Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2018

Islamismus

Merkmale

Der Islam als Religion wird vom Verfassungsschutz nicht beob­achtet. Muslime genießen – wie Anhänger aller anderen Religionen auch – in Deutschland das Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Der Grundrechtsschutz endet jedoch dort, wo religiöse islamische Gebote und Normen als übergesetzliche Normierungs- und verbindliche politische Handlungsanweisungen gedeutet werden, der Islamismus also beginnt.

Auf einen Blick

  • Begriff des Islamismus
  • Ziel des Islamismus
  • Unvereinbarkeit mit den Menschenrechten
  • Antisemitismus
  • Ausprägungen des Islamismus

Begriff des Islamismus | Der Begriff Islamismus beschreibt alle Erscheinungsformen des islamischen Extremismus, das heißt politisch-totalitäre Ideologien, die den Islam als ein alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens umfassendes System begreifen. Islamisten lehnen die Trennung von Staat und Religion ab und wollen das gesamte politische und gesellschaftliche Leben religiös begründeten Geboten und Normen unterwerfen. Eine Demokratie ist nach Überzeugung von Islamisten nicht mit dem Willen Allahs vereinbar.

Ziel des Islamismus | Das Ziel islamistischer Bestrebungen ist ein Staatswesen, das nach den Bestimmungen der Scharia regiert wird. Diese aus dem Koran und der Sunna abgeleiteten Vorschriften sind nach Ansicht der Islamisten der unveränderliche Wille Allahs und dürfen daher von keiner Regierung geändert werden. Damit wenden sich Islamisten gegen das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Volkssouveränität: Nicht das Volk, sondern allein Allah darf ihrer Auffassung nach in letzter Instanz Gesetze erlassen und aufheben. Darüber hinaus richten sich Islamisten gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, da sie Konflikte zwischen Religionen schüren bzw. andere Religionen abwerten.

Unvereinbarkeit mit den Menschenrechten | Im Gegensatz zum Grundgesetz, das die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen in den Mittelpunkt stellt, bemessen islamistische Ideologien den Wert eines Menschen nur nach seinem Glauben. Die von Islamisten geforderte wortgetreue Befolgung der Scharia führt zu einer Benachteiligung von Frauen und Andersgläubigen sowie zu einer wesentlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit und zur Außerkraftsetzung weiterer grundlegender Menschenrechte.

Indem Islamisten die große Bedeutung einer islamischen Identität betonen, setzen sie in aller Regel „Ungläubige“ herab. Diese Herabsetzung äußert sich oft in der Abgrenzung gegenüber der von Islamisten als „moralisch verkommen“ empfundenen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland.

Antisemitismus | Besonders ausgeprägt ist die islamistische Ablehnung des Judentums. Dabei werden entsprechende religiöse Inhalte – etwa Koranverse oder Aussagen des Propheten Mohammed – mit Versatzstücken europäischer rechtsextremistischer Ideologien verknüpft, um angeblich negative Charaktereigenschaften oder Absichten von Juden zu belegen. Islamisten sehen die USA und Israel als Instrumente einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung an, die sich zum Ziel gesetzt habe, den Islam zu zerstören.

Ausprägungen des Islamismus | Die Erscheinungsformen des Islamismus unterscheiden sich in ihrer ideologischen Ausrichtung und bei der Wahl der Mittel, mit denen Gesellschaft und Staat verändert werden sollen. Einige islamistische Organisationen − wie zum Beispiel die Muslimbruderschaft − versuchen, gezielt auf den demo­kra­tischen Willensbildungsprozess, die Politik, die öffentliche Meinungsbildung und die Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Auf diese Weise wollen sie ihr langfristiges Ziel, einen islamistischen Gottesstaat zu errichten, verwirklichen.

Salafistische Gruppierungen dagegen lehnen die Beteiligung am demokratischen Willensbildungsprozess in der Bundesrepublik Deutschland ab. Grundsätzlich wird aus der Sicht der Verfassungsschutzbehörden zwischen politischem und jihadistischem Salafismus differenziert. In ihrem ideologischen Kern unterscheiden sich beide Arten jedoch nur unwesentlich. Lediglich die Wahl der Mittel, in der sich extremistische Bestrebungen manifestieren, führt zur Unterteilung.

Islamistisches Personenpotenzial

Das Personenpotenzial in Hessen blieb gegenüber dem vorherigen Berichtsjahr unverändert. Zu mehreren der bundesweit aktiven islamistischen Organisationen bzw. Gruppierungen lagen keine ge­sicherten Anhängerzahlen vor, sodass ein bundesweites islamistisches Personenpotenzial nicht ausgewiesen werden kann.

2018 2017 2016 2015 2014
Islamisten gesamt
Hessen 4.170 4.170 4.170 4.150 4.000
davon Salafisten
Hessen 1.650 1.650 1.650 1.650 1.500
Bund 11.300 10.800 9.700 8.350 7.000

Salafismus

Definition/Kerndaten

Der Salafismus setzt sich ideologisch aus einer politischen und einer gewaltorientiert-jihadistischen Bewegung zusammen. Politische Salafisten streben die Errichtung eines vermeintlich wahrhaft islamischen Staats an. Ihre hauptsächliche Aktivität besteht in der Missionierung (arab. da’wa) und dem Aufbau von Strukturen. Jihadisten rücken den bewaffneten (militärischen) Kampf in das Zentrum ihrer Ideologie und Bestrebungen. Der Übergang zwischen beiden Strömungen ist fließend. In Hessen war der Großteil der Salafisten dem Spektrum des politischen Salafismus zuzurechnen. Mit einem Personenpotenzial von etwa 1.650 blieb in Hessen die Zahl der Salafisten im Vergleich zu den Vorjahren konstant und damit weiterhin besorgniserregend hoch.

Ereignisse/Entwicklungen im jihadistischen Salafismus

Die jihadistische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verlor in vormals von ihr kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak weiter an Territorium. Nur noch in wenigen Regionen behielten die Jihadisten des IS die Kontrolle. Der militärische Druck der Anti-IS-Koalition sowie der Syrian Democratic Forces (SDF, Demokratische Kräfte Syriens) drängten den IS zurück und weiter in den Untergrund. Von dort aus führte die jihadistische Terrororganisation vereinzelt Operationen gegen die Anti-IS-Allianz und andere Ziele durch.

In Nord- und Westafrika sowie in Asien etablierten sich Ableger des IS, deren Anhängerzahlen sich von Region zu Region zum Teil erheblich unterschieden. In Europa gelang es Einzeltätern, jihadistisch motivierte Anschläge zu verüben, wobei sie – wenn auch in zahlreichen Fällen nicht eindeutig verifizierbar – entweder im Auftrag des IS oder eigeninitiativ handelten. Die hohe Anschlagsgefahr blieb auch im zurückliegenden Berichtsjahr bestehen. Dies belegte ein Vorfall in Köln (Nordrhein-Westfalen), als die Sicherheitsbehörden die Anschlagsvorbereitungen eines IS-Sympathisanten vereitelten, der den Bau eines biologischen Sprengsatzes mit dem Nervengift Rizin geplant hatte.

Auf einen Blick

  • Festnahmen und Verurteilungen
  • Resonanz im jihadistischen und politischen Salafismus auf weltweite jihadistische Entwicklungen
  • Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten
    Ausreisefälle
  • Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten
    Ausreisefälle
  • Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder
  • Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS
    Maßnahmen der Sicherheitsbehörden
  • Jihadistisch motivierte Anschläge in Europa

Festnahmen und Verurteilungen | Im Februar 2018 wurde ein 17-jähriger irakischer Staatsangehöriger in Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) festgenommen und befand sich seitdem in Untersuchungshaft. Im Februar 2019 begann gegen den Angeklagten die Hauptverhandlung vor dem 5. Strafsenat des OLG Frankfurt am Main wegen des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, des Werbens für den IS und der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Der Angeklagte soll spätestens seit Dezember 2017 einen nicht näher konkretisierten Selbstmordanschlag in Deutschland oder in Großbritannien vorbereitet haben, indem er sich Schwarzpulver in Form von „China­böllern“ verschafft und dieses in der elterlichen Wohnung verwahrt haben soll. Dabei soll er fest entschlossen gewesen sein, hieraus einen Sprengsatz herzustellen und zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort zu zünden, um Personen nichtmuslimischen Glaubens zu töten oder zu verletzen. Zur Vorbereitung habe er bereits experimentiert, indem er Schwarzpulver aus einem „Chinaböller“ extrahiert habe.

Im Februar 2018 wurde gegen einen 29-jährigen syrischen Staatsangehörigen Haftbefehl erlassen und im März 2019 vor dem OLG Frankfurt am Main die Hauptverhandlung gegen ihn wegen Mitgliedschaft und Beteiligung in einer ausländischen terroristischen Vereinigung eröffnet. Dem als Kriegsflüchtling im Jahr 2015 in die Bundes­republik eingereisten Angeklagten warf die Generalstaatsanwaltschaft vor, von 2013 bis 2014 bei der ausländischen terroristischen Vereinigung Harakat Ahrar al-Sham al-Islamya/Ahrar al-Sham (Islamische Bewegung der Freien Männer Großsyriens) als Mitglied mitgewirkt, in diesem Zusammenhang die Gewalt an Kriegswaffen ausgeübt und sich hierbei an Kampfhandlungen gegen die syrische Regierung und den Machthaber Baschar al-Assad beteiligt zu haben.

Im September 2018 wurde ein 17-jähriger Jugendlicher wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat in Florstadt (Wetteraukreis) festgenommen. Am 18. Februar 2019 verurteilte das Jugendschöffengericht Friedberg (Wetteraukreis) den Jugendlichen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. Dem Jugendlichen, der sich im Internet radikalisiert hatte, war vorgeworfen worden, unter Anleitung eines im Ausland lebenden Jihadisten einen Terroranschlag in Deutschland mittels einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) vorbereitet zu haben. In diesem Zusammenhang hatte der Jugendliche versucht, über einen Internet-Großhandel Chemikalien zu beziehen, um eine Sprengvorrichtung herzustellen. Mögliche Ziele des geplanten Sprengstoffanschlags waren eine schiitische Moschee, eine Homosexuellen-Bar in Frankfurt am Main oder eine Institution der Polizei. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.

Resonanz im jihadistischen und politischen Salafismus auf weltweite jihadistische Entwicklungen | Wie im Vorjahr verfolgte die Szene in Hessen weiterhin die Entwicklungen der global agierenden jihadistischen Gruppierungen und Organisationen, insbesondere in Syrien und im Irak. An der Frage, ob der IS und das „Kalifat“ an und für sich theologisch zu legitimieren seien, entzündeten sich in der Szene weiterhin Auseinandersetzungen. Bereits bestehende ideologische Konflikte intensivierten sich, neue kamen hinzu. In der Szene überwog die Einsicht, dass der IS mit der territorialen Bildung eines islamischen Staatsgebildes gescheitert ist.

Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Zum Jahresende 2018 lagen zu insgesamt 1.050 deutschen Islamisten und Islamisten aus Deutschland Erkenntnisse vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist waren. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen lagen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der Terrororganisation al-Qaida oder diesen nahestehenden Gruppierungen und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen und/oder teilgenommen hatten oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt hatten.

Nachträglich wurden im Berichtsjahr nur noch vereinzelt jihadistisch motivierte Ausreisen bekannt. Neue Ausreisen und Ausreiseversuche in Richtung Syrien und/oder Irak gab es lediglich in Einzelfällen. Mehr als ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich.

Der überwiegende Teil der insgesamt 1.050 Ausgereisten war jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser Personen kehrte wieder nach Deutschland zurück. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen lagen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach diese sich aktiv und jihadistisch motiviert an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten.

Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Den hessischen Sicherheitsbehörden lagen im Berichtszeitraum Erkenntnisse zu etwa 150 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien oder Irak reisten, um dort auf Seiten des IS und anderer terro­ristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Insgesamt zeichnete sich in Übereinstimmung mit dem Bundestrend eine deutlich verringerte Ausreisedynamik ab. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen war weiblich. Dem Bundestrend entsprechend war der überwiegende Teil der insgesamt 150 gereisten Personen jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen lagen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien bzw. im Irak aufhielten. Etwa ein Viertel der Gereisten kehrte bis Ende 2018 nach Hessen zurück.

In Bezug auf die Hälfte der Rückkehrer lagen den Behörden keine belastbaren Informationen vor, dass sich diese aktiv an Kampfhandlungen in der Region Syrien/Irak beteiligten. Als Ergebnis der kontinuierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu den Rückkehrern lagen den Sicherheitsbehörden in Hessen zu etwa 20 Personen Informationen vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten. Ferner lagen zu rund 50 Personen Hinweise vor, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit in Syrien oder im Irak ums Leben kamen.

Die hessischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, extremistisch motivierte Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund bewegte sich die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen im Berichtsjahr im mittleren zweistelligen Bereich.

Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder | Zahlreiche Kinder und Jugendliche, die zum Teil in damaligen Herrschaftsgebieten des IS geboren wurden oder dorthin mit ihren Eltern ausgereist waren, gerieten im Zuge des fortschreitenden Gebietsverlusts der Terrororganisation in Gefangenschaft der Anti-IS-Allianz. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche dieser Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit Traumatisierungen erlitten bzw. psychisch belastende Erfahrungen mit Krieg und Gewalt gemacht haben und unverändert durch die Ideologie des IS indoktriniert sind. Da diese Personengruppe bei einer Rückkehr nach Deutschland eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, beschäftigt sich der Verfassungsschutzverbund intensiv mit der Rückkehrer-Problematik von jihadistischen Frauen und deren Kindern, die sich in Gefangenschaft befinden.

Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS – Maßnahmen der Sicherheitsbehörden | Trotz der militärischen Offensiven der Anti-IS-Allianz war es der Terrororganisation möglich, jihadistische Propaganda über die sozialen Medien zu verbreiten und jihadistisch motivierte Anschläge anzuleiten. In den Konfliktgebieten operierte der IS aus dem Untergrund heraus und führte verschiedene Angriffe auf Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung vor Ort durch. Obwohl Qualität und Quantität der IS-Propaganda spürbar abnahmen, drang die Kernbotschaft des IS zu (potenziellen) Anhängern und Sympa­thisanten durch. Von nicht unerheblicher Bedeutung war dabei die Vervielfältigung der Propaganda durch IS-Sympathisanten, die ohne Verbindung zu der Terrororganisation jihadistische Inhalte individuell verfassten und aus eigenem Antrieb über das Internet verbreiteten. Dabei wurde verstärkt der gewaltsame Jihad gegen diejenigen „Feinde“ des „Kalifats“ propagandiert, die sich an Anti-Terror-Operationen gegen den IS beteiligten oder der Anti-IS-Allianz anschlossen.

Die intensivierten Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden in Deutschland sowie des Militärs in der Konfliktregion erschwerten ­erheblich offensichtlich bestehende oder geplante Anschlagsbemühungen von IS-Terrorzellen. Vor diesem Hintergrund sowie an­ge­sichts der jihadistischen IS-Propaganda und -Anleitung zu entsprechend motivierten Angriffen verlagerte sich der Trend hin zu Einzelakteuren, die Terroraufrufe aufgriffen und – ohne Einbindung in Zellen­strukturen – versuchten, Anschläge vorzubereiten.

Für die Sicherheitsbehörden war es eine große Herausforderung, diese vom IS oft unabhängig agierenden Personen vor der Umsetzung eines Anschlags zu identifizieren. Nur in seltenen Fällen lagen zu den Akteuren bereits über einen längeren Zeitraum auf Tatsachen basierende Erkenntnisse vor, die eindeutig auf die Absicht hinwiesen, dass ein Anschlag unmittelbar bevorstand. Oftmals handelte es sich um IS-Sympathisanten, die nur mittelbar in Kontakt mit der Terror­organisation standen oder erst ab einem gewissen Zeitpunkt ihrer­ jihadistischen Radikalisierung und bei Konkretisierung ihrer Anschlagspläne den direkten Kontakt zum IS herstellten.

Jihadistisch motivierte Anschläge 2018 in Europa | Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl der Anschläge mit jihadistischem Hintergrund zurück. Die folgende Kurzdarstellung beschränkt sich auf besonders schwerwiegende Taten:

  • Carcassonne und Trèbes (Frankreich), 23. März: Mit einer Schusswaffe eröffnete ein 26-Jähriger das Feuer auf die Insassen eines Fahrzeugs in Carcassonne. Hierbei tötete er eine Person und verletzte eine weitere. Kurze Zeit später schoss der Täter auf eine Gruppe von Polizisten, wobei ein Beamter verletzt wurde. ­Anschließend stürmte der Täter in einen Supermarkt in Trèbes, wo er mehrere Personen als Geiseln nahm und drei weitere, darunter einen Polizisten, erschoss, der sich ihm im Austausch für eine Geisel angeboten hatte. Bei der anschließenden Erstürmung des Supermarkts durch Spezialkräfte wurde der Täter, der sich als Soldat des IS bezeichnete, erschossen. Insgesamt kamen bei dem Anschlag fünf Personen, darunter der Täter, ums Leben. Zwölf weitere wurden verletzt. Später reklamierte der IS die Tat für sich.
  • Paris (Frankreich), 12. Mai: Im Zentrum der französischen Hauptstadt stach ein 20-jähriger Attentäter mit einem Messer wahllos auf Passanten ein. Hierbei wurde eine Person getötet, vier weitere Personen wurden verletzt. Polizeikräfte erschossen den Täter, als er diese ebenfalls attackierte. Auch diese Tat reklamierte der IS für sich.
  • Liège (Belgien), 29. Mai: Ein 36-jähriger Häftling, der sich auf Freigang befand, erschlug in der belgischen Provinz Luxembourg einen ehemaligen Mithäftling, griff anschließend zwei Polizistinnen in Liège an und erschoss beide mit ihren Dienstwaffen. Dann erschoss der Täter den Insassen eines Fahrzeugs und nahm in einer angrenzenden Schule eine Reinigungskraft als Geisel. Polizeikräfte töteten den Täter, als er diese angriff, wobei mindestens zwei Polizisten verletzt wurden. Der IS bekannte sich zu der Tat. Ob eine Verbindung zwischen dem Täter und der Terrororganisation bestand, konnte allerdings nicht abschließend geklärt werden.
  • Amsterdam (Niederlande), 31. August: Mit einem Messer stach ein 19-Jähriger auf zwei amerikanische Touristen am Hauptbahnhof ein und verletzte sie schwer. Beim anschließenden Fluchtversuch wurde der Täter durch Polizeikräfte angeschossen und festgenommen. Als Motiv gab der Täter an, dass der Islam in den Niederlanden angeblich beleidigt würde.
  • Strasbourg (Frankreich), 11. Dezember: In der Nähe des Weihnachtsmarkts schoss ein 29-jähriger Täter wahllos auf Passanten und stach mit einem Messer auf weitere Personen ein. Fünf Menschen starben, elf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Bei seiner Flucht wurde der Täter durch Soldaten angeschossen, im Rahmen einer Großfahndung zwei Tage später durch die Polizei aufgespürt und bei der Festnahme erschossen. Später reklamierte der IS den Anschlag des 29-Jährigen für sich.

Ereignisse/Entwicklungen im politischen Salafismus

Im Rahmen des „We-Love-Muhammad“-Projekts verteilten politische Salafisten eine weitere Auflage der Biographie des Propheten und boten darüber hinaus eine Broschüre an. Seit Sommer kamen die Aktionen weitgehend zum Erliegen.

Auf einen Blick

  • „We-Love-Muhammad“-Projekt
  • Aktivitäten des Moscheevereins Dar al Salem e. V.

„We-Love-Muhammad“-Projekt | Initiatoren des Projekts „We Love Muhammad“ waren der ehemalige Regionalverantwortliche der „LIES!“-Kampagne für das Rhein-Main-Gebiet, Bilal Gümüs, und der salafistische Prediger Pierre Vogel. Das Projekt war zeitgleich im November 2016 in Deutschland und in der Schweiz angelaufen, nachdem seit Sommer 2016 in sozialen Medien für die gleichnamige App geworben worden war. Laut Vogel sollte mit der Aktion „Wissen über den Propheten“ verbreitet werden, wobei vor allem Muslime die Zielgruppe seien.

Im Februar 2018 wurde die dritte Auflage der Biografie des Propheten Mohammed (arab. sira) mit 20.000 Büchern für das Projekt „We Love Muhammad“ ausgeliefert. In der Summe waren dies bislang mehr als 60.000 Exemplare. Das Projekt finanzierte sich durch Spenden, zu denen in sozialen Medien aufgerufen wurde. Im selben Monat wurde jedoch die Bestellmöglichkeit für die Mohammed-Biografien, ein Hörbuch für Kinder und für Visitenkarten in Form eines Gesamtpakets rückgängig gemacht, da – so die Aussage der Initiatoren des Projekts – die Nachfrage zu groß gewesen sei und die Versandkosten die Kosten des Buchs überstiegen hätten.

Seit Mai wurde die Broschüre „Das Gebet erlernen – Der Schlüssel zum Paradies“ kostenlos angeboten. Die Akteure bereiteten die „We-Love-Muhammad“-Aktionen regelmäßig im Internet auf und warben hierfür mit Bildern und Videos, die wiederum von Sympathisanten weiterverbreitet wurden. Die Missionierungsbemühungen zu dem – nach salafistischer Interpretation – „wahren Islam“, die sich an einer strikten Nachahmung des Propheten in rituellen, theologischen, normativen und alltäglichen Fragestellungen orientieren, wurden somit über den eigentlichen Veranstaltungsrahmen hinaus auf einen größeren Adressatenkreis ausgeweitet.

Die mobilen Verteilaktionen des Projekts „We Love Muhammad“ waren organisiert und strukturiert, so kleideten sich die Akteure größtenteils mit einheitlichen „We-Love-Muhammad“-T-Shirts und -Pullovern. Einige Akteure trugen „Bauchläden“, auf denen sich neben den zu verteilenden Waren eine Spendendose befand, oder sie führten bei ihrem Gang durch die Straßen Rückentragegestelle mit daran befestigten „We-Love-Muhammad“-Plakaten mit sich. Unter den Akteuren, deren Anzahl sich im niedrigen bis mittleren einstelligen Bereich bewegte, befanden sich auch ehemalige Angehörige der 2016 verbotenen Koranverteilaktion „LIES!“.

Die „We-Love-Muhammad“-Verteilaktionen fanden regelmäßig in Frankfurt am Main statt, vereinzelt auch in Offenbach am Main. Seit dem Sommer gab es keine Aktionen mehr, sie wurden in Hessen nicht mehr im Internet mit Videos, Bildern und Texten aufbereitet bzw. für sie geworben.

Im Juli nannte das „We-Love-Muhammad“-Team Frankfurt am Main als Ziel des Projekts, die Muslime zurück zum Gebet zu rufen und zum praktizierenden Islam zu bringen. So gebe das Projekt die Möglichkeit, auf den Straßen mit Jugendlichen in Kontakt zu treten, um sie zu ermahnen und zum Gehorsam zu rufen.

Aktivitäten des Moscheevereins Dar al Salem e. V. | Der 2015 in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) gegründete Moscheeverein Dar al Salem e. V. betrieb eine Moschee im Marburger Stadtteil Richtsberg und unterhielt mehrere Auftritte in den sozialen Medien. Dass der Moscheeverein politisch-salafistische Bestrebungen verfolgte, war anhand der Predigten des Imams erkennbar. In ihnen hieß es unter anderem:

„Der Sieg [der gehorsamen Gläubigen] kommt nicht von heute auf morgen. Schlachten werden verloren und gewonnen, aber der Sieg gehört letztendlich den Leuten der Sunna. Aber dies mit Geduld. Wisset, dass der Sieg nicht zu einem Volk kommt, das Allah und dem Propheten ungehorsam ist. Und dass der Schlüssel zum Sieg ist, dass wir an der Sunna festhalten“.

In den Predigten wurde ein dualistisches Weltbild vermittelt, in dem sich sowohl Muslime und Nicht-Muslime als auch Muslime untereinander in Feindschaft gegenüberstehen. Diese Zweiteilung der Welt wurde dogmatisch zugespitzt, indem suggeriert wurde, dass man dem in den Predigten normativ vorgeschriebenen Islamverständnis folgen müsse, um als Muslim gelten zu können.

„Die islamische Umma durchlebt gerade eine stürmische Zeit, in einer Ära, die als Ära der Fremde bekannt ist, in einem Zeitalter, wo man die Intensivierung der Qual kennt. Das Blut der Muslime fließt im Osten und im Westen der Erde. Es gibt innerhalb der islamischen Familie eine große Uneinigkeit und eine enorme Zerstrittenheit, die von den Feinden der Religion, im Namen der sogenannten Freiheit gesät wurden. Aufruhr, die große Wellen erzeugt, währenddessen segelt die islamische Umma in einem Schiff auf einem dunklen Meer, in dem ein Sturm des Aufruhrs wütet. Und die Leute des Schiffes streiten sich, schlagen sich, bringen sich gegenseitig um. Die meisten von ihnen sagen, für unsere Rettung müssen wir Richtung Westen steuern. Nur sehr wenige von ihnen sagen, für unsere Rettung müssen wir zu dem Weg des Prophetentums zurückkehren“.

Vielfach wurde in den Predigten betont, dass man ausschließlich der Tradition des Propheten Mohammed (arab. sunna) und den frommen Altvorderen folgen solle, da dies den „wahren“ Islam ausmache. Dabei würden deren Handeln und Taten nicht nur als historisches Vorbild dienen, sondern diese müssten auch als Handlungsanweisung für die gegenwärtige Situation interpretiert werden. Neuerungen seien im Islam generell verboten und würden ins Höllenfeuer führen.

Entstehung/Entwicklung

Salafismus als Bezeichnung für die Anhänger einer islamistischen Strömung ist erst seit Anfang der 2000er Jahre verstärkt in das Interesse der Forschung und Sicherheitsbehörden gerückt. Die Wortbedeutung leitet sich aus dem arabischen Begriff salaf (dt. Altvorderer) ab und prägt den Terminus bis heute. Salafisten glorifizieren die islamische Ära (etwa 610 bis 850) der Altvorderen, die das Leben des Propheten Mohammed und seiner Anhängerschaft in drei Generationen fasst, als Zeitalter des unverfälschten Islam („Goldene Epoche“). In rigider Form stellen sie Allah als Ursprung und Zentrum aller rechtlichen wie moralischen Fragen in den Mittel­punkt ihres Glaubens. Die genaue Wortherkunft des Begriffs Salafismus in der Bedeutung einer religiösen wie sozialen Bewegung lässt sich nicht eindeutig zurückverfolgen. Ideengeschichtlich hat der Begriff seit dem 14. Jahrhundert verschiedene Entwicklungen durchlaufen. Aktuell fasst das Phänomen Salafismus das Personenpotenzial einer im Islamismus aktiven Strömung zusammen, die sich durch zum Teil erhebliche Differenzen im Auslegen und Ausleben ihres Islamverständnisses kennzeichnet.

