Glossar
Anhang

Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2016

Rechtsextremismus

Merkmale

Das deutsche Volk als höchster Wert | Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und bekämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie verfolgen extremistische Bestrebungen in unterschiedlichen Formen. Das deutsche Volk stellt für alle Rechtsextremisten den höchsten Wert dar. Sie ordnen die Rechte und Freiheiten anderer Völker und Nationen wie auch die des einzelnen Menschen diesem Nationalismus unter. Nach ihren Vorstellungen hat der Einzelne im Sinne eines völkischen Kollektivismus seinen Wert nur durch die Zugehörigkeit zum Volk, das heißt durch eine bestimmte Herkunft.

Ethnopluralismus“ | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die Identitäre Bewegung, propagieren das Konzept des „Ethnopluralismus“ und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der „fremde“ Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der „Ethnopluralismus“ beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie. So hatte es bereits im Jahr 2004 im Vorwort einer von Aktivisten der rechtsextremistischen Musikszene produzierten CD geheißen: „Wir sind keine Ausländerfeinde! Wir lieben das Fremde – in der Fremde“.

Ideologie der Ungleichheit | Rechtsextremisten vertreten somit eine Ideologie der Ungleichheit, die in vielfacher Hinsicht den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. An die Stelle demokratischer Entscheidungsprozesse wollen Rechtsextremisten einen autoritären (Führer-) Staat setzen, in dem nur der angeblich in sich einheitliche Wille der „Volksgemeinschaft“ herrscht.

„Kampf um die Parlamente“ und „Kampf um die Straße“ | Ihre Ziele verfolgen Rechtsextremisten auf unterschiedliche Art und Weise. Rechtsextremistische Parteien, darunter Der Dritte Weg/Der III. Weg und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), treten zu Wahlen an und versuchen, sich der demokratischen Strukturen zu bedienen, um diese letztlich abzuschaffen. Demgegenüber setzen Neonazis vor allem auf den „Kampf um die Straße“. Sie versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen sowohl im Internet als auch in der „realen“ Welt Aufmerksamkeit zu erzielen und ihre Propaganda zu verbreiten.

Personenpotenzial1

Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hessen blieb 2016 gegenüber dem Vorjahr weitestgehend konstant.

Abgebildet ist die Tabelle rechtsextremistisches Personenpotenzial.
In der linken Spalte stehen untereinander die Namen der rechtsextremistischen Beobachtungsobjekte. Die weiteren drei Spalten enthalten Zahlenangaben zu diesen Beobachtungsobjekten jeweils für die Jahre 2016, 2015 und 2014 sowohl für Hessen als auch für die gesamte Bundesrepublik.
Der Identitären Bewegung waren im Jahr 2016 in Hessen 40 Personen und bundesweit 300 Personen zuzurechnen. Zahlen für die Jahre 2015 und 2014 sind nicht angegeben.
Den Neonazis waren im Jahr 2016 in Hessen 260 Personen und bundesweit 5.800 Personen zuzurechnen. Im Jahr 2015 lag dieses Personenpotenzial in Hessen bei 260 und bundesweit bei 5.800, im Jahr 2014 lag das Personenpotenzial in Hessen bei 250 und bundesweit bei 5.600 .
Der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands waren im Jahr 2016 in Hessen 250 Personen und bundesweit 5.000 Personen zuzurechnen. Im Jahr 2015 lag dieses Personenpotenzial in Hessen bei 250 und bundesweit bei 5.200, im Jahr 2014 lag das Personenpotenzial in Hessen bei 250 und bundesweit bei 5.200 .
Der Partei Der Dritte Weg waren im Jahr 2016 in Hessen 15 Personen und bundesweit 350 Personen zuzurechnen. Im Jahr 2015 lag dieses Personenpotenzial in Hessen bei 10 und bundesweit bei 300, im Jahr 2014 lag das Personenpotenzial in Hessen bei 10 und bundesweit bei 200 .
Den subkulturell orientierten Rechtsextremisten/Skinheads waren im Jahr 2016 in Hessen 360 Personen und bundesweit 8.500 Personen zuzurechnen. Im Jahr 2015 lag dieses Personenpotenzial in Hessen bei 360 und bundesweit bei 8.200, im Jahr 2014 lag das Personenpotenzial in Hessen bei 370 und bundesweit bei 7.200 .
Dem Bereich sonstige Rechtsextremisten waren im Jahr 2016 in Hessen 410 Personen und bundesweit 4.700 Personen zuzurechnen. Im Jahr 2015 lag dieses Personenpotenzial in Hessen bei 430 und bundesweit bei 4.350, im Jahr 2014 lag das Personenpotenzial in Hessen bei 430 und bundesweit bei 3.950 .
Insgesamt gab es in Hessen im Jahr 2016 1.335 Rechtsextremisten, bundesweit waren es insgesamt 23.100 Rechtsextremisten. Im Jahr 2015 lag dieses Personenpotenzial in Hessen insgesamt bei 1.310 und bundesweit insgesamt bei 22.600, im Jahr 2014 lag das Personenpotenzial in Hessen insgesamt bei 1.310 und bundesweit insgesamt bei 21.000 .
Von diesem gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzial waren in Hessen im Jahr 2016 650 gewaltorientiert, bundesweit waren 12.100 gewaltorientiert. Im Jahr 2015 waren in Hessen 400 gewaltorientiert, bundesweit waren 11.800 gewaltorientiert. Im Jahr 2014 waren in Hessen 400 gewaltorientiert, bundesweit waren 10.500 gewaltorientiert.

Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH)

Definition/Kerndaten

Die IBD ist innerhalb des Rechtsextremismus ein relativ neues Phänomen, das sich „modern“, „intellektuell“ und aktionsorientiert präsentiert und in seiner Bildersprache etliche Elemente der Popkultur verwendet. Typisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie etwa „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ gehören nicht zum Vokabular der IBD, stattdessen verwendet sie „Identität“ und „Ethnie“ als Chiffren. In dieser Verkleidung versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe spektakulärer Aktionen vor allem internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen. So will die IBD eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung etablieren. Vor allem über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versuchte sie Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit bislang verpöntes rechtsextremistisches Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. So sagte ein Vertreter der Identitären Bewegung: „Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht“. (Schreibweise wie im Original.)

Bundesvorsitzender: Nils Altmieks (Bayern)
Angehörige: In Hessen etwa 40, bundesweit mehr als 300
Medien: Internetpräsenzen
Abgebildet ist das Logo der Identitären Bewegung Deutschland. Auf einem rechteckigen gelb-orangenem Hintergrund befindet sich in schwarzer Farbe ein Kreis, darin der griechische Buchstabe Lambda, also ein Winkel, etwas größer als 90 Grad, dessen Spitze nach oben zeigt. Die beiden Enden des Winkels gehen in den schwarzen Kreis über. Darunter steht in schwarzen Großbuchstaben das Wort Deutschland.

Ereignisse/Entwicklungen

Sowohl bundes- als auch hessenweit nahmen die Aktivitäten der Identitären Bewegung im Berichtsjahr zu. Sie versuchte, mit möglichst geringem Einsatz von Kräften und Mitteln größtmögliche mediale und öffentliche Aufmerksamkeit zu erringen, indem sie etwa im August in Berlin das Brandenburger Tor besetzte. In einem Interview mit der Wochenzeitung Junge Freiheit sagte Ende September ein führender Angehöriger der Identitären Bewegung: „Wir sind kreativ, dynamisch und überraschend. […] Wir adaptieren Aktionen der Studentenbewegung oder von Greenpeace: Begrenzte Regelübertretung, ziviler Ungehorsam, Überraschungsmoment und ja, auch Spaßaktionen. Letzteres haben ein enormes Potential, denn nichts hat die linke Multikulti-Schickeria weniger als Humor“. Über die einzelnen Aktionen veröffentlichte die IBD Berichte mit Fotos bzw. Videos auf ihrem Facebook-Profil. Auf diese Weise versuchte sie nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern auch die eigenen Aktivisten zu motivieren. So hieß es in einem Video der IBH auf Facebook: „In Zeiten der Unterdrückung dient die Information als Notwehr. Möchtest auch Du aktiv werden und Teil einer dynamischen Jugendbewegung sein? Dann melde Dich bei der Identitären Bewegung Hessen!“

Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihrer Facebook-Seite auf den Protest gegen die „Einwanderung“ und die Flüchtlingspolitik. Zum Beispiel zeigte ein am 20. Mai veröffentlichtes „Aktionsvideo […], wie Aktivisten der IB Ortsgruppe Frankfurt mitten im Herzen der 68er und Multikultis ein deutliches Zeichen für Heimat, Freiheit und Tradition setzen“. Darauf war eine nächtliche Verteilung von Flyern zu sehen.

Darüber hinaus führte die IBH überwiegend Spray- und Aufkleberaktionen − etwa in Frankfurt am Main und Schwalmstadt (Schwalm-Eder-Kreis) – durch. Unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Kassel sowie im Lahn-Dill-Kreis − klebten IBH-Aktivisten Plakate und hängten Banner auf. In Darmstadt und Kassel wurden Flyer verteilt:

  • So brachten IBH-Aktivisten Ende März in der U-Bahnstation Dom/Römer in Frankfurt am Main Aufkleber mit der Aufschrift „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ an.
  • Am 9. und 10. Juli führte die IBD eine bundesweite Aktion zum Thema „Flüchtlingskrise und Willkommenskultur“ durch. Mit Aktionen an den Hauptbahnhöfen in Hamburg, Frankfurt am Main und München sollte auf die − aus Sicht der IBD − „verfehlte Einwanderungspolitik“ der Bundesregierung und das hierdurch in Deutschland angeblich entstandene „Asylchaos“ hingewiesen werden. Auf ihrer Facebook-Seite beschrieb die IBH ihre nicht angemeldete Aktion im Frankfurter Hauptbahnhof und dokumentierte sie mit Fotos: Etwa ein Dutzend Personen hielt kleine Schilder mit Parolen wie „Willkommen IS“, „Ihr bezahlt unsere Rente“ und „Steinigung ist Menschenrecht“ in die Höhe.
  • Ende Juli malten IBH-Aktivisten in Frankfurt am Main sowohl vor dem Dom als auch vor der Paulskirche und dem Goethe-Denkmal mit Kreide Personenumrisse auf dem Boden auf. Diese ähnelten Tatortaufnahmen der Polizei nach Tötungsdelikten. Die Aktivisten versahen die Umrisse mit blutroter Farbe und der Aufschrift „Integration ist eine Lüge! # Remigration“. Die IBH bezog sich mit dieser Aktion auf den islamistischen Terroranschlag in Rouen (Frankreich) am 26. Juli, bei dem ein katholischer Priester ermordet worden war. Vergleichbare Aktionen führte die IBH im September in Bad Nauheim (Wetteraukreis) und in Frielendorf (Schwalm-Eder-Kreis) durch.
  • Ende Oktober ließen sich in Kassel IBH-Aktivisten mit einem Plakat („Angela Merkel stoppen“) und Fahnen vor der Herkules-Statue für einen entsprechenden Facebook-Eintrag fotografieren.
  • Am 17. Dezember hängten Aktivisten großflächige Transparente mit der Aufschrift „Weihnachten mit Frau und Kind! Remigration jetzt“ an Kaufhäusern in Gießen (Landkreis Gießen) und Kassel auf.
  • An Silvester besprühte die IBH Betonabsperrungen, die nach dem islamistisch motivierten Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt zum Schutz der Silvesterfeierlichkeiten in Frankfurt am Main aufgestellt worden waren, mit der Aufschrift „Danke Merkel“.

