des neuen Ministerpräsidenten in Thüringen am 5. Februar fanden an diesem Abend und am darauffolgenden Tag verschiedene Demonstrationen in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Kassel, Wiesbaden und Darmstadt statt. Für die Veranstaltungen mobilisierten Gruppierungen aus dem dogmatischen sowie dem autonomen Spektrum, wie etwa das Antifaschistische Kollektiv 069 (AK.069), Antifa United Frankfurt (AUF), die Ortsgruppen Frankfurt am Main, Marburg und Darmstadt der IL, Offenes Antifaschistisches Treffen Darmstadt (OAT Darmstadt), Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (A.R.A.G.), New Kids Antifa Kassel (NKAKS), Wiesbadener Bündnis gegen Rechts (WBgR) und Leftwing Rheingau.
- Frankfurt am Main, 8. Mai: Die Kampagne „Frankfurt am Main entnazifizieren!“ wurde im Hinblick auf den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai initiiert. Die Kampagne fand online über eine eigens eingerichtete Internetseite statt und wurde von Mobilisierungsaufrufen des autonomen Spektrums begleitet. Laut eigenen Angaben wollten die Urheber der Kampagne in einem durch „Rassismus, Homofeindlichkeit, Antifeminismus und Antisemitismus“ geprägten gesellschaftlichen Klima dem „Spektrum von autoritärem, rassistischem oder faschistischem Gedankengut“ durch offensive Begegnung entgegenwirken. Mit dem Hinweis auf die „Opfer von Hanau und alle anderen Opfern rechter Gewalt“ wurde zu einer „praktischen Entnazifizierung“ aufgerufen. Die zu Feindbildern definierten „Akteure“ in Form von Einzelpersonen und Institutionen wurden zu diesem Zweck mit Anschrift und Hintergrundinformationen auf der Internetseite aufgeführt und auf einer Landkarte markiert. Es handelte sich um eine linkextremistisch geprägte Kampagne. Durch Online-Aufrufe wurde innerhalb des autonomen und postautonomen Spektrums zur Beteiligung an der Kampagne mobilisiert. Aufrufende Gruppierungen waren insbesondere das autonome AK.069, AUF, kritik & praxis - radikale linke [f]rankfurt (k&p) und die postautonome IL Frankfurt. Die Umsetzung zeigte sich in Form von Protesten und Kampagnen gegen auf der Landkarte verzeichnete „Akteure“ in Frankfurt am Main.
- Frankfurt am Main, 16. Juni: Anlässlich des Prozessauftaktes wegen des Mordes zum Nachteil des Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke wurde in Frankfurt am Main die Kampagne „Keine Einzeltäter“ initiiert. Im Zusammenhang dazu wurde durch die Gruppierung IL Frankfurt am 16. Juni in Frankfurt am Main eine Demonstration organisiert, für die im Vorfeld über die sozialen Medien durch weitere linksextremistische Gruppierungen mobilisiert wurde. In dem Aufruf der Gruppierung IL Frankfurt hieß es:
„Es genügt nicht, einzelne Rechtsterroristen zu verurteilen. Es gilt, ihre Verbindungen in die Sicherheitsbehörden aufzudecken sowie Strukturen zu bekämpfen, die den Nährboden schaffen für Naziterror!“
- Frankfurt am Main, 17. Juni: Am 17. Juni kam es in Frankfurt am Main zu Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen einer Razzia durch das BKA. Diese Maßnahmen wurden über die sozialen Medien und die linksextremistische Internetplattform de.indymedia.org im Laufe des Tages thematisiert und geäußert, dass dadurch „Linke Strukturen […] kriminalisiert“ würden. Am Folgetag kam es unter dem Motto „Unsere Solidarität gegen ihre Repressionen – Wir sind alle 129a“ zu einer „Sponti“, zu der im Vorfeld durch Gruppierungen wie AUF, k&p und die IL Frankfurt mobilisiert wurde.
- Frankfurt am Main, 20. Juli: In Hessen rückte der „Repressionsapparat“ nach dem Erscheinen von Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens, die mit NSU 2.0 unterzeichnet wurden, in den Fokus der linksextremistischen Szene. So wurde am 20. Juli in Frankfurt am Main die Kundgebung „Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0“ durchgeführt, zu der unter anderem die autonome Gruppierung AUF mobilisiert hatte. Die Versammlung erreichte in der Spitze bis zu 250 Personen.