Auf einen Blick

  • Vorbildfunktion der islamischen Frühgeschichte
  • Homogene Überzeugung – heterogene Zusammen­setzung
  • Salafismus in Deutschland

Vorbildfunktion der islamischen Frühgeschichte | Salafisten gehören konfessionell dem sunnitischen Islam an und richten ihre Glaubenslehre nahezu wortwörtlich am Koran und den überlieferten Bräuchen und Traditionen (arab. sunna) des Propheten Mohammed aus. Salafisten entwickeln in Anlehnung an die islamrechtliche Methodologie der Religionspraxis eine eigene Methode (arab. manhaj), die sie aus ihrer Glaubenslehre ableiten und im Einklang mit ihr praktizieren. Im Gegensatz zu der übrigen islamischen Glaubenstradition sind Salafisten davon überzeugt, dass ausschließlich in der Epoche der frommen Altvorderen (arab. as-salaf as-salih) im 7. Jahrhundert die reine und unverfälschte Form des Islam praktiziert worden sei. Die drei ersten Generationen um den Propheten Mohammed nehmen im sunnitischen Islam wegen ihrer Nähe zu ihm und seiner Lebensweise generell eine hohe Bedeutung ein. Im Salafismus wird dieses Zeitalter theologisch überhöht und ideologisch als vorbildliches Lebensmodell propagiert.

Da es sich bei den frommen Altvorderen nicht um eine Bewegung oder ein klar definiertes Konzept handelte, gestaltete sich dieser Rückgriff auf sie – je nach historischen, politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Umständen – sehr unterschiedlich und führte in der Moderne zu stark divergierenden Interpretationen und verschiedenen – teils widersprüchlichen – Strömungen innerhalb des Salafismus.

Homogene Überzeugung – heterogene Zusammensetzung | Obwohl das salafistische Islamverständnis grundsätzlich eine klare Doktrin entwickelte, bildeten sich im Verlauf der Zeit unterschiedliche Auslegungen und Praktiken heraus. Gerade die in bewusster Ablehnung der vier anerkannten sunnitischen Rechtsschulen (arab. im Singular madhab) angewandte individuelle Interpretation (arab. ijtihad) der islamischen Primärquellen führte wiederholt zu einer ideologischen Fragmentierung salafistischer Sichtweisen. Dies hemmte gleichzeitig die Verschmelzung zu einer homogenen – in ihrer Theologie vereinten – globalen religiösen Bewegung. Sowohl die Anhänger des Salafismus als auch des Wahhabismus berufen sich abseits der islamischen Hauptquellen im Wesentlichen auf bestimmte Werke der historischen Islamgelehrten Ahmad Ibn Hanbal (780 bis 855), Taqi al-Din Ahmad Ibn Taimiya (1263 bis 1328) und Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703 bis 1792). Die Schriften dieser Gelehrten und ihrer Zirkel ziehen Salafisten bis heute als Legitimationshilfe für ihr Islamverständnis heran. Dabei ignorieren sie die kultische und kulturelle Mehrdimensionalität des Islam. Die bewusste Abgrenzung von islamrechtlich etablierten Meinungen sowie die theologische Maxime der individuellen Auslegung ließen zudem salafistische Lehrzirkel entstehen, die oftmals nur aus wenigen Schülern und einem Mentor bestehen.

Salafismus in Deutschland | In Deutschland wurden salafistische Prediger etwa seit 2002 aktiv und begannen, überregionale Missionierungsnetzwerke aufzubauen. Einige Prediger dieser ersten Generation erhielten ihre religiöse Ausbildung an Universitäten in Saudi-Arabien, was sich in ihrer Interpretation der islamischen Glaubenslehre nach wahhabitischer Lesart widerspiegelt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Loyalität gegenüber dem saudischen Königshaus teilen, die traditionelle wahhabitische Gelehrte auszeichnet. Da es auch innerhalb des Wahhabismus heterogene Lehrmeinungen gibt, berufen sich salafistische Akteure in Deutschland auf unterschiedliche Gelehrte und vertreten daher unterschiedliche Positionen, etwa in Bezug auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Anders als die ­Prediger der ersten Generation hat die wachsende Anzahl der gegen­wärtigen Unterstützer und Sympathisanten des Salafismus oftmals keine religiöse Ausbildung an Universitäten erhalten, sondern schöpft ihr „Wissen“ aus Islamseminaren in Deutschland, Internetpredigten und privaten Lerngruppen.

Ideologie/Ziele

Der Salafismus stellt innerhalb des Islamismus eine Strömung dar, die sich insbesondere durch ihre doktrinäre Auffassung des Islam hervorhebt. Die regional verhaftete, streng konservative sunnitische Islamauslegung des Wahhabismus beeinflusste die zeitgenössische salafistische Doktrin nachhaltig. Die salafistische Glaubenslehre (arab. ‘aqida) absorbierte einzelne wahhabitische Glaubensgrundsätze und ergänzte diese um eigene theologische Elemente.

Auf einen Blick

  • Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islam
  • Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen ­Doktrin
  • Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen ­Glaubenslehre
  • Politischer Salafismus
  • Jihadistischer Salafismus

Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islam | Kulturelle Einflüsse, die den Islam seit seiner Verbreitung im 8. Jahrhundert fortwährend geprägt haben, werden in der salafistischen Islamauslegung als schädigende und gleichermaßen als unerlaubte Neuerungen (arab. bid’a) stigmatisiert, da sie nicht der normativen wie islamrechtlich verbindlichen Vorbildfunktion der Prophetentradition entsprächen. Im Salafismus ist der Handlungsspielraum menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten genau auf die „Goldene Epoche“ begrenzt. Er begreift sich gleichzeitig als ewige Bastion gegen verschiedene theologische und kulturelle Entwicklungen im Islam. Das Zeitalter der Prophetentradition bildet für Salafisten somit den theologisch verbindlichen Bezugspunkt zum uneingeschränkten Monotheismus (arab. tauhid), den es unter allen Umständen vor Unglauben (arab. kufr) und Polytheismus (arab. shirk) zu schützen gelte. Dieses Zeitalter ist gleichzeitig auch der moralische und rechtliche Maßstab für das menschliche Dasein und Handeln in der Gegenwart zur Erfüllung des göttlichen Willens. Selbst in traditionellen islamischen Verehrungsriten sehen Salafisten die Universalität und Einmaligkeit Gottes angegriffen. Auch weltliche Institutionen wie Gerichtsbarkeiten, die nicht vollständig der salafistischen Auslegung der islamischen Rechts- und Verhaltensnormen (arab. shari’a) unterworfen sind, werden als Götzendienst (arab. taghut) abgelehnt.

Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin | Im Mittelpunkt der salafistischen Glaubenslehre steht das unerschütterliche Bekenntnis zu einem Gott. Nahezu identisch mit wahhabitischen Auslegungen fassen Salafisten die in den islamischen Glaubensquellen benannten Attribute Allahs wortwörtlich und nicht metaphorisch auf. Der salafistischen Glaubenslehre zufolge kategorisiert sich die Unterwerfung unter Allah in drei Bereiche der Huldigung. Zu ihnen zählt die universale Herrschaft Allahs, die göttliche Einzigartigkeit sowie die Einmaligkeit der Namen und Attribute Allahs. Den Wesenskern der salafistischen Doktrin bildet dieses tauhid-Verständnis, das es unter allen Umständen vor inneren wie äußeren Verzerrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schützen gelte.

Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre | Das salafistische Selbstverständnis zeichnet das Bild eines frommen Muslims, der sein Leben in Bescheidenheit und Zurückgezogenheit der ewigen Suche nach der Wahrheit im Islam widmet. Salafisten verstehen sich als Bestandteil der sogenannten erretteten bzw. auserwählten Gruppe (arab. at-ta’ifa al-mansura und al-firqa an-najiya). Einzig die Anhänger des wahren Islam sollen laut einer Überlieferung (arab. hadith) der islamischen Heilslehre am Tag des Jüngsten Gerichts vor Allah bestehen. Aus der Überzeugung, einer elitären Gruppe wahrer Muslime anzugehören, resultiert das moralische Überlegenheitsgefühl der Salafisten gegenüber Andersdenkenden. Aus diesem Grund fühlen sich Salafisten dazu berufen, das soziale Umfeld gemäß ihrer Überzeugung zu erziehen und nachhaltig zu verändern.

Besonders deutlich wird der soziale Verhaltenskodex im Salafismus anhand der Forderung der Einhaltung islamischer Prinzipien, die gemäß der salafistischen Doktrin einen Leitmotivcharakter aufweisen. Salafisten streben danach, den Islam von vorgeblich schädigendem Einfluss zu bereinigen. Dementsprechend versuchen sie sowohl die theologische Lehre im Islam als auch die Gesellschaft als Ganzes gemäß ihrer Doktrin zu gestalten. Indem anderen Muslimen das Rechte geboten und das Schlechte verboten (arab. al-amr bi-l-ma’ruf wa-n-nahy‘ani-l-munkar) wird, können Salafisten neben der theologischen Lehre somit auch erheblichen sozialen Einfluss ausüben. Salafisten folgen dem Prinzip der Loyalität und Lossagung (arab. al-wala‘ wa-l-bara‘), um sich durch das klare Bekenntnis zu ihrer Glaubensauslegung demonstrativ von allen anderen Glaubensformen oder vermeintlich Ungläubigen zu distanzieren. In der Nähe zu anderen Glaubensgemeinschaften sehen Salafisten die Gefahr, den eigenen Glauben im engeren Sinne zu verzerren und den Islam im weiteren Sinne zu verderben.

Das Abgrenzungsprinzip al-wala‘ wa-l-bara‘ bietet somit den Platzhalter für viele Formen der Fremdenfeindlichkeit und mündet oftmals in der islamtheologisch umstrittenen Praxis, einen Muslim für ungläubig zu erklären (arab. takfir), wenn Salafisten andere Muslime auf­grund angeblich frevelhafter Religionsausübung oder anderer Verfehlungen als Nichtmuslime brandmarken. Darüber hinaus vertieft das Prinzip der offensiven Lossagung den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, wobei Salafisten letztere den Makel angeblich unwürdiger Muslime zusprechen.

Aus dem bedingungslosen Befolgen der salafistischen Doktrin können somit verfassungsfeindliche Bestrebungen gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung resultieren. Der Bestrebungscharakter im Salafismus ist prinzipiell totalitär, da das Diesseits nach seinen normativen Maßstäben zur Ehrung und Wahrung des Islam zu formen ist. Diese salafistische Doktrin enthält die idealisierte Vorstellung einer Umwelt, die den Anforderungen des „wahren Islam“ vollumfänglich gerecht werden will: gesamtgesellschaftlich, global und konsequent gelebt bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Jedoch lässt sich innerhalb des Salafismus keine synchronisierte, homogene Bestrebung zu diesem Ziel hin feststellen. Idealvorstellung und reale Verhältnisse unterliegen Wechselwirkungen, die sich stets auf das salafistische Islamverständnis in Abhängigkeit von Zeit und Ort ausgewirkt haben. Somit ist die salafistische Doktrin in unzählige „Etappenziele“ unterteilt, die ihrerseits dem Wandel veränderter religiöser Prioritäten im Bezug zur Gegenwart unterliegen.

Dies setzt entsprechende Bestrebungen im Sinne eines sozial-reformistischen bis hin zu revolutionären Umbruchs voraus, die jedoch aufgrund der verschiedenen weltweiten Erscheinungsformen des Salafismus nicht pauschal bei jedem Anhänger in gleicher Weise ausgeprägt sind. Ungeachtet dessen würde die Implementierung einer salafistischen Gesellschaftsordnung in Deutschland am ehesten mit einem Gottesstaat vergleichbar sein und gleichzeitig die Ab­schaf­fung bzw. Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bedeuten.

Politischer Salafismus | Der politische Salafismus ist in der Regel von gewaltlosen Aktivitäten gekennzeichnet. Das salafistische Islamverständnis verlangt, die Reinheit des Islam zu bewahren und seine Authentizität wiederherzustellen, wo es notwendig erscheint. Salafisten sehen sich dazu berufen, das im Laufe der Jahrhunderte angereicherte islamische (Gelehrten-)Wissen zu bereinigen (arab. tasfiya), um daraus auch verhaltensbasierte Konsequenzen abzuleiten. Dies kann sich in einem Aktivismus abbilden, wenn sich die Verbreitung der bereinigten Botschaften in Erziehung und Kultivierung (arab. tarbiya) gegenüber anderen Personen äußert.

