Rechtsextremismus
Personenpotenzial – Gewaltpotenzial | Das rechtsextremistische Personenpotenzial wuchs im Berichtsjahr um 40 auf ein Potenzial von 1.660 Personen. Damit erreichte die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hessen den höchsten Wert im Fünf-Jahreszeitraum von 2016 bis 2020. Von diesem Personenpotenzial waren 51,8 (vorher 52%, Text kann daher so bleiben) Prozent (860 Personen) gewaltorientiert, damit änderte sich diese Quote nicht gegenüber dem Vorjahr, da auch das gewaltorientierte Spektrum einen Zuwachs verzeichnete.
Die Steigerung des rechtsextremistischen Personenpotenzials beruhte auf einem Zuwachs in den parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und im Bereich des lose strukturierten Personenpotenzials, während die Zahl bei den parteigebundenen Strukturen bzw. Parteien konstant (340) blieb.
Lose strukturierter Rechtsextremismus: Neonazis und subkulturell orientierte Rechtsextremisten | Der lose strukturierte Rechtsextremismus setzte sich aus dem neonazistischen Spektrum und subkulturell orientierten Rechtsextremisten zusammen, wobei beide Bereiche eine Schnittmenge aus den Kategorien parteiunabhängige/parteiungebundene Strukturen und weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial bildeten. Ist der Bereich Neonazismus im engeren Sinne mit dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus und dessen maßgeblichen Protagonisten gleichzusetzen, so werden ihm darüber hinaus Personen und Gruppierungen zugerechnet, die insbesondere rassistische und nationalistische Positionen vertreten, ohne dass sie dem legalistischen Rechtsextremismus angehören. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass Neonazis ihre Freizeit eher wie subkulturell orientierte Rechtsextremisten verbringen oder teilweise gemeinsam mit ihnen bei Demonstrationen auftreten. Allerdings gingen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Neonaziszene in Hessen deutlich zurück, wobei sich Rechtsextremisten aus Hessen – darunter Neonazis – an überregionalen „Anti-Corona-Protesten“ beteiligten.
Im September durchsuchte die Polizei in Wiesbaden die Wohnung eines Rechtsextremisten, nachdem zuvor in der Landeshauptstadt Aufkleber und Graffitis mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und volksverhetzenden Inhalten aufgetaucht waren. Der Rechtsextremist hatte im Internet eine deutsche Chatgruppe der amerikanischen Gruppierung National Socialist Club – Anti Communist Action (NSC 131) eröffnet. In der Wohnung stellte die Polizei unter anderem Stich-/Hieb- und Schusswaffen sicher.
Anfang Dezember verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die in mehreren Ländern aktive Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, da sie sich unter anderem gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. In Hessen durchsuchte die Polizei im Zuge der Vollstreckung des Verbots 20 Objekte und stellte Waffen, Munition sowie nationalsozialistische Devotionalien sicher. Acht führende Mitglieder der Gruppierung wohnten in Hessen.
Offensichtlich im Zusammenhang mit den staatlichen COVID-19-Bekämpfungsmaßnahmen ging in Hessen im Berichtszeitraum die Zahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen zurück: Es fand lediglich ein Liederabend statt (2019: vier Musikveranstaltungen). In Leun (Lahn-Dill-Kreis) sorgte ein Liedermacher für das musikalische Begleitprogramm beim Neujahrsempfang der Fraktionen Leun und Wetzlar der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD).
Mit dem Ziel, rechtsextremistische Musikveranstaltungen unter Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten zu verhindern oder aufzulösen, stand die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten nach wie vor im Fokus des LfV. Aufgrund ihres Erlebnischarakters bietet Musik für Jugendliche verschiedene Identifikationsmöglichkeiten: das Pflegen eines stark emotionalisierten Gemeinschaftsverständnisses, das Beschwören von Feindbildern („Migranten“, „Juden“, „Staat“ und dessen Repräsentanten), das Verherrlichen von Gewalt sowie das Verharmlosen und Glorifizieren des Nationalsozialismus.