Außerdem veranstaltete die IBH Stammtische und nahm an weiteren medien- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen teil:

  • Anlässlich des „Tages der offenen Tür“ der Bundesregierung, der unter anderem unter dem Motto „Migration und Integration“ stand, besetzen Aktivisten der IBD das Brandenburger Tor, befestigten Transparente („Sichere Grenzen − Sichere Zukunft“, „Grenzen schützen − Leben retten“, „Identitäre Bewegung“), schwenkten Fahnen und brannten Feuerwerkskörper ab.
  • Zwei Tage nach dem islamistischen Terroranschlag in Berlin blockierten Aktivisten der IBD am 21. Dezember den Zugang zur CDU-Bundesgeschäftsstelle in Berlin und zeigten Plakate mit der Aufschrift „Grenzen schützen − Leben retten“.
  • Am 28. Dezember brachten IBDAktivisten an der Fassade des Kölner Hauptbahnhofs ein Banner mit dem Aufdruck „Nie wieder Schande von Köln! # Remigration“ an.

Rechtsextremistisches Merchandising | Um ihre primäre Zielgruppe, das heißt Jugendliche und junge Erwachsene, zu erreichen und eine eigene Jugendbewegung zu etablieren, bot die IBD über Online-Versandhäuser entsprechende Produkte an. Unter anderem in einem „IB-Laden“, der mittels einer eigenen Internetseite sowie über Facebook diverse Produkte offerierte, „kann sich jeder patriotische Aktivist mit neuem Material ausstatten“. Das Warenangebot umfasste unter anderem Bekleidung wie T-Shirts, Aufkleber („Revolte gegen den großen Austausch“, „Multikultur ist eine Lüge!“) und Flugblätter.

Entstehung/Geschichte

Die IBD gründete sich im Oktober 2012 als Facebook-Gruppe und erhielt in kürzester Zeit große Zustimmung. Bis Ende 2012 waren es etwa 1.600 Likes im Internet, bis Ende 2016 mehr als 40.000. Die IBD sieht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire − Le mouvement social européen, das heißt der späteren Génération Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein „Vorbild“.

Die „erste größere Aktion“ der GI − so ihre eigene Einschätzung − fand im Oktober 2012 statt, als 60 bis 80 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im „Kampf für unsere Identität“ besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten:

„Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden“.

Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video „Kriegserklärung − Identitäre Generation“. Darin hieß es unter anderem:

„,Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: Dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung. Aber sie haben es nur geschafft sich von ihrer Verantwortung zu befreien. Wir lehnen unsere Geschichtsbücher ab um unsere Erinnerung wiederzugewinnen. […] Unser Erbe ist unser Land, unser Blut, unsere Identität‘“.
(Schreibweise wie im Original.)

Nach der Veröffentlichung des Videos, das sich rasch europaweit in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) verbreitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der Identitären Bewegung aktiv, zunächst „virtuell“ im Internet, dann aber auch zunehmend „real“, indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der Identitären Bewegung zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien. Zu der Veranstaltung wurden im Internet unter anderem folgende plakative programmatische Schlagworte veröffentlicht:

„,Europa steht auf dem Spiel. Keine Kinder. Massenzuwanderung. Dekadenz & Kulturverfall. Islamisierung. Selbsthass. Fremdenliebe. Wirtschaftskrise. Asylbetrug. Rechtsfreie Räume. Scharia-Zonen. Migrantengewalt. Political Correctness. Wenn wir jetzt nichts tun, waren wir die letzte freie Generation Europas. Wir müssen jetzt handeln! Reconquista oder Eurabia‘“.
(Schreibweise wie im Original.)

In Hessen trat die Identitäre Bewegung seit Ende 2012 mit Plakat- und Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente; in der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die „Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern“.

Ideologie/Ziele

Ethnopluralismus“ | Die IBD propagiert einen europäischen „Ethnopluralismus“, womit sie die räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Völker meint. Sie betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in großer Nähe zur Ideologie des völkischen Kollektivismus von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht in seiner Individualität, sondern vorrangig als Teil eines völkischen, von der ethnischen Herkunft bestimmten Kollektivs wahr.

In dem von der IBD propagierten Konzept des „Ethnopluralismus“ sind Staaten ethnisch und kulturell homogen, fremde ethnische und kulturelle Einflüsse beschreibt sie als schädlich. Im Rahmen der im Jahr 2015 initiierten Kampagne „Der große Austausch“ behauptete die IBD, durch die „Masseneinwanderung“ finde ein „reiner Bevölkerungsaustausch statt, bald würden „ganze Landstriche und Länder ‚gekippt‘ und ausgetauscht“ sein. Es sei ein „wahnwitziges soziales Experiment“, das kein Zufall sei. Dahinter steckten, so die IBD, unter anderem die „Kriegs- und Wirtschaftspolitik der USA“ und die „ausbeuterische Globalisierung“. Ihr Ziel sei ein „multikulturalisiertes“ Deutschland ohne Identität, Heimatverbundenheit, Patriotismus und Traditionen.

Geistige „Vorbilder“ | Mit ihrem Konzept des „Ethnopluralismus“ lehnt sich dieIBD ideologisch-programmatisch an die Ideen der antiliberalen, antidemokratischen Konservativen Revolution in der Weimarer Republik (1918 bis 1933) an. Darüber hinaus prägten die kulturkämpferischen Konzeptionen der in Frankreich Ende der 1960er Jahre entstandenen Nouvelle Droite (Neue Rechte) das Ideologieverständnis der IBD.

Darüber hinaus empfahl die IBD im Berichtszeitraum die Lektüre eines Aufsatzes des italienischen Faschisten Julius Evola (1898 bis 1974). Darin setzt sich dieser für den Aufbau eines Führerstaates ein. Die IBD kommentierte: „Bestechen tut der Aufsatz vor Allem durch die Unbedingtheit seiner Feindbestimmungen und die Unerbittlichkeit seiner Analyse“.

Das Politikverständnis der IBD ist außerdem von dem Freund-Feind-Denken des Staatsrechtslehrers Carl Schmitt (1888 bis 1985) geprägt. Dieser war aufgrund seines Einflusses nicht nur ein unheilvoller Wegbereiter des Nationalsozialismus, sondern hatte während des Terrorregimes unter anderem als Präsident der Vereinigung nationalsozialistischer Juristen fungiert. So verlinkte die IBD im Jahr 2015 auf ihrer Facebook-Seite einen Beitrag über Schmitt, dessen „Portrait“ sich auf der Internetseite der deutschen Identitären Generation befand. Mit dem Kommen-tar „Warum seine Demokratietheorie und Liberalismuskritik auch heute noch wichtiges Rüstzeug für jeden Identitären sind“, bezog sich die IBD positiv auf das „Portrait: Carl Schmitt“. Darin zitierte die Identitäre Generation, die der IBD nahesteht, aus dessen Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923) wie folgt:

„,Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird‘“.
(Schreibweise wie im Original.)

In der Originalschrift Schmitts wird dessen krudes Demokratieverständnis noch deutlicher. Dort heißt es im Anschluss an den von der Identitären Generation zitierten Satz:

„Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens − nötigenfalls − die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Zur Illustrierung dieses Satzes sei mit einem Wort an zwei verschiedene Beispiele moderner Demokratien erinnert: an die heutige Türkei mit ihrer radikalen Aussiedlung der Griechen und ihrer rücksichtslosen Türkisierung des Landes − und an das australische Gemeinwesen, das durch Einwanderungsgesetzgebung unerwünschten Zuzug fernhält […]. Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß“.
(Schreibweise wie im Original.)

Hinsichtlich der Bedeutung Schmitts für die Gegenwart führte die Identitäre Generation aus:

„Die heutigen westlichen Demokratien, die die Homogenität ihrer Gemeinschaften gezielt zerstören […], sind in Schmitts Sicht geradezu ,Anti-Demokratien‘. […] Die politische Kaste, die sich in ihren liberalistisch-parlamentarischen Systemen gegen den Volkswillen verschanzt hat, [….] hat nicht das Recht, sich als ‚demokratisch‘ zu bezeichnen. Ihr größtes Verbrechen liegt zuletzt in der Zerstörung der Möglichkeitsbedingung der Demokratie, in der mutwilligen Vernichtung der ethnokulturellen Homogenität Europas“.

Gleichfalls wurde auf der Internetseite der Identitären Generation, die der IBÖ-Aktivist Martin Sellner betrieb, für das Buch „Die vierte politische Theorie“ (2013) des russischen Publizisten und „Philosophen“ Alexander Dugin geworben. Als Antwort auf den angeblich „westlichen Nihilismus“ und die „westliche Dekadenz“ schlägt Dugin die Errichtung einer „Eurasischen Union“ mit Russland als Zentrum vor, autoritär beherrscht von einer kleinen Elite. Auch Dugins Ideenwelt ist antiliberal, antiindividualistisch, antiwestlich, antiamerikanisch, antisemitisch und rekurriert auf führende Köpfe der Konservativen Revolution wie etwa Carl Schmitt.

Feindbild Liberalismus | In dem 2015 auf der Seite der Identitären Generation erschienenen Grundsatzartikel „Die Bedrohung der Identität“ hieß es:

„Die ‚Verteidigung des Eigenen‘ ist mit einer klaren Kampfansage verknüpft, die schließlich auch eine klare Feindbestimmung erfordert und dabei unser theoretisches und weltanschauliches Selbstverständnis konstituiert“.

Als den Feind per se benennt die Identitäre Generation den Liberalismus als das „bestimmende, geistesgeschichtliche Paradigma des 21. Jahrhunderts“ und bezeichnet diese freiheitliche demokratische Strömung als eine „geistige Immunschwächekrankheit“. Die Freiheit sei, „um mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci zu sprechen“, der „,gesellschaftliche/kulturelle Überbau‘“, aus dem sich die „Vorstellungen, Realitäten und Handlungen der Gesellschaften ableiten und verselbstständigen“:

„Die vom Liberalismus durchsetzten Gesellschaften sind inzwischen in ein Stadium der überschwänglichen Dekadenz und des totalen Nihilismus getreten, welches sich zunehmend in einem ethnomasochistischen Selbsthass widerspiegelt und dabei ein kulturelles Sinnvakuum hinterlässt. In dieses Vakuum stoßen nun die vitalen, und lebensbejahenden Völker aus anderen, fernen Kulturen, die ihren Bevölkerungsüberschuss nach Europa exportieren und dabei in einem grotesken Schauspiel von den westlichen Eliten und Herrschenden in einer devoten Haltung begrüßt und aufgenommen werden“.

Der Liberalismus hinterlasse, so die Identitäre Generation, einen „gesellschaftlichen Scherbenhaufen“. Das von Politik und Medien permanent vermittelte Bild, „dass wir in der bisher längsten Epoche des Frieden[s] und Wohlstandes innerhalb Europas leben“ sei lediglich das trügerische „Bild einer Scheinruhe“. Denn die „außereuropä-ischen Einwanderer“ würden „ihr kulturelles Bewusstsein, ihre Stärke und Vitalität in die Waagschale werfen und somit auch sukzessiv zum politischen Faktor werden, sofern die liberale Metaideologie weiterhin vorherrschend bleibt“.

