Verfassungsschutz in Hessen

Bericht 2018

Organisierte Kriminalität

Organisierte Kriminalität

Organisierte Kriminalität (OK) ist ein komplexes Kriminalitätsphänomen. Seine wesentlichen Merkmale sind in § 2 Abs. 2 Nr. 5 HVSG definiert und dienen somit dem LfV als Rechtsgrundlage für die Beobachtung der OK.

Auf einen Blick

  • Planmäßiges Begehen von Straftaten
  • Missbrauch der freiheitlichen demokratischen Grund­ordnung
  • Weitgehende Konspirativität
  • Schaden in Milliardenhöhe
  • Strukturaufklärung im Vorfeld konkreter Straftaten
  • Maßnahmen des LfV – Bereitstellen von Erkenntnissen
  • Rockerkriminalität
  • Russische und italienische OK

Planmäßiges Begehen von Straftaten | Die OK wird demnach beschrieben als die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamt­heit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden

  • unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder
  • unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohungen oder
  • unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft.

Missbrauch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung | Akteure der OK – Täter, Hintermänner und Nutznießer – missbrauchen die freiheitliche demokratische Grundordnung, um ihre auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Interessen mit dem Begehen von Straftaten, dem Einsatz von Gewalt oder der Einflussnahme auf Institutionen durchzusetzen. Illegal erwirtschaftete Gelder werden oftmals im Rahmen legaler Wirtschaftstätigkeit gewaschen und in legale und illegale Unternehmungen reinvestiert.

Weitgehende Konspirativität | OK-Gruppen passen ihre Aktionsfelder kriminellen „Markterfordernissen“ an und reagieren flexibel auf deren Veränderungen. Die OK ist generell darauf ausgelegt, nicht erkannt zu werden. Da sie weitgehend konspirativ agiert, ist es schwer, sie als solche zu erkennen.

Schaden in Milliardenhöhe | Erfahrungswerte zeigen, dass die OK in jedem Jahr in Deutschland seit Jahren einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht. Unter Einrechnung einer erheblichen Dunkelziffer kann sogar von einem Schaden in Milliardenhöhe ausgegangen werden.

Strukturaufklärung im Vorfeld konkreter Straftaten | Seinem Auftrag entsprechend agiert der Verfassungsschutz bei der Beobachtung und Aufklärung der OK im Vorfeld konkreter Straftaten. Ziel ist die Erkenntnisgewinnung in Bezug auf personelle, logistische, organisatorische, finanzielle und deliktische Strukturen. Neben dem frühzeitigen Ansatz der Erkenntnisgewinnung bietet die Beobachtung durch Nachrichtendienste den Vorteil einer langfristigen und nicht auf einzelne Strafverfahren bezogenen Beobachtung. Die Strukturaufklärung des Verfassungsschutzes ist dabei nicht auf die Bearbeitung einzelner Delikte ausgerichtet, sondern analysiert die krimi­nellen Strukturen in einem ganzheitlichen Zusammenhang. Daraus können in der Folge auch Erkenntnisse für Strafverfolgungsbehörden resultieren.

Maßnahmen des LfV – Bereitstellen von Erkenntnissen | Die vom LfV überwiegend mit nachrichtendienstlichen Mitteln und im Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Verfassungsschutzbehörden und ausländischen Nachrichtendiensten gesammelten Erkenntnisse werden den einzelnen Bedarfsträgern gezielt und in geeigneter Form zur Verfügung gestellt. Dadurch unterstützt das LfV in seiner Funktion als „Frühwarnsystem“ das Handeln von Politik, Polizei, weiteren staatlichen Einrichtungen und anderen öffentlichen Stellen. Diese Erkenntnisse eignen sich selten für eine öffentliche Darstellung. Besonders wachsam werden weiterhin Versuche von OK-Gruppen beob­achtet, die möglicherweise darauf ausgerichtet sein könnten, Einfluss auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien und Wirtschaft zu erlangen.

Rockerkriminalität | Der Rockerkriminalität sind jene Straftaten zuzurechnen, die einzelne oder mehrere Angehörige einer Rockergruppe begehen, wenn deren Tatmotivation in direktem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der Solidarität zu ihr zu sehen ist. Mit dem Begriff Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) werden diejenigen Rockergruppierungen bezeichnet, deren hauptsächliches Ziel es ist, organisierte Straftaten zu begehen.

Im Bereich der kriminellen Rockergruppierungen OMCG in Hessen dauerte die Aufklärung des Tötungsdelikts vom Oktober 2016 zum Nachteil des Gießener Präsidenten des Hells Angels MC, Aygün ­Mucuk, an.

Auch sogenannte Boxclubs – wie etwa die ehemaligen Osmanen BC – waren dem Phänomenbereich OK zuzuordnen. Solche Gruppierungen ähneln zwar optisch und in ihren hierarchischen Strukturen den OMCG, sie grenzen sich jedoch von diesen ab und verstehen sich vielmehr als Streetgang. Motorräder spielen innerhalb der „Box­clubs“ keine Rolle.

Im Berichtsjahr fiel der Fokus bei der Beobachtung der Rockerkriminalität vor allem auf den Osmanen Frankfurt BC, da der Osmanen Germania BC, nachdem er einschließlich seiner Teilorganisationen durch den Bundesinnenminister am 19. Juni verboten worden war, seine Aktivitäten nahezu einstellte. Der Osmanen Frankfurt BC war von dem Verbot nicht betroffen, da er sich 2016 von den Osmanen Germania BC wegen interner Streitigkeiten abgespaltet hatte.

Russische und italienische OK | Bei der russischen und italienischen OK handelt es sich um ethnisch geprägte kriminelle Gruppierungen, die international vernetzt sind und nach wie vor Bezüge zu ihren Herkunftsregionen haben.

Das LfV beobachtete Aktivitäten von Gruppen und in diesen Strukturen agierende Einzelpersonen zum Beispiel aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Von besonderem Interesse waren deren Verbindungen in das Rhein-Main-Gebiet. Die Protagonisten sowohl der russischen als auch der italienischen OK verschleierten ihre Aktivi­täten und handelten äußerst konspirativ.

Auffällig im Bereich der italienischen OK waren Verbindungen der in Kalabrien – im südlichen Festland Italiens – beheimateten ‘Ndrangheta im Rhein-Main-Gebiet, die mit besonderem Augenmerk durch das LfV bearbeitet werden.

Neben den klassischen Deliktsbereichen Eigentumskriminalität, Drogenhandel, Schmuggel und illegaler Waffenhandel spielte die Geldwäsche eine hervorgehobene Rolle. Hohe Geldsummen, deren meist ausländische Herkunft kaum nachvollziehbar war, dienten zum Beispiel dem Erwerb von hochwertigen Immobilien oder Kunstgegenständen und wurden so zu legalen Vermögenswerten. Die italienische OK reinvestierte dazu ihre illegal aus dem Drogenhandel erwirtschafteten Gelder häufig in Gastronomie-/Hotelbetriebe der gehobenen Klasse und in legale Immobiliengeschäfte und nutzte auf diese Weise Deutschland als Ruhe- und Rückzugsraum.

Aufgrund umfangreicher Ermittlungen deutscher und italienischer Sicherheitsbehörden wurden in Nordhessen im Berichtsjahr fünf Personen festgenommen, die mutmaßlich der ‘Ndrangheta angehören.

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