Affinität zu verbaler und körperlicher Gewalt | Die Anzahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten in Hessen (860) erreichte ebenso wie die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten (42) den höchsten Wert im Fünf-Jahreszeitraum. Besorgniserregend ist, dass nicht nur die Zahl der Gewaltdelikte um 35 Prozent stieg, sondern die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten um 37 Prozent zunahm. Erstmals überschritt die Gesamtzahl im Fünf-Jahreszeitraum 2016 bis 2020 mit 1.216 Delikten (2019: 886) die Tausender-Marke.
Unverändert besteht die Gefahr, dass einzelne Szeneangehörige aufgrund ihrer persönlichen Situation, ihres sozialen Umfelds, ihrer Beeinflussung durch außen und ihres Radikalisierungsgrads zu Kurzschlusshandlungen neigen, die in Gewalt münden. Die im Rahmen der „Anti-Corona-Proteste“ entstandenen Emotionalisierungen – oft im Verbund mit Verschwörungsnarrativen – verstärken diese vom Rechtsextremismus ausgehende Gefahr offenbar nicht nur, sondern begünstigen auch in anderen Teilen der Gesellschaft ein Klima des „Widerstands“, das einen Radikalisierungsfaktor darstellen kann. In einem nicht zu erwartenden Ausmaß fielen im Rahmen der „Anti-Corona-Proteste“ beleidigende und hetzerische Äußerungen gegenüber Migranten sowie gegenüber demokratischen Institutionen und deren Repräsentanten. Diese Aggression wurde darüber hinaus von Menschen akzeptiert, die sich bislang nicht dafür empfänglich zeigten und/oder sich nicht im Umfeld von Extremisten bewegten.
Sonderauswertungsgruppe (SAW) | Umgehend nach der Festnahme des dringend Tatverdächtigen Stephan E. im Mordfall Dr. Walter Lübcke wurde im LfV eine Sonderauswertungsgruppe (SAW) gebildet, deren zentrale Aufgabe darin bestand, nachrichtendienstliche Ermittlungen hinsichtlich der Existenz möglicher rechtsextremistischer/-terroristischer Bestrebungen durchzuführen. Dabei hatte die SAW auch die Reaktionen der rechtsextremistischen Szene auf den Mord sowie auf die Inhaftierung der Tatverdächtigen im Blick.
Aufgabe der SAW war es, die Ermittlungen des zuständigen Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof bestmöglich zu unterstützen. Hierfür stand das LfV im stetigen und engen Austausch mit dem Generalbundesanwalt. In diesem Kontext wurden die im LfV vorhandenen Erkenntnisse zu den Tatverdächtigen dem Generalbundesanwalt vollumfänglich übermittelt. Darüber hinaus fungierte die SAW im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts als Informationsschnittstelle zwischen der hessischen Polizei und dem Verfassungsschutzverbund. Am 29. April 2020 erhob der Generalbundesanwalt beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main Anklage gegen die Tatverdächtigen. Der Prozess wurde am 16. Juni 2020 eröffnet. Mit Urteil vom 28. Januar 2021 wurde der Angeklagte durch das OLG Frankfurt wegen Mordes an Dr. Walter Lübcke zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Durch das Gericht wurde darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bearbeitung integrierter bzw. abgetauchter Rechtsextremisten (BIAREX) | In Anbetracht der Erkenntnisse im Mordfall Dr. Lübcke wurde am 23. Juli 2019 in der Abteilung 2 des LfV (Rechtsextremismus/-terrorismus) die Organisationseinheit BIAREX geschaffen. Sie unterzieht Rechtsextremisten, die in der Vergangenheit zwar einschlägig rechtsextremistisch in Erscheinung getreten sind, in der Gegenwart aber – womöglich bereits seit vielen Jahren – eine unauffällige Biographie aufweisen, sukzessive einer vertieften Einzelfallanalyse. Dabei wird insbesondere überprüft, ob aktuell Radikalisierungspotenziale feststellbar sind oder ob eine Loslösung von der rechtsextremistischen Szene plausibel erscheint. Durch die fokussierte Analyse von Einzelpersonen sollen Radikalisierungspotenziale frühzeitig erkannt werden, sodass Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Der Ansatz einer vertieften Individualanalyse mit standardisierten Betrachtungsebenen stellt eine Ergänzung der bisherigen Methoden der Auswertung und einen weiteren Schritt im Ausbau der Analysekompetenz des LfV dar.