Daher nutzen politische Salafisten überwiegend gewaltlose Formen der religiösen Erziehung und der im Hintergrund – ohne politisches Aufsehen erregenden – tätigen Beratung (arab. nasiha). Auf diese Weise wollen sie ihr Umfeld auf den angeblich wahren Weg Allahs zurückführen und zum Übertritt zum Islam nach ihrem Verständnis bekehren (arab. da’wa). Grundsätzlich meiden Salafisten das politische Engagement, um die Reinheit der Doktrin des tauhid zu erhalten und vor angeblich islamfremden Einflüssen zu schützen. Salafisten sind daher weder parteipolitisch noch in vergleichbarer Form im öffentlichen Diskurs für gesamtgesellschaftliche Gestaltungsprozesse aktiv. Dennoch kann die salafistische Doktrin auf gesamtgesellschaftliche Bereiche einwirken und entwickelt somit politischen Einfluss. Der Einsatz von Gewaltmitteln ist bei politischen Salafisten nicht kategorisch auszuschließen, stellt jedoch im Kontrast zu den An­hängern des globalen Jihadismus nicht per se ihr islamrechtlich bevorzugtes Mittel zur Veränderung der Verhältnisse dar.

Jihadistischer Salafismus | Jihadistische Salafisten teilen zentrale Glaubensprinzipien des politischen Salafismus, bilden daraus jedoch Legitimationen für eigene Handlungsmuster. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ergibt sich aus dem Verhältnis zur Gewalt. Der Anstrengung für Allah (arab. jihad) messen Jihadisten eine gewaltorientierte, aktiv-kämpferische Komponente bei, die zur individuellen Glaubenspflicht erhoben wird und dadurch in ihrer Perspektive die Durchsetzung revolutionärer und umstürzlerischer Zwecke rechtfertigt. Entgegen der politisch-salafistischen Agenda sehen Jihadisten primär in der Gewaltanwendung die Möglichkeit, „Tyrannen“ und „Ungläubige“ zu bekämpfen. Verhaftet in den islamischen Überlieferungen vom Tag des Jüngsten Gerichts streben Jihadisten nach der Auslöschung aller unislamischen, ungläubigen Elemente, die sie in Regierungen, anderen Religionen und auch islamischen Glaubensgemeinschaften verkörpert sehen. Der gewaltsame sogenannte kleine jihad nimmt in den ideologischen Auffassungen der verschiedenen Gruppen, die insgesamt den globalen Jihadismus bilden, unterschiedliche Formen an und wird entsprechend vielfältig legitimiert und angewendet. Somit zielen jihadis­tische Salafisten im Gegensatz zum politischen Salafismus auf die ­gewaltsame Beseitigung bzw. Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder nehmen bewusst deren Schädigung in Kauf.


Bewertung/Ausblick

Politischer Salafismus | In der Öffentlichkeit gingen die Aktivitäten im Bereich des politischen Salafismus seit 2015 zurück, so fand das Werben für das Projekt „We Love Muhammad“ bis zum Sommer 2018 vornehmlich im virtuellen Raum statt. Die Betreiber des Projekts vermochten nur wenige Akteure zu akquirieren und es gelang ihnen nicht, die Strukturen in Hessen über das Rhein-Main-Gebiet hinaus dauerhaft ausbauen.

Eine ähnliche Entwicklung ließ sich in Bezug auf salafistische Predigten in der Öffentlichkeit und damit verbundene hoch frequentierte Zusammenkünfte der entsprechenden Sympathisanten und Anhänger feststellen. Zunehmend verlagerten salafistische Gelehrte und Prediger ihre Aktivitäten in die sozialen Medien und geschützte private Bereiche. Dies dürfte auch in der Zukunft der Fall sein, da die salafistische Klientel die Vorteile und Möglichkeiten moderner technischer Mittel bei der Kommunikation schon lange erkannt hat und entsprechend nutzt. Mögen öffentliche Einladungen zu salafistischen Veranstaltungen ein breites, auch überregionales Personenspektrum erreichen, so überwiegen nach der Auffassung salafistischer Akteure die „Vorteile“ eines privaten, abgeschotteten Rückzugsorts. Sie sind der Meinung, sich hier der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden effektiv entziehen und weitgehend unbehelligt agieren zu können.

Jihadistischer Salafismus | Die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags war in Deutschland unvermindert hoch. Solange es dem IS und anderen jihadistischen Gruppierungen weiterhin gelingt, ihre Botschaften und Ideologien insbesondere über die sozialen Medien weltweit zu verbreiten, ist nicht mit einer abnehmenden Anschlagsgefahr zu rechnen.

Da jihadistische Gruppierungen weiterhin danach streben, eine islamische Gesellschaft – häufig als „Emirat“ oder „Kalifat“ bezeichnet – zu etablieren, haben für sie Syrien und weite Teile der Levante (Länder am östlichen Mittelmeer) eine unvermindert große ideologische Bedeutung. Nach jihadistischer Lesart erfüllen sich hier die apokalyptischen Verheißungen und Voraussagen, das heißt die Voraussagen in Bezug auf den Tag des Jüngsten Gerichts. Die wenigen jihadistisch motivierten Ausreisen, welche die Sicherheitsbehörden im Berichtsjahr registrierten, bestätigen dies. Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Akteure des weltweiten Jihadismus müssen somit auch in Zukunft sehr genau beobachtet und analysiert werden, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen, selbst wenn der IS im Berichtsjahr nahezu alle seine Territorien verlor und die SDF die Terroristen aus ihrer letzten Bastion in Syrien im März 2019 vertrieben hat.

Der weltweite Jihadismus besticht in den Augen seiner Anhänger in erster Linie durch seine klare Ideologie, die einerseits die freie Religionsausübung des Islam garantiert und andererseits sowohl moralische als auch politische Feinde zum Schutz des Islam gnadenlos ­bekämpft. Das Gros der Gefolgschaft bildet sich letztlich aus ideo­logisierten Anhängern; die Idee einer gemäß salafistischen Prinzipien konzipierten Welt bietet aber auch Nischen für Menschen, die glauben, in diesen Strukturen besser zurechtkommen zu können, als andernorts, wo sie sich unterdrückt fühlen. Es sind daher nicht nur Organisationen oder Gruppen, die den Jihadismus entstehen lassen, sondern vor allem dessen propagandistische ideologische Überzeugungskraft formiert diese Gruppen und wird weiterhin eine breite Anhängerschaft anziehen.

Das Zerschlagen von jihadistischen Terrorzellen und -netzwerken hemmt kurz- bis mittelfristig den Aufbau jihadistischer Strukturen, kann jedoch nicht die dahinterstehende Ideologie zerstören. Eine maßgebliche Aufgabe des LfV ist es, Anschlagsgefahren und Ak­teure (auch Einzeltäter) rechtzeitig zu erkennen und in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden zu beseitigen, indem mögliche Tatbeteiligte der Strafverfolgung zugeführt werden. Darüber hinaus ist es das Ziel des LfV, mittels seiner Präventionsarbeit der Verbreitung des salafistischen/jihadistischen Gedankenguts entgegenzuwirken.

Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung)

Definition/Kerndaten

Weltweit ist die HuT in über 40 Staaten mit etwa einer Million Mitgliedern präsent. Ziel der panislamischen Organisation ist die „Befreiung“ aller Muslime von „Unterdrückung“ und deren Vereinigung in einem weltweiten „Kalifat“ mit islamischer Rechtsordnung. Aus Sicht der HuT haben „unterdrückte Muslime“ das Recht auf „Selbstverteidigung“ mit allen Mitteln. Als Konsequenz billigt die HuT oftmals die Gewalttaten anderer islamistischer Gruppierungen. 2003 sprach der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot gegen die HuT aus, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 bestätigte. Dennoch setzen Anhänger der Organisation ihre Rekrutierungsbemühungen im Untergrund fort. Insbesondere in sozialen Netzwerken gibt es zahlreiche Gruppierungen, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Hierzu gehört die in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) ansässige Gruppierung Realität Islam (RI).

Führung: Ata Abu al-Rashta, alias Abu Yasin
Anhänger: In Hessen etwa 60, bundesweit etwa 350
Medien (Auswahl): Mehrsprachige Internetpräsenzen

Ereignisse/Entwicklungen

Die Gruppierung RI war unter den Leitsprüchen „Gemeinsam für eine starke und bewusst agierende islamische Gemeinschaft“ und „Erhebe Deine Stimme gegen die Wertediktatur“ schwerpunktmäßig in den sozialen Medien aktiv. Bis zum Ende des Berichtszeitraums wurde die RI-Facebook-Seite von etwa 30.000 Personen geliked bzw. abonniert. Die Gruppierung rekrutierte ihre Anhänger mitunter auch aus dem akademischen Milieu.

Auf einen Blick

  • Kampagne „Deine Stimme gegen das Kopftuchverbot“/ „#Kopftuchunserepflicht“
  • Veranstaltungen in Hessen

Kampagne „Deine Stimme gegen das Kopftuchverbot“/„#Kopf­tuchunserepflicht“ | Bereits 2016 hatte RI unter dem Hashtag „#BurkaUnsereIdentität“ die Muslime in Deutschland dazu aufgefordert, ein Bekenntnis zur Burka zu verbreiten. Im April 2018 startete RI die Kampagne „Deine Stimme gegen das Kopftuchverbot“. Zeitgleich initiierte die Gruppierung eine Online-Petition gegen die damals von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen diskutierte Einführung eines Kopftuchverbots für Mädchen unter 14 Jahren, da ein solches Kopftuchverbot nach „islamischem Recht“ unzulässig sei.

RI-Aktivisten sammelten in Fußgängerzonen und Moscheen Unterschriften für eine an den Petitionsausschuss des Bundestags einzureichende Petition gegen das „Kopftuchverbot“. Entsprechende Informationsstände und mobile Unterschriftensammlungen gab es von Mitte Mai bis Anfang Oktober in Offenbach am Main, Frankfurt am Main, Hanau (Main-Kinzig-Kreis) und Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau). Dort wurden Petitionslisten auch in Papierform zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurde bundesweit für die Kampagne mobilisiert.

Am 8. Oktober veröffentlichte RI im Internet unter dem Titel „Geliebte Muslime: Wir danken euch!“ ein Video und bedankte sich darin für die Mobilisierungs- und Unterstützungsaktivitäten im Rahmen der Unterschriftensammlung. Namentlicher Dank erging an Personen und Organisationen, die dem außerhessischen salafistischen und HuT-Spektrum zuzuordnen sind, das heißt unter anderem an Pierre Vogel und sein Team. Die Online-Petition wurde am 11. Oktober mit etwa 165.000 Unterschriften von Unterstützern in Deutschland beendet. Laut Angaben von RI wurden die Unterschriften am 21. November per Post an das Bundespräsidialamt geschickt.

Veranstaltungen in Hessen | Die Gruppierung RI nutzte im Berichtsjahr ihre Räumlichkeiten in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) für regelmäßige Veranstaltungen. Bis Anfang April fanden dort wöchentliche Koranschulungen unter dem Titel „Qur’an im Verlauf der Offenbarung“ statt. Am 26. Mai lud RI über Facebook zum Fastenbrechen in einen Saal in Darmstadt ein. Laut Angaben auf der RI-Facebook-Seite nahmen 700 Personen an der Veranstaltung teil. Am 19. August führte RI einen Themenabend unter dem Titel „Muslime zwischen Hass und Anerkennung“ durch. Einen weiteren für den 1. September geplanten Themenabend („Ich verbiete Dir, also bist Du frei“) sagte die Gruppierung „infolge der hetzerischen Berichterstattung einiger Medien […] über die Petition gegen das Kopftuchverbot und Realität Islam“ kurzfristig ab.

Entstehung/Geschichte

Die HuT wurde 1953 im damals von Jordanien besetzten Ostteil Jerusalems von dem palästinensischen Politiker und der Muslimbruderschaft (MB) nahestehenden Aktivisten Taqi ad-Din an-Nabhani (1909 bis 1977) gegründet.

Auf einen Blick

  • Gründung in Ost-Jerusalem
  • Betätigungsverbot in Deutschland

Gründung in Ost-Jerusalem | Der Entschluss zur Gründung der HuT erwuchs aus der Unzufriedenheit an-Nabhanis und seiner Anhänger über die fehlende Unterstützung der MB für das palästinensische Volk im Kampf gegen Israel. Nach dem Tod an-Nabhanis trat in der HuT der Palästina-Bezug zugunsten der Forderung nach einem alle Muslime umfassenden „Kalifat“ in den Hintergrund. In Deutschland verbreiteten HuT-Anhänger vor allem in Universitätsstädten Flugblätter und Zeitschriften mit antiisraelischen und „antiwestlichen“ Inhalten.

Betätigungsverbot in Deutschland | Am 25. Januar 2006 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das am 10. Januar 2003 vom Bundesminister des Innern erlassene Betätigungsverbot gegen die HuT. In dem Urteil hieß es unter anderem, dass die HuT zur gewaltsamen Beseitigung des Staats Israel und zur Tötung von Menschen aufgerufen und dadurch der friedlichen Lösung der israelisch-palästinensischen Interessensgegensätze entgegengewirkt hat. In seiner Begründung verwies das Bundesverwaltungsgericht auch auf Art. 9 Abs. 2 GG, wonach Organisationen verboten werden, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten.

Ideologie/Ziele

Ziel der HuT ist die Vereinigung der weltweiten Gemeinschaft der Muslime (arab. umma) in einem Gottesstaat ohne nationale Grenzen unter der Führung eines Kalifen, der die göttliche Rechtsordnung, das heißt die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns, im Kalifat verbindlich durchsetzen soll. Islam und Demokratie sind für die HuT nicht miteinander vereinbar.

