Im Themenfeld „Antifaschismus“ waren Autonome vorrangig gegen Parteien und Organisationen aktiv, die aus ihrer Sicht mitverantwortlich für das Wiedererstarken von Rassismus und Nationalismus in Teilen der Gesellschaft sind. Hierfür gründeten Autonome im Januar in Frankfurt am Main die bundesweite Kampagne Nationalismus ist keine Alternative (NIKA). Als lokale Repräsentantin der Kampagne entstand in Frankfurt am Main die Aktionsplattform Antifa United Frankfurt (AUF), die sich zur aktivsten autonomen Gruppe in Hessen im Berichtsjahr entwickelte. Unter anderem im Zuge der NIKA-Kam-pagne kam es auch in Hessen zu Störungen von Veranstaltungen des politischen Gegners, Sachbeschädigungen, Outings und teilweise körperlichen Angriffen. Dabei nahmen Linksextremisten verstärkt die Alternative für Deutschland (AfD) als zentralen „faschistischen“ Feind ins Visier und leiteten aus ihrem „antifaschistischen“ Kampf die Legitimation ab, Straf- und Gewalttaten zu verüben.
Im zweiten herausragenden Themenfeld „Antirassismus“ war insbesondere das Frankfurter Project.Shelter mit vielfältigen „Aktionen“ über das gesamte Berichtsjahr hinweg aktiv. Aktivisten der Gruppierung besetzten im Januar und Juli in Frankfurt am Main jeweils ein Haus, um ihrem Anliegen, ein „Willkommens- und Beratungszentrum mit Wohnmöglichkeiten für obdachlos Geflüchtete und Migrant*innen“ zu schaffen, Nachdruck zu verleihen. Zu weiteren „antirassistischen Aktionen“ kam es in Form von Demonstrationen in Dreieich (Landkreis Offenbach), in Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg) und am Frankfurter Flughafen.
Aus Solidarität mit einem in Berlin zum Teil geräumten autonomen Szenetreffpunkt kam es im gesamten Bundesgebiet − auch in Hessen − zu „Solidaritätsaktionen“, indem offensichtlich Linksextremisten Sachbeschädigungen an Gebäuden und Fahrzeugen begingen. Als Grund nannten die Täter sowohl die fortschreitende Gentrifizierung als auch „rassistische Kontrollen“ durch die Polizei und ein Unternehmen, das „Überwachungssysteme“ herstellt.
In den Hintergrund rückte dagegen das Thema „Antikapitalismus“: Nach dem Ende der gewaltsamen Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) im Jahr 2015 in Frankfurt am Main verlagerte das linksextremistisch beeinflusste Blockupy-Bündnis seinen Schwerpunkt nach Berlin, büßte dort aber an Bedeutung ein. Dennoch befasste sich die linksextremistische Szene bundesweit seit Ende 2016 mit der Planung der Proteste gegen das Zusammentreffen der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) in Hamburg im Juli 2017 als nächstes bedeutsames „antikapitalistisches“ Großereignis.
„Antifaschismus“: NIKA-Kampagne | Während eines vom …umsGanze!-Bündnis initiierten Treffens „antifaschistischer“ und „antirassistischer“ Gruppen am 31. Januar in Frankfurt am Main auf dem Campus Bockenheim der Goethe-Universität riefen die etwa 400 Teilnehmer die NIKA-Kampagne ins Leben. Sie verständigten sich auf ein „gemeinsames Vorgehen gegen den völkischen Nationalismus von AfD und Pegida sowie das staatliche Grenzregime“. Ein Sprecher des …umsGanze!-Bündnisses erklärte:
„,Die aktuelle Situation ist keine ,Flüchtlingskrise‘, sondern eine Krise der Abschottung und eine der kapitalistischen Reichtumsproduktion und Verteilung. Während die völkische Rechte um die AfD mit Schaum vor dem Mund versucht, diese Situation rassistisch umzudeuten und dabei einer menschenverachtenden Straßengewalt das Wort redet, renoviert die bürgerliche Mitte kühl kalkulierend die Festung Europa und nimmt deren tödliche Konsequenzen billigend in Kauf‘“.
Darüber hinaus sollte NIKA zum „Aufbau antirassistischer Notfallstrukturen sowie antifaschistischer Basis- und Jugendarbeit“ auf lokaler Ebene dienen. Hierzu wurde ebenfalls im Januar AUF gegründet, das sich im Jahresverlauf als Sammelbecken junger, aktionsorientierter Autonomer in Frankfurt am Main etablierte. AUF bot offene Treffen sowie ideologische Schulungen in Form von Workshops und Seminaren an und beteiligte sich − teilweise federführend − an verschiedenen Demonstrationen.
