Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH)
Die IBD ist innerhalb des Rechtsextremismus ein relativ neues Phänomen, das sich „modern“, „intellektuell“ und aktionsorientiert präsentiert und in seiner Bildersprache etliche Elemente der Popkultur verwendet. Typisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie etwa „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ gehören nicht zum Vokabular der IBD, stattdessen verwendet sie „Identität“ und „Ethnie“ als Chiffren. In dieser Verkleidung versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe spektakulärer Aktionen vor allem internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen. So will die IBD eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung etablieren. Vor allem über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versuchte sie Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit bislang verpöntes rechtsextremistisches Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. So sagte ein Vertreter der Identitären Bewegung: „Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht“. (Schreibweise wie im Original.)
Bundesvorsitzender: |
Nils Altmieks (Bayern) |
Angehörige: |
In Hessen etwa 40, bundesweit mehr als 300 |
Medien: |
Internetpräsenzen |
Sowohl bundes- als auch hessenweit nahmen die Aktivitäten der Identitären Bewegung im Berichtsjahr zu. Sie versuchte, mit möglichst geringem Einsatz von Kräften und Mitteln größtmögliche mediale und öffentliche Aufmerksamkeit zu erringen, indem sie etwa im August in Berlin das Brandenburger Tor besetzte. In einem Interview mit der Wochenzeitung Junge Freiheit sagte Ende September ein führender Angehöriger der Identitären Bewegung: „Wir sind kreativ, dynamisch und überraschend. […] Wir adaptieren Aktionen der Studentenbewegung oder von Greenpeace: Begrenzte Regelübertretung, ziviler Ungehorsam, Überraschungsmoment und ja, auch Spaßaktionen. Letzteres haben ein enormes Potential, denn nichts hat die linke Multikulti-Schickeria weniger als Humor“. Über die einzelnen Aktionen veröffentlichte die IBD Berichte mit Fotos bzw. Videos auf ihrem Facebook-Profil. Auf diese Weise versuchte sie nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern auch die eigenen Aktivisten zu motivieren. So hieß es in einem Video der IBH auf Facebook: „In Zeiten der Unterdrückung dient die Information als Notwehr. Möchtest auch Du aktiv werden und Teil einer dynamischen Jugendbewegung sein? Dann melde Dich bei der Identitären Bewegung Hessen!“
Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihrer Facebook-Seite auf den Protest gegen die „Einwanderung“ und die Flüchtlingspolitik. Zum Beispiel zeigte ein am 20. Mai veröffentlichtes „Aktionsvideo […], wie Aktivisten der IB Ortsgruppe Frankfurt mitten im Herzen der 68er und Multikultis ein deutliches Zeichen für Heimat, Freiheit und Tradition setzen“. Darauf war eine nächtliche Verteilung von Flyern zu sehen.
Darüber hinaus führte die IBH überwiegend Spray- und Aufkleberaktionen − etwa in Frankfurt am Main und Schwalmstadt (Schwalm-Eder-Kreis) – durch. Unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Kassel sowie im Lahn-Dill-Kreis − klebten IBH-Aktivisten Plakate und hängten Banner auf. In Darmstadt und Kassel wurden Flyer verteilt:
- So brachten IBH-Aktivisten Ende März in der U-Bahnstation Dom/Römer in Frankfurt am Main Aufkleber mit der Aufschrift „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ an.
- Am 9. und 10. Juli führte die IBD eine bundesweite Aktion zum Thema „Flüchtlingskrise und Willkommenskultur“ durch. Mit Aktionen an den Hauptbahnhöfen in Hamburg, Frankfurt am Main und München sollte auf die − aus Sicht der IBD − „verfehlte Einwanderungspolitik“ der Bundesregierung und das hierdurch in Deutschland angeblich entstandene „Asylchaos“ hingewiesen werden. Auf ihrer Facebook-Seite beschrieb die IBH ihre nicht angemeldete Aktion im Frankfurter Hauptbahnhof und dokumentierte sie mit Fotos: Etwa ein Dutzend Personen hielt kleine Schilder mit Parolen wie „Willkommen IS“, „Ihr bezahlt unsere Rente“ und „Steinigung ist Menschenrecht“ in die Höhe.
