Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2018

Rechtsextremismus

Merkmale

Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und bekämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie verfolgen extremistische Bestrebungen in unterschiedlichen Formen.

Auf einen Blick

  • Das deutsche Volk als höchster Wert
  • Ethnopluralismus
  • Ideologie der Ungleichheit
  • „Kampf um die Parlamente“ – „Kampf um die Straße“

Das deutsche Volk als höchster Wert | Das deutsche Volk stellt für alle Rechtsextremisten den höchsten Wert dar. Sie ordnen die Rechte und Freiheiten anderer Völker und Nationen wie auch die des einzelnen Menschen diesem Nationalismus unter. Nach ihren Vorstellungen hat der Einzelne im Sinne eines völkischen Kollektivismus seinen Wert nur durch die Zugehörigkeit zum Volk, das heißt durch eine bestimmte Herkunft.

Ethnopluralismus“ | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die Identitäre Bewegung, propagieren das Konzept des „Ethnopluralismus“ und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der „fremde“ Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der „Ethnopluralismus“ beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie.

Ideologie der Ungleichheit | Rechtsextremisten vertreten somit eine Ideologie der Ungleichheit, die in vielfacher Hinsicht den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. An die Stelle demokratischer Entscheidungsprozesse wollen Rechtsextremisten einen autoritären (Führer-)Staat setzen, in dem nur der angeblich in sich einheitliche Wille der „Volksgemeinschaft“ herrscht.

„Kampf um die Parlamente“ – „Kampf um die Straße“ | Ihre Ziele verfolgen Rechtsextremisten auf unterschiedliche Art und Weise. Rechtsextremistische Parteien treten zu Wahlen an und versuchen, sich der demokratischen Strukturen zu bedienen, um diese letztlich abzuschaffen. Demgegenüber setzen Neonazis vor allem auf den „Kampf um die Straße“. Sie versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen sowohl im Internet als auch in der „realen“ Welt Aufmerksamkeit zu erzielen.

Rechtsextremistisches Personenpotenzial1

Gegenüber dem zurückliegenden Berichtsjahr 2017 blieb das rechtsextremistische Personenpotenzial weitgehend konstant.

2018 2017 2016 2015 2014
in Parteien
Hessen 285 275 265 260 260
Bund 5.510 6.050 6.550 6.650 6.850
davon in der Partei
NPD
Hessen 260 250 250 250 250
Bund 4.000 4.500 5.000 5.200 5.200
Der Dritte Weg
Hessen 15 15 15 10 10
Bund 530 500 350 300 200
DIE RECHTE
Hessen 10 10
Bund 600 650 700 650 500
in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen2
Hessen 640 650 510
Bund 6.600 6.300
weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial3
Hessen 550 540 560
Bund 13.240 12.900
Gesamtzahl der Rechtsextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften)
Hessen 1.475 1.465 1.335 1.310 1.310
Bund 24.100 24.000 23.100 22.600 21.000
davon gewaltorientiert4
Hessen 680 670 650 400 400
Bund 12.700 12.700 12.100 11.800 10.500


1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.
2 Im Jahr 2017 wurde das Personenpotenzial bundesweit neu kategorisiert. Unter in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden in Bezug auf Hessen vor allem Neonazis sowie die Identitäre Bewegung erfasst.
3 Unter weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial fallen unter anderem Anhänger der subkulturellen Musikszene. Für Hessen wurden die Zahlen rückwirkend für das Jahr 2016 ermittelt.
4 Bis 2015 wurde bei der Darstellung des Gesamtpersonenpotenzials in Hessen die Anzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten ausgewiesen. Seit 2016 wird die Anzahl gewaltorientierter Rechtsextremisten angegeben. Der Oberbegriff „gewaltorientiert“ umfasst die Begriffe gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend.

Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/
Identitäre Bewegung Hessen (IBH)

Definition/Kerndaten

Die IBD ist innerhalb des Rechtsextremismus ein relativ neues Phänomen, das sich „modern“, „intellektuell“ und aktionsorientiert präsentiert und in seiner Bildersprache etliche Elemente der Popkultur verwendet. Typisch rechtsextremistische bzw. national­sozialistische Begriffe wie etwa „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ gehören nicht zum Vokabular der IBD, stattdessen verwendet sie „Identität“ und „Ethnie“ als Chiffren. Damit versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe medienwirksamer Aktionen vor allem internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen, um eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung zu etablieren. Vor allem über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versucht die Identitäre Bewegung (IB), Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene anzusprechen. So sagte ein Vertreter der IB: „Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht“. (Schreibweise wie im Original.)

Ereignisse/Entwicklungen

Obwohl die IB im Berichtsjahr versuchte, größtmögliche mediale und öffentliche Aufmerksamkeit zu erringen, gingen ihre Aktivitäten hessenweit zurück. Über einzelne Aktionen veröffentlichte die IBD Berichte mit Fotos bzw. Videos auf ihrer Homepage oder ihrem Twitter-Profil. Auf diese Weise versuchte sie nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern auch die eigenen Aktivisten zu motivieren.

Bundesvorsitzender: Daniel Fiß (Mecklenburg-Vorpommern)
Angehörige: In Hessen etwa 80, bundesweit mehr als 600
Medien: Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Identitären Bewegung Deutschland. Auf einem rechteckigen gelb-orangenem Hintergrund befindet sich in schwarzer Farbe ein Kreis, darin der griechische Buchstabe Lambda, also ein Winkel, etwas größer als 90 Grad, dessen Spitze nach oben zeigt. Die beiden Enden des Winkels gehen in den schwarzen Kreis über. Darunter steht in schwarzen Großbuchstaben das Wort Deutschland.

Auf einen Blick

  • Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe
  • Reaktion auf die Sperrung von Facebook-Accounts
  • Publikation Identitärer Aktivist
  • Rechtsextremistisches Merchandising

Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihrer Facebook-Seite auf den Protest gegen die Migrations- und Asylpolitik. Auf der Homepage der IBD hieß es in der Rubrik FAQ („Wie wollt ihr eure Ziele umsetzen“):

„Wir sind auf der Straße und veranstalten Kundgebungen, Demonstrationen und viele weitere Formen des Straßenprotests. Wir organisieren politische Bildungsveranstaltungen und platzieren durch spektakuläre Aktionen unsere Themen und Slogans im öffentlichen Raum, um die politischen und medialen Schweigespiralen zu durchbrechen“.

Wie in den Vorjahren führte die IBH Banner- und Plakataktionen unter anderem in Frankfurt am Main, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Wiesbaden durch. Da die IB vor allem mit flashmobartigen Aktionen größtmögliche Aufmerksamkeit erreichen wollte, wurden solche Aktionen durch Aktivisten gefilmt und virtuell verbreitet.

Ende Januar wurde auf mehreren Internetpräsenzen – unter anderem der IBD sowie auf der Facebook-Seite der IBH – auf die Kampagne „120 Dezibel“ aufmerksam gemacht. Zur Entstehung des Namens der Kampagne, die sich speziell an Frauen richtete, hieß es:

„120db ist die Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms, den heute viele Frauen bei sich tragen. 120 Dezibel ist der Name unseres Aufschreis gegen importierte Gewalt. Mach mit und erzähle […] von deinen Erfahrungen mit Überfremdung, Gewalt und Missbrauch“.

Für die Kampagne und den damit verbundenen Appell wurden eine Homepage, ein YouTube- und ein Twitter-Kanal mit der Aufforderung eingerichtet, hierüber zu „erzählen“.

Am 8. März führte die IBH eine groß angelegte „Doppelaktion“ im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens durch, wo Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift „Offene Grenzen kosten Menschenleben – Ein Rückflugticket kostet 100 €, ein Grenzzaun 200 € #Remigration“ entrollten und Fotos von Opfern islamistischer Terroranschläge in die Höhe hielten. In Frankfurt am Main bestiegen wenig später IBH-Aktivisten das Vordach des Hauptbahnhofs und zeigten ein Banner mit der Aufschrift „Endstation Multikulti? Notbremse ziehen Remigration“. Dabei zündeten sie pyrotechnische Gegenstände. Am Nachmittag desselben Tages veröffentlichte die IBH einen Facebook- und Twitter-Beitrag zu der „Doppelaktion“.

Auf der Internetseite der IBH wurde am 8. Juni auf einen am selben Tag stattgefundenen „Flashmob in Wiesbaden nach Vergewaltigung und Ermordung der 14-jährigen Susanna“ hingewiesen. In dem Beitrag wurde ein Banner gezeigt, das die Aufschrift „Remigration! Multikulti ist gescheitert“ und das Lambda-Zeichen (Λ) enthielt. Ein ­entsprechendes Video wurde auf YouTube sowie auf der Homepage der IBH veröffentlicht.

Am 14. Juni zeigten Aktivisten der IBH ein Banner vor dem Britischen Honorarkonsulat in Frankfurt am Main. Hierzu hieß es auf der IBH-Homepage, dass Aktivisten eine „Protestaktion zur Inhaftierung des britischen Journalisten und Patrioten Tommy Robinson abgehalten“ hätten. Dieser war in Großbritannien inhaftiert worden, da er widerrechtlich mehrmals Filmaufnahmen von einem Prozess angefertigt hatte, in dem muslimische Einwanderer des Kindesmissbrauchs angeklagt waren.

Am 29. Juni führten IBH-Aktivisten vor der Philosophischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg eine Aktion durch, die sie filmten. Anschließend veröffentlichten sie einen entsprechenden Beitrag auf YouTube sowie auf der IBH-Homepage. In dem entsprechenden Artikel hieß es:

„Dieser Teil der Philipps-Universität ist vor allem bekannt für die politische Tünche durch die extreme Linke […]. Unsere Aktivisten, gekleidet in Schutzanzüge, […] sperrten den Haupteingang symbolisch ab. Ein Banner mit der Aufschrift ,Achtung! Sie betreten jetzt eine ideologisch kontaminierte Zone!‘ soll Passanten dabei vor der politischen Vereinnahmung einer eigentlich freien Lehreinrichtung warnen, zu dessen Bekräftigung einer der Aktivisten unsere Kritik durch ein Megafon verkündete“.

Darüber hinaus führte die IBH verschiedene Stammtischtreffen durch und nahm an überregionalen Aktivitäten wie zum Beispiel Festivals der IB teil. Aktivisten aus Hessen beteiligten sich auch an besonders medien- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen der IBD. So führte die IBD am 25. August ihr Festival „Europa Nostra“ in Dresden (Sachsen) durch, wobei sie erstmalig eine derartige Großkundgebung mit umfangreichem Rahmenprogramm veranstaltete. Verschiedene Verkaufs- und Informationsstände waren aufgebaut, des Weiteren hielten führende Aktivisten der IB Vorträge.

Reaktion auf die Sperrung von Facebook-Accounts | Im Mai sperrte Facebook zahlreiche Accounts von Aktivisten und verschiedenen Regional- bzw. Ortsgruppen der IB. Als Reaktion hierauf verbreitete die IBD die zuvor über Facebook publizierten Beiträge nunmehr zentriert über die eigene Homepage. Nach der Sperrung der Facebook-Seite bestand weiterhin ein Twitter-Account der IBH, der in unregel­mäßigen Abständen aktualisiert und als mediales Mittel genutzt wurde, um über Aktionen zu berichten.

Publikation Identitärer Aktivist | Nachdem die IBH 2017 erstmals die Publikation Identitärer Aktivist, die in insgesamt drei Ausgaben erschienen war, veröffentlicht hatte, war im Berichtszeitraum keine weitere Ausgabe feststellbar.

Rechtsextremistisches Merchandising | Um ihre primäre Zielgruppe, das heißt Jugendliche und junge Erwachsene, zu erreichen und eine eigene Jugendbewegung zu etablieren, bot die IBD über Online-Versandhäuser entsprechende Produkte an, darunter in einem „IB-Laden“, der mittels einer eigenen Internetseite sowie über Facebook verschiedene Produkte offerierte, mit denen sich jeder „patriotische Aktivist“ mit neuem Material ausstatten könne. Das Warenangebot umfasste unter anderem Bekleidung wie T-Shirts, Aufkleber („Revolte gegen den großen Austausch“, „Multikultur ist eine Lüge!“) und Flugblätter.

Entstehung/Geschichte

Die IBD sieht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire − Le mouvement social européen, der späteren Génération Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein „Vorbild“.

Auf einen Blick

  • Ursprung in Frankreich
  • IB in Deutschland

Ursprung in Frankreich | Die „erste größere Aktion“ der GI − so ihre eigene Einschätzung − fand im Oktober 2012 statt, als 60 bis 80 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im „Kampf für unsere Identität“ besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten:

„Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden“.

Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video „Kriegserklärung − Identitäre Generation“. Darin hieß es unter anderem:

„Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: Dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung. […] Unser Erbe ist unser Land, unser Blut, unsere Identität“.

IB in Deutschland | Nach der Veröffentlichung des Videos, das sich europaweit rasch in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) verbreitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der IB aktiv, zunächst „virtuell“ im Internet, dann aber auch zunehmend „real“, indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der IB zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien.

In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mit Plakat- und Aufkleber­aktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente. In der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die „Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern“.

Ideologie/Ziele

Indem die IB von „Ethnopluralismus“ spricht, stellt sie in ihrem Kampf gegen den vermeintlichen „großen Austausch“ „kulturelle Eigenheiten“ und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie über die in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Werte.

Auf einen Blick

  • Ethnopluralismus“ – „Ethnokulturelle Identität“
  • „Der große Austausch“
  • Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda (Λ)
  • Angebliches Recht auf „Widerstand“

„Ethnopluralismus“ – „Ethnokulturelle Identität“ | Die IBD betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in Nähe zur völkischen Ideologie von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht primär in seiner Individualität, sondern vorrangig in Bezug auf seine ethnische Herkunft wahr. Hierzu hieß es auf der Homepage der IBH:

„Die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts werden vor allem auf dem Feld der Identitätspolitik gestellt werden. Dabei müssen wir als patriotische Europäer unweigerlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die demographischen Verhältnisse zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung entwickeln und uns ohne ein politisches Umdenken zahlreiche ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte erwarten“.

Die IBD rekurriert mit ihrem Konzept des „Ethnopluralismus“ nicht auf die Vordenker des „klassischen“ Rechtsextremismus. Im Gegensatz zu diesen vertritt die IBD die Auffassung, dass es auf die Unterschiedlichkeit der Ethnien im kulturellen Sinne ankomme. Diese „kulturellen“ Eigenarten – im Jargon der IBD die „Identität“ – gelte es durch eine größtmögliche Trennung der verschiedenen Ethnien zu erhalten. Ethnopluralisten geben vor, dabei keine Unterscheidung nach der Wertigkeit einer Ethnie vorzunehmen, was sie vordergründig von den im Rechtsextremismus vorherrschenden rassistischen Ideologien unterscheidet. Es gelte gleichwohl, so die IBD, die eigene Kultur zu bewahren, da sie das eigene Dasein maßgeblich ausmache. Entwicklungen der modernen Welt wie Globalisierung und Migration gingen darauf aus, diese elementaren Güter zu zerstören. Aus Sicht der IBD ge­schieht dies nicht zufällig, sondern sei Teil eines aktiven Prozesses zur Zerstörung der Eigenheiten der Völker Europas.

„Der große Austausch“ | Mit dem Begriff „Der große Austausch“ bezeichnet die IBD die angebliche „Tendenz einer schrittweisen Verdrängung der einheimischen Bevölkerung zugunsten fremder und zumeist muslimischer Einwanderer“. Nach eigenen Worten erteilt die IBD

Rassismus und Chauvinismus eine klare Absage, da es uns stets um die Betonung des Rechts auf Bewahrung der Identität für jedes Volk und jede Kultur geht und wir eine qualitative Auf- oder Abwertung einer bestimmten ethnokulturellen Gemeinschaft klar ablehnen. Wir wollen daher auch die Identität des deutschen Volkes in ihrer Besonderheit neben den vielen weltweit nebeneinanderstehenden Völkern in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit bewahren. Die ethnische und die kulturelle Seite unserer Identität sind dabei für uns gleichwertig. Die Überbetonung eines Teilaspekts der Identität lehnen wir ab“.

Die IBD bezeichnet sich selbst nicht als nationalistisch. In dem Grundsatzartikel „Nationalismus vs. ethnokulturelle Identität“ auf der IBD-Homepage heißt es: „Wir Identitäre sind nicht nationalistisch! […] Unsere Idee ist keine nationale, sondern eine europäische“. Vielmehr sei es wichtiger, „dass die Europäer sich als solche begreifen und sich nicht durch nationalistische Ressentiments bei der Findung eines gemeinsamen und starken Überlebenswillens selbst im Wege stehen“.

In dem mehrteiligen Artikel „Nationalismus revisited“ wird ausgeführt:

„Ja, wir stehen für den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, gegen Masseneinwanderung, gegen die Lüge von ,Menschheit und Weltstaat‘, für den Erhalt der Völker, der Wurzeln, der Herkunft und der Heimat, aber nein, wir sind keine Nationalisten“.

Die in der Vergangenheit geführten offenen Diskurse über und Bezüge auf antiliberale und antidemokratische Intellektuelle – wie den Staatsrechtslehrer Carl Schmitt (1888 bis 1985) und den italienischen Faschisten Julius Evola (1898 bis 1974) – oder die explizite Werbung für den russischen Publizisten und „Philosophen“ Alexander Dugin waren im Zuge der neustrukturierten öffentlichen Darstellung der IBD im Berichtszeitraum nicht mehr feststellbar.

Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda (Λ) | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandisingartikeln den griechischen Buchstaben , der durch die Comicverfilmung „300“ aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert das antike Sparta und den letztlich aussichtslosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferisch-entschlossene Spartaner im Kampf gegen die persischen Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildersprache und sieht sich in ihrem „Abwehrkampf“ in der Tradition der Spartaner. In einem Video erklärt die IBD in Bezug auf den Buchstaben Lambda, der in der Antike die „Schilder [sic] der stolzen Spartaner schmückte“:

„Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kampfansage an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!“

Die Orientierung der IBD an Sparta, das „bis heute […] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates“ (Lukas Thommen) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildersprache, insbesondere die Verwendung des Buchstabens Lambda, steht für Anschauungen der IB, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grund­ordnung vereinbar sind.

Angebliches Recht auf „Widerstand“ | Nach Auffassung der IBD sei „eindeutig“ der Widerstandsfall nach Art. 20 Abs. 4 GG eingetreten. Das Recht auf Widerstand rechtfertige in der jetzigen Situation zivilen Ungehorsam, keine Gewalt. In diesem Kontext scheute die IBD nicht davor zurück, an die Akteure der Weißen Rose als historische Vorbilder zu erinnern. Dabei hob die IBD insbesondere auf den gewaltfreien Widerstand der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Gewalt- und Terrorregime ab, der sich 1942/43 unter anderem mittels Flugblattaktionen artikuliert hatte, eine Aktionsform, auf die auch die IBD zurückgreift.

Strukturen

Die IBD gliederte sich laut ihrer Facebook-Auftritte bundesweit in 16 Regionalgruppen, eine davon war die IBH, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch „real“ existierte. In Hessen gab es mehrere Ortsgruppen der IB, die unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Darmstadt aktiv waren.

Bewertung/Ausblick

Die IBD zeigte sich − vor allem in den sozialen Medien − in einem modern anmutenden Design, womit sie versuchte, politische Inhalte im gewohnten Stil plakativ, schnell und verständlich zu trans­portieren. Die Abschaltung verschiedener Facebook-Seiten der IB hatte dabei zur Folge, dass sie sich vermehrt auf die eigene Homepage und Twitter als virtuelle Plattform konzentrierte. In ihrer Sprache verwendete die IBD die in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft eindeutig negativ besetzten Begriffe wie „Volksgemeinschaft“ und „Rasse“ nicht, stattdessen verwendete sie Begriffe wie „Identität“ und „Ethnie“.

Vor diesem Hintergrund, hinzu kommt das in den Augen mancher Jugendlicher und junger Erwachsener „coole Design“, darf die von der IBD ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht unterschätzt werden, zumal sich die IBD als elitär-intellektuelle Impulsgeberin versteht und präsentiert. Dadurch, dass die IBD behauptet, der „letzten Generation“ anzugehören, die den ­„Untergang Europas“ aufhalten könne und in diesem Zusammenhang von einer „Kriegserklärung“ spricht, schafft sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands und fördert die Radikalisierung.

Indem sich die IBD mit den Widerstandskämpfern der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Unrechts- und Terrorregime vergleicht und nach Art. 20 Abs. 4 GG das Widerstandsrecht für sich reklamiert, versucht sie ihr Handeln und ihre politischen Inhalte positiv zu deuten und gleichsam gesellschaftspolitisch zu legitimieren. Dieses Vorgehen ist als Versuch zu werten, die eigene Ideologie als allgemein gesellschaftsfähig darzustellen.

Neonazis

Definition/Kerndaten

Rechtsextremisten, die nach der Überwindung der Gewalt­diktatur des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) dessen Ideologie in ihren inhaltlichen Zielsetzungen oder im Rahmen ihrer Aktivitäten zu verwirklichen versuchen, werden als Neonazis bezeichnet. Zahlreiche neonazistische Organisationen sind verboten, Neonazis finden sich aber immer wieder in neuen Gruppierungen, Bündnissen und Plattformen zusammen. Zu rechtsextremistischen Parteien und zu subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Skinheads unterhalten Neonazis, denen grundsätzlich eine Gewaltorientierung zuzuschreiben ist, enge Kontakte.

Regionale Schwerpunkte: Mittelhessen
Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 250
Medien: Internetpräsenzen

Ereignisse/Entwicklungen

Wie in den Jahren zuvor konzentrierten sich Neonazis auf öffentlichkeitswirksame propagandistische Aktionen: die Teilnahme an Demonstrationen und an Mahnwachen sowie die Verteilung von Aufklebern und Flugblättern. Die Szene war mehrheitlich durch lose regionale Gruppierungen geprägt; die Kameradschaft Aryans wies demgegenüber eine überregionale, länderübergreifende Struktur auf.


Auf einen Blick

  • Berserker Pforzheim – Ortsgruppe Lahn-Dill
  • Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland)
  • Freier Widerstand Hessen (FWH)
  • Kameradschaft Aryans
  • Thule-Seminar e. V.

Berserker Pforzheim – Ortsgruppe Lahn-Dill | Die Berserker Pforzheim – Ortsgruppe Lahn-Dill hatte ihren Aktivitätsschwerpunkt im Lahn-Dill-Kreis. Die Gruppierung, deren engerer Kreis eine Angehörigenzahl im einstelligen Bereich umfasste, war in der Vergangenheit bei Demonstrationen – insbesondere im Lahn-Dill-Kreis – in einheitlicher Kleidung in Erscheinung getreten.

Als Reaktion auf polizeiliche Durchsuchungsmaßnahmen am 23. Januar gab die Gruppierung wenige Tage später ihre Auflösung bekannt. Grund der Durchsuchungen war ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Waffengesetz, das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln sowie wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) | Bei C 18 Deutschland handelt es sich um eine Gruppierung, deren Ursprung in einer 1992 in England gegründeten Organisation liegt. Combat 18 steht in der Szene für den bewaffneten Arm des rechtsextremistischen Netzwerks Blood and Honour. Die Bezeichnung setzt sich aus dem Wort combat (dt. Kampf) sowie aus der Zahl 18, die für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets steht, zusammen. Der Name Combat 18 kann demnach mit Kampf(truppe) Adolf Hitler übersetzt werden. Angehörige der Gruppierung waren in mehreren Ländern, auch in Hessen, wohnhaft.

Seit Ende 2018 führt die Generalstaatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gegen zwölf Beschuldigte wegen des Verdachts des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gemäß § 85 Strafgesetzbuch (StGB). Konkret handelt es sich um den Verdacht der Wiederbelebung der seit 2000 verbotenen Vereinigung Blood and Honour Division Deutschland. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens fanden am 12. Dezember bundesweite Durchsuchungsmaßnahmen statt, wovon auch ein Mitglied von Combat 18 Deutschland betroffen war. Per Haftbefehl wurde die beschuldigte Person noch am selben Tag festgenommen.

Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten Combat 18 Deutschland mit besonderer Aufmerksamkeit, insbesondere auch vor dem Hintergrund der durchaus gewalttätigen Historie der englischen Gruppierung in ihrer Anfangszeit. Vergleichbares war in Deutschland bislang nicht festzustellen. Dennoch wird die intensive Beobachtung dieser grundsätzlich gewaltbereiten und waffenaffinen rechtsextremistischen Gruppierung fortgesetzt, um mögliche Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen und die Strafverfolgungsbehörden rechtzeitig einzubinden.

Freier Widerstand Hessen (FWH) | Der aus der neonazistischen Gruppierung Nationale Sozialisten Main-Kinzig (NSMK) hervorgegangene FWH berichtete auf Facebook unter anderem über Aktivitäten der Partei DIE RECHTE, so etwa über deren Parteitag im März. Dem entsprechenden Beitrag zufolge führte der FWH im Anschluss an den Parteitag einen gemeinsamen Stammtisch mit Mitgliedern der Partei DIE RECHTE durch.