Im Rahmen der NIKA-Kampagne kam es bundesweit zu zahlreichen „Aktionen“, die sich vor allem gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD) richteten. Darüber hinaus riefen die Aktivisten im Vorfeld der Kommunal- und Landtagswahlen in Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt für den 5. und 6. März zu einem bundesweiten Aktionstag auf, um die „,Brandstifter in Nadelstreifen‘“ zu besuchen.
In Hessen fanden in diesem Zusammenhang unter anderem folgende Ereignisse statt:
- Am 3. März wurden mehrere Fensterscheiben des Fahrzeugs und des Wohnhauses eines AfD-Funktionärs in Biedenkopf (Landkreis Marburg-Biedenkopf) zerstört sowie die Hauswand mit Farbe beschmiert.
- Am Abend des 4. März befestigten mehrere unbekannte Täter eine Sperrholzplatte mit dem Schriftzug „Ihr wollt Abschottung? Die könnt Ihr haben!“ an der Eingangstür der AfD-Landesgeschäftsstelle in Frankfurt am Main.
- Am 5. März störten mehrere als Clowns verkleidete Personen einen Wahlkampfstand der AfD in Kassel,indem sie mit Luftschlangen undKonfetti um sich warfen und den Stand mit einem Absperrband einzäunten, um so die „Hetze [der AfD] symbolisch zu unterbinden“. Über die Aktionen wurde auf der eigens für die Kampagne erstellten Homepage nationalismusistkeinealternative.net sowie auf der linksextremistischen Internetplattform linksunten.indymedia.org berichtet.
Zu Protesten gegen den AfD-Bundesprogrammparteitag am 30. April und 1. Mai in Stuttgart (Baden-Württemberg) wurde auf der NIKA-Internetseite aufgerufen, darüber hinaus mobilisierten hierfür große Teile der bundesweiten linksextremistischen Szene. In Hessen waren dies unter anderem die autonomen Gruppierungen AUF, kritik&praxis − radikale Linke [f]rankfurt, siempre*antifa Frankfurt/M und Offenes Antifaschistisches Treffen (OAT) Darmstadt. Am 30. April versuchten etwa 1.500 Personen, darunter etliche Linksextremisten, den AfD-Tagungsort zu blockieren, was die Polizei verhinderte. Einige der zum Teil vermummten Gewalttäter führten Eisenstangen und Holzlatten mit sich, entzündeten Feuerwerkskörper und steckten Autoreifen in Brand. Auch in der Stuttgarter Innenstadt kam es zu Protesten. Unter den insgesamt etwa 2.000 Demonstranten befanden sich bis zu 1.000 gewaltorientierte Personen, von denen die Polizei etwa 600 vorübergehend in Gewahrsam nahm. Acht Polizeibeamte wurden verletzt.
Während der zweiten Aktionskonferenz der NIKA-Kampagne (18. und 19. Juni), die erneut auf dem Campus Bockenheim stattfand, beschlossen die etwa 100 Teilnehmer einen Fahrplan für ihre weiteren Aktivitäten: „Europaweite dezentrale Aktionstage vom 24.-26. Juni“ unter dem Motto „Die Festung Europa angreifen“, Ausrichten des „NoBorder-Camps in Thessaloniki“ (Griechenland) vom 15. bis 25. Juli und Proteste organisieren gegen den Tag der Deutschen Einheit in Dresden (Sachsen) am 3. Oktober. Außerdem nahm die NIKAKampagne die Bundestagswahl 2017 ins Visier, um vor allem den Wahlkampf der AfD massiv zu stören.
Neben der NIKA-Kampagne und den AUF-Aktivitäten gab es weitere linksextremistische Aktionen gegen vermeintliche oder tatsächliche rechtsextremistische Parteien und Organisationen:
- Am 22. Januar versuchten drei vermummte Personen an einem Wahlkampfstand der nichtextremistischen Organisation Bürger für Frankfurt ein Plakat zu beschädigen, woraufhin es zu einem Handgemenge kam.
- Gegen die rechtsextremistisch gesteuerte Demonstration „Büdingen wehrt sich − Asylflut stoppen“ am 30. Januar in Büdingen (Wetteraukreis) protestierten etwa 1.000 Personen, darunter etwa 300 Linksextremisten, von denen rund 50 der gewaltbereiten autonomen Szene zuzurechnen waren. Die Frankfurter autonome Gruppierung Antifa Kritik & Klassenkampf (AKK) zeigte ein Banner mit dem Schriftzug „Deutschland, halt’s Maul! Das Proletariat hat kein Vaterland!“ Bis zu 80 Personen versuchten, den Teilnehmern der Demonstration „Büdingen wehrt sich − Asylflut stoppen“ den Weg zu versperren und warfen Steine und Böller auf die Polizei, wobei sechs Beamte verletzt wurden. Vom Ergebnis der Gegenproteste zeigten sich „unabhängige Antifas“ auf einer von Linksextremisten genutzten Internetseite enttäuscht, weil es nicht gelungen sei, den „FaschistInnen“ ein „Fiasko“ zu bereiten.