- Frankfurt am Main, 25. Juli: Am 25. Juli kam es zu einer Spontandemonstration gegen „Polizeigewalt und Racial Profiling“ in Frankfurt am Main, an der etwa 100 Personen teilnahmen. Grund hierfür war ein kurz zuvor stattgefundener Polizeieinsatz am Klapperfeld, der aufgrund einer vermeintlich gewaltsamen Auseinandersetzung im Inneren dieses linksextremistischen Szeneobjekts ausgelöst worden war. Nach dem Abbruch des Polizeieinsatzes vor dem Klapperfeld zog der Demonstrationszug vom Kaisersack zur Konstabler Wache. Die autonome Gruppierung AUF erklärte hierzu:
„Nach den Drohschreiben des NSU 2.0 durch Frankfurter Nazi-Cops drehte Polizei komplett durch, schikanierte wahllos Passant*innen und strafte alle, die diese Praxis zu hinterfragen wagten. Mit dem Rechtsstaat, den sie zu schützen behaupten, hat das alles rein gar nichts zu tun. Gegen rassistische Polizeigewalt, immer und überall! Hände weg von unseren Räumen und Strukturen!“
- Wiesbaden, 24. Oktober: Vor dem Hintergrund der ideologisch fundamentalen Themenfelder „Antifaschismus“, „Antirassismus“ und „staatliche Repression“ führte das WBgR eine Demonstration unter dem Motto „Gegen rechte Strukturen und Rassismus in Sicherheitsbehörden“ durch. Dazu riefen hessenweit zahlreiche linksextremistisch beeinflusste und linksextremistische Gruppierungen/Organisationen aus dem dogmatischen und autonomen Spektrum zur Teilnahme auf. An der mit etwa 500 Teilnehmern friedlich verlaufenen Veranstaltung wurden polizeikritische Parolen skandiert. Aus dem Demonstrationszug heraus versammelten sich etwa 50 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum. Hier kam es teilweise zu Vermummungen, die über das Tragen von Mund-Nase-Schutz hinausgingen. Aus dieser Gruppe heraus kam es zu einer Zündung eines Rauchtopfes. Kurz vor Beendigung der Versammlung wurde eine spontane Kundgebung zu dem Thema „Rechtsradikale Chatgruppen bei der Stuttgarter Polizei“ angemeldet. Diese verlief störungsfrei und ohne besondere Vorkommnisse.
- Frankfurt am Main, 5. November: Für den 5. November war der Prozessauftakt einer Serie von Brandanschlägen auf linke Wohn- und Kulturprojekte im Zeitraum von 2018 bis 2019 angesetzt. Dies wurde zum Anlass genommen, um für eine Demonstration unter dem Motto „Feurio! Es brennt schon viel zu lange… Gemeinsam gegen rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße“ aufzurufen und um „gegen rechten Terror in all seinen Formen und Erscheinungen zu demonstrieren“. In Redebeiträgen wurde unter anderem racial profiling und „mangelndes Vorgehen gegen rechten Terror“ kritisiert. Die Teilnehmerzahl belief sich nach Eigenangaben im unteren dreistelligen Bereich. Darüber hinaus wurde vorab angekündigt, dass man den Prozess öffentlichkeitswirksam begleiten wolle, sodass die Brandanschläge nicht als „Taten eines verwirrten Einzeltäters entpolitisiert werden können“.
Aktionen anlässlich demonstrativer Ereignisse sogenannter Querdenker | Das pandemiegeprägte Jahr setzte für viele aktionsorientierte Linksextremisten zeitweise den Fokus auf die Querdenker“-Bewegung. Neben der Feindbildanalyse (siehe „Antifaschismus“: Outings und Demonstrationen) fand an mehreren Orten Gegenprotest anlässlich von „Querdenker“-Demonstrationen statt. Stellenweise kam es zu konfrontativem Demonstrationsverhalten in Form von Störungen.
- Frankfurt am Main: Insbesondere die Gegendemonstration am 14. November in Frankfurt am Main mit rund 600 Teilnehmern verlief teilweise unfriedlich. Bereits im Vorfeld hatten linksextremistische Organisationen unter dem Motto „Solidarität statt Antisemitismus und Verschwörungsideologie“ zum Gegenprotest aufgerufen, darunter die autonomen Gruppierungen AK.069, IL Frankfurt, k&p, ökologisch radikal links – ffm und AUF. Der von Autonomen geprägte Gegenprotest ging insbesondere mit Blockadeaktionen gegen die „Querdenker69“-Demonstration vor. Die Blockaden fanden durch vermummte und gewaltbereite Störer statt, sodass es im weiteren Blockadeverlauf zum polizeilichen Wasserwerfereinsatz gegen die Blockierer kam. Im Gesamtverlauf der Versammlungslage sollen vier Polizeibeamte, unter anderem durch Tritt in Genitalien und Oberschenkelbiss, sowie drei Versammlungsteilnehmer verletzt worden sein. Die Polizei berichtete im Ergebnis von „massiven Widerständen“.
- Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf): Die autonome Szene Marburg rief anlassbezogen zu Protesten gegen sogenannte Hygiene-Demos in Marburg auf. Diese Proteste verliefen weitgehend friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. In diesem Zusammenhang führten Szeneangehörige Outings von einzelnen Kundgebungsteilnehmern der „Hygiene-Demos“ durch, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechneten. Die Outings wurden vornehmlich im Internet durchgeführt. In einem Fall wurden aber auch Namen und Fotos des politischen Gegners unter dem Vorwurf „Vorsicht Neonazis! Am 9. Mai 2020 beteiligten sich auch in Marburg Neonazis an der Kundgebung von ,Nicht ohne uns‘. Eine Gruppe von fünf Personen stach dabei heraus. Um folgende Personen handelte es sich dabei…“ als Plakate in Marburg verklebt.