Im Spätsommer organisierte der FWH nach eigenen Angaben einen Liederabend mit dem thüringischen Liedermacher Julmond. Auf seiner Ende 2018 eingerichteten Homepage berichtete die Gruppierung, dass ihre Aktivisten die rechtsextremistischen Parteien DIE RECHTE, den Dritten Weg sowie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands im Rahmen des hessischen Landtagswahlkampfs durch das Verteilen von Werbematerialien unterstütze. Öffentlichkeitswirksame Aktionen, die direkt mit dem FWH in Verbindung standen, wurden im Berichtsjahr nicht festgestellt.

Kameradschaft Aryans | Die Kameradschaft, bei der es sich um einen länderübergreifenden Personenzusammenschluss gewaltbereiter Neonazis handelt, wies auch Personenbezüge nach Hessen auf. Öffentlichkeitswirksamkeit erzielte die Gruppierung seit etwa Ende 2016 zunächst mit ihrer Facebook-Seite. Im Profilbild war der Schriftzug „Aryans“ auf einer schwarz-weiß-roten Fahne, flankiert von Reichsadler-Abbildungen, zu sehen gewesen.

Seit 2017 trat die Gruppierung bei Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen in Erscheinung. Dabei trugen die Teilnehmer einheitliche schwarze Oberbekleidung mit der Aufschrift „Aryans 88“ (Vorderseite) und „Support your Race“ (Rückseite). Im Rahmen der rechtsextremistischen 1. Mai-Demonstration 2017 der Partei DIE RECHTE in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt kam es zu Ausschreitungen, an denen auch Aktivisten der Aryans aus Hessen beteiligt waren. In diesem Zusammenhang wurden zwei Neonazis aus Hessen verurteilt: In dem einen Fall zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung sowie in dem anderen zu einem Jahr und zwei Wochen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Auch im Berichtsjahr trat die Gruppierung am 1. Mai bei einer rechtsextremistischen Demonstration in Erfurt (Thüringen) auf. In Hessen selbst kam es zu keinen öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Kameradschaft.

Thule-Seminar e. V. | Das 1980 von dem Rechtsextremisten Dr. Pierre Krebs gegründete Thule-Seminar e. V. mit Sitz in Kassel versteht sich als „Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur“. Selbsterklärtes Ziel des Thule-Seminars e. V. ist es, eine „geistig-geschichtliche Ideenschmiede für eine künftige Neuordnung aller europäischen Völker unter besonderer Berücksichtigung ihres biokulturellen und heidnisch-religiösen Erbes“ zu sein. Dabei begreift sich das Thule-Seminar e. V. als ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis und verbreitete insbesondere in Publikationen und im Internet völkisch-rassistisches Gedankengut. Als Ideologe, Ideengeber und auch Vortragsredner versuchte Krebs, Wirkung in rechtsextremistischen Kreisen zu erzielen. Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte er den gegenwärtig vor allem von der IB genutzten Begriff des „Ethnopluralismus“ verwendet. Im Hinblick auf den „Extremfall, dass Westeuropa durch den mörderischen Globalismus und die rassische Durchmischung zur Auflösung gebracht“ werde, strebte Krebs das rein biologistisch-rassistische und an der nationalsozialistischen Ideologie orientierte Ziel an, ein „genetisches Reservoir zu schaffen“. Das Thule-Seminar e. V. betrieb – neben seiner umfangreichen Home­page – unter anderem den Eigenverlag Ahnenrad der Moderne und den Buch- und Kunstversanddienst Ariadne.

Ideologie/Ziele

Neonazis orientieren sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, an der Ideologie des Nationalsozialismus (unter anderem an Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antipluralismus) und idealisieren den „Führer“ des nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorregimes, Adolf Hitler (1889 bis 1945).

Auf einen Blick

  • „Volksgemeinschaft“ – Revisionismus
  • Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene
  • Zahlencodes
  • Kampf gegen das „System“

„Volksgemeinschaft“ – Revisionismus | Das Ziel von Neonazis ist die Schaffung eines ethnisch homogenen, diktatorischen Staats. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt – insgesamt Pluralismus – haben in der von Neonazis angestrebten deutschen „Volksgemeinschaft“ keinen Platz. Die „Volksgemeinschaft“ schließt Menschen anderer Kulturen und auch solche „Deutsche“ aus, die Neonazis aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientierung und sozialer Marginalisierung als „unwert“ einstufen. Das Individuum soll sich dem angeblichen Gesamtwillen unterordnen. Historische Tatsachen deuten Neonazis in revisionistischer Manier um und leugnen dabei auch den Holocaust.

Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene | Die neonazistische Szene ist in sich nicht homogen. Zum einen wird das „Dritte Reich“ (1933 bis 1945) als Vorbild betrachtet und eine Wiederherstellung des Nationalsozialismus angestrebt, zum anderen wird die nationalsozialis­tische „Weltanschauung“ neu interpretiert oder „antikapitalistisch“ mit Bezügen zum Linksextremismus und entsprechenden Aktionsformen „modernisiert“. Die überwiegende Zahl der Neonazis befürwortet jedoch die Kernelemente des Nationalsozialismus: Führerprinzip, Antisemitismus und die Ideologie der „Volksgemeinschaft“.

Zahlencodes | Intern bekennen sich Neonazis zu ihrer Ideologie, indem sie zum Beispiel nationalsozialistische Grußformeln („Sieg Heil“, „Heil Hitler“) verwenden und den „Hitler-Geburtstag“ feiern. Nach außen bekennen sich Neonazis wegen der Strafbarkeit eher in verklausulierter Form zum Nationalsozialismus, etwa in der Form der Selbstbezeichnung von Gruppierungen. So steht etwa bei dem 2015 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport ver­botenen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl 18 für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet (AH), also für Adolf Hitler. Entsprechend steht 88 für „Heil Hitler“.

Kampf gegen das „System“ | An die Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wollen Neonazis einen autoritären Führerstaat sowie eine ethnisch einheitliche „Volksgemeinschaft“ setzen. Unsere freiheitliche Demokratie bezeichnen Neonazis als „System“, das es abzuschaffen gelte. Bereits die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Republik mit dieser Bezeichnung diffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegen das „System“ ist ein Grundpfeiler neonazistischer Propaganda. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die früh an die neonazistische Szene herangeführt und an sie gebunden werden sollen.

Strukturen

Die Neonazi-Szene wies in der Vergangenheit unterschiedliche Strukturen und Organisationsgrade auf. Hierarchisch strukturierte Vereine bildeten die im Berichtszeitraum vorherrschende Organisationsform.

Auf einen Blick

  • Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse
  • Lose strukturierte Kameradschaften – „Freie Kräfte“

Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse | Zu den strukturierten Personenzusammenschlüssen zählte die am 21. September 2011 vom Bundesminister des Innern verbotene Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) sowie der am 27. Oktober 2015 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport verbotene Sturm 18 e. V. Gleichfalls verbot der Bundesminister des Innern am 16. März 2016 die neonazistische Weisse Wölfe Terrorcrew, da sie offen und aggressiv gegen Staat, Gesellschaft, Migranten und Andersdenkende agierte, sich durch ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft auszeichnete und eine fremdenfeindliche und menschenverachtende Ideologie verbreitete.

Lose strukturierte Kameradschaften – „Freie Kräfte“ | In den letzten Jahren traten weniger formalisierte, lose strukturierte Kameradschaften und sogenannte Freie Kräfte an die Stelle derartiger Personenzusammenschlüsse.

Bewertung/Ausblick

Auch wenn die neonazistische Szene sich im Berichtsjahr öffentlichkeitswirksam nicht intensiv betätigte, blieben ihre internen Aktivitäten im Vergleich zum Vorjahr konstant. Nach wie vor versuchten neonazistische Gruppierungen, sich im rechtsextremistischen Spektrum zu vernetzen und durch die Erweiterung ihres Kontaktumfelds Synergieeffekte zu schaffen. Beispielhaft hierfür steht die Verteilung von Wahlkampfmaterialen für rechtsextremistische Parteien im Landtagswahlkampf. Allerdings werden das Internet und verschiedene Messenger-Dienste für die Vernetzung auch in Zukunft das bevorzugte Mittel sein. Gleiches gilt für die Verbreitung fremdenfeindlicher Propaganda, die ebenfalls eine verbindende Wirkung auf die Szene entfaltet.

Wie anhand der im Verhältnis zum Vorjahr gestiegenen Gewalttaten ersichtlich, ist außerdem die weiterhin hohe Gewaltbereitschaft hervorzuheben, die weite Teile der neonazistischen Szene abseits der ideologischen Übereinstimmungen eint. Um die Anwendung von Gewalt gegen angebliche Gegner der Szene möglichst frühzeitig zu unterbinden und mögliche Radikalisierungstendenzen rechtzeitig zu erkennen, wird das LfV die neonazistische Szene in Hessen auch in Zukunft intensiv beobachten.

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Definition/Kerndaten

Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionis­tische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im „Dritten Reich“ auf. Den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest.

Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in den folgenden Jahren an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Deutschlands, teilweise wieder zu. Nachdem sie seit 2004 bzw. 2006 in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vor­pom­mern vertreten war, ist sie inzwischen in keinem Landesparlament mehr präsent.

Landesvorsitzender: Daniel Lachmann
Bundesvorsitzender: Frank Franz (Saarland)
Mitglieder: In Hessen etwa 260, bundesweit etwa 4.000
Jugendorganisation: Junge Nationaldemokraten (JN)
Medien (Auswahl): Deutsche Stimme (DS), Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands: Ein Kreis in roter Farbe mit weiß-rotem Rand. In der Mitte befindet sich in weißer Farbe in Großbuchstaben von unten links leicht nach oben ansteigend die Abkürzung NPD.

Abgebildet ist das Logo der Jungen Nationaldemokraten Hessen. In einem roten Kreis befinden sich ein großer weißer Pfeil und ebenso in weiß die Buchstaben JN.

Ereignisse/Entwicklungen

Mit dem im Berichtsjahr neu gewählten Landesvorstand war der NPD-Landesverband Hessen ebenso wenig handlungsfähig wie in den Vorjahren. Lediglich einige Kreisverbände waren aktiv und traten – wie etwa die Kreisverbände Lahn-Dill und Wetterau – öffentlich in Erscheinung. Agitationsschwerpunkte waren wie in der Vergangenheit die Themen „Asylmissbrauch“, „Flüchtlinge“ und „Innere Sicherheit“, mit denen die NPD bevorzugt im Internet und in sozialen Medien ihre rechtsextremistische Ideologie verbreitete und vor allem bei Wahlen versuchte, Erfolge zu erzielen. Dabei erreichte die NPD bei der hessischen Landtagswahl lediglich 0,2% der abgegebenen Zweitstimmen.

Auf einen Blick

  • Gegen die „Überfremdungsparteien“
  • Auftaktveranstaltung für den Wahlkampf zur hessischen Landtagswahl
  • Landesparteitag
  • Wahlkampf – Wahlergebnisse
  • Kampagne „Schafft Schutzzonen!“
  • Bundesparteitag in Hessen

Gegen die „Überfremdungsparteien“ | Bei der Direktwahl für das Amt des Bürgermeisters in Altenstadt (Wetteraukreis) am 4. März erreichte der Vorsitzende des NPD-Bezirksverbands Wetterau-Kinzig, Stefan Jagsch, ein Ergebnis von 6,0% (= 249 Stimmen). Das beste Resultat erzielte er mit 10,7% (= 57 Stimmen) im Ortsteil Waldsiedlung, wo er für die NPD ein Mandat im Ortsbeirat innehatte. In einer Stellungnahme bewertete Jagsch, den die NPD als „(r)echte Alternative zu den Vertretern der Überfremdungsparteien“ dargestellt hatte, das Ergebnis als „,erfreulich und als Bestätigung unserer Arbeit‘“. Dies gelte es „,in den nächsten Monaten fortzuführen, damit zur Landtagswahl das Ergebnis ausgebaut werden‘“ könne.

Auftaktveranstaltung für den Wahlkampf zur hessischen Landtagswahl | Mit einer unter dem Motto „Familie – Heimat – Nation“ stehenden Veranstaltung wollte die NPD am 24. März in den Wahlkampf zur hessischen Landtagswahl starten. Während der in der Stadthalle in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) geplanten Veranstaltung sollten ver­schiedene Redner sprechen sowie in der rechtsextremistischen Szene bekannte Bands und Liedermacher auftreten. Nachdem die Veranstaltung nicht in der Stadthalle Wetzlar stattfand, wichen die Rechtsextremisten in das Szeneobjekt Teutonicus in Leun (Lahn-Dill-Kreis) aus, wo im Verlauf des Abends einige jener rechtsextremistischen Bands und Liedermacher auftraten, die für die Veranstaltung in Wetzlar vorgesehen waren. An der Veranstaltung nahmen bis zu 150 Rechtsextremisten teil.