Nach Auffassung der IBD beschränkt sich ihr Auftrag „nicht nur auf symptomatische Bekämpfung von Masseneinwanderung und Islamisierung“: „Die Reconquista ist vor allem auch eine Rückeroberung unseres eigenen Daseins, unserer Exklusivität und kulturellen Stellung als Europäer, kurzum: unserer Identität“. Die nach Europa einwandernden Kulturen besäßen dagegen „noch ein Mindestmaß an Homogenität, einer wertsetzenden Hiera[r]chie, sowie sexuelle und geschlechtliche Normen, die ihren Gültigkeitsanspruch als schlichte Selbstverständlichkeit legitimieren können“. Dagegen bedingten die „vollständige Sinnentleerung“, die „Bindungs-losigkeit“, der „Individualismus und Relativismus“ die „Verweigerung einer demographischen Selbsterhaltung“:

„Die Alterung und Kinderlosigkeit der europäischen Völker ist nämlich nicht nur eine befristete Episode. Sie ist eine grundlegende Folge des liberalen Selbstverständnisses, die unsere Völker müde und alt macht. Die selbstverständliche, kulturell tradierte Praxis eines gesunden Selbstbewusstseins und der Bezug zum Eigenen, weicht dem multikulturellen Dogma und unterbindet somit den souveränen Impuls unsere Identität und Daseinsstellung zu verteidigen“.

Symbolik | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandisingartikeln den griechischen Buchstaben (Lambda), der durch die amerikanische Comicverfilmung „300“ aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert − je nach Betrachtungsweise − das antike Sparta und den letztlich aussichtslosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferisch-entschlossene Spartaner im Kampf gegen die persischen Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildersprache und sieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ in der Tradition der Spartaner. In einem Video erklärt die IBD in Bezug auf den Buchstaben Lambda, der in der Antike die „Schilder [sic] der glorreichen Spartaner schmückte“:

„Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kriegserklärung an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!“

Die Orientierung der IBD an Sparta, das vielen „bis heute […] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates“ (Lukas Thommen) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildersprache, insbesondere die Verwendung des Buchstabens Lambda seitens der Identitären Bewegung, steht für Anschauungen, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind.

Strukturen

Die IBD gliederte sich laut ihrer Facebook-Auftritte bundesweit in 15 Regionalgruppen, eine davon ist die IBH, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch „real“ existierte. Das die Regionalgruppe IBH umfassende Ge-biet entsprach nicht exakt der hessischen Landesgrenze, sondern schloss den rheinland-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis und den, so die Angabe der IBD auf Facebook, „Regierungsbezirk Rheinhessen“ ein.

In Hessen bestanden die Ortsgruppen Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel/Nordhessen, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Darmstadt.

Bewertung/Ausblick

Die IBD war im Berichtsjahr das dynamischste Phänomen innerhalb des Rechtsextremismus, wobei sie sich nicht in dessen üblichem Gewand präsentierte, so wie es der Öffentlichkeit zum Beispiel in Bezug auf den Neonazismus oder die Skinhead-Musikszene bewusst ist. Vielmehr zeigte sich die IBD − vor allem in den sozialen Medien − in einem modern anmutenden Design, womit es ihr gelang, politische Inhalte plakativ, schnell und verständlich zu transportieren. Dabei verzichtete die IBD darauf, in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft eindeutig negativ besetzte Begriffe zu verwenden. Aus der nationalsozialistischen Vergangenheit bekannte Termini wie „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“, die andere Rechtsextremisten nach wie vor verwenden, verkehrte die IBD ins scheinbar Unbelastete, indem sie von „Identität“ und „Ethnie“ sprach.

Die Anhänger der IBD argumentieren scheinbar nicht rassistisch bzw. biologistisch, sondern raum- und kulturbezogen. Sie tun dies mittels einer verharmlosenden, (pseudo)intellektuellen und zum Teil jugendorientierten Sprache und Symbolik, was − kombiniert mit spektakulären öffentlichen Aktionsformen − gerade für Jugendliche und junge Erwachsene vor allem im studentischen Milieu attraktiv sein kann. In der vermeintlich „lediglich“ raum- und kulturbezogenen Perspektive der IBD bilden Ethnien, das heißt einzelne Völker, in sich geschlossene einheitliche Systeme. „Fremdes“ hat darin weder Platz noch Berechtigung. Damit wendet sich die IBD insbesondere gegen Flüchtlinge und Muslime und grenzt mit dieser „Kampfansage“ gegen das „Fremde“ Menschen aus. Die IBD wertet Menschen ab und spricht ihnen die Gleichheit vor dem Gesetz ab.

Offenbar hofft die IBD, durch ihre sprachliche Maskerade und ihr modernes Auftreten ihre eigenen und die in Teilen der Bevölkerung vorhandenen fremden- und islamfeindlichen Vorurteile als normal und damit legitim erscheinen zu lassen. Diese Bestrebungen widersprechen jedoch dem in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Prinzip, wonach jeder Mensch einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit für alle in Deutschland lebenden Menschen dauerhafte Grundwerte sind.

Vor diesem Hintergrund dürfen − trotz ihres für manche Jugendliche und jüngeren Erwachsenen „coolen Designs“ − die Gefahren nicht unterschätzt werden, die von der IBD für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Hinzu kommt, dass die IBD sich als elitäre und intellektuelle Impulsgeberin versteht. Dadurch, dass die IBD behauptet, der „letzten Generation“ anzugehören, die den Untergang Europas aufhalten kann, und von einer „Kriegserklärung“ spricht, schafft sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands und fördert die Radikalisierung.

Neonazis

Definition/Kerndaten

Rechtsextremisten, die nach der Überwindung der Gewaltdiktatur des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) dessen Ideologie in ihren inhaltlichen Zielsetzungen oder im Rahmen ihrer Aktivitäten zu verwirklichen versuchen, werden als Neonazis bezeichnet. Zahlreiche neonazistische Organisationen sind verboten, Neonazis finden sich aber immer wieder in neuen Gruppierungen, Bündnissen und Plattformen zusammen und ahmen teilweise linksextremistische Autonome in Verhalten und „Outfit“ nach. Zu rechtsextremistischen Parteien und zu subkulturell orientierten Rechtsextremisten/Skinheads unterhalten Neonazis enge Kontakte.

Regionale Schwerpunkte: Rhein-Main-Gebiet
Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 260, bundesweit mehr als 5.800
Medien: Internetpräsenzen
Abgebildet ist das Logo des Antikapitalistischen Kollektivs. Auf einem roten rechteckigen Untergrund befindet sich ein weißes Karo, das schwarz umrahmt ist. Dieses Karo wird teilweise verdeckt von einm Hammer und einem Schwert − beide in roter Farbe −, die sich kreuzen.

Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den Jahren zuvor konzentrierten sich die Neonazis auf öffentlichkeitswirksame propagandistische Aktionen: Sie nahmen insbesondere an Demon-strationen und an Mahnwachen teil und verteilten Aufkleber und Flugblätter. Indem die Neonazis intensiv das Internet nutzten, versuchten sie die öffentliche Wirkung ihrer Aktionen zu steigern, ihre „Weltanschauung“ zu verbreiten und neue Anhänger zu rekrutieren. Insgesamt war das Mobilisierungspotenzial der Neonazis jedoch gering. Die Szene war mehrheitlich durch lose regionale Gruppierungen geprägt. In Hessen war hauptsächlich das Netzwerk Antikapitalistisches Kollektiv (AKK) aktiv.

Antikapitalistisches Kollektiv (AKK)

Entstehung/Geschichte | Seit Ende 2014 bestand das AKK zunächst als Kampagne und trat erstmalig über das FNH in Erscheinung. Das FNH nutzte hierbei seine Funktion als rechtsextremistische Vernetzungsplattform, um den Bekanntheitsgrad des AKK zu steigern. Das FNH bot offen abrufbares Mobilisierungsmaterial (unter anderem Flyer) für Interessierte bzw. andere rechtsextremistische Gruppierungen auf seiner Internetseite zum Download an. Darüber hinaus verwies das FNH mit einem Link auf seiner − mittlerweile nicht mehr aufrufbaren − Website auf die Gruppierung Anticapitalist Network/Antikapitalistisches Netzwerk (ACN/AKN), die im Dezember 2011 in Mailand (Italien) gegründet worden war. Zudem gab es auf der FNH-Website eine eigene Kategorie mit der Bezeichnung „Antikapitalistisches Kollektiv“, in der alle diesbezüglichen Meldungen und Publikationen veröffentlicht wurden.

Aus dem Internet in die „reale“ Welt | Nachdem sich das AKK 2015 vornehmlich im Internet betätigt hatte, trat es im Berichtsjahr verstärkt als eine auch in der „realen“ Öffentlichkeit sichtbare Gruppierung in Erscheinung. Dabei war das AKK, das sich erstmals im März 2015 in Frankfurt am Main im Rahmen der linksextremistisch beeinflussten Proteste gegen die Eröffnungsfeierlichkeiten des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) bemerkbar gemacht hatte, in und außerhalb Hessens aktiv. Folgende Aktivitäten des AKK im Internet und in der Öffentlichkeit sind erwähnenswert:

Gewalttätige Übergriffe | In Plauen (Sachsen) nahm das AKK an der rechtsextremistischen 1.-Mai-Demonstration teil, indem es mit einem entsprechenden Transparent offen als „Antikapitalistischer Block“ auftrat, wobei dieser „schwarze Block“ insgesamt aus etwa 200 Personen bestand. Unter den nahe-zu 1.000 Teilnehmern befanden sich auch Aktivisten der Partei Der Dritte Weg/Der III. Weg. Nachdem der rechtsextremistische Versammlungsleiter die Veranstaltung aufgrund der Blockaden von Gegendemonstranten für beendet erklärt hatte, kam es zu gewalttätigen Übergriffen der Rechtsextremisten. Die Steine- und Flaschenwürfe auf Polizei-beamte und Gegendemonstranten gingen zum Teil von Aktivisten des AKK aus. Während es in dessen „Leitfaden für den sozialen Kampf“ heißt, „von uns geht keine Gewalt aus“, rechtfertigte der AKK später auf seiner Internetseite die Gewaltausübung in Plauen:

„Ein erhebliches Gewaltpotential zeigte […] vor allem die Polizei. Nur weil die Gewalt durch staatliche Autorität gegen eine fast wehrlose Masse ausgeübt wird, ist sie nicht weniger Unrecht. Dass die meist jungen Menschen sich nicht wehrlos diesem Unrecht aussetzen […], ist aber eine Konsequenz ihres eigenen Handelns. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Gewalt abnehmen wird. Sie trommeln bereits zum Sturm, schreiben von ,Gewaltpotential‘ und ,Gewaltbereitschaft‘ meinen damit aber lediglich: Hier ist eine Generation nicht mehr bereit, sich den staatlich geduldeten Angriffen zu beugen“.

Beteiligung an sozialen Protesten | Auf Twitter und Facebook behauptete das AKK, im Juni an sozialen Protesten in Frankreich teilgenommen zu haben und versuchte damit seine internationale Vernetzung zu dokumentieren. Am 15. Juni hieß es auf der Facebook-Seite des AKK:

„Während in Paris zahlreiche deutsche nationale Sozialisten mit anderen europäischen Aktivisten auf der Straße demonstrierten, zeigten sich einige nationale Aktivisten in Frankfurt mit den französischen sozialen Protesten solidarisch. In der Innenstadt der Bankenmetropole Frankfurt und speziell im Stadtteil Ostend, in dem sich die neue EZB befindet, wurden zahlreiche Plakate mit dem Text ,Solidarité − Solidarität mit den sozialen Protesten in Frankreich und Belgien‘ angebracht. Mit einem Soli-Graffiti und Pyrotechnik wurde die Aktion unterstrichen!“

„Antikapitalismus“: Gegen „CETA & TTIP“ und „die Banken“ | Auf seiner Internetseite verwies das AKK auf ein von ihm im Juli veranstaltetes „erste[s] internationale[s] Zeltlager“, wobei man in einer „sozialistischen Gemeinschaft“ unter anderem Schulungen zu neue[n] Strategien und Taktiken für Demonstrationen und Aktionen“ durchgeführt habe, sodass man auf die neuerliche Demonstration am 1. Mai 2017, dieses Mal in Halle (Sachsen-Anhalt), vorbereitet sei. Darüber hinaus wurden während des Zeltlagers neben „weltanschaulichen Themen“ „realpolitische Aktionen […] gerade im Hinblick auf die sozialen Proteste in Frankreich oder die Großdemonstrationen gegen CETA & TTIP im September“ besprochen.

