Salafismus
Der Salafismus setzt sich ideologisch aus einer politischen und einer gewaltorientiert-jihadistischen Bewegung zusammen. Politische Salafisten streben die Errichtung eines vermeintlich wahrhaft islamischen Staats an. Ihre hauptsächliche Aktivität besteht in der Missionierung (arab. da’wa) und dem Aufbau von Strukturen. Jihadisten rücken den bewaffneten (militärischen) Kampf in das Zentrum ihrer Ideologie und Bestrebungen. Der Übergang zwischen beiden Strömungen ist fließend. In Hessen war der Großteil der Salafisten dem Spektrum des politischen Salafismus zuzurechnen. Mit einem Personenpotenzial von etwa 1.650 blieb in Hessen die Zahl der Salafisten im Vergleich zu den Vorjahren konstant und damit weiterhin besorgniserregend hoch.
Die jihadistische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verlor in vormals von ihr kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak weiter an Territorium. Nur noch in wenigen Regionen behielten die Jihadisten des IS die Kontrolle. Der militärische Druck der Anti-IS-Koalition sowie der Syrian Democratic Forces (SDF, Demokratische Kräfte Syriens) drängten den IS zurück und weiter in den Untergrund. Von dort aus führte die jihadistische Terrororganisation vereinzelt Operationen gegen die Anti-IS-Allianz und andere Ziele durch.
In Nord- und Westafrika sowie in Asien etablierten sich Ableger des IS, deren Anhängerzahlen sich von Region zu Region zum Teil erheblich unterschieden. In Europa gelang es Einzeltätern, jihadistisch motivierte Anschläge zu verüben, wobei sie – wenn auch in zahlreichen Fällen nicht eindeutig verifizierbar – entweder im Auftrag des IS oder eigeninitiativ handelten. Die hohe Anschlagsgefahr blieb auch im zurückliegenden Berichtsjahr bestehen. Dies belegte ein Vorfall in Köln (Nordrhein-Westfalen), als die Sicherheitsbehörden die Anschlagsvorbereitungen eines IS-Sympathisanten vereitelten, der den Bau eines biologischen Sprengsatzes mit dem Nervengift Rizin geplant hatte.
Auf einen Blick
- Festnahmen und Verurteilungen
- Resonanz im jihadistischen und politischen Salafismus auf weltweite jihadistische Entwicklungen
- Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten
Ausreisefälle
- Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten
Ausreisefälle
- Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder
- Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS –
Maßnahmen der Sicherheitsbehörden
- Jihadistisch motivierte Anschläge in Europa
Festnahmen und Verurteilungen | Im Februar 2018 wurde ein 17-jähriger irakischer Staatsangehöriger in Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) festgenommen und befand sich seitdem in Untersuchungshaft. Im Februar 2019 begann gegen den Angeklagten die Hauptverhandlung vor dem 5. Strafsenat des OLG Frankfurt am Main wegen des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, des Werbens für den IS und der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Der Angeklagte soll spätestens seit Dezember 2017 einen nicht näher konkretisierten Selbstmordanschlag in Deutschland oder in Großbritannien vorbereitet haben, indem er sich Schwarzpulver in Form von „Chinaböllern“ verschafft und dieses in der elterlichen Wohnung verwahrt haben soll. Dabei soll er fest entschlossen gewesen sein, hieraus einen Sprengsatz herzustellen und zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort zu zünden, um Personen nichtmuslimischen Glaubens zu töten oder zu verletzen. Zur Vorbereitung habe er bereits experimentiert, indem er Schwarzpulver aus einem „Chinaböller“ extrahiert habe.
Im Februar 2018 wurde gegen einen 29-jährigen syrischen Staatsangehörigen Haftbefehl erlassen und im März 2019 vor dem OLG Frankfurt am Main die Hauptverhandlung gegen ihn wegen Mitgliedschaft und Beteiligung in einer ausländischen terroristischen Vereinigung eröffnet. Dem als Kriegsflüchtling im Jahr 2015 in die Bundesrepublik eingereisten Angeklagten warf die Generalstaatsanwaltschaft vor, von 2013 bis 2014 bei der ausländischen terroristischen Vereinigung Harakat Ahrar al-Sham al-Islamya/Ahrar al-Sham (Islamische Bewegung der Freien Männer Großsyriens) als Mitglied mitgewirkt, in diesem Zusammenhang die Gewalt an Kriegswaffen ausgeübt und sich hierbei an Kampfhandlungen gegen die syrische Regierung und den Machthaber Baschar al-Assad beteiligt zu haben.