Landesparteitag | Auf einem ordentlichen Parteitag des NPD-Landesverbands Hessen am 8. April in Leun (Lahn-Dill-Kreis) mit dem Motto „Mit uns gegen die Asyl-Mafia“ wurden Daniel Lachmann zum neuen Landesvorsitzenden sowie Stefan Jagsch und Ingo Helge zu dessen „gleichberechtigten Stellvertretern“ gewählt. In seiner Antrittsrede hob Lachmann die Wichtigkeit der Landtagswahl am 28. Oktober hervor. Er werde mit ernsthaftem Willen und einer arbeitsfähigen und zuverlässigen Mannschaft den Wahlkampf führen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Jeder Deutsche, der auch künftig in einem deutschen Deutschland leben wolle, müsse die NPD wählen und unterstützen.

Wahlkampf – Wahlergebnisse | Ihren Wahlkampf beschränkte die NPD überwiegend auf die Regionen Lahn-Dill, Wetterau und Bergstraße und wurde von Bundesvorstandsmitgliedern und Funktionären anderer Landesverbände unterstützt. Dabei errichtete die NPD ­Informationsstände und führte Kundgebungen und Flugblattverteilungen durch. Ihr vorrangiges Ziel, mit einem Stimmenanteil von mindestens 1,0% die weitere Teilhabe an der staatlichen Parteien­finanzierung des Landes Hessen zu erhalten, verfehlte die NPD, da sie bei der Wahl lediglich 0,2% der Zweitstimmen (= 6.190 Stimmen) erreichte. Bei der Landtagswahl im Jahr 2013 hatte die NPD dagegen 1,1% (= 33.433 Zweitstimmen) erzielt.

In einer Stellungnahme bezeichnete der Landesvorsitzende Lachmann den Wahlausgang als „nach diesem beachtenswerten Wahlkampf nicht zufriedenstellend“ und kündigte an, dass die NPD „gemeinsam mit anderen nationalen Organisationen und Parteien, in Hessen neue Wege für anstehende ,Schlachten‘ suchen“ werde, da nur Einigkeit stark mache.

Wahlkreis Zweitstimmen-Anzahl Zweitstimmen in % Differenz zu 2013 in %-Punkten
Bergstraße I 195 0,3 -0,9
Bergstraße II 131 0,2 -0,7
Darmstadt-Dieburg I 87 0,1 -0,7
Darmstadt-Dieburg II 89 0,1 -1,0
Darmstadt-Stadt I 33 0,1 -0,4
Darmstadt-Stadt II 45 0,1 -0,5
Eschwege-Witzenhausen 48 0,1 -0,8
Frankfurt am Main I 62 0,2 -1,1
Frankfurt am Main II 50 0,1 -0,5
Frankfurt am Main III 39 0,1 -0,4
Frankfurt am Main IV 44 0,1 -0,5
Frankfurt am Main V 18 0,0 -0,3
Frankfurt am Main VI 65 0,1 -0,7
Fulda I 101 0,2 -1,0
Fulda II 159 0,3 -1,2
Gießen I 113 0,2 -0,8
Gießen II 174 0,3 -1,1
Groß-Gerau I 103 0,2 -1,2
Groß-Gerau II 89 0,1 -1,0
Hersfeld 145 0,4 -1,7
Hochtaunus I 80 0,1 -0,4
Hochtaunus II 64 0,1 -0,4
Kassel-Land I 86 0,1 -0,9
Kassel-Land II 64 0,1 -0,7
Kassel-Stadt I 36 0,1 -0,4
Kassel-Stadt II 51 0,1 -0,9
Lahn-Dill I 243 0,5 -1,3
Lahn-Dill II 219 0,4 -1,1
Limburg-Weilburg I 82 0,2 -1,0
Limburg-Weilburg II 87 0,2 -1,0
Main-Kinzig I 255 0,4 -1,3
Main-Kinzig II 167 0,3 -1,1
Main-Kinzig III 244 0,4 -1,2
Main-Taunus I 53 0,1 -0,5
Main-Taunus II 120 0,2 -0,6
Marburg-Biedenkopf I 86 0,2 -0,9
Marburg-Biedenkopf II 103 0,2 -0,4
Odenwald 119 0,3 -1,0
Offenbach Land I 59 0,1 -0,6
Offenbach Land II 50 0,1 -0,9
Offenbach Land III 88 0,1 -1,0
Offenbach Stadt 61 0,2 -1,3
Rheingau-Taunus I 52 0,1 -0,7
Rheingau-Taunus II 54 0,1 -0,7
Rotenburg 108 0,3 -1,3
Schwalm-Eder I 77 0,2 -0,8
Schwalm-Eder II 128 0,3 -0,9
Vogelsberg 270 0,4 -1,2
Waldeck-Frankenberg I 49 0,1 -0,7
Waldeck-Frankenberg II 67 0,2 -0,8
Wetterau I 139 0,2 -1,0
Wetterau II 681 1,5 -1,4
Wetterau III 190 0,4 -1,2
Wiesbaden I 65 0,1 -0,5
Wiesbaden II 86 0,2 -0,5

Kampagne „Schafft Schutzzonen!“ | Seit Juni mobilisierte die NPD für die Kampagne „Schafft Schutzzonen!“, womit sie in der Bevölkerung mit dem Thema „Sicherheit von Deutschen vor Ausländerkriminalität“ zu emotionalisieren suchte. Die Kampagne hatte einen eigenen Internetauftritt, wobei auf den ersten Blick keine Verbindung zur NPD erkennbar war. Neben Anleitungen und Hilfestellungen zur Schaff­ung einer „Schutzzone“ wurden im Internet rechtliche Hinweise gegeben. Zudem konnten Utensilien wie Westen, Mützen, Abwehr­spray, Flugblätter und Aufkleber mit dem Emblem der Kampagne erworben werden. Eine „Schutzzone“ definierte die NPD als einen nach außen abgegrenzten Bereich, in dem angeblich „Sicherheit“ gewährleistet werden könne. So könnten zum Beispiel ein Gebäude, ein Fahrzeug, eine Telefonkette oder eine Personengruppe eine „Schutzzone“ sein.

Seit Anfang September führten in Hessen Aktivisten der NPD und der JN „Schutzzonen“-Aktionen – zum Beispiel in Form von „Streifengängen“ – durch, so etwa in Hanau (Main-Kinzig-Kreis), Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis), Fulda (Landkreis Fulda), Friedberg (Wetteraukreis) und Wiesbaden. Dabei wurden auch Flyer und Abwehrspray an Frauen verteilt. Bis zum Ende des Berichtsjahrs kam es immer wieder zu „Schutzzonen“-Aktionen.

Bundesparteitag in Hessen | Unter dem Motto „Festung Europa – Schutzzone Deutschland“ fand in Büdingen (Wetteraukreis) am 17. November der Bundesparteitag mit der Wahl der Listenkandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 statt. An dem „Europaparteitag“ nahmen nach Angaben der NPD etwa 250 Delegierte und Gäste, darunter Gastredner europäischer rechtsextremistischer Parteien, teil.

In einer Kampfabstimmung um den ersten Listenplatz setzte sich Udo Voigt, der in der siebten Legislaturperiode (2014 bis 2019) einzige Abgeordnete der NPD im Europäischen Parlament, gegen den mehrfach wegen Volksverhetzung und Leugnung des Holocaust vorbestraften ehemaligen Parteivorsitzenden Günter Deckert durch. Der NPD-Landesverband Hessen war auf der zehn Personen umfassenden Kandidatenliste nicht vertreten. In seiner Rede zur „Lage der ­Partei“ sprach der Bundesvorsitzende Frank Franz von einer „schwierigen Phase“ der Partei bei einer stagnierenden bis leicht fallenden Mitgliederzahl und betonte die „weitgehende Geschlossenheit“ der NPD seit dem letzten Bundesparteitag“. Am 15. März 2019 ließ der Bundeswahlausschuss des Deutschen Bundestags in öffentlicher Sitzung den Wahlvorschlag der NPD zur Europawahl zu. Bei der Wahl erhielt die NPD 0,2 Prozent der Stimmen und ist somit nicht mehr im Europäischen Parlament vertreten.

Junge Nationalisten (JN)

Auf dem Bundeskongress der NPD-Jugendorganisation wurden am 13. Januar in Riesa (Sachsen) ein neuer Bundesvorstand gewählt und die Umbenennung der Jungen Nationaldemokraten in Junge Nationalisten beschlossen. Maßgeblicher Grund für den Namenswechsel war, den JN vor dem Hintergrund langjähriger personell-struktureller Probleme einen Neustart zu ermöglichen. Ihre nur marginale Mitgliederzahl vermochten die JN in Hessen unter der Leitung ihres Landesvorsitzenden Thassilo Hantusch nur leicht zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund wurden die JN in ihren Aktionen von bisher noch nicht in Erscheinung getretenen Aktivisten unterstützt. Um ihre insgesamt niedrige Mitgliederzahl zu kompensieren, bemühten sich die JN in Hessen auch im Berichtsjahr als Bindeglied zum aktionsorientierten neonazistischen Spektrum zu fungieren, was ihnen nur bedingt gelang.

Auf einen Blick

  • Demonstrationen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und ­Wiesbaden
  • Reaktion auf Löschung des JN-Facebook-Profils
  • Schüler im Fokus der JN
  • Kampagne „Tatort Multikulti“

Demonstrationen in Wetzlar und Wiesbaden | Nachdem eine Wahlkampfveranstaltung der NPD nicht in der Stadthalle Wetzlar stattgefunden hatte, führten Rechtsextremisten als Protest eine nicht angemeldete Demonstration vor dem Polizeipräsidium Mittelhessen in Gießen (Landkreis Gießen) durch. Neben Aktivisten der JN beteiligten sich Personen, die sowohl dem bundesweiten Neonazi-Spektrum als auch der rechtsextremistischen Szene in Hessen zuzurechnen waren.

Vor dem Europa-Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Wiesbaden demonstrierten am 15. April Rechtsextremisten unter dem Motto „US-Kriegstreiber stoppen – für freie souveräne Völker“. Das Motto bezog sich auf die am Vortag von den USA, Groß­britannien und Frankreich geführten Militärschläge gegen Ziele in Syrien, womit die Verbündeten auf einen dem Assad-Regime zugeschriebenen Giftgasangriff auf die Stadt Duma reagiert hatten. Verantwortlich für die Demonstration zeichnete ein Zusammenschluss rechtsextremistischer Organisationen namens Bündnis gegen Krieg und Imperialismus. Ein JN-Aktivist hatte die Demonstration zuvor kurzfristig angemeldet.

Reaktion auf Löschung des JN-Facebook-Profils | Ebenso wie bei der IB sperrte im Mai der Plattformbetreiber das Facebook-Profil der JN und entzog ihnen damit einen wesentlichen Kommunikationskanal für ihre Propagandatätigkeit. Als Reaktion wichen die JN Hessen auf das Facebook-Profil der NPD in Hessen aus. Darüber hinaus warb nun die NPD auf ihren Internetseiten für Aktionen der JN. Auf Twitter hieß es:

„Die beiden hessischen JN[-] Seiten wurden auf Facebook gelöscht. Die Seiten würden ,Hassreden‘ verbreiten. Natürlich ist das völlig absurd und nur vorgeschoben. Die Arbeit der JN wird unbeirrt fortgesetzt und auch der Kampf für die Meinungsfreiheit geht weiter“.

Schüler im Fokus der JN | Den Landtagswahlkampf der NPD in Hessen unterstützten die JN, indem sie sich an Informationsständen beteiligten und „Schutzzonen“-Aktionen durchführten. Unter dem Motto „Lieber ungezogen, statt umerzogen“ initiierte der JN-Bundesverband eine gezielt auf den Wahlkampf in Hessen ausgerichtete Kampagne namens schuelersprecher.info. Mittels der für die JN typischen fremden- und islamfeindlichen sowie antidemokratischen Narrative richtete sich die Kampagne sowohl an volljährige als auch an noch nicht wahlberechtigte Schüler und versuchte vor allem letztere zu einer aktiven Beteiligung bei den JN zu ermuntern. Hierfür wurden das Facebook-Profil schuelersprecher.info sowie eine entsprechende Homepage ins Leben gerufen. So hieß es zum Beispiel auf der Homepage:

„Wir wählen deutsch! Was sonst?