Auf einen Blick

  • Verschweigen extremistischer Ziele
  • „Rechtgeleitetes Kalifat“ als Beleg für die „Richtigkeit und Anwendbarkeit des Islam“

Verschweigen extremistischer Ziele | Die Gruppierung RI weist eine ideologische Nähe zur HuT auf. Die islamistischen Ziele von RI und ihr ideologischer Hintergrund werden jedoch bei öffentlichen Aktivitäten verschwiegen. Erst die Lektüre der Publikation „Realität Islam[.] Eine Einführung[.] Gemeinsam für eine starke und bewusst agierende Gemeinschaft“ offenbart das von RI propagierte Weltbild und die Widersprüche zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

„Rechtgeleitetes Kalifat“ als Beleg für die „Richtigkeit und Anwendbarkeit des Islam“ | So heißt es in der Publikation der RI, dass der Islam eine allumfassende Lebensordnung mit festgelegten Rechtsbeziehungen und einer eigenen Strafgesetzordnung sei. Diese Regelungen seien in Form eines Staatssystems auf die Menschen anzuwenden, wobei die Anwendung der Gesetzgebung Allahs eine unabdingbare Pflicht im Islam darstelle:

„Ein islamisches System ist erst dann existent, wenn der Islam in allen Lebensbereichen – und somit auch in Staat und Regierung – zur Anwendung kommt. Dieser Realzustand führte zur falschen Auffassung, dass das islamische Leben […] gegenwärtig nicht umsetzbar sei. Dies ist eine unter Muslimen bewusst verbreitete Irrmeinung, um sie in die Hoffnungslosigkeit und Resignation zu treiben“.

Allerdings müsse die „fundamentale Veränderung der gegenwärtigen prekären Situation“ der Muslime in den islamischen Ländern beginnen, wo die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung muslimisch und von der Richtigkeit des Islam und seiner Rechtsprechung grundsätzlich überzeugt sei:

„Entsteht dort ein rechtgeleitetes Kalifat mit einem korrekten islamischen Staats- und Gesellschaftssystem, wird es der gesamten Welt die Richtigkeit und Anwendbarkeit des Islam im 21. Jahrhundert vor Augen führen“.

Strukturen

HuT-Angehörige treten in Deutschland wegen des Betätigungsverbots nicht offen in Erscheinung. Die Ideologie der HuT wird indes durch Gruppierungen in die Gesellschaft lanciert, die nicht mit der HuT gleichzusetzen sind, dieser jedoch zumindest nahestehen.

Auf einen Blick

  • „Virtuelle Welt“ – „Realwelt“
  • Kontakte außerhalb Hessens

„Virtuelle Welt“ – „Realwelt“ | RI war zunächst eine in Facebook aktive Gruppierung, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweist. Im Gegensatz zu anderen HuT-nahen Facebook-Gruppierungen bot RI jedoch regelmäßig Veranstaltungen in der „Realwelt“ an.

Kontakte außerhalb Hessens | Dass Aktivisten von RI – neben Frankfurt am Main – in Berlin und Hamburg für die Kampagne „Deine Stimme gegen das Kopftuchverbot“/„#Kopftuchunserepflicht“ in der Öffentlichkeit mobilisierten, deutet darauf hin, dass es Kontakte zu Angehörigen der HuT-Szene außerhalb Hessens gab. In Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) verfügte RI über eine Büroadresse.

Bewertung/Ausblick

Die Gruppierung RI transportierte ihre Vorstellung vom Islam im Sinne der HuT-Ideologie als allumfassende politische, soziale und ökonomische Ordnung, welche die Anwendung von göttlichen Gesetzen als bindend vorsieht. Einen offenen Bezug zu der mit einem Betätigungsverbot belegten HuT vermied RI jedoch grundsätzlich.

Mittels Stilisierung der Muslime als Opfer der hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse versuchte RI, deren Bereitschaft zur „Wahrung einer islamischen Identität“ zu stärken. Dabei ist die Auslegung dieser „islamischen Identität“ durch RI nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Die daraus resultierende Abschottung von der „westlichen“ Mehrheitsgesellschaft bereitet wiederum den Nährboden für Radikalisierung und Gewinnung neuer Anhänger und Sympathisanten.

Die Unterschriftensammlung gegen ein vermeintliches Kopftuchverbot diente RI offenbar dazu, größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzeugen und möglichst viele Muslime für die Gruppierung und ihre Positionen zu gewinnen. RI forcierte Aktivitäten und Vernetzung außerhalb Hessens und entwickelte sich im Berichtszeitraum zu einem bundesweiten Phänomen.

Muslimbruderschaft (MB)/ Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD)

Definition/Kerndaten

Die MB ist in zahlreichen Staaten der Welt, dabei in nahezu allen Ländern des Nahen Ostens, vertreten. Sie ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung unter den Sunniten. Ziel der MB ist die Errichtung eines weltumspannenden Gemeinwesens als Gottesstaat auf der Grundlage von Koran und Sunna. In Deutschland ist die IGD die größte Organisation, welche die Ideologie der MB vertritt. In Anlehnung an ihre ägyptische Mutterorganisation versucht die IGD, durch soziales und religiöses Engagement sowie durch Dialogangebote Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden. Letztlich zielen diese Versuche darauf ab, die Ideologie der MB in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen.

Führung: Muhammad Badi (Ägypten)
Anhänge: In Hessen etwa 300, bundesweit etwa 1.040
Zuzurechnende Organisationen: Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische Widerstandsbewegung) in den palästinensischen Autonomiegebieten (Gazastreifen) in Israel, al-Nahda (Tunesien), al-Ikhwan al-Muslimum fi Suriya (Muslimbruderschaft von Syrien)

Abgebildet ist das Logo der Muslimbruderschaft. Auf einem kreisförmigen grünen Hintergrund befinden sich zwei übereinander gekreuzte Krummsäbel, über denen sich ein Buch mit rotem Einband befindet. Auf dem Bucheinband und unter dem Säbeln befinden sich arabische Schriftzeichen.

Ereignisse/Entwicklungen

Nachdem der ägyptische Präsident Mohammed Mursi, welcher der MB angehörte, 2013 abgesetzt worden war und nach den sich daran anschließenden Maßnahmen der Regierung gegen Anhänger und Sympathisanten der MB war die Organisation in Ägypten weitgehend handlungsunfähig. Im September 2018 wurden 75 Todesurteile gegen MB-Mitglieder verhängt. Sie sollen für wochenlange Massenproteste nach dem Sturz Mursis verantwortlich sein, die mehr als 800 Menschen das Leben kosteten. Insgesamt waren mehr als 700 Personen in dem Prozess angeklagt. Keine der Todesstrafen wurde bislang vollstreckt. Für die Anhängerschaft der MB in Hessen spielten die politischen Entwicklungen in Ägypten allerdings nur eine nachrangige Rolle. Die „Institutionalisierung“ der MB in Hessen verlief unauffällig, da ihre Akteure nicht unter dem Namen der Bruderschaft auftraten. Nichtsdestotrotz bauten die in Hessen etablierten MB-Strukturen ihr Netzwerk fortlaufend aus.

Auf einen Blick

  • Umbenennung der IGD
  • Veranstaltungen der IGD
  • Europäisches Institut für Humanwissenschaften in Deutschland e. V. (EIHW)
  • Fatwa-Ausschuss in Deutschland

Umbenennung der IGD | Im November 2017 beschloss die Mitgliederversammlung der IGD ihre Umbenennung in Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG). Innerhalb der IGD hieß es, dass man dadurch die „Verbundenheit zu Deutschland stärker zum Ausdruck bringen“ habe wollen. Des Weiteren war die Umbenennung Thema im Rahmen der 36. Jahreskonferenz der IGD am 9. September in Hagen (Nordrhein-Westfalen). Im vereinsrechtlichen Sinne war die Namensänderung bis zum Ende des Berichtszeitraums formal noch nicht vollzogen.

Veranstaltungen der IGD | Um Kinder und Jugendliche frühzeitig in ihre Strukturen einzubinden, veranstaltete die IGD Kinder- und Jugendcamps. Das zweite IGD-Mädchencamp für 13- bis 17-Jährige fand vom 23. bis 25. März in Molzhain (Rheinland-Pfalz) statt, das entsprechende Jungencamp im gleichen Zeitraum in Ober-Mossau (Odenwaldkreis). Der Ausflug der IGD im Rahmen des Fastenbrechens führte am 24. Juni in einen Freizeitpark im Taunus. In Oberursel (Hochtaunuskreis) fand vom 21. bis 23. September das 13. Kindercamp für Jungen und Mädchen im Alter von acht bis zwölf Jahren statt. Erstmalig wurde vom 23. bis 25. November ein Frauencamp in Neu-Anspach (Hochtaunuskreis) angeboten.

Darüber hinaus trat die IGD als Organisatorin der überregionalen Veranstaltung „Islamleben“ auf, für die vorab unter dem Motto „Einheit in Vielfalt“ als Familienfest geworben worden war. Die Veranstaltung fand vom 31. August bis 2. September in Kirchheim (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) statt.

Europäisches Institut für Humanwissenschaften in Deutschland e. V. (EIHW) | Nachdem Ende November 2017 der Dekan des EIHW und der Dekan der Fakultet za islamske studije (Faculty of Islamic Studies) in Novi Pazar (Serbien) eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet hatten, plante das EIHW eine Ausweitung seines Studienangebots. So soll das Studium der Islamischen Wissenschaften auch in deutscher Sprache angeboten werden und für das Wintersemester 2018/2019 eine Fakultät für Koran und Koranwissenschaften am EIHW implementiert werden. Neben den Kontakten nach Serbien intensivierte das EIHW seine Beziehungen nach Dubai (Vereinigte Arabische Emirate). So schrieb das EIHW im Februar einen Vorentscheid zum Entsenden eines Kandidaten für Deutschland zu einem internationalen Koranrezitationswettbewerb in Dubai aus.

Insgesamt fanden im Berichtsjahr zahlreiche Veranstaltungen im EIHW statt, die von MB-/IGD-Funktionären – auch aus anderen Bundesländern – geleitet oder besucht wurden.

Fatwa-Ausschuss in Deutschland | Seit November 2018 war der in Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) ansässige Fatwa-Ausschuss in Deutschland mit einer deutschsprachigen Internetseite und in den sozialen Medien präsent. Laut eigenen Angaben handelt es sich bei der 2016 gegründeten Organisation um ein Gremium von Spezialisten, das in seiner Rechtsfindung von den Grundlagen und Zielsetzungen des Islam ausgeht, um dadurch das Leben der Muslime in Deutschland zu erleichtern. Tatsächlich basierten die vom Fatwa-Ausschuss in Deutschland veröffentlichten Fatwas auf den islamrechtlichen und islamisch-rituellen Vorgaben der Scharia, die nicht mit der freiheit­lichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind.

Der Fatwa-Ausschuss in Deutschland folgte den vom European Council for Fatwa and Research (ECFR) vorgegebenen Leitlinien. Das ECFR gehört dem europäischen Netzwerk der MB an und erlässt regelmäßig Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime. Maßgebliche Aufgabe des ECFR war es, sich als religiöse Instanz in Europa zu etablieren. So veröffentlichte der Fatwa-Ausschuss in Deutschland am 4. November auf Facebook einen Beschluss des ECFR in Bezug auf „Die europäische Tradition und ihre Auswirkung auf Fragen der muslimischen Frau“. Darin hieß es:

„Keine Berücksichtigung finden jene europäische Traditionen und Gepflogenheiten, welche im klaren Widerspruch zu definitiven und eindeutigen islamrechtlichen Texten stehen. Hierzu zählen unter anderem die Nivellierung der Differenzen zwischen dem Mann und der Frau im Erbrecht unter dem Deckmantel der Veränderung von Umstand und Zeit; Schließlich handelt es sich bei den Bestimmungen des Erbrechts und der verschiedenen Erbanteile um islamrechtliche Texte, welche definitiv gesichert sind und sich unter keinen Umständen der Veränderungen von Raum und Zeit beugen“.
(Schreibweise wie im Original.)

Entstehung/Geschichte

In einer Phase des sozialen Umbruchs in Ägypten, in der sich ein neuer Mittelstand herausbildete, gründete 1928 der Volksschullehrer Hasan al-Banna (1906 bis 1949) die MB als Reaktion auf die zunehmende Europäisierung des Landes. Als Wohlfahrtsorganisation islamischer Prägung, die unter anderem Krankenhäuser und Schulen unterhielt, entwickelte sich die streng hierarchisch aufgebaute MB zunehmend zum Staat im Staat. Unter der Führung al-Bannas verfolgte die MB nach und nach im Wesentlichen folgende Ziele: die Eliminierung des britischen Einflusses in Ägypten, die Islamisierung von Staat und Gesellschaft sowie die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Vor allem mit ihrer karitativen Arbeit gewannen die MB und ihre in anderen Ländern gegründeten Ableger immer mehr Anhänger.