- Ende Juli malten IBH-Aktivisten in Frankfurt am Main sowohl vor dem Dom als auch vor der Paulskirche und dem Goethe-Denkmal mit Kreide Personenumrisse auf dem Boden auf. Diese ähnelten Tatortaufnahmen der Polizei nach Tötungsdelikten. Die Aktivisten versahen die Umrisse mit blutroter Farbe und der Aufschrift „Integration ist eine Lüge! # Remigration“. Die IBH bezog sich mit dieser Aktion auf den islamistischen Terroranschlag in Rouen (Frankreich) am 26. Juli, bei dem ein katholischer Priester ermordet worden war. Vergleichbare Aktionen führte die IBH im September in Bad Nauheim (Wetteraukreis) und in Frielendorf (Schwalm-Eder-Kreis) durch.
- Ende Oktober ließen sich in Kassel IBH-Aktivisten mit einem Plakat („Angela Merkel stoppen“) und Fahnen vor der Herkules-Statue für einen entsprechenden Facebook-Eintrag fotografieren.
- Am 17. Dezember hängten Aktivisten großflächige Transparente mit der Aufschrift „Weihnachten mit Frau und Kind! Remigration jetzt“ an Kaufhäusern in Gießen (Landkreis Gießen) und Kassel auf.
- An Silvester besprühte die IBH Betonabsperrungen, die nach dem islamistisch motivierten Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt zum Schutz der Silvesterfeierlichkeiten in Frankfurt am Main aufgestellt worden waren, mit der Aufschrift „Danke Merkel“.
Außerdem veranstaltete die IBH Stammtische und nahm an weiteren medien- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen teil:
- Anlässlich des „Tages der offenen Tür“ der Bundesregierung, der unter anderem unter dem Motto „Migration und Integration“ stand, besetzen Aktivisten der IBD das Brandenburger Tor, befestigten Transparente („Sichere Grenzen − Sichere Zukunft“, „Grenzen schützen − Leben retten“, „Identitäre Bewegung“), schwenkten Fahnen und brannten Feuerwerkskörper ab.
- Zwei Tage nach dem islamistischen Terroranschlag in Berlin blockierten Aktivisten der IBD am 21. Dezember den Zugang zur CDU-Bundesgeschäftsstelle in Berlin und zeigten Plakate mit der Aufschrift „Grenzen schützen − Leben retten“.
- Am 28. Dezember brachten IBDAktivisten an der Fassade des Kölner Hauptbahnhofs ein Banner mit dem Aufdruck „Nie wieder Schande von Köln! # Remigration“ an.
Rechtsextremistisches Merchandising | Um ihre primäre Zielgruppe, das heißt Jugendliche und junge Erwachsene, zu erreichen und eine eigene Jugendbewegung zu etablieren, bot die IBD über Online-Versandhäuser entsprechende Produkte an. Unter anderem in einem „IB-Laden“, der mittels einer eigenen Internetseite sowie über Facebook diverse Produkte offerierte, „kann sich jeder patriotische Aktivist mit neuem Material ausstatten“. Das Warenangebot umfasste unter anderem Bekleidung wie T-Shirts, Aufkleber („Revolte gegen den großen Austausch“, „Multikultur ist eine Lüge!“) und Flugblätter.
Die IBD gründete sich im Oktober 2012 als Facebook-Gruppe und erhielt in kürzester Zeit große Zustimmung. Bis Ende 2012 waren es etwa 1.600 Likes im Internet, bis Ende 2016 mehr als 40.000. Die IBD sieht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire − Le mouvement social européen, das heißt der späteren Génération Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein „Vorbild“.
Die „erste größere Aktion“ der GI − so ihre eigene Einschätzung − fand im Oktober 2012 statt, als 60 bis 80 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im „Kampf für unsere Identität“ besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten:
„Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden“.
Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video „Kriegserklärung − Identitäre Generation“. Darin hieß es unter anderem:
„,Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: Dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung. Aber sie haben es nur geschafft sich von ihrer Verantwortung zu befreien. Wir lehnen unsere Geschichtsbücher ab um unsere Erinnerung wiederzugewinnen. […] Unser Erbe ist unser Land, unser Blut, unsere Identität‘“.
(Schreibweise wie im Original.)
Nach der Veröffentlichung des Videos, das sich rasch europaweit in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) verbreitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der Identitären Bewegung aktiv, zunächst „virtuell“ im Internet, dann aber auch zunehmend „real“, indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der Identitären Bewegung zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien. Zu der Veranstaltung wurden im Internet unter anderem folgende plakative programmatische Schlagworte veröffentlicht:
„,Europa steht auf dem Spiel. Keine Kinder. Massenzuwanderung. Dekadenz & Kulturverfall. Islamisierung. Selbsthass. Fremdenliebe. Wirtschaftskrise. Asylbetrug. Rechtsfreie Räume. Scharia-Zonen. Migrantengewalt. Political Correctness. Wenn wir jetzt nichts tun, waren wir die letzte freie Generation Europas. Wir müssen jetzt handeln! Reconquista oder Eurabia‘“.