Darüber hinaus kam es zu weiteren „Aktionen“, die sich gegen die AfD richteten. Hierüber wurde zum Teil auf der linksextremistischen Internetseite www.linksunten.indymedia.org berichtet bzw. veröffentlichte die Internetplattform entsprechende Selbstbezichtigungen. In einem von linksunten.indymedia.org veröffentlichten Beitrag wurde die AfD als „menschenfeindliches Projekt“ bezeichnet, das seit Monaten mit seinen „Positionen den medialen Diskurs“ dominiere und so „nicht unwesentlich zu einer rassistischen Mobilmachung“ beitrage. Vor diesem Hintergrund wurde appelliert:
„Eine radikale antifaschistische Politik muss diese Entwicklung konsequent stoppen. In diesem Sinne gilt nach wie vor[:] Nationalismus ist keine Alternative, gegen den brauen Mob und für eine befreite Gesellschaft“.
In diesem Zusammenhang sind folgende Ereignisse zu erwähnen, wobei bemerkenswert ist, dass aufgrund der linksextremistischen Fokussierung auf AfD-Angehörige die Zahl der Outings im Vergleich zum Berichtsjahr 2015 erheblich anstieg:
- Am 25. Februar wurden Fensterscheiben eines Hotels in Cölbe (Landkreis Marburg-Biedenkopf) zerstört, rote Farbeier auf die Fassade geworfen und die Schriftzüge „AfD angreifen“ und „Kein Raum der AfD“ aufgesprüht. Die Partei hatte in dem Hotel Räumlichkeiten für eine Veranstaltung angemietet.
- Im Zeitraum zwischen dem 7. und 10. April brachten unbekannte Täter an den Wohnsitzen von neun Stadtverordneten der AfD Wiesbaden Farbschmierereien auf dem Boden an.
- Unter der Überschrift „AfD Frankfurt − Ein Überblick“ wurden am 21. August auf linksunten.indymedia.org 30 Kandidaten der AfD zur Kommunalwahl mit Namen, Adressen und teilweise Bildern geoutet und die AfD unter anderem beschuldigt, ein „Sammelbecken für unterschiedliche rechtspopulistische, konservative und sonstwie geartet reaktionäre Positionen und Vorstellungen“ zu schaffen. Außerdem wurde ein „Auszug aus der gehackten Anwesenheitsliste des Bundesparteitages der AfD in Stuttgart 2016“ veröffentlicht, worin 23 Teilnehmer aus Frankfurt am Main mit Namen, Adresse, E-Mail-Adresse, Telefonnummer und Geburtsdatum genannt wurden.
- Etwa 130 Personen, teils gewaltbereit und als Clowns verkleidet, versuchten am 29. November in Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis) eine AfD-Versammlung zu verhindern bzw. massiv zu stören. Durch ihr Eingreifen verhinderte die Polizei ein Eskalieren der Situation.
- Am 20. und 21. Dezember wurden drei AfD-Politiker aus Frankfurt am Main und Darmstadt geoutet, indem auf linksunten.indymedia.org Flugblätter mit deren Bild und Personalien veröffentlicht wurden: „Dass Mitglieder der AfD in städtischen Ämtern arbeiten und an sozialen Ausschüssen beteiligt sind, darf nicht hingenommen werden“. In einem Fall verteilte etwa ein Dutzend Aktivisten in der Nähe der Arbeitsstelle der Betroffenen ein entsprechendes Flugblatt.
Neben AfD-Angehörigen outeten Linksextremisten auch Neonazis und Burschenschaften, so etwa am 1. Dezember Angehörige einer Burschenschaft in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) auf einer eigens hierfür eingerichteten Internetseite. Es wurden nicht nur personenbezogene Daten, sondern auch interne Fotos und ausführliche Aufzeichnungen über das Finanzgebaren der „strukturell faschistische[n] Organisation“ veröffentlicht. Eine Spiegelung des Outings erschien am 2. Dezember auf der linksextremistischen Internetseite www.linksunten.indymedia.org.
„Antirassismus“: „Selbstverwaltetes Zentrum für obdachlose Migrant*innen“ und Demonstrationen gegen Abschiebungen | Obwohl im Dezember 2015 in Frankfurt am Main eine gemeinsame Hausbesetzung mit der autonomen Gruppe siempre*antifa Frankfurt/M gescheitert war, hielten Autonome im Berichtsjahr an ihrem Plan fest, ein „selbstverwaltetes Zentrum für obdachlose Migrant*innen zu schaffen“, das als „Ausgangspunkt für den Widerstand gegen die vorherrschenden Verhältnisse“ genutzt werden soll:
„Praktische Solidarität und politischer Widerstand sind […] unmittelbar miteinander verknüpft − schließlich kommt das Elend nicht durch Zufall, sondern eben durch die bestehende Ordnung in die Welt. Rassismus, Armut und Ausgrenzung sind damit keine unumstößlichen Tatsachen, sondern gesellschaftliche Zustände, die es abzuschaffen gilt“.
