Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2018

Linksextremismus

Merkmale

Die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines totalitären, sozialistisch-kommunistischen Systems oder einer angeblich „herrschaftsfreien Gesellschaft“ sind Ziele linksextremistischer Bestrebungen.

Auf einen Blick

Orthodoxer Kommunismus | Protagonisten dieses Teils des Linksextremismus wie zum Beispiel die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) orientieren sich an den Lehren von Karl Marx (1818 bis 1883) und Friedrich Engels (1820 bis 1895). Marx und Engels teilten Gesellschaften in Klassen ein und behaupteten, es gebe einen andauernden „Klassenkampf“. Auf der Ausbeutung der Klasse der Arbeiter („Proletariat“) durch die Klasse der „Kapitalisten“ fußt nach Auf­fassung orthodoxer Kommunisten – gegründet auf den Lehren von Marx und Engels – der „Kapitalismus“: Dieser führe zwangsläufig zu immer mehr Elend und Gewalt in der Gesellschaft. Der Kapitalismus könne nur durch eine Revolution, die eine Änderung der Eigentumsverhältnisse einschließe, beseitigt werden. Durch Umverteilung des Besitzes werde die alte Ordnung absterben und sich nach und nach eine kommunistische Gesellschaft entwickeln.

Neben Marx und Engels berufen sich orthodoxe Kommunisten auf Wladimir Iljitsch Uljanow (1870 bis 1924), genannt Lenin. Dieser glaubte, die Arbeiter könnten nur durch eine elitäre Kaderpartei zum richtigen „Klassenbewusstsein“ und zu einer erfolgreichen Revo­lution geführt werden. Nach der Erringung der Macht sei es Aufgabe dieser Partei, mittels einer „Diktatur des Proletariats“ die kommunistische Gesellschaft zu errichten und gewaltsam alle „konterrevolutionären“ Elemente zu bekämpfen.

Maoismus | Organisationen wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) orientieren sich an der chinesischen Variante des Kommunismus, dem Maoismus, der auf den Revolutionär Mao Zedong (1893 bis 1976) zurückgeht. Die von ihm 1937 verfassten Schriften sowie seine Politik der Ablehnung der damaligen Sowjetunion bilden die Grundlage der maoistischen Ideologie. Im Unterschied zum orthodoxen Kommunismus setzt sich für Maoisten die Revolution auch nach Erringung der Macht fort und kann sich gegen eigene kommunistische Strukturen richten. Darüber hinaus definierte der Maoismus nicht die Arbeiter, sondern – vor allem in Ländern der Dritten Welt – die Bauern als Träger der proletarischen Revolution.

Anarchismus | Anarchisten wie die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) lehnen – im Unterschied zu kommunistischen Organisationen – jegliche Herrschaft ab. Sie sehen den Staat als unterdrückerische Zwangsinstanz an, die zerschlagen werden müsse, wobei es – im Unterschied zu Marxisten-Leninisten – keiner Kaderpartei bedürfe. Anarchisten wenden sich gegen jegliche Institutionen, insbesondere gegen Parteien und Parlamente; sie selbst organisieren sich in nur wenig strukturierten Gruppen.

Autonome Vorstellungen | Die Positionen von Autonomen sind – verglichen mit denjenigen orthodox-kommunistischer Parteien – differenziert: Nicht die Partei, sondern das selbstbestimmte Individuum steht bei Autonomen im Mittelpunkt („Politik der ersten Person“). Nach autonomer Auffassung muss der Einzelne ständig um seine Befreiung von „strukturellen Zwängen“ kämpfen. Mit orthodoxen Kommunisten verbindet Autonome aber die Vorstellung von einer Welt, in der jeder im Rahmen einer kommunistischen Gesellschaft nach seinen Bedürfnissen leben und sich selbst verwirklichen kann. Dazu müssten alle „Systeme“, die dem Individuum Pflichten und Zwänge auferlegen, beseitigt werden. Zu diesen „Systemen“ gehören nach dem Verständnis von Autonomen unter anderem Demokratie und rechtsstaatliches Handeln.

Die Vorgehensweisen und die Zusammensetzung autonomer Zusammenschlüsse sind heterogen. Einige Autonome versuchen, Ideen anarchistischer Prägung in die Realität umzusetzen, zum Beispiel durch die Errichtung „gewalt- und herrschaftsfreier Räume“ in Form von Besetzungen oder der Verwaltung von Gebäuden. Andere Autonome engagieren sich weiterhin in der Bündnis- und Netzwerkarbeit, wobei sie zunehmend nichtextremistische Unterstützer zu gewinnen versuchen.

Um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen, halten Autonome generell die Anwendung von Gewalt für ein legitimes Mittel. Insbesondere auf Grund ihrer „militanten Aktionen“ stellen Autonome eine konstante Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland dar.

Linksextremistisches Personenpotenzial1

Das Personenpotenzial in linksextremistischen Gruppierungen ist in Hessen konstant geblieben.

2018 2017 2016 2015 2014
Autonome
Hessen 400 400 400 340 340
Bund 7.400 7.000 6.800 6.300 6.100
Anarchisten
Hessen 70 70 70 60 70
Bund 800 800 800 800 800
Sonstige Linksextremisten (Marxisten-Leninisten, Trotzkisten u. a.)
Hessen 2.400 2.400 2.400 2.400 2.200
Bund 24.000 21.400 21.800 20.300 21.100
Gesamtzahl der Linksextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften)
Hessen 2.570 2.570 2.570 2.500 2.300
Bund1 32.000 29.500 28.500 26.700 27.200


1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet.

Autonome

Definition/Kerndaten

Autonome sind undogmatische und organisationskritische Linksextremisten, die sich an verschiedenen, zum Teil diffusen kommunistischen und anarchistischen Deutungsmustern orientieren. Das staatliche Gewaltmonopol lehnen Autonome ab und sehen eigene Gewaltanwendung („Militanz“) zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele als legitim an. Starren Organisationsstrukturen stehen „klassische“ Autonome kritisch bis ablehnend gegenüber und beharren stattdessen auf ihrer Selbstbestimmtheit. Autonome organisieren sich daher in losen Gruppen, zwischen denen oft nur aktions- und anlassbezogene lockere Netzwerke bestehen.

Teile der autonomen Szene sind in den letzten Jahren allerdings von diesem Selbstverständnis abgerückt. Die mangelnde Strategie sowie die Organisations- und Theoriefeindlichkeit „klassischer“ Autonomer erachten sie als wenig zielführend: Anstelle der Revolution bevorzugt dieser Teil der Szene, der sich selbst als postautonom bezeichnet, eine langfristige Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Hierfür greifen Postautonome gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf und setzen auf eine auch das gesamte linksextremistische Spektrum umfassende Bündnispolitik, die eine Zusammen­arbeit mit nichtextremistischen Akteuren ausdrücklich einschließt. Dementsprechend vermeiden Postautonome in der Regel ein offenes Bekenntnis zur Gewalt. Stattdessen verwenden sie eher unbestimmte Begriffe wie „ziviler Ungehorsam“ oder sprechen davon, „Polizeiketten durchfließen“ zu wollen. Damit bieten Postautonome für ihre „Aktionen“ einen weiten Interpretationsspielraum, der sowohl gewaltorientierten als auch gewaltablehnenden Personen eine Teilnahme ermöglicht.

Die bundesweit bedeutendsten postautonomen Organisationen waren die Interventionistische Linke (IL) und das sich selbst als „kommunistisch“ definierende Bündnis …umsGanze! (uG). Während die Gruppe kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt Teil des …umsGanze!-Bündnisses war, waren in der IL die Gruppen d.o.r.n. (Kassel), d.i.s.s.i.d.e.n.t. (Marburg), IL Darmstadt und IL Frankfurt organisiert.

