Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2020

Linksextremismus

Merkmale

Die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines totalitären, sozialistisch-kommunistischen Systems oder einer angeblich „herrschaftsfreien Gesellschaft“ sind Ziele linksextremistischer Bestrebungen.

Auf einen Blick

Orthodoxer Kommunismus | Protagonisten dieses Teils des Linksextremismus, so etwa die Deutsche Kommunistische Partei, orientieren sich an den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels. Marx und Engels teilten Gesellschaften in Klassen ein und behaupteten, es gebe einen andauernden „Klassenkampf“. Auf der Ausbeutung der Klasse der Arbeiter („Proletariat“) durch die Klasse der „Kapitalisten“ fußt nach Auffassung orthodoxer Kommunisten der „Kapitalismus“: Dieser führe zwangsläufig zu immer mehr Elend und Gewalt in der Gesellschaft. Der Kapitalismus könne nur durch eine Revolution, die eine Änderung der Eigentumsverhältnisse einschließe, beseitigt werden. Durch Umverteilung des Besitzes werde die alte Ordnung absterben und sich nach und nach eine kommunistische Gesellschaft entwickeln.

Neben Marx und Engels berufen sich orthodoxe Kommunisten auf Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Dieser glaubte, die Arbeiter könnten nur durch eine elitäre Kaderpartei zum richtigen „Klassenbewusstsein“ und zu einer erfolgreichen Revolution geführt werden. Nach der Erringung der Macht sei es Aufgabe dieser Partei, mittels einer „Diktatur des Proletariats“ die kommunistische Gesellschaft zu errichten und gewaltsam alle „konterrevolutionären“ Elemente zu bekämpfen.

Maoismus | Organisationen wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands orientieren sich an der chinesischen Variante des Kommunismus, dem Maoismus, der auf den Revolutionär Mao Zedong (1893-1976) zurückgeht. Die von ihm 1937 verfassten Schriften sowie seine Politik der Ablehnung der damaligen Sowjetunion bilden die Grundlage der maoistischen Ideologie. Im Unterschied zum orthodoxen Kommunismus setzt sich für Maoisten die Revolution auch nach Erringung der Macht fort und kann sich gegen eigene kommunistische Strukturen und deren Repräsentanten richten. Darüber hinaus definierte der Maoismus nicht die Arbeiter, sondern – vor allem in Ländern der Dritten Welt – die Bauern als Träger der proletarischen Revolution.

Anarchismus | Anarchisten wie die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union lehnen – im Unterschied zu kommunistischen Organisationen – jegliche Herrschaft ab. Sie sehen den Staat als unterdrückerische Zwangsinstanz an, die zerschlagen werden müsse, wobei es – im Unterschied zu Marxisten-Leninisten – keiner Kaderpartei bedürfe. Anarchisten wenden sich gegen jegliche Institutionen, insbesondere gegen Parteien und Parlamente; sie selbst organisieren sich in nur wenig strukturierten Gruppen.

Autonome Vorstellungen | Die Positionen von Autonomen verfolgen – verglichen mit denjenigen orthodox-kommunistischer Parteien – kein starres Dogma. Sie vermischen verschiedene Ideologiefragmente zu einem mitunter brüchigen Gesamtbild, das von Gruppe zu Gruppe variieren kann. Nicht die Partei, sondern das selbstbestimmte Individuum steht bei Autonomen im Mittelpunkt („Politik der ersten Person“). Nach autonomer Auffassung muss der Einzelne ständig um seine Befreiung von „strukturellen Zwängen“ kämpfen. Mit orthodoxen Kommunisten verbindet Autonome aber die Vorstellung von einer Welt, in der jeder im Rahmen einer kommunistischen Gesellschaft nach seinen Bedürfnissen leben und sich selbst verwirklichen kann: Dazu müssten alle „Systeme“, die dem Individuum Pflichten und Zwänge auferlegen, beseitigt werden. Zu diesen „Systemen“ gehören nach dem Verständnis von Autonomen unter anderem Demokratie und rechtsstaatliches Handeln.

Die Vorgehensweisen und die Zusammensetzung autonomer Zusammenschlüsse sind heterogen. Einige Autonome versuchen, Ideen anarchistischer Prägung in die Realität umzusetzen, zum Beispiel durch die Errichtung „gewalt- und herrschaftsfreier Räume“ in Form von Besetzungen von Gebäuden. Andere Autonome engagieren sich weiterhin in der Bündnis- und Netzwerkarbeit, wobei sie zunehmend nichtextremistische Unterstützer zu gewinnen versuchen.

Um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen, halten Autonome generell die Anwendung von Gewalt für ein legitimes Mittel. Insbesondere auf Grund ihrer „militanten Aktionen“ stellen Autonome eine konstante Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland dar.

Linksextremistisches
Personenpotenzial1

Das linksextremistische Personenpotenzial in Hessen ist im Vergleich zum Vorjahr gleichgeblieben. Aufgrund der staatlichen Maßnahmen im Kontext der COVID-19-Pandemie hinsichtlich Treffmöglichkeiten (zeitweise starke Begrenzung von zulässigen Teilnehmerzahlen durch staatliche Verordnungen) und Demonstrationen (teilweise Verbote von Demonstrationen aus Pandemiegründen) gingen die Aktivitäten linksextremistischer Gruppierungen phasenweise zurück, nahmen aber im Zuge von Lockerungen der Beschränkungsmaßnahmen wieder an Fahrt auf. Im Zuge dessen reduzierten sich Rekrutierungsmöglichkeiten. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.)

2020 2019 2018 2017 2016
Autonome
Hessen 420 420 400 400 400
Bund 7.500 7.400 7.400 7.000 6.800
Anarchisten
Hessen 80 80 70 70 70
Bund 1.200 900 800 800 800
Sonstige Linksextremisten (Marxisten-Leninisten, Trotzkisten u. a.)
Hessen 2.400 2.400 2.400 2.400 2.400
Bund 25.800 25.300 24.000 21.400 21.800
Gesamtzahl der Linksextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften)
Hessen 2.600 2.600 2.570 2.570 2.570
Bund 34.300 33.500 32.000 29.500 28.500

1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.

Autonome

Definition/Kerndaten

Autonome sind undogmatische und organisationskritische Linksextremisten, die sich zum Teil diffus an verschiedenen kommunistischen und anarchistischen Deutungsmustern orientieren. Das staatliche Gewaltmonopol lehnen Autonome ab und sehen eigene Gewaltanwendung („Militanz“) zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele als legitim bzw. berechtigt an. Starren Organisationsstrukturen stehen „klassische“ Autonome kritisch bis ablehnend gegenüber und beharren stattdessen auf ihrer Selbstbestimmtheit. Autonome organisieren sich überwiegend in losen Gruppen, zwischen denen oft nur aktions- und anlassbezogene lockere Netzwerke bestehen.

Teile der autonomen Szene sind seit einigen Jahren allerdings von diesem Selbstverständnis abgerückt. Die mangelnde Strategie sowie die Organisations- und Theoriefeindlichkeit „klassischer“ Autonomer erachten sie als wenig zielführend: Anstelle der Revolution bevorzugt dieser Teil der Szene, der als postautonom bezeichnet wird, eine langfristige Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Hierfür greifen Postautonome gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf und setzen auf eine auch das gesamte linksextremistische Spektrum umfassende Bündnispolitik, die eine Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Akteuren ausdrücklich einschließt. Dementsprechend vermeiden Postautonome in der Regel ein offenes Bekenntnis zur Gewalt. Stattdessen verwenden sie eher unbestimmte Begriffe wie „ziviler Ungehorsam“ oder sprechen davon, „Polizeiketten durchfließen“ zu wollen. Damit bieten Postautonome für ihre „Aktionen“ einen weiten Interpretationsspielraum, der sowohl gewaltorientierten als auch gewaltablehnenden Personen eine Teilnahme ermöglicht.

Die bundesweit bedeutendste postautonome Organisation war im Berichtszeitraum die Interventionistische Linke (IL). Die IL zeigte sich in Hessen in den Ortsgruppen Frankfurt am Main, Darmstadt und Marburg aktiv.

Aktivisten: In Hessen etwa 420 , bundesweit etwa 7.500
Regionale Schwerpunkte: Frankfurt am Main, Marburg, Gießen, Kassel und Darmstadt
Medien: Swing (Erscheinungsweise mehrmals jährlich), Internetpräsenzen
Ereignisse/Entwicklungen

Im Pandemiejahr 2020 waren die autonome und die anarchistische Szene in Hessen den allgemeinen Entwicklungen folgend zunächst mit social distancing und einer Konzentration auf gesundheitliche und existentielle Themen befasst. Die zurückgefahrenen Aktivitäten stellten sich in der Folge für einige linksextremistische Szene- und Treffobjekte als finanziell belastend dar. Nach einer Weile der aktionistischen Zurückhaltung fand die Szene mehrheitlich Wege, um wieder in Protest- und Aktionsformen zu gelangen, auch Demonstrationen wurden wieder durchgeführt.