Die vertiefte Einzelfallanalyse durch BIAREX erfolgt auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den Bereichen der Extremismusforschung, Kriminologie und Soziologie unter Anwendung eines standardisierten Mehraugenprinzips. Von besonderer Bedeutung ist für die Analyse die Betrachtung des individuellen Verhaltens, eingebettet in die biographischen und sozialen Rahmenbedingungen der jeweiligen Person. Hierbei soll die jedem Einzelfall inhärente individuelle Einstellung aufgedeckt und hieraus individuelle Handlungsmuster abgeleitet werden. Hierzu werden Erkenntnisse biographisch aufbereitet und durch geeignete Maßnahmen – wie die Informationserhebung bei anderen Behörden, Ermittlungen oder die Recherche im Internet nach (Selbst-)Darstellungen der Person – ergänzt. Es wird somit der Rückgriff auf generalisierende und simplifizierende Muster vermieden.
Im Rahmen einer datenschutzrechtlichen Sonderprüfung wurden bislang rund 2.750 Datensätze des LfV aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus einer retrograden Prüfung unterzogen. Sie hat das Ziel, die beim LfV aufgrund des seit Juli 2012 bestehenden „Lösch-Moratoriums“ gesperrten Datensätze aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus einer kritischen Nachprüfung zu unterziehen. Bei etwa 1.200 dieser 2.750 Datensätze wurden Anhaltspunkte für möglicherweise erhöhte Gefährdungsaspekte festgestellt. Im Rahmen einer darauf aufbauenden Einzelfallprüfung wurde bislang bei rund 450 Datensätzen eine erneute inhaltliche fachliche Befassung zur weiteren Aufklärung bzw. zur Erkenntnisverdichtung durch BIAREX angestrengt. Davon wurden bislang rund 150 Datensätze abschließend bewertet und hiervon 50 Datensätze nach Neubewertung der vorliegenden Informationen in die aktive Befassung überführt.
Fokussierte operative Bearbeitung herausragender Akteure im Rechtsextremismus (FOBAREX) | Außerdem wurde im LfV am 1. September 2020 die Einheit FOBAREX geschaffen, um die Bearbeitung des personenbezogenen Ansatzes im Phänomenbereich Rechtsextremismus zu intensivieren. Dabei nahm FOBAREX Rechtsextremisten in den Fokus, die als besonders relevant eingestuft werden. FOBAREX unterzog Rechtsextremisten, auf die folgende Merkmale zutrafen, einer engmaschigen qualitativen personenspezifischen Analyse:
- Vorhandensein eines vergleichsweise hohen Radikalisierungspotenzials,
- Tätigkeit als Vernetzungsakteure, wobei sie in besonderem Maße zur Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene beitragen,
- oder ihren Schwerpunkt im Bereich rechtsextremistischer Aktivitäten (etwa als Initiatoren von Veranstaltungen) haben.
Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden verwendet, um ein stets aktuelles Lagebild zu Personenkonstellationen, Strukturen und Gefährdungspotenzialen in Hessen zu erstellen.
Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH) | Nachdem 2019 die Aktivitäten der IBH zurückgegangen waren, nahmen sie im Berichtsjahr wieder zu. So verteilte die IBH im Rahmen der IBD-Kampagne „4 Millionen – die Migrationswaffe“ in verschiedenen hessischen Orten entsprechende Flyer, um sich als letzte Verteidigungslinie des „Abendlandes“ zu präsentieren. Als Reaktion auf die Entfernung des Begriffs „Identitäre Bewegung“ aus dem Suchindex von Google und der Löschungen aus Facebook, Instagram und Twitter rief die IBD dazu auf, nunmehr Telegram zu benutzen und den IBD-Newsletter zu beziehen. Mit ihrer „Identitären Sommertour“ wollte die Identitäre Bewegung (IB) gegen diesen „sanften Totalitarismus“ des Löschens in „100 Städten in ganz Deutschland“ protestieren. Die IBH beteiligte sich, indem sie in etlichen hessischen Orten Infostände aufbaute.