Wenn du durch die Straßen deiner Stadt gehst, siehst du die Veränderung deiner Heimat hin zu einer neuen Gesellschaft in der du als Deutscher keinen Platz mehr hast. Fühlst du dich in deiner Freiheit und Unabhängigkeit immer mehr eingeschränkt? […] Willst du, dass dieser Zustand endlich ein Ende hat und wir in einem Land leben könne, in dem unsere Arbeits- und Ausbildungsplätze gesichert sind? […] Statt Freizeitangebote für Jugendliche bieten die Multikultivertreter in Wiesbaden heute ,Demokratie- und Toleranzunterricht‘ an. Statt junge deutsche Familien zu unterstützen, holen sie sich Millionen von ,Fachkräften‘ in unser Land, die dich deinen Platz einnehmen sollen. […] Wir, die Jungen Nationalisten, haben eine Alternative für dich. Die NPD wird auch am 28.10. zur Landtagswahl antreten“.
(Schreibweise wie im Original.)

„Du darfst noch nicht wählen?

Der Kampf um deine Zukunft beginnt nicht mit dem Wahlalter und endet nicht an einer Wahlurne. […] Wir wollen unser Land nachhaltig verändern! Um Teil des Widerstandes gegen dieses System zu werden, kannst du bereits jetzt aktiv werden, indem du dich bei uns meldest“.

Im Rahmen der Kampagne verteilten JN-Aktivisten Flyer an hessischen Schulen und brachten Plakate an. Außerdem wurde eine eigens für die Kampagne zusammengestellte neue Version der früheren „Schulhof-CD“ als im Internet herunterladbare Datei angeboten. Neben der Musik rechtsextremistischer bzw. rechtsextremistisch beeinflusster Bands und Liedermacher enthielt die Datei verschiedene Imagevideos der JN. In einem Facebook-Beitrag wurde zum Beispiel geäußert, dass sich die Schüler einer hessischen Berufsschule über die Anwesenheit der Aktivisten angeblich gefreut hätten. Es hieß weiter: „Selbst die Jungs mit Migrationshintergrund mussten zugeben das unsere Musik rockt“ (Schreibweise wie im Original).

Kampagne „Tatort Multikulti“ | Darüber hinaus fanden im Berichtsjahr wie auch im Jahr zuvor vereinzelt Aktionen im Rahmen der JN-Kampagne „Tatort Multikulti“ statt. In Wiesbaden, Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg) und in Rabenau (Landkreis Gießen) wurden tatorttypische Leichenskizzen bzw. Umrisse auf den Boden gezeichnet und mit roter Farbe als Blutsymbol überzogen. Auf Flyern und Transparenten hieß es: „Tatort Multikulti! Bitte weitergehen und brav SPD und CDU wählen“.

Entstehung/Geschichte

Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP.

Auf einen Blick

  • Anschein von Legalität
  • Krise der NPD
  • „Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland
  • Konzept der „seriösen Radikalität“
  • Politische Bedeutungslosigkeit

Anschein von Legalität | Aus dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 zwei Prozent (= 664.193 der Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 Prozent der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb für die NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlustängste in der Bevölkerung.

Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent (= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocausts durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein.

„Drei-Säulen-Konzept“ – Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie ihre Programmatik. Das neue „Drei-Säulen-Konzept“ enthielt folgende Punkte: „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“ und „Kampf um die Parlamente“. 2004 kam der „Kampf um den organisierten Willen“ hinzu.

Im Zuge ihres „Kampfs um die Straße“ öffnete sich die NPD vor allem gegenüber rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis. Umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-Szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004 und 2006 zog die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein, in denen sie inzwischen nicht mehr vertreten ist.

Konzept der „seriösen Radikalität“ | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der „seriösen Radikalität“ die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis im November 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD 2014 bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mit­arbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit.

Politische Bedeutungslosigkeit | Seit der Landtagswahl in Sachsen verlor die NPD bei weiteren Wahlen auf Landes- und Bundesebene kontinuierlich Stimmen. 2017 erhielt sie bei den Landtagswahlen im Saarland 0,7 Prozent, was einem Minus von 0,5 Prozentpunkten entspricht, sowie in Nordrhein-Westfalen 0,3 Prozent (= minus 0,3 Prozentpunkte). In Hessen erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2018 0,2 Prozent der Stimmen (= minus 0,9 Prozentpunkte).

Ideologie/Ziele

Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik wendet sie sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Auf einen Blick

  • Überwindung des „Systems“
  • „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus

Überwindung des „Systems“ | Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von ihr in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als rein machtorientierte Herrschaft der „Systemparteien“ diffamiert, durch eine ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“ ersetzen. Solidarität soll nur „ethnischen Deutschen“ zuteilwerden. So heißt es im Parteiprogramm:

„Der ethnischen Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung ist genauso entschieden entgegenzutreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung“.

Diejenigen, die in den Augen der NPD „Fremde“ sind, grenzt sie aus. So seien

„Ausländer […] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen. […] Asylbewerber haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen“.

„Solidargemeinschaft aller Deutschen“ – Islamfeindlichkeit – Antisemitismus | Der Globalisierung will die NPD begegnen, indem sie das bestehende „System“ durch eine „Solidargemeinschaft aller Deutschen“ ersetzt. Darüber hinaus werden Muslime diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile.

Strukturen

Die 2010 vorgenommene Neugliederung des Landesverbands in zwei Unterbezirks- und elf Kreisverbände erforderte bereits 2015 eine erneute Modifizierung. Es erfolgte eine Umgestaltung zu sechs Bezirksverbänden (Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen, Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Südhessen).

Auf den ersten Blick scheint die NPD flächendeckend in Hessen vertreten zu sein. Die Umstrukturierung in größere Bezirksverbände macht jedoch deutlich, dass für feingliederige Strukturen das notwendige Personal fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Strukturen waren in weiten Teilen Hessens nur schwach ausgeprägt.

Bewertung/Ausblick

Dass das Ergebnis der NPD bei der Bundestagswahl 2017 (0,4% der Zweitstimmen) im Berichtsjahr bei der Landtagswahl in Hessen mit 0,2% der Zweitstimmen noch einmal untertroffen wurde, verdeutlicht die politische Bedeutungslosigkeit der Partei sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene in Hessen.

Die als Auftakt für den Landtagswahlkampf in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) geplante Veranstaltung mit Rednern und in der rechtsextremistischen Szene bekannten Bands und Liedermachern wäre in diesem Ausmaß ein hessenweites Novum für rechtsextremistische Parteiveranstaltungen in öffentlich genutzten Räumen gewesen. Offensichtlich versuchte die NPD mit dieser Kombination politische Inhalte und Unterhaltung miteinander zu verknüpfen, um größtmögliche Aufmerksamkeit inner- und außerhalb der Szene zu gewinnen. Ähnliche Präsentationsformen gab es in den letzten Jahren im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Konzert- und Rednerveranstaltungen außerhalb Hessens. Der mit dem Landtagswahlergebnis einhergehende Verlust der Berechtigung zur Teilhabe an der Parteienfinanzierung und die damit verbundene finanzielle Schwächung wird für die NPD nur schwer zu kompensieren sein.

Mit Daniel Lachmann, Stefan Jagsch und Ingo Helge verfügte die NPD in Hessen über ein Vorstandsgremium, das Verbindungen in die bundesweite rechtsextremistische Szene und zum Bundesvorstand der Partei pflegte. Aber auch unter dem bis zur Wahl Lachmanns amtierenden Landesvorsitzenden Jean-Christoph Fiedler war der NPD in Hessen der von ihr seit Jahren erhoffte Neuaufbau des Landesverbands nicht gelungen. Ein nachhaltiger und hessenweiter Neuaufbau ist auch unter dem neuen Landesvorsitzenden Lachmann nicht zu erwarten.

Der Schwerpunkt der NPD-Aktivitäten lag weiterhin und nahezu ausschließlich in den Regionen Lahn-Dill und Wetterau und somit in denjenigen Landkreisen und Gemeinden, in denen die NPD bei den hessischen Kommunalwahlen 2016 mit 23 von hessenweit insgesamt 24 erzielten Mandaten Gewinne erzielt hatte. Mit den Aktionen im Rahmen ihrer „Schutzzonen“-Kampagne versuchte die NPD, ihre Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit zu erhöhen und die Fähigkeit und den Willen des Staats zum Schutz und zur Sicherheit der Bürger in Frage zu stellen und daraus die Legitimation abzuleiten, dass Bürger hierfür selbst die Initiative ergreifen dürfen.

Die JN erfuhren in Hessen unter der Leitung ihres Landes­vorsitzenden Thassilo Hantusch einen leichten Mitgliederzuwachs. Dabei wurden sie in ihren Aktionen auch von bisher noch nicht offen in Erscheinung getretenen Aktivisten unterstützt. Um ihre insgesamt niedrige Mitgliederzahl zu kompensieren, bemühten sich die JN in Hessen auch im Berichtsjahr als Bindeglied zum aktionsorientierten neonazistischen Spektrum zu fungieren. Das gelang den JN allerdings nur bedingt. Es ist anzunehmen, dass die JN in Hessen auch in Zukunft mit zunächst verschleierten Aktionen, wie etwa der schuelersprecher.info- und der „Schutzzonen“-Kampagne, versuchen werden, weitere Aktivisten und Mitglieder zu gewinnen.

Der Dritte Weg/Der III. Weg

Definition/Kerndaten

Die Partei Der Dritte Weg propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschen- und Gesellschaftsbild und begreift sich als „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“. In der Broschüre „National, Revolutionär, Sozialistisch“ formuliert Der Dritte Weg unter dem Begriff „Revolution“ einen „grundlegenden, allumfassenden, systematischen und nachhaltigen Wandel“ sowie die „Durchdringung der Politik und der Gesellschaft mit unserer Weltanschauung“ als Ziel. Eine solche Revolution sei nicht mit Waffengewalt zu erzwingen, wenngleich es notwendig sein könnte, dass „einige Scheiben“ zerbrächen, wenn es gelte, das deutsche Volk „in seiner ethnischen Existenz zu sichern“ und eine „Jahrtausende umfassende Hochkultur zu retten“. Unter den Mitgliedern der Partei, die überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum stammten, befanden sich Personen aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS), der völkisch geprägten Neonazi-Szene sowie frühere Mitglieder der NPD.

Bundesvorsitzender:: Klaus Armstroff
Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz)
Mitglieder: In Hessen etwa 15, bundesweit etwa 530
Medien Internetpräsenzen

Abgebildet ist das Logo der Partei Der III. Weg. Dabei sind die Wörter der und Weg in schwarzen Großbuchstaben geschrieben, zwischen diesen beiden Wörtern befindet sich die Zahl drei als römische Zahl geschrieben.

Ereignisse/Entwicklungen

Wie bereits in den Vorjahren stand im Berichtszeitraum die Asyl- und Flüchtlingspolitik im Mittelpunkt der Agitation des Dritten Wegs, wobei die Partei auf typische fremdenfeindliche und rechtsextremistische Narrative zurückgriff. Wegen der angeblich wachsenden „Überfremdung“ führte Der Dritte Weg zur „Sicherheit“ der „deutschen Bevölkerung“ „nationale Streifen“ durch.

Auf einen Blick

  • Teilnahme an Europawahl – weitere Wahlteilnahmen ­geplant
  • „Arbeiterkampftag“ – „Jugend im Sturm“
  • Ausländer- und asylfeindliche Agitation
  • „Schaffung von Infrastrukturen, Kaderbildung, ­Vernetzung“ als Ziel
  • „Gedenkveranstaltungen“
  • „Nationale Streifen“
  • Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland

Teilnahme an Europawahl – weitere Wahlteilnahmen geplant | Im April kündigte Der Dritte Weg an, unter dem Motto „,Europa erwache! Europäische Eidgenossenschaft statt EU-Diktatur!‘“ zu der Europawahl 2019 antreten zu wollen. Vor diesem Hintergrund wurden Unterschriftensammlungen, teils mit „Aktionstagen“ verbunden, durchgeführt, um die für den Wahlantritt notwendigen 4.000 Unterstützungsunterschriften zu erhalten. Auch auf der parteieigenen Internetseite wurde hierzu aufgerufen und ein entsprechendes Formular zum Download bereitgestellt. Zentrale Forderungen der Partei zur Europawahl waren: „Kulturelle Vielfalt statt Multikulti Einfalt“, „Das Europa der Vaterländer“, „Die Festung Europa“ und eine „Gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Geopolitik“ in Abgrenzung zur NATO und zu „imperialistischen Bestrebungen der USA und Israels“.

Die Kandidatenliste mit zehn Kandidaten wurde von dem Parteivorsitzenden Klaus Armstroff und dessen Stellvertreter Matthias Fischer angeführt. Kandidaten aus Hessen stellten sich nicht zur Wahl. Am 15. März 2019 ließ der Bundeswahlausschuss des Deutschen Bundestags in öffentlicher Sitzung den Wahlvorschlag des Dritten Wegs zu. Neben der Kandidatur für die Europawahl beschloss der Dritte Weg die Teilnahme an der Landtagswahl in Sachsen. Darüber hinaus war die Teilnahme an verschiedenen Kommunalwahlen geplant. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament erhielt die Partei 0,0 Prozent.