Damit verknüpft war die Aufforderung „Kommt vorbei, wir freuen uns − und die Festung Europa lässt sich auch schlecht allein einreißen“ sowie die Einladung zum „offenen Kennenlernen im Shelter-Café“:
„Weitergehend müssen diejenigen, denen die kleingeistige Deutschtümelei schon längst zum Hals raushängt sich zusammentun und über Strategien des Widerstands sprechen − und diese anschließend auch in die Tat umsetzen“.
Unterstützung für seine Aktionen erhielt Project.Shelter vor allem von der Frankfurter autonomen Szene, zum Beispiel von kritik&praxis − radikale Linke [f]rankfurt, AUF, siempre*antifa Frankfurt/M und der Interventionistischen Linken (IL) Frankfurt.
Nachdem aus Sicht der Autonomen „alle Bemühungen um ein selbstverwaltetes Zentrum an der Stadt gescheitert“ waren, besetzten am 13. Februar etwa 50 vermummte Personen zum zweiten Mal ein leerstehendes Gebäude − nun im Frankfurter Stadtteil Alt-Sachsenhausen − und errichteten Barrikaden. Um sich Zutritt zu verschaffen, musste die von Anwohnern alarmierte Polizei an den Barrikaden stehende Aktivisten zur Seite drängen und kurzfristig Pfefferspray einsetzen. Im Gebäude selbst stellte die Polizei keine Personen mehr fest. Anschließend zogen etwa 100 Aktivisten in einem spontan angemeldeten Aufzug zur Konstabler Wache. Von dort begab sich der überwiegende Teil der Demonstranten zum autonomen Szenetreff Klapperfeld. Später hieß es in den sozialen Medien: „,Wir kommen wieder‘“.
Am 5. Juli besetzten Autonome im Frankfurter Stadtteil Alt-Bornheim erneut ein Haus, wobei der Eigentümer darauf verzichtete, einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs zu stellen und sich mit der Nutzung des Erdgeschosses für ein „selbstverwaltetes Zentrum für obdachlose Migrant*innen“ bis auf weiteres einverstanden erklärte. In einer Pressemitteilung feierten die Aktivisten dies als „wichtigen Teilerfolg“ auf ihrem Weg zu einem „Willkommens- und Beratungszentrum“ und kündigten an, in dem Gebäude ein „Begegnungscafé“ einrichten zu wollen. Um der nach wie vor unerfüllten Forderung „Kein Tag mehr ohne ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum in Frankfurt! Die Häuser denen[,] die sie brauchen!“ Nachdruck zu verleihen, besetzten am 26. Juli etwa 25 Aktivisten vorübergehend den Eingangsbereich des Liegenschaftsamts in der Frankfurter Innenstadt.
Nachdem in der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember eine Scheibe des Begegnungscafés eingeschlagen und der Innenraum verwüstet wurde, fanden am 10. und 14. Dezember in Frankfurt am Main zwei Solidaritätsdemonstrationen mit 150 bzw. 120 Teilnehmern statt. Ein Bekennerschreiben suggerierte einen rassistischen Hintergrund, allerdings war abschließend nicht zu klären, ob es sich um eine politisch motivierte Tat oder Vandalismus handelte.
Darüber hinaus kam es im Themenfeld „Antirassismus“ im Berichtsjahr zu mehreren Demonstrationen, an denen sich Linksextremisten beteiligten:
- Am 9. Januar nahmen etwa 700 Personen in Dreieich (Landkreis Offenbach) an einer Demonstration („Solidarität mit allen Geflüchteten! Das Problem heißt Rassismus!“) teil, zu der unter anderem kritik&praxis − radikale Linke [f]rankfurt, siempre*antifa Frankfurt/M, Antifa R4 aus Gießen (Landkreis Gießen) sowie das Gießener autonome Szeneobjekt AK 44 aufgerufen hatten. Anlass waren die Schüsse auf die dortige Flüchtlingsunterkunft in der Nacht zum 4. Januar, wobei ein Bewohner im Schlaf leicht am Bein verletzt worden war. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben später, dass dem Anschlag kein fremdenfeindliches Motiv zugrunde lag.
- Unter dem Motto „Gegen Fremdenfeindlichkeit, Solidarität mit Flüchtlingen“ demonstrierten am 10. Januar etwa 250 Personen in Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg). Hierzu hatten wiederum die Antifa R4 und AK 44, aber auch die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (A.R.A.G.) aufgerufen.
- Nachdem Anfang Dezember öffentlich bekannt wurde, dass auf der Grundlage der zwischen der Islamischen Republik Afghanistan und der Bundesrepublik Deutschland getroffenen Vereinbarung die Rückkehr von afghanischen Staatsbürgern in ihr Heimatland organisiert wird, kam es am 10. und 14. Dezember am Frankfurter Flughafen zu Demonstrationen, unter denen sich auch mehrere Autonome befanden.