Die 2019 verlorene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit versuchte die IB durch spektakuläre Aktionen zurückzugewinnen. So besetzte sie in Köln (Nordrhein-Westfalen) das Dach des WDR-Gebäudes, veröffentlichte im Internet als Warnung vor der „Gefahr [des] islamistischen Terrors“ eine „Gefährder-Map“ und schuf als Reaktion auf eine fiktive Gruppierung in einer Folge der Krimireihe Tatort zeitweise tatsächlich aktive Strukturen der Gruppierung „Junge Bewegung“.
Hervorzuheben ist, dass sich die IB in einem über ihr „Identitäres Sommerlager“ gedrehtes Video neuerdings gewaltorientiert darstellte. Unter ausdrücklichem Bezug auf den antiken Kriegerstaat Sparta waren in dem Beitrag einheitlich bekleidete Personen bei Lauf-, Schwimm, Kletter- und Kampfsportübungen zu sehen. Daher beobachtet das LfV fortan vor allem, ob in Hessen die IB diesen militanten Bezug forcieren und ob sich hieraus eventuell eine Änderung in ihrer Ideologie und Zielsetzung ergeben wird.
Der Flügel – Junge Alternative (JA) | Als Reaktion auf die Einstufung des Flügels als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV forderte der Bundesvorstand der Alternative für Deutschland (AfD), dass sich der parteiinterne Flügel bis zum 30. April 2020 aufzulösen hat. Dabei wurde die Gesamtpartei AfD im Berichtsjahr vom Verfassungsschutz nicht als rechtsextremistisch bewertet und somit auch nicht beobachtet. Sowohl bundes- als auch hessenweit kamen die Angehörigen des Flügels der Aufforderung der Parteiführung nach.
Die JA, die Jugendorganisation der AfD, war in Hessen vor allem in den sozialen Medien aktiv, wobei sie sich auf Beiträge zur Asyl- und Migrationspolitik fokussierte. Patrick Pana, Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen und Angehöriger des mittlerweile aufgelösten Flügels, bekannte sich zu Inhalten, Gruppierungen und Personen aus dem Spektrum der Neuen Rechten. Die Schriften des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci bezeichnete er als unabdingbar für eine „fundierte Theoriebildung“.
NPD – Junge Nationalisten (JN) | Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie und der gegen sie ergriffenen staatlichen Maßnahmen konzentrierte sich die NPD auf die Verbreitung entsprechender Kommentare in den sozialen Medien und im Internet. Die Partei forderte „dauerhafte Einreisekontrollen“ und die „ökonomische Deglobalisierung“, außerdem verunglimpfte sie migrantisch geprägte Bevölkerungsteile als „Invasoren“, die es „mit der Hygiene nicht allzu genau nähmen“. Die NPD, der das Bundesverfassungsgericht 2017 bescheinigte, dass sie darauf aus ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden, rief dazu auf, „für unsere Grundrechte auf die Straße [zu] gehen“: „Aufstehen, Rausgehen, die Faust heben! Widerstand!“ Die NPD sprach von „Corona-Schwindel“ und „Corona-Wahnsinn“ und forderte dazu auf, in Berlin für die „Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben und gegen die Willkür von Politik und staatsdienender Presse“ zu demonstrieren. In Hessen führte die NPD nur wenige Veranstaltungen durch.
Auf dem Landesparteitag bestätigten die Delegierten der NPD Hessen im Oktober Daniel Lachmann als Landesvorsitzenden. In seiner Rede nannte er es als Ziel, bei der hessischen Kommunalwahl im März 2021 „zu möglichst vielen Stadt- und Gemeindeparlamentswahlen […] mit Listen anzutreten, damit auch dem Wähler die Chance zur Stimmabgabe für die nationale Oppositionspartei gegeben wird“. Allerdings büßte die NPD im Vergleich zur letzten Kommunalwahl 4.205 Stimmen (= 0,2 Prozentpunkte) ein und erhielt 1.799 Stimmen (= 0,1 Prozent).