„Arbeiterkampftag“ – „Jugend im Sturm“ | Am 1. Mai veranstaltete die Partei in Chemnitz (Sachsen) den sogenannten Arbeiterkampftag mit mehreren hundert Personen unter dem Motto „Kapitalismus zerschlagen – Für Familie, Heimat, Tradition“. Der Demonstration war eine „antikapitalistische“ Kampagne vorangegangen, in deren Zuge auch in hessischen Gemeinden, wie etwa Niedernhausen (Rheingau-Taunus-Kreis) und Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau), durch Flugblattverteilungen für die Veranstaltung mobilisiert worden war.

Unter dem Motto „Jugend im Sturm“ führte Der Dritte Weg am 7. Juli in Kirchheim (Thüringen) zum vierten Mal den „gemeinschaftlichen Tag“ durch. Neben politischen Vorträgen – hierunter eine Rede des letzten Vorsitzenden der im Jahr 1994 vom Bundesminister des Innern verbotenen Wiking-Jugend sowie ein Beitrag einer Vertreterin des politischen Armes des ukrainischen Azov-Bataillons – wurde Kampfsport durch die neugegründete Gruppe Körper & Geist sowie Musik rechtsextremistischer Bands dargeboten. In Bezug auf Körper & Geist hatte bereits im Juni der stellvertretende Parteivorsitzende Matthias Fischer auf der Internetseite der Partei erklärt:

„Wir sind bewusst keine einfache Sportgemeinschaft oder Freundeskreis, sondern Teil einer Bewegung zur völkischen Wiedergeburt unserer Nation. Wenn wir uns im Ring miteinander messen, uns durch anstrengende Wanderungen durchbeißen oder uns zum gemeinsamen Dauerlauf treffen, so sind wir nicht einfach nur sportlich aktiv. […] Noch sind wir nicht in der Lage, die Kultur der Verweichlichung und des Pazifismus gesamtgesellschaftlich abzulösen, aber wir können bereits heute uns selber wehrhaft machen und damit dazu beitragen, einmal das ganze Volk wieder wehrhaft zu machen“.
(Schreibweise wie im Original.)

Ausländer- und asylfeindliche Agitation | Die Asyl- und Ausländerpolitik bildete weiterhin einen agitatorischen Schwerpunkt der Partei. Mittels Flugblattverteilaktionen, die den angeblich „drohenden Volkstod durch Überfremdung“ thematisierten, agitierte Der Dritte Weg fremden- und asylfeindlich. Plakativ stellte die Partei hierbei einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen steigender Kriminalität und der wachsenden Zahl „art- und kulturfremder“ Menschen in Deutschland her. Insbesondere medienwirksame Ereignisse – wie etwa das Tötungsdelikt zum Nachteil einer 14-jährigen Schülerin in Wiesbaden, bei dem ein Asylbewerber als Täter ermittelt und am 10. Juli 2019 verurteilt wurde (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig) –, versuchte Der Dritte Weg zu instrumentalisieren. Auf diese Weise bemühte sich die Partei, eine möglichst große emotionsgeladene Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und somit Akzeptanz für die eigenen fremdenfeindlichen Positionen zu erhalten.

Für dieses Ziel setzte Der Dritte Weg auch die parteieigene Internetseite ein. So wurden am 11. September unter der Überschrift „Ungebremster Ausländerterror gegen das deutsche Volk“ Fälle von „bekannt­gewordener Ausländergewalt der letzten Tage“ mit ent­sprechenden Verlinkungen aufgelistet.

„Schaffung von Infrastrukturen, Kaderbildung, Vernetzung“ als Ziel | Vor allem thematisierte Der Dritte Weg die Demonstration am 27. August in Chemnitz (Sachsen) im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt zum Nachteil eines 35-Jährigen, wobei die Polizei unmittelbar nach der Tat zwei Asylbewerber als Verdächtige festgenommen hatte. An der Demonstration, die unter maßgeblicher Beteiligung rechtsextremistischer Gruppierungen stattfand, nahmen auch Aktivisten des Dritten Wegs, die entsprechende Plakate zeigten, teil. Im Internet veröffentlichte Matthias Fischer später einen Beitrag mit dem Titel „Chemnitz – wie es jetzt weitergehen muss“. Dort hieß es:

„Schafft es eine radikale Gruppe ein gutes und vernünftiges Auftreten an den Tag zu legen, hat ein Großteil des Volkes die Berührungsängste dazu mittlerweile verloren. […] Bürgerliche Parteien und Protestgruppen sind nicht in der Lage, den Kampf um die Straße zu gewinnen. […] Der Kampf wird sich auf absehbare Zeit noch verschärfen, und zwar in dem Maße, je mehr die Politisierung der Massen zunimmt und sich immer mehr von der bürgerlichen Mitte in die radikalen Richtungen entwickeln“.

Die Bewegung, so Fischer, bilde eine „Kampfgemeinschaft“: „Stets haben entschlossene Minderheiten über den Verlauf von großen ­Ereignissen entschieden, die Masse folgt“. Die nächsten Jahre gelte es zu nutzen: „Schaffung von Infrastrukturen, Kaderbildung, Vernetzung“.

„Gedenkveranstaltungen“ | Verbunden mit der Forderung nach einem „zentralen Gedenktag“ für die „zerstörten deutschen Städte des alliierten Bombenterrors“ während des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) veranstaltete Der Dritte Weg in Nordhausen (Thüringen) am 17. Februar einen Marsch unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“. Darüber hinaus „gedachten in Würde und respektvoll“ Parteimitglieder am 8. Mai, so eine Interneteinstellung, „all jener, die den ,Tag der Befreiung‘ bitter bezahlten“. In diesem Kontext reinigten im Taunus Aktivisten des Stützpunkts Westerwald/Taunus zwei Kriegsdenkmäler und legten im Landkreis Marburg-Biedenkopf einen Kranz an einer Gedenkstätte nieder. In Darmstadt versammelten sich Aktivisten am 11. September, um mit einer Kranzniederlegung an den „unnötigen und verbrecherischen Akt der Zerstörung“ durch alliierte Bombenangriffe zu erinnern.

In Wunsiedel (Bayern) veranstaltete Der Dritte Weg am 17. No­vember das „traditionelle Heldengedenken“, und vom 27. bis zum 30. Dezember führten Aktivisten eine Fackelwanderung von Nordhausen (Thüringen) nach Fulda (Landkreis Fulda) durch. Ver­schiedene Gruppen trugen symbolisch eine Laterne mit einem Parteiwimpel und gaben diese weiter. Im Anschluss an die Wanderung, die unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“ stand, kamen am 30. Dezember Parteimitglieder zu mehreren nicht angemeldeten Versammlungen in der Fuldaer Innenstadt zusammen.

„Nationale Streifen“ | Unter anderem in Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis) und Wiesbaden führten Aktivisten des Dritten Wegs „nationale Streifen“ durch. Kleingruppen aus etwa fünf Personen liefen, so die Darstellung der Partei, durch Ortschaften, die wegen der „Überfremdung“ angeblich vermehrt mit Kriminalität zu kämpfen hätten, was den Einsatz der Partei für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung erforderlich mache.

Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland | Im Februar nahmen in Ungarn Aktivisten des Dritten Wegs an einer „Gedenkveranstaltung“ nationalistischer Gruppierungen anlässlich der Schlacht um Budapest (Dezember 1944 bis Februar 1945) teil. Dies schloss unter anderem einen 60 Kilometer langen „Gedenkmarsch“ ein. In Kiew (Ukraine) lief im Oktober eine Aktivistengruppe beim „Marsch der Nation“ mit, an dem rund 15.000 Nationalisten teilgenommen haben sollen. Während des Aufenthalts fand in den Räumen der nationalistischen ukrainischen Azov-Bewegung zudem eine „Reconquista-Konferenz“ mit verschiedenen Rednern aus Europa und den USA statt. Ein Angehöriger des Dritten Wegs hielt, so eine Verlautbarung der Partei im Internet, eine Ansprache zum Thema „Deutschland – Revolution oder Untergang“ und stellte die politische Arbeit sowie die entsprechenden Ansichten der Partei vor.

Entstehung/Geschichte

Die Partei Der Dritte Weg wurde am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Nach und nach entstanden verschiedene länderübergreifende Stützpunkte, unter anderem auch der Stützpunkt Westerwald/Taunus, der im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umfasste. Seit ihrer Gründung führte die Partei vor allem Demonstrationen, „Heldengedenkfeiern“ und gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichtete Flugblattverteilaktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im Internet.

Auf Landesebene nahm die Partei bislang lediglich in Rheinland-Pfalz an der Landtagswahl am 13. März 2016 teil, erreichte jedoch mit 1.944 Zweitstimmen (= 0,1 Prozent) weniger Stimmen, als sie im Vorfeld an Unterstützungsunterschriften (2.040) erhalten hatte.

Ideologie/Ziele

Im Zehn-Punkte-Programm des Dritten Wegs werden dessen rechtsextremistische – im Detail nationalsozialistische – Programmatik und damit verbunden die antidemokratische, auf die Überwindung der freiheitlichen Grundordnung gerichtete Zielsetzung deutlich.

Auf einen Blick

  • „Zehn-Punkte-Programm“
  • „National, Revolutionär, Sozialistisch“
  • Das Volk als „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ – Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“

„Zehn-Punkte-Programm“ | In seinem Parteiprogramm benennt Der Dritte Weg einen „Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus wie gleichmacherischem Kommunismus“ als sein Ziel. Das deutsche Volk wird als „naturgesetzliche Gemeinschaft“ gesehen. Eine Forderung der Partei besteht in der Förderung kinderreicher deutscher Familien „zur Abwendung des drohenden Volkstodes“. Als weiteres Ziel gibt Der Dritte Weg die „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“ an.

Darüber hinaus fordert die Partei in ihrem „Zehn-Punkte Programm“ die geschichtsrevisionistische „friedliche […] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen“. Weitere Forderungen sind die Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien sowie die Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen.

„National, Revolutionär, Sozialistisch“ | Gemäß ihres im Jahr 2015 im Internet veröffentlichten „Selbstverständnisses“ begreift sich die Partei als „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“:

„Denn nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt“.

Ausführlich erläutert Der Dritte Weg diese drei Kernbegriffe in der im Jahr 2017 erschienenen Broschüre „National, Revolutionär, Sozialistisch“.

Das Volk als „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ – Liberalismus als „geistige Immunschwächekrankheit“ | Den Nationalismus definiert die Partei als die „politische Idee, die die Interessen und das Überleben des eigenen Volkes in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und Entscheidungen“ rücke. Der „echte Nationalismus“ brauche stets eine „völkische Komponente“. Dabei sei das Blut der „Schlüssel zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens“. Das Volk sei nicht nur eine „Blut-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft“ und die Nation bilde den „übergeordneten Willen des Volkes“. Im Liberalismus dagegen verkörpere der „Einzelne den wichtigsten Wert“. Als „geistige Immun­schwäche­krankheit“ habe der Liberalismus den „europäische[n] Mensch[en] auf seine Existenz als Einzelwesen reduziert und seiner Kultur, Heimat und Identität beraubt“. In diesem Kontext sieht sich Der Dritte Weg „unseren kultur- und blutsverwandten Völkern in Europa verbunden“.

In ganz Europa sieht die Partei ihre Feinde am Werk:

„Egal ob West- oder Ost-, Süd[-] oder Nordeuropa, es sitzen überall die gleichen Verräter, die gleichen Vertreter des feigen Bürgertums und die gleichen Geldempfänger des Kapitals in den Parlamenten. Daher können wir sie gar nicht anders als gleichsam hassen und verachten. Wir fiebern jedem Schlag, ja jedem Nadelstich, den die verschiedenen europäischen Bewegungen den volksfeindlichen Systemen beibringen, entgegen, begeistern uns über jeden Erfolg und verneigen uns vor jedem Toten und jedem Verletzten dieses gesamteuropäischen Kampfes“.

Strukturen

Organisatorisch gliederte sich die Partei in die Gebietsverbände Mitte, Süd und West, denen bundesweit 18 Stützpunkte zugeordnet waren. Der Stützpunkt Westerwald-Taunus umfasste hierbei die hessischen Landkreise Limburg-Weilburg und Lahn-Dill. Einzelne Aktivisten aus Hessen waren darüber hinaus im Stützpunkt Rheinhessen aktiv. Beide Stützpunkte waren dem Gebietsverband West zuzurechnen.