Ähnlich wie im Berichtsjahr 2019 beteiligte sich die autonome Szene in Hessen an regionalen Protesten in verschiedenen Themenfeldern. Diese reichten von den durchgängig präsenten Themenfeldern „Antifaschismus“ und Antirassismus über Umweltthemen und „Antimilitarismus“ bis hin zu „Antigentrifizierungsanliegen“ in den Ballungsräumen. Stellenweise und vor dem Hintergrund der Fragestellung ob, „antifaschistischer“ Protest erforderlich sei, konzentrierten sich die Szenen auf Proteste gegen die sogenannten Querdenker bzw. „Corona-Leugner“.

Ein Schwerpunkt im Berichtsjahr waren die Versuche der linksextremistischen Einflussnahme auf die Protestbewegung im Dannenröder Wald im Zuge des Ausbaus der A 49.

Auf einen Blick

„Antifaschismus“: Outings und Demonstrationen | In unregelmäßigen zeitlichen Abständen führten Autonome hessenweit Outing-Aktionen zu Personen durch, die sie als politische Gegner oder als Rechtsextremisten definierten. Die Aktionen mit der Zielrichtung der Herbeiführung eines erheblichen individuellen sozialen, gesellschaftlichen und mitunter beruflichen Reputationsverlustes fanden insbesondere in Frankfurt am Main, dem mittelhessischen Raum, Darmstadt und dem Raum Kassel statt. Vor allem in Gießen (Landkreis Gießen) und Marburg (Landkreis Marburg Biedenkopf) waren zusätzlich Burschenschaften Zielobjekte autonomer Vorgehensweisen.

Die mitunter systematisch betriebene Feindbildanalyse des aktionsorientierten linksextremistischen Spektrums nahm Teile der „Querdenker“-Bewegung hinsichtlich deren öffentlicher Verlautbarungen in den Fokus. Im Bereich Mittelhessen hat sich die Internetseite Stadt, Land, Volk das Ziel gesetzt, „Netzwerke auf[zu] decken!“ und den „(Neu-)Rechten Bewegungen den Aufwind [zu] nehmen.“ Zu diesem Zweck veröffentlicht die Seite seit einigen Jahren Berichte in Form von Outings mit persönlichen und biografischen Daten von Personen, die sie diesem Spektrum zurechnet. Betroffene waren vor allem Angehörige von Burschenschaften und der AfD.

Für den Raum Kassel/Nordhessen lässt sich im Berichtsjahr 2020 eine Häufung von Aktionen gegen den politischen Gegner feststellen. Neben zielgerichteten Angriffen, etwa in Form von Sachbeschädigungen, wurden auch Outings auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlicht. Besonders aktiv in der Region war die autonome Recherche-Gruppe T.A.S.K. Diese veröffentlichte 2020 mehrere Berichte über Strukturen und Personen, die nach deren Auffassung der rechten Szene zuzurechnen sind.

  • Hessenweit, 5./6. Februar: Anlässlich der Wahl des neuen Ministerpräsidenten in Thüringen am 5. Februar fanden an diesem Abend und am darauffolgenden Tag verschiedene Demonstrationen in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Kassel, Wiesbaden und Darmstadt statt. Für die Veranstaltungen mobilisierten Gruppierungen aus dem dogmatischen sowie dem autonomen Spektrum, wie etwa das Antifaschistische Kollektiv 069 (AK.069), Antifa United Frankfurt (AUF), die Ortsgruppen Frankfurt am Main, Marburg und Darmstadt der IL, Offenes Antifaschistisches Treffen Darmstadt (OAT Darmstadt), Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (A.R.A.G.), New Kids Antifa Kassel (NKAKS), Wiesbadener Bündnis gegen Rechts (WBgR) und Leftwing Rheingau.
  • Frankfurt am Main, 8. Mai: Die Kampagne „Frankfurt am Main entnazifizieren!“ wurde im Hinblick auf den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai initiiert. Die Kampagne fand online über eine eigens eingerichtete Internetseite statt und wurde von Mobilisierungsaufrufen des autonomen Spektrums begleitet. Laut eigenen Angaben wollten die Urheber der Kampagne in einem durch „Rassismus, Homofeindlichkeit, Antifeminismus und Antisemitismus“ geprägten gesellschaftlichen Klima dem „Spektrum von autoritärem, rassistischem oder faschistischem Gedankengut“ durch offensive Begegnung entgegenwirken. Mit dem Hinweis auf die „Opfer von Hanau und alle anderen Opfern rechter Gewalt“ wurde zu einer „praktischen Entnazifizierung“ aufgerufen. Die zu Feindbildern definierten „Akteure“ in Form von Einzelpersonen und Institutionen wurden zu diesem Zweck mit Anschrift und Hintergrundinformationen auf der Internetseite aufgeführt und auf einer Landkarte markiert. Es handelte sich um eine linkextremistisch geprägte Kampagne. Durch Online-Aufrufe wurde innerhalb des autonomen und postautonomen Spektrums zur Beteiligung an der Kampagne mobilisiert. Aufrufende Gruppierungen waren insbesondere das autonome AK.069, AUF, kritik & praxis - radikale linke [f]rankfurt (k&p) und die postautonome IL Frankfurt. Die Umsetzung zeigte sich in Form von Protesten und Kampagnen gegen auf der Landkarte verzeichnete „Akteure“ in Frankfurt am Main.
  • Frankfurt am Main, 16. Juni: Anlässlich des Prozessauftaktes wegen des Mordes zum Nachteil des Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke wurde in Frankfurt am Main die Kampagne „Keine Einzeltäter“ initiiert. Im Zusammenhang dazu wurde durch die Gruppierung IL Frankfurt am 16. Juni in Frankfurt am Main eine Demonstration organisiert, für die im Vorfeld über die sozialen Medien durch weitere linksextremistische Gruppierungen mobilisiert wurde. In dem Aufruf der Gruppierung IL Frankfurt hieß es:
  • „Es genügt nicht, einzelne Rechtsterroristen zu verurteilen. Es gilt, ihre Verbindungen in die Sicherheitsbehörden aufzudecken sowie Strukturen zu bekämpfen, die den Nährboden schaffen für Naziterror!“

  • Frankfurt am Main, 17. Juni: Am 17. Juni kam es in Frankfurt am Main zu Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen einer Razzia durch das BKA. Diese Maßnahmen wurden über die sozialen Medien und die linksextremistische Internetplattform de.indymedia.org im Laufe des Tages thematisiert und geäußert, dass dadurch „Linke Strukturen […] kriminalisiert“ würden. Am Folgetag kam es unter dem Motto „Unsere Solidarität gegen ihre Repressionen – Wir sind alle 129a“ zu einer „Sponti“, zu der im Vorfeld durch Gruppierungen wie AUF, k&p und die IL Frankfurt mobilisiert wurde.
  • Frankfurt am Main, 20. Juli: In Hessen rückte der „Repressionsapparat“ nach dem Erscheinen von Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens, die mit NSU 2.0 unterzeichnet wurden, in den Fokus der linksextremistischen Szene. So wurde am 20. Juli in Frankfurt am Main die Kundgebung „Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0“ durchgeführt, zu der unter anderem die autonome Gruppierung AUF mobilisiert hatte. Die Versammlung erreichte in der Spitze bis zu 250 Personen.
  • Frankfurt am Main, 25. Juli: Am 25. Juli kam es zu einer Spontandemonstration gegen „Polizeigewalt und Racial Profiling“ in Frankfurt am Main, an der etwa 100 Personen teilnahmen. Grund hierfür war ein kurz zuvor stattgefundener Polizeieinsatz am Klapperfeld, der aufgrund einer vermeintlich gewaltsamen Auseinandersetzung im Inneren dieses linksextremistischen Szeneobjekts ausgelöst worden war. Nach dem Abbruch des Polizeieinsatzes vor dem Klapperfeld zog der Demonstrationszug vom Kaisersack zur Konstabler Wache. Die autonome Gruppierung AUF erklärte hierzu:
  • „Nach den Drohschreiben des NSU 2.0 durch Frankfurter Nazi-Cops drehte Polizei komplett durch, schikanierte wahllos Passant*innen und strafte alle, die diese Praxis zu hinterfragen wagten. Mit dem Rechtsstaat, den sie zu schützen behaupten, hat das alles rein gar nichts zu tun. Gegen rassistische Polizeigewalt, immer und überall! Hände weg von unseren Räumen und Strukturen!“

  • Wiesbaden, 24. Oktober: Vor dem Hintergrund der ideologisch fundamentalen Themenfelder „Antifaschismus“, „Antirassismus“ und „staatliche Repression“ führte das WBgR eine Demonstration unter dem Motto „Gegen rechte Strukturen und Rassismus in Sicherheitsbehörden“ durch. Dazu riefen hessenweit zahlreiche linksextremistisch beeinflusste und linksextremistische Gruppierungen/Organisationen aus dem dogmatischen und autonomen Spektrum zur Teilnahme auf. An der mit etwa 500 Teilnehmern friedlich verlaufenen Veranstaltung wurden polizeikritische Parolen skandiert. Aus dem Demonstrationszug heraus versammelten sich etwa 50 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum. Hier kam es teilweise zu Vermummungen, die über das Tragen von Mund-Nase-Schutz hinausgingen. Aus dieser Gruppe heraus kam es zu einer Zündung eines Rauchtopfes. Kurz vor Beendigung der Versammlung wurde eine spontane Kundgebung zu dem Thema „Rechtsradikale Chatgruppen bei der Stuttgarter Polizei“ angemeldet. Diese verlief störungsfrei und ohne besondere Vorkommnisse.
  • Frankfurt am Main, 5. November: Für den 5. November war der Prozessauftakt einer Serie von Brandanschlägen auf linke Wohn- und Kulturprojekte im Zeitraum von 2018 bis 2019 angesetzt. Dies wurde zum Anlass genommen, um für eine Demonstration unter dem Motto „Feurio! Es brennt schon viel zu lange… Gemeinsam gegen rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße“ aufzurufen und um „gegen rechten Terror in all seinen Formen und Erscheinungen zu demonstrieren“. In Redebeiträgen wurde unter anderem racial profiling und „mangelndes Vorgehen gegen rechten Terror“ kritisiert. Die Teilnehmerzahl belief sich nach Eigenangaben im unteren dreistelligen Bereich. Darüber hinaus wurde vorab angekündigt, dass man den Prozess öffentlichkeitswirksam begleiten wolle, sodass die Brandanschläge nicht als „Taten eines verwirrten Einzeltäters entpolitisiert werden können“.