„Anti-Gentrifizierung“/„selbstverwaltete Freiräume“: Solidaritätsaktionen für das Berliner Szeneobjekt „Rigaer 94“ | Nachdem am 22. Juni in Berlin der bundesweit symbolträchtige autonome Szenetreffpunkt Rigaer Straße 94/Kaderschmiede teilweise geräumt worden war, kam es als Reaktion hierauf in den folgenden Tagen und Nächten zu mehreren Spontandemonstrationen, Angriffen auf die Polizei und zahlreichen Sachbeschädigungen an Gebäuden. Auch Fahrzeuge wurden in Brand gesetzt. Darüber hinaus fanden im gesamten Bundesgebiet „Solidaritätsaktionen“ statt. Sie reichten von Internetverlautbarungen über unangemeldete Demonstrationen bis hin zu weiteren Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. In Hessen waren insbesondere Frankfurt am Main und Kassel betroffen.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni wurde in Frankfurt am Main das ehemalige Philosophicum der Goethe-Universität vermutlich mittels einer Zwille mit mehreren Metallkugeln beschossen. Zehn Fenster wurden beschädigt, es entstand ein Schaden in Höhe von etwa 15.000,– Euro. In einem auflinksunten.indymedia.org veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben bezeichneten die Täter ihre Aktion als Antwort auf die Räumung der Rigaer Straße und kündigten weitere „Aktionen“ an. Insbesondere drohten sie der Polizei, sich die „Kugeln nur gut anzuschauen und aufzupassen“. Zugleich kritisierten die Verfasser den geplanten Umbau des Philosophicums in ein − aus ihrer Sicht − „luxuswohnheim für ,studierende‘“ als „teil der repressiven politik auf dem campus bockenheim“, die sich auch in „rassistischen kontrollen gegen geflüchtete und vermeintliche dealer*innen, welche irgendwie meist sogenannte migranten sind“, äußere (Schreibweise der Zitate wie im Original).
Ende Juni bekundete in Kassel eine dem autonomen Spektrum nahestehende Gruppe auf ihrer Facebook-Seite ihre Solidarität mit der Rigaer Straße 94 und forderte unter anderem dazu auf: „tunt nen paar Karren runner, produziert Altglas, schiebt das Altpappier zusammen und heizt auch den Bonzigen Geldsäcken in Kassel und Umgebung mal so richtig einzuheizen!!!“ (Schreibweise wie im Original). In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli wurden in Kassel zwei Fahrzeuge der gehobenen Mittelklasse in Brand gesteckt, wodurch ein Schaden von etwa 10.000,– Euro entstand. In einem am 12. Juli auf linksunten.indymedia.org veröffentlichten Schreiben bezeichnete ein unbekannter Verfasser mit dem Pseudonym „Anarchist“ die Tat als weitere Solidaritätsaktion mit der Rigaer Straße 94: „Jede Räumung hat ihren Preis! Zeigt Solidarität und zwingt die Politik in die Knie!“
Darüber hinaus wurden in Frankfurt am Main im Juli jeweils ein Fahrzeug der Firma Mainova AG sowie des Unternehmens Siemens und ein Streifenwagen der Stadtpolizei in Brand gesetzt. Der Schaden belief sich auf mehrere zehntausend Euro. In einem wiederum auf der linksextremistischen Internetseite linksunten.indymedia.org veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben hieß es, Siemens sei angegriffen worden, da das Unternehmen „viel geld mit der herstellung und dem verkauf von überwachungssystemen“ verdiene:
„Die technologische absicherung der bestehenden verhältnisse wird aktiv unterstützt. Aber nicht nur in unseren breiten, so liefert siemens auch fortschrittliche überwachungstechnik in diverse staaten in denen die überwachte opposition mit weit mehr als gefängnis bedroht ist. […] Den dort kämpfenden drohen folter und tod“.
(Schreibweise wie im Original.)
Das Inbrandsetzen des Polizeifahrzeugs bzw. der Angriff auf die Polizei sei, so die Verfasser, „selbsterklärend“: „Rassistische kontrollen, sexistische übergriffe, verletzte demonstrant*innen, letztlich das aufrecht erhalten der kapitalistischen ordnung“ (Schreibweise wie im Original). Schließlich wurden in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli in Frankfurt am Main die Scheiben eines Büros einer Immobilienfirma durch Steinwürfe zerstört und auf die Hauswand großflächig das Graffiti „R94“ gesprüht. Die Schadenshöhe betrug etwa 15.000,– Euro.