Aktivisten: In Hessen etwa 400, bundesweit etwa 7.400
Regionale Schwerpunkte: Frankfurt am Main, Marburg, Gießen, Kassel und Darmstadt
Medien (Auswahl): Swing (Erscheinungsweise mehrmals jährlich), Internetpräsenzen

Ereignisse/Entwicklungen

Während im Vorjahr mit den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg ein herausragendes Ereignis die Aktivitäten der autonomen Szene prägte, verteilte sich deren Aktionsspektrum im Berichtsjahr gleichmäßig auf mehrere Themenfelder. Ein besonderes Augenmerk legte die Szene auf den Protest gegen die vermeintlich zunehmende „staatliche Repression“ gegenüber „linken Aktivisten“. Kritisiert wurden unter anderem verschiedene Gesetzesverschärfungen in Bund und Ländern, die Forderung nach Schließung von Szeneobjekten sowie die laufenden Ermittlungen und Strafprozesse im Nachgang zum G20-Gipfel. Ein weiterer Schwerpunkt auto­nomer Aktivitäten lag in den Themenfeldern „Antifaschismus“ und „Antirassismus“. Hier engagierte sich die Szene gegen den „Rechtsruck“ in der Gesellschaft und kritisierte das vermeintlich staatliche Versagen bei der Verfolgung und Aufklärung von rechtsextremistischen Straftaten. Ebenfalls von Bedeutung waren autonome Aktionen gegen Gentrifizierung und im Kontext Klima- und Umweltaktionen.

Auf einen Blick

  • „Antifaschismus“: Outings und Demonstrationen
  • „Antirepression“: Solidaritätsbekundungen und -aktionen als Reaktion auf Ermittlungen und Razzien nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg
  • Selbstverwaltete Freiräume“: gegen „linke“ Treff- und Wohnobjekte gerichtete Brandserie im Rhein-Main-­Gebiet
  • Antigentrifizierung“: linksextremistische Beteiligung an einer Demonstration für „bezahlbaren Wohnraum“
  • „Antirassismus“: Demonstrationen gegen Abschiebungen –Protestaktionen der Kampagne „Kein Schlussstrich – Tag X“
  • Klima- und Umweltaktionen

„Antifaschismus“: Outings und Demonstrationen | Linksextremisten setzten Aktive der Partei Alternative für Deutschland (AfD) pauschal mit Rechtsextremisten gleich. In der Konsequenz kam es auch durch Autonome zu Störungen und Konfrontationen anlässlich von Veranstaltungen der AfD. So störten Autonome ein Parteitreffen in einer Gaststätte in Wiesbaden und outeten auf Facebook einen Parteifunktionär als „faschistischen Vorsitzenden der AfD“ im Rheingau-Taunus-Kreis. Dabei wurden persönliche Daten des Betroffenen veröffentlicht.

Weitere Outings richteten sich insbesondere gegen Angehörige von Burschenschaften im Raum Mittelhessen und thematisierten deren Verbindungen zur AfD. Im Rahmen der „Kampagne zur Aufdeckung und Bekämpfung (neu-)rechter Netzwerke“ wurden unter der Überschrift „Stadt, Land, Volk“ Berichte im Stile von Outings veröffentlicht. Darin wurden persönliche und biografische Daten genannt. Im Juni wurde ein Outing auf einer von Linksextremisten intensiv frequentierten Internetpräsenz veröffentlicht und mit den Appellen versehen: „Keine Ruhe für Nazis!“, „Neonazis ihr Jura-Studium versauen!“, „Vorsicht extrem rechter Bursche!“ und „Mit der Ruhe ist es jetzt vorbei!“

Auf derselben Internetseite bekannten sich im Mai anonyme Verfasser zu einem gewalttätigen Übergriff auf die Wohnung eines Rechtsextremisten. Die Verfasser sprachen von einem „längst überfälligen antifaschistischen Hausbesuch“ und gaben an, dass der Inhalt des „Schlaf- und Arbeitszimmer[s] […] nun reif ist für den Sondermüll“. „Auf den Müllhaufen der Geschichte“ gehöre auch die „menschenverachtende Ideologie“ des Wohnungsinhabers. Die Autoren „bedauerten“, dass der Bewohner zum Zeitpunkt ihres „Besuchs“ nicht anwesend gewesen sei. Mit dem Kommentar „Großartig[.] Schöne Nummer, GenossInnen!“ begrüßte eine unbekannte Person aus Leipzig (Sachsen) den Fall von Selbstjustiz auf der Internetseite.

Neben der direkten Konfrontation mit dem politischen Gegner war die Vernetzungs- und Aufklärungsarbeit im Themenfeld „Antifaschismus“ ein wichtiger Baustein linksextremistischer Betätigung. Insbesondere Vorträge wurden für Kooperationen mit nicht­extremis­tischen zivilgesellschaftlichen Akteuren instrumentalisiert. So warb etwa die IL Darmstadt im Juni für die dortige Vortragsreihe „Die extreme Rechte“. Die Veranstaltungen wurden einerseits von der IL Darmstadt mitgetragen, andererseits waren sie mit Logos zivilgesellschaftlicher Stellen versehen und fanden mitunter an einer Liegenschaft einer Darmstädter Hochschule statt.

Neben Outings nutzten Linksextremisten klassischerweise Demon­strationen, um ihre Ansichten öffentlich zu präsentieren und zugleich konfrontativ auf den politischen Gegner einzuwirken. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über die „Ehe für alle“, die der Bundestag im Juni 2017 beschlossen hatte, beteiligten sich im Januar 2018 Autonome aus dem Rhein-Main-Gebiet und aus Mittelhessen an einer Demonstration gegen eine Veranstaltung im Raum Frankfurt am Main mit dem Thema „Öffnung der Ehe … Folgen für alle …“. Trotz anderslautender Ankündigungen aus dem autonomen Spektrum verlief die Gegendemonstration mit rund 2.500 Teilnehmern friedlich. So hatte es zuvor geheißen: „Mit Stil, Charme und Militanz dagegen!“, „dem reaktionären Pack keine Ruhe lassen“ und „Tod der Reaktion“. Die räumliche Trennung beider Lager durch die Polizei deuteten Autonome im Nachhinein zu einer „Kooperation von Staat und Nazis“ um und verunglimpften die Polizei als „willige Schutzmacht von reaktionären Schweinen“.

Im März mischten sich in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) Linksextremisten unter eine Gegendemonstration mit 800 bis 1.200 Teilnehmern anlässlich einer Veranstaltung der NPD. Aus dem linksextremistischen Spektrum mobilisierten unter anderem Autonome aus dem mittelhessischen Bereich und dem Rhein-Main-Gebiet. Unter dem Motto „Den Faschisten die Faust“ hielt ein Vertreter der autonomen Gruppierung Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (A.R.A.G.) eine Rede im Rahmen der Gegendemonstration. Darin hieß es unter anderem, dass der „Faschismus […] von bestimmten Teilen der Eliten aus Politik, Militär, Staatsapparat und Großindustrie – also der herrschenden Klasse“ unter Mobilisierung der Bevölkerung in ein Bündnis organisiert worden sei. Im Vorfeld hatten Autonome im Szenetreff Klapperfeld in Frankfurt am Main eine Mobilisierungsveranstaltung organisiert.