Aktionen anlässlich demonstrativer Ereignisse sogenannter Querdenker | Das pandemiegeprägte Jahr setzte für viele aktionsorientierte Linksextremisten zeitweise den Fokus auf die Querdenker“-Bewegung. Neben der Feindbildanalyse (siehe „Antifaschismus“: Outings und Demonstrationen) fand an mehreren Orten Gegenprotest anlässlich von „Querdenker“-Demonstrationen statt. Stellenweise kam es zu konfrontativem Demonstrationsverhalten in Form von Störungen.

  • Frankfurt am Main: Insbesondere die Gegendemonstration am 14. November in Frankfurt am Main mit rund 600 Teilnehmern verlief teilweise unfriedlich. Bereits im Vorfeld hatten linksextremistische Organisationen unter dem Motto „Solidarität statt Antisemitismus und Verschwörungsideologie“ zum Gegenprotest aufgerufen, darunter die autonomen Gruppierungen AK.069, IL Frankfurt, k&p, ökologisch radikal links – ffm und AUF. Der von Autonomen geprägte Gegenprotest ging insbesondere mit Blockadeaktionen gegen die „Querdenker69“-Demonstration vor. Die Blockaden fanden durch vermummte und gewaltbereite Störer statt, sodass es im weiteren Blockadeverlauf zum polizeilichen Wasserwerfereinsatz gegen die Blockierer kam. Im Gesamtverlauf der Versammlungslage sollen vier Polizeibeamte, unter anderem durch Tritt in Genitalien und Oberschenkelbiss, sowie drei Versammlungsteilnehmer verletzt worden sein. Die Polizei berichtete im Ergebnis von „massiven Widerständen“.
  • Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf): Die autonome Szene Marburg rief anlassbezogen zu Protesten gegen sogenannte Hygiene-Demos in Marburg auf. Diese Proteste verliefen weitgehend friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. In diesem Zusammenhang führten Szeneangehörige Outings von einzelnen Kundgebungsteilnehmern der „Hygiene-Demos“ durch, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechneten. Die Outings wurden vornehmlich im Internet durchgeführt. In einem Fall wurden aber auch Namen und Fotos des politischen Gegners unter dem Vorwurf „Vorsicht Neonazis! Am 9. Mai 2020 beteiligten sich auch in Marburg Neonazis an der Kundgebung von ,Nicht ohne uns‘. Eine Gruppe von fünf Personen stach dabei heraus. Um folgende Personen handelte es sich dabei…“  als Plakate in Marburg verklebt.

„Antimilitarismus“ – Autonome Beteiligungen | Die moderne Form „antimilitaristischen“ Protests findet bevorzugt an gezielt ausgewählten Orten statt, an denen vermutet wird, dass Institutionen der Wirtschaft und des Staates an entsprechenden Projekten arbeiten. Über lokale Protest- und Öffentlichkeitsaktionen soll auf die tiefere Thematik aufmerksam gemacht werden.

  • Eschborn (Main-Taunus-Kreis), 4. Februar: Am Morgen des 4. Februar verschafften sich etwa 40 Personen widerrechtlich Zugang zum BAFA und verbarrikadierten den Eingangsbereich mittels Bauzaun, Absperrbarken und Bannern. Die Aktion diente dem Protest gegen Krieg und Rüstungsexporte und wurde von etwa 50 weiteren Personen, die sich vor dem Gebäude aufhielten, unterstützt. Der Präsident des BAFA stellte daraufhin Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Noch bevor es zur geplanten Räumung kommen konnte, verließen die Aktivisten schlagartig das Objekt. Die vor dem Objekt befindlichen Personen führten daraufhin mit einigen der „Hausbesetzer“ eine Spontanversammlung zum Bahnhof Eschborn durch. Hierbei wurde ein Pfefferspray eines Polizeibeamten gewaltsam entrissen und gegen die Kräfte eingesetzt. Des Weiteren kam es zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten mittels Regenschirms. Nach der Festnahme des Täters kam es zu einer versuchten Gefangenenbefreiung durch zwei Versammlungsteilnehmer. Einer der Täter konnte ebenfalls festgenommen werden. Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung wurden gestellt. Die übrigen Teilnehmer bestiegen die einfahrende S-Bahn nach Frankfurt am Main und blockierten im vorderen Bereich die Eingangstüren. Sie forderten die Freilassung der zwei festgenommenen Personen. Eine Weiterfahrt der S-Bahn wurde dadurch verhindert. Während und nach der Besetzungsaktion gab es eine Vielzahl von Solidaritätsbekundungen von links- und ausländerextremistischen Gruppen. Insbesondere die IL Frankfurt zeigte hierfür eine große mediale Unterstützung und kritisierte im Gegenzug den ihrem Empfinden nach übermäßig harten Polizeieinsatz scharf.
  • Kassel, 28. August: Das unter erheblicher linksextremistischer und teils ausländerextremistischer Beteiligung tätige Bündnis Rheinmetall entwaffnen rief unter dem gleichnamigen Slogan zu Blockadeaktionen örtlicher Unternehmen der Rüstungsindustrie am 28. August in Kassel auf. Im Fokus des Bündnisses mit Beteiligung unter anderem der IL standen hauptsächlich die Unternehmen Rheinmetall AG und Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co KG. In den frühen Morgenstunden des 28. August blockierten Aktivisten von Rheinmetall entwaffnen die Werkszufahrt der Firma Krauss-Maffei Wegmann. Im Verlauf des Vormittags kam zu weiteren „Blockadewellen“ an den Werkstoren. Von den Blockadepunkten brachen die Bündnisteilnehmer im Rahmen einer Spontandemonstration in die Kasseler Innenstadt auf, um sich dort dem vorher angekündigten zentralen Aufzug anzuschließen. Die Proteste verliefen insgesamt friedlich.

„Antigentrifizierung“ – Angriffe auf Immobilienfirmen | Der Kampf gewaltbereiter Linksextremisten gegen angeblich „antisoziale Stadtstrukturen“ und für selbstbestimmte „Freiräume“ verschärfte sich im Berichtszeitraum bundes- und hessenweit weiter. Als „Schuldige“ der Verdrängung von Bevölkerungsschichten sowie als Urheber von Mieterhöhungen befanden sich insbesondere große Immobilienunternehmen im Visier der Linksextremisten.

Im gesamten Jahr kam es in Frankfurt am Main im Rahmen einer linksextremistisch geprägten „Antigentrifizierungs“-Kampagne zu Angriffen auf Immobilienfirmen in Form von Sachbeschädigungen und Brandstiftungen auf deren Fahrzeuge und Gebäude. In vier Fällen wurden anonyme Selbstbezichtigungsschreiben im Internet eingestellt, unter anderem auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org.

Besetzungsaktion im Dannenröder Wald – Proteste gegen den Ausbau der A 49 | Bereits am 30. September 2019 erklärten Aktivisten die Besetzung des sogenannten Dannenröder Walds im Vogelsbergkreis, südlich der B 62 bei Stadtallendorf. Hintergrund war der geplante und genehmigte Ausbau der A 49 im Bereich Homberg (Ohm) und die hierfür notwendige Rodung von Teilen des Dannenröder Walds und weiterer angrenzender Waldstücke. Schon frühzeitig war zu erkennen, dass sich die Initiatoren an der Besetzung des Hambacher Forsts (Nordrhein-Westfalen) orientierten und auch Aktivisten aus dem Hambacher Forst in den Dannenröder Wald umzogen, um dort ihre Erfahrungen einzubringen. Insbesondere in der Struktur der Waldbesetzung spiegelte sich dies wider. So bildeten sich mehrere, namentlich benannte Baumhaussiedlungen sowie eine Mahnwache mit Protestcamp vor dem Wald. Des Weiteren versuchten die Aktivisten das hohe Mobilisierungspotenzial und den Erfolg der Proteste im Hambacher Forst auf den Dannenröder Wald zu übertragen, was durch verschiedene Beiträge auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org oder in Medienberichten deutlich wurde. Neben diesen Verbindungen in den Hambacher Forst war zudem auch eine Unterstützung durch lokale anarchistische Aktivisten erkennbar.