Obwohl das Berliner Landgericht (LG) mit Versäumnisurteil vom 13. Juli die Teilräumung der Rigaer Straße 94 für rechtswidrig erklärte, dauerten die bundesweiten „Solidaritätsaktionen“ an, da in Berlin das autonome Szenegeschäft M99 − Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf aufgrund eines gerichtlichen Räumungstitels des Vermieters geräumt werden sollte.
„Antikapitalismus“: Umzug des Blockupy-Bündnisses nach Berlin − Vorbereitungen der Proteste gegen den G20-Gipfel | Mit den gewalttätig verlaufenen Protesten gegen die Eröffnungsfeier des EZB-Neubaus am 18. März 2015 hatte das linksextremistisch beeinflusste Blockupy-Bündnis den Höhepunkt seiner Aktivitäten in Frankfurt am Main erreicht. Das erste Treffen nach diesem Ereignis führte das Bündnis am 9. und 10. Mai in Berlin durch, da das „europä-ische Krisenregime […] mehr Zentren als nur die EZB“ habe, und deutete so die regionale Verlagerung seines Schwerpunkts an.
Im Juli 2016 folgte die „offizielle“ Bestätigung dieses Ortswechsels: Symbolträchtig beluden Blockupy-Aktivisten in Frankfurt am Main am 21. Juli einen Umzugswagen mit Kartons und Transparenten. Auf Facebook hieß es dazu:
„Frankfurt war uns lange eine gute Bleibe, doch nun tragen wir unseren Protest dahin, wo neoliberale Politik und soziale Spaltung ihren Anfang genommen haben. Europäische Sparpolitik wird in Berlin gemacht und genau dahin macht sich das Blockupy-Umzugsunternehmen auf den Weg“.
Am folgenden Tag wurde der Wagen im Rahmen einer Kundgebung vor dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Hauptstadt entladen, währenddessen das Blockupy-Bündnis für ein „Aktionswochenende gegen Austerität und Rassismus“ vom 2. bis 4. September in Berlin warb.
In Hessen mobilisierten für das „Aktionswochenende“ unter anderem die IL Frankfurt, kritik&praxis − radikale Linke [f]rankfurt sowie die Marburger Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. An den Demonstrationen und Blockade-Aktionen im September beteiligten sich jedoch deutlich weniger Personen als bei vergleichbaren Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt am Main, da die linksextremistische Szene insgesamt ihren Fokus auf andere Themen richtete.
Gegen Jahresende begann die Mobilisierung gegen den G20-Gipfel, der am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg auf dem Gelände der Hamburg Messe und Congress stattfinden soll. Das Areal grenzt an das Schanzenviertel, in dem ein beträchtlicher Teil der linksextremistischen Szene Hamburgs lebt. Zudem steht dort das bundesweit symbolträchtige autonome Szeneobjekt Rote Flora.
Wie bereits im Rahmen der Blockupy-Proteste waren die IL und das …umsGanze!-Bündnis federführend bei den ersten Vorbereitungen und Mobilisierungen gegen den G20-Gipfel. In Hessen mobilisierten autonome Gruppen, so etwa die in beiden Bündnissen vertretenen Gruppen IL Frankfurt und kritik&praxis − radikale Linke [f]rankfurt und riefen zur Teilnahme an einer „Aktionskonferenz“ am 3. und 4. Dezember in Hamburg auf. Laut dem eigens zum G20-Gipfel eingerichteten linksextremistisch beeinflussten Internet-Infoportal #NOG20_2017“ nahmen 600 Personen an dem Treffen teil, bei dem über konkrete Aktionen gegen den Gipfel diskutiert wurde. So wurde angedacht, sogenannte No-Cop-Zones einzurichten, Massenblockaden durchzuführen, den Hamburger Hafen zu besetzen und einen internationalen Block auf der bereits angemeldeten Großdemonstration am 8. Juli 2017 zu bilden. Weiterhin wurden Themen wie das Organisieren von Camps und Anreisemöglichkeiten besprochen. Zudem wurde beschlossen, die Proteste gegen den G20-Gipfel unter den Leitspruch „Meutern! Entern! Kapern! G20 über Bord!“ zu stellen. In dem Internet-Portal hieß es:
„Mit der G20-Aktionskonferenz […] ist der Startschuss gefallen: Jetzt beginnt die Mobilisierung und die konkrete Vorbereitung in neu gegründeten Arbeitsgruppen, damit im Juli 2017 zehntausende Aktivist*innen aus ganz Europa nach Hamburg kommen, um gegen den G20-Gipfel eine Parade des Widerstandes und der Solidarität entgegenzusetzen“.