„Antimilitarismus“ – Autonome Beteiligungen | Die moderne Form „antimilitaristischen“ Protests findet bevorzugt an gezielt ausgewählten Orten statt, an denen vermutet wird, dass Institutionen der Wirtschaft und des Staates an entsprechenden Projekten arbeiten. Über lokale Protest- und Öffentlichkeitsaktionen soll auf die tiefere Thematik aufmerksam gemacht werden.
- Eschborn (Main-Taunus-Kreis), 4. Februar: Am Morgen des 4. Februar verschafften sich etwa 40 Personen widerrechtlich Zugang zum BAFA und verbarrikadierten den Eingangsbereich mittels Bauzaun, Absperrbarken und Bannern. Die Aktion diente dem Protest gegen Krieg und Rüstungsexporte und wurde von etwa 50 weiteren Personen, die sich vor dem Gebäude aufhielten, unterstützt. Der Präsident des BAFA stellte daraufhin Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Noch bevor es zur geplanten Räumung kommen konnte, verließen die Aktivisten schlagartig das Objekt. Die vor dem Objekt befindlichen Personen führten daraufhin mit einigen der „Hausbesetzer“ eine Spontanversammlung zum Bahnhof Eschborn durch. Hierbei wurde ein Pfefferspray eines Polizeibeamten gewaltsam entrissen und gegen die Kräfte eingesetzt. Des Weiteren kam es zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten mittels Regenschirms. Nach der Festnahme des Täters kam es zu einer versuchten Gefangenenbefreiung durch zwei Versammlungsteilnehmer. Einer der Täter konnte ebenfalls festgenommen werden. Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung wurden gestellt. Die übrigen Teilnehmer bestiegen die einfahrende S-Bahn nach Frankfurt am Main und blockierten im vorderen Bereich die Eingangstüren. Sie forderten die Freilassung der zwei festgenommenen Personen. Eine Weiterfahrt der S-Bahn wurde dadurch verhindert. Während und nach der Besetzungsaktion gab es eine Vielzahl von Solidaritätsbekundungen von links- und ausländerextremistischen Gruppen. Insbesondere die IL Frankfurt zeigte hierfür eine große mediale Unterstützung und kritisierte im Gegenzug den ihrem Empfinden nach übermäßig harten Polizeieinsatz scharf.
- Kassel, 28. August: Das unter erheblicher linksextremistischer und teils ausländerextremistischer Beteiligung tätige Bündnis Rheinmetall entwaffnen rief unter dem gleichnamigen Slogan zu Blockadeaktionen örtlicher Unternehmen der Rüstungsindustrie am 28. August in Kassel auf. Im Fokus des Bündnisses mit Beteiligung unter anderem der IL standen hauptsächlich die Unternehmen Rheinmetall AG und Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co KG. In den frühen Morgenstunden des 28. August blockierten Aktivisten von Rheinmetall entwaffnen die Werkszufahrt der Firma Krauss-Maffei Wegmann. Im Verlauf des Vormittags kam zu weiteren „Blockadewellen“ an den Werkstoren. Von den Blockadepunkten brachen die Bündnisteilnehmer im Rahmen einer Spontandemonstration in die Kasseler Innenstadt auf, um sich dort dem vorher angekündigten zentralen Aufzug anzuschließen. Die Proteste verliefen insgesamt friedlich.
„Antigentrifizierung“ – Angriffe auf Immobilienfirmen | Der Kampf gewaltbereiter Linksextremisten gegen angeblich „antisoziale Stadtstrukturen“ und für selbstbestimmte „Freiräume“ verschärfte sich im Berichtszeitraum bundes- und hessenweit weiter. Als „Schuldige“ der Verdrängung von Bevölkerungsschichten sowie als Urheber von Mieterhöhungen befanden sich insbesondere große Immobilienunternehmen im Visier der Linksextremisten.
Im gesamten Jahr kam es in Frankfurt am Main im Rahmen einer linksextremistisch geprägten „Antigentrifizierungs“-Kampagne zu Angriffen auf Immobilienfirmen in Form von Sachbeschädigungen und Brandstiftungen auf deren Fahrzeuge und Gebäude. In vier Fällen wurden anonyme Selbstbezichtigungsschreiben im Internet eingestellt, unter anderem auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org.