Auf einen Blick

  • Vom Verbot zur Regierung
  • Die MB in Deutschland

Vom Verbot zur Regierung | In den 1940er und 1950er Jahren waren die Beziehungen zwischen der MB und dem ägyptischen Staat von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt. 1948 wurde der ägyptische Ministerpräsident Mahmud Fahmî an-Nuqrâshî (geb. 1888) ermordet, 1949 fiel Hasan al-Banna einem Attentat zum Opfer. 1954 verbot die Regierung die MB; ihr maßgeblicher Ideologe, Sayyid Qutb (geb. 1906), wurde 1966 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Ungeachtet der Generalamnestie für führende MB-Funktionäre im Jahr 1971 dauerten die Gewalttaten militanter islamistischer Gruppen, die ihre Aktionen unter Berufung auf die Schriften Sayyid Qutbs rechtfertigten, an. Eine militante Abspaltung der MB ermordete 1981 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat (geb. 1918). Sein Nachfolger Husni Mubarak gewährte der MB den Status als religiöse Bewegung, nicht aber den einer politischen Partei. Als Konsequenz entsandte die MB vermeintlich unabhängige Bewerber und Kandidaten auf Wahllisten anderer Parteien in die Parlamentswahlen. Bei den Wahlen im Jahr 2005 vervierfachte die MB die Zahl ihrer Abgeordneten auf 88 und errang damit etwa ein Fünftel der Sitze im ägyptischen Parlament. Nach dem von Massenprotesten der Opposition erzwungenen Rücktritt Mubaraks 2011 erlangten die MB und andere Islamisten bei den Wahlen etwa 70 Prozent der Abgeordnetenmandate.

Als politischer Arm der MB gründete sich im Februar 2011 die Hizb al-Hurriya wal-Adala (Partei der Freiheit und Gerechtigkeit). Ihr Vorsitzender Mohammed Mursi, zugleich ein führender MB-Funktionär, wurde 2012 zum ägyptischen Staatspräsidenten gewählt. Aufgrund der angespannten Wirtschaftslage und anhaltender Proteste gegen die Partei der Freiheit und Gerechtigkeit setzte das ägyptische Militär Mohammed Mursi im Juli 2013 ab. Im September 2013 verbot ein ägyptisches Gericht die MB nebst allen ihr zugehörigen Organisationen. Seit dem Dezember 2013 ist die MB in Ägypten als Terrororganisation eingestuft.

Die MB in Deutschland | 1960 gründete Said Ramadan (1926 bis 1995), ein Schwiegersohn al-Bannas und hoher MB-Funktionär, in München (Bayern) die Moscheebau-Kommission e. V. Zusammen mit Sayyid Qutb hatte er in den 1950er Jahren Ägypten verlassen und Ableger der MB in Jordanien, Syrien, Saudi-Arabien und im Libanon ins Leben gerufen. Durch Umbenennungen gingen aus der Moscheebau-Kommission e. V. im Jahr 1962 die Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e. V. und im Jahr 1982 die IGD hervor.

Ideologie/Ziele

Der ideologische Ursprung der MB geht auf ihren Gründer Hasan al-Banna zurück. Zentrale Elemente der MB-Ideologie sind bis heute im Selbstverständnis zahlreicher islamistischer und islamistisch-­terroristischer Organisationen präsent. In dem im Rahmen ihrer Ideologie von der MB angestrebten System bilden Islam und Politik eine unauflösbare Einheit, in der weder die Volkssouveränität noch die Freiheit und Gleichheit der Menschen einen demokratisch legitimierten und geschützten Raum finden.

Auf einen Blick

  • Durchsetzung der Scharia
  • „Der Koran ist unsere Verfassung“

Durchsetzung der Scharia | Die Ideologie der MB zielt auf die Errichtung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung, deren Grundlage Koran und Sunna sowie die Scharia bilden. Dabei ist die Durchsetzung der Scharia ein wesentlicher Bestandteil der MB-Ideologie, da sie die Rechts- und Gesellschaftsordnung bestimmt und somit die wichtigste Grundlage des politischen und sozialen Lebens ist.

„Der Koran ist unsere Verfassung“ | Das Motto der MB lautet: „Allah ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Allah ist unser nobelster Wunsch“. Ebenso wie sein Vorgänger Muhammad Mahdi Akif gehört Muhammad Badi, der „oberste Führer“ (arab. murshid amm) der MB, dem konservativen Lager der Organisation an. Er fordert von der arabischen Welt, die Verhandlungen mit Israel einzustellen und durch den „heiligen Jihad“ zu ersetzen.

Strukturen

In Europa bzw. in Deutschland bestand ein weit verästeltes Netzwerk der MB, mit dessen Hilfe deren Sympathisanten und Angehörige versuchten, Ideologie und Ziele der MB zu verbreiten. Dabei trat die Organisation in Deutschland nicht offen in Erscheinung.

Auf einen Blick

  • Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE)
  • Strukturen der IGD bzw. DMG
  • Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG) in Frankfurt am Main
  • EIHW als Kaderschmiede für MB- und IGD-Funktionäre

Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) | In Europa wird die streng hierarchisch organisierte MB durch die FIOE, einen europäischen Dachverband MB-naher Organisationen mit Sitz in Brüssel (Belgien), vertreten. Eigenen Angaben zufolge vereinigt die FIOE Organisationen aus 28 Staaten, darunter viele nationale Dachverbände.

Strukturen der IGD bzw. DMG | In Deutschland ist die mittlerweile in DMG umbenannte IGD mit Hauptsitz in Köln (Nordrhein-Westfalen) die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern. Die IGD repräsentiert den ägyptischen Zweig der MB und ist seit ihrer Gründung Mitglied der FIOE. Der IGD sind bundesweit verschiedene Moscheegemeinden und sogenannte Islamische Zentren zuzuordnen, die formal von ihr unabhängig sind, aber Kontakte zu ihr unterhalten. In Hessen befanden sich solche Zentren in Frankfurt am Main und Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf).

Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG) in Frankfurt am Main | Ähnlich wie der European Coucil for Fatwa and Research (ECFR, Europäischer Rat für Fatwa und Forschung) unter dem Vorsitz des MB-Ideologen Yusuf al-Qaradawi auf europäischer Ebene erhebt der RIG für Deutschland den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen der Koranauslegung für hier lebende Muslime zu fungieren. Der RIG, der seit 2004 mit Sitz in Frankfurt am Main besteht, ist sowohl organisatorisch als auch ideologisch der IGD nahe.

EIHW als Kaderschmiede für MB- und IGD-Funktionäre | 2012 wurde das EIHW mit Sitz in Frankfurt am Main nach dem Vorbild der Europäischen Institute für Humanwissenschaften in Großbritannien (European Institute of Human Sciences, EIHS) und in Frankreich (Institut Européen des Sciences Humaines, IESH) als Verein gegründet. 2013 nahm das EIHW seinen Lehrbetrieb auf. Der Verein wird durch den RIG und die IGD unterstützt. Als Schulungsstätte dient das EIHW der Verbreitung der MB-Ideologie und ist eine Kaderschmiede für MB- und IGD-Funktionäre.

Bewertung/Ausblick

Mit einer legalistischen Strategie, das heißt ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen, versuchten MB-Anhänger bzw. der MB nahestehende Organisationen ihrer Ideologie zur Akzeptanz in der Gesellschaft zu verhelfen. Dazu verhielten sich die entsprechenden Protagonisten nach außen offen, tolerant und dialogbereit, um so Einfluss auf das öffentliche Leben zu gewinnen. Diese legalistische Strategie wenden MB-Anhänger sowohl deutschlandweit als auch auf europäischer Ebene an und vermeiden in der Öffentlichkeit bewusst islamistische Aussagen.

Durch die Umbenennung der IGD in DMG versuchte sich die Organisation offenbar als unbelastete Ansprechpartnerin für einen offenen, gemäßigten Islam zu präsentieren und die mittlerweile auch öffentlich bekannt gewordene Verbindung der IGD zur MB zu verschleiern.

Das EIHW strebte möglicherweise über die Kooperation mit einer ausländischen Hochschule an, einen staatlich anerkannten Studiengang zu implementieren und sich als anerkannte Bildungsstätte zu positionieren. Hierfür spricht auch die stetige Ausweitung des Studienangebots. Hierdurch würde das EIHW seinen Adressatenkreis deutlich erweitern.

Neben Verhaltensempfehlungen in rein religiösen Fragen gab der Fatwa-Ausschuss in Deutschland auch schariakonforme Empfehlungen zur Regelung des menschlichen Zusammenlebens, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar waren. Aufgrund der Ausweitung des deutschsprachigen Angebots ermöglichte der Fatwa-Ausschuss in Deutschland die Verbreitung des islamistischen Gedankenguts der MB an einen größeren Personenkreis.

Millî-Görüş-Bewegung

Definition/Kerndaten

Unter der Bezeichnung Millî-Görüş-Bewegung fasst das LfV bestimmte islamistische Bestrebungen türkischen Ursprungs zusammen. Ihr verbindendes Element liegt in der grundlegenden Orientierung an der Ideologie der türkischen Bewegung Millî Görüş (dt. nationale Sicht). Diese beruht auf den Ideen zur „Errichtung einer Großtürkei“ des Gründers der Bewegung, Necmettin Erbakan (1926 bis 2011). Zur Millî-Görüş-Bewegung (etwa 1.450 Anhänger in Hessen, bundesweit etwa 10.000) gehörten

  • der Landesverband Hessen der Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit),

  • die Ismail Agâ Cemaati (IAC),

  • Teile der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş e. V. (IGMG),

  • die Erbakan Vakfi Hessen (Erbakan-Stiftung) und

  • die Millî Gazete (Nationale Zeitung), Tageszeitung der Millî-
    Görüş-Bewegung.

Ereignisse/Entwicklungen

Aufgrund eines zielgerichteten und weitreichenden Veranstaltungsangebots gelang es der SP in Hessen, im Berichtsjahr sowohl ihre Mitglieder als auch ihren Jugendnachwuchs weiter an die Organisation zu binden und somit das Gemeinschaftsgefüge zu stärken. Dabei ließen regelmäßige Gastauftritte und -vorträge hochrangiger außerhessischer und auch türkischer SP-Funktionäre auf den hohen Stellenwert des Landesverbands in Hessen für die türkische Mutterpartei und ihren europäischen Ableger schließen. Die Aktivitäten der IAC und ihrer Anhänger in Hessen blieben weitestgehend konstant. Nach wie vor kehrte ihr 2015 aus Deutschland ausgewiesenes Oberhaupt Nusret Çayir nicht aus der Türkei zurück.

Auf einen Blick

  • Erbakan-Gedenkveranstaltung des SP-Landesverbands Hessen
  • Bezug und Nutzung neuer Räumlichkeiten
  • Jugendaktivitäten im SP-Landesverband Hessen
  • Live-Übertragung islamistischer Predigten

Erbakan-Gedenkveranstaltung des SP-Landesverbands Hessen | Da sich am 27. Februar der Todestag des Begründers der Millî-Görüş-Bewegung zum 7. Mal jährte, organisierte die Bewegung in Großkrotzenburg (Main-Kinzig-Kreis) eine große Gedenkveranstaltung unter dem Motto „Moral, Gerechtigkeit und Frieden“ für ihr verstorbenes Vorbild. Unter den zahlreichen Teilnehmern befanden sich – neben Anhängern und SP-Funktionären aus Hessen – hochrangige Abgesandte der SP-Europavertretung und der türkischen SP, die zum Teil auch als Referenten auftraten. Die Gedenkveranstaltung wurde zusätzlich durch auf die Millî-Görüş-Ideologie bezogene Gebete sowie Video- und Musikbeiträge untermalt. Auch die Millî Gazete war mit einem Stand zur Präsentation ihrer Druckerzeugnisse vertreten.

Bezug und Nutzung neuer Räumlichkeiten | Nachdem die Anhänger des SP-Landesverbands Hessen ihre regelmäßigen Treffen in der Vergangenheit an wechselnden Orten veranstaltet hatten, standen ihnen spätestens seit Ende Mai feste Räumlichkeiten zur Verfügung. Dieser neue, zentrale Anlaufpunkt für die Anhänger der SP in Hessen befand sich in einem Mehrzweckgebäude in Hanau (Main-Kinzig-Kreis). Dort fanden seither die regulären und anlassbezogenen Zusammenkünfte des SP-Landesverbands statt, auch mit regelmäßiger Beteiligung von Funktionären der europäischen und der türkischen SP. Im Vorfeld der Parlamentswahlen in der Türkei Ende Juni wurden dort interessierte Mitglieder hinsichtlich des Parteiprogramms und der Formalitäten einer Wahlbeteiligung geschult.

Ebenfalls in Hanau veranstaltete der SP-Landesverband Hessen sein traditionelles Fastenbrechen im Rahmen des Ramadan. Auch zu dieser Veranstaltung waren hochrangige Vertreter der europäischen und der türkischen SP als Referenten geladen, um den Teilnehmern den Missionsauftrag der Millî-Görüş-Bewegung zu vermitteln.