(Schreibweise wie im Original.)
In Hessen trat die Identitäre Bewegung seit Ende 2012 mit Plakat- und Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente; in der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die „Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern“.
„Ethnopluralismus“ | Die IBD propagiert einen europäischen „Ethnopluralismus“, womit sie die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Völker meint. Sie betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in großer Nähe zur Ideologie des völkischen Kollektivismus von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht in seiner Individualität, sondern vorrangig als Teil eines völkischen, von der ethnischen Herkunft bestimmten Kollektivs wahr.
In dem von der IBD propagierten Konzept des „Ethnopluralismus“ sind Staaten ethnisch und kulturell homogen, fremde ethnische und kulturelle Einflüsse beschreibt sie als schädlich. Im Rahmen der im Jahr 2015 initiierten Kampagne „Der große Austausch“ behauptete die IBD, durch die „Masseneinwanderung“ finde ein „reiner Bevölkerungsaustausch statt, bald würden „ganze Landstriche und Länder ‚gekippt‘ und ausgetauscht“ sein. Es sei ein „wahnwitziges soziales Experiment“, das kein Zufall sei. Dahinter steckten, so die IBD, unter anderem die „Kriegs- und Wirtschaftspolitik der USA“ und die „ausbeuterische Globalisierung“. Ihr Ziel sei ein „multikulturalisiertes“ Deutschland ohne Identität, Heimatverbundenheit, Patriotismus und Traditionen.
Geistige „Vorbilder“ | Mit ihrem Konzept des „Ethnopluralismus“ lehnt sich dieIBD ideologisch-programmatisch an die Ideen der antiliberalen, antidemokratischen Konservativen Revolution in der Weimarer Republik (1918 bis 1933) an. Darüber hinaus prägten die kulturkämpferischen Konzeptionen der in Frankreich Ende der 1960er Jahre entstandenen Nouvelle Droite (Neue Rechte) das Ideologieverständnis der IBD.
Darüber hinaus empfahl die IBD im Berichtszeitraum die Lektüre eines Aufsatzes des italienischen Faschisten Julius Evola (1898 bis 1974). Darin setzt sich dieser für den Aufbau eines Führerstaates ein. Die IBD kommentierte: „Bestechen tut der Aufsatz vor Allem durch die Unbedingtheit seiner Feindbestimmungen und die Unerbittlichkeit seiner Analyse“.
Das Politikverständnis der IBD ist außerdem von dem Freund-Feind-Denken des Staatsrechtslehrers Carl Schmitt (1888 bis 1985) geprägt. Dieser war aufgrund seines Einflusses nicht nur ein unheilvoller Wegbereiter des Nationalsozialismus, sondern hatte während des Terrorregimes unter anderem als Präsident der Vereinigung nationalsozialistischer Juristen fungiert. So verlinkte die IBD im Jahr 2015 auf ihrer Facebook-Seite einen Beitrag über Schmitt, dessen „Portrait“ sich auf der Internetseite der deutschen Identitären Generation befand. Mit dem Kommen-tar „Warum seine Demokratietheorie und Liberalismuskritik auch heute noch wichtiges Rüstzeug für jeden Identitären sind“, bezog sich die IBD positiv auf das „Portrait: Carl Schmitt“. Darin zitierte die Identitäre Generation, die der IBD nahesteht, aus dessen Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923) wie folgt:
„,Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird‘“.
(Schreibweise wie im Original.)
In der Originalschrift Schmitts wird dessen krudes Demokratieverständnis noch deutlicher. Dort heißt es im Anschluss an den von der Identitären Generation zitierten Satz:
„Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens − nötigenfalls − die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Zur Illustrierung dieses Satzes sei mit einem Wort an zwei verschiedene Beispiele moderner Demokratien erinnert: an die heutige Türkei mit ihrer radikalen Aussiedlung der Griechen und ihrer rücksichtslosen Türkisierung des Landes − und an das australische Gemeinwesen, das durch Einwanderungsgesetzgebung unerwünschten Zuzug fernhält […]. Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß“.
(Schreibweise wie im Original.)
Hinsichtlich der Bedeutung Schmitts für die Gegenwart führte die Identitäre Generation aus:
„Die heutigen westlichen Demokratien, die die Homogenität ihrer Gemeinschaften gezielt zerstören […], sind in Schmitts Sicht geradezu ,Anti-Demokratien‘. […] Die politische Kaste, die sich in ihren liberalistisch-parlamentarischen Systemen gegen den Volkswillen verschanzt hat, [….] hat nicht das Recht, sich als ‚demokratisch‘ zu bezeichnen. Ihr größtes Verbrechen liegt zuletzt in der Zerstörung der Möglichkeitsbedingung der Demokratie, in der mutwilligen Vernichtung der ethnokulturellen Homogenität Europas“.
Gleichfalls wurde auf der Internetseite der Identitären Generation, die der IBÖ-Aktivist Martin Sellner betrieb, für das Buch „Die vierte politische Theorie“ (2013) des russischen Publizisten und „Philosophen“ Alexander Dugin geworben. Als Antwort auf den angeblich „westlichen Nihilismus“ und die „westliche Dekadenz“ schlägt Dugin die Errichtung einer „Eurasischen Union“ mit Russland als Zentrum vor, autoritär beherrscht von einer kleinen Elite. Auch Dugins Ideenwelt ist antiliberal, antiindividualistisch, antiwestlich, antiamerikanisch, antisemitisch und rekurriert auf führende Köpfe der Konservativen Revolution wie etwa Carl Schmitt.
Feindbild Liberalismus | In dem 2015 auf der Seite der Identitären Generation erschienenen Grundsatzartikel „Die Bedrohung der Identität“ hieß es:
„Die ‚Verteidigung des Eigenen‘ ist mit einer klaren Kampfansage verknüpft, die schließlich auch eine klare Feindbestimmung erfordert und dabei unser theoretisches und weltanschauliches Selbstverständnis konstituiert“.
Als den Feind per se benennt die Identitäre Generation den Liberalismus als das „bestimmende, geistesgeschichtliche Paradigma des 21. Jahrhunderts“ und bezeichnet diese freiheitliche demokratische Strömung als eine „geistige Immunschwächekrankheit“. Die Freiheit sei, „um mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci zu sprechen“, der „,gesellschaftliche/kulturelle Überbau‘“, aus dem sich die „Vorstellungen, Realitäten und Handlungen der Gesellschaften ableiten und verselbstständigen“:
„Die vom Liberalismus durchsetzten Gesellschaften sind inzwischen in ein Stadium der überschwänglichen Dekadenz und des totalen Nihilismus getreten, welches sich zunehmend in einem ethnomasochistischen Selbsthass widerspiegelt und dabei ein kulturelles Sinnvakuum hinterlässt. In dieses Vakuum stoßen nun die vitalen, und lebensbejahenden Völker aus anderen, fernen Kulturen, die ihren Bevölkerungsüberschuss nach Europa exportieren und dabei in einem grotesken Schauspiel von den westlichen Eliten und Herrschenden in einer devoten Haltung begrüßt und aufgenommen werden“.
Der Liberalismus hinterlasse, so die Identitäre Generation, einen „gesellschaftlichen Scherbenhaufen“. Das von Politik und Medien permanent vermittelte Bild, „dass wir in der bisher längsten Epoche des Frieden[s] und Wohlstandes innerhalb Europas leben“ sei lediglich das trügerische „Bild einer Scheinruhe“. Denn die „außereuropä-ischen Einwanderer“ würden „ihr kulturelles Bewusstsein, ihre Stärke und Vitalität in die Waagschale werfen und somit auch sukzessiv zum politischen Faktor werden, sofern die liberale Metaideologie weiterhin vorherrschend bleibt“.
Nach Auffassung der IBD beschränkt sich ihr Auftrag „nicht nur auf symptomatische Bekämpfung von Masseneinwanderung und Islamisierung“: „Die Reconquista ist vor allem auch eine Rückeroberung unseres eigenen Daseins, unserer Exklusivität und kulturellen Stellung als Europäer, kurzum: unserer Identität“. Die nach Europa einwandernden Kulturen besäßen dagegen „noch ein Mindestmaß an Homogenität, einer wertsetzenden Hiera[r]chie, sowie sexuelle und geschlechtliche Normen, die ihren Gültigkeitsanspruch als schlichte Selbstverständlichkeit legitimieren können“. Dagegen bedingten die „vollständige Sinnentleerung“, die „Bindungs-losigkeit“, der „Individualismus und Relativismus“ die „Verweigerung einer demographischen Selbsterhaltung“:
„Die Alterung und Kinderlosigkeit der europäischen Völker ist nämlich nicht nur eine befristete Episode. Sie ist eine grundlegende Folge des liberalen Selbstverständnisses, die unsere Völker müde und alt macht. Die selbstverständliche, kulturell tradierte Praxis eines gesunden Selbstbewusstseins und der Bezug zum Eigenen, weicht dem multikulturellen Dogma und unterbindet somit den souveränen Impuls unsere Identität und Daseinsstellung zu verteidigen“.