Seit Ende Juli warben das AKK und die Autonomen Nationalisten Groß-Gerau (AN GG) auf Facebook und Twitter dafür, an entsprechenden Protesten mitzuwirken, das heißt sie riefen unter anderem für die Teilnahme an der Demonstration am 17. September in Frankfurt am Main auf, die sich „gegen CETA & TTIP“ richtete.

Im Vorfeld des 17. September führten AKK-Aktivisten in Baden-Württemberg öffentlichkeitswirksame Aktionen durch, indem sie zum Beispiel Flugblätter verteilten. Am Veranstaltungstag selbst zündeten AKK-Aktivisten auf dem Main in zwei Schlauchbooten Feuerwerkskörper und zeigten die AKK-Fahne mit Hammer und Schwert. Im Frankfurter Stadtgebiet nahm die Polizei 18 AKK-Aktivisten, die Pfefferspray, Schlagstöcke und Vermummungsmaterial mit sich führten, fest. In den sozialen Netzwerken − insbesondere auf Twitter − berichtete das AKK später über seine Aktionen und bewertete sie als Erfolg. Auf der Internetseite des AKK stand, die Aktivisten hätten klargemacht,

„dass Märkte und Konzerne einer klaren Regulierung unterliegen müssen. Profitorientierte, nationale und multinationale Unternehmen handeln selten im Sinne von Mensch und Umwelt, vielmehr bedarf es der staatlichen Kontrolle dieser statt andersherum. Wenn Konzerne in die Rechtsprechung der Staaten eingreifen können, deren Daseinsvorsorge unterwandern und Fortschritte in Umweltschutz, Arbeitsrecht und weiteren sozialen Standards aufhalten können, müssen wir unsere Stimme erheben. Zusätzlich zur deutlichen, umfassenden Positionierung erfolgte mit der Aktion ein Zeichen: Wir lassen uns den Protest nicht nehmen! Weder in Frankfurt, noch anderswo“.
Am 22. Oktober verteilten AKK-Angehörige in Frankfurt am Main anlässlich einer Kundgebung der Stiftung für Freiheit & Vernunft sowie des Vereins Pro Bargeld − Pro Freiheit e. V. ein Flugblatt mit der Überschrift: „Alle Macht den Banken und Spekulanten?“ Einen Bericht über die Aktion veröffentlichte das AKK auf Twitter. An einer von dem Landesvorsitzenden der Jungen Nationaldemokraten (JN) angemeldeten Demonstration am 7. Oktober in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) nahmen Aktivisten des AKK teil und zeigten ein Banner mit dem Aufdruck „Antikapitalistisches Kollektiv Hessen“.

Teilnahme an „Demo für alle“ in Wiesbaden | Außerdem nahmen Aktivisten des AKK zusammen mit anderen Rechtsextremisten am 30. Oktober in Wiesbaden an der „Demo für alle − Ehe und Kinder vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ teil. Organisiert wurde die Veranstaltung von dem nichtextremistischen Aktionsbündnis DEMO FÜR ALLE − einem „Zusammenschluss verschiedener Familienorganisationen, politischer Vereine und Initiativen und Familien aus ganz Deutschland“ −, um gegen den Lehrplan „Sexualerziehung für allgemeinbildende und berufliche Schulen in Hessen“ zu protestieren. (Siehe hierzu auch unten das Kapitel Linksextremistische Bündnispolitik: Allgemeine Entwicklungen am Beispiel relevanter Ereignisse.)

Für das „Heldengedenken“ − gegen die „Besatzungsdiktatur“ und gegen die EZB | Auf seinem Twitter-Account warb das AKK für die Teilnahme an einer Demonstration am 5. November in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) unter dem Motto „Die Besatzungsdiktatur endet durch die Flamme der Souveränität“ und veröffentlichte am 13. November eine Meldung, wonach mehrere Aktivisten das „Heldengedenken“ gefeiert hätten. In der Silvesternacht sperrten mehrere Rechtsextremisten „symbolisch“ die EZB in Frankfurt am Main ab, indem sie vor dem Metallzaun ein Seil zwischen zwei Ampeln spannten und daran ein großes hölzernes Schloss sowie zwei Banner mit der Aufschrift „verbotene jugend“ − wohl in Anspielung auf das zu diesem Zeitpunkt noch laufende NPD-Verbotsverfahren − anbrachten. Auf dem Schloss befanden sich die Buchstaben „NS“ und das Symbol des AKK. Auf der Internetseite der JN Hessen war zu lesen:

„Die Europäische Zentralbank wurde im Zuge einer Aktion in der Silvesternacht symbolisch von JN Aktivisten geschlossen und enteignet. Da die EZB für die Krisen der letzten Jahre, für Austeritätspolitik und Verelendung, soziale Spaltung und Unterdrückung steht, befindet sich der Schlüssel nun im Besitz der Jungen Nationaldemokraten. Diese litten gemeinsam mit der Mutterpartei NPD Jahrzehnte unter der politischen Verfolgung in der BRD. Diese Repression ist symptomatisch für kapitalistische Staaten, welche sich vor der einheimischen Jugend und dem Volk schützen müssen. Die Aktivisten der Verbotenen Jugend haben noch in derselben Nacht geschworen den Schlüssel vor all jenen zu schützen, welche im Namen dieses Systems für Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung stehen. Werde auch du Teil der (nicht) verbotenen Jugend“.
Ein Bericht über die Aktion wurde auch auf dem Twitter-Account des AKK veröffentlicht. Die Autonomen Nationalisten Groß-Gerau (AN GG) schrieben: „Die #EZB in #Frankfurt wurde symbolisch von nationalen Aktivisten geschlossen & enteignet!“ Auf der Facebook-Seite der JN war ein Film zu sehen, der zeigte, wie etwa zehn Personen Schloss und Banner aufhängten und dabei pyrotechnische Gegenstände abbrannten. Darüber hinaus warb das AKK in den sozialen Medien dafür, sich an den Protesten gegen den G 20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg zu beteiligen.

Onlineshop Revoltopia | Über den Onlineshop Revoltopia wurde neben Schlagstöcken, Messern, Schutzwesten, Kleidungsstücken und Aufklebern auch der „Leitfaden für den sozialen Kampf“ des AKK angeboten und hierfür geworben. Hierbei handelte es sich um ein „27seitiges Standardwerk“ für die „Bildung von Bezugsgruppen nach den Grundlagen des AKK“ zur ideologischen und taktischen Schulung.

Rechtsextremistische Sportveranstaltungen

„Kampf der Nibelungen“ | Erstmals fand die in der rechtsextremistischen Szene populäre internationale Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“ auch in Hessen statt. Im Juli hatte eine Person, die dem Neonazi-Spektrum zuzurechnen ist, hierfür die Mehrzweckhalle in Gemünden (Vogelsbergkreis) für den 1. Oktober angemietet. Die Besucher kamen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem benachbarten Ausland. Die Veranstaltung verlief ohne Außenwirkung und wurde von der Polizei lückenlos überwacht.

Ziel des seit 2013 stattfindenden „Kampfs der Nibelungen“, der klandestin geplant und für den entsprechend konspirativ geworben wird, ist es, so die Verlautbarung der Veranstalter im Internet, abseits des „Bekenntnis[es] zur freien demokratischen Grundordnung“ den

„Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems [zu] verstehen, sondern diesen als fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem [zu] etablieren und in die Breite [zu] tragen. […] Der Kampf der Nibelungen will […] allen Sportlern und Sport-Anhängern, die sich nach einer Alternative zum vorherrschenden ehr- und wertelosen Zeitgeist sehnen, eine Bühne bieten. Beteiligt euch, besucht unsere Veranstaltungen oder tretet selber aktiv an, kommt mit anderen Sportlern in Kontakt und animiert über euer Vorbild andere dazu, dem System der Versager, der Heuchler und der Schwächlinge den Rücken zu kehren“.

Rechtsextremistisches Fußballturnier | Eine überörtliche und öffentlichkeitswirksame Veranstaltung von Rechtsextremisten wurde am 13. August in Ebersburg-Ebersberg (Landkreis Fulda) mit Unterstützung starker Polizeikräfte nach vorzeitiger Kündigung des Nutzungsvertrages durch die Gemeindeverwaltung beendet. Auf dem dortigen gemeindeeigenen Sport- und Freizeitgelände hatten sich rund 60 Personen eingefunden, darunter zahlreiche Rechtsextremisten und Straftäter. An der Umfriedung des Geländes waren Propagandamaterialien (Banner, Fahne) angebracht worden. Die Polizei stellte die Personalien der Teilnehmer fest, zum Großteil Personen aus Ost- und Mittelhessen, aber auch mehrere aus anderen Bundesländern. Im Nachgang wurde auf der Facebook-Seite der rechtsextremistischen Kleinpartei Der III. Weg gegen die Beendigung der Veranstaltung agitiert.

Ideologie/Ziele

Historischer Nationalsozialismus als „Vorbild“ | Neonazis orientieren sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, an der Ideologie des Nationalsozialismus (unter anderem an Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antipluralismus) und idealisieren den „Führer“ Adolf Hitler (1889 bis 1945). Das Ziel von Neonazis ist die Schaffung eines ethnisch homogenen, diktatorischen Staats. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und -vielfalt − insgesamt Pluralismus − haben in der von Neonazis angestrebten deutschen „Volksgemeinschaft“ keinen Platz. Die „Volksgemeinschaft“ schließt Menschen anderer Kulturen und auch solche „Deutsche“ aus, die sie aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientierung und sozialer Marginalisierung als „unwert“ einstuft. Das Individuum soll sich dem angeblichen Gesamtwillen unterordnen. Historische Tatsachen deuten Neonazis in revisionistischer Manier um und leugnen dabei auch den Holocaust.

Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene | Die neonazistische Szene ist in sich nicht homogen. Zum einen wird das „Dritte Reich“ (1933 bis 1945) als Vorbild betrachtet und eine Wiederherstellung des Nationalsozialismus angestrebt, zum anderen wird die nationalsozialistische „Weltanschauung“ neu interpretiert oder − wie teilweise im Falle des AKK − mit Bezügen zum Linksextremismus und entsprechenden Aktionsformen „modernisiert“. Die überwiegende Zahl der Neonazis befürwortet jedoch die Kernelemente des Nationalsozialismus: Führerprinzip, Antisemitismus und die Ideologie der „Volksgemeinschaft“.

Zahlencodes | Intern bekennen sich Neonazis zu ihrer Ideologie, indem sie zum Beispiel nationalsozialistische Grußformeln („Sieg Heil“, „Heil Hitler“) verwenden und den „Hitler-Geburtstag“ feiern. Nach außen bekennen sich Neonazis wegen der Strafbarkeit eher in verklausulierter Form zum Nationalsozialismus, etwa in der Form der Selbstbezeichnung von Gruppierungen. So steht etwa bei dem 2015 durch den Hessischen Innenminister verbotenen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet, was AH = Adolf Hitler bedeutet. Entsprechend steht 88 für „Heil Hitler“.

Kampf gegen das „System“ | An die Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wollen Neonazis einen autoritären Führerstaat sowie eine ethnisch einheitliche „Volksgemeinschaft“ setzen. Unsere freiheitliche Demokratie bezeichnen Neonazis als „System“, das es abzuschaffen gelte. Bereits die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Republik (1918 bis 1933) mit dieser Bezeichnung diffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegen das „System“ ist ein Grundpfeiler neonazistischer Propaganda. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die früh an die neonazistische Szene herangeführt und an sie gebunden werden sollen.