Bewertung

Ereignisse wie die Demonstration in Chemnitz (Sachsen) unter federführender Beteiligung zahlreicher Rechtsextremisten und das damit verbundene Medienecho ermutigten den Dritten Weg, offensiver als bislang auf – in seiner Perspektive – gemäßigte Teile der Bevölkerung zuzugehen und zu versuchen, diese für seine Ziele zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund plante die Partei für das Jahr 2019 die Teilnahme an der Europawahl und an der Landtagswahl in Sachsen. Obgleich Der Dritte Weg das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland ablehnt, will er sich die mit dieser Form der repräsentativen Demokratie einhergehenden Vorteile zum Zweck der Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zunutze machen.

Zur Verbreitung seiner Propaganda bediente sich Der Dritte Weg weiterhin verstärkt des Internets – insbesondere zur Mobilisierung für Großveranstaltungen über die parteieigene Homepage – und verschiedener Twitter-Kanäle. Ebenso betrieb die Partei über das Internet die klassische Informationsverbreitung. Dies zeigte sich im Rahmen von Beiträgen zu Flugblattverteilaktionen und Berichten zu angeblichen Fällen von Ausländerkriminalität, wobei die Fremdenfeindlichkeit der Partei offen zutage trat.

Da der Dritte Weg Zuspruch in der bürgerlichen Mitte suchte, führte er Aktionen wie die „nationalen Streifen“ durch, um als „Kümmerer“ der Belange des „deutschen Volks“ wahrgenommen zu werden, wobei der demokratische Rechtsstaat als machtlos erscheinen soll. So versuchten Aktivisten des Dritten Wegs die eigene Rolle als Partei zu überhöhen, um sich als ernsthafte Alternative zum „System“ zu präsentieren. Insgesamt versuchte die Partei, sich vor allem mittels ihres Internetauftritts modern zu geben und mit ihren Inhalten gesellschaftlich anschlussfähig zu sein, was ihr allerdings nicht gelang.

DIE RECHTE

Die Partei gründete sich 2012 zunächst als Auffangbecken für Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen Deutschen Volks­union (DVU). Kurz danach traten Neonazis und frühere Mitglieder der NPD in DIE RECHTE ein. Nachdem es auf der Facebook-Seite der neonazistischen Kameradschaft FWH Hinweise auf eine Neugründung des Landesverbands Hessen gegeben hatte, fand der entsprechende Gründungsparteitag im August 2017 statt. Bereits von November 2012 bis März 2014 hatte in Hessen ein Landesverband bestanden, der jedoch auf seiner Homepage die Einstellung seiner parteipolitischen Arbeit zum 20. März 2014 ankündigt hatte.

Landesvorsitzender: Christian Göppner
Bundesvorsitzende: Michael Brück und Sascha Krolzi
Mitglieder: In Hessen etwa zehn, bundesweit etwa 600
Medien Internetpräsenzen

Logo der Partei DIE RECHTE

Auf einen Blick

  • Landesparteitag
  • Keine Öffentlichkeitswirksamkeit in Hessen

Landesparteitag | Auf der Facebook-Seite des FWH wurde über einen Landesparteitag der Partei DIE RECHTE am 3. März berichtet, auf dem eine Landesschatzmeisterin gewählt wurde. Zudem wurde beschlossen, dass die Partei nicht zur Landtagswahl in Hessen antreten werde. Laut einer Interneteinstellung führte der FWH im Anschluss einen gemeinsamen Stammtisch mit Parteimitgliedern durch.

Keine Öffentlichkeitswirksamkeit in Hessen | Bisher wurden der Kreisverband Main-Kinzig sowie die Stützpunkte Marburg, Main-Kinzig und Wiesbaden gegründet, die keine öffentlich wahrnehmbare Wirkung entfalteten. Auch im Berichtszeitraum agierte die Partei zurückhaltend, öffentlichkeitswirksame Aktionen waren in Hessen nicht festzustellen.

Die bisherige bundesweite Entwicklung der Partei DIE RECHTE legt nahe, dass sie weiterhin als Auffangbecken für Rechtsextremisten verschiedener Ausrichtungen dient, die aus unterschiedlichen Gründen in ihrem bisherigen Szeneumfeld nicht weiter agieren können. Den Anhängern der Partei geht es insbesondere darum, die neo­nazistisch geprägten Aktionen fortzusetzen.

Subkulturell orientierte Rechtsextremisten − rechtsextremistische Musik

Definition/Kerndaten

Weitgehende Organisationslosigkeit ist kennzeichnend für subkulturell orientierte Rechtsextremisten. Hinzu kommt eine in der Regel nur oberflächliche weltanschauliche Prägung, verbunden mit rassistischem, antisemitischem und ausländerfeindlichem Gedankengut. Für diese oftmals in informellen lokalen oder regionalen Gruppen zusammengeschlossenen Rechtsextremisten stehen erlebnisorientierte Aktivitäten in der Regel im Vordergrund. Dabei spielt der Besuch rechtsextremistischer Musikveranstaltungen eine herausgehobene Rolle. Im Unterschied zu Angehörigen der früheren rechtsextremistischen Skinheadszene sind subkulturell orientierte Rechtsextremisten heutzutage fast nicht mehr anhand eines einheitlichen Erscheinungsbilds erkennbar.

Aktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 400
Musikgruppen in Hessen: Faust und Nordglanz

Ereignisse/Entwicklungen

Soweit rechtlich möglich, unterbinden die Sicherheitsbehörden rechtsextremistische Konzerte in Hessen. Trotz dieser restriktiven Vorgehensweise fand im Berichtsjahr in Hessen ein rechtsextremistisches Konzert statt.

Auf einen Blick

  • Ersatzkonzert in Leun
  • Szeneobjekt Teutonicus – Veranstaltungskonzept Club H5
  • Weitere Musikveranstaltungen
  • Durchsuchungen im Teutonicus

Ersatzkonzert in Leun | Im Rahmen einer NPD-Wahlkampfveranstaltung sollten am 24. März in der Stadthalle in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) rechtsextremistische Bands und Liedermacher auftreten. Nachdem die Veranstaltung nicht in der Stadthalle stattgefunden hatte, begaben sich die überregional angereisten Rechtsextremisten in das Szeneobjekt Teutonicus in Leun (Lahn-Dill-Kreis). Im Verlauf des Abends traten einige der Bands und Liedermacher auf, die für die Veranstaltung in Wetzlar vorgesehen gewesen waren. Vor Ort stellte die Polizei bis zu 150 Rechtsextremisten fest.

Szeneobjekt Teutonicus – Veranstaltungskonzept Club H5 | Der Treffpunkt Teutonicus wird seit einigen Jahren in unregelmäßigen Abständen für eine Vielzahl von Veranstaltungen – unter anderem der NPD und unterschiedlicher rechtsextremistischer Gruppierungen – sowie für private Feiern von Rechtsextremisten genutzt. Das 2011 durch ein NPD-Mitglied erworbene Szeneobjekt sollte durch das Amtsgericht Wetzlar am 26. Februar im Wege der Zwangsvollstreckung versteigert werden, die jedoch aufgrund einer Geldleistung im fünfstelligen Bereich nicht zustande kam. Die Summe wurde durch ein Mitglied der NPD Hessen beglichen.

In ihrer Juli-/August-Ausgabe veröffentlichte die rechtsextremistische Zeitschrift N.S. Heute ein Interview („Szenegeflüster – im Gespräch mit dem neuen ‚Club H5‘“) mit den Betreibern des Treffs. Dabei ging es um die finanzielle „Rettung“ des Teutonicus, dessen Neuausrichtung sowie die Initiierung des Projekts/Labels Club H5. Der Name Club H5 ist angelehnt an die Adresse des Szeneobjekts Teutonicus in Leun. Das neue Projekt/Label Club H5 soll sich jedoch nicht auf das Teutonicus beschränken. Es sei vorgesehen, so die Betreiber, das Konzept auch in Form einer „Veranstaltungsreihe“ in Mittel- und Südhessen sowie im Raum Süddeutschland unter dem Namen Club H5 durchzuführen.

Im August wurde ein Internetauftritt des Club H5 in Facebook eingerichtet. Dort wurde unter dem Motto „Rock against communism!“ eine durch den Club H5 organisierte Musikveranstaltung mit Musikern von Kategorie C – Hungrige Wölfe, Nahkampf und Randgruppe Deutsch angekündigt, die schließlich am 30. November in Wahlrod (Rheinland-Pfalz) stattfand. Des Weiteren wurde unter dem Titel „Club H5 on tour“ für eine Veranstaltung mit den Bands Kategorie C – Hungrige Wölfe und Nahkampf sowie einem „Überraschungsliedermacher“ in Süddeutschland geworben. Zu dieser Veranstaltung kam es am 1. Dezember in St. Georgen (Baden-Württemberg).

Weitere Musikveranstaltungen | Darüber hinaus fanden in Hessen im Berichtsjahr insgesamt drei weitere rechtsextremistische Musikveranstaltungen im internen Kreis ohne Öffentlichkeitswirksamkeit statt. Außerdem spielte bei einem Neujahrsempfang der NPD in Leun (Lahn-Dill-Kreis) am 7. Januar der Liedermacher Martin, der zugleich Mitglied der rechtsextremistischen Band Sleipnir ist.

Durchsuchungen im Teutonicus | Im November führte die Polizei im Teutonicus eine Durchsuchung durch. Hintergrund war ein unter anderem gegen den Inhaber der Immobilie geführtes Ermittlungsverfahren wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz. Fünf Personen wurden festgenommen; darüber hinaus beschlagnahmte die Polizei Waffen, Munition, Betäubungsmittel und nationalsozialistische Devotionalien. Außerdem fand die Polizei auf dem Dachboden des Teutonicus einen provisorischen Schießstand. Die Ermittlungen dauern an.

Funktion rechtsextremistischer Musik

Rechtsextremistische Musik spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die rechtsextremistische Szene und ist zugleich ein bedeutendes, jugendorientiertes Medium, mit dem entsprechende Botschaften transportiert werden. Für die Sicherheitsbehörden ist die intensive Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene obligatorisch, um Inhalte auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen.

Auf einen Blick

  • Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus
  • Diffuse rechtsextremistische Einstellungen
  • Konzerte und Liederabende – Musik im Internet

Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus | Oft stehen zunächst nicht rechtsextremistische Inhalte im Vordergrund des Musikerlebnisses, sondern für die Hörer einprägsame Melodien und einfache Rhythmen. Die Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus ist niedrig, da Musik nahezu jederzeit und überall konsumierbar ist. Die Musik dient der Selbstdarstellung und der szene­internen Kommunikation über „Werte“ und Feindbilder und ist Ausdruck eines subkulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wirkt der Konsum von rechtsextremistischer Musik oft als Katalysator von Gefühlen und Aggressionen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann dies zu Gewaltausbrüchen führen.

Diffuse rechtsextremistische Einstellungen | Subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind gekennzeichnet durch eher diffuse rechtsextremistische Einstellungen, die sich an das Gedankengut von Neonazis anlehnen. Eine vertiefte „weltanschauliche“ und politische Auseinandersetzung findet dabei nicht statt. Im Vordergrund steht eine erlebnis- und aktionsorientierte Lebensgestaltung vor allem in Form des Konsumierens von Musik.

Konzerte und Liederabende – Musik im Internet | Konzerte spielen für subkulturell orientierte Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. In der eher strukturlosen Szene sind Konzerte identitätsstiftende Ereignisse und dienen der Kommunikation und Vernetzung. Zudem üben die in der Regel konspirativ organisierten Konzerte gerade auf junge Rechtsextremisten eine große Faszination aus.

Eine wachsende Bedeutung haben für subkulturell orientierte Rechtsextremisten, Neonazis und rechtsextremistische Parteien auch Liederabende. Auftritte überwiegend einzelner rechtsextremistischer Interpreten dienen als Treffpunkt und Plattform, wobei politische Botschaften über die Liedtexte mit Zwischenmoderationen verknüpft und zur Anwerbung potenzieller Interessenten genutzt werden.

Rechtsextremistische Musik wird auch über das Internet verbreitet. So findet man auf YouTube rechtsextremistische Videos wie etwa der rechtsextremistischen Hooligan-Band Kategorie C − Hungrige Wölfe mit gewaltverherrlichenden Texten. Auch von der Band Faust aus Hessen werden Musikvideos auf YouTube verbreitet.

Bewertung/Ausblick

In Deutschland sowie im europäischen Ausland durchgeführte große Konzerte mit unter Rechtsextremisten bekannten Bands stießen nach wie vor auf große Resonanz in der Szene. Zugleich bestätigte sich im Berichtszeitraum bundesweit die Tendenz, dass eine Verlagerung der Musikveranstaltungen hin zu Liederabenden, zumeist verbunden mit politischen Redebeiträgen, stattfand.