In den Folgemonaten bauten die Waldbesetzer ihre Strukturen im Dannenröder Wald kontinuierlich aus. Jedoch blieben Veranstaltungen mit Außenwirkung oder Straftaten im Sachzusammenhang zunächst aus. Erst mit der mündlichen Verhandlung einer Klage des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (Sachsen) Ende Juni, die sich gegen den weiteren Ausbau der A 49 richtete, erfuhr die Thematik eine erste überregionale Beachtung. Infolge der Abweisung der Klage des BUND ereignete sich ein versuchter Brandanschlag auf fünf Baustellenfahrzeuge der Firma STRABAG SE bei Treysa (Schwalm-Eder Kreis). Eine „Autonome Kleingruppe in Solidarität mit dem Kampf gegen die A 49“ bekannte sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org zur Tat. Die Tat stellte einen ersten Versuch zur Eskalation durch militante Extremisten dar. Andere Solidaritätserklärungen oder wahrnehmbare Unterstützung aus der überregionalen linksextremistischen Szene oder der Umweltschutzbewegung waren zu diesem Zeitpunkt allenfalls vereinzelt feststellbar. Eine Ausnahme bildete hier lediglich die bereits erwähnte Besetzerszene aus dem Hambacher Forst.

Angesichts der von den Aktivisten erwarteten Rodungsarbeiten ab Oktober 2020, kündigten die Waldbesetzer Anfang August in einer Pressekonferenz ihren Widerstand an. An der Pressekonferenz nahm auch eine Vertreterin der durch das LfV Berlin als linksextremistisch beeinflusst bewerteten Klima- und Umweltschutzbewegung Ende Gelände teil und kündigte Unterstützung für die Waldbesetzung an:

„Wir [werden] erst Ende September im Rheinland massenhaft, aber mit Abstand, die fossile Industrie blockieren. […] Danach kommen wir hierher und retten mit der ganzen Klimabewegung den Wald. Für uns ist klar: Erst in die Grube, dann in den Wald“.

In der Vergangenheit war „Ende Gelände“ vor allem bei den Massenaktionen im rheinischen Braunkohlerevier, die in engem Zusammenhang mit der Besetzung des Hambacher Forsts stehen, aufgetreten. Mit der Ankündigung von Ende Gelände zeigte sich erneut der Versuch, den Dannenröder Wald zu einem zweiten Hambacher Forst zu erklären. Eine Sprecherin der Waldbesetzung erklärte, dass das Ziel der Aktion nicht nur die Rettung des Walds sei. Vielmehr ginge es um eine „allumfassende Revolution“, mit deren Hilfe eine „radikale Transformation“ der Gesellschaft bewirkt werden solle.

Entgegen der Ankündigung von Ende Gelände wurde eine breite Mobilisierungskampagne, wie sie aus den Aktionen im rheinischen Braunkohlerevier bekannt war, zur Unterstützung des Protestes im Dannenröder Wald jedoch nicht umgesetzt. Ende Gelände führte lediglich einige kurze Blockaden in Berlin (Hessische Landesvertretung am 2. Oktober sowie Bundesgeschäftsstelle der Partei Bündnis 90/Die Grünen am 28. Oktober) durch und mobilisierte kurzfristig für einige Aktionstage während der Räumung. Diese Aktionen blieben jedoch weit hinter dem Mobilisierungspotential des Bündnisses zurück.

Auch bei den Aktionen der Waldbesetzung selbst blieben die Teilnehmerzahlen teilweise hinter den Erwartungen zurück. So sollten am 11. September tausende Menschen an Demonstrationen im Stadtgebiet von Wiesbaden im Kontext Dannenröder Wald teilnehmen. Schlussendlich waren etwa 200 Personen zu verzeichnen. Eine ähnliche Resonanz erhielten auch mehrere Fahrraddemonstrationen, die von Kassel in den Dannenröder Wald verliefen. An diesen Demonstrationen sollten jeweils mehrere tausend Personen teilnehmen. In der Spitze zählte die Polizei lediglich 150 Personen.

Die erhoffte Unterstützung in Form von Massenaktionen blieb aus. Innerhalb eines Teils der Waldbesetzer war ein fortschreitender Radikalisierungsprozess zu beobachten. Zu Beginn der Besetzungsaktion war der Protest vor allem von lokalen Bürgerinitiativen und nichtextremistischen Gruppierungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion und dem BUND dominiert, auch wenn bereits der Einfluss lokaler anarchistischer Strukturen und Exponenten des Protests gegen den Hambacher Forst festzustellen war. Im weiteren Verlauf der Besetzung und insbesondere mit dem Beginn der Rodungsarbeiten im Oktober 2020 war innerhalb der Waldbesetzung eine Zunahme linksextremistischer Symbolik und Begrifflichkeiten zu verzeichnen. Immer öfter betonten nun die Waldbesetzer, dass der Dannenröder Wald auch ein „autonomer Freiraum“ und ein Ort anarchistischer Selbstverwirklichung sei. Die Radikalisierung fand ihren Ausdruck ferner in der zunehmenden Zahl von Angriffen auf Polizeibeamte im Rahmen der Rodungsarbeiten oder in veröffentlichten Beiträgen auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org. Viele dieser Beiträge verstanden den Protest im Dannenröder Wald nicht nur als Kampf gegen eine Autobahn bzw. für eine Mobilitätswende, sondern auch gegen die Wirtschaftsordnung und den Staat. Besonders verdeutlichte dies ein Beitrag mit dem Titel „Eine autonome Einschätzung zur Fortführung des Kampfs im Dannenröder Wald“, der von einem Autor mit dem Pseudonym „Ho Chi Min“ verfasst wurde:

„Es geht nicht nur um die Klimakrise, nicht nur darum, die Artenvielfalt im Wald, explizit diesen Wald zu schützen. Der Widerstand im Wald ist nicht allein ein Abwehrkampf, sondern eine auf territorialer und praktischer Ebene politische Offensive gegen Staat und Kapitalinteressen“.

Derartige Gewaltaufrufe und Forderungen nach einem revolutionären Umsturz bzw. dem offenen Kampf gegen den Staat zeigten, dass Teile der Waldbesetzung militante Aktionsformen mindestens tolerierten oder aktiv unterstützten. Diese Unterstützung zeigte sich etwa in der aktiven Verbreitung von Selbstbezichtigungsschreiben und Positionspapieren der militanten Aktivisten auch auf der Website der Waldbesetzung „Wald statt Asphalt“.

Einen Höhepunkt erreichte die Militanz im November, als sich innerhalb von zwei Wochen vier Brandanschläge gegen Baufahrzeuge und Unternehmen ereigneten. Zu allen Taten erschienen Selbstbezichtigungsschreiben auf de.indymedia.org, in denen die Taten jeweils als Gegenwehr zu den polizeilichen Maßnahmen im Dannenröder Wald dargestellt wurden.

Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erhielt eine Reihe von Blockadeaktionen auf hessischen Autobahnen. Dabei seilten sich Aktivisten an verschiedenen Stellen entlang mehrerer Autobahnen von Brücken ab und legten so den Verkehr für mehrere Stunden lahm. Im Zusammenhang mit einer solchen Abseilaktion am 14. Oktober ereignete sich am Ende des sich stauenden Verkehrs ein schwerer Verkehrsunfall. Durch Aktivisten aus der Waldbesetzung wurde am Folgetag ein Beitrag auf de.indymedia.org veröffentlicht, in dem jeder Zusammenhang des Unfalls mit der Aktion negiert wurde. Im Nachgang des Unfalls bzw. der Abseilaktionen entstand eine kontroverse öffentliche Debatte über diese Form des Protestes, die auch innerhalb der Besetzerszene des Dannenröder Walds stattfand. Die Aktionen würden ein „Angst und Bedrohungsgefühl durch ,Öko-Terrorismus’“ in der Bevölkerung erzeugen. Unfälle, die in einem Zusammenhang mit den Abseilaktionen gebracht würden, würden zudem eine „Hasswelle in der bürgerlichen Bevölkerung auslösen“. Jedoch gab es auch Stimmen, die die Aktionsform verteidigten, da Proteste alleine nicht genügen würden:

„Da gibt es diesen Mythos von der Gewaltfreiheit, von zivilem Ungehorsam […], von einem Widerstand, der soll zwar möglichst illegal sein, aber eigentlich niemanden so richtig stören. Was wäre gewesen, wenn man den Hambi nicht besetzt hätte und die Kohlebagger nicht besetzt hätte?“

Hinsichtlich linksextremistischer Einflussnahme auf die Protestbewegung im Dannenröder Wald wird folgende Strategie deutlich: Wie schon bei den Schülerprotesten der Fridays for Future Bewegung versuchten auch im Falle der Besetzungsaktion im Dannenröder Wald verschiedene linksextremistische Akteure, Einfluss auf die Aktivisten vor Ort zu nehmen. Das Ziel der Linksextremisten ist es, den ursprünglichen Umweltschutzgedanken dahingehend zu erweitern, dass es einen revolutionären Bruch mit den bestehenden staatlichen Strukturen benötigt, um Klimaschutz konsequent zu verwirklichen. Da im Themenfeld Umwelt- und Klimaschutz zumeist relativ offene, thematisch ausgerichtete Aktionsbündnisse dominieren, versuchen sich Linksextremisten hier als wertvolle Partner zu inszenieren und gleichzeitig auf eine Radikalisierung der Bewegung hinzuwirken. Dies führt oftmals dazu, dass der gefundene Konsens von Aktionsbündnissen Spielraum sowohl für friedliche Proteste, aber auch (unfriedliche) Aktionen zivilen Ungehorsams bis hin zu Straf- und Gewalttaten zulässt. Dies zeigt sich beispielhaft anhand der folgenden Aussage einer Sprecherin der Waldbesetzer: „Auf Aktionen autonomer Gruppen, die ihrer Wut Ausdruck verleihen, haben wir keinen Einfluss. Daher haben wir dazu als Waldbesetzung keinen Kommentar“. Eine Zurückweisung, mindestens Distanzierung von Extremisten, auch gewaltbereiten, findet nicht statt.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Proteste im Dannenröder Wald überwiegend friedlich verliefen, sie aber von einigen schweren Straftaten überschattet wurden.