Jugendaktivitäten im SP-Landesverband Hessen | Die SP legte großes Engagement an den Tag, um Nachwuchs in der Jugend zu gewinnen oder bereits aktive Jugendliche fester an sich zu binden. So fanden Besuche bei Jugendlichen zu Hause statt, bei denen die Funktionäre in Form von Gruppengesprächen religiöse Inhalte und auch spezifische Themen der Millî-Görüş-Ideologie vermittelten. Ähnlich wie im Vorjahr wurden ergänzend Vortragsveranstaltungen mit außerhessischen SP-Funktionären durchgeführt, so etwa eine Schulungsveranstaltung mit dem Verantwortlichen für die europäischen Jugendverbände der SP als Referenten. Inhaltlich wurde dabei der Schwerpunkt auf Necmettin Erbakans Rolle als politischer Führer gelegt. Derselbe Referent wurde in der medialen Berichterstattung anlässlich eines Vortrags vor anderen SP-Anhängern mit den Worten zitiert, dass die SP das Ziel habe, „wieder ‚eine Großtürkei und eine neue Welt zu schaffen‘“. Eine weitere, an die Jugend adressierte Bildungsveranstaltung fand mit einem Referenten aus dem Parteivorstand der türkischen SP statt. Darüber hinaus umfasste das Betreuungsangebot der SP für die Jugendlichen unterschiedliche Freizeitaktivitäten in einem gleichgestimmten Umfeld.

Live-Übertragung islamistischer Predigten | Seit der Ausweisung des selbsternannten Oberhaupts der IAC-Gemeinde in Europa 2015 reiste dieser bislang nicht wieder nach Deutschland ein und hielt sich unverändert in der Türkei auf. Seine Predigtveranstaltungen wurden auch im Berichtsjahr weiterhin in einer Moschee im Raum Frankfurt am Main per Live-Schaltung aus der Türkei übertragen. Die islamistischen Predigten waren nach wie vor von beständiger Kritik an der „westlichen“ Lebensweise, antidemokratischen sowie mitunter antisemitischen Elementen geprägt. Dabei hatte die fortwährende Abwesenheit des Predigers offensichtlich keinen nachteiligen Einfluss auf dessen Anziehungskraft. Nach wie vor wurden die Predigtveranstaltungen von IAC-Anhängern in einer Größenordnung von bis zu mehreren hundert Personen besucht.

Entstehung/Geschichte

1969 gründete Necmettin Erbakan in der Türkei die Millî-Görüş-Bewegung und stellte sich damit gegen die vom Gründer der modernen Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk (1881 bis 1938), eingeführte Trennung von Staat und Religion. Auf diese Weise wollte Erbakan die Säkularisierung des Landes rückgängig machen und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben erneut islamisieren.

Auf einem Blick

  • Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei und in Deutschland
  • SP als Repräsentantin der Millî-Görüş-Bewegung
  • Rolle der IAC in der Türkei

Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei und in Deutschand | 1970 wurde als politische Vertretung der Millî-Görüş-Bewegung die Millî Nizam Partisi (MNP, Nationale Ordnungspartei) gegründet. 1973 verfasste Erbakan das für die Ideologie der Bewegung noch immer wegweisende Buch „Millî Görüş“. Über Parteiverbote und Parteineugründungen sowie ein zweimal verhängtes Politikverbot für Erbakan führte der Weg der Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei bis zur 2001 gegründeten und noch heute existenten SP. Erbakan war in der Türkei mehrere Male stellvertretender Ministerpräsident und bekleidete 1996/97 das Amt des Ministerpräsidenten.

1976 entstand in Köln (Nordrhein-Westfalen) als Ableger der Millî-Görüş-Bewegung die Türkische Union Europa e. V. Sie benannte sich 1982 in Islamische Union Europa e. V. (IUE) um. 1984 kam es innerhalb der IUE zu Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung des Vereins. Als Folge gründete sich 1985 in Köln die Avrupa Millî Görüş Teşkilatları (AMGT, Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.) als Nachfolgeorganisation der mittlerweile bedeutungslos gewordenen IUE.

Aus der AMGT gingen 1995 die Europäische Moscheebau und ­Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) und die IGMG hervor. Organisatorisch waren beide in einen wirtschaftlichen und einen ideellen Bereich getrennt. Aufgabe der EMUG ist die umfangreiche Grund­stücksverwaltung und Betreuung der AMGT- und IGMG-Vereine. Die IGMG ist auf die religiösen Belange ihrer Mitgliedsvereine ausgerichtet. Viele Moscheevereine änderten in der Folge den Namenszusatz AMGT in IGMG. Die Zugehörigkeit zur Millî-Görüş-Bewegung blieb jedoch erhalten und zeigte sich oftmals auch in personellen Überschneidungen von AMGT und IGMG.

SP als Repräsentantin der Millî-Görüş-Bewegung | Auf politischer Ebene vertritt die von Necmettin Erbakan gegründete SP die Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei. Die SP ging aus der verbotenen Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) Erbakans hervor, aus der damals auch die jetzige türkische Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) entstand. Der Einfluss der SP auf die politische Willensbildung im Land ist aufgrund ihres geringen Wählerpotenzials kaum wahrnehmbar. Obwohl sich die AKP mit der Zeit von der ursprünglichen Ideologie der Millî-Görüş-Bewegung distanzierte, verbinden sie mit der SP dieselben konservativen Wurzeln.

Rolle der IAC in der Türkei | Die IAC ist der Bruderschaft der Naqshbandiya zuzuordnen, die im 14. Jahrhundert in Zentralasien entstand. Ihr Gründer, Baha‘ ad-Dîn Naqshbandî (1318 bis 1389) aus Buchara (heutiges Usbekistan), steht in einer Reihe sogenannter Meister in Zentralasien, die mystische Gemeinschaften gründeten. Die sunnitische Naqshbandiya entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zur bedeutendsten Bruderschaft und ist heute weltweit verbreitet. Ihr Handeln beruht auf einer religiös geprägten Lebensführung, wobei eine enge emotionale Bindung zwischen Schüler und Meister besteht. Unter anderem durch spezielle Meditationstechniken sucht der Schüler die unmittelbare mystische Gotteserfahrung. So versucht der Schüler durch schweigendes Denken an Allah (arab. dhikr) diesem so nahe wie möglich zu kommen.

Obwohl 1925 durch Atatürk verboten, spielte die Naqshbandiya-Bruderschaft im religiösen Leben in der Türkei eine bedeutende Rolle. Necmettin Erbakan und das in der Türkei lebende spirituelle Oberhaupt der Bruderschaft, Scheich Mahmud Ustaosmanoğlu, pflegten engen Kontakt zu dem einflussreichen türkisch-sunnitischen Naqshbandiya-Scheich Mehmet Zaid Kotku (1897 bis 1980) und wurden durch ihn geprägt. Kotku war eine der führenden Personen des Naqshbandiya-Ordens.

Ideologie/Ziele

Ebenso wie andere islamistische Bewegungen will die Millî-Görüş-Bewegung eine auf den Rechtsvorschriften der Scharia beruhende islamische Ordnung realisieren. Da in der früher streng laizistisch orientierten Türkei das Propagieren eines entsprechenden Konzepts gravierende rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte, führte Erbakan neue Begrifflichkeiten ein.

Auf einen Blick

  • „Gerechte“ und „nichtige“ Ordnung

„Gerechte“ und „nichtige“ Ordnung | Gemäß Erbakans Grundsätzen gibt es in der Welt eine gerechte (türk. adil düzen) und eine nichtige Ordnung (türk. batıl düzen). Ziel müsse es sein, die schlechte, tyrannische, auf menschlicher Willkür sich gründende und daher vergängliche Ordnung durch die gute, von Allah vorgegebene und angeblich auf Wahrheit fußende Ordnung zu überwinden. Dies sei allein durch die Millî Görüş zu erreichen, welche die Verwirklichung dieser Gedanken in der Türkei propagiert, wo eine islamische Staats- und Gesellschaftsordnung nach den Grundlagen von Koran und Sunna geschaffen werden soll. Die Millî-Görüş-Bewegung verbindet in ihrer Gesamtheit einen universalen türkisch-nationalistischen mit einem islamistischen Ansatz.

Strukturen

Die Millî-Görüş-Bewegung setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, deren gemeinsame Grundlage die ideologisch-religiöse Orientierung an den Vorstellungen Necmettin Erbakans bildet.

Auf einen Blick

  • SP
  • IAC
  • IGMG
  • Millî Gazete
  • Erbakan Vakfı (Erbakan-Stiftung)

SP | Seit einigen Jahren entstehen deutschlandweit Ableger der SP, die Anhänger und Wählerpotenzial in Deutschland aktivieren, um die Politik der Mutterpartei in der Türkei zu unterstützen. Dabei vertraten die SP-Strukturen in Deutschland die politische Ausrichtung der Ideologie Necmettin Erbakans innerhalb der Millî-Görüş-Bewegung.

IAC | Feste Vereinsstrukturen der IAC gab es in Hessen nicht, sie war lediglich im Rahmen regelmäßig stattfindender Veranstaltungen aktiv.

IGMG | Die IGMG als weltweit verbreitete Organisation verfügte über 520 Moscheevereine in 34 Regionalverbänden. Die IGMG war nicht in der Gesamtheit ihrer Mitglieder der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung zuzurechnen. Teile der IGMG befanden sich in einem Prozess des Abwendens von der extremistischen Ideologie Erbakans. Es lagen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass einige IGMG-Ortsvereine weiterhin der Millî-Görüş-Ideologie Erbakans folgten und bestrebt waren, dessen Ziele perspektivisch umzusetzen. Neben einigen Ortsvereinen gehörten in Hessen der IGMG-Landesverband, der Frauen- und Jugendverband sowie die studentische Vereinigung Unikat e. V. zur Millî-Görüş-Bewegung.

Millî Gazete | Die türkische Tageszeitung Millî Gazete, deren Zentrale für die Europaausgabe sich in Frankfurt am Main befindet, infor­mierte in der Vergangenheit vorrangig über die IGMG, berichtete aber auch über die Aktivitäten der SP im In- und Ausland. In ihrem Selbstverständnis sah sich die Millî Gazete als einzige und unveränderliche Vertreterin der Millî-Görüş-Ideologie unter den Printmedien. In ihrem Namen führte die Millî Gazete – in deutscher Übersetzung – den Zusatz „die gerechte Ordnung wird kommen“. Immer wieder hob die Zeitung in ihren Artikeln Necmettin Erbakan als Retter der Welt hervor und rühmte dessen Ideologie der Errichtung einer neuen Welt, in welcher der Islam wiederbelebt werde und über allen anderen Ordnungen stehe. Damit bildete die Millî Gazete ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Elementen der Millî-Görüş-Bewegung.

Erbakan Vakfı (Erbakan-Stiftung) | Die im Jahr 2013 vom Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan, in der Türkei gegründete Stiftung beanspruchte, Erbakans Ideologie zu vertreten und die Erinnerung an ihn aufrechtzuerhalten. In Hessen trat sie bisher kaum in Erscheinung.

Bewertung/Ausblick

Wie in den vorangegangenen Jahren zeigte sich die SP durch zahlreiche unterschiedliche Veranstaltungsangebote für ihre Mitglieder und Anhänger präsent. Die regelmäßige Anwesenheit hochrangiger Vertreter aus den Reihen der SP außerhalb Hessens unterstrich den hohen Stellenwert des hiesigen SP-Landesverbands.

Die neue Zentrale des SP-Landesverbands in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) als fester Anlaufpunkt für diese Veranstaltungen und anderweitige Zusammenkünfte bot Funktionären und Anhängern gleichermaßen die Rahmenbedingungen für die Fortführung ihrer islamistischen Bestrebungen. Mit einem Nachlassen der Intensität der Aktivitäten des SP-Landesverbands ist mittelfristig nicht zu rechnen.

Die Aktivitäten der IAC erfuhren keine merklichen Veränderungen. Obwohl sich das Oberhaupt der IAC in Europa, Nusret Çayir, seit ­seiner Ausweisung 2015 in der Türkei aufhielt, waren dessen Predigtveranstaltungen weiterhin über einen Internet-Live-Stream in regelmäßigen Abständen in einer Moschee zu empfangen und ver­zeichneten ein gleichbleibend hohes Besucheraufkommen. Mit einer zeitnahen Rückkehr Çayirs ist nicht zu rechnen, sodass – unveränderte Rahmenbedingungen vorausgesetzt – für die IAC in Hessen keine einschneidenden Änderungen absehbar sind.

Türkische Hizbullah (TH)

Definition/Kerndaten

Nachdem Angehörige der TH in den 1990er Jahren zahlreiche Morde und andere Gewalttaten begangen hatten, zerschlug der türkische Staat die Terrorgruppe 1999/2000. Dabei wurde der TH-Anführer Hüseyin Velioǧlu in einem Feuergefecht mit der Polizei getötet. Durch Flucht nach Westeuropa (unter anderem nach Deutschland, Österreich, Italien und in die Schweiz) entzogen sich TH-Aktivisten den staatlichen Maßnahmen in der Türkei. Einzelne Führungsaktivisten sollen sich in den Iran abgesetzt haben. TH-Angehörige nutzen Deutschland seitdem als Rückzugsraum, um sich personell und logistisch zu reorganisieren. Die Aktivisten sammeln hier vor allem Spenden und vertreiben Publikationen. Die letzte bekannt gewordene Gewalttat der TH in der Türkei, bei der sechs Polizisten getötet wurden, ereignete sich 2001. Nicht zu verwechseln ist die sunnitische TH mit der schiitisch orientierten Hizb Allah (Partei Gottes) im Libanon.

Anhänger/Mitglieder: In Hessen etwa 140, bundesweit etwa 400
Medien (Auswahl): Doğru Haber (Wahre Nachricht), İnzar (Warnung) und das Kindermagazin

Çocuk (Kind)

Abgebildet ist das Logo der Türkischen Hizbullah mit dem entsprechenden arabischen Schriftzug, unter dem im Original in türkischer Sprache in Großbuchstaben steht: Hizbullah Gemeinschaft.