Besetzungsaktion im Dannenröder Wald – Proteste gegen den Ausbau der A 49 | Bereits am 30. September 2019 erklärten Aktivisten die Besetzung des sogenannten Dannenröder Walds im Vogelsbergkreis, südlich der B 62 bei Stadtallendorf. Hintergrund war der geplante und genehmigte Ausbau der A 49 im Bereich Homberg (Ohm) und die hierfür notwendige Rodung von Teilen des Dannenröder Walds und weiterer angrenzender Waldstücke. Schon frühzeitig war zu erkennen, dass sich die Initiatoren an der Besetzung des Hambacher Forsts (Nordrhein-Westfalen) orientierten und auch Aktivisten aus dem Hambacher Forst in den Dannenröder Wald umzogen, um dort ihre Erfahrungen einzubringen. Insbesondere in der Struktur der Waldbesetzung spiegelte sich dies wider. So bildeten sich mehrere, namentlich benannte Baumhaussiedlungen sowie eine Mahnwache mit Protestcamp vor dem Wald. Des Weiteren versuchten die Aktivisten das hohe Mobilisierungspotenzial und den Erfolg der Proteste im Hambacher Forst auf den Dannenröder Wald zu übertragen, was durch verschiedene Beiträge auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org oder in Medienberichten deutlich wurde. Neben diesen Verbindungen in den Hambacher Forst war zudem auch eine Unterstützung durch lokale anarchistische Aktivisten erkennbar.
In den Folgemonaten bauten die Waldbesetzer ihre Strukturen im Dannenröder Wald kontinuierlich aus. Jedoch blieben Veranstaltungen mit Außenwirkung oder Straftaten im Sachzusammenhang zunächst aus. Erst mit der mündlichen Verhandlung einer Klage des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (Sachsen) Ende Juni, die sich gegen den weiteren Ausbau der A 49 richtete, erfuhr die Thematik eine erste überregionale Beachtung. Infolge der Abweisung der Klage des BUND ereignete sich ein versuchter Brandanschlag auf fünf Baustellenfahrzeuge der Firma STRABAG SE bei Treysa (Schwalm-Eder Kreis). Eine „Autonome Kleingruppe in Solidarität mit dem Kampf gegen die A 49“ bekannte sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org zur Tat. Die Tat stellte einen ersten Versuch zur Eskalation durch militante Extremisten dar. Andere Solidaritätserklärungen oder wahrnehmbare Unterstützung aus der überregionalen linksextremistischen Szene oder der Umweltschutzbewegung waren zu diesem Zeitpunkt allenfalls vereinzelt feststellbar. Eine Ausnahme bildete hier lediglich die bereits erwähnte Besetzerszene aus dem Hambacher Forst.
Angesichts der von den Aktivisten erwarteten Rodungsarbeiten ab Oktober 2020, kündigten die Waldbesetzer Anfang August in einer Pressekonferenz ihren Widerstand an. An der Pressekonferenz nahm auch eine Vertreterin der durch das LfV Berlin als linksextremistisch beeinflusst bewerteten Klima- und Umweltschutzbewegung Ende Gelände teil und kündigte Unterstützung für die Waldbesetzung an:
„Wir [werden] erst Ende September im Rheinland massenhaft, aber mit Abstand, die fossile Industrie blockieren. […] Danach kommen wir hierher und retten mit der ganzen Klimabewegung den Wald. Für uns ist klar: Erst in die Grube, dann in den Wald“.
In der Vergangenheit war „Ende Gelände“ vor allem bei den Massenaktionen im rheinischen Braunkohlerevier, die in engem Zusammenhang mit der Besetzung des Hambacher Forsts stehen, aufgetreten. Mit der Ankündigung von Ende Gelände zeigte sich erneut der Versuch, den Dannenröder Wald zu einem zweiten Hambacher Forst zu erklären. Eine Sprecherin der Waldbesetzung erklärte, dass das Ziel der Aktion nicht nur die Rettung des Walds sei. Vielmehr ginge es um eine „allumfassende Revolution“, mit deren Hilfe eine „radikale Transformation“ der Gesellschaft bewirkt werden solle.
Entgegen der Ankündigung von Ende Gelände wurde eine breite Mobilisierungskampagne, wie sie aus den Aktionen im rheinischen Braunkohlerevier bekannt war, zur Unterstützung des Protestes im Dannenröder Wald jedoch nicht umgesetzt. Ende Gelände führte lediglich einige kurze Blockaden in Berlin (Hessische Landesvertretung am 2. Oktober sowie Bundesgeschäftsstelle der Partei Bündnis 90/Die Grünen am 28. Oktober) durch und mobilisierte kurzfristig für einige Aktionstage während der Räumung. Diese Aktionen blieben jedoch weit hinter dem Mobilisierungspotential des Bündnisses zurück.
Auch bei den Aktionen der Waldbesetzung selbst blieben die Teilnehmerzahlen teilweise hinter den Erwartungen zurück. So sollten am 11. September tausende Menschen an Demonstrationen im Stadtgebiet von Wiesbaden im Kontext Dannenröder Wald teilnehmen. Schlussendlich waren etwa 200 Personen zu verzeichnen. Eine ähnliche Resonanz erhielten auch mehrere Fahrraddemonstrationen, die von Kassel in den Dannenröder Wald verliefen. An diesen Demonstrationen sollten jeweils mehrere tausend Personen teilnehmen. In der Spitze zählte die Polizei lediglich 150 Personen.