Im September 2018 wurde ein 17-jähriger Jugendlicher wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat in Florstadt (Wetteraukreis) festgenommen. Am 18. Februar 2019 verurteilte das Jugendschöffengericht Friedberg (Wetteraukreis) den Jugendlichen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. Dem Jugendlichen, der sich im Internet radikalisiert hatte, war vorgeworfen worden, unter Anleitung eines im Ausland lebenden Jihadisten einen Terroranschlag in Deutschland mittels einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) vorbereitet zu haben. In diesem Zusammenhang hatte der Jugendliche versucht, über einen Internet-Großhandel Chemikalien zu beziehen, um eine Sprengvorrichtung herzustellen. Mögliche Ziele des geplanten Sprengstoffanschlags waren eine schiitische Moschee, eine Homosexuellen-Bar in Frankfurt am Main oder eine Institution der Polizei. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
Resonanz im jihadistischen und politischen Salafismus auf weltweite jihadistische Entwicklungen | Wie im Vorjahr verfolgte die Szene in Hessen weiterhin die Entwicklungen der global agierenden jihadistischen Gruppierungen und Organisationen, insbesondere in Syrien und im Irak. An der Frage, ob der IS und das „Kalifat“ an und für sich theologisch zu legitimieren seien, entzündeten sich in der Szene weiterhin Auseinandersetzungen. Bereits bestehende ideologische Konflikte intensivierten sich, neue kamen hinzu. In der Szene überwog die Einsicht, dass der IS mit der territorialen Bildung eines islamischen Staatsgebildes gescheitert ist.
Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Zum Jahresende 2018 lagen zu insgesamt 1.050 deutschen Islamisten und Islamisten aus Deutschland Erkenntnisse vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist waren. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen lagen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der Terrororganisation al-Qaida oder diesen nahestehenden Gruppierungen und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen und/oder teilgenommen hatten oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt hatten.
Nachträglich wurden im Berichtsjahr nur noch vereinzelt jihadistisch motivierte Ausreisen bekannt. Neue Ausreisen und Ausreiseversuche in Richtung Syrien und/oder Irak gab es lediglich in Einzelfällen. Mehr als ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich.
Der überwiegende Teil der insgesamt 1.050 Ausgereisten war jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser Personen kehrte wieder nach Deutschland zurück. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen lagen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach diese sich aktiv und jihadistisch motiviert an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten.
Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Den hessischen Sicherheitsbehörden lagen im Berichtszeitraum Erkenntnisse zu etwa 150 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien oder Irak reisten, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Insgesamt zeichnete sich in Übereinstimmung mit dem Bundestrend eine deutlich verringerte Ausreisedynamik ab. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich. Dem Bundestrend entsprechend war der überwiegende Teil der insgesamt 150 gereisten Personen jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen lagen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien bzw. im Irak aufhielten. Etwa ein Viertel der Gereisten kehrte bis Ende 2018 nach Hessen zurück.
In Bezug auf die Hälfte der Rückkehrer lagen den Behörden keine belastbaren Informationen vor, dass sich diese aktiv an Kampfhandlungen in der Region Syrien/Irak beteiligten. Als Ergebnis der kontinuierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu den Rückkehrern lagen den Sicherheitsbehörden in Hessen zu etwa 20 Personen Informationen vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten. Ferner lagen zu rund 50 Personen Hinweise vor, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit in Syrien oder im Irak ums Leben kamen.
Die hessischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, extremistisch motivierte Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund bewegte sich die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen im Berichtsjahr im mittleren zweistelligen Bereich.
Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder | Zahlreiche Kinder und Jugendliche, die zum Teil in damaligen Herrschaftsgebieten des IS geboren wurden oder dorthin mit ihren Eltern ausgereist waren, gerieten im Zuge des fortschreitenden Gebietsverlusts der Terrororganisation in Gefangenschaft der Anti-IS-Allianz. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche dieser Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit Traumatisierungen erlitten bzw. psychisch belastende Erfahrungen mit Krieg und Gewalt gemacht haben und unverändert durch die Ideologie des IS indoktriniert sind. Da diese Personengruppe bei einer Rückkehr nach Deutschland eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, beschäftigt sich der Verfassungsschutzverbund intensiv mit der Rückkehrer-Problematik von jihadistischen Frauen und deren Kindern, die sich in Gefangenschaft befinden.
Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS – Maßnahmen der Sicherheitsbehörden | Trotz der militärischen Offensiven der Anti-IS-Allianz war es der Terrororganisation möglich, jihadistische Propaganda über die sozialen Medien zu verbreiten und jihadistisch motivierte Anschläge anzuleiten. In den Konfliktgebieten operierte der IS aus dem Untergrund heraus und führte verschiedene Angriffe auf Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung vor Ort durch. Obwohl Qualität und Quantität der IS-Propaganda spürbar abnahmen, drang die Kernbotschaft des IS zu (potenziellen) Anhängern und Sympathisanten durch. Von nicht unerheblicher Bedeutung war dabei die Vervielfältigung der Propaganda durch IS-Sympathisanten, die ohne Verbindung zu der Terrororganisation jihadistische Inhalte individuell verfassten und aus eigenem Antrieb über das Internet verbreiteten. Dabei wurde verstärkt der gewaltsame Jihad gegen diejenigen „Feinde“ des „Kalifats“ propagandiert, die sich an Anti-Terror-Operationen gegen den IS beteiligten oder der Anti-IS-Allianz anschlossen.
Die intensivierten Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden in Deutschland sowie des Militärs in der Konfliktregion erschwerten erheblich offensichtlich bestehende oder geplante Anschlagsbemühungen von IS-Terrorzellen. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der jihadistischen IS-Propaganda und -Anleitung zu entsprechend motivierten Angriffen verlagerte sich der Trend hin zu Einzelakteuren, die Terroraufrufe aufgriffen und – ohne Einbindung in Zellenstrukturen – versuchten, Anschläge vorzubereiten.