Ereignisse/Entwicklungen

Die Vahdet Moschee in Wiesbaden, getragen von dem Moscheeverein Elazig Bingöl Kültür ve Dayanisma Dernegi-Vahdet e. V., war im Berichtsjahr ein wichtiger Stützpunkt der TH in Deutschland. Nachdem öffentlich über die Vahdet Moschee berichtet worden war, stellte der Moscheeverein weitgehend alle außenwirksamen Aktivitäten ein und verhielt sich unauffällig. Der Imam der Vahdet Moschee und zugleich ein bedeutsamer Agitator der TH wurde, nachdem er mehrere Monate in der Moschee aktiv gewesen war, im Juli in die Türkei abgeschoben.

Auf einen Blick

  • Schwerpunkt Wiesbaden
  • „Aufwecken“ des Jihad-Gedankens

Schwerpunkt Wiesbaden | Die hohe bundesweite Bedeutung der Vahdet Moschee für die TH wurde durch die Großveranstaltungen – wie etwa die Europaveranstaltung Kutlu Doğum (dt. Heilige Geburt des Propheten) –, die in den vergangenen Jahren unter Federführung der Vahdet Moschee stattfanden, deutlich.

„Aufwecken“ des Jihad-Gedankens | Der Herausgeber des islamistischen, israelfeindlichen, antidemokratischen und „antiwestlichen“ Magazins İnzar (Warnung) war seit 2017 Imam der Vahdet Moschee. Zugleich war der Imam einer der wichtigsten Agitatoren und Propagandisten der TH-Ideologie. So hieß es im Berichtsjahr in dem von ihm herausgegebenen Magazin mit Bezug auf eine Sure im Koran:

„Der palästinensische Staat gehört den Palästinensern. Der islamische Boden, auch wenn es nur ein Fußbreit sein sollte, ist den Ungläubigen verboten. Denn Gott sagt: ,Und kämpft um Gottes Willen gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen… (Bakara, 2/190). Und tötet Sie, wo ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben! Der Versuch[, Gläubige zum Abfall vom Islam] zu verführen, ist schlimmer als Töten“.
(Schreibweise wie im Original.)

Ebenso wurde im Berichtsjahr in einem İnzar-Artikel der MB-Angehörige Izz al-Din al-Qassam (1882 bis 1935) zitiert. Während des von Großbritannien ausgeübten Völkerbundmandats für Palästina (1920 bis 1947) hatte er als militanter Verfechter des Jihad sowohl die Briten als auch die dortige zionistische Bewegung bekämpft und war im heutigen Westjordanland von britischen Soldaten erschossen worden:

„Es ist nicht unbedingt bedeutsam, dass wir diesen Krieg gewinnen. Wichtiger ist es, dass wir der islamischen Gemeinschaft und den zukünftigen Generationen eine Lehre zuteilwerden lassen, so dass der Jihad-Gedanke in ihnen auferweckt wird“.

Bereits 2015 hatte in der Zeitschrift İnzar gestanden:

„Der Herr sagt, ,Der Kampf/Krieg ist Pflicht für euch, aber ihr mögt ihn nicht‘. Das bedeutet jedoch nicht und soll auch nicht bedeuten, dass wir nicht jeden Moment bereit für den Krieg sind. Der Schutz des Lebens, des Eigentums, der Generation, des Geistes und der Religion vor den fremden Kräften ist ohne Kriegskönnen nicht möglich“.

Am 17. Juli wurde der Imam in die Türkei abgeschoben. Nach der öffentlichen bzw. medialen Berichterstattung über die Extremismusbezüge der Vahdet Moschee sagte diese größere Veranstaltungen der TH bzw. eigene Treffen in Hessen ab und stand dadurch nicht mehr im öffentlichen Fokus.

Entstehung/Geschichte

Im Raum Diyarbakır, der Hochburg der Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans), entstand in der Stadt Batman im Südosten der Türkei die TH, als sich in den 1980er Jahren muslimische Kurden zu einer Organisation zusammenschlossen.

Auf einen Blick

  • Islamistischer Gegenentwurf zur PKK
  • Aktivisten im Untergrund

Islamistischer Gegenentwurf zur PKK | Als islamistischer Gegenentwurf zur PKK kämpfte die TH zwischen Ende der 1980er und Mitte der 1990er Jahre gewaltsam sowohl gegen die damals säkular-linksextremistisch ausgerichtete kurdische Terrororganisation als auch gegen den türkischen Staat. Dabei folterten und töteten TH-Angehörige mehrere hundert Menschen. Intern bekämpften sich zwei miteinander verfeindete Lager der TH mit Gewalt, wobei die mit der ägyptischen MB sympathisierende Ilim-Gruppe schließlich die Oberhand gewann. Insgesamt werden der TH eine Vielzahl von Morden – unter anderem an liberalen türkischen Journalisten, Staatsvertretern und „Verrätern“ aus den eigenen Reihen – sowie Folterungen zur Last gelegt.

Aktivisten im Untergrund | Im Verlauf umfassender Exekutivmaßnahmen des türkischen Staats gegen die TH wurde im Jahr 2000 in Istanbul der TH-Anführer Hüseyin Velioǧlu getötet. Funktionäre wurden festgenommen und seitdem mehrere tausend TH-Angehörige verhaftet. 2011 wurden in der Türkei aufgrund einer Gesetzesänderung zahlreiche TH-Funktionäre unter gerichtlichen Meldeauflagen aus der Haft entlassen. Der größte Teil ist seitdem untergetaucht. Ihren militärischen Flügel baute die TH mittlerweile neu auf, sie bildete neue Kämpfer aus und beschaffte sich erneut Waffen und Sprengstoff.

Ideologie/Ziele

In der 2004 veröffentlichten Schrift „Kendi dilinden Hizbullah“ (dt. Die Hizbullah in eigenen Worten) sind die ideologischen Leitlinien der TH dargelegt. Danach seien Differenzen in der islamischen Welt und die Herrschaft nichtislamischer Regierungen die Ursache aller Probleme. Laut einer Erklärung aus dem Jahr 2012 soll das politische System in der Türkei legal und gewaltfrei überwunden und eine islamische Herrschaft errichtet werden.

Auf einen Blick

  • Schaffung eines islamischen Gottesstaats
  • Strategiewechsel seit 2000
  • Antisemitische und „antiwestliche“ Propaganda in
    TH-Publikationen

Schaffung eines islamischen Gottesstaats | Ziel der TH ist es, in der Türkei einen islamischen Gottesstaat zu errichten und diesen auf die gesamte Welt auszudehnen. Die „westliche“ Welt, insbesondere die USA und der Staat Israel, zählen zu den Feindbildern der TH. In der im Jahr 2004 veröffentlichten Schrift „Kendi Dilinden Hizbullah“ beschreibt die TH ihre Ziele wie folgt:

„Tausendfacher Dank an Gott, der uns die Hizbullah-Gemeinde und die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde geschenkt hat, die sich auf das Kampffeld begeben hat, um die Herrschaft des Islam überall zu verbreiten. […] Mit dem Wunsch eine vereinte islamische Umma zu gründen, in der […] die göttliche Gerechtigkeit herrscht und die Hadd-Strafen gelten, haben wir das Kämpfen für diesen Glauben und dieses Ziel als unser islamisches Bekenntnis und als eine Notwendigkeit des Islam nach dem Verständnis des Propheten betrachtet. Für solch eine heilige Mission zu kämpfen, Schmerz und Folter zu erdulden und sogar als Märtyrer zu sterben, haben wir als eine Ehre empfunden. Auch in der Zukunft werden wir dieser heiligen Mission und diesen Werten verbunden bleiben und es als Ehre und Würde empfinden, dafür zu kämpfen“.

Strategiewechsel seit 2000 | Neue Gewalttaten macht die TH von dem „Erfolg“ ihres Strategiewechsels abhängig: In der Türkei will sie sich als einflussreiche gesellschaftliche Organisation etablieren und sich hierdurch steigende politische Unterstützung sichern. Hierfür intensiviert sie – ähnlich wie die Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische Widerstandsbewegung) im Nahen Osten – ihre Anstrengungen unter anderem im sozialen Bereich und verzichtet in ihrer Außendarstellung auf Gewalt. Mit Spendenkampagnen im Rahmen von Notsituationen versuchte die TH Einfluss zu gewinnen.

Antisemitische und „antiwestliche“ Propaganda in TH-Publikationen | Die ideologischen Leitlinien der TH, insbesondere antisemitische und antidemokratische Äußerungen, finden regelmäßig Eingang in Magazine, die der TH nahestehen oder dieser zuzurechnen sind. So ist zum Beispiel in der Zeitschrift Doǧru Haber zu lesen:

„Sie [i. e. die Götzendiener] beschimpften uns mit den Worten wie Demokratie, Laizismus, Freiheit und Menschenrechte. […] Sie wollten den Juden dienen, sonst gar nichts! Komm, Scharia, komm und zerschlage alle diese falschen Götter!“

Strukturen

Strukturen der TH bestanden außerhalb der Türkei in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Deutschland diente dabei als Rückzugsraum zum finanziellen und personellen Aufbau der TH. Sie unterhielt in Deutschland – ebenso wie im Ausland – einige Moscheevereine, wobei die TH insgesamt straff organisiert ist. In Hessen bildete Wiesbaden den Schwerpunkt der Aktivitäten der TH.

Bewertung/Ausblick

Durch das verstärkt konspirative Verhalten nach der öffentlichen Berichterstattung über ihre islamistische Agitation versuchte die Vahdet Moschee in Wiesbaden, keine weiteren Anlässe zur Kritik zu geben, um aus dem öffentlichen Fokus zu gelangen. Inhaltlich und ideologisch fand jedoch keine Distanzierung des Moscheevereins vom Islamismus der TH statt.

Sonstige Beobachtungsobjekte

Im Folgenden wird ein Ableger von al-Qaida in Ostafrika als weitere relevante islamistische Gruppierung aufgeführt. Die Auflistung ist nicht abschließend.

Harakat al-Shabab al-Mujahidin (al-Shabab, Bewegung der Mujahidin-Jugend) | Ziele des somalischen al-Qaida-Ablegers al-Shabab sind die Errichtung eines islamischen Gottesstaats am Horn von Afrika, der Sturz der seitens der internationalen Gemeinschaft unterstützten somalischen Regierung sowie die Beteiligung am weltweiten gewaltsamen Jihad. Die Terrorgruppierung kontrollierte Teile Südsomalias und versuchte dort die Scharia nach ihrem rigiden salafistisch-jihadistisch gefärbten Islamverständnis durchzusetzen. Auf­grund des verstärkten militärischen Engagements der Afrikanischen Union (AU) wurde al-Shabab mithilfe des internationalen Truppenkontingents African Mission in Somalia (AMISOM) im Jahr 2012 aus Mogadischu und weiteren Gebieten verdrängt. Dennoch verübte die Terrormiliz vorwiegend in der Hauptstadt weitere schwere Anschläge, die zahlreichen Menschen das Leben kosteten.

Im Berichtsjahr kamen durch Selbstmordattentäter, die Autobomben und Schusswaffen verwendeten, mehr als 300 Menschen um, es gab über 200 Verletzte. Bevorzugte Anschlagsziele waren Hotelgebäude, Militärstützpunkte und Regierungsgebäude. Die in Somalia in „Konkurrenz“ zu al-Shabab stehende Terrororganisation IS bemühte sich relativ erfolglos, al-Shabab-Jihadisten abzuwerben.

In Deutschland verfügte al-Shabab über keine organisierte Unterstützungsstruktur; Sympathisanten und ehemalige Mitglieder der Terrormiliz gab es jedoch auch in Hessen. Im Oktober begann vor dem OLG Frankfurt am Main der Prozess gegen einen somalischen Staatsangehörigen. Ihm wurden versuchter Mord, Beihilfe zum Mord sowie Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung al-Shabab vorgeworfen.

Islamistische Straf- und Gewalttaten

Die überwiegende Anzahl der Straftaten ist mit 20 Fällen dem Phänomenbereich Jihadismus zuzurechnen und unter „andere Straftaten“ zusammengefasst. Der erhebliche Rückgang um 72 Delikte gegenüber dem Jahr 2017 erklärt sich in erster Linie durch die Änderung der polizeilichen Erfassungsrichtlinien in Bezug auf Verdachtsmeldungen des BAMF. Zahlreiche Ermittlungsverfahren, die mit Hinweisen aus BAMF-Verfahren in Verbindung stehen, sind somit den Vorjahren und nicht dem Anhörungsdatum in 2018 zuzurechnen. Die Anzahl der Gewaltdelikte beläuft sich auf einen Fall und weicht daher nicht von der Zahl aus dem Vorjahr (ein Fall) ab. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

2018 2017 2016 2015 2014
Deliktart
Tötung
Versuchte Tötung
Körperverletzung 1 1
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 1
Landfriedensbruch
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs, Luft- und Straßenverkehr
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 1
Gewalttaten insgesamt 1 1 1 1
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 3 1 1 3 1
Nötigung/Bedrohung 3 5 10 1
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 20 92 51 50 66
Straf- und Gewalttaten insgesamt 27 99 62 54 69
Impressum