Die erhoffte Unterstützung in Form von Massenaktionen blieb aus. Innerhalb eines Teils der Waldbesetzer war ein fortschreitender Radikalisierungsprozess zu beobachten. Zu Beginn der Besetzungsaktion war der Protest vor allem von lokalen Bürgerinitiativen und nichtextremistischen Gruppierungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion und dem BUND dominiert, auch wenn bereits der Einfluss lokaler anarchistischer Strukturen und Exponenten des Protests gegen den Hambacher Forst festzustellen war. Im weiteren Verlauf der Besetzung und insbesondere mit dem Beginn der Rodungsarbeiten im Oktober 2020 war innerhalb der Waldbesetzung eine Zunahme linksextremistischer Symbolik und Begrifflichkeiten zu verzeichnen. Immer öfter betonten nun die Waldbesetzer, dass der Dannenröder Wald auch ein „autonomer Freiraum“ und ein Ort anarchistischer Selbstverwirklichung sei. Die Radikalisierung fand ihren Ausdruck ferner in der zunehmenden Zahl von Angriffen auf Polizeibeamte im Rahmen der Rodungsarbeiten oder in veröffentlichten Beiträgen auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org. Viele dieser Beiträge verstanden den Protest im Dannenröder Wald nicht nur als Kampf gegen eine Autobahn bzw. für eine Mobilitätswende, sondern auch gegen die Wirtschaftsordnung und den Staat. Besonders verdeutlichte dies ein Beitrag mit dem Titel „Eine autonome Einschätzung zur Fortführung des Kampfs im Dannenröder Wald“, der von einem Autor mit dem Pseudonym „Ho Chi Min“ verfasst wurde:
„Es geht nicht nur um die Klimakrise, nicht nur darum, die Artenvielfalt im Wald, explizit diesen Wald zu schützen. Der Widerstand im Wald ist nicht allein ein Abwehrkampf, sondern eine auf territorialer und praktischer Ebene politische Offensive gegen Staat und Kapitalinteressen“.
Derartige Gewaltaufrufe und Forderungen nach einem revolutionären Umsturz bzw. dem offenen Kampf gegen den Staat zeigten, dass Teile der Waldbesetzung militante Aktionsformen mindestens tolerierten oder aktiv unterstützten. Diese Unterstützung zeigte sich etwa in der aktiven Verbreitung von Selbstbezichtigungsschreiben und Positionspapieren der militanten Aktivisten auch auf der Website der Waldbesetzung „Wald statt Asphalt“.
Einen Höhepunkt erreichte die Militanz im November, als sich innerhalb von zwei Wochen vier Brandanschläge gegen Baufahrzeuge und Unternehmen ereigneten. Zu allen Taten erschienen Selbstbezichtigungsschreiben auf de.indymedia.org, in denen die Taten jeweils als Gegenwehr zu den polizeilichen Maßnahmen im Dannenröder Wald dargestellt wurden.
Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erhielt eine Reihe von Blockadeaktionen auf hessischen Autobahnen. Dabei seilten sich Aktivisten an verschiedenen Stellen entlang mehrerer Autobahnen von Brücken ab und legten so den Verkehr für mehrere Stunden lahm. Im Zusammenhang mit einer solchen Abseilaktion am 14. Oktober ereignete sich am Ende des sich stauenden Verkehrs ein schwerer Verkehrsunfall. Durch Aktivisten aus der Waldbesetzung wurde am Folgetag ein Beitrag auf de.indymedia.org veröffentlicht, in dem jeder Zusammenhang des Unfalls mit der Aktion negiert wurde. Im Nachgang des Unfalls bzw. der Abseilaktionen entstand eine kontroverse öffentliche Debatte über diese Form des Protestes, die auch innerhalb der Besetzerszene des Dannenröder Walds stattfand. Die Aktionen würden ein „Angst und Bedrohungsgefühl durch ,Öko-Terrorismus’“ in der Bevölkerung erzeugen. Unfälle, die in einem Zusammenhang mit den Abseilaktionen gebracht würden, würden zudem eine „Hasswelle in der bürgerlichen Bevölkerung auslösen“. Jedoch gab es auch Stimmen, die die Aktionsform verteidigten, da Proteste alleine nicht genügen würden:
„Da gibt es diesen Mythos von der Gewaltfreiheit, von zivilem Ungehorsam […], von einem Widerstand, der soll zwar möglichst illegal sein, aber eigentlich niemanden so richtig stören. Was wäre gewesen, wenn man den Hambi nicht besetzt hätte und die Kohlebagger nicht besetzt hätte?“
Hinsichtlich linksextremistischer Einflussnahme auf die Protestbewegung im Dannenröder Wald wird folgende Strategie deutlich: Wie schon bei den Schülerprotesten der Fridays for Future Bewegung versuchten auch im Falle der Besetzungsaktion im Dannenröder Wald verschiedene linksextremistische Akteure, Einfluss auf die Aktivisten vor Ort zu nehmen. Das Ziel der Linksextremisten ist es, den ursprünglichen Umweltschutzgedanken dahingehend zu erweitern, dass es einen revolutionären Bruch mit den bestehenden staatlichen Strukturen benötigt, um Klimaschutz konsequent zu verwirklichen. Da im Themenfeld Umwelt- und Klimaschutz zumeist relativ offene, thematisch ausgerichtete Aktionsbündnisse dominieren, versuchen sich Linksextremisten hier als wertvolle Partner zu inszenieren und gleichzeitig auf eine Radikalisierung der Bewegung hinzuwirken. Dies führt oftmals dazu, dass der gefundene Konsens von Aktionsbündnissen Spielraum sowohl für friedliche Proteste, aber auch (unfriedliche) Aktionen zivilen Ungehorsams bis hin zu Straf- und Gewalttaten zulässt. Dies zeigt sich beispielhaft anhand der folgenden Aussage einer Sprecherin der Waldbesetzer: „Auf Aktionen autonomer Gruppen, die ihrer Wut Ausdruck verleihen, haben wir keinen Einfluss. Daher haben wir dazu als Waldbesetzung keinen Kommentar“. Eine Zurückweisung, mindestens Distanzierung von Extremisten, auch gewaltbereiten, findet nicht statt.
Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Proteste im Dannenröder Wald überwiegend friedlich verliefen, sie aber von einigen schweren Straftaten überschattet wurden.
Die autonome Bewegung wurzelt in den europaweiten Studentenprotesten der späten 1960er und der 1970er Jahre. In dieser Zeit entstand die Selbstbezeichnung Autonome.
Auf einen Blick
- Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei
- „Anti“-Haltungen
Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei | Für die große Öffentlichkeit zum ersten Mal erkennbar agierten Autonome gewalttätig, als sie 1980 in Bremen gegen die Vereidigung von Bundeswehrrekruten demonstrierten. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als breite eigenständige Bewegung waren Autonome seit Anfang der 1980er Jahre auszumachen. Sie waren zunächst vor allem in der Friedens- und in der Anti-Atomkraftbewegung sowie bei Hausbesetzungen aktiv. Gewalttätig agierten Autonome zum Beispiel gegen die in Wackersdorf (Bayern) geplante Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe; gleichfalls lieferten sich Autonome an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Zuletzt waren Autonome hauptverantwortlich für die massiven Ausschreitungen bei den Protesten gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) 2015 in Frankfurt am Main und bei den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg.
„Anti“-Haltungen | Mit der Zeit erschlossen sich die Autonomen weitere Aktionsfelder, die in der Regel durch eine „Anti“-Haltung gekennzeichnet sind: „Antifaschismus“, „Antirepression“, „Antirassismus“, „Antigentrifizierung“ und „Antimilitarismus“. „Antikapitalistische“ Einstellungen von Autonomen, die im „Kapitalismus“ die Wurzel allen Übels sehen, bilden die Grundlage für diese Aktionsfelder.
Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des „kapitalistischen Systems“ zugunsten einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch „Kapitalismus“, „Rassismus“ und „Patriarchat“ unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrachten die Autonomen die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im „Kapitalismus“. „Imperialismus“ und vor allem „Faschismus“ sind in den Augen der Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung.
Auf einen Blick
- „Anti“-Haltungen und Feindbilder
- „Antikapitalismus“
- „Antifaschismus“
- „Antirassismus“
- „Antigentrifizierung“ – „selbstverwaltete Freiräume“
- Klima- und Umweltschutzaktionen
- Frage der Gewalt
- Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen
- Antiimperialisten
- Antideutsche
- Antinationale
„Anti“-Haltungen und Feindbilder | Ihren „Anti“-Haltungen und Feindbildern entsprechend definieren Autonome ihre politischen Aktivitäten. So wird mittels des „Antifaschismus“ gegen Personen, Gruppen und Institutionen agitiert, die als „Rechte“ bzw. „Nazis“ ausgemacht wurden. Unter dem Label „Antirepression“ wird insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des „staatlichen Repressionsapparats“ vorgegangen. Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine „antikapitalistische“ Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnis- und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen vor allem Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen.
„Antikapitalismus“ | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die „kapitalistische“ Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem „Kapitalismus“ gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zwecke instrumentalisieren.
„Antifaschismus“ | Vor allem das Themenfeld „Antifaschismus“ zeichnet sich für Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische „Antifaschismus“-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst „faschistisch“ oder „faschistoid“ zu sein. Demnach bezeichnen Linksextremisten auch Personen aus dem demokratischen Spektrum als „Faschisten“. Sobald die Bewertung „Faschist“ vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten.
Unter „Antifaschismus“ verstehen Linksextremisten bzw. Autonome also nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven „Kampf gegen Rechts“ mit dem „Kampf gegen das Ganze“, das heißt gegen das „bürgerlich-kapitalistische System“, gleich: Erst mit der Beseitigung des „Kapitalismus“ sei die Gefahr des „Faschismus“ als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt.
„Antirassismus“ | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden medialen Berichterstattung sowie der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit versucht das linksextremistische Spektrum, mit „Aktionen“ in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szeneeigene Verständnis von „Antirassismus“ möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik, sondern Autonome wollen vor allem nachweisen, dass Staat und Gesellschaft selbst „rassistisch“ sind und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssen. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Autonome in dieser Diktion als „rassistisch“: „Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“.