Am 22. August fand in Darmstadt eine Demonstration mit rund 3.500 Teilnehmern gegen eine Veranstaltung der AfD statt, zu der sich auch Linksextremisten aus dem Rhein-Main-Gebiet, insbesondere aus Darmstadt und Frankfurt am Main, angekündigt hatten. In einer Rede sagte ein Vertreter der IL Darmstadt:

„Neben den Abwehrkämpfen müssen wir offen für einen radikalen gesellschaftlichen, demokratischen Fortschritt streiten, der allen Menschen hier und überall ein gutes und selbstbestimmtes Leben ermöglicht“.

Einen Tag vor der Veranstaltung hatten unbekannte Täter eine übelriechende Flüssigkeit, mutmaßlich Buttersäure, in dem für die AfD vorgesehenen Veranstaltungsraum verschüttet. Die IL Darmstadt befürwortete dies öffentlich mit der Parole „Still loving buttersäure“. In einem Selbstbezichtigungsschreiben, das auf einer von Linksextremisten benutzten Internetseite veröffentlicht worden war, forderten die anonymen Autoren die Leser dazu auf, die „Rechtswende zu beenden oder wenigstens den rassistischen Wahlkampf der sogenannten Alternative zur Hölle zu machen“. Eine weitere Demonstration gegen eine AfD-Veranstaltung in Wiesbaden fand im Oktober mit – nach Angaben eines Veranstalters – etwa 2.500 Personen statt. Dabei hielten Linksextremisten, insbesondere Anarchisten, Reden.

„Antirepression“: Solidaritätsbekundungen und -aktionen als Reaktion auf Ermittlungen und Razzien nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg | Zur weiteren Aufklärung der schweren Ausschreitungen während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg hatte die dortige Polizei – mit Unterstützung weiterer Polizeibeamter aus dem Bundesgebiet – die Sonderkommission (SoKo) „Schwarzer Block“ eingerichtet. Deren Ermittlungen führten im Juni 2018 zu Exekutivmaßnahmen, bei denen bundesweit 13 Wohnungen durchsucht wurden. In Hessen waren fünf Personen betroffen. Die 17- bis 24-Jährigen hatten sich nachweislich an Aktionen des „schwarzen Blocks“ beteiligt, bei denen es unter anderem durch Brandsätze und Farbschmierereien zu schweren Verwüstungen in der Hamburger Innenstadt gekommen war sowie Polizeibeamte verletzt worden waren. Gegen vier Personen im Rhein-Main-Gebiet lag ein Haftbefehl des Amtsgerichts (AG) Hamburg vor, der im Zuge der Durchsuchungen am 27. Juni vollstreckt wurde. Die Beschuldigten wurden noch am gleichen Tag nach Hamburg gebracht, wo der Haftrichter die Untersuchungshaft für zwei der vier Beschuldigten bestätigte. Die gegen die anderen beiden Personen verhängte Untersuchungshaft wurde aufgehoben, da sie zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen waren und keine akute Fluchtgefahr bestand.

Unmittelbar nach den Maßnahmen reagierten Gruppen der linksextremistischen bzw. autonomen Szene. Die Rote Hilfe e. V. (RH), Ortsgruppe Frankfurt am Main, warnte ausdrücklich vor weiteren Exekutivmaßnahmen und sprach Handlungsempfehlungen zum „Schutz“ vor Polizeibeamten aus, die mögliche Betroffene beachten sollten. Ein Angehöriger der RH kritisierte die Maßnahmen der Polizei:

„,Mit solchen PR-Veranstaltungen wie heute in Frankfurt und Offenbach will die Polizei die Schlagzeilen bestimmen und die Deutungshoheit zurückerhalten. Durch reißerisch inszenierte Razzien und Presse­meldungen soll von den massiven Grundrechtsverletzungen, der Polizeigewalt, der Behinderung von Journalist*innen und den eigenen Fehlern abgelenkt werden‘“.

Hierauf folgten Solidaritätsbekundungen von Gruppen aus dem links- und ausländerextremistischen Spektrum über deren Präsenzen in den sozialen Medien. Darüber hinaus wurde die Facebook-Seite „United we stand – of/ffm Lasst unsere Leute frei“ eröffnet, die seitdem zur Steuerung von Beiträgen zum Thema „Anti-Repression“ im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel diente. Es wurde umgehend appelliert, zugunsten der Betroffenen Spenden an ein Konto der RH zu tätigen und gleichzeitig solidarische Briefpost an die Inhaftierten zu senden. Weitere Gelder sollten zudem über den Verkauf eines „Soli T-Shirts“ mit der Aufschrift „United we stand – Lasst unsere Leute frei!“ erzielt werden.

Darüber hinaus trug die linksextremistische Szene ihren Protest auf die Straße. Am 5. Juli fand in Frankfurt am Main, beginnend am Szeneobjekt Klapperfeld, ein Demonstrationszug unter dem Motto „United we stand – unsere Solidarität gegen ihre Repression“ statt. Etwa 300 Personen machten auf die Situation der Inhaftierten aufmerksam. Zudem organisierte die RH, Ortsgruppe Frankfurt am Main, zur Unterstützung der Angeklagten eine Busreise zum Prozessauftakt am 18. Dezember in Hamburg. Außerdem gab es in unregelmäßigen Abständen weitere Aufrufe der linksextremistischen Szene zu Protest- und Solidaritätsaktionen.

Selbstverwaltete Freiräume“: gegen „linke“ Treff- und Wohnobjekte gerichtete Brandserie im Rhein-Main-Gebiet | Zwischen September und Dezember kam es in Schwalbach (Main-Taunus-Kreis), Frankfurt am Main und Hanau (Main-Kinzig-Kreis) zu zehn Bränden zum Nachteil „linker“ Treff- und Wohnobjekte. Dabei entstand insgesamt ein Sachschaden im unteren sechsstelligen Bereich. Nach der letzten Tat am 21. Dezember im autonomen Kulturzentrum Metzgerstraße in Hanau nahm die Polizei einen Tatverdächtigen fest. Ob dieser tatsächlich für die „Brandserie“ oder zumindest Teile von ihr verantwortlich ist, ist Gegenstand weiterer Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Vor der Festnahme war die linksextremistische Szene im Rhein-Main-Gebiet zunächst von einem rechtsextremistischen Tathintergrund ausgegangen. Die nichtextremistischen politischen Parteien, die in den Monaten zuvor eine Schließung verschiedener Frankfurter Szeneobjekte gefordert hatten, betrachtete die Szene als „geistige Brandstifter“ der Taten. In diesem Kontext mobilisierten Linksextremisten zu einer Solidaritätsdemonstration unter dem Motto „Gemeint sind wir alle! – Gegen rechte Brandstifter*innen am Schreibtisch und auf der Straße!“ am 21. Dezember in Frankfurt am Main, an der sich etwa 1.000 Personen beteiligten.

Nach seiner Festnahme geriet der Tatverdächtige in den Fokus der von den Brandstiftungen Betroffenen. In einer Pressemitteilung des nichtextremistischen Mietshäuser Syndikats (MHS), das Miteigentümer dreier von den Bränden betroffenen Objekten ist, wurde behauptet, dass der Tatverdächtige bereits seit Jahren unter anderem mit Anzeigen gegen das MHS vorginge. Infolgedessen sah die linksextremistische Szene dessen Täterschaft für alle Brände als erwiesen an und „outete“ ihn als „rechten Brandstifter“, indem Szeneangehörige seinen vollständigen Namen, seine Anschrift und mehrere Bilder von ihm im Internet auf einer von Linksextremisten intensiv frequentierten Internetpräsenz veröffentlichten und ein entsprechendes Flugblatt in seinem Wohnumfeld verteilten. Hierbei bewarfen Linksextremisten das Wohnhaus des Tatverdächtigen mit Steinen und beschmierten es mit Farbe. Gleichzeitig beschuldigten Szeneangehörige die Ermittlungsbehörden, die Zusammenhänge und politischen Hintergründe der Taten nicht sehen zu wollen.