„Antikapitalismus“ | Wie bereits aus der Namensgebung hervorgeht, schlug das AKK eine „antikapitalistische“ und auch „antiimperialistische“ Grundausrichtung ein. Seine Thesen, die einen „völkischen Sozialismus“ widerspiegeln, veröffentlichte das AKK im Internet. So hieß es unter anderem:

„Inhaltlich vereint alle Unterstützer des AKK der Wille, die sozialen Kämpfe in Deutschland und Europa zu bündeln um umfassend gegen die Symptome und die kapitalistische Bedrohung an sich vorzugehen. Wir wollen die Komplexität dieses Systems aus Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung nicht nur benennen, sondern uns den einzelnen Protagonisten und Akteure aktiv entgegen stellen“.

In diesem Zusammenhang formulierte das AKK vier „Grundthesen“:

1. Es gilt den Kapitalismus, seine Auswüchse und Folgen zu bekämpfen[.] Als solche gelten u. a.:
  1. Armut und Ausbeutung[.]
  2. Flucht und Vertreibung[.]
  3. Krieg und Imperialismus[.]
  4. Chauvinismus und Klassendenken[.]
  5. Profitmaximierung auf Kosten von Lebewesen und deren Umwelt[.]
  6. Die Nation muss Lebens- und Wirtschaftsraum des Volkes sein[.]
  7. Nur der Sozialismus innerhalb dieser Nation kann gerecht und nachhaltig sein[.]
  8. Die globalen Befreiungskämpfe müssen vernetzt werden um auch dem globalisierten Kapitalismus entgegen zu treten“.

Das AKK beansprucht, als neues Strategiemodell innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu fungieren, um diese von ihrer inhaltlichen und strategischen Orientierungslosigkeit zu befreien und neue ideologische und strukturelle Impulse setzen. Darüber hinaus will das AKK seinen Anhängern eine Mischung aus ideologischer Arbeit und koordiniertem sowie taktischem Vorgehen bei rechtsextremistischen Aktionen bieten.

Vor dem Hintergrund dieser Bemühungen macht das AKK seine Anhänger im Internet darauf aufmerksam, dass es lediglich minimalisierte inhaltliche Eckpunkte vorgibt, um einen Grundkonsens zwischen den Aktivisten zu schaffen. Vorhandene Strukturen sollen nicht ersetzt werden, vielmehr sollen die Beteiligten von einer Kooperation abseits des organisierten Rechtsextremismus profitieren. Parallel zu ihrer Mitwirkung in der Vernetzungsplattform gesteht das AKK seinen Angehörigen die Unabhängigkeit in jenen Organisationen zu, aus denen sie ursprünglich stammen.

Strukturen

Die Neonazi-Szene wies in der Vergangenheit unterschiedliche Strukturen und Organisationsgrade auf. Bis Mitte der 1990er Jahre waren hierarchisch strukturierte Vereine die vorherrschende Organisationsform. Zu ihnen zählte zum Beispiel die am 21. September 2011 vom Bundesminister des Innern verbotene Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) sowie der am 27. Oktober 2015 verbotene Sturm 18 e. V. In den letzten Jahren traten jedoch weniger formalisierte, lose strukturierte Kameradschaften und sogenannte Freie Kräfte an die Stelle derartiger Personenzusammenschlüsse.

Dem AKK gehörten in Hessen schwerpunktmäßig Neonazis aus dem Rhein-Main-Gebiet und Südhessen an. Darüber hinaus bekannten sich − laut eigener Darstellung im Internet − folgende Gruppierungen außerhalb Hessens zum AKK:

  • AKK Franken und Bayern,
  • AKK Baden-Württemberg,
  • AKK Berlin-Brandenburg,
  • AKK Nordrhein-Westfalen und das
  • AKK Thüringen.

Die nachfolgend aufgeführten „Einzelgruppen“, die innerhalb des AKK tätig waren, konzentrierten sich auf einzelne Städte oder Regionen in Deutschland:

  • Aktionsgruppe Nord-Ost,
  • Autonome Nationalisten Berlin und
  • Kollektiv 56 − Erfurt.

Bewertung/Ausblick

Mit seinen Aktionen beabsichtigte das AKK, verschiedene Personen im rechtsextremistischen Spektrum mittels der Themen „Antikapitalismus“ und „Antiimperialismus“ zu vereinen und zu mobilisieren. Hierbei versuchte das AKK als eine Art Integrationsfigur aufzutreten. Indem sich die Neonazis des AKK − vergleichbar zu den Aktivisten der Identitären Bewegung − in den sozialen Medien in Bezug auf Inhalte und deren aktionsorientierte Präsentation ein modernes Antlitz gaben, bemühten sie sich, bislang unpolitische bzw. politisch anders ausgerichtete Personen zu erreichen. Die Aktionsformen, die das AKK und auch die Identitäre Bewegung hierfür seit geraumer Zeit verwenden, gehörten teilweise zu einem Repertoire, das Rechtsextremisten bislang fremd war. Auch der Namensbestandteil „Kollektiv“ ist ein eher in linksextremistischen Zusammenhängen gebräuchlicher Begriff.

Die Fokussierung des AKK auf „antikapitalistische“ und „antiimperialistische“ Themen bietet den Neonazis jedoch die Möglichkeit, in eher „unverfänglicher“ Art und Weise einen größeren Personenkreis als bisher anzusprechen, da dieser außerhalb des traditionellen fremdenfeindlichen, antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Rechtsextremismus steht. Wie weit das AKK hierbei den thematischen Bogen zu spannen vermag, wird einerseits durch die gegen „CETA & TTIP“ gerichteten Veranstaltungen und andererseits durch die Proteste in Wiesbaden gegen den Lehrplan „Sexualerziehung für allgemeinbildende und berufliche Schulen in Hessen“ deutlich.

Die Beobachtung derart neuer Phänomene − wie insbesondere die des AKK und der Identitären Bewegung − sind seitens des Verfassungsschutzes dringend geboten: Diese Rechtsextremisten formulieren und präsentieren ihre politischen Botschaften in ungewohnter Form − teilweise anders als früher −, um sich in die demokratische Mehrheitsgesellschaft einzuschleichen und dort scheinbar legitime Aufnahme für ihre rechtsextremistischen Positionen zu finden.

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Definition/Kerndaten

Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionistische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im „Dritten Reich“ (1933 bis 1945) auf. Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in den folgenden Jahren an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm aber ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Deutschlands, teilweise wieder zu.

Gründung: 1964
Landesvorsitzender: Jean-Christoph Fiedler
Bundesvorsitzender: Frank Franz (Saarland)
Mitglieder: In Hessen etwa 250, bundesweit etwa 5.000
Jugendorganisation: Junge Nationaldemokraten (JN)
Medien (Auswahl): Deutsche Stimme (DS, Erscheinungsweise ­monatlich), Internetpräsenzen
Abgebildet ist das Logo der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands: Ein Kreis in roter Farbe mit weiß-rotem Rand. In der Mitte befindet sich in weißer Farbe in Großbuchstaben von unten links leicht nach oben ansteigend die Abkürzung NPD.

Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den vergangenen Jahren war die NPD in Hessen nur sehr eingeschränkt handlungsfähig, nur wenige Kreisverbände waren aktiv und traten öffentlich in Erscheinung. Den Agitationsschwerpunkt der Partei bildeten die Themen „Asylmissbrauch“ und „Flüchtlinge“, die sie vor allem in ihren Wahlkampf zur hessischen Kommunalwahl am 6. März einflocht (siehe Kapitel Kommunalwahl: Wahlkampf und Wahlergebnisse von Rechts- und Linksextremisten).

Flüchtlingsfeindliche Agitation | Im Vergleich zum Vorjahr stagnierten 2016 die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der NPD. Diese konzentrierten sich auf das Internet, Flugblattverteilaktionen und auf Demonstrationen. Laut Internetveröffentlichungen der NPD kam es in mehreren Stadteilen Darmstadts am 12. Januar zu einer Flugblattverteilaktion („Asylflut stoppen“). Ende August berichtete die NPD in Viernheim (Kreis Bergstraße) über eine Verteilaktion. Ende des Jahres sollen schließlich Flugblätter („Klartext − Sicherheit und Heimatliebe für unsere Stadt“) in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) verteilt worden sein.

Aus Schweriner Landtag ausgeschieden | Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September erreichte die NPD 3,0 % (= 24.322 Zweitstimmen) und schied aus dem Landtag aus. 2011 hatte die NPD 6,0 % (= 40.642 Zweitstimmen) und damit fünf Sitze im Schweriner Landtag gewonnen. Aufgrund dieses Resultats war die NPD bundesweit in keinem Landtag bzw. in keiner Bürgerschaft mehr vertreten.

Junge Nationaldemokraten (JN) | Angesichts ihres chronischen Mitgliedermangels versuchten die JN unter Führung ihres Vorsitzenden Thassilo Hantusch wie in den Vorjahren neue Aktivisten zu gewinnen. Hierfür warben die JN sowohl in den sozialen Netzwerken als auch über das Internet. In aktuell gehaltenen Einstellungen kommentierten die JN tagespolitische Themen und berichteten über hessen- und bundesweite Aktionen von NPD und JN.

Wie bereits in der Vergangenheit fungierten die JN als Bindeglied zum aktionsorientierten neonazistischen Spektrum, so zum Beispiel bei einer Demonstration am 7. Oktober in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis), die Thassilo Hantusch angemeldet hatte. Die Demonstration („Wir glauben an unsere Jugend − die anderen an Zuwanderung“) war ursprünglich als Fackelmarsch geplant, was die Stadt Wetzlar jedoch untersagte. Als Rednerin trat neben dem JN-Vorsitzenden die Rechtsextremistin Melanie Dittmer (Nordrhein-Westfalen) auf. An der Demonstration nahmen etwa 80 Personen teil, darunter Aktivisten des neonazistischen Antikapitalistischen Kollektivs (AKK) aus Baden-Württemberg und Hessen. Darüber hinaus stellten die JN Hessen auf ihrer Internetseite einen Bericht über eine symbolische Absperrungsaktion der EZB in Frankfurt am Main in der Silvesternacht ein (siehe Ereignisse/Entwicklungen im Kapitel Neonazis).

Entstehung/Geschichte

Bündelung rechtsextremistischer Kräfte als Ziel | Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Aus dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 2 % (= 664.193 Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 % der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb der NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlust-ängste in der Bevölkerung.

Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 % (= 1.422.010 Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocausts durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein.

„Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie auch ihre Programmatik. Das neue „Drei-Säulen-Konzept“ enthielt folgende Punkte: „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“ und „Kampf um die Parlamente“. 2004 kam der „Kampf um den organisierten Willen“ hinzu.

Im Zuge ihres „Kampfs um die Straße“ öffnete sich die NPD vor allem gegenüber rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis. Umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-Szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004 und 2006 zog die NPD in die Landtage von Sachsen bzw. Mecklenburg-Vorpommern ein. In beiden Landtagen ist sie inzwischen nicht mehr vertreten.

Konzept der „seriösen Radikalität“ | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der „seriösen Radikalität“ die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis im November 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD im September 2014 bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mitarbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit.

Ideologie/Ziele

Überwindung des „Systems“ | Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Sie wendet sich mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von der Partei in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als „System“ diffamiert, durch eine ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“ ersetzen. Solidarität soll nur „ethnischen Deutschen“ zuteilwerden. Diejenigen, die in den Augen der NPD „Fremde“ sind, grenzt sie radikal aus. „Fremde“ sollen aus dem Sozialversicherungswesen ausgegliedert und in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden.