Entstehung/Geschichte

Die autonome Bewegung wurzelt in den europaweiten Studentenprotesten der späten 1960er und der 1970er Jahre. In dieser Zeit entstand die Selbstbezeichnung Autonome.

Auf einen Blick
  • Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei
  • „Anti“-Haltungen

Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei | Für die große Öffentlichkeit zum ersten Mal erkennbar agierten Autonome gewalttätig, als sie 1980 in Bremen gegen die Vereidigung von Bundeswehrrekruten demonstrierten. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als breite eigenständige Bewegung waren Autonome seit Anfang der 1980er Jahre auszumachen. Sie waren zunächst vor allem in der Friedens- und in der Anti-Atomkraftbewegung sowie bei Hausbesetzungen aktiv. Gewalttätig agierten Autonome zum Beispiel gegen die in Wackersdorf (Bayern) geplante Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe; gleichfalls lieferten sich Autonome an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Zuletzt waren Autonome hauptverantwortlich für die massiven Ausschreitungen bei den Protesten gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) 2015 in Frankfurt am Main und bei den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg.

„Anti“-Haltungen | Mit der Zeit erschlossen sich die Autonomen weitere Aktionsfelder, die in der Regel durch eine „Anti“-Haltung gekennzeichnet sind: „Antifaschismus“, „Antirepression“, „Antirassismus“, „Antigentrifizierung“ und „Antimilitarismus“. „Antikapitalistische“ Einstellungen von Autonomen, die im „Kapitalismus“ die Wurzel allen Übels sehen, bilden die Grundlage für diese Aktionsfelder.

Ideologie/Ziele

Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des „kapitalistischen Systems“ zugunsten einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch „Kapitalismus“, „Rassismus“ und „Patriarchat“ unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrachten die Autonomen die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im „Kapitalismus“. „Imperialismus“ und vor allem „Faschismus“ sind in den Augen der Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung.

Auf einen Blick

„Anti“-Haltungen und Feindbilder | Ihren „Anti“-Haltungen und Feindbildern entsprechend definieren Autonome ihre politischen Aktivitäten. So wird mittels des „Antifaschismus“ gegen Personen, Gruppen und Institutionen agitiert, die als „Rechte“ bzw. „Nazis“ ausgemacht wurden. Unter dem Label „Antirepression“ wird insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des „staatlichen Repressionsapparats“ vorgegangen. Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine „antikapitalistische“ Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnis- und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen vor allem Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen.

„Antikapitalismus“ | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die „kapitalistische“ Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem „Kapitalismus“ gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zwecke instrumentalisieren.

„Antifaschismus“ | Vor allem das Themenfeld „Antifaschismus“ zeichnet sich für Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische „Antifaschismus“-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst „faschistisch“ oder „faschistoid“ zu sein. Demnach bezeichnen Linksextremisten auch Personen aus dem demokratischen Spektrum als „Faschisten“. Sobald die Bewertung „Faschist“ vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten.

Unter „Antifaschismus“ verstehen Linksextremisten bzw. Autonome also nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven „Kampf gegen Rechts“ mit dem „Kampf gegen das Ganze“, das heißt gegen das „bürgerlich-kapitalistische System“, gleich: Erst mit der Beseitigung des „Kapitalismus“ sei die Gefahr des „Faschismus“ als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt.

„Antirassismus“ | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden medialen Berichterstattung sowie der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit versucht das linksextremistische Spektrum, mit „Aktionen“ in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szeneeigene Verständnis von „Antirassismus“ möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik, sondern Autonome wollen vor allem nachweisen, dass Staat und Gesellschaft selbst „rassistisch“ sind und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssen. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Autonome in dieser Diktion als „rassistisch“: „Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“.

„Antigentrifizierung“ – „selbstverwaltete Freiräume“ | Linksextremisten schließen sich „Antigentrifizierungs“-Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre „antikapitalistische“ Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da die von ihnen genutzten „selbstverwalteten Freiräume“ – also autonome Szene-  und Treffobjekte – mitunter ebenso für entsprechende sogenannte „Luxussanierungen“ vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind.

Klima- und Umweltschutzaktionen | Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der damit einhergehenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie im Rahmen des Strebens nach einem sozialverträglichen ökologischen Miteinander gewinnt dieses Themenfeld zunehmend an Bedeutung für das linksextremistische Spektrum. Hierin lassen sich mehrheitsfähige gesellschaftliche Anliegen – wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel (zum Beispiel in Form der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie oder aus dem Kohleabbau sowie nach einer Verkehrswende) – mit linksextremistischen Forderungen nach einem „selbstbestimmten Leben“ durch das Schaffen „selbstverwalteter Freiräume“ verbinden. Vor allem bietet sich für Linksextremisten die Möglichkeit, ihre „antikapitalistischen“ Forderungen gegen angebliche „klimaschädliche“ Unternehmen in Stellung zu bringen und in den gesellschaftlichen Diskurs mittels der Parole „system change not climate change“ einzubringen. Mit ihren Versuchen, die Klima- und Umweltschutzbewegung zu instrumentalisieren, wollen Linksextremisten ein Scharnier zwischen ihren Bestrebungen und nichtextremistischen Forderungen herstellen.

Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein „Mittel zum Zweck“, sondern ebenso einen Akt der „individuellen Selbstbefreiung“. Die phasenweise in der Szene geführte „Militanzdebatte“ beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers diskutierten Frage, ob sich Gewalt „nur“ gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer „Aktionen“ verletzt oder sogar getötet werden.

Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind tendenziell drei Hauptströmungen – Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale – zu unterscheiden. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über „antikapitalistische“ und „antifaschistische“ Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens. Zuletzt sind szeneinterne Konfliktlinien schwieriger auszumachen, da „klassische“ Ideologieansätze zunehmend zugunsten aktionistischen Vorgehens und frei interpretierter Denkmuster aufweichen.

Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den „Kapitalismus“ bedingte „imperialistische“ Politik westlicher Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von „antiimperialistischen Befreiungsbewegungen“ etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische Befreiungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel.

Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen wegen der deutschen Verantwortung am Holocaust uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als „rechtsradikal“ oder „islamfaschistisch“. Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit widersprechen Antideutsche dem „antimilitaristischen“ und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher „Kriegstreiberei“ vor.

Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten unterstellen sie – ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemeinen – antizionistische und antisemitische Einstellungen.

Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die phasenweise in der autonomen Szene in Hessen prägend war und weiterhin präsent ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher.

Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im „Kapitalismus“ zwangsläufig „imperialistisch“. Kriege seien nur „Ausdruck der notwendigen Konflikte“ im „kapitalistischen System“, da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre „Befreiungsbewegungen“ in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus „antifaschistischer“ Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu.

Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den „historischen Sonderweg“ Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale „Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden“ eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel – bei aller Solidarität mit dessen Volk – einen „kapitalistischen“ Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei.

Strukturen

Wie in der Vergangenheit blieb Frankfurt am Main sowohl personell als auch strukturell der autonome Szeneschwerpunkt in Hessen. Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Gießen (Landkreis Gießen) und Darmstadt.

Auf einen Blick
  • Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main
  • Regionale Szenen

Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main | Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen war in Frankfurt am Main oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) ansässig. Bundesweit betrachtet, gehörte Frankfurt am Main zu den Großstadtregionen mit einer kontinuierlichen Präsenz autonomer Zusammenhänge. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der „harte Kern“ der Szene in Frankfurt am Main durch seine bundesweite Vernetzung, das hohe Personenpotenzial auf engem Raum und eine weiterhin potenziell hohe Gewaltbereitschaft.

Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren die AUF, das AK.069, die IL Frankfurt, k&p, das OAT Frankfurt und ökologisch radikal links - ffm. Mit dem autonomen Szeneobjekt und ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Einige an der Außenfassade des Gebäudes angebrachte Symbole und Banner vermittelten im Gesamtbild überwiegend eine Tendenz zu linksextremistischem Gedankengut. Dabei sind die entsprechenden Symbole als Ausdruck der inneren Haltung und des aktiv-politischen Vorgehens der Nutzer und Betreiber des Klapperfelds zu werten. Maßgeblich für die Träger des Klapperfelds sind daher nicht „die da draußen“, sondern „wir, die Gegenkultur, hier drin“. Ein Zweck des gesamten Gebäudes besteht in dem Errichten eines Symbols der Abgrenzung und der Gegenkultur in einem zentralen Frankfurter Stadtteil. Darüber hinaus fungierten in Frankfurt am Main das Café ExZess, das Café KoZ und das Centro als wichtige Treffpunkte.

Regionale Szenen | Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. und A&O aus Kassel, die A.R.A.G. in Gießen (Landkreis Gießen) sowie in Darmstadt das OAT Darmstadt. Insgesamt zeigten sich drei der vier hessischen Ortsgruppen der IL aktiv. Es handelte sich um die Ortsgruppen IL Frankfurt, IL Marburg und IL Darmstadt.

Bewertung/Ausblick

Innerhalb der autonomen Szene wurde im Berichtszeitraum im Rahmen von demonstrativen Ereignissen weiterhin in Teilen auf Konfrontation und Gewalt gesetzt. Zielsetzung ist zum einen die Unterminierung des staatlichen Gewaltmonopols, was sich an den fortgesetzten Angriffen gegen staatliche Repräsentanten, vor allem der Polizei, zeigt. Die Selbststilisierung, Opfer von staatlicher Repression zu sein, soll dies argumentativ untermauern. Zum anderen soll das Recht auf Selbstjustiz aufrechterhalten werden; Angriffe auf Andersdenkende erfolgen stets aus eigener subjektiver Ermächtigung heraus. Die autonome Szene sieht sich legitimiert, mitunter auch gewalttätig gegen politische Gegner und gegen den Staat vorzugehen. Die als notwendig erachtete autonome Selbstjustiz schloss dabei explizit den Kampf gegen staatliche „Repression“, gegen die Gentrifizierung linksalternativer Stadtviertel sowie den Kampf für den Erhalt „selbstverwalteter Freiräume“ ein.

Im Linksextremismus ist bundesweit eine gestiegene Gewaltbereitschaft nicht nur bei größeren Ereignissen wie dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder der Eröffnung der EZB in Frankfurt am Main 2015 festzustellen. Aktuelle – in der Regel themenbezogene – Auseinandersetzungen während Demonstrationen und Protesten zeigen grundsätzlich eine höhere Aktionsbereitschaft insbesondere autonomer und anarchistischer, aber auch gewaltbereiter linker radikaler Kräfte.

In diesem Zusammenhang sind auch die – zwar noch mit bundesweiten Schwerpunkten – gezielt klandestin geplanten und entgegen des bisherigen linksextremistischen Konsenses durchgeführten direkten Angriffe auf Personen zu beachten, zum Beispiel auf den Hamburger Innensenator im Dezember 2019 oder auf die Angestellte einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung in Leipzig im Oktober 2019 sowie antifaschistisch motivierte Überfälle zum Beispiel auf einen Kanalarbeiter in Leipzig (Sachsen), der im Januar 2019 wegen eines von ihm getragenen Logos aus dem rechten Kampfsportmilieu schwer verletzt wurde.

Dies zeigt nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Bereitschaft linksextremistischer Strukturen, Gewalt zunehmend zu personalisieren und parallel zum Beispiel zu Sachbeschädigungen mit erheblichen Schadenssummen einzusetzen. Solche gezielt geplanten Aktionen von grundsätzlich nicht bekannten Einzelpersonen oder Kleinstgruppen richten sich bewusst stärker gegen Personen (auch in deren persönlichem Rückzugsraum zu Hause) oder werden in Form gezielter Hinterhalte oder Angriffe (insbesondere gegen Polizeibeamte) ausgeführt. Diese Entwicklung ist intensiv zu beobachten, um frühestmöglich vergleichbare radikalisierende Tendenzen aufgreifen und ihnen entgegenwirken zu können. Die oben genannten Tatbeispiele dokumentieren, dass bei militanten Linksextremisten im Gegensatz zu früheren Jahren der Schritt zur Tötung oder Tötungsabsicht politischer Gegner wieder in Betracht zu ziehen ist. Eine besondere Rolle dabei dürften dabei neue, bislang wenig bekannte militante Strukturen, insbesondere mit anarchistischen Bezügen, spielen, die teilweise gerade auch außerhalb der bislang üblichen autonomen Gruppierungen angesiedelt zu sein scheinen:

„Wir wählen in dem einen Moment die völlige Anonymität, ohne Bekennung, […] In einem anderen wählen wir die Kommunikation mit anderen Zellen, um […] unsere Verbundenheit im permanenten Angriff mit anderen Hasserfüllten zu kommunizieren. Und in nächsten Moment bewegen wir uns sichtbar, versuchen unsere Ideen und Erfahrungen mitzuteilen und in lokale offen liegende Konflikte einzugreifen“.

Zudem nutzten Linksextremisten das innerhalb der Szene etablierte Instrument der Outings konstant, willkürlich und nach eigenem Werturteil. Es wird auch künftig Anwendung finden, um Freund-Feind-Beschreibungen deutlich zu definieren und Andersdenkende bzw. politische Feinde zu diskreditieren und zu beschädigen.

Inwieweit sich die Besetzerszene nach Abschluss der Rodungsarbeiten im Dannenröder Wald weiter radikalisieren und sich das Interesse der linksextremistischen Szene anderen Projekten zuwenden wird, kann für den Berichtszeitraum nicht abschließend beurteilt werden. Im Falle von größeren Bauarbeiten für die A 49 im Bereich Dannenrod oder von vergleichbaren (Bau-)Projekten ist aber damit zu rechnen, dass es zu weiteren Protestaktionen kommen wird.

Sonstige Beobachtungsobjekte

Neben autonomen Gruppierungen gab es in Hessen linksextremistische Parteien sowie Organisationen mit parteiähnlichem Charakter, die einen bedeutenden Teil des linksextremistischen Spektrums bildeten. Die wichtigsten von ihnen sind unten aufgeführt.

Auf einen Blick
  • Deutsche Kommunistische Partei (DKP)
    • Gründung in kommunistischer Tradition
    • Strukturen – Mitgliederzahlen
    • 23. Parteitag in Frankfurt am Main
    • Bewertung/Ausblick
  • Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)
    • Jugendorganisation der DKP
    • Strukturen – Mitgliederzahlen
    • Vorfall bei Kundgebung in Gießen
    • Bewertung/Ausblick
  • Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)
    • Ziele
    • Mitgliederzahl – Strukturen
    • „Gib Antikommunismus keine Chance!“
  • Rote Hilfe e. V. (RH)
    • Ideologie – Strukturen – Anstieg der Mitgliederzahlen
    • „Rechtsberatung“ für politisch motivierte Straftäter
    • Veranstaltungen
    • Bewertung/Ausblick

Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

Gründung in kommunistischer Tradition | Die 1968 gegründete DKP versteht sich als „revolutionäre Partei der Arbeiterklasse“ in der Tradition der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Das Ziel der DKP ist die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einem revolutionären Bruch, um − als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft − den Sozialismus zu verwirklichen. Dabei setze, so die Auffassung der DKP, die „sozialistische Gesellschaftsordnung […] die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen voraus“.

Strukturen – Mitgliederzahlen | Die DKP in Hessen gliederte sich in 15 Kreisorganisationen, ihr waren rund 300 Personen zuzurechnen (bundesweit etwa 2.850). Der Schwerpunkt der Aktivitäten der DKP Hessen lag in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau), Gießen (Landkreis Gießen) sowie Kassel. Die DKP führte nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen durch, interne Veranstaltungen dominierten das Geschehen in der Partei.

Die Ortsverbände Gießen, Marburg und Mörfelden-Walldorf gaben eigene Kleinzeitungen heraus. Gegen Ende des Jahres begann zudem die DKP Kassel mit der Herausgabe einer eigenen Kleinzeitung: Der rote Waschbär.

23. Parteitag in Frankfurt am Main | Vom 29. Februar bis 1. März führte die Partei ihren 23. Bundesparteitag in Frankfurt am Main durch. Im Rahmen des Parteitages wurde zum einen der alte Parteivorstand erneut in seinem Amt bestätigt und zudem der Leitantrag „Unsere Kampffelder im Rahmen der antimonopolistischen Strategie“ verabschiedet. Die innerparteilichen Streitigkeiten um die politische Ausrichtung der Partei, vor allem die Diskussionen hinsichtlich der Positionierung zu tagesaktuellen Themen wie der Klimafrage, fanden sowohl im Vorfeld als auch während des Parteitages statt. Des Weiteren wurden auch die Bemühungen der Partei diskutiert, dem seit Jahren andauernden Niedergang entgegenzuwirken. Aus dem Parteivorstand wurde im Nachgang des Parteitages konstatiert, dass die Partei „Fortschritte im Ringen um die Wiederverankerung in der Klasse machen“ würde. Im Berichtszeitraum war eine Zunahme öffentlichkeitswirksamer Aktionen jedoch allenfalls punktuell feststellbar.