Antigentrifizierung“: linksextremistische Beteiligung an einer Demonstration für „bezahlbaren Wohnraum“ | Kurz vor der hessischen Landtagswahl führte das nichtextremistische, aus über 40 Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften und Mieterinitiativen bestehende Bündnis #Mietenwahnsinn-Hessen eine Demonstration unter dem Motto „Gemeinsam gegen Spaltung und Verdrängung – Bezahlbarer Wohnraum für alle!“ am 20. Oktober in Frankfurt am Main durch. Hierbei sollte gegen steigende Mieten und die fortschreitende Gentrifizierung sowie für mehr bezahlbaren und sozialen Wohnraum demonstriert werden. Die autonome Szene in Frankfurt am Main, insbesondere die Gruppen kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt und siempre*antifa Frankfurt/M, hatten wochenlang für die Bildung eines „antikapitalistischen“ Blocks während der Demonstration mobilisiert, an der sich etwa 5.000 Personen beteiligten. Vor Veranstaltungsbeginn zogen etliche Teilnehmer in drei Sternmärschen aus verschiedenen Frankfurter Stadtteilen zur Auftaktkundgebung am Hauptbahnhof. Zwei Sternmärsche waren von Personen aus dem linksextremistischen Spektrum angemeldet worden. Alle Demonstrationen verliefen friedlich und ohne besondere Vorkommnisse.

„Antirassismus“: Demonstrationen gegen Abschiebungen – Protestaktionen der Kampagne „Kein Schlussstrich – Tag X“ | Nachdem öffentlich bekannt geworden war, dass die künftige hessische Abschiebehafteinrichtung (AHE) in Gebäuden der Justizvollzugsanstalt (JVA) Darmstadt eingerichtet werden soll, rief das linksextremistisch beeinflusste Aktionsbündnis Community for all – solidarische Gemeinschaft statt Abschiebegefängnis im Januar zu einer Aktionswoche gegen die AHE auf. Linksextremistische bzw. dem Linksextremismus nahestehende Gruppierungen aus Hessen mobilisierten zur Teilnahme an den Veranstaltungen, so etwa die IL Darmstadt. An der friedlich verlaufenen Veranstaltung am 20. Januar nahmen etwa 800 Personen, darunter etliche Linksextremisten, teil.

Im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Kein Schlussstrich – Tag X“ thematisierte die linksextremistische Szene in Hessen das im Berichtsjahr absehbare Ende des NSU-Prozesses in München, indem sie weitere Ermittlungen zu bisher nach ihrer Auffassung ungeklärten Fragestellungen forderte. Mehrere Mobilisierungsveranstaltungen und Kundgebungen fanden statt; in Darmstadt, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Frankfurt am Main kam es zu Sachbeschädigungen.

Unter dem Motto „Von Hessen nach München“ riefen der autonomen Szene in Hessen zuzurechnende Gruppierungen zur Teilnahme an einer Demonstration am Tag der Urteilsverkündung vor dem OLG in München auf. Das linksextremistisch beeinflusste Bündnis Kein Schlussstrich kündigte eine Demonstration unter dem Motto „Tag X – Kein Schlussstrich“ in Frankfurt am Main an, an der etwa 680 Personen teilnahmen. Im Laufe der Veranstaltung wurden mehrere Straßenschilder mit den Namen der Opfer der Mordserie überklebt.

Klima- und Umweltaktionen | In den seit Jahrzehnten andauernden Auseinandersetzungen um den Ausbau des Frankfurter Flughafens kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Besetzungsaktionen rund um das Flughafengelände. Am 6. Januar wurde der in unmittelbarer Nähe des Flughafens gelegene Treburer Wald besetzt, wo in der Folge einige Baumhäuser und Plattformen sowie wenige Hütten entstanden. Neben der Verhinderung der Rodung des besetzten Waldgebiets verfolgten die Besetzer weitere gesellschaftspolitische Ziele. So sahen sie ihre Aktionen unter anderem als konkrete Umsetzung eines anarchistischen Freiraums; darüber hinaus pflegten die Besetzer Kontakte zu anderen linksextremistischen Strukturen, zum Beispiel im Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen. Am 11. November räumte die Polizei das Gelände im Treburer Wald, dabei kam es teilweise zu passivem friedlichem Widerstand in Form von „Lock-ons“, einer modernen Form der Ankettung.

Entstehung/Geschichte

Die autonome Bewegung wurzelt in den europaweiten Studentenprotesten der späten 1960er und 1970er Jahre. In dieser Zeit entstand die Selbstbezeichnung Autonome.

Auf einen Blick

  • Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei
  • „Anti“-Haltungen

Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei | Für die große Öffentlichkeit zum ersten Mal erkennbar agierten Autonome gewalttätig, als sie 1980 in Bremen gegen die Vereidigung von Bundeswehrrekruten demonstrierten. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als breite eigenständige Bewegung waren Autonome seit Anfang der 1980er Jahre auszumachen. Sie waren zunächst vor allem in der „Friedens-“ und in der „Anti-Atomkraftbewegung“ sowie bei Hausbesetzungen aktiv. Gewalttätig agierten Autonome zum Beispiel gegen die in Wackersdorf (Bayern) geplante Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe und lieferten sich an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gleichfalls gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.

„Anti“-Haltungen | Mit der Zeit erschlossen sich die Autonomen weitere Aktionsfelder, die in der Regel durch eine „Anti“-Haltung gekenn­zeichnet sind: „Antifaschismus“, „Antirepression“, „Anti­rassismus“, „Antigentrifizierung“ und „Antimilitarismus“. „Antikapitalistische“ Einstellungen von Autonomen, die im „Kapitalismus“ die Wurzel allen Übels sehen, bilden die Grundlage für diese Aktionsfelder.

Ideologie/Ziele

Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des „kapitalistischen Systems“ zugunsten einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch „Kapitalismus“, „Rassismus“ und „Patriarchat“ unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrachten die Autonomen die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im „Kapitalismus“. „Imperialismus“ und vor allem „Faschismus“ sind in den Augen der Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung.

Auf einen Blick

  • „Anti“-Haltungen und Feindbilder
  • Antikapitalismus
  • „Antifaschismus“
  • „Antirassismus“
  • Antigentrifizierung“ – „selbstverwaltete Freiräume“
  • Klima- und Umweltaktionen
  • Frage der Gewalt
  • Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen
  • Antiimperialisten
  • Antideutsche
  • Antinationale

„Anti“-Haltungen und Feindbilder | Ihren „Anti“-Haltungen und Feindbildern entsprechend definieren Autonome ihre politischen Aktivitäten, zum Beispiel: „Antifaschismus“ gegen „Rechte“ bzw. „Nazis“ – oder „Antirepression“ insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des „staatlichen Repressionsapparats“. Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine „antikapitalistische“ Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnis- und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen vor allem Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen.

Antikapitalismus“ | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die „kapitalistische“ Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem „Kapitalismus“ gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zwecke instrumentalisieren.

„Antifaschismus“ | Vor allem das Themenfeld „Antifaschismus“ zeichnet sich für Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Be­kämp­fung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische „Anti­faschismus“-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst „faschistisch“ oder „faschistoid“ zu sein. Demnach bezeichnen Linksextremisten auch Personen aus dem demokratischen Spektrum als „Faschisten“. Sobald die Bewertung „Faschist“ vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten.

