Rockerkriminalität
Ganzheitliche Strukturbeobachtung | In Hessen bilden kriminelle Rockergruppierungen, das heißt sogenannte Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG), im Bereich der OK einen Beobachtungsschwerpunkt des LfV. Zu ihnen zählen der Hells Angels MC (HAMC), der Bandidos MC, der Outlaws MC und der Gremium MC sowie deren Unterstützergruppen (Supporter-Clubs). Andere Rocker- oder rockerähnliche Gruppierungen bezieht das LfV, sofern Berührungspunkte mit den genannten kriminellen Rockerclubs erkannt werden, in die ganzheitliche Strukturbeobachtung ein.
Erfolgreiche Verbote | Die vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport im Jahr 2011 gegen die HAMC Charter Westend und Frankfurt erlassenen und vom Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig bestätigten Verbotsverfügungen zeigten im Berichtsjahr Wirkung. In Verbindung mit der „Null-Toleranz“-Strategie der Sicherheitsbehörden wurden Einflusssphäre und Machtstrukturen einzelner Führungspersonen bzw. Charter stark und nachhaltig geschwächt. Seitdem war zu beobachten, dass vor allem Personen mit Migrationshintergrund versuchten, das durch die Schwächung Einzelner entstandene Machtvakuum zu nutzen. Es zeichneten sich Neugründungen von rockerähnlichen Clubs ab, deren Mitglieder fast ausschließlich einen Migrationshintergrund besitzen.
Rockerähnliche Boxclubs mit Migrationshintergrund | Es war jedoch schwierig, diese Clubs eindeutig dem Phänomenbereich OK zuzuordnen. Zwar ähnelten die Osmanen Frankfurt, Osmanen Germania und Lions 21 in Bezug auf ihren hierarchischen Aufbau und ihr Erscheinungsbild (mit „Kutten“ gekleidet) den kriminellen Rockergruppierungen, sie grenzten sich aber bereits begrifflich von ihnen ab, indem sie sich nicht als Motorradclubs, sondern als Boxclubs (BC) oder nur als Streetgang bezeichneten. Ihre Mitglieder waren zum überwiegenden Teil in der Türsteher-Szene aktiv, weshalb es auch zu Auseinandersetzungen mit konkurrierenden etablierten kriminellen Rockergruppierungen kam.
Insbesondere Mitglieder dieser neu auftretenden rockerähnlichen Gruppierungen verübten schwere bis schwerste Straftaten. Dabei ging es darum, Gebiets- und finanzielle Ansprüche im Türstehergewerbe zu sichern. Bei ethnisch begründeten gewalttätigen Auseinandersetzungen gerieten hauptsächlich türkischstämmige mit kurdischstämmigen Gruppen in Konflikt. Die von großer Emotionalisierung geprägten Ereignisse und Entwicklungen in der Türkei zum Nachteil der kurdischen Minderheit befeuerten diese Konflikte. Dies galt für die nationalistisch geprägten türkischen Charter, das heißt vor allem den Osmanen Germania BC, dessen Verbindungen bis in die OK-Szene in der Türkei reichten. Dabei war davon auszugehen, dass in Deutschland agierende Personen durch im Ausland lebende angeleitet und gesteuert wurden.
Virulente alte Konflikte | Aufgrund dieser Entwicklungen rückten die mitunter gewalttätigen Auseinandersetzungen des Jahres 2015 im Rhein-Main-Gebiet zwischen „old-school“-Rockern und türkischen Chartern im Berichtsjahr 2016 eher in den Hintergrund. Die Tötung des Präsidenten des regulär vom HAMC-Weltverband genehmigten Hells Angels MC Charters Gießen im Oktober verursachte ein erneutes Machtvakuum. Auch wegen der noch fehlenden Tataufklärung ist die längerfristige Wirkung der Tat auf die Rockerszene im Rhein-Main-Gebiet nicht einzuschätzen. Generell bemühten sich die Verantwortlichen der beteiligten Rockergruppierungen, die Gesamtsituation zu deeskalieren und eine Befriedung zu erreichen. Die Konflikte um die Einflussbereiche zwischen „old-school-Rockern“ und den neuen „Migrantenchartern“ dauerten unterschwellig jedoch an, wobei beide Seiten versuchten, den Behörden keinen Anlass für staatliche Maßnahmen zu geben.
Weitere gewalttätige Konflikte möglich | Da die „Migrantencharter“ in der Lage sind, ein hohes Unterstützerpotenzial zu mobilisieren, ist mit weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen zu rechnen. Dabei gibt die immer wieder festzustellende illegale Bewaffnung der unterschiedlichen Lager − bis hin zu automatischen Waffen und Kriegswaffen − Anlass zur Sorge. Daher beobachtet das LfV neben dem Rauschgifthandel mögliche internationale Verbindungen der Rockerszene zum organisierten Waffenhandel. Dies geschieht auch in Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten, um OK-Strukturen weiterhin aufzuklären.