Unabhängig von der Form der Veranstaltungen bleibt die hohe Gefahr, die von rechtsextremistischer Musik ausgeht, bestehen. Der Besuch von Konzerten dient vielfach als Einstieg in den Rechtsextremismus. Entsprechende Inhalte und vor allem Teile der neonazistischen Ideologie werden insbesondere jugendlichen Neueinsteigern auf eingängige Art und Weise vermittelt. Aufgrund der hieraus für Jugendliche resultierenden Gefahren ist die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Neonazis ein wichtiges Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes in Hessen. Unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten unterbinden die hessischen Sicherheitsbehörden konsequent rechtsextremistische Konzerte. Mit jedem verhinderten Konzert verliert die rechtsextremistische Szene eine zentrale Anlaufstelle und ein wichtiges Bindeglied zu Jugendlichen, die noch außerhalb des Rechtsextremismus stehen.

Umso mehr steht für das LfV – nach der Abwendung der Zwangsversteigerung – das Teutonicus in Leun (Lahn-Dill-Kreis) im Fokus, da das Objekt auch künftig Rechtsextremisten als Veranstaltungstreff dienen wird. Vor allem bei der Etablierung des neuen rechtsextremistischen Veranstaltungskonzepts Club H5 soll das Teutonicus laut Aussage seiner Betreiber eine zentrale Rolle spielen.

Kommunikationsstrategien von Rechtsextremisten

Durch die stetige Entwicklung des Internets und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Kommunikation verändern sich immer wieder die Strategien und Taktiken der Rechtsextremisten. Soziale Netzwerke wie etwa Facebook, Blogs, Videoplattformen (zum Beispiel YouTube) sowie eigene Internetauftritte wie Homepages, Nachrichtenportale oder Foren sind für Rechtsextremisten wichtige Hilfsmittel für die digitale Verbreitung ihrer Propaganda, da sie hier mit wenig Aufwand ein breites Publikum erreichen können.

Auf einen Blick

  • Offene und versteckte Propaganda
  • Kommunikation in geschlossenen Gruppen

Offene und versteckte Propaganda | Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistische Organisationen nutzen das Internet einerseits, um offen für ihre Ideen und Aktivitäten zu werben, um offen und ohne Scheu Hass und Hetze zu verbreiten und um Gleichgesinnte zu gewinnen; andererseits gehen sie weitaus konspirativer als früher vor und rufen zum Beispiel Initiativen ins Leben, die auf den ersten Blick keinen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten lassen, sondern Themen ansprechen, die beim Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen (zum Beispiel Kindesmissbrauch). Hierüber suchen Rechtsextremisten besonders den Kontakt zu Menschen, die bisher keinen Bezug zum Rechtsextremismus hatten. Neben den Internetplattformen nutzen Rechtsextremisten auch verschiedene Messengerdienste wie Whats­App, Threema oder Signal, um untereinander zu kommunizieren, Veranstaltungen zu planen oder Absprachen zu treffen.

Kommunikation in geschlossenen Gruppen | Die Möglichkeit eines Zugriffs staatlicher Sicherheitsbehörden sorgt bei Rechtsextremisten für eine erhöhte Sensibilisierung. So werden Leitfäden und Sicherheitsschulungen für Hinweise genutzt, bedacht mit persönlichen Daten umzugehen und keine Äußerungen zu tätigen, die strafrechtlich relevant sind oder auf geplante Veranstaltungen hindeuten könnten. Weiterhin nutzen Rechtsextremisten geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten, zu denen nur bestimmte – meist im Vorfeld ausgewählte – Szeneangehörige Zugang erhalten.

Rechtsterrorismus

Das OLG München verurteilte am 11. Juli das einzige noch lebende Mitglied sowie vier Unterstützer der rechtsextremistischen Terrororganisation NSU zu mehrjährigen Haftstrafen.

Auf einen Blick

  • Lebenslange Haft für Beate Zschäpe
  • Reaktionen in der Szene
  • Hohe Gefahr rechtsextremistischer Gewaltpotenziale
  • Herausragende Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden: Beobachtung rechtsextremistischer Gewaltpotenziale

Lebenslange Haft für Beate Zschäpe | Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe einen gemeinsamen Plan für politisch motivierte, rechtsextremistische Gewalttaten fassten und die terroristische Vereinigung NSU gründeten. Die Hauptangeklagte wurde als gleichberechtigte Mittäterin wegen zehnfachen Mordes, mehrfachen versuchten Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Raubüberfällen und schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. Zschäpes Anwälte legten Revision gegen das Urteil ein.

Gegen vier Mitangeklagte wurden wegen Beihilfe zum Mord bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung Haftstrafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren verhängt. Auch gegen diese Urteile wurde jeweils Revision eingelegt. Insgesamt ist die juristische Aufarbeitung des NSU-Komplexes noch nicht abgeschlossen. Gegen neun weitere mutmaßliche Helfer des NSU sind Ermittlungsverfahren anhängig.

Reaktionen in der Szene | Unmittelbar nach der Urteilsverkündung kam es auf verschiedenen Facebook-Seiten der rechtsextremistischen Szene zu Reaktionen, in denen die Urteile überwiegend als „reines Politikum“, „NSU-Schauprozess“ und „NSU-Farce“ bezeichnet wurden.

Hinsichtlich der Anzahl seiner Opfer, seines Gewaltausmaßes und seiner Langlebigkeit ist der NSU in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Phänomen, das innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums mehrheitlich keine „positive“ Resonanz erfuhr. Dies ist auch in Abwägungen begründet, die aus strategischen (Gewalt-)Diskussionen innerhalb der rechtsextremistischen Szene resultierten: Für den überwiegenden Teil der Rechtsextremisten stellte der Einsatz terroristischer Mittel zur Erreichung politischer Ziele weiterhin keinen erfolgversprechenden bzw. aussichtsreichen Weg dar. Die Taten des NSU wurden als in der Szene nicht vermittelbar wahrgenommen und die auf die Aufdeckung des NSU folgenden staatlichen Maßnahmen als kontraproduktiv für das eigene politische Wirken betrachtet.

Hohe Gefahr rechtsextremistischer Gewaltpotenziale | Diese szeneinternen Einschätzungen bedeuten im Rahmen der permanenten Beobachtung und Analyse der Sicherheitsbehörden jedoch nicht, dass eine „Vorbildfunktion“ des NSU für andere Gruppierungen ausgeschlossen werden kann. Rechtsextremistische Gewaltpotenziale stellen weiterhin eine hohe Gefahr dar, was zum Beispiel durch das Bekanntwerden mehrerer rechtsterroristischer Zellen in Sachsen sichtbar wurde. Im März wurde das Urteil gegen die Gruppe Freital verkündet, die im Jahr 2015 in Dresden und Freital (Sachsen) mehrere Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt hatte. Im Oktober 2018 wurden acht mutmaßliche Rechtsterroristen der Gruppe Revolution Chemnitz festgenommen, die unter dem Verdacht stehen, am 3. Oktober einen Anschlag gegen Ausländer und Andersdenkende geplant zu haben.

Herausragende Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden: Beobachtung rechtsextremistischer Gewaltpotenziale | Insgesamt birgt die der rechtsextremistischen Ideologie immanente Gewaltorientierung die Gefahr, dass schwere staatsgefährdende Gewalttaten begangen werden: Solche Straftaten richten sich gegen Leben und persönliche Freiheit eines oder mehrerer Menschen, sodass sie nach den Umständen bestimmt und geeignet sind, den Bestand oder die Sicherheit eines Staats oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. Dabei kann diese Gewaltorientierung bis zum Rechtsterrorismus führen. Die Beob­achtung rechtsextremistischer Gewaltpotenziale, deren Herausbildung eine virulente Gefahr darstellt, ist und bleibt eine herausragende Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden.

Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten

Auch im Berichtsjahr bildeten Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik zentrale Themen in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen. Mit der Angst vor angeblicher „kultureller Überfremdung“ sollten Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Die fremdenfeindliche Agitation von Rechtsextremisten barg das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten führen kann. In Hessen kam es bisher zu Übergriffen, die überwiegend aus Volksverhetzungen, dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Sachbeschädigungen durch fremdenfeindliche Farbschmierereien bestanden. Alle im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangenen Straftaten entfielen – im Unterschied zu den Vorjahren – ausschließlich auf die PMK – rechts –.

Im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangene Straftaten

In Hessen kam es im Berichtszeitraum insgesamt zu zehn (2017: sieben) Straftaten, die sich gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte richteten. Alle Delikte entfielen auf den Bereich der PMK – rechts – und setzten sich aus Sachbeschädigungen und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zusammen.

2018 2017 2016 2015
gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte
PMK insgesamt 10 7 25 28
PMK – rechts – 10 7 22 25
gegen Asylbewerber/Flüchtlinge
PMK insgesamt 26 50 72 39
PMK – rechts – 26 46 67 17
gegen Hilfsorganisationen und Helfer
PMK insgesamt 2 2 3 *
PMK – rechts – 2 1 2 *
Summe
PMK insgesamt 38 59 199 67
PMK – rechts – 38 54 91 42

* Diese Kategorie wurde im Jahr 2015 noch nicht erfasst.

Die Anzahl der Fälle von menschenverachtender Agitation gegen Asylbewerber und Flüchtlinge sank in Hessen im Berichtsjahr auf 26 Straftaten (2017: 50), wobei alle diese Straftaten in den Bereich der PMK – rechts – entfielen.

Gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer waren zwei Straftaten zu verzeichnen (2017: zwei), davon entfielen beide auf den Bereich PMK – rechts –.

Insgesamt nahm im Berichtszeitraum die Zahl der Straftaten (38) im Bereich PMK – rechts – gegenüber dem Vorjahr (2017: 54) deutlich ab, wobei nunmehr der leichte Anstieg der Zahlen im Bereich der Straftaten gegen Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte sorgfältig zu beobachten und analysieren ist.

Für Hessen sind für den Berichtszeitraum folgende Fälle hervorzuheben:

  • Im Januar beschädigten unbekannte Täter mittels eines nicht identifizierten Geschosses von außen die Fensterscheibe der HEAE in Kassel. Hierdurch sprang die äußere Scheibe der Doppelverglasung. Während der Tatzeit schlief die türkische Familie, niemand wurde verletzt.

  • Im März wurde die Eingangstür einer Flüchtlingsunterkunft in Wettenberg (Landkreis Gießen) mit einem Stein eingeschlagen bzw. eingeworfen. Zwei unbekannte Täter wurden bei ihrer Flucht auf einem Zweirad von Zeugen beobachtet.

  • Im Juni kam es an derselben Unterkunft zu einer weiteren Sachbeschädigung, als unbekannte Täter die Eingangstür mit einem faustgroßen Stein einwarfen und bei ihrer Flucht mit zwei Fahrrädern beobachtet wurden.

Bewertung | Obwohl die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge auch im Berichtszeitraum stark sank, ist davon auszugehen, dass die entsprechende rechtsextremistische Agitation an­halten wird. Die Anti-Asyl-Agitation ist ein klassisches rechts­extremistisches Thema und bietet Rechtsextremisten traditionell ein großes Mobilisierungspotenzial. So besteht bei öffentlichkeitswirksamen Ereignissen – zum Beispiel bei von Flüchtlingen begangenen Straftaten – die Gefahr einer schlagartigen Intensivierung der fremdenfeindlichen Anti-Asyl-Agitation.

Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befür­worten, hiermit den Anstoß zu Gewalttaten geben bzw. selbst schwerwiegende Straftaten gegen Flüchtlinge und/oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Themen „Flüchtlinge“ und „Flüchtlingspolitik“ vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden.

Rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten

Im Berichtszeitraum wiesen 539 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten, die 2016 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich angestiegen war, verharrte damit auf dem Vorjahresniveau. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Gewalttaten mit 25 Delikten (2017: 16) deutlich zunahm, wobei hierfür weder die Tat­umstände noch die Tatzeitpunkte ein Erklärungsmuster liefern. Umso mehr gilt es, diese Entwicklung seitens der Sicherheitsbehörden genau im Blick zu behalten. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

2018 2017 2016 2015 2014
Deliktart
Tötung *
Versuchte Tötung 1
Körperverletzung 24 13 19 17 17
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 3
Landfriedensbruch 1 1
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 1 1 2 3
Gewalttaten insgesamt 25 16 23 20 21
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 26 22 41 57 19
Nötigung/Bedrohung 7 6 29 16 2
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 481 496 706 566 471
Straf- und Gewalttaten insgesamt 539 540 799 659 513

* Das Tötungsdelikt an einem ruandischen Staatsbürger am 23. Oktober 2014 wurde erst nach dem Stichtag der statistischen Erhebung als extremistische Straftat bewertet und ist daher in der polizeilichen PMK-Statistik für das Jahr 2014 nicht erfasst.

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