Auch die JN kritisierten im Zuge der COVID-19-Pandemie die Globalisierung: „Sie importiert Unsicherheit, Terror und Kriminalität!“ Um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, organisierten die JN die „Internet-Demo“ „#SystemExit“, bei der Bilder von JN-Angehörigen bei Banner- und Klebeaktionen – vorwiegend in Nord- und Ostdeutschland – gezeigt wurden. In Hessen führten die JN die Kampagne „schülersprecher.info“ fort. Dabei wurden mindestens an zwei Schulen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und an einer Schule in Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis) Aufkleber bzw. Plakate angebracht.
Der Dritte Weg/Der III. Weg – DIE RECHTE | Im Rahmen ihrer deutschlandweiten Kampagne „Das System ist gefährlicher als Corona“ kritisierte auch die neonazistische Partei Der Dritte Weg die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe. Die Partei DIE RECHTE sprach sogar von einer „Seuchen-Diktatur“. Der Dritte Weg bot auf seiner Homepage in einer bundesweiten Aktion „Nachbarschaftshilfe“ an; regional begrenzt – allerdings nicht in Hessen – tat dies auch DIE RECHTE. Insbesondere Der Dritte Weg instrumentalisierte die Pandemie, um Stimmung gegen die angebliche „zunehmende Überfremdung“ und die damit vermeintlich einhergehende „Islamisierung Deutschlands“ zu machen. So sprach die Partei verächtlich von „Steinzeit-Muslimen“ und veranstaltete im Mai in Haiger (Lahn-Dill-Kreis) eine Kundgebung unter dem Motto „Ja zum Verbot des Muezzin-Rufs! Corona[-]Sonderregelungen sind keine Türöffner für Überfremdung!“ Noch vor dem Ausbruch der Pandemie führte Der Dritte Weg seinen traditionellen „Gedenkmarsch“ („Wir tragen das Licht für Dresden“) durch, der dieses Mal in Fulda (Landkreis Fulda) startete.
Seine Kandidatur für die Bürgermeisterwahl in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis) zog der Landesvorsitzende der Partei DIE RECHTE, Mike Guldner, Mitte Februar zurück. Am Anfang des Monats hatte die Polizei seine Wohnung wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz durchsucht. Darüber hinaus verurteilte im November das Amtsgericht (AG) Schwalmstadt Guldner rechtskräftig wegen einer gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung und einer Sachbeschädigung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Der Tat hatte eine fremdenfeindliche Motivation zugrunde gelegen.
Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten | Die Gesamtzahl der Straftaten der PMK -rechts- im Zusammenhang mit dem Thema „Asyl-/Flüchtlinge“ nahm im Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr deutlich zu. Sie erhöhte sich um 75 Prozent von 40 (2019) auf 70 Delikte und erreichte damit innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums von 2016 bis 2020 den zweithöchsten Wert (Höchststand 2016 mit 91 Delikten).
Die Zahl der gegen Asylbewerber/Flüchtlinge gerichteten Straftaten nahm im Bereich der PMK -rechts- um 30 Delikte (2019: 36) zu, was einer Steigerung um 83 Prozent entsprach. Auch im Berichtsjahr kam es wieder zu einem Gewaltdelikt: In der S-Bahn in Frankfurt am Main beleidigte ein unbekannter Täter eine Asylbewerberin aus Syrien in rassistischer Weise, bedrohte sie und trat ihr in den Bauch. Auch kam es im Gegensatz zum Vorjahr wieder zu einer gegen Hilfsorganisationen und Helfer gerichteten Straftat (2019: keine).
Der deutliche Anstieg (75 Prozent) der Gesamtzahl der Straftaten der PMK -rechts- im Zusammenhang mit dem Thema „Asyl-/Flüchtlinge“ resultierte offenbar zu einem Teil aus der „Corona-Krise“, für die Rechtsextremisten unter anderem Migranten verantwortlich machten und versuchten, eine entsprechende feindselige Stimmung gegen sie in der Bevölkerung zu entfachen.