Unter „Antifaschismus“ verstehen Linksextremisten bzw. Autonome also nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven „Kampf gegen Rechts“ mit dem „Kampf gegen das Ganze“, das heißt gegen das „bürgerlich-kapitalistische System“, gleich: Erst wenn der „Kapitalismus“ beseitigt sei, sei die Gefahr des „Faschismus“ als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt.

„Antirassismus“ | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden medialen Berichterstattung sowie der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit versucht das linksextremistische Spektrum, mit „Aktionen“ in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szeneeigene Verständnis von „Antirassismus“ möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik, sondern Autonome wollen vor allem nachweisen, dass Staat und Gesellschaft selbst „rassistisch“ sind und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssen. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Auto­nome in dieser Diktion als „rassistisch“: „Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“.

Antigentrifizierung“ – „selbstverwaltete Freiräume“ | Linksextremisten schließen sich „Antigentrifizierungs“-Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre „antikapitalistische“ Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da unter anderem die von ihnen genutzten „selbstverwalteten Freiräume“ – also autonome Szeneobjekte – häufig selbst seitens des Eigentümers für entsprechende „Luxussanierungen“ vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind.

Klima- und Umweltaktionen | Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der damit einhergehenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie im Rahmen des Strebens nach einem sozialverträglichen ökologischen Miteinander gewinnt dieses Themenfeld zunehmend an Bedeutung für das linksextremistische Spektrum. Hierin lassen sich mehrheitsfähige gesellschaftliche Anliegen – wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel (zum Beispiel in Form der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie oder aus dem Kohleabbau) – mit linksextremistischen Forderungen nach einem „selbstbestimmten Leben“ durch das Schaffen „selbstverwalteter Freiräume“ verbinden. Zudem bietet sich für Linksextremisten die Möglichkeit, ihre „antikapitalistischen“ Forderungen gegen angebliche „klimaschädliche“ Unternehmen in Stellung zu bringen und in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Mit ihren Versuchen, die Klima- und Umweltbewegung zu beeinflussen, wollen Linksextremisten ein Scharnier zwischen ihren Bestrebungen und nichtextremistischen Forderungen herstellen.

Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein „Mittel zum Zweck“, sondern ebenso einen Akt der „individuellen Selbstbefreiung“. Die regelmäßig in der Szene geführte „Militanzdebatte“ beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers dis­kutierten Frage, ob sich Gewalt „nur“ gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer „Aktionen“ verletzt oder sogar getötet werden.

Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind drei Hauptströmungen – Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale – zu unterscheiden. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über nicht weiter präzisierte „antikapitalis­tische“ und „antifaschistische“ Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens.

Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den „Kapitalismus“ bedingte „imperialistische“ Politik westlicher Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von „antiimperialistischen Befreiungsbewegungen“ etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische Befreiungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel.

Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als „rechtsradikal“ oder „islamfaschistisch“. Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit wider­sprechen Antideutsche dem „antimilitaristischen“ und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher „Kriegstreiberei“ vor.

Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten unterstellen sie – ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemeinen – antizionistische und antisemitische Einstellungen.

Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die phasenweise in der autonomen Szene in Hessen prägend war und weiterhin präsent ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher.

Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im „Kapitalismus“ zwangsläufig „imperialistisch“. Kriege seien nur „Ausdruck der notwendigen Konflikte“ im „kapitalistischen System“, da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre „Befreiungsbewegungen“ in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus „antifaschistischer“ Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu.

Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den „historischen Sonderweg“ Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale „Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden“ eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel bei aller Solidarität mit dessen Volk einen „kapitalis­tischen“ Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei.

Strukturen

Frankfurt am Main war – wie in der Vergangenheit – sowohl personell als auch strukturell der autonome Szeneschwerpunkt in Hessen. Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Gießen (Landkreis Gießen).

Auf einen Blick

  • Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main
  • Regionale Szenen

Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main | Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen war in Frankfurt am Main oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) ansässig. Bundesweit betrachtet, gehörte Frankfurt am Main zu den Großstadtregionen mit einer kontinuierlichen Präsenz autonomer Zusammenhänge. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der „harte Kern“ der Frankfurter Szene durch seine bundesweite Vernetzung, das hohe Personenpotenzial auf engem Raum und die hohe Gewaltbereitschaft.

Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt, die IL Frankfurt, siempre*antifa Frankfurt/M., die Antifa United Frankfurt (AUF) und stellenweise das Antifaschistische Kollektiv 069 (AK.069). Mit dem Treffort Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Darüber hinaus bildeten das Café ExZess, das Café KoZ und das Centro wichtige Treffpunkte.

Regionale Szenen | Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. und Antifaschistisches Kollektiv raccons (ak raccoons) aus Kassel, die Marburger Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. und die antifaschistische gruppe 5 (ag5) sowie in Gießen die Antifa R4 und die A.R.A.G. In Darmstadt festigten sich weiterhin, auch aufgrund der Aktivitäten der IL Darmstadt, die Szenestrukturen. Insgesamt gehörten der IL einige autonome Gruppierungen aus Hessen an, was ein Beleg für die bundesweite Vernetzung von (Post-)Autonomen in Hessen ist. Darüber hinaus war das Bündnis antifaschistischer Strukturen Hessen (B.A.S.H.) aktiv, das einmal im Jahr ein „Antifacamp“ ausrichtet, das der Politisierung, Radikalisierung und letztlich Rekrutierung junger Menschen, die längerfristig in autonomen Strukturen aktiv sein wollen, dienen soll.

Bewertung/Ausblick

Im Unterschied zum Vorjahr mit dem G20-Gipfel in Hamburg gab es 2018 für die autonome Szene kein herausragendes überregionales Großereignis, sodass sich die Aktivitäten der Autonomen vor­wiegend auf regionale Proteste in verschiedenen Themenfeldern beschränkten. Dabei sind zwei Themenkomplexe hervorzuheben, die auch im kommenden Jahr im Fokus der Szene stehen dürften.

Erstens sah sich die autonome Szene einer zunehmenden „staatlichen Repression“ ausgesetzt. Als Beleg hierfür führte sie verschiedene Gesetzesverschärfungen in Bund und Ländern, die Forderung nach Schließung von Szeneobjekten sowie die Ermittlungen und Strafprozesse im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel an. Tatsächlich zeigten der erhöhte Verfolgungsdruck der Behörden und das höhere Strafmaß Wirkung innerhalb der Szene. Darüber hinaus war die Szene wegen des drohenden Verlusts von Szeneobjekten verunsichert. Diese haben für Linksextremisten eine elementare Bedeutung, da ohne sie ein Bestehen und eine Festigung autonomer Strukturen in einer Stadt oder Region kaum möglich sind. Insofern reagierte die Szene bei diesem Themenkomplex besonders emotional und versuchte sich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Neben „klassischen“ Protestaktionen bediente sich die autonome Szene hierbei auch anderer Instrumente: Mittels des Einladens von Politikern in Szeneobjekte, Interviews und Pressemitteilungen beabsichtigte sie, ein positives und vermeintlich harmloses Bild ihrer Bestrebungen und Tätigkeiten zu entwerfen. Ihre dahinter stehenden verfassungsfeindlichen Absichten sollten durch dieses „positive“ Bild verschleiert werden.