„Antigentrifizierung“ – „selbstverwaltete Freiräume“ | Linksextremisten schließen sich „Antigentrifizierungs“-Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre „antikapitalistische“ Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da die von ihnen genutzten „selbstverwalteten Freiräume“ – also autonome Szene- und Treffobjekte – mitunter ebenso für entsprechende sogenannte „Luxussanierungen“ vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind.
Klima- und Umweltschutzaktionen | Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der damit einhergehenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie im Rahmen des Strebens nach einem sozialverträglichen ökologischen Miteinander gewinnt dieses Themenfeld zunehmend an Bedeutung für das linksextremistische Spektrum. Hierin lassen sich mehrheitsfähige gesellschaftliche Anliegen – wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel (zum Beispiel in Form der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie oder aus dem Kohleabbau sowie nach einer Verkehrswende) – mit linksextremistischen Forderungen nach einem „selbstbestimmten Leben“ durch das Schaffen „selbstverwalteter Freiräume“ verbinden. Vor allem bietet sich für Linksextremisten die Möglichkeit, ihre „antikapitalistischen“ Forderungen gegen angebliche „klimaschädliche“ Unternehmen in Stellung zu bringen und in den gesellschaftlichen Diskurs mittels der Parole „system change not climate change“ einzubringen. Mit ihren Versuchen, die Klima- und Umweltschutzbewegung zu instrumentalisieren, wollen Linksextremisten ein Scharnier zwischen ihren Bestrebungen und nichtextremistischen Forderungen herstellen.
Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein „Mittel zum Zweck“, sondern ebenso einen Akt der „individuellen Selbstbefreiung“. Die phasenweise in der Szene geführte „Militanzdebatte“ beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers diskutierten Frage, ob sich Gewalt „nur“ gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer „Aktionen“ verletzt oder sogar getötet werden.
Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind tendenziell drei Hauptströmungen – Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale – zu unterscheiden. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über „antikapitalistische“ und „antifaschistische“ Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens. Zuletzt sind szeneinterne Konfliktlinien schwieriger auszumachen, da „klassische“ Ideologieansätze zunehmend zugunsten aktionistischen Vorgehens und frei interpretierter Denkmuster aufweichen.
Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den „Kapitalismus“ bedingte „imperialistische“ Politik westlicher Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von „antiimperialistischen Befreiungsbewegungen“ etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische Befreiungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel.
Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen wegen der deutschen Verantwortung am Holocaust uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als „rechtsradikal“ oder „islamfaschistisch“. Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit widersprechen Antideutsche dem „antimilitaristischen“ und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher „Kriegstreiberei“ vor.
Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten unterstellen sie – ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemeinen – antizionistische und antisemitische Einstellungen.
Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die phasenweise in der autonomen Szene in Hessen prägend war und weiterhin präsent ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher.
Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im „Kapitalismus“ zwangsläufig „imperialistisch“. Kriege seien nur „Ausdruck der notwendigen Konflikte“ im „kapitalistischen System“, da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre „Befreiungsbewegungen“ in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus „antifaschistischer“ Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu.
Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den „historischen Sonderweg“ Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale „Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden“ eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel – bei aller Solidarität mit dessen Volk – einen „kapitalistischen“ Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei.
Wie in der Vergangenheit blieb Frankfurt am Main sowohl personell als auch strukturell der autonome Szeneschwerpunkt in Hessen. Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Gießen (Landkreis Gießen) und Darmstadt.
Auf einen Blick
- Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main
- Regionale Szenen
Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main | Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen war in Frankfurt am Main oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) ansässig. Bundesweit betrachtet, gehörte Frankfurt am Main zu den Großstadtregionen mit einer kontinuierlichen Präsenz autonomer Zusammenhänge. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der „harte Kern“ der Szene in Frankfurt am Main durch seine bundesweite Vernetzung, das hohe Personenpotenzial auf engem Raum und eine weiterhin potenziell hohe Gewaltbereitschaft.
Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren die AUF, das AK.069, die IL Frankfurt, k&p, das OAT Frankfurt und ökologisch radikal links - ffm. Mit dem autonomen Szeneobjekt und ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Einige an der Außenfassade des Gebäudes angebrachte Symbole und Banner vermittelten im Gesamtbild überwiegend eine Tendenz zu linksextremistischem Gedankengut. Dabei sind die entsprechenden Symbole als Ausdruck der inneren Haltung und des aktiv-politischen Vorgehens der Nutzer und Betreiber des Klapperfelds zu werten. Maßgeblich für die Träger des Klapperfelds sind daher nicht „die da draußen“, sondern „wir, die Gegenkultur, hier drin“. Ein Zweck des gesamten Gebäudes besteht in dem Errichten eines Symbols der Abgrenzung und der Gegenkultur in einem zentralen Frankfurter Stadtteil. Darüber hinaus fungierten in Frankfurt am Main das Café ExZess, das Café KoZ und das Centro als wichtige Treffpunkte.