Nationaler Sozialismus“, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus | Die mit der Globalisierung einhergehenden tatsächlichen und vermeintlichen Missstände will die NPD beseitigen, indem sie das bestehende „System“ durch einen „nationalen Sozialismus“ bzw. eine „nationale Solidargemeinschaft“ ersetzt. Vor allem Muslime macht die NPD für soziale Probleme verantwortlich, um mit dieser Schuldzuweisung Anschluss an ein ihrer Meinung nach breiteres gesellschaftliches Spektrum zu gewinnen. In der Bevölkerung vorhandene Ängste schürt die NPD bewusst und instrumentalisiert sie für eigene Zwecke.

Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. In Anlehnung an Ideologieelemente des Nationalsozialismus macht sie pauschal Juden für soziale Konflikte und gesellschaftliche Probleme verantwortlich. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile.

Kein Verbot der NPD

Mit Urteil vom 17. Januar 2017 lehnte das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Bundesrats vom 3. Dezember 2013 − Hessen hatte sich der Stimme enthalten − einstimmig als unbegründet ab, die NPD und ihre Teilorganisationen für verfassungswidrig zu erklären und aufzulösen.

Eindeutige Verfassungsfeindlichkeit der NPD | Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die NPD ein auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept vertritt. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Das politische Konzept der NPD missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin.

Aktuell keine Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Aussicht | Bei einem Parteiverbot muss sich eine Partei durch aktives und planvolles Handeln für ihre Ziele einsetzen und auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinwirken. Es müssen konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann. Lässt das Handeln einer Partei dagegen nicht auf die Möglichkeit des Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht.

Bei der NPD steht, so die Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts, weder eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele im Rahmen der Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung in Aussicht, noch ist der Versuch einer Erreichung dieser Ziele durch eine der Partei zurechenbare Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung in hinreichendem Umfang feststellbar. Dagegen muss auf Einschüchterung und Bedrohung sowie auf den Aufbau von Gewaltpotenzialen mit den Mitteln des Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen.

Keine Verstöße gegen die Staatsfreiheit und den Grundsatz des fairen Verfahrens | Der antragstellende Bundesrat hat, so das Bundesverfassungsgericht, weder das Gebot strikter Staatsfreiheit verletzt noch gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Der Antragsteller hatte alle verdeckt eingesetzten Personen auf den Führungsebenen der NPD spätestens zum Zeitpunkt des Bekanntmachens der Absicht, einen Verbotsantrag zu stellen, abgeschaltet und eine informationsgewinnende Nachsorge unterlassen. Auch lag kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, da zur Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts feststeht, dass die Prozessstrategie der NPD nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht wurde und auch keine zufällig mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangten Erkenntnisse über die Prozessstrategie im laufenden Verbotsverfahren zum Nachteil der Antragsgegnerin verwandt wurden.

Als Folge des Urteils und aufgrund eines Hinweises des Bundesverfassungsgerichts strebt der Bundesrat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eine Gesetzesänderung an, um extremistischen Parteien Zuwendungen im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung zu entziehen. So hieß es in einem Beschluss des Bundesrats vom 10. Februar 2017:

„Es muss alles dafür getan werden, dass Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen und deren politisches Konzept die Menschenwürde missachtet, nicht mit staatlichen Mitteln in die Lage versetzt werden, ihre Ziele zu verwirklichen“.

Bewertung/Ausblick

Indem die NPD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern lediglich 3,0 % der Zweitstimmen erhielt, ist sie bundesweit auf Landesebene in keinem Parlament mehr mit Mandatsträgern vertreten. Bei der hessischen Kommunalwahl erzielte die Partei − vor allem in Mittelhessen − nur vereinzelt Erfolge (siehe Kapitel Kommunalwahl: Wahlkampf und Wahlergebnisse von Rechts- und Linksextremisten). Falls sich die NPD in ihren Inhalten und deren Präsentation nicht − wie andere Bereiche innerhalb des Rechtsextremismus − „modernisiert“, ist davon auszugehen, dass sie in naher Zukunft zu flächendeckenden Wahlerfolgen in Hessen nicht mehr im Stande sein wird.

Falls darüber hinaus die staatlichen Mittel zur Finanzierung ihrer verfassungsfeindlichen Parteiarbeit wegfallen sollten, ist mit einer weiteren strukturellen und organisatorischen Schwächung der NPD in Hessen zu rechnen. Ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen werden weiterhin stagnieren und sich das Geschehen mehr denn je in sozialen Netzwerken bzw. allgemein im Internet abspielen.

Fraglich ist außerdem, inwieweit die NPD das Themenfeld „Asyl“ und „Flüchtlinge“ dauerhaft für ihre Zwecke instrumentalisieren kann, was ihr bei der Kommunalwahl noch punktuell gelang. Da die Flüchtlingszahlen rückläufig sind, ist damit zu rechnen, dass diese Thematik an Bedeutung und damit an Mobilisierungskraft verlieren wird.

Insgesamt sind Hoffnungen der NPD, durch das im Januar 2017 gescheiterte Verbotsverfahren Synergieeffekte − wie etwa einen höheren Wählerzuspruch zu ernten oder einen Zuwachs an Parteimitgliedern zu verzeichnen −, unrealistisch, da sich mittlerweile andere Protagonisten neben der Partei etabliert haben.

Der Dritte Weg/Der III. Weg

Definition/Kerndaten

Der im Jahr 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründete Dritte Weg ist eine rechtsextremistische Partei, deren Mitglieder überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum, vereinzelt aus der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), stammen. Darüber hinaus traten dem Dritten Weg Rechtsextremisten aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS) und der völkisch geprägten Neonazi-Szene bei. Ihr „Zehn-Punkte-Programm“ bezeichnet die Partei Der Dritte Weg als „sozialistisch“ mit „nationalrevolutionärem“ Charakter.

Bundesvorsitzender:: Klaus Armstroff (Rheinland-Pfalz)
Stellvertreter: Matthias Herrmann (Hessen)
Sitz: Weidenthal(Rheinland-Pfalz)
Mitglieder: In Hessen etwa 15, bundesweit etwa 350
Medien Internetpräsenzen
Abgebildet ist das Logo der Partei Der III. Weg. Dabei sind die Wörter der und Weg in schwarzen Großbuchstaben geschrieben, zwischen diesen beiden Wörtern befindet sich die Zahl drei als römische Zahl geschrieben.

Ereignisse/Entwicklungen

Die Partei Der Dritte Weg baute im Verlauf des Berichtsjahrs ihre bundesweiten Strukturen aus, indem sie die in ihrer Satzung festgelegten Gebietsverbände Mitte, Süd und West gründete. Wie in den Vorjahren agitierte Der Dritte Weg auf seiner Internet- und Facebook-Seite gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik und führte seinen Wahlkampf zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 13. März ebenfalls mit diesem thematischen Fokus. In Thüringen hielt die Partei ihren dritten Bundesparteitag ab, in dessen Rahmen ein rechtsextremistischer Liedermacher auftrat.

Gegen den „genozidalen Asylansturm“ | Agitatorischer Schwerpunkt der Partei war wie in den Vorjahren das Thema „Asylflut“. So verteilten Aktivisten des Dritten Wegs im Landkreis Limburg-Weilburg Flugblätter, die − ebenso wie die im Internet bzw. auf Facebook hierzu veröffentlichten Berichte − darauf abzielten, in der Bevölkerung Ängste zu schüren. So hieß es im August in einem Beitrag zur Unterbringung von Flüchtlingen in Dillhausen, dass auch dieser Ort „seinen Tribut im bundesdeutschen Umvolkungsprozess [zu] zahlen“ habe:

„Das Konfliktpotenzial und die Kosten der inzwischen 27 Zivilokkupanten (das entspricht knapp 5 % der Gesamteinwohnerzahl des Ortes) wird wie üblich die ortsansässige Bevölkerung tragen dürfen. Besonders brisant ist die Tatsache, dass in der genannten Straße besonders viele deutsche Familien mit kleinen Kindern wohnen. Auch hier kennen die verantwortlichen Plutokraten keine Skrupel. Sie verkriechen sich weiter in ihren Palästen und reiben sich die Hände, während die Kosten für den genozidalen Asylansturm explodieren, die einheimische Bevölkerung diese bezahlen muss, gleichzeitig immer weniger Geld und Sicherheit für deutsche Familien bereitgestellt wird und der Rest der Bevölkerung durch exorbitant-ansteigende Ausländergewalt und islamischen bzw. multikulturellen Terrorismus ermordet wird. Unsere Frauen werden vergewaltigt, unsere Kinder missbraucht und weiße, deutsche Männer weggesperrt, wenn sie auch nur die leiseste Kritik am Regime und den grauenhaften Umständen äußern, denen wir als Deutsche wehrlos ausgeliefert sind. Es ist Zeit mit allen legalen Mitteln gegen dieses System vorzugehen, welches uns Deutsche und alle anderen europäischen Völker vernichtet sehen möchte!“

„Heimatvertriebenen-Aktionstag“ | Darüber hinaus führte Der Dritte Weg verschiedene bundesweite Kampagnen durch; davon ist der „Heimatvertriebenen-Aktionstag“ im September, der unter dem historisch rückwärtsgewandten Motto „Deutschland ist größer als die BRD“ − „Verzicht ist Verrat“ stand, besonders hervorzuheben. Die neonazistische Partei wollte auf die „Vertreibung und das damit verbundene Leid der Millionen deutschen Vertriebenen aus den deutschen Ost- und Siedlungsgebieten“ während und nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) aufmerksam machen:

„Unserem Volk wurden nicht nur große Teile der Heimat geraubt, […] sondern auch die Volksseele zerstört. Die sogenannten ,Befreier‘ […] haben uns letztendlich von unserer Identität befreit. Nicht ohne Grund befindet sich unser Vaterland in solch einem desolaten Zustand und unser Volk vor der Auslöschung durch Geburtenmangel und Negierung des völkischen Seins“.

Aktivisten des Dritten Wegs stellten an Gedenkstätten für die Opfer von Krieg und Vertreibung Grablichter mit dem Logo der Kampagne auf und legten teilweise Blumen ab. Entsprechende Bilder und Texte veröffentlichte Der Dritte Weg auf seiner Facebook-Seite. In Hessen fanden Aktionen in den Landkreisen Limburg-Weilburg, Rheingau-Taunus, Lahn-Dill, Waldeck-Frankenberg und Fulda sowie im Vogelsbergkreis statt.

Ergebnis bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz | Mit lediglich 0,1 % (= 1.944 Zweitstimmen) erreichte Der Dritte Weg am 13. März weniger Stimmen, als er im Vorfeld an Unterstützungsunterschriften (2.040) für die Zulassung zur Wahl erhalten hatte. Nach eigenem Bekenntnis blieb die Partei damit hinter ihren Erwartungen zurück. Im Kampf gegen die „volksfeindliche Politik der Überfremdungsfanatiker“ sei die erstmalige Beteiligung an einer Landtagswahl dennoch wichtig gewesen: Es gelte, den „politischen Kampf der nächsten Jahre, das Bestehen der Bewegung und die kommenden Kampagnen auf sichere Füße zu stellen“. Ohne Namen zu nennen, kritisierte der Dritte Weg in diesem Zusammenhang die „halbe[n] Lösungen, Kompromisse“ und die „Politik des Nachgebens und des Anpassens“ populistischer Parteien:

„In den Fragen der nationalen Identität, der kollektiven Rechte, der vollständi-gen territorialen und kulturellen Autonomie, der nationalen Unabhängigkeit gibt es keinen Handel und keine Kompromisse. Die Natur kennt zwischen Überleben und Sterben eines Volkes keinen Kompromiss“.