Für die Sicherheitsbehörden war es eine große Herausforderung, diese vom IS oft unabhängig agierenden Personen vor der Umsetzung eines Anschlags zu identifizieren. Nur in seltenen Fällen lagen zu den Akteuren bereits über einen längeren Zeitraum auf Tatsachen basierende Erkenntnisse vor, die eindeutig auf die Absicht hinwiesen, dass ein Anschlag unmittelbar bevorstand. Oftmals handelte es sich um IS-Sympathisanten, die nur mittelbar in Kontakt mit der Terrororganisation standen oder erst ab einem gewissen Zeitpunkt ihrer jihadistischen Radikalisierung und bei Konkretisierung ihrer Anschlagspläne den direkten Kontakt zum IS herstellten.
Jihadistisch motivierte Anschläge 2018 in Europa | Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl der Anschläge mit jihadistischem Hintergrund zurück. Die folgende Kurzdarstellung beschränkt sich auf besonders schwerwiegende Taten:
- Carcassonne und Trèbes (Frankreich), 23. März: Mit einer Schusswaffe eröffnete ein 26-Jähriger das Feuer auf die Insassen eines Fahrzeugs in Carcassonne. Hierbei tötete er eine Person und verletzte eine weitere. Kurze Zeit später schoss der Täter auf eine Gruppe von Polizisten, wobei ein Beamter verletzt wurde. Anschließend stürmte der Täter in einen Supermarkt in Trèbes, wo er mehrere Personen als Geiseln nahm und drei weitere, darunter einen Polizisten, erschoss, der sich ihm im Austausch für eine Geisel angeboten hatte. Bei der anschließenden Erstürmung des Supermarkts durch Spezialkräfte wurde der Täter, der sich als Soldat des IS bezeichnete, erschossen. Insgesamt kamen bei dem Anschlag fünf Personen, darunter der Täter, ums Leben. Zwölf weitere wurden verletzt. Später reklamierte der IS die Tat für sich.
- Paris (Frankreich), 12. Mai: Im Zentrum der französischen Hauptstadt stach ein 20-jähriger Attentäter mit einem Messer wahllos auf Passanten ein. Hierbei wurde eine Person getötet, vier weitere Personen wurden verletzt. Polizeikräfte erschossen den Täter, als er diese ebenfalls attackierte. Auch diese Tat reklamierte der IS für sich.
- Liège (Belgien), 29. Mai: Ein 36-jähriger Häftling, der sich auf Freigang befand, erschlug in der belgischen Provinz Luxembourg einen ehemaligen Mithäftling, griff anschließend zwei Polizistinnen in Liège an und erschoss beide mit ihren Dienstwaffen. Dann erschoss der Täter den Insassen eines Fahrzeugs und nahm in einer angrenzenden Schule eine Reinigungskraft als Geisel. Polizeikräfte töteten den Täter, als er diese angriff, wobei mindestens zwei Polizisten verletzt wurden. Der IS bekannte sich zu der Tat. Ob eine Verbindung zwischen dem Täter und der Terrororganisation bestand, konnte allerdings nicht abschließend geklärt werden.
- Amsterdam (Niederlande), 31. August: Mit einem Messer stach ein 19-Jähriger auf zwei amerikanische Touristen am Hauptbahnhof ein und verletzte sie schwer. Beim anschließenden Fluchtversuch wurde der Täter durch Polizeikräfte angeschossen und festgenommen. Als Motiv gab der Täter an, dass der Islam in den Niederlanden angeblich beleidigt würde.
- Strasbourg (Frankreich), 11. Dezember: In der Nähe des Weihnachtsmarkts schoss ein 29-jähriger Täter wahllos auf Passanten und stach mit einem Messer auf weitere Personen ein. Fünf Menschen starben, elf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Bei seiner Flucht wurde der Täter durch Soldaten angeschossen, im Rahmen einer Großfahndung zwei Tage später durch die Polizei aufgespürt und bei der Festnahme erschossen. Später reklamierte der IS den Anschlag des 29-Jährigen für sich.
Im Rahmen des „We-Love-Muhammad“-Projekts verteilten politische Salafisten eine weitere Auflage der Biographie des Propheten und boten darüber hinaus eine Broschüre an. Seit Sommer kamen die Aktionen weitgehend zum Erliegen.
Auf einen Blick
- „We-Love-Muhammad“-Projekt
- Aktivitäten des Moscheevereins Dar al Salem e. V.
„We-Love-Muhammad“-Projekt | Initiatoren des Projekts „We Love Muhammad“ waren der ehemalige Regionalverantwortliche der „LIES!“-Kampagne für das Rhein-Main-Gebiet, Bilal Gümüs, und der salafistische Prediger Pierre Vogel. Das Projekt war zeitgleich im November 2016 in Deutschland und in der Schweiz angelaufen, nachdem seit Sommer 2016 in sozialen Medien für die gleichnamige App geworben worden war. Laut Vogel sollte mit der Aktion „Wissen über den Propheten“ verbreitet werden, wobei vor allem Muslime die Zielgruppe seien.