Regionale Szenen | Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. und A&O aus Kassel, die A.R.A.G. in Gießen (Landkreis Gießen) sowie in Darmstadt das OAT Darmstadt. Insgesamt zeigten sich drei der vier hessischen Ortsgruppen der IL aktiv. Es handelte sich um die Ortsgruppen IL Frankfurt, IL Marburg und IL Darmstadt.
Innerhalb der autonomen Szene wurde im Berichtszeitraum im Rahmen von demonstrativen Ereignissen weiterhin in Teilen auf Konfrontation und Gewalt gesetzt. Zielsetzung ist zum einen die Unterminierung des staatlichen Gewaltmonopols, was sich an den fortgesetzten Angriffen gegen staatliche Repräsentanten, vor allem der Polizei, zeigt. Die Selbststilisierung, Opfer von staatlicher Repression zu sein, soll dies argumentativ untermauern. Zum anderen soll das Recht auf Selbstjustiz aufrechterhalten werden; Angriffe auf Andersdenkende erfolgen stets aus eigener subjektiver Ermächtigung heraus. Die autonome Szene sieht sich legitimiert, mitunter auch gewalttätig gegen politische Gegner und gegen den Staat vorzugehen. Die als notwendig erachtete autonome Selbstjustiz schloss dabei explizit den Kampf gegen staatliche „Repression“, gegen die Gentrifizierung linksalternativer Stadtviertel sowie den Kampf für den Erhalt „selbstverwalteter Freiräume“ ein.
Im Linksextremismus ist bundesweit eine gestiegene Gewaltbereitschaft nicht nur bei größeren Ereignissen wie dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder der Eröffnung der EZB in Frankfurt am Main 2015 festzustellen. Aktuelle – in der Regel themenbezogene – Auseinandersetzungen während Demonstrationen und Protesten zeigen grundsätzlich eine höhere Aktionsbereitschaft insbesondere autonomer und anarchistischer, aber auch gewaltbereiter linker radikaler Kräfte.
In diesem Zusammenhang sind auch die – zwar noch mit bundesweiten Schwerpunkten – gezielt klandestin geplanten und entgegen des bisherigen linksextremistischen Konsenses durchgeführten direkten Angriffe auf Personen zu beachten, zum Beispiel auf den Hamburger Innensenator im Dezember 2019 oder auf die Angestellte einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung in Leipzig im Oktober 2019 sowie antifaschistisch motivierte Überfälle zum Beispiel auf einen Kanalarbeiter in Leipzig (Sachsen), der im Januar 2019 wegen eines von ihm getragenen Logos aus dem rechten Kampfsportmilieu schwer verletzt wurde.
Dies zeigt nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Bereitschaft linksextremistischer Strukturen, Gewalt zunehmend zu personalisieren und parallel zum Beispiel zu Sachbeschädigungen mit erheblichen Schadenssummen einzusetzen. Solche gezielt geplanten Aktionen von grundsätzlich nicht bekannten Einzelpersonen oder Kleinstgruppen richten sich bewusst stärker gegen Personen (auch in deren persönlichem Rückzugsraum zu Hause) oder werden in Form gezielter Hinterhalte oder Angriffe (insbesondere gegen Polizeibeamte) ausgeführt. Diese Entwicklung ist intensiv zu beobachten, um frühestmöglich vergleichbare radikalisierende Tendenzen aufgreifen und ihnen entgegenwirken zu können. Die oben genannten Tatbeispiele dokumentieren, dass bei militanten Linksextremisten im Gegensatz zu früheren Jahren der Schritt zur Tötung oder Tötungsabsicht politischer Gegner wieder in Betracht zu ziehen ist. Eine besondere Rolle dabei dürften dabei neue, bislang wenig bekannte militante Strukturen, insbesondere mit anarchistischen Bezügen, spielen, die teilweise gerade auch außerhalb der bislang üblichen autonomen Gruppierungen angesiedelt zu sein scheinen:
„Wir wählen in dem einen Moment die völlige Anonymität, ohne Bekennung, […] In einem anderen wählen wir die Kommunikation mit anderen Zellen, um […] unsere Verbundenheit im permanenten Angriff mit anderen Hasserfüllten zu kommunizieren. Und in nächsten Moment bewegen wir uns sichtbar, versuchen unsere Ideen und Erfahrungen mitzuteilen und in lokale offen liegende Konflikte einzugreifen“.
Zudem nutzten Linksextremisten das innerhalb der Szene etablierte Instrument der Outings konstant, willkürlich und nach eigenem Werturteil. Es wird auch künftig Anwendung finden, um Freund-Feind-Beschreibungen deutlich zu definieren und Andersdenkende bzw. politische Feinde zu diskreditieren und zu beschädigen.
Inwieweit sich die Besetzerszene nach Abschluss der Rodungsarbeiten im Dannenröder Wald weiter radikalisieren und sich das Interesse der linksextremistischen Szene anderen Projekten zuwenden wird, kann für den Berichtszeitraum nicht abschließend beurteilt werden. Im Falle von größeren Bauarbeiten für die A 49 im Bereich Dannenrod oder von vergleichbaren (Bau-)Projekten ist aber damit zu rechnen, dass es zu weiteren Protestaktionen kommen wird.