„Keine reinen deutschen Fußballmannschaften“? | Im Internet agitierte Der Dritte Weg im August gegen die Auflösung eines rechtsextremistischen Fußballturniers in Ebersburg (Landkreis Fulda). Dort hatte die Gemeinde am 13. August den Nutzungsvertrag für einen Grill- und Bolzplatz gekündigt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Gelände unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angemietet worden war. Die Polizei löste das Treffen, zu dem sich etwa 60 Personen − darunter zahlreiche Rechtsextremisten − eingefunden hatten, auf. Auf seiner Internetseite provozierte Der Dritte Weg im Anschluss mit der Frage, ob es „keine reinen deutschen Fußballmannschaften mehr geben“ dürfe oder nur noch mit „festgeschriebenen Quoten an Ausländern gespielt“ werden solle, „damit der Traum von Multikulti der Regierung aufrecht erhalten bleibt?“ Weiterhin hieß es:

„Deutsche seid gewarnt, wenn ihr auf einem Geburtstag, Hochzeit, Dorffest keine Ausländer seht, rechnet immer damit, dass die Polizei die Veranstaltung auflösen könnte, da ihr alles Nazis seid, weil ja schließlich keine Ausländer dabei sind“.

Bundesparteitag und „Tag der Gemeinschaft“ | Seinen dritten Bundesparteitag führte Der Dritte Weg am 2. Oktober in Thüringen durch. Daran schloss sich ein „Tag der Gemeinschaft“ mit „Erntedankfest“ unter dem Motto „,Ehret den deutschen Bauern‘“ an:

„In keinem Teil unseres Volkes hat sich das deutsche Seelenempfinden in seiner Reinheit und Naturwahrheit besser erhalten, als im deutschen Bauerntum. Artgemäße, unverfälschte bäuerliche Lebensart, sowie Reichtum und Vielgestaltigkeit bäuerlichen Brauchtums sind geradezu der Gradmesser für die Gestaltungskraft eines ganzen Volkes“.

Der Bundesvorsitzende Klaus Armstroff eröffnete den Parteitag, an dem nach eigenen Angaben rund 200 Personen teilnahmen, und stellte in seinem Rückblick die Parteiaktivitäten im Jahr 2016 vor. Den Schwerpunkt seiner Rede bildete der bundesweite Auf- und Ausbau der Parteistrukturen, der Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz sowie die bundesweite Verteilung von angeblich über einer Million Flugblätter zum Thema „Asyl“. Des Weiteren spielte der rechtsextremistische Liedermacher Lunikoff das eigens für diesen Anlass komponierte Lied „Der III. Weg marschiert“. Bei Lunikoff handelt es sich um den Berliner Musiker Michael Regener, Sänger der rechtsextremistischen Band Lunikoff Verschwörung, der unter dem Namen Luni oder Lunikoff auch als Solist auftritt. Regener war Sänger der Band Landser − einer der früher in der Szene beliebtesten rechtsextremistischen Bands in Deutschland − gewesen, die 2003 vom Gericht zur kriminellen Vereinigung erklärt wurde und sich daraufhin auflöste.

Ideologie/Ziele

„National, sozialistisch und revolutionär“ | Die ideologische Ausrichtung der Partei Der Dritte Weg ergibt sich im Wesentlichen aus ihrem im Jahr 2013 beschlossenen „Zehn-Punkte-Programm“ und ihrem im November 2015 im Internet veröffentlichten „Selbstverständnis“. Danach begreift sich Der Dritte Weg als „national, sozialistisch und revolutionär“: „Denn nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt“.

Ähnlich wie die nationalsozialistische Ideologie unterwirft Der Dritte Weg die Freiheit des Individuums einer „Gesellschaftsordnung, welche das Volk als Gemeinschaft betrachtet, in der jeder Einzelne seine Aufgabe im Sinne des gesamten Volkes erfüllen muss […]: Vom Ich zum Wir!“ Ihre „nationalen Ziele“ sieht die Partei in ihrem „Selbstverständnis“ „politisch wie kulturell“ darin, „unserem Volk als naturgesetzliche[r] Gemeinschaft das Überleben zu sichern“. Hierzu bedürfe es einer „totale[n], geistige[n] Erneuerung des politischen Denkens“:

„Revolutionär ist also, dass wir eine völlig neue Richtung, politisch wie kulturell anstreben. Unser Wollen begreift das deutsche Volk als Lebensmittelpunkt und will internationale und kapitalistische Ideologien überwinden, hin zu einem fortschrittlich sozialistischen und völkischen Staat. Das Revolutionäre dabei ist die totale Erneuerung auf allen Ebenen des völkischen Lebens“.

In ihrem im Internet im November 2016 veröffentlichten Beitrag „Ja zur Familie Teil 1“ definierte die Partei Der Dritte Weg als ihr weiteres Ziel, das „Volk als natürlich gewachsene Gemeinschaft zu schützen und deren Weiterentwicklung zu begünstigen“, wozu es der „Stärkung und des Schutzes der kleinsten Keimzelle des Volkes, der Familie“, bedürfe. Neben der „Aufgabe der Reproduktion“ besitze die Familie die „Sozialisationsfunktion“, das heißt, die „Vermittlung von Werten und Normen des Miteinander-lebens in der Familie und somit in der völkischen Gemeinschaft“.

Darüber hinaus vertritt Der Dritte Weg geschichtsrevisionistische Positionen, indem er unter Punkt 10 seines Programms („Deutschland ist größer als die BRD“) die „friedliche Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen“ fordert.

Strukturen

Die Partei gliederte sich gemäß ihrer Satzung in die Gebietsverbände Süd, West, Nord und Mitte. Hessen zählte neben den Ländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland zum Gebietsverband West. Tatsächlich wurden diese Gebietsverbände erst im Berichtsjahr gegründet, das heißt der Gebietsverband Mitte im Januar, Süd im Juni und West im November. Der Gebietsverband West bestand aus den Stützpunkten Pfalz, Rheinhessen, Westerwald/Taunus, Sauerland-Süd und „Hermannsland“ (Letzteres in Anspielung auf den Schauplatz der Varusschlacht, in welcher der eigentlich in römischen Diensten stehende Cherusker Arminius − auch Hermann genannt − ein römisches Heer vernichtend schlug).

Während der Gründungsversammlung des Gebietsverbands West am 19. November sagte der Parteivorsitzende Armstroff laut eines Internetbeitrags des Dritten Wegs:

„Der Strukturausbau unserer volkstreuen Partei geht unvermindert weiter. Damit sich diese geschaffenen Säulen unserer nationalrevolutionären Bewegung eine gemeinsame Strukturebene geben können, sollten wir nächstes Jahr verstärkt den Norden Deutschlands in Angriff nehmen, um auch dort an der Bildung unserer politische Meinung im alltäglichen Leben teilzuhaben“.

Der Stützpunkt Westerwald/Taunus umfasste im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Zum Stützpunkt Sauerland-Süd zählte − neben Landkreisen in Nordrhein-Westfalen − der hessische Landkreis Waldeck-Frankenberg. Die in der Satzung vorgesehene Gründung von Kreisverbänden wurde bislang nicht vollzogen.

Bewertung/Ausblick

Mit ihrer unverhohlenen Fremden- und Demokratiefeindlichkeit waren die Beiträge des Dritten Wegs im Internet sowie dessen Kampagnen und Aktionen geeignet, entsprechende Vorurteile in Teilen der Bevölkerung aufzubauen bzw. Ängste zu schüren. Im Unterschied zur Identitären Bewegung, die sich in der Öffentlichkeit modern und intellektuell präsentierte, orientierte sich Der Dritte Weg traditionell rechtsextremistisch. So hieß es etwa in einer Veröffentlichung, das „Selbstverständnis eines jeden Mitgliedes unserer Partei“ sei „national und sozialistisch“.

Der Rechtsextremismusgehalt des Dritten Wegs ist daher im Gegensatz zu der sich maskierenden Identitären Bewegung deutlich erkennbar, zumal die Partei mit dem „Heimatvertriebenen-Aktionstag“ und der Lobpreisung der „artgemäßen, unverfälschten bäuerlichen Lebensart“ während des „Tags der Gemeinschaft“ rückwärtsgewandte politisch-soziale Positionen vertrat.

Wohl aufgrund dieses unverhohlenen (neonazistischen) Rechtsextremismus war Der Dritte Weg als Wahlpartei, wie das Ergebnis der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz zeigt, bedeutungslos. Ihr marginales Ergebnis verstand die Partei jedoch als Ansporn, ihren Kampf gegen die angeblich „volksfeindliche Politik der Überfremdungsfanatiker“ kompromisslos fortzusetzen und ihre organisatorischen Strukturen weiter auszubauen.

Subkulturell orientierte Rechtsextremisten/Skinheads − rechtsextremistische Musik

Definition/Kerndaten

Das Skinhead-Phänomen entstand in Großbritannien als Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft und trat Ende der 1970er Jahre erstmals in Deutschland in Erscheinung. Seit den 1980er Jahren geriet die Skinhead-Szene in der Bundesrepublik zunehmend unter den Einfluss von Rechtsextremisten. Inzwischen wurde das Spektrum zwar vielfältiger, die Grenzen zwischen Skinhead-Bewegung und sonstigen subkulturell orientierten Rechtsextremisten waren jedoch nach wie vor fließend. Daher werden beide Begrifflichkeiten als Synonyme verwendet. Skinheads sind heute auf den ersten Blick nicht immer als solche zu erkennen. Springerstiefel und Bomberjacke werden durch Turnschuhe und beliebte Szeneartikel ersetzt. Aber auch lange Haare, dunkle Kleidung und schwarze Schminke sind insbesondere bei Anhängern der Musikrichtung des National Socialist Black Metal (NSBM) verbreitet. Skinheads sind auf Freizeitaktivitäten ausgerichtet. Sie agieren dabei überwiegend ohne organisatorische Bindungen.

Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 360, bundesweit etwa 8.500
Rechtsextremistische Musikgruppen in Hessen: Faust und Nordglanz (NSBM)

Ereignisse/Entwicklungen

Soweit rechtlich möglich, unterbinden die Sicherheitsbehörden rechtsextremistische Konzerte in Hessen. Aufgrund dieser restriktiven Vorgehensweise fand im Berichtsjahr in Hessen kein rechtsextremistisches Konzert statt.

Konzert verhindert | Unter dem Vorwand, eine „Wiedersehensfeier mit Freunden und Live-Musik von Coverbands“ durchführen zu wollen, hatte eine Person aus Niedersachsen für den 12. November die Stadthalle in Diemelstadt-Rhoden (Landkreis Waldeck-Frankenberg) angemietet. Tatsächlich sollte jedoch ein rechtsextremistisches Konzert mit Szenebands, darunter den Gruppen Kraft durch Froide (Berlin) und Endstufe (Bremen), stattfinden. Am Veranstaltungstag versammelten sich vor dem Eingang der Stadthalle etwa 300 Personen, die offensichtlich der rechtsextremistischen Szene angehörten. Ebenso waren bereits rechtsextremistische Gruppen im Stadtgebiet von Diemelstadt aufgefallen. Wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen kündigte daraufhin der Bürgermeister dem Veranstalter den Mietvertrag für die Stadthalle. Gegenüber den bereits anwesenden Rechtsextremisten sprach die Polizei Platzverweise aus.

Andere Musikveranstaltungen | Im Nachgang zu der Demonstration am 7. Oktober in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) fand in dem Treffpunkt Bistro Hollywood, in der Szene als Teutonicus bekannt, in Leun (Lahn-Dill-Kreis) ein Balladenabend mit dem rechtsextremistischen Liedermacher Philipp Neumann von der rechtsextremistischen Musikgruppe „FLAK“ statt. Die Veranstaltung entfaltete keine Außenwirkung. Ferner fanden im Berichtsjahr zwei Musikdarbietungen im internen Kreis statt.