Der zweite Themenkomplex betrifft den, so wie es die IL Frankfurt bezeichnete, „Rechtsruck“ und „Rassismus von Rechts“ und die damit angeblich verbundene Tatenlosigkeit des Staats. Neben dem weiterhin andauernden Protest gegen die AfD gerieten im Berichtsjahr verstärkt Behörden in den Fokus von autonomen Protesten. Die autonome Szene warf den Ermittlungsbehörden mangelnden bzw. zumindest zögerlichen Aufklärungswillen bei rechtsextremistischen Straftaten vor. Durch Berichte über angeblich rechtsextremistische Mitarbeiter und Strukturen in (Sicherheits-)Behörden sah sich die Szene zudem in ihrer Wahrnehmung bestätigt, dass der Staat nicht nur Rechtsextremisten schütze, sondern selbst das strukturelle rassistische bzw. „faschistische“ Problem sei. Konsequenterweise verstanden Autonome ihren „antifaschistischen“ Kampf in diesem Zusammenhang auch als Kampf gegen den Staat. Diese Sichtweise versuchten sie bei Demonstrationen „gegen Rechts“ in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und diese somit in ihrem Sinne zu beeinflussen. Gleichzeitig versuchten Autonome die beiden oben genannten Themenkomplexe argumentativ miteinander zu verknüpfen, um sich letztlich in eine Art „Opferrolle“ zu begeben, aus der heraus sie jegliche (auch gewalttätige) Mittel des Protests und Widerstands als legitim betrachteten.

Dementsprechend wird sich im kommenden Jahr ein Großteil der autonomen Aktivitäten auf diese Themenkomplexe fokussieren. Die weiterhin aktuellen Themen „Antigentrifizierung“ und „Klima- und Umweltaktionen“ werden hinzukommen. In diesen Themenfeldern sieht die autonome Szene gute Anknüpfungspunkte für eine allumfassende Staats- und „Kapitalismus“-Kritik, die sie im Rahmen von gemeinsamen Protestaktionen mit Nichtextremisten in Teile der demokratischen Gesellschaft tragen kann.

Sonstige Beobachtungsobjekte

Neben autonomen Gruppierungen gab es in Hessen linksextremistische Parteien und Organisationen mit parteiähnlichem Charakter, die einen bedeutenden Teil des linksextremistischen Spektrums bilden. Die wichtigsten von ihnen sind unten aufgeführt.

Auf einen Blick

  • Deutsche Kommunistische Partei (DKP)
    • Gründung in kommunistischer Tradition – Ziele
    • Organisation – Aktivitäten in Hessen – Finanzierung
    • 22. Parteitag: innerparteiliche Richtungskämpfe
    • Bundesweite Aktivitäten
    • Ausblick/Bewertung
  • Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)
    • Jugendorganisation der DKP – interne Auseinandersetzungen
    • Antikapitalismus“ – „Antimilitarismus“
    • Ausblick/Bewertung
  • Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)
    • Ziele
    • Anhängerzahl – Strukturen
    • Kurdistan-Solidaritätsarbeit“
  • Rote Hilfe e. V. (RH)
    • Ideologie – Strukturen – Anhänger
    • Rechtsberatung“ für politisch motivierte Straftäter
  • Sozialistische Alternative (SAV)
    • Gründung – Ziele
    • Aktivitäten

Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

Gründung in kommunistischer Tradition – Ziele | Die 1968 gegründete DKP versteht sich als „revolutionäre Partei der Arbeiterklasse“ in der Tradition der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Das Ziel der DKP ist die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einem revolutionären Bruch, um − als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft − den Sozialismus zu verwirklichen. Dabei setze, so die Auffassung der DKP, die „sozialistische Gesellschaftsordnung […] die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen voraus“.

Organisation – Aktivitäten in Hessen – Finanzierung | Die DKP-Bezirksorganisation in Hessen (vergleichbar einem Landesverband) gliederte sich Parteiangaben zufolge in 15 Kreisorganisationen. Diese waren zwar unterschiedlich stark aktiv, beschränkten sich in ihren Aktivitäten aber insgesamt überwiegend auf kommunalpolitische Aspekte. Einzelne Kreisorganisationen gaben Kleinzeitungen heraus.

Der Schwerpunkt der Aktivitäten der DKP Hessen lag in Gießen (Landkreis Gießen) sowie in Südhessen in den Gemeinden Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) und Reinheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg). Die DKP führte nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen durch, interne Veranstaltungen dominierten das Geschehen in der Partei. In Hessen waren der DKP rund 350 Personen zuzurechnen, bundesweit etwa 2.850.

Nach wie vor befanden sich die Bundespartei sowie die Bezirksorganisation in Hessen in finanziellen und personellen Schwierigkeiten. Daran änderte auch eine ungewöhnlich hohe Einzelspende nichts, weil diese laut Angaben des DKP-Parteivorstands für die Reno­vierung der parteieigenen Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) verwendet werden sollte. Die Schule dient als „zentrale Bildungseinrichtung“ der DKP.

22. Parteitag: innerparteiliche Richtungskämpfe | Die innerparteilichen Richtungskämpfe zwischen Anhängern einer Gruppe, welche die traditionelle Rolle der Arbeiterklasse favorisiert und damit den Bruch mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse erreichen will, und einem eher pragmatisch ausgerichteten Teil, der sich für eine Reformierung der Partei ausspricht, setzten sich im Berichtsjahr fort. Die erste Gruppe formierte sich um den Parteivorstand und die zweite im Netzwerk kommunistische Politik in der DKP.

Die Auseinandersetzungen um die künftige strategische Ausrichtung der Partei wurden zumeist öffentlich geführt und erreichten während des 22. Parteitags, der mit 166 Delegierten vom 2. bis 4. März in Frankfurt am Main stattfand, einen Höhepunkt. Neben der Wahl eines neuen Parteivorstands stand ein Unvereinbarkeitsbeschluss zur Abstimmung. Die gleichzeitige Mitgliedschaft in der DKP und in dem Netzwerk kommunistische Politik in der DKP sollte ausgeschlossen werden. Der mit deutlicher Mehrheit angenommene Parteitagsbeschluss enthielt eine Absage an die Umformung der DKP von einer – gemäß Lenin – zentralistisch-hierarchisch organisierten kommunistischen Partei zu einer Strömungspartei. Kritiker sahen darin eine Ausgrenzung der sich dem Netzwerk zurechnenden Mitglieder und befürchteten eine Schwächung der Partei.

Zum Parteivorsitzenden wurde erneut Patrick Köbele gewählt, Wera Richter und Hans Peter Brenner wurden als stellvertretende Vorsitzende bestätigt. Gäste des Parteitags waren diplomatische Vertreter der Volksrepublik China und der Sozialistischen Republik Vietnam. Grußworte wurden unter anderem von dem Botschafter der Republik Kuba, von Vertretern der Kommunistischen Partei Luxemburgs (KPL) und der Neuen Kommunistischen Partei der Niederlande (NCPM) sowie dem Vorsitzenden der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend verlesen. Der Bundessprecher des Vereins der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. (VVN-BdA) betonte die enge Verbundenheit zwischen seiner Organisation und der DKP.

Bundesweite Aktivitäten | Darüber hinaus führte die DKP Gedenkveranstaltungen insbesondere zum 200. Geburtstag von Karl Marx und aus Anlass des 100. Jahrestags der deutschen Novemberrevolution durch. Daneben feierte die Partei ihr eigenes 50-jähriges Bestehen sowie das 100-jährige Gründungsjubiläum der KPD.

Vom 7. bis 9. September veranstaltete die DKP in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) das „20. UZ-Pressefest, Volksfest der DKP“. Nach eigenen Angaben sollen über 40.000 Teilnehmer die Veranstaltung besucht haben. Wie auch in den vergangenen Jahren war die DKP-Bezirksorganisation aus Hessen mit einem eigenen Zelt vertreten.