Im Februar 2018 wurde die dritte Auflage der Biografie des Propheten Mohammed (arab. sira) mit 20.000 Büchern für das Projekt „We Love Muhammad“ ausgeliefert. In der Summe waren dies bislang mehr als 60.000 Exemplare. Das Projekt finanzierte sich durch Spenden, zu denen in sozialen Medien aufgerufen wurde. Im selben Monat wurde jedoch die Bestellmöglichkeit für die Mohammed-Biografien, ein Hörbuch für Kinder und für Visitenkarten in Form eines Gesamtpakets rückgängig gemacht, da – so die Aussage der Initiatoren des Projekts – die Nachfrage zu groß gewesen sei und die Versandkosten die Kosten des Buchs überstiegen hätten.
Seit Mai wurde die Broschüre „Das Gebet erlernen – Der Schlüssel zum Paradies“ kostenlos angeboten. Die Akteure bereiteten die „We-Love-Muhammad“-Aktionen regelmäßig im Internet auf und warben hierfür mit Bildern und Videos, die wiederum von Sympathisanten weiterverbreitet wurden. Die Missionierungsbemühungen zu dem – nach salafistischer Interpretation – „wahren Islam“, die sich an einer strikten Nachahmung des Propheten in rituellen, theologischen, normativen und alltäglichen Fragestellungen orientieren, wurden somit über den eigentlichen Veranstaltungsrahmen hinaus auf einen größeren Adressatenkreis ausgeweitet.
Die mobilen Verteilaktionen des Projekts „We Love Muhammad“ waren organisiert und strukturiert, so kleideten sich die Akteure größtenteils mit einheitlichen „We-Love-Muhammad“-T-Shirts und -Pullovern. Einige Akteure trugen „Bauchläden“, auf denen sich neben den zu verteilenden Waren eine Spendendose befand, oder sie führten bei ihrem Gang durch die Straßen Rückentragegestelle mit daran befestigten „We-Love-Muhammad“-Plakaten mit sich. Unter den Akteuren, deren Anzahl sich im niedrigen bis mittleren einstelligen Bereich bewegte, befanden sich auch ehemalige Angehörige der 2016 verbotenen Koranverteilaktion „LIES!“.
Die „We-Love-Muhammad“-Verteilaktionen fanden regelmäßig in Frankfurt am Main statt, vereinzelt auch in Offenbach am Main. Seit dem Sommer gab es keine Aktionen mehr, sie wurden in Hessen nicht mehr im Internet mit Videos, Bildern und Texten aufbereitet bzw. für sie geworben.
Im Juli nannte das „We-Love-Muhammad“-Team Frankfurt am Main als Ziel des Projekts, die Muslime zurück zum Gebet zu rufen und zum praktizierenden Islam zu bringen. So gebe das Projekt die Möglichkeit, auf den Straßen mit Jugendlichen in Kontakt zu treten, um sie zu ermahnen und zum Gehorsam zu rufen.
Aktivitäten des Moscheevereins Dar al Salem e. V. | Der 2015 in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) gegründete Moscheeverein Dar al Salem e. V. betrieb eine Moschee im Marburger Stadtteil Richtsberg und unterhielt mehrere Auftritte in den sozialen Medien. Dass der Moscheeverein politisch-salafistische Bestrebungen verfolgte, war anhand der Predigten des Imams erkennbar. In ihnen hieß es unter anderem:
„Der Sieg [der gehorsamen Gläubigen] kommt nicht von heute auf morgen. Schlachten werden verloren und gewonnen, aber der Sieg gehört letztendlich den Leuten der Sunna. Aber dies mit Geduld. Wisset, dass der Sieg nicht zu einem Volk kommt, das Allah und dem Propheten ungehorsam ist. Und dass der Schlüssel zum Sieg ist, dass wir an der Sunna festhalten“.
In den Predigten wurde ein dualistisches Weltbild vermittelt, in dem sich sowohl Muslime und Nicht-Muslime als auch Muslime untereinander in Feindschaft gegenüberstehen. Diese Zweiteilung der Welt wurde dogmatisch zugespitzt, indem suggeriert wurde, dass man dem in den Predigten normativ vorgeschriebenen Islamverständnis folgen müsse, um als Muslim gelten zu können.
„Die islamische Umma durchlebt gerade eine stürmische Zeit, in einer Ära, die als Ära der Fremde bekannt ist, in einem Zeitalter, wo man die Intensivierung der Qual kennt. Das Blut der Muslime fließt im Osten und im Westen der Erde. Es gibt innerhalb der islamischen Familie eine große Uneinigkeit und eine enorme Zerstrittenheit, die von den Feinden der Religion, im Namen der sogenannten Freiheit gesät wurden. Aufruhr, die große Wellen erzeugt, währenddessen segelt die islamische Umma in einem Schiff auf einem dunklen Meer, in dem ein Sturm des Aufruhrs wütet. Und die Leute des Schiffes streiten sich, schlagen sich, bringen sich gegenseitig um. Die meisten von ihnen sagen, für unsere Rettung müssen wir Richtung Westen steuern. Nur sehr wenige von ihnen sagen, für unsere Rettung müssen wir zu dem Weg des Prophetentums zurückkehren“.
Vielfach wurde in den Predigten betont, dass man ausschließlich der Tradition des Propheten Mohammed (arab. sunna) und den frommen Altvorderen folgen solle, da dies den „wahren“ Islam ausmache. Dabei würden deren Handeln und Taten nicht nur als historisches Vorbild dienen, sondern diese müssten auch als Handlungsanweisung für die gegenwärtige Situation interpretiert werden. Neuerungen seien im Islam generell verboten und würden ins Höllenfeuer führen.