Bewertung/Ausblick | Die seit Jahren anhaltende personelle und strukturelle Schwächung der DKP setzt sich ungeachtet einzelner Erfolge weiter fort. In Folge der Beschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie konnte die Partei die auf dem Parteitag gefassten Beschlüsse bisher kaum umsetzen. Zudem bleibt abzuwarten, inwieweit es der Partei gelingen wird, sich mit der formulierten Haltung zur Klimaschutzthematik als Bündnispartner der Klimaschutzbewegung zu etablieren.

Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)

Jugendorganisation der DKP | Die dogmatisch-kommunistische Jugendorganisation ist formal unabhängig, jedoch eng mit der DKP verbunden und fungiert als deren Jugendorganisation. So unterstützt die SDAJ Hessen die DKP regelmäßig bei Veranstaltungen und war bei einigen entsprechenden Veranstaltungen mit vor Ort. Ihre Ziele versuchte die SDAJ vor allem durch die Zusammenarbeit mit extremistischen und nichtextremistischen Organisationen zu verwirklichen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.

Der SDAJ in Hessen waren rund 70 Personen zuzurechnen, bundesweit etwa 670. Eigenen Angaben zufolge war die SDAJ in Hessen mit Ortsgruppen in den Regionen Darmstadt/Odenwald, Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Kassel aktiv. Die von der SDAJ abgespaltene Kommunistische Organisation (KO) konnte sich im vergangenen Jahr weiter strukturieren und trat 2020 auch erstmals öffentlich in Erscheinung. Ziel der KO ist es, eine kommunistische Partei nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) zu schaffen. Schwerpunkte der öffentlichkeitswirksamen Tätigkeit der SDAJ bildeten – wie in den vergangenen Jahren – die Themenfelder „Antikapitalismus“ und „Antimilitarismus“.

Im März fand in Eschborn (Main-Taunus-Kreis) der Bundeskongress der SDAJ statt. Im Anschluss daran kündigte die Bundesvorsitzende an, dass die SDAJ verstärkt auf „Kurzkampagnen“ setzen wolle. Zudem sei es gelungen, den Mitgliederschwund der letzten Jahre auszugleichen.

Nach einer größeren Welle von Aktionen an Schulen in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) im Jahr 2019 war in 2020 ein Rückgang dieser Aktionsform zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie initiierte die SDAJ die Kampagne „Gesundheit statt Profite“, die auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Gesundheitssystem aufmerksam machen sollte. Mit dem Einsetzen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verlegte auch die SDAJ ihre Aktivitäten vermehrt ins Internet und veröffentlichte Podcasts oder führte Veranstaltungen online durch.

Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie versuchte die SDAJ, gezielt Einfluss auf Schülerinnen und Schüler zu nehmen, indem sie deren Situation bzw. Probleme im Umgang mit der COVID-19-Pandemie thematisierte. Tatsächliche und vermeintliche Missstände führt die SDAJ dabei zumeist auf die „kapitalistische“ Gesellschaftsordnung zurück, der sie einen vermeintlich krisenfesten Sozialismus gegenüberstellt.

Des Weiteren nahm sich die SDAJ Hessen verschiedener gesellschaftlicher Themen an, wie etwa der Black-Lives-Matter-Bewegung oder den Gedenkveranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wie die inoffizielle Mutterpartei ist auch die SDAJ in der Klima- und Umweltschutzbewegung bislang kaum präsent. Im Jahr 2019 hatte die SDAJ noch versucht, Anschluss an die Klimaschutzbewegung zu finden, besonders an Fridays for Future. Diese Aktivitäten gingen im vergangenen Jahr stark zurück. So war auch eine Teilnahme an den Protesten im Dannenröder Wald durch die SDAJ nicht zu verzeichnen.

Vorfall bei Kundgebung in Gießen (Landkreis Gießen) | In Gießen fand am 15. Februar die „Demo gegen Faschismus, Armut, Krieg und Krise!“ statt, zu der unter anderem die „antiimperialistisch“ ausgerichteten Gruppierungen siempre*antifa Frankfurt/M und A.R.A.G. sowie die SDAJ-Abspaltung KO mobilisiert hatten. In einem Redebeitrag unterstellte die A.R.A.G. dem Staat, die „Gefahr für die Gesellschaft“ ginge „nicht nur von Rechten und Faschistinnen und Faschisten aus“, sondern die Herrschenden würden ihnen den „Weg ebnen“. Weiter hieß es:

„Diese Faschisierung des Staates ist Ausdruck davon, dass die Repräsentanten und Repräsentantinnen des Staates wissen, dass ihr Ausbeutersystem immer wieder Wirtschaftskrisen hervorbringt. Aufkommender Widerstand soll deshalb im Keim erstickt werden und nach rechts kanalisiert werden“.

Im Rahmen dieser Kundgebung trat auch die oben erwähnte KO erstmals öffentlich in Erscheinung. Ein Vertreter der Gruppierung hielt im Rahmen der Demonstration eine Rede, die für ihre antisemitischen Anspielungen auch aus der demokratischen Zivilgesellschaft heraus scharf kritisiert wurde. So habe der Sprecher der KO die Novemberpogrome 1938 als „Inszenierung der Eliten“ bezeichnet, während die deutsche Bevölkerung „dagegen eingestellt gewesen sei“. Der KO wurde vorgeworfen, „Geschichtsrevisionismus“ zu betreiben und Antisemitismus zu verharmlosen.

Bewertung/Ausblick | Das Aktionspotential der SDAJ im öffentlichen Raum war im Berichtszeitraum rückläufig. Zwar beteiligte sich die SDAJ weiterhin an den traditionellen Terminen wie dem 1. Mai oder dem Weltfrauentag. Darüber hinaus beschränkten sich ihre Aktivitäten aber, auch vor dem Hintergrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, auf die Nutzung des Internets.

Bei Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach dem Ende der wegen der COVID-19-Pandemie erfolgten Schulschließungen steht zu erwarten, dass die SDAJ wieder häufiger mit Aktionen an hessischen Schulen und Berufsschulen in Erscheinung treten wird.

Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)

Ziele | Die maoistisch- stalinistisch orientierte MLPD versteht sich als „politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland“. Nach ihrem Selbstbild sieht sie sich als Teil der internationalen marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung, als Erbe der revolutionären Tradition der KPD, der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Führer Karl Marx, Friedrich Engels, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann. Sie bezeichnet sich selbst als radikal linke und revolutionäre Alternative zu allen anderen politischen Kräften in Deutschland. Ihre grundlegenden Ziele sind der „Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland“. Als Teil einer „internationalen sozialistischen Revolution“ soll die „Diktatur des Proletariats“ in den Aufbau der „vereinigten sozialistischen Staaten der Welt als Übergangsstadium zur weltweiten klassenlosen kommunistischen Gesellschaft“ münden.

Anhängerzahl – Strukturen | Auch wenn sich Anhänger der MLPD an Demonstrationen und Aktionen beteiligten, erhielt die Partei, der in Hessen etwa 80 Personen (rund 2.800 bundesweit) zuzurechnen waren, nahezu keine Aufmerksamkeit. Das lag vor allem an der weitgehenden Isolation der MLPD im linksextremistischen Spektrum.

Die MLPD war mit Ortsgruppen in über 450 Städten in Deutschland vertreten. Der MLPD-Landesverband Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland (RHS) hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main. In Hessen waren Ortsgruppen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) und Wiesbaden aktiv. Ebenso war der MLPD-Jugendverband REBELL in Hessen mit Ortsgruppen in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden vertreten. Des Weiteren existieren MLPD-Studiengruppen an den Hochschulen Darmstadt, Gießen und Wiesbaden/Standort Rüsselsheim.

„Gib Antikommunismus keine Chance!“ | Den thematischen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten legte die MLPD im Berichtsjahr auf ihre im Februar gestartete Kampagne „Gib Antikommunismus keine Chance!“ Die Kampagne wurde durch eine elf Punkte umfassende Erklärung ihres Zentralkomitees ins Leben gerufen. Hintergrund der Kampagne ist eine vermeintlich von Staat, Medien und verschiedenen weiteren Akteuren verfolgte Strategie zur Diffamierung des Kommunismus im Allgemeinen und der MLPD im Speziellen. In der Vergangenheit war dieses vermeintliche Bündnis von der MLPD als „gesamtgesellschaftliches Liquidatorentum“ bezeichnet worden.

Mit der Kampagne möchte die Partei aber auch das von ihr dominierte Internationalistische Bündnis stärken und Wähler werben, um im Wahlkampf ihre ideologische Überzeugung zu verbreiten und das derzeitige Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu diskreditieren („Beendigung des Krisenchaos des Kapitalismus und hin zum echten Sozialismus“). Im Berichtsjahr fand der 4. Bündniskongress des Internationalistischen Bündnisses in Kassel statt, welches von der MLPD 2016 gegründet wurde. 

Trotz der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Absage des Pfingstjugendtreffens sowie des Sommercamps in Thüringen von REBELL waren die Partei und ihr Jugendverband in Hessen nicht tatenlos. Sie haben sich im Rahmen der pandemiebedingten Möglichkeiten an breit gefächerten Kundgebungen und Demonstrationen unter anderem gegen Rassismus („Black Lives Matter“), gegen rechte Strukturen in Polizei und Verwaltung sowie gegen die sogenannten Querdenker beteiligt.