Darüber hinaus riefen gewaltorientierte Linksextremisten eine „militante Begleitkampagne“ ins Leben. Seit August 2016 wurden auf der hierfür geschaffenen Internetseite https://tschuess.noblogs unter dem Motto „Für eine militante Koordinierung aller Troublemakers und ChaotInnen gegen den G20“ Selbstbezichtigungsschreiben zu Sachbeschädigungen und Brandanschlägen im gesamten Bundesgebiet veröffentlicht:
„Hier werden Worte und Taten die sich gegen den Gipfel richten oder sich darauf beziehen dokumentiert und gesammelt. Es soll einen besseren Überblick bieten um eine kontinuierliche Diskussion zu ermöglichen und den Angriff gegen die Herrschaft auszuweiten und zu intensivieren“.
(Schreibweise wie im Original.)
Auf der Liste wurde auch eine Sachbeschädigung im Oktober in Frankfurt am Main aufgeführt, bei der offensichtlich Linksextremisten mit Steinen und farbgefüllten Flaschen mehrere Fenster des ehemaligen Philosophicums der Goethe-Universität eingeworfen hatten. Ähnlich wie im Juni rechtfertigten die Verfasser ihre Tat mit der „Transformation des ehemaligen Philosophicums zu Luxus Appartsments“ als weiteren „Meilenstein in der Zerstoerung lebenswerterer Stadtbereiche“ (Schreibweise wie im Original).
Gemeinsame Vorstellungen der Autonomen | Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des „kapitalistischen Systems“ zugunsten einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrachten die Autonomen die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im Kapitalismus. Imperialismus und vor allem Faschismus sind in den Augen der Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung.
Themenfelder | Ihre politischen Aktivitäten definieren Autonome über „Anti“-Haltungen, denen sie jeweils Feindbilder zuordnen (zum Beispiel „Antifaschismus“ – gegen „Rechte“ bzw. „Nazis“ − oder „Antirepression“ – insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des „staatlichen Repressionsapparats“). Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine „antikapitalistische“ Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnis- und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen insbesondere Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen.
„Antikapitalismus“ | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die kapitalistische Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Kapitalismus gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zweckeinstrumentalisieren.
„Antifaschismus“ | Vor allem das Themenfeld „Antifaschismus“ zeichnet sich für alle Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische „Antifaschismus“-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst „faschistisch“ oder „faschistoid“ zu sein. „Faschist“ ist demnach jeder, der linksextremistische Überzeugungen nicht teilt. Sobald die Bewertung „Faschist“ vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten.
Unter „Antifaschismus“ verstehen Linksextremisten bzw. Autonome nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven „Kampf gegen Rechts“ mit dem „Kampf gegen das Ganze“, das heißt gegen das „bürgerlich-kapitalistische System“, gleich: Erst wenn der Kapitalismus beseitigt sei, sei die Gefahr des Faschismus als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt.
„Antirassismus“ | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden medialen Berichterstattung sowie der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit versucht das linksextremistische Spektrum, mit „Aktionen“ in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szeneeigene Verständnis von „Antirassismus“ möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik, sondern Autonome wollen vor allem nachweisen, dass Staat und Gesellschaft selbst rassistisch sind und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssen. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Autonome in dieser Diktion als rassistisch: „Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“.
„Anti-Gentrifizierung“/„selbstverwaltete Freiräume“ | Der Begriff „Gentrifizierung“ beschreibt den sozial-ökonomischen Wandel von Stadtvierteln, in denen vor allem die Preise für Wohnungen sowie die Mieten steigen. Die Wohnbevölkerung wechselt, indem ärmere Bevölkerungsgruppen weg- und soziale Gruppen mit deutlich höherer Kaufkraft hinzuziehen. Gegen diese Entwicklung formieren sich in den betroffenen Vierteln häufig Protestbündnisse aus alteingesessenen Bewohnern und Studenten, die sich für günstigen Wohnraum in den Innenstädten einsetzen.
Linksextremisten schließen sich diesen Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre „antikapitalistische“ Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da die von ihnen genutzten „selbstverwalteten Freiräume“ − also autonome Szeneobjekte − häufig selbst seitens des Eigentümers für entsprechende „Luxussanierungen“ vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind.
Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein „Mittel zum Zweck“, sondern ebenso einen Akt der „individuellen Selbstbefreiung“. Die regelmäßig in der Szene geführte „Militanzdebatte“ beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers diskutierten Frage, ob sich Gewalt „nur“ gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer „Aktionen“ verletzt oder sogar getötet werden.
Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind drei Hauptströmungen – Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale – zu unterscheiden. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über nicht weiter präzisierte „antikapitalistische“ und „antifaschistische“ Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens.
Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den „Kapitalismus“ bedingte „imperialistische“ Politik westlicher Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von „antiimperialistischen Befreiungsbewegungen“ etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische Befreiungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel.
Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als „rechtsradikal“ oder „islamfaschistisch“. Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit widersprechen Antideutsche dem „antimilitaristischen“ und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher „Kriegstreiberei“ vor. Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten unterstellen sie – ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemei-nen – antizionistische und antisemitische Einstellungen.
Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die in der autonomen Szene in Hessen dominierend ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher.
Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im „Kapitalismus“ zwangsläufig imperialistisch. Kriege seien nur „Ausdruck der notwendigen Konflikte“ im kapitalistischen System, da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus „antifaschistischer“ Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu.
Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den „historischen Sonderweg“ Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale „Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden“ eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel bei aller Solidarität mit dessen Volk einen „kapitalistischen“ Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei.
Szeneschwerpunkt | Frankfurt am Main war − wie in der Vergangenheit − sowohl personell als auch strukturell der Szeneschwerpunkt in Hessen. Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen ist in der Stadt oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) beheimatet. Bundesweit gehörte Frankfurt am Main − nach Berlin, Hamburg und Leipzig (Sachsen) − zu den Großstadtregionen mit den stärksten autonomen Szenen. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der „harte Kern“ der Frankfurter Szene durch ein anhaltend hohes Aktionsniveau, seine große Gewaltbereitschaft und die gute bundesweite Vernetzung.
Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt, die IL Frankfurt und siempre*antifa Frankfurt/M. Zudem machte die Anfang 2016 gegründete Plattform AUF durch zahlreiche Aktionen auf sich aufmerksam und etablierte sich als Sammelbecken junger, aktionsorientierter Autonomer in Frankfurt am Main. Mit dem Treffort Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Darüber hinaus bildete das Café ExZess einen wichtigen Treffpunkt.
Regionale Szenen | Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Gießen (Landkreis Gießen). Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. und ak raccoons aus Kassel, die Marburger Gruppen d.i.s.s.i.d.e.n.t. und die antifaschistische gruppe 5 (ag5) sowie in Gießen die Antifa R4 und die A.R.A.G. Außerdem sind durch den Beitritt der radikalen Linken Darmstadt zur IL wieder autonome Strukturen in Darmstadt in Erscheinung getreten.
Insgesamt gehörten der IL einige autonome Gruppierungen aus Hessen an, was ein Beleg für die bundesweite Vernetzung von Autonomen in Hessen ist. Darüber hinaus war das Bündnis antifaschistischer Strukturen Hessen (B.A.S.H.) aktiv, das einmal im Jahr ein „Antifacamp“ ausrichtet, das der Politisierung, Radikalisierung und letztlich Rekrutierung junger Menschen, die längerfristig in autonomen Strukturen aktiv sein wollen, dienen soll.
Während für die gewaltorientierte autonome Szene in Hessen das Jahr 2015 von den gewalttätigen Ausschreitungen bei den Protesten gegen die EZB-Neueröffnung geprägt war, fehlte im Berichtsjahr ein derart herausragender Fixpunkt. Ebenso gingen die autonomen Aktivitäten im Themenfeld „Antikapitalismus“ deutlich zurück.
Dagegen engagierten sich Autonome verstärkt in den Themenfeldern „Antifaschismus“ und „Antirassismus“. Ausgelöst durch die europäische Flüchtlingspolitik, konstatierte die autonome Szene eine Zunahme von nationalistischen und rassistischen Bestrebungen in den EU-Staaten. Daraus resultierende Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien bildeten für Autonome einen Grund für zunehmende Gegenaktionen. Gab es bereits im Berichtsjahr zahlreiche entsprechende Aktivitäten (Störungen, Sachbeschädigungen, Outings, körperliche Angriffe) − vorwiegend gegen die AfD −, ist mit einer weiteren quantitativ-qualitativen Zunahme zu rechnen. Dies gilt vor allem mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen und die Bundestagswahl im Jahr 2017.
Die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Themenfelder „Antifaschismus“ und „Antirassismus“ nutzten Autonome, um gezielt Bündnisse mit Nichtextremisten zu schließen. Solche spektrenübergreifenden Allianzen bieten der autonomen Szene mehrere Vorteile: Sie kann die Bündnisaktivitäten in ihrem Sinne beeinflussen und so ihre demokratiefeindliche und staatsablehnende Haltung in Teile der Gesellschaft tragen. Gleichzeitig können Autonome, wie bei den Protesten gegen die „Demo für Alle“ in Wiesbaden geschehen, von der demokratischen Öffentlichkeit zumeist unwidersprochen gemeinsam mit Nichtextremisten demonstrieren. Zudem ist es Autonomen in der Anonymität größerer, in der Gesamtheit wenig gewaltorientierter Demonstrationen leichter möglich, unbehelligt Straf- und Gewalttaten gegen die Polizei und/oder den politischen Gegner zu begehen.
Angesichts der anhaltenden politischen Debatte über die Flüchtlingspolitik werden die Themenfelder „Antifaschismus“ und „Antirassismus“ auch im Jahr 2017 die Aktionsschwerpunkte von Autonomen in Hessen bilden. Zusätzlich steht mit den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg ein für das gesamte linksextremistische Spektrum herausragendes Ereignis an, das dieDimension der zum großen Teil gewalttätigen Proteste gegen die EZB-Neueröffnung überschreiten dürfte.