Salafismus als Bezeichnung für die Anhänger einer islamistischen Strömung ist erst seit Anfang der 2000er Jahre verstärkt in das Interesse der Forschung und Sicherheitsbehörden gerückt. Die Wortbedeutung leitet sich aus dem arabischen Begriff salaf (dt. Altvorderer) ab und prägt den Terminus bis heute. Salafisten glorifizieren die islamische Ära (etwa 610 bis 850) der Altvorderen, die das Leben des Propheten Mohammed und seiner Anhängerschaft in drei Generationen fasst, als Zeitalter des unverfälschten Islam („Goldene Epoche“). In rigider Form stellen sie Allah als Ursprung und Zentrum aller rechtlichen wie moralischen Fragen in den Mittelpunkt ihres Glaubens. Die genaue Wortherkunft des Begriffs Salafismus in der Bedeutung einer religiösen wie sozialen Bewegung lässt sich nicht eindeutig zurückverfolgen. Ideengeschichtlich hat der Begriff seit dem 14. Jahrhundert verschiedene Entwicklungen durchlaufen. Aktuell fasst das Phänomen Salafismus das Personenpotenzial einer im Islamismus aktiven Strömung zusammen, die sich durch zum Teil erhebliche Differenzen im Auslegen und Ausleben ihres Islamverständnisses kennzeichnet.
Auf einen Blick
- Vorbildfunktion der islamischen Frühgeschichte
- Homogene Überzeugung – heterogene Zusammensetzung
- Salafismus in Deutschland
Vorbildfunktion der islamischen Frühgeschichte | Salafisten gehören konfessionell dem sunnitischen Islam an und richten ihre Glaubenslehre nahezu wortwörtlich am Koran und den überlieferten Bräuchen und Traditionen (arab. sunna) des Propheten Mohammed aus. Salafisten entwickeln in Anlehnung an die islamrechtliche Methodologie der Religionspraxis eine eigene Methode (arab. manhaj), die sie aus ihrer Glaubenslehre ableiten und im Einklang mit ihr praktizieren. Im Gegensatz zu der übrigen islamischen Glaubenstradition sind Salafisten davon überzeugt, dass ausschließlich in der Epoche der frommen Altvorderen (arab. as-salaf as-salih) im 7. Jahrhundert die reine und unverfälschte Form des Islam praktiziert worden sei. Die drei ersten Generationen um den Propheten Mohammed nehmen im sunnitischen Islam wegen ihrer Nähe zu ihm und seiner Lebensweise generell eine hohe Bedeutung ein. Im Salafismus wird dieses Zeitalter theologisch überhöht und ideologisch als vorbildliches Lebensmodell propagiert.
Da es sich bei den frommen Altvorderen nicht um eine Bewegung oder ein klar definiertes Konzept handelte, gestaltete sich dieser Rückgriff auf sie – je nach historischen, politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Umständen – sehr unterschiedlich und führte in der Moderne zu stark divergierenden Interpretationen und verschiedenen – teils widersprüchlichen – Strömungen innerhalb des Salafismus.
Homogene Überzeugung – heterogene Zusammensetzung | Obwohl das salafistische Islamverständnis grundsätzlich eine klare Doktrin entwickelte, bildeten sich im Verlauf der Zeit unterschiedliche Auslegungen und Praktiken heraus. Gerade die in bewusster Ablehnung der vier anerkannten sunnitischen Rechtsschulen (arab. im Singular madhab) angewandte individuelle Interpretation (arab. ijtihad) der islamischen Primärquellen führte wiederholt zu einer ideologischen Fragmentierung salafistischer Sichtweisen. Dies hemmte gleichzeitig die Verschmelzung zu einer homogenen – in ihrer Theologie vereinten – globalen religiösen Bewegung. Sowohl die Anhänger des Salafismus als auch des Wahhabismus berufen sich abseits der islamischen Hauptquellen im Wesentlichen auf bestimmte Werke der historischen Islamgelehrten Ahmad Ibn Hanbal (780 bis 855), Taqi al-Din Ahmad Ibn Taimiya (1263 bis 1328) und Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703 bis 1792). Die Schriften dieser Gelehrten und ihrer Zirkel ziehen Salafisten bis heute als Legitimationshilfe für ihr Islamverständnis heran. Dabei ignorieren sie die kultische und kulturelle Mehrdimensionalität des Islam. Die bewusste Abgrenzung von islamrechtlich etablierten Meinungen sowie die theologische Maxime der individuellen Auslegung ließen zudem salafistische Lehrzirkel entstehen, die oftmals nur aus wenigen Schülern und einem Mentor bestehen.
Salafismus in Deutschland | In Deutschland wurden salafistische Prediger etwa seit 2002 aktiv und begannen, überregionale Missionierungsnetzwerke aufzubauen. Einige Prediger dieser ersten Generation erhielten ihre religiöse Ausbildung an Universitäten in Saudi-Arabien, was sich in ihrer Interpretation der islamischen Glaubenslehre nach wahhabitischer Lesart widerspiegelt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Loyalität gegenüber dem saudischen Königshaus teilen, die traditionelle wahhabitische Gelehrte auszeichnet. Da es auch innerhalb des Wahhabismus heterogene Lehrmeinungen gibt, berufen sich salafistische Akteure in Deutschland auf unterschiedliche Gelehrte und vertreten daher unterschiedliche Positionen, etwa in Bezug auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Anders als die Prediger der ersten Generation hat die wachsende Anzahl der gegenwärtigen Unterstützer und Sympathisanten des Salafismus oftmals keine religiöse Ausbildung an Universitäten erhalten, sondern schöpft ihr „Wissen“ aus Islamseminaren in Deutschland, Internetpredigten und privaten Lerngruppen.