Ausblick/Bewertung | Insgesamt schritt der Niedergang der DKP weiter voran. Parteiaustritte sowie die innerparteilichen Richtungs­kämpfe verschlechterten die personelle und finanzielle Lage der DKP weiterhin. Daran dürfte auch die außergewöhnlich hohe Einzelspende nichts geändert haben. Inwieweit die künftige Kampagnenfähigkeit der Partei beeinträchtigt sein wird, ist noch nicht zu bewerten.

Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)

Jugendorganisation der DKP – interne Auseinandersetzungen | Die dogmatisch-kommunistische Jugendorganisation ist formal unabhängig, jedoch eng mit der DKP verbunden und fungiert als Jugendorganisation der Partei. Die SDAJ versuchte ihre Ziele vor allem durch die Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Organisationen zu verwirklichen. Der SDAJ in Hessen waren rund 70 Personen zuzurechnen, bundesweit etwa 670. Eigenen Angaben zufolge war die SDAJ in Hessen mit Ortsgruppen in den Regionen Darmstadt/Odenwald, Frankfurt am Main, Gießen, Marburg und Kassel aktiv. Parallel zu den innerparteilichen Auseinandersetzungen der DKP gab es in der SDAJ ähnlich gelagerte Diskussionen. Von der SDAJ spaltete sich eine Gruppierung ab, die sich gegen die strategische Ausrichtung der DKP aussprach und stattdessen eine kommunistische Partei nach leninistischem bzw. stalinistischem Vorbild forderte.

Antikapitalismus“ – „Antimilitarismus“ | Schwerpunkte der öffentlichkeitswirksamen Tätigkeit der SDAJ bildeten – wie in den vergangenen Jahren – die Themenfelder „Antikapitalismus“ und „Antimilitarismus“. Die SDAJ sprach dabei vor allem Schüler und Auszubildende an.

Während des Hessentags in Korbach (Kreis Waldeck-Frankenberg) demonstrierte die SDAJ am 31. Mai – laut ihrer entsprechenden Einstellung im Internet – unter anderem mit der DKP und „mit vielen anderen Gruppen und Einzelpersonen“ gegen die dortige Präsenz der Bundeswehr. Die SDAJ erklärte hierzu im Internet:

„Wir richten uns gegen die Bundeswehr und die Zukunft, die sie für uns vorsieht, und gegen das System, dass Krieg zu einem Industriezweig gemacht hat und deswegen immer ein Interesse daran haben wird, den Krieg für ihren Profit aufrechtzuerhalten“.
(Schreibweise wie im Original.)

Den Veranstaltungsort für ihren 23. Bundeskongress in Eschborn (Main-Taunus-Kreis) am 24. und 25. März dürfte die SDAJ gewählt haben, weil sie dort vor 50 Jahren gegründet worden war. 123 Delegierte berieten und diskutierten an beiden Tagen über künftige Vorhaben. Offensichtlich in Anlehnung an den Ausspruch der KPD-Politikerin und Alterspräsidentin des Reichstags Clara Zetkin (1857 bis 1933) „Kämpfen, wo das Leben ist“, beschloss die SDAJ die Kampagne „Geld gibt es genug – Zeit es uns zu holen“. Damit sollen „grundsätzliche Orientierungen“ ermöglicht werden, die „jede Gruppe auf ihre Kämpfe in Betrieb und Schule vor Ort anwenden soll“.

Bei den Vorstandswahlen wurde ein 27-köpfiger Bundesvorstand mit Lena Kreymann als neuer Bundesvorsitzenden gewählt. Als Gäste des Bundeskongresses waren Vertreter verschiedener kommunistischer Jugendorganisationen aus dem europäischen Ausland geladen sowie der Bundesvorsitzende der DKP, der in einem Grußwort die enge Verbundenheit von SDAJ und DKP betonte.

Ausblick/Bewertung | Bei der SDAJ zeichnete sich ein allgemeiner Niedergang ab. Erkennbar war dies etwa an dem Rückgang öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen und den internen Diskussionen über die ideologische Ausrichtung der Jugendorganisation. Ob es der SDAJ gelingen wird, die Schwächung zu kompensieren, ist fraglich.

Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)

Ziele | Die maoistisch-stalinistisch orientierte MLPD versteht sich als „politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland“. Ihre grundlegenden Ziele sind der „Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland“. Als Teil einer „internationalen sozialistischen Revolution“ soll diese in den Aufbau der „vereinigten sozialistischen Staaten der Welt als Übergangsstadium zur welt­weiten klassenlosen kommunistischen Gesellschaft“ münden.

Anhängerzahl – Strukturen | Auch wenn sich Anhänger der MLPD an Demonstrationen und Aktionen beteiligten, erhielt die Partei, der in Hessen etwa 80 Personen (rund 2.800 bundesweit) zuzurechnen waren, nahezu keine Aufmerksamkeit. Das lag vor allem an der weitgehenden Isolation der MLPD im linksextremistischen Spektrum.

Die MLPD war mit Ortsgruppen in über 450 Städten in Deutschland vertreten. Der MLPD-Landesverband Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland (RHS) hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main. In Hessen waren Ortsgruppen in Kassel, Frankfurt am Main, Darmstadt, Rüsselsheim am Main (Kreis Groß-Gerau) und Wiesbaden aktiv. Ebenso war der MLPD-Jugendverband REBELL bundesweit mit Ortsgruppen vertreten, in Hessen in Darmstadt, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel und Wiesbaden.

„Kurdistan-Solidaritätsarbeit“ | Den thematischen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten legte die MLPD im Berichtsjahr auf ihre „Kurdistan-Solidaritätsarbeit“, indem sie sich verstärkt auf die Kooperationen mit kurdischen Gruppierungen konzentrierte. Dabei war eine fort­gesetzte Zusammenarbeit der MLPD mit Personen, die der Partiya Karkerên Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) nahe stehen, zu beobachten. In Hessen waren die MLPD und ihre Jugend­orga­nisation REBELL Mitglieder in verschiedenen kurdischen Solidaritätsbündnissen. Darüber hinaus rief die MLPD anlässlich des kurdischen Neujahrsfests am 21. März zu Kundgebungen in Kassel und Darmstadt auf. Zudem fanden Veranstaltungen der MLPD häufig in kurdischen und anderen Treffpunkten statt. Nachdem sich im September eine Arbeitsgruppe von REBELL in Gießen (Landkreis Gießen) gegründet hatte, gab die Jugendorganisation als Treffpunkt der en­tsprech­enden Sitzungen das dortige Mesopotamisch Kurdische Kulturzentrum e. V. an.

Neben ihrer „Kurdistan-Solidaritätsarbeit“ engagierte sich die MLPD anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März sowie im Rahmen der Internationalen Automobilarbeiterbewegung, einer „kämpferische[n] Bewegung von Einzelpersonen, Initiativen, Organisationen, Gewerkschaften oder Gewerkschaftseinheiten aus der Automobil­arbeiterbewegung und ihren Freunden zum weltweiten Zusammen­-
schluss der Arbeiterinnen und Arbeiter aus der ­Automobil- und Zulieferindustrie“. Im Herbst wurde ein Delegiertentreffen der Automobilarbeiterbewegung im Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen und Kurden Darmstadt e. V. durchgeführt. Am Internationalen Frauentag („Weltfrauentag“) fand in Frankfurt am Main eine Kundgebung mit 120 Teilnehmern unter Federführung des MLPD-Frauenverbands Courage statt.