Ebenfalls konzentrierten sich die MLPD und REBELL weiterhin verstärkt auf die Kooperation mit kurdischen Gruppierungen und nahmen unter anderem an Kundgebungen gegen türkische Luftangriffe auf Kurdistan teil.

Ferner versuchte die MLPD im Berichtsjahr, die „Corona-Krise“ und deren Auswirkungen auf der Grundlage ihres ideologischen Weltbildes zu analysieren. Dazu veröffentlichte sie ein Corona-Sofortprogramm zur Beseitigung der Pandemie unter dem Slogan „Für wirksamen Gesundheitsschutz - Kampf dem Krisenchaos von Monopolen und Regierung“.

Rote Hilfe e. V. (RH)

Rote Hilfe e. V. (RH)

Ideologie – Strukturen – Anstieg der Mitgliederzahlen | In Anlehnung an die im Jahr 1924 in der Weimarer Republik von der KPD initiierte Rote Hilfe Deutschlands (RHD) versteht sich die RH laut ihrer Satzung als „parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“. Sie bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland als ein „nationalstaatlich fixiertes, bürgerlich kapitalistisches Herrschaftssystem, das von unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen (wie Rassismus oder Sexismus) strukturiert und geprägt“ werde. In Hessen verfügte die RH über Ortsgruppen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Marburg-Gießen und Wiesbaden. Ihr gehörten in Hessen etwa 700 Personen an, bundesweit 11.000.

„Rechtsberatung“ für politisch motivierte Straftäter | Die maßgeblich von Linksextremisten verschiedener Richtungen getragene RH unterstützt seit den 1970er Jahren inhaftierte bzw. inzwischen aus der Haft entlassene Mitglieder der mittlerweile aufgelösten linksterroristischen Roten Armee Fraktion (RAF). Neben politischer und finanzieller Hilfe versuchte die RH mittels „Rechtsberatung“ Personen, die politisch motivierte Straftaten begingen, der staatlichen Strafverfolgung zu entziehen oder sie bei ihren Verfahren zu unterstützen. Die RH empfahl daher den „Genoss_innen“ die „konsequente Aussageverweigerung“ als „beste Strategie im Umgang mit Repressionsbehörden“.

Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main begleitete im Berichtsjahr bei Strafprozessen vorwiegend Angeklagte, die „linken“ und linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnen waren. Auf ihrer Homepage wies die RH auf anstehende Prozesse hin und rief Sympathisanten zur „kritischen Prozessbegleitung“ auf, um sich solidarisch mit den Angeklagten zu zeigen.

Veranstaltungen | Am 10. Juli endete nach etwa eineinhalb Jahren der sogenannte Elbchaussee-Prozess gegen Teilnehmer an den eskalierenden Protesten anlässlich des G20-Gipfels im Jahr 2017 in Hamburg. In einer im Internet veröffentlichten Pressemitteilung „This is no justice, this is shit – Urteil nach 1,5 Jahren Elbchaussee-Prozess“ der RH heißt es unter anderem:

„Um einen ‚schädlichen Einfluss‘ durch die kritische Prozessbegleitung von solidarischen Strukturen wie der Roten Hilfe zu verhindern, fand der Prozess gegen die fünf Angeklagten die meiste Zeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die vier Angeklagten aus dem Rhein-Main-Gebiet gestanden ihre Teilnahme an dem Protestzug auf der Elbchaussee ein, bedauerten dessen Verlauf und die Form der Aktion, die nicht ihre sei. Das Gericht wertete die Einlassung ‚in der Nähe zur Reueerklärung‘, vermisste aber eine glaubwürdige Entschuldigung, so dass sie sich kaum strafmildernd auswirkten. Die Prozessstrategie, mit distanzierenden Aussagen einen Freispruch zu erreichen, ging somit nicht auf“.

Der Bundesvorstand der RH sowie die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main riefen zu einer Spendenkampagne „Spenden – Widerstand braucht Solidarität“ auf, damit „die Betroffenen mit finanziellen Folgen nicht alleine gelassen werden sind wir alle gefordert diese Kosten solidarisch zu teilen!“

Im Zusammenhang mit der seit etwa einem Jahr andauernden Besetzung des Dannenröder Walds kam es am 26. Oktober zu einer symbolischen Abseilaktion an drei Autobahnbrücken im Rhein-Main-Gebiet. Die Aktivisten hatten mit der Abseilaktion, die ein hohes Gefährdungspotenzial auch für Unbeteiligte darstellte, gegen die geplante Abholzung im „Danni“ ein Zeichen setzen wollen. Anlässlich der im Anschluss an diese Aktion erfolgten Untersuchungshaft gegen Aktivisten erklärte ein Angehöriger des Bundesvorstandes der RH in einer Pressemitteilung:

„Um sie unter Druck zu setzen, verschärfe die JVA-Leitung offenbar die Haftbedingungen mit allen Mitteln […] Obwohl die Coronaquarantäne längst abgelaufen sei, seien die Gefangenen weiter isoliert, müssten 23 Stunden täglich allein in der Zelle verbringen. Nachts würden sie alle ein- bis eineinhalb Stunden geweckt. Die Inhaftierten würden dabei solange angeleuchtet, bis die sich bewegten. Die Maßnahme werde mit einer angeblichen Suizidgefahr begründet“.

Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main rief in diesem Zusammenhang zu wöchentlichen Solidaritätsdemonstrationen unter dem Motto „Free them all“ vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankfurt am Main-Preungesheim auf. In diesem Zusammenhang mobilisierte sie für den Briefwechsel mit den Gefangenen.

Bewertung/Ausblick | Die RH nimmt weiterhin eine wichtige Rolle innerhalb der linksextremistischen Szene ein. Sowohl durch ihre „Solidaritäts- und Antirepressionsarbeit“ als auch durch ihre juristischen und finanziellen Unterstützungsleistungen verfügt die RH über eine hohe Reputation im gesamten Spektrum und stellt damit ein in der Szene verbindliches Element dar. Angesichts der von Linksextremisten behaupteten Zunahme der staatlichen „Repression“ wird die Bedeutung der RH weiterhin hoch bleiben oder sogar steigen. Die stetig wachsenden Mitgliederzahlen der vergangenen Jahre sprechen für eine solche Entwicklung.

Linksextremistische Straf- und Gewalttaten

Auffallend ist, dass im Berichtszeitraum die Zahl der Gewalttaten trotz der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einen teilweise erheblichen Anstieg aufweisen. Hintergrund dieses Anstieges sind maßgeblich die Proteste im Dannenröder Wald, die immer wieder von teilweise schweren Straftaten begleitet wurden. Als herausragend ist das Ereignis vom 23. November zu werten, als ein Halteseil einer Baumstammkonstruktion durchtrennt wurde, um diese auf Polizeibeamte stürzen zu lassen. Zudem war eine Serie von teilweise erfolgreichen Brandanschlägen im Zusammenhang mit dem Ausbau der A 49 auffallend, die in dieser Häufung und Qualität untypisch sind für Linksextremisten in Hessen. Demzufolge steht zu vermuten, dass aufgrund der großen überregionalen Bedeutung der Proteste im Dannenröder Wald und dem damit einhergehenden Zulauf von Personen aus anderen Bundesländern, wie etwa dem Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen, insbesondere die herausragenden Straftaten im Berichtszeitraum von Extremisten begangen wurden, die nicht Teil der Szene in Hessen sind. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

Linksextremisten begingen vor allem dann Gewalttaten, wenn sie diese relativ einfach, unbemerkt und ohne strafrechtliche Konsequenzen verüben konnten. Ihre Wirkung erzielten Linksextremisten dadurch, dass sie oft hohe Schäden anrichteten. Um für diese Taten eine Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen, wurden diese oft mit aktuellen Themen begründet oder als eine Form der Notwehr dargestellt. So wurde zum Beispiel hinsichtlich der militanten Protestformen im Dannenröder Wald ein Beitrag auf de.indymedia.org veröffentlicht mit den Worten:

„Im Danni passiert realer Widerstand! Nicht die Verschwommenheit und der faule Kompromiss, die wir in Leben und politischem Kampf in der Stadt/im System dauernd erleben müssen. Stattdessen eine klare Trennungslinie mit dem Feind“.

Die linksextremistische Szene belegte damit 2020 erneut die eigene Handlungsfähigkeit, zeigte zugleich aber auch, dass Straftaten gegen Personen nach wie vor allenfalls von einer Minderheit der Szene akzeptiert sind.

2020 2019 2018 2017 2016
Deliktart
Tötung
Versuchte Tötung 1
Körperverletzung 7 3 8 1 18
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 4 1 2 2 5
Landfriedensbruch 6 1 1 2
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr 1 1
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 15 1 2
Gewalttaten insgesamt 34 5 13 5 25
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 52 31 21 44 43
Nötigung/Bedrohung 3 2 1 3
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 21 29 12 11 19
Straf- und Gewalttaten insgesamt 110 65 48 61 90
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