Der Salafismus stellt innerhalb des Islamismus eine Strömung dar, die sich insbesondere durch ihre doktrinäre Auffassung des Islam hervorhebt. Die regional verhaftete, streng konservative sunnitische Islamauslegung des Wahhabismus beeinflusste die zeitgenössische salafistische Doktrin nachhaltig. Die salafistische Glaubenslehre (arab. ‘aqida) absorbierte einzelne wahhabitische Glaubensgrundsätze und ergänzte diese um eigene theologische Elemente.
Auf einen Blick
- Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islam
- Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin
- Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre
- Politischer Salafismus
- Jihadistischer Salafismus
Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islam | Kulturelle Einflüsse, die den Islam seit seiner Verbreitung im 8. Jahrhundert fortwährend geprägt haben, werden in der salafistischen Islamauslegung als schädigende und gleichermaßen als unerlaubte Neuerungen (arab. bid’a) stigmatisiert, da sie nicht der normativen wie islamrechtlich verbindlichen Vorbildfunktion der Prophetentradition entsprächen. Im Salafismus ist der Handlungsspielraum menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten genau auf die „Goldene Epoche“ begrenzt. Er begreift sich gleichzeitig als ewige Bastion gegen verschiedene theologische und kulturelle Entwicklungen im Islam. Das Zeitalter der Prophetentradition bildet für Salafisten somit den theologisch verbindlichen Bezugspunkt zum uneingeschränkten Monotheismus (arab. tauhid), den es unter allen Umständen vor Unglauben (arab. kufr) und Polytheismus (arab. shirk) zu schützen gelte. Dieses Zeitalter ist gleichzeitig auch der moralische und rechtliche Maßstab für das menschliche Dasein und Handeln in der Gegenwart zur Erfüllung des göttlichen Willens. Selbst in traditionellen islamischen Verehrungsriten sehen Salafisten die Universalität und Einmaligkeit Gottes angegriffen. Auch weltliche Institutionen wie Gerichtsbarkeiten, die nicht vollständig der salafistischen Auslegung der islamischen Rechts- und Verhaltensnormen (arab. shari’a) unterworfen sind, werden als Götzendienst (arab. taghut) abgelehnt.
Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin | Im Mittelpunkt der salafistischen Glaubenslehre steht das unerschütterliche Bekenntnis zu einem Gott. Nahezu identisch mit wahhabitischen Auslegungen fassen Salafisten die in den islamischen Glaubensquellen benannten Attribute Allahs wortwörtlich und nicht metaphorisch auf. Der salafistischen Glaubenslehre zufolge kategorisiert sich die Unterwerfung unter Allah in drei Bereiche der Huldigung. Zu ihnen zählt die universale Herrschaft Allahs, die göttliche Einzigartigkeit sowie die Einmaligkeit der Namen und Attribute Allahs. Den Wesenskern der salafistischen Doktrin bildet dieses tauhid-Verständnis, das es unter allen Umständen vor inneren wie äußeren Verzerrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schützen gelte.
Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre | Das salafistische Selbstverständnis zeichnet das Bild eines frommen Muslims, der sein Leben in Bescheidenheit und Zurückgezogenheit der ewigen Suche nach der Wahrheit im Islam widmet. Salafisten verstehen sich als Bestandteil der sogenannten erretteten bzw. auserwählten Gruppe (arab. at-ta’ifa al-mansura und al-firqa an-najiya). Einzig die Anhänger des wahren Islam sollen laut einer Überlieferung (arab. hadith) der islamischen Heilslehre am Tag des Jüngsten Gerichts vor Allah bestehen. Aus der Überzeugung, einer elitären Gruppe wahrer Muslime anzugehören, resultiert das moralische Überlegenheitsgefühl der Salafisten gegenüber Andersdenkenden. Aus diesem Grund fühlen sich Salafisten dazu berufen, das soziale Umfeld gemäß ihrer Überzeugung zu erziehen und nachhaltig zu verändern.
Besonders deutlich wird der soziale Verhaltenskodex im Salafismus anhand der Forderung der Einhaltung islamischer Prinzipien, die gemäß der salafistischen Doktrin einen Leitmotivcharakter aufweisen. Salafisten streben danach, den Islam von vorgeblich schädigendem Einfluss zu bereinigen. Dementsprechend versuchen sie sowohl die theologische Lehre im Islam als auch die Gesellschaft als Ganzes gemäß ihrer Doktrin zu gestalten. Indem anderen Muslimen das Rechte geboten und das Schlechte verboten (arab. al-amr bi-l-ma’ruf wa-n-nahy‘ani-l-munkar) wird, können Salafisten neben der theologischen Lehre somit auch erheblichen sozialen Einfluss ausüben. Salafisten folgen dem Prinzip der Loyalität und Lossagung (arab. al-wala‘ wa-l-bara‘), um sich durch das klare Bekenntnis zu ihrer Glaubensauslegung demonstrativ von allen anderen Glaubensformen oder vermeintlich Ungläubigen zu distanzieren. In der Nähe zu anderen Glaubensgemeinschaften sehen Salafisten die Gefahr, den eigenen Glauben im engeren Sinne zu verzerren und den Islam im weiteren Sinne zu verderben.