Rote Hilfe e. V. (RH)

Ideologie – Strukturen – Anhänger | In Anlehnung an die im Jahr 1924 in der Weimarer Republik von der KPD initiierten Rote Hilfe Deutschlands (RHD) versteht sich die RH laut ihrer Satzung als „parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“. Sie bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland als ein „nationalstaatlich fixiertes, bürgerlich kapitalistisches Herrschaftssystem, das von unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen (wie Rassismus oder Sexismus) strukturiert und geprägt“ werde. In Hessen verfügte die RH über Ortsgruppen in Darmstadt, Gießen (Landkreis Gießen), Frankfurt am Main, Kassel und Wiesbaden. Ihr gehörten in Hessen über 600 Personen an, bundesweit waren es etwa 9.200.

„Rechtsberatung“ für politisch motivierte Straftäter | Die maßgeblich von Linksextremisten verschiedener Richtungen getragene RH unterstützte seit den 1970er Jahren inhaftierte bzw. inzwischen aus der Haft entlassene Mitglieder der mittlerweile aufgelösten linksterroristischen Roten Armee Fraktion (RAF). Neben politischer und finanzieller Hilfe versuchte die RH mittels „Rechtsberatung“ Personen, die politisch motivierte Straftaten begingen, der staatlichen Strafverfolgung zu entziehen oder sie bei ihren Verfahren zu unterstützen. Die RH empfahl daher den „Genoss_innen“ die „konsequente Aussageverweigerung“ als „beste Strategie im Umgang mit Repressionsbehörden“.

Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main begleitete im Berichtsjahr bei Strafprozessen vorwiegend Angeklagte, die „linken“ und linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnen waren. Auf ihrer Homepage wies die RH auf anstehende Prozesse hin und rief Sympathisanten zur „kritischen Prozessbegleitung“ auf, um sich solidarisch mit den Angeklagten zu zeigen.

Mitunter meldete die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main Kundgebungen vor dem jeweiligen Gerichtsgebäude an bzw. veröffentlichte Verlaufsberichte über die Prozesse. Sie thematisierte weiterhin einen Prozess vor dem OLG München gegen zehn Mitglieder der in Deutschland als linksterroristische Organisation eingestuften Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML, Türkische Kommunis­tische Partei/Marxisten-Leninisten) sowie der Avrupa Türkiyeli İşçiler Konfederasyonu (ATİK, Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa), einer Auslandsorganisation der TKP/ML. Hierzu führte die Frankfurter Ortsgruppe der RH anlässlich einer Veranstaltungsreihe des „Internationalen Tags des politischen Gefangenen am 18. März“ eine Diskussionsveranstaltung („Deutsch-Türkische Repression – Der ATIK/TKP-ML-Prozess und die Situation in der Türkei“) am 1. März in Frankfurt am Main durch.

Als Nachbetrachtung des G20-Gipfels in Hamburg veranstaltete die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main eine Informationsveranstaltung zu dem Thema „§ 129 – Anwendung und Umgang mit dem ‚Schnüffelparagraph‘“ am 19. Juli im Café ExZess in Frankfurt am Main.

Darüber hinaus rief die Frankfurter Ortsgruppe zur Teilnahme an einer Prozessauftaktkundgebung unter dem Motto „Freiheit für Adil Demirci und alle politischen Gefangenen in der Türkei“ am 19. November in Frankfurt am Main auf. Der Kölner Sozialwissenschaftler Demirci war zu diesem Zeitpunkt seit mehreren Monaten im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in der Türkei inhaftiert, sein Prozess sollte im November beginnen.

Sozialistische Alternative (SAV)

Gründung – Ziele | Die 1994 gegründete trotzkistische SAV be­zeichnet sich als revolutionäre, sozialistische Organisation und ist die deutsche Sektion des trotzkistischen Dachverbands Committee for a Workers’ International mit Sitz in London (Großbritannien). Anhänger der SAV traten seit 2008 im Rahmen der für Trotzkisten typischen „Entrismuspolitik“ in die Partei DIE LINKE. ein, wozu die Organisation ihre Mitglieder aufgerufen hatte. Sie setzten sich für ein „wirklich sozialistisches Programm“ ein und kämpften gegen eine „Politik der Regierungsbeteiligung mit pro-kapitalistischen Parteien, weil dies zwangsläufig zum Verrat an linken und sozialistischen Positionen führt“. Nach Ansicht der SAV kann der Kapitalismus nicht zu einer „friedlichen und sozial gerechten Gesellschaft umgestaltet werden.“ Es gelte, den Kapitalismus zu überwinden und dabei den „Kampf für Verbesserungen mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft zu verbinden“: Die Gründung der Partei SAV „ist ein Aufruf zum Aufbau einer revolutionären sozialistischen Massenpartei, als Teil einer Internationale.“ Notwendig sei eine „internationale marxistische Kraft“, die sich „auf die anstehenden Kämpfe bewusst vorbereitet.“ Als eigenständige Organisation bestand die SAV, der in Hessen etwa 55, bundesweit etwa 300 Personen angehörten, fort. In Hessen gab es in Kassel eine Ortsgruppe der SAV.

Aktivitäten | Die SAV führte vom 30. März bis zum 1. April in Berlin vor „bis zu 500 TeilnehmerInnen“ ihren jährlichen Kongress „Sozialismustage“ durch. Auf über 35 Veranstaltungen wurde über Themen diskutiert, die „von Marx bis zum bedingungslosen Grundeinkommen, von den Kämpfen in den Krankenhäusern bis zur Novemberrevolution, von der Zukunft der Partei DIE LINKE bis zur Frage, wie Prostitution zu bekämpfen ist, reichten“.

In Hessen veranstaltete die SAV seit längerer Zeit wieder am 15. Dezember einen „Sozialismustag“. In Kassel diskutierten 55 Teilnehmer über Themen wie „Rätedemokratie, Gewerkschaft und Novemberrevolution“.

Linksextremistische Straf- und Gewalttaten

Die außergewöhnlich hohe Zahl der Straf- und Gewalttaten im Jahr 2015 stand im Zusammenhang mit der damaligen Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main (EZB). Die Ereignisse anlässlich des G20-Gipfels führten 2017 in Hessen zu einem deutlichen Rückgang der Straf- und Gewalttaten, da sich die Aktionen der gewaltorientierten Linksextremisten auf Hamburg fokussierten. ­Allerdings blieb im Rahmen der Begleitkampagne zum G20-Gipfel sowie anlässlich der Bundestagswahl die Zahl der Sachbeschädigungen weiterhin relativ hoch. Im Berichtsjahr fand kein solches Großereignis statt, auch die hessische Landtagswahl war in der Perspektive von Linksextremisten weniger bedeutsam, sodass die Zahl der Straf- und Gewalttaten auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren zurückging. Hinzu kam die seit den Ausschreitungen in Hamburg anhaltende öffentliche Diskussion über Autonome, ihre Trefflokalitäten und ihr Verhalten, was – zumindest in Hessen – zu ihrem defensiveren Agieren beigetragen haben dürfte. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.)

2018 2017 2016 2015 2014
Deliktart
Tötung
Versuchte Tötung 4
Körperverletzung 8 1 18 26 8
Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 2 5 8 5
Landfriedensbruch 1 2 44 2
Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr 1 3
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte 1 2 1 1
Gewalttaten insgesamt 13 5 25 86 16
Sonstige Straftaten
Sachbeschädigung 21 44 43 122 32
Nötigung/Bedrohung 2 1 3 1
Andere Straftaten (insbesondere Propagandadelikte) 12 11 19 69 7
Straf- und Gewalttaten insgesamt 48 61 90 278 55
Impressum