Liebe Bürgerinnen und Bürger,
der schreckliche Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz hat tiefe Wunden in der Bundesrepublik hinterlassen – das gilt zuerst für die Familien und Angehörigen der unschuldigen Opfer, aber auch für jeden anderen in unserem Land. Er hat die Verwundbarkeit unserer freiheitlichen Gesellschaft schmerzlich offenbart und gezeigt, dass es in unserem demokratischen Staat keine absolute Sicherheit geben kann. Gleichzeitig hat uns dieser barbarische Akt des Terrors aber auch vor Augen geführt, dass das Thema Sicherheit in Deutschland bedeutsamer denn je ist. Das gilt auch für Hessen.
Umso wichtiger ist es, dass die Sicherheitsbehörden in unserem Land konsequent gegen islamistische Extremisten vorgehen: Im November 2016 wurde die Vereinigung „Die wahre Religion“ und der damit verbundenen „Lies!“-Aktion auf beharrliches Betreiben Hessens bundesweit verboten und damit ein wesentlicher Radikalisierungsfaktor ausgelöscht. Die Botschaft in die radikal-islamistische Szene war ebenso eindeutig wie die Zerschlagung eines weitverzweigten salafistischen Netzwerks in Hessen Anfang Februar 2017 sowie das Verbot des Kasseler „Almadinah Islamischer Kulturvereins“ im März 2017. Der Verein förderte ein jihadistisch-salafistisches Netzwerk und bot in der Medina-Moschee eine Plattform für den Austausch und Aufruf zu Hass und Gewalt gegen andere Religionsgruppen, Staaten und Völker.
Mit Blick auch auf zukünftige Anforderungen und Aufgaben war es in der 70-jährigen Geschichte Hessens nie wichtiger, dass wir über starke und leistungsfähige Sicherheitsbehörden verfügen. Deshalb hat die Hessische Landesregierung im letzten Jahr die richtigen Weichen gestellt und stärkt neben der Polizei auch das Landesamt für Verfassungsschutz mit einem historischen Stellenplus von rund 30 Prozent bis Ende 2017. Wir stellen unsere Sicherheitsbehörden personell aber auch materiell bestmöglich auf, um sie für den Kampf gegen den Terror und die zahlreichen weiteren Herausforderungen – allen voran der aufkeimende Rechtsextremismus – bestmöglich zu rüsten.
Der vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren müssen wir uns gegenwärtig sein. Mit der Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und den daraus gezogenen staatlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen ist die Gefahr eines Rechtsterrorismus keineswegs gebannt. Auf Kosten von Leib und Leben der in Deutschland Schutz suchenden Menschen wollen Rechtsextremisten unsere Gesellschaft spalten und in ihrem Sinne grundlegend verändern. Das zeigt die Existenz der rechtsextremistischen Gruppen „Old School Society“ und „Freital“, gegen die Ermittlungsverfahren laufen bzw. bereits abgeschlossen sind, deutlich. Zudem stiegen die Zahlen der Politisch Motivierten Kriminalität in Hessen im Jahr 2016 auf 799 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Zugleich ersinnen Rechtsextremisten immer wieder neue Mittel und Wege, um ihre menschen- und demokratiefeindlichen Ziele zu erreichen. So gilt es, Phänomene wie etwa die Identitäre Bewegung, welche die antidemokratischen Ideen der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik neu verpackt, als rechtsextremistisch zu entlarven und über die Gefährlichkeit der Reichsbürger- und Selbstverwalterbewegung zu informieren.
Gegen jegliche Ausprägungen von Extremismus ist neben den Sicherheitsbehörden aber auch unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft aufgefordert, deutlich Position zu beziehen. Nur so ist unsere Demokratie zu schützen und die Sicherheit für die in Hessen lebenden Menschen zu gewährleisten. Eine wesentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes in Hessen ist es, einen substanziellen Beitrag zu Ihrem Wissen über Extremismus und dessen Gefahren als mündige und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger zu leisten.
Nicht außer Acht zu lassen bleibt gleichzeitig der Linksextremismus, der sein Gewaltpotenzial auf erschreckende Weise unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg offenbarte. Die blinde Zerstörungswut der linksextremistischen Szene gegenüber Eigentum der Hamburger Bürger und die Brutalität gegenüber den Einsatzkräften ist einmal mehr ein trauriger Beleg dafür, dass Linksextremisten keine verkannten Weltverbesserer sind, sondern eine Gefahr für den Staat und seine Bürger darstellen. Die szeneimmanente Nichtanerkennung des staatlichen Gewaltmonopols zeigte im Jahr 2016 aber auch in Hessen in einer niedrigen Hemmschwelle zur Gewaltanwendung, insbesondere zum Nachteil von Einsatzkräften im Rahmen von direkten Aufeinandertreffen. Die Statistik zur Politisch Motivierten Kriminalität weist für diesen Bereich mehr als 90 linksextremistische Straftaten im Jahr 2016 aus.
Repressive Maßnahmen sind unabdingbar notwendig, um für die Sicherheit der Menschen in Hessen zu sorgen. Darüber hinaus ist die Präventionsarbeit ein zentraler Bestandteil der Extremismusbekämpfung. So stellt die Hessische Landesregierung im Jahr 2017 rund vier Millionen Euro für das „Landesprogramm Hessen − aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ zur Verfügung, wobei davon mehr als 1,5 Millionen Euro in die Bekämpfung des Rechtsextremismus und rund 1,2 Millionen Euro in das Präventionsnetzwerk gegen Salafismus fließen, um gefährdete junge Menschen sowie betroffene Eltern zu beraten und zu unterstützen. Das Landesamt für Verfassungsschutz wiederum steigerte die Zahl seiner Präventionstermine in den letzten fünf Jahren kontinuierlich und arbeitet mit Schulen, Hessischen Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge und kommunalen Einrichtungen und vielen anderen Institutionen zusammen. Dies entspricht dem in Hessen vorbildlich praktizierten ganzheitlichen Präventionsansatz, in dessen Rahmen staatliche Verantwortung und gesellschaftliches Engagement ein ausgewogenes Gleichgewicht finden.
Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes in Hessen danke ich für ihre Arbeit und für ihren Einsatz. Aufgrund der Informationen, die der Verfassungsschutz gewonnen und zusammengetragen hat, können Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, sich einen Überblick über extremistische Bestrebungen in Hessen verschaffen. Nur informierte, politisch interessierte und engagierte Demokratinnen und Demokraten sind in der Lage, für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Landes einzutreten.
Peter BeuthHessischer Minister des Innern und für Sport