Das Abgrenzungsprinzip al-wala‘ wa-l-bara‘ bietet somit den Platzhalter für viele Formen der Fremdenfeindlichkeit und mündet oftmals in der islamtheologisch umstrittenen Praxis, einen Muslim für ungläubig zu erklären (arab. takfir), wenn Salafisten andere Muslime aufgrund angeblich frevelhafter Religionsausübung oder anderer Verfehlungen als Nichtmuslime brandmarken. Darüber hinaus vertieft das Prinzip der offensiven Lossagung den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, wobei Salafisten letztere den Makel angeblich unwürdiger Muslime zusprechen.
Aus dem bedingungslosen Befolgen der salafistischen Doktrin können somit verfassungsfeindliche Bestrebungen gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung resultieren. Der Bestrebungscharakter im Salafismus ist prinzipiell totalitär, da das Diesseits nach seinen normativen Maßstäben zur Ehrung und Wahrung des Islam zu formen ist. Diese salafistische Doktrin enthält die idealisierte Vorstellung einer Umwelt, die den Anforderungen des „wahren Islam“ vollumfänglich gerecht werden will: gesamtgesellschaftlich, global und konsequent gelebt bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Jedoch lässt sich innerhalb des Salafismus keine synchronisierte, homogene Bestrebung zu diesem Ziel hin feststellen. Idealvorstellung und reale Verhältnisse unterliegen Wechselwirkungen, die sich stets auf das salafistische Islamverständnis in Abhängigkeit von Zeit und Ort ausgewirkt haben. Somit ist die salafistische Doktrin in unzählige „Etappenziele“ unterteilt, die ihrerseits dem Wandel veränderter religiöser Prioritäten im Bezug zur Gegenwart unterliegen.
Dies setzt entsprechende Bestrebungen im Sinne eines sozial-reformistischen bis hin zu revolutionären Umbruchs voraus, die jedoch aufgrund der verschiedenen weltweiten Erscheinungsformen des Salafismus nicht pauschal bei jedem Anhänger in gleicher Weise ausgeprägt sind. Ungeachtet dessen würde die Implementierung einer salafistischen Gesellschaftsordnung in Deutschland am ehesten mit einem Gottesstaat vergleichbar sein und gleichzeitig die Abschaffung bzw. Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bedeuten.
Politischer Salafismus | Der politische Salafismus ist in der Regel von gewaltlosen Aktivitäten gekennzeichnet. Das salafistische Islamverständnis verlangt, die Reinheit des Islam zu bewahren und seine Authentizität wiederherzustellen, wo es notwendig erscheint. Salafisten sehen sich dazu berufen, das im Laufe der Jahrhunderte angereicherte islamische (Gelehrten-)Wissen zu bereinigen (arab. tasfiya), um daraus auch verhaltensbasierte Konsequenzen abzuleiten. Dies kann sich in einem Aktivismus abbilden, wenn sich die Verbreitung der bereinigten Botschaften in Erziehung und Kultivierung (arab. tarbiya) gegenüber anderen Personen äußert.
Daher nutzen politische Salafisten überwiegend gewaltlose Formen der religiösen Erziehung und der im Hintergrund – ohne politisches Aufsehen erregenden – tätigen Beratung (arab. nasiha). Auf diese Weise wollen sie ihr Umfeld auf den angeblich wahren Weg Allahs zurückführen und zum Übertritt zum Islam nach ihrem Verständnis bekehren (arab. da’wa). Grundsätzlich meiden Salafisten das politische Engagement, um die Reinheit der Doktrin des tauhid zu erhalten und vor angeblich islamfremden Einflüssen zu schützen. Salafisten sind daher weder parteipolitisch noch in vergleichbarer Form im öffentlichen Diskurs für gesamtgesellschaftliche Gestaltungsprozesse aktiv. Dennoch kann die salafistische Doktrin auf gesamtgesellschaftliche Bereiche einwirken und entwickelt somit politischen Einfluss. Der Einsatz von Gewaltmitteln ist bei politischen Salafisten nicht kategorisch auszuschließen, stellt jedoch im Kontrast zu den Anhängern des globalen Jihadismus nicht per se ihr islamrechtlich bevorzugtes Mittel zur Veränderung der Verhältnisse dar.
Jihadistischer Salafismus | Jihadistische Salafisten teilen zentrale Glaubensprinzipien des politischen Salafismus, bilden daraus jedoch Legitimationen für eigene Handlungsmuster. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ergibt sich aus dem Verhältnis zur Gewalt. Der Anstrengung für Allah (arab. jihad) messen Jihadisten eine gewaltorientierte, aktiv-kämpferische Komponente bei, die zur individuellen Glaubenspflicht erhoben wird und dadurch in ihrer Perspektive die Durchsetzung revolutionärer und umstürzlerischer Zwecke rechtfertigt. Entgegen der politisch-salafistischen Agenda sehen Jihadisten primär in der Gewaltanwendung die Möglichkeit, „Tyrannen“ und „Ungläubige“ zu bekämpfen. Verhaftet in den islamischen Überlieferungen vom Tag des Jüngsten Gerichts streben Jihadisten nach der Auslöschung aller unislamischen, ungläubigen Elemente, die sie in Regierungen, anderen Religionen und auch islamischen Glaubensgemeinschaften verkörpert sehen. Der gewaltsame sogenannte kleine jihad nimmt in den ideologischen Auffassungen der verschiedenen Gruppen, die insgesamt den globalen Jihadismus bilden, unterschiedliche Formen an und wird entsprechend vielfältig legitimiert und angewendet. Somit zielen jihadistische Salafisten im Gegensatz zum politischen Salafismus auf die gewaltsame Beseitigung bzw. Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder nehmen bewusst deren Schädigung in Kauf.
Politischer Salafismus | In der Öffentlichkeit gingen die Aktivitäten im Bereich des politischen Salafismus seit 2015 zurück, so fand das Werben für das Projekt „We Love Muhammad“ bis zum Sommer 2018 vornehmlich im virtuellen Raum statt. Die Betreiber des Projekts vermochten nur wenige Akteure zu akquirieren und es gelang ihnen nicht, die Strukturen in Hessen über das Rhein-Main-Gebiet hinaus dauerhaft ausbauen.
Eine ähnliche Entwicklung ließ sich in Bezug auf salafistische Predigten in der Öffentlichkeit und damit verbundene hoch frequentierte Zusammenkünfte der entsprechenden Sympathisanten und Anhänger feststellen. Zunehmend verlagerten salafistische Gelehrte und Prediger ihre Aktivitäten in die sozialen Medien und geschützte private Bereiche. Dies dürfte auch in der Zukunft der Fall sein, da die salafistische Klientel die Vorteile und Möglichkeiten moderner technischer Mittel bei der Kommunikation schon lange erkannt hat und entsprechend nutzt. Mögen öffentliche Einladungen zu salafistischen Veranstaltungen ein breites, auch überregionales Personenspektrum erreichen, so überwiegen nach der Auffassung salafistischer Akteure die „Vorteile“ eines privaten, abgeschotteten Rückzugsorts. Sie sind der Meinung, sich hier der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden effektiv entziehen und weitgehend unbehelligt agieren zu können.
Jihadistischer Salafismus | Die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags war in Deutschland unvermindert hoch. Solange es dem IS und anderen jihadistischen Gruppierungen weiterhin gelingt, ihre Botschaften und Ideologien insbesondere über die sozialen Medien weltweit zu verbreiten, ist nicht mit einer abnehmenden Anschlagsgefahr zu rechnen.
Da jihadistische Gruppierungen weiterhin danach streben, eine islamische Gesellschaft – häufig als „Emirat“ oder „Kalifat“ bezeichnet – zu etablieren, haben für sie Syrien und weite Teile der Levante (Länder am östlichen Mittelmeer) eine unvermindert große ideologische Bedeutung. Nach jihadistischer Lesart erfüllen sich hier die apokalyptischen Verheißungen und Voraussagen, das heißt die Voraussagen in Bezug auf den Tag des Jüngsten Gerichts. Die wenigen jihadistisch motivierten Ausreisen, welche die Sicherheitsbehörden im Berichtsjahr registrierten, bestätigen dies. Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Akteure des weltweiten Jihadismus müssen somit auch in Zukunft sehr genau beobachtet und analysiert werden, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen, selbst wenn der IS im Berichtsjahr nahezu alle seine Territorien verlor und die SDF die Terroristen aus ihrer letzten Bastion in Syrien im März 2019 vertrieben hat.
Der weltweite Jihadismus besticht in den Augen seiner Anhänger in erster Linie durch seine klare Ideologie, die einerseits die freie Religionsausübung des Islam garantiert und andererseits sowohl moralische als auch politische Feinde zum Schutz des Islam gnadenlos bekämpft. Das Gros der Gefolgschaft bildet sich letztlich aus ideologisierten Anhängern; die Idee einer gemäß salafistischen Prinzipien konzipierten Welt bietet aber auch Nischen für Menschen, die glauben, in diesen Strukturen besser zurechtkommen zu können, als andernorts, wo sie sich unterdrückt fühlen. Es sind daher nicht nur Organisationen oder Gruppen, die den Jihadismus entstehen lassen, sondern vor allem dessen propagandistische ideologische Überzeugungskraft formiert diese Gruppen und wird weiterhin eine breite Anhängerschaft anziehen.
Das Zerschlagen von jihadistischen Terrorzellen und -netzwerken hemmt kurz- bis mittelfristig den Aufbau jihadistischer Strukturen, kann jedoch nicht die dahinterstehende Ideologie zerstören. Eine maßgebliche Aufgabe des LfV ist es, Anschlagsgefahren und Akteure (auch Einzeltäter) rechtzeitig zu erkennen und in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden zu beseitigen, indem mögliche Tatbeteiligte der Strafverfolgung zugeführt werden. Darüber hinaus ist es das Ziel des LfV, mittels seiner Präventionsarbeit der Verbreitung des salafistischen/jihadistischen Gedankenguts entgegenzuwirken.