Symbolik | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandisingartikeln den griechischen Buchstaben (Lambda), der durch die amerikanische Comicverfilmung „300“ aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert − je nach Betrachtungsweise − das antike Sparta und den letztlich aussichtslosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferisch-entschlossene Spartaner im Kampf gegen die persischen Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildersprache und sieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ in der Tradition der Spartaner. In einem Video erklärt die IBD in Bezug auf den Buchstaben Lambda, der in der Antike die „Schilder [sic] der glorreichen Spartaner schmückte“:
„Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kriegserklärung an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!“
Die Orientierung der IBD an Sparta, das vielen „bis heute […] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates“ (Lukas Thommen) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildersprache, insbesondere die Verwendung des Buchstabens Lambda seitens der Identitären Bewegung, steht für Anschauungen, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind.
Die IBD gliederte sich laut ihrer Facebook-Auftritte bundesweit in 15 Regionalgruppen, eine davon ist die IBH, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch „real“ existierte. Das die Regionalgruppe IBH umfassende Ge-biet entsprach nicht exakt der hessischen Landesgrenze, sondern schloss den rheinland-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis und den, so die Angabe der IBD auf Facebook, „Regierungsbezirk Rheinhessen“ ein.
In Hessen bestanden die Ortsgruppen Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel/Nordhessen, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Darmstadt.
Die IBD war im Berichtsjahr das dynamischste Phänomen innerhalb des Rechtsextremismus, wobei sie sich nicht in dessen üblichem Gewand präsentierte, so wie es der Öffentlichkeit zum Beispiel in Bezug auf den Neonazismus oder die Skinhead-Musikszene bewusst ist. Vielmehr zeigte sich die IBD − vor allem in den sozialen Medien − in einem modern anmutenden Design, womit es ihr gelang, politische Inhalte plakativ, schnell und verständlich zu transportieren. Dabei verzichtete die IBD darauf, in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft eindeutig negativ besetzte Begriffe zu verwenden. Aus der nationalsozialistischen Vergangenheit bekannte Termini wie „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“, die andere Rechtsextremisten nach wie vor verwenden, verkehrte die IBD ins scheinbar Unbelastete, indem sie von „Identität“ und „Ethnie“ sprach.
Die Anhänger der IBD argumentieren scheinbar nicht rassistisch bzw. biologistisch, sondern raum- und kulturbezogen. Sie tun dies mittels einer verharmlosenden, (pseudo)intellektuellen und zum Teil jugendorientierten Sprache und Symbolik, was − kombiniert mit spektakulären öffentlichen Aktionsformen − gerade für Jugendliche und junge Erwachsene vor allem im studentischen Milieu attraktiv sein kann. In der vermeintlich „lediglich“ raum- und kulturbezogenen Perspektive der IBD bilden Ethnien, das heißt einzelne Völker, in sich geschlossene einheitliche Systeme. „Fremdes“ hat darin weder Platz noch Berechtigung. Damit wendet sich die IBD insbesondere gegen Flüchtlinge und Muslime und grenzt mit dieser „Kampfansage“ gegen das „Fremde“ Menschen aus. Die IBD wertet Menschen ab und spricht ihnen die Gleichheit vor dem Gesetz ab.
Offenbar hofft die IBD, durch ihre sprachliche Maskerade und ihr modernes Auftreten ihre eigenen und die in Teilen der Bevölkerung vorhandenen fremden- und islamfeindlichen Vorurteile als normal und damit legitim erscheinen zu lassen. Diese Bestrebungen widersprechen jedoch dem in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Prinzip, wonach jeder Mensch einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit für alle in Deutschland lebenden Menschen dauerhafte Grundwerte sind.
Vor diesem Hintergrund dürfen − trotz ihres für manche Jugendliche und jüngeren Erwachsenen „coolen Designs“ − die Gefahren nicht unterschätzt werden, die von der IBD für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Hinzu kommt, dass die IBD sich als elitäre und intellektuelle Impulsgeberin versteht. Dadurch, dass die IBD behauptet, der „letzten Generation“ anzugehören, die den Untergang Europas aufhalten kann, und von einer „Kriegserklärung“ spricht, schafft sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands und fördert die Radikalisierung.