Mobilisierungskraft rechtsextremistischer Musik | Dass vier Wochen zuvor in der Schweiz, maßgeblich von Rechtsextremisten aus Deutschland organisiert, mit etwa 5.000 Besuchern eines der größten rechtsextremistischen Konzerte der letzten Jahre in Europa stattgefunden hatte, zeigt, wie stark die Mobilisierungskraft rechtsextremistischer Musik ist. Auch in der Schweiz hatten Rechtsextremisten die Veranstaltungshalle unter Vorspiegelung falscher Tatsachen („Rocktoberfest“ mit Schweizer Nachwuchsbands) angemietet, wobei das Konzert in der Szene für den „Raum Süddeutschland“ angekündigt worden war. Die Zahl der Teilnehmer aus Hessen lag im mittleren zweistelligen Bereich.

Musik und Konzerte

Rechtsextremistische Musik spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die rechtsextremistische Szene und ist zugleich ein bedeutendes, jugendorientiertes Medium zum Transport entsprechender Botschaften. Oft stehen im Vordergrund des Musikerlebnisses zunächst nicht ideologische Inhalte, sondern für die Hörer einprägsame Melodien und einfache Rhythmen. Die Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus ist dabei niedrig, da Musik nahezu jederzeit und überall konsumierbar ist. Die Musik dient der Selbstdarstellung und der szeneinternen Kommunikation über Werte und Feindbilder und ist Ausdruck eines subkulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wirkt der Konsum von rechtsextremistischer Musik oft als Katalysator von Gefühlen und Aggressionen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann dies bei Rechtsextremisten zu Gewaltausbrüchen führen.

Subkulturell orientierte Rechtsextremisten/Skinheads folgen in der Regel keiner bestimmten Ideologie oder einem in sich geschlossenen Weltbild. Vielmehr zeichnen sie sich durch vielfältige, eher diffuse rechtsextremistische Einstellungen aus, die sich an das Gedankengut von Neonazis anlehnen. Eine vertiefte „weltanschauliche“ und politische Auseinandersetzung findet dabei nicht statt. Im Vordergrund steht eine erlebnis- und aktionsorientierte Lebensgestaltung vor allem in Form des Konsumierens von Musik.

Konzerte spielen für subkulturell orientierte Rechtsextremisten/Skinheads eine wichtige Rolle. In der eher strukturlosen Szene sind Konzerte identitätsstiftende Ereignisse und dienen der Kommunikation und Vernetzung. Zudem üben die in der Regel konspirativ organisierten, bisweilen illegalen Konzerte gerade auf junge Rechtsextremisten eine große Faszination aus.

Noch größere Bedeutung als Konzerte haben für subkulturell orientierte Rechtsextremisten/Skinheads, aber auch für Neonazis und rechtsextremistische Parteien, mittlerweile Liederabende. Auftritte überwiegend einzelner rechtsextremistischer Interpreten dienen als Treffpunkt und Plattform, wobei politische Botschaften über die Liedtexte mit Zwischenmoderationen verknüpft und zur Anwerbung potenzieller Interessenten genutzt werden.

Rechtsextremistische Musik wird auch über das Internet verbreitet. So findet man offen auf YouTube rechtsextremistische Videos wie etwa der rechtsextremistischen Hooligan-Band Kategorie C − Hungrige Wölfe (Bremen) mit gewaltverherrlichenden Texten. Die intensive Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene ist für die Sicherheitsbehörden obligatorisch, um Inhalte auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen.

Ein Beispiel von vielen für rechtsextremistische Agitation und Hetze ist die CD „Steht auf und kämpft!“ der Band Nordglanz aus Hessen, deren Liedtexte im Internet heruntergeladen werden können. Im Jahr 2014 indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) zwei Titel der CD und belegte diese damit mit Vertriebs- und Verbreitungsbeschränkungen. Der Titel „Wehrt Euch“ reizt, so die BPjM, „zum Rassenhass insbesondere gegen Juden an. In dem Lied wird dazu aufgefordert, die Juden zusammenzurotten bzw. sie zusammenzuschlagen und Widerstand gegen sie zu leisten“.

Der ebenfalls volksverhetzende Titel „Retter der Nation“ verherrlicht den nationalsozialistischen Diktator und Anti-semiten Adolf Hitler. Der Text stellt eine abscheuliche Aneinanderreihung von rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Hasstiraden dar.

Auch bei dem Thema „Islam“ hetzen Rechtsextremisten auf szenetypischem Niveau in aggressiver Art und Weise und würdigen Menschen islamischen Glaubens sowie Migranten herab. Ein Beispiel hierfür ist die im Jahr 2015 erschienene CD „Musik Heil!“ der Gruppe Projekt Chaos, welche die BPjM am 18. Juli 2016 indizierte. In dem bereits im Jahr 2010 indizierten Lied „Wegmoshen“ stachelt die Gruppe zum Hass gegen Menschen islamischen Glaubens an und ruft dazu auf, mit Gewalt gegen Muslime und ihre Gebetshäuser vorzugehen.

Bereits das CD-Cover ist verabscheuenswürdig und perfide, da hierauf und auf dem Tonträger selbst die Buchstaben und Zahlen „DE438818“ stehen. Unter dieser Bezeichnung war im Jahr 1922 das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B als Verfahren zur Absorption von Blausäure zum Patent angemeldet worden. Zyklon B wurde in den Gaskammern der nationalsozialistischen Konzentrationslager, insbesondere in Auschwitz-Birkenau, eingesetzt, um Menschen − vor allem jüdischen Glaubens − zu ermorden. Zyklon B ist ein Synonym für den Holocaust und den damit verbundenen Zivilisationsbruch.

Hammerskins

In mehreren Ländern verfügen die Ende der 1980er Jahre in den USA gegründeten Hammerskins über mehr oder weniger unabhängige Ableger. In Deutschland ist die Gruppierung den Sicherheitsbehörden seit den frühen 1990er Jahren bekannt. Sie ist in mehrere „Chapter“ („Sektionen“) untergliedert und fungiert hauptsächlich als Veranstalterin von Konzerten. Ein extrem ausgeprägtes Elitedenken und entsprechend hohe Aufnahmehürden kennzeichnen die Hammerskins. In Hessen gibt es lediglich einzelne Anhänger der Gruppierung.

Ihre Ziele und ihr rassistisches Weltbild fassen die Hammerskins in den „14 Words“ zusammen, die der amerikanische Rechtsextremist David Lane (1938 bis 2007) prägte: „We must secure the existence of our people and a future for white children“ („Wir müssen die Existenz unseres Volks und eine Zukunft für weiße Kinder sichern“). Dieser „Leitsatz“ ist in der gesamten subkulturell orientierten rechtsextremistischen Szene sehr beliebt: Die Zahl 14 und der Schriftzug „14 Words“ sind als Tätowierung weit verbreitet.

Bewertung/Ausblick

Rechtsextremistische Musik und der Besuch von Konzerten dienen vielfach als Einstieg in den Rechtsextremismus. Entsprechende Inhalte und vor allem Teile der neonazistischen Ideologie werden insbesondere jugendlichen Neueinsteigern auf eingängige Art und Weise vermittelt. Aufgrund der hieraus für Jugendliche resultierenden Gefahren ist die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten/Skinheads ein wichtiges Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes in Hessen.

Konsequent unterbinden die hessischen Sicherheitsbehörden rechtsextremistische Konzerte. Somit verliert die rechtsextremistische Szene eine zentrale Anlaufstelle und ein wichtiges Bindeglied zu Jugendlichen, die noch außerhalb des Rechtsextremismus stehen. Aufgrund des konsequenten Handelns der Sicherheitsbehörden bleiben daher in Hessen Personenpotenzial und Aktivitäten der subkulturell orientierten Rechtsextremisten/Skinheads auf unverändertem Niveau.

Straf- und Gewalttaten

Der Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Straftaten des Jahres 2015 setzte sich im Berichtsjahr fort. Dabei blieben die Propagandadelikte wie in der Vergangenheit deutlicher Schwerpunkt. Die Zahl der in Hessen registrierten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten blieb auf einem im Bundesvergleich relativ niedrigen Niveau. (Siehe im Glossar und Abkürzungsverzeichnis unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

Hervorzuheben sind folgende drei Straftaten in der Deliktart „Brandstiftung/Sprengstoffdelikte“:

  • Am 18. Juni wurden zwei sich dort bereits befindende Gasflaschen in den Rohbau einer geplanten Unterkunft für Flüchtlinge in Wiesbaden gebracht und die Ventile der Flaschen aufgedreht. Der oder die Täter sind unbekannt.
  • Am 25. Juli wurde in Frankfurt am Main einen Pkw in Brand gesetzt, nachdem kurz vorher die Zahl 88 in die Motorhaube geritzt worden war. Der oder die Täter sind unbekannt.
  • Am 25. September schleuderte ein rechtsextremistisch in Erscheinung getretener Beschuldigter in Bebra (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) gegen die Außenfassade des dortigen Türkisch Islamischen Kulturvereins e. V. eine Flasche mit einer brennbaren Flüssigkeit.
Abgebildet ist die Tabelle rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten in Hessen. In der linken Spalte steht die Deliktart. Die weiteren drei Spalten enthalten Angaben zu den Deliktarten jeweils für die Jahre 2016, 2015 und 2014.
In den Jahren 2016 und 2015 gab es keine Tötung, in der Spalte für das Jahr 2014 befindet sich ein Sternchen für eine Fußnote. In der Fußnote steht: Das Tötungsdelikt an einem ruandischen Staatsangehörigen am 23. Oktober 2014 wurde erst nach dem Stichtag der statistischen Erhebung als extremistische Straftat bewertet und ist daher in der polizeilichen Statistik politisch motivierte Kriminalität für das Jahr 2014 nicht erfasst.
Im Jahr 2016 gab es keine versuchte Tötung, es gab eine versuchte Tötung im Jahr 2015, es gab keine im Jahr 2014.
Im Jahr 2016 gab es 19 Körperverletzungen, im Jahr 2015 gab es 17, im Jahr 2014 gab es 17 .
Im Jahr 2016 gab es drei Delikte im Bereich Brandstiftung/Sprengstoffdelikte. In den Jahren 2015 und 2014 gab es keine Delikte.
In den Jahren 2016 und 2015 gab es kein Delikt im Bereich Landfriedensbruch, im Jahr 2014 gab es ein Delikt.
In den Jahren 2016, 2015 und 2014 gab es kein Delikt im Bereich gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft und Straßenverkehr.
Im Jahr 2016 gab es ein Delikt im Bereich Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte, im Jahr 2015 gab es zwei Delikte, im Jahr 2014 gab es drei Delikte.
Die Anzahl dieser Gewalttaten betrug im Jahr 2016 insgesamt 23, im Jahr 2015 20 und im Jahr 2014 21 Delikte.
Darüber hinaus kam es zu weiteren, sogenannten sonstigen Straftaten.
Im Jahr 2016 gab es 41 Delikte im Bereich Sachbeschädigung, im Jahr 2015 gab es 57 Delikte, im Jahr 2014 gab es 19 Delikte.
Im Jahr 2016 gab es 29 Delikte im Bereich Nötigung/Bedrohung, im Jahr 2015 gab es 16 Delikte, im Jahr 2014 gab es zwei Delikte.
Im Jahr 2016 gab es 706 Delikte im Bereich andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte), im Jahr 2015 gab es 566 Delikte, im Jahr 2014 gab es 471 Delikte.
Insgesamt betrug die Anzahl der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten in Hessen im Jahr 2016 799 . Im Jahr 2015 waren es 659 und im Jahr 